Adalbert Stifter
Witiko
Adalbert Stifter

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Als Witiko in das Vorgemach gekommen war, in welchem das Mädchen Lutgart saß, sah er auch einen Mann auf einem Stuhle sitzen. Es war der nämliche Mann, welcher ihn in das Gemach der spinnenden Mädchen geführt hatte.

Der Mann stand auf, und sagte: »Ich bin der Hausvogt der hocherhabenen Frau Markgräfin, Ezelin, und bin von der hohen Frau Markgräfin befohlen, Euch, edler Witiko, in Eure Herberge in dieser Burg zu geleiten.«

»So geleitet mich, edler Vogt Ezelin«, sagte Witiko.

Die zwei Männer verließen nun die Vorstube.

Der Vogt führte Witiko über eine Treppe empor in ein Gemach, an welchem noch eine zweite Stube war.

»Hier sollet Ihr mit Euerm Diener wohnen«, sagte er, »und der Speisemeister und der Gewandmeister und der Meier und der Marschalk sind angewiesen, Euch zu gehorchen, wie Ihr wünschet.«

»Ich danke Euch für Euer Geleite, edler Vogt«, sagte Witiko, ich bedarf zu dieser Zeit keines andern Dinges als der Stube.«

»So verabschiede ich mich«, sagte der Mann.

»Gehabt Euch wohl«, entgegnete Witiko.

Der Mann entfernte sich, und Witiko stand allein in dem Gemache.

Dasselbe war nicht groß, hatte weiße getünchte Wände, und es standen starke Geräte aus Eichenholz darinnen. Durch die zwei schmalen Fenster, welche spitzige Bögen hatten, sah Witiko auf einen Wald und dann auf ebenes Land, das gegen Morgen hin ging, und in welchem die Donau floß. Die zweite Stube war kleiner, war auch weiß, und hatte auch Eichengeräte.

Witiko verließ diese Herberge wieder, und ging in das Wartezimmer um Raimund. Raimund war nicht in dem Zimmer. Darauf ging Witiko in den Stall. In dem Stalle stand Raimund bei den Pferden. Witiko führte ihn in die Herberggemächer, und zeigte sie ihm. Dann sagte er: »Rüste dein Pferd, reite in die Stadt Wien hinab, und lasse unsere Habe in die Burg herauf bringen.«

Raimund schickte sich an, den Befehl Witikos zu vollführen. Er verließ das Zimmer, und nach einer halben Stunde ritt er in dem Walde des Berges hinunter.

Witiko aber blieb in seinem Gemache, ging an ein Fenster, und sah auf das Land Österreich hinab. Der Wald des Berges trug nicht wie die Wälder, die an den Ufern der jungen Moldau stehen, die dunkle Tanne, die grüne Buche, die leuchtende Birke, den langarmigen Ahorn, die Eibe, die Ulme, die Esche, die Erle und den zackigen Wacholder, sondern gleichartiges Laubwerk der Buche, Esche, Eibe, des Haselstrauches und das Dämmer der Föhre und andern Nadelgehölzes. In der Donau waren breite und gestreckte Inseln, welche Auwald trugen, und auf dem ebenen Lande war Auwald. Dem Kahlenberge gegenüber sah Witiko wieder einen Berg. Und von diesen zwei Bergen floß die Donau in der Ebene gegen das Land Ungarn hinaus.

Als es Mittag war, kam ein Mann, und führte Witiko in das Speisegemach. Dasselbe war ein Saal mit langen Tischen, Stühlen und Speisegeräten. In dem Saale waren Männer in schönen Gewändern. Sie waren die Mannen der Markgräfin. Sie gingen Witiko entgegen, und grüßten ihn, und er grüßte sie. Dann setzten sich alle an den Tisch, ein Priester sprach das Gebet, und es wurden ihnen gute Speisen und guter Wein aufgetragen.

Nach dem Essen ging Witiko wieder zu seiner Mutter, sie wandelten auf verschiedenen Wegen des Waldes, und saßen dann in Wentilas Stube.

Des Nachmittages kam Raimund aus Wien zurück, und ein Säumer brachte auf einem Saumtiere das Reiseeigentum Witikos. Dasselbe wurde in die Beherberggemächer gebracht, und dort geordnet.

Am andern Tage des frühen Morgens rüstete sich Witiko zum Ritte an den Hof des Markgrafen Heinrich. Er hatte sein Ledergewand an, und trug sein Petrusschwert an Sobeslaws Gürtel. Er ritt auf seinem eisengrauen Pferde den Weg zwischen dem Laubwerke des Berges hinunter. Raimund ritt in seinem Waldgewande hinter ihm. Sie kamen in das grüne Gefilde, und durch dasselbe bis zu der Freiung, und von da über die Brücke des Grabens in die Stadt.

Sie ritten an vielen Menschen und Dingen vorüber an das Haus, das der Markgraf baute, um mit Gertrud darin zu wohnen. Es war groß und gewaltig, und an manchen Teilen waren noch Gerüste. Man wies die Reiter in einen Hof. Dort standen Pferde und Knappen, Reiter stiegen auf oder stiegen ab, und Männer in Kriegesgewändern waren da. Witiko stieg von seinem eisengrauen Pferde, und gab die Zügel desselben in die Hände Raimunds. Er ging gegen eine Treppe, an welcher Männer in schönen Kleidern standen. Einer, der sehr langschnäblige purpurrote Schuhe, einen grauen Bart und graue Haare hatte, rief ihn an, und sprach: »Nun, du Ledermann, wohin gehst du?«

»Was frägst du?« entgegnete Witiko.

»Ich frage, weil ich frage«, sagte der Mann.

»Und ich gehe, weil ich gehe«, sagte Witiko.

»Und hast du ein Recht?« fragte der Mann.

»Und hast du ein Recht?« fragte Witiko.

»Wenn Thiemo von der Aue kein Recht hat, wer soll es denn haben?« fragte der Mann.

Die umher standen, lachten nach diesen Worten.

»Wenn du ein Recht hast«, sagte Witiko, »so wisse, daß ich zu Heinrich, dem erlauchten Markgrafen von Österreich, will.«

»Und will Heinrich, der erlauchte Markgraf von Österreich, auch, daß du zu ihm willst?« fragte der Mann.

»Das weiß ich nicht«, sagte Witiko, »und das werde ich erfahren, wenn er gefragt wird.«

»Und wer wird ihn fragen?« sagte der Mann.

»Wer Geleite zu ihm geben kann«, antwortete Witiko.

»Thiemo von der Aue kann Geleite geben«, sagte ein Mann, der ein dunkelgrünes Gewand und einen braunen Mantel hatte, »ich bin Marchard von Hintberg, und wenn du ein Anliegen hast, mein Kind, lasse deinen Namen sagen, der Markgraf wird dir behilflich sein, er ist gut.«

»Ich habe kein Anliegen«, antwortete Witiko, »ich will nur den erlauchten Markgrafen sehen, und ihm meine Ehrerbietung bezeigen. Ich bin in dem Zuge gewesen, als der erhabene König Konrad mit Wladislaw, dem Herzoge von Böhmen und Mähren, gegen Prag ging, um die Empörer zu besiegen, und der erlauchte Markgraf ist auch in dem Zuge gewesen.«

»Ihr seid also Kriegsgenossen«, entgegnete der Mann. »Nun ich bin auch ein solcher Kriegsgenosse, ich bin auch in dem Zuge gewesen, und Thiemo von der Aue ist in dem Zuge gewesen, und Gebhard von Abbadesdorf, und Ebergus von Aland, und Werinhard von Brun, und Juborth von Tribanswinchel, und Viricus von Gaden, die alle hier stehen. Du bist aus einem fremden Lande, wie wir sehen, und kennest die österreichischen Degen noch nicht.«

»Ich kenne sie nicht«, sprach Witiko, »aber ich will dir meinen Namen sagen, ich heiße Witiko, stamme vom Lande Böhmen, und diene dem Herzoge Wladislaw.«

»Du bist Witiko«, sagte Marchard von Hintberg, »der die Herzoge aus Mähren gefangen, und dann hat weiter reiten lassen.«

»Ich habe den Herzogen die Flucht gestattet«, antwortete Witiko.

»Du bist Witiko«, rief Gebhard von Abbadesdorf.

»Witiko«, sagte Viricus von Gaden.

»Du bist Witiko, und bist noch so jung«, sprach Ebergus von Aland.

»Er hat sie geschlagen, und hat sie dann wacker davon gejagt«, sagte Thiemo von der Aue.

»Du hast sie nicht einen Deut geachtet, Witiko«, sagte Juborth von Tribanswinchel, »sei uns gegrüßt.«

»Seid gegrüßt«, sagte Witiko.

»Du hast närrisch gehandelt«, sprach Werinhard von Brun, »aber sei gegrüßt, hat dich dein Herzog getadelt?«

»Er hat mich geehrt«, antwortete Witiko.

Und die Männer traten herzu, und reichten Witiko die Hand.

»Du hast heute den guten Tag gewählt«, sagte Thiemo von der Aue, »der Markgraf wird dich anhören, morgen würde es nicht sein können, weil Kahlenbergritt ist.«

»Wir werden dich geleiten«, sagte Marchard von Hintberg.

Die Männer gingen nun mit Witiko über die Treppe in das Innere des Hauses hinan.

Sie kamen in einen Gang und dann durch eine Tür in einen Vorsaal.

In dem Vorsaale waren wieder Männer in verschiedenen schönen Kleidern, es waren Jünglinge da und auch Knaben in feinen Gewändern.

Thiemo von der Aue schritt gegen einen Mann, der ein dunkles weites Gewand und ein silbernes Kreuz hatte.

»Rudpert«, sagte er zu dem Manne, »da bringe ich einen, der drei goldene Fische gefangen, und sie in das Wasser geworfen hat. Er ist Witiko, von einem böhmischen Schlosse, wie heißt es?«

»Kein Schloß, nur der Hof Pric«, sagte Witiko.

»Ich weiß alles«, entgegnete der Mann, »ich bin als Kapellan mit dem Markgrafen auf die Vogelweide gegangen, und Witiko hat die Vögel verjagt. Was willst du denn hier, mein Sohn?«

»Er will mit dem erlauchten Markgrafen sprechen, weil derselbe sein Kriegsgenosse gewesen ist«, sagte Thiemo.

»Es ist gebührlich, Freundschaft mit Kriegsgenossen zu halten«, sagte der Kapellan. »Dort steht Tibert, der Kämmerer. Komme nur, Witiko.«

Nach diesen Worten faßte er Witiko an dem Arme, und führte ihn im Geleite der andern Männer gegen einen Ritter, der in einem dunkelrotbraunen Kleide dastand.

Er sprach zu dem Ritter: »Tapferer Tibert, da ist ein Mann aus Böhmen, der mit seinem Herzoge Wladislaw in unserem Kriegszuge von Nürnberg nach Pilsen und Prag gewesen ist. Er hat unser Land besucht, den hocherlauchten Markgrafen zu sehen. Man nennt ihn Witiko von Pric.«

»Du bist Witiko, du junges Blut?« sagte der Kämmerer. »Sie haben von dir übel geredet wegen der mährischen Herzoge, und gut wegen deiner Tapferkeit im Frühlingskriege und bei Pilsen. Bist du dieser Mann?«

»Ich war in dem Kriege wie ein anderer«, sagte Witiko, »und habe bei Pilsen nach meiner Einsicht getan.«

»Nun der hohe Markgraf wird schon mit dir sprechen«, sagte der Kämmerer.

Dann rief er gegen die Knaben: »Komm her, du kleiner Chunring.«

Ein Knabe in einem Gewande, das rot und weiß war, ging herzu.

»Lauf zu dem Herrn Otto von Lengenbach hinein, und sage ihm, daß ein Ritter aus Böhmen da ist, der Witiko heißt, und der zu dem Herrn Markgrafen will«, sprach der Kämmerer zu dem Knaben.

»Ja«, sagte der Knabe, und ging von dem Saale in ein Gemach.

Nach einer Weile kam er wieder heraus, und sagte zu dem Kämmerer: »Der Herr Ritter soll hinein kommen.«

Tibert, der Kämmerer, und Thiemo von der Aue führten Witiko in das Gemach, aus welchem der Knabe die Botschaft gebracht hatte.

In dem Gemache waren wieder Herren und Ritter, und auch Frauen, welche warteten.

Ein alter Ritter in einem grünen Kleide sagte zu Witiko: »Du mußt ein wenig harren, junger Kriegsmann, der erlauchte Markgraf ist beschäftigt.«

Witiko blieb stehen, und wartete.

Die Männer sprachen mit einander.

Nach einer Zeit kam ein alter Mann aus der Tür eines weiteren Gemaches, grüßte die, welche da waren, und ging dann in den Vorsaal hinaus.

»Nun ist es an dir, Witiko«, sagte der Ritter in dem grünen Gewande.

Er wies mit der Hand gegen die Tür, aus welcher der alte Mann gekommen war. Witiko ging gegen die Tür, ein Greis in einem Gewande, das rot und weiß war, stand vor derselben, öffnete sie, und Witiko ging hinein.

Er kam in ein Gemach, das mit Birnholz getäfelt war. An verschiedenen Stellen hingen rote Stoffe in langen Falten herab. An einem Tische saß in ritterlichen Kleidern Heinrich, der Markgraf von Österreich, aus dem Geschlechte der Herren von Babenberg. Eine schöne Haube aus rotem Sammet lag vor ihm auf dem Tische. Er hatte blonde Locken und blaue Augen.

Witiko nahm seine Haube ab, und stand vor ihm.

»Sei gegrüßet, du junger Degen«, sagte der Markgraf, »bist du in unser Ländlein Österreich gekommen?«

»Ich bin in das Land gekommen«, sprach Witiko, »und die erhabene Frau Markgräfin, deine erlauchte Mutter, hoher Herr, hat gesagt, daß ich mich unterfangen dürfe, dir den Ehrfurchtsgruß zu bringen.«

»Ich danke dir für den Gruß, mein Sohn«, sagte der Markgraf, »unsere erlauchte Mutter hat dir gut geraten, ich nehme dich so lieb auf wie andere fremde Männer, die mich mit einem Heimsuche bedenken und achte dich, weil mein Schwager Wladislaw und meine Schwester dich genannt haben, daß du in ihrer Sache mit Entscheid gehandelt hast.«

»Ich habe gemeint, das Geziemende zu tun«, antwortete Witiko.

»Der Herzog sagt, daß du nach Gerechtigkeit strebest«, entgegnete der Markgraf.

»Ich möchte sie nur so einsehen können, wie die weisen Männer, welche um den Herzog sind«, antwortete Witiko.

»Das wird in den Jahren kommen, welche noch vor dir sind, Witiko«, sagte der Markgraf. »Du bist mit deiner Mutter auf dem Kahlenberge bei unserer vielgeliebten Mutter als Gast.«

»Meine Mutter ist früher da gewesen, ich bin dann gekommen, und es hat mir die erlauchte Frau Markgräfin Herberge gewährt«, sagte Witiko.

»Unsere Mutter liebt deine Mutter als die Tochter ihrer Mutter ungemein«, antwortete der Markgraf, »genießet die Herberge, und komme oft zu mir und meinen Männern herunter. Ich werde meinen Herren und Kriegsleuten befehlen, daß sie gütlich mit dir umgehen. Erheitere dich in unserer Weise, da noch die Waffenruhe vor dem Kriege gegen die Mährer, die du entlassen hast, dauert.«

»Ich dachte, daß der Krieg leichter gegen jeden Fürsten allein sein wird, als gegen ihre Vereinigung«, antwortete Witiko, »und dann werden wir den Streit auch ohne fremde Hilfe vollführen können.«

»Das liegt bei Gott, Witiko, und das werden die Kriegsherren ermessen und die weisen Männer, von denen du sagst, daß sie bei dem Herzoge sind«, entgegnete der Markgraf. »Fahre im Guten fort, Witiko, du bist noch jung, und kannst vieles erstreben, ich bin auch nicht alt, und so mir Gott hilft, werde ich das Ehrengrüßen, das du bringst, und das mir andere bringen, erst recht verdienen. Bleibe lange bei uns, und wenn du scheidest, lasse dir nicht leid sein, daß du gekommen bist, und wenn du eine österreichische Sitte gelernt hast, lasse dich's nicht kränken, und komme wieder.«

»Es wird mir nicht leid sein«, sagte Witiko, »und ich werde suchen, von dir und den Deinigen zu lernen.«

»So etwas zu lernen ist«, erwiderte der Markgraf. »Bringe unserer geliebten Mutter einen Gruß, grüße deine Mutter, und gehabe dich wohl.«

Er stand nach diesen Worten auf, und reichte Witiko die Hand. Witiko sah, daß die Hand weiß und schön gebildet sei.

Er faßte sie, und sagte. »Lebe glücklich, hoher Herr!«

»Das wäre ein guter Wunsch, wenn Gott ihn erfüllen will«, antwortete der Markgraf.

Darauf verneigte sich Witiko, und verließ das Gemach.


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