Adalbert Stifter
Witiko
Adalbert Stifter

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Die Männer gingen nun gegen Mittag von der Seewand gerade in der Richtung hinunter, in der das Haus sein mußte, in welches sie wollten. Nach einer Stunde kamen sie auf einen breiteren Pfad, und in kurzem an den Rand der Felder, auf dem Heinrichs Haus stand.

Da sie über diese Felder dem Hause zugingen, wollte Witiko seinem Führer eine Belohnung geben. Dieser schlug sie aus, und sagte: »Von Euch nehme ich nichts.«

»Wenn du alles Geld ausschlägst, dann bekommst du nie ein Pferd«, sagte Witiko.

»Denkt nur einmal daran, daß wir heute mit einander gegangen sind«, entgegnete Wolf, »dann ist es schon recht.«

»Ich werde daran denken«, sagte Witiko, »und auch daran, daß du ein sehr guter Führer bist.«

»Und ich, daß Ihr so gut im Walde geht, wie sehr wenige«, antwortete Wolf.

»Ich habe es wohl gelernt«, sagte Witiko.

Indessen waren sie bei dem Hause angekommen, Witiko reichte dem Führer seinen Stock, und sagte: »So danke ich dir recht schön, Wolf, und ich werde nicht vergessen, wie getreulich du heute gegen mich gewesen bist.«

»Das wird das Schönste sein«, sagte Wolf.

Mit diesen Worten nahm er den Stock, und ging um die Ecke des Hauses. Witiko trat bei der Eisentür ein, und ging in den Saal. Dort war Heinrich mit seiner Gattin und Bertha, und es war jetzt auch das Mädchen mit den lichtgelben Zöpfen da, welche die Singgespanin Berthas war. Man bot Witiko einen Stuhl. Er setzte sich. Eine Magd brachte Wein und Brot.

»Ich hoffe, daß Ihr einen guten Weg gemacht habt, und daß sich mein Führer bewährt hat«, sagte Heinrich.

»Ich habe einen guten Weg gemacht, und Euer Führer ist sehr trefflich«, antwortete Witiko.

»Jetzt nehmt etwas zu Eurer Erholung, und ruht ein wenig aus«, sagte Wiulfhilt.

»Ich will etwas nehmen, geehrte Frau«, entgegnete Witiko, »aber mit dem Ausruhen kann ich nicht einstimmen. Der zurückgelegte Weg ist nicht so arg, daß er eine Ruhe nötig machte, und die Zeit drängt mich, daß ich zur Pflege meines Pferdes in meine Herberge gehe.«

Er brach hierauf ein weniges von dem Brote, und aß es, dann tat er einen Trunk des Weines. Da dieses geschehen war, erhob er sich, und sagte zu Heinrich: »Ich danke Euch nun für die gute Aufnahme, und ich werde an Euch ein Gleiches tun, wenn es einmal geschehen kann.«

»Ich werde Euch noch ein Stück geleiten«, sagte Heinrich.

»Und Euch, vielwerte Frau«, sprach Witiko zu Wiulfhilt, »sage ich Dank für jede Sorge und Mühe.«

»Gesegn« Euch Gott den Aufenthalt bei uns, Witiko, und möge er Euch Glück und Ehre verleihen«, sagte die Frau.

Dann wendete sich Witiko zu Bertha, und sagte: »Lebet wohl, Bertha, und bleibet heiter und fröhlich.«

»Ihr auch, Witiko«, sagte das Mädchen, »und reitet mit Glück.«

»Vielleicht höre ich Euch doch wieder einmal singen, wenn ich wieder einmal komme«, sagte Witiko.

»Kann sein, wenn Ihr denkt, und singt wie der Wald«, entgegnete sie.

»Ich habe gejauchzt«, sagte er, »singen kann ich nicht aber denken wie der Wald.«

Dann neigte er sich gegen Trude, und sagte: »Lebet wohl, und habt Dank für den Gesang, den ich auch gegen Euren Willen gehört habe.«

»Lebet wohl«, sagte das Mädchen, und errötete.

Nach diesen Worten schickte sich Witiko an, den Saal zu verlassen. Er sah noch auf Berthas Kranz.

Heinrich ging mit ihm auf die Gasse, und von da weiter bis zur roten Kapelle. Dort sagte er: »Jetzt trennen wir uns. Wandert wohl, und wenn Ihr wieder einmal in diese Gründe kommt und das weiße Haus sehet, so besuchet es.«

»Wenn es der Himmel fügt, so werde ich nicht vorüber gehen«, antwortete Witiko.

»Und wir werden Euch freundlich aufnehmen, wenn wir hier sind«, sagte Heinrich.

»Noch einmal Dank«, entgegnete Witiko.

»Mit Gott«, antwortete Heinrich.

Sie trennten sich, Heinrich ging mitternachtwärts, Witiko mittagwärts. Der breite Weg hörte mit der Wiese auf, und Witiko ging auf dem schmalen Pfade, der folgte, zur Mihel hinab. Da er in dem Köhlerhause ankam, sah er sogleich nach seinem Pferde. Dann war ein Abendessen wie am Tage zuvor, und dann ruhte Witiko in demselben Bette.

Am andern Morgen, ehe die Sonne aufging, saß er in seinen Unterkleidern am Tische im Zimmer der Köhlerhütte. Der Köhler reinigte seine Kleider. Er aber ging zuweilen mit den hölzernen Schuhen des Köhlers in den Stall, um an der Pflege seines Pferdes zu sein, dann kleidete er sich an, und hierauf aßen alle eine aus Milch und Mehl bereitete Suppe.

»Und nun habet Dank, ihr lieben Leute, für eure freundliche Aufnahme«, sagte Witiko.

»Wenn Eure Mutter meinen Vater wieder einmal an Euch sendet«, sagte der Köhler, »so eröffnet ihm, daß wir Euch hier aufgenommen haben.«

»Ich werde es tun«, sagte Witiko.

»An der Mihel geht der Saumpfad fort«, sprach der Köhler. »In vier Stunden langsamen Reitens seid Ihr im Aigen. Am ersten Hause mit den roten Balken wird Euch der Ohm Florian erwarten. Er wird für Euch und Euer Pferd sorgen, und Euch nach dem Friedberge führen.«

»Es ist gut«, sagte Witiko.

Dann streichelte er den Kindern die Wangen, und gab jedem einen glänzenden Pfennig.

Dann verlangte er sein Pferd.

Der Köhler führte es vor die Tür.

»Erlebet recht große Dinge«, sagte die Frau.

»Wie Gott will«, entgegnete Witiko, und gab ihr die Hand.

Er reichte auch dem Manne die Hand.

Dann prüfte er die Rüstung des Pferdes, sagte: »Ich danke euch noch einmal«, und schwang sich hinauf.

»Reitet mit Gott«, riefen die Leute.

Witiko ritt an die Mihel, durchritt die Furt, und ritt auf dem Saumpfade gegen Morgen weiter.

Wenn er rechts blickte, sah er das lange waldige Dach des breiten Berges, links den Wald der drei Sessel, des Blöckensteines und die ferneren gegen Morgen. Die Mihel rauschte neben ihm, bald war er an ihrer Seite, bald war er weiter von ihr entfernt. Es kamen auch Anhöhen, über welche er sein Pferd hinüber schreiten lassen mußte.

Er ritt an einem spitzigen bewachsenen Berge vorbei, welcher den Namen des schwarzen Berges führte, über einen Hügel, welchen man den Berg des heiligen Huldrik nannte, und er hatte dann links den großen Wald neben sich, welchen sie Hochficht hießen.

Ehe noch der Mittag gekommen war, ging das Tal am Walde auseinander, es wurden Wiesen und Felder, und er kam zu einem Hause, das an dem Pfade stand. Das Haus war aus Holz, und hatte stark hervorragende Dachbalken, welche rot bemalt waren. Er hielt ein wenig an. Da kam ein Mann mit grauem Gewande und weißem Barte aus dem Hause.

»Heißt es hier in dem Aigen?« fragte Witiko.

»Ja, und ich bin Florian, der Ohm Margarethens, des Weibes des Köhlers Mathias«, antwortete der andere.

»Und ich bin der, den du erwartest«, sagte Witiko, stieg von dem Pferde, und brachte es auf die Weisung des alten Mannes in einen Schoppen. Dort erhielt es sein Mittagfutter, so wie Witiko auf einem Brettertische vor dem Hause von dem Besitzer sein Mittagmahl erhielt.

Er blieb zwei Stunden hier, dann zäumte er sein Pferd, zahlte seine Bewirtung, und ritt in Begleitung des alten Mannes weiter, der in einer Lederhaube, groben Beinkleidern und großen Waldschuhen mit einem langen Stabe vor ihm herging.

Sie trafen von dem Hause ihrer Herberger weg noch einige andere kleine Häuser mit Wiesen und Feld, sämtlich von Holz. Dann führte ihr Weg sie wieder in den Wald.

Ihre Wanderung ging zwei Stunden noch an der Mihel fort. Da war zuweilen eine Hütte mit gereutetem Lande, oder eine Köhlerstätte, oder ein Holzschlag mit den Holzschlägerhütten, oder gar ein Haus mit einer Säge zu Brettern. Als sie aber zu einem Berge gekommen waren, welcher der Berg des heiligen Oswald geheißen wurde, und als dort der Begleiter Witikos gegen den großen Wald, welcher immer zur Linken war, einbog, traten sie in dichten Wald, der nicht durch ein einziges kleines freies Plätzchen unterbrochen war. Ihre Wanderung dauerte in diesem Walde über zwei Stunden, und ihr Weg führte sie in der Richtung zwischen Mitternacht und Morgen immer sachte aufwärts. Es standen sehr dicke Stämme von Tannen in dem Boden, welcher feucht war, wenig Licht erhielt, und teils Steine teils Untergestrüppe teils grüne Schattenpflanzen trug. Von diesen Stämmen war noch nie einer durch Menschenhände geschlagen worden, weil noch nicht die Not um Holz dazu getrieben hatte, mancher war aus Alter gefallen, oder vom Blitze zerstört worden, eine andere Beschädigung war nicht sichtbar, weil auch Winde in die Tiefe dieses Waldes nicht eindringen konnten.

Als die Sonne gegen Abend neigte, kamen sie auf der Schneide des Waldes an, und hier war eine freie Stelle. Auf derselben war kein Stäudlein, sondern nur kurzes Gras und große Ganitsteine. Witiko ritt das Pfadlein zwischen den Steinen hinan, bis er auf die Höhe und auf einen Bühel gelangte, der über die Wipfel aller tiefer stehenden Bäume empor ragte. Hier hielt er plötzlich an, und seine Augen konnten weit und breit herum schauen. Er sah mittagwärts auf das Bayerland, das blau mit Wäldern Fluren und offenen Stellen dahin lag bis zu den noch blaueren Alpenbergen, in denen manche Matte mit Schnee glänzte. Gegen Morgen davon sah er auf die Ostmark mit den blauen Fluren und Wäldern und Feldern, in der der junge Leopold herrschte. Es war ein weites Gebiet, das er betrachtete, und zu seinen Füßen lag der Wald, durch den sie herauf gekommen waren, und andere Wälder. Und als Witiko sich gegen Mitternacht wendete, ging der Wald, auf dessen Schneide er stand, so dicht und breit hinab, wie der gewesen war, durch den er herauf geritten war. Und unten floß die Moldau, nicht wie gestern in kurzen Stücken sichtbar, sondern in langen Schlangen von dem oberen Waldlande niederwärts wandelnd. Und jenseits des Wassers lag das Land Böhmen in schönen Wäldern und dann wieder in Wäldern und dann in Gefilden, die mit Gehölz, wechselnd mit nahrungtragenden Fluren, bedeckt waren. Den Wald sah er, auf dem er gestern gestanden war, den Wald, in welchem sich der schwarze See befand, und dann noch weiterhin stark dämmerige Wälder. Auch gegen Morgen war Forst an Forst dahin.

»Da sollte eine Königsburg stehen«, sagte Witiko.

»Ja, da könnte ein hoher Herr hausen«, sagte Florian.

»Der Wald ist weit größer, weit dichter und weit undurchdringlicher«, sagte Witiko, »als der um Heinrichs Wohnung unter den drei Sesseln, und es ist hier weit und frei und herrlich.«

»Es ist schon einmal etwas da gewesen«, sagte Florian, »nicht eine Wohnung, sondern ein heiliges Ding, eine Betstelle. Es stand da auf dem höchsten Platze das Bild des heiligen Apostels Thomas in einem Häuschen von Tannenholz zur Verehrung aufgerichtet. Es war dies in alten Zeiten, da noch mehr christliche Herren in dem Walde herrschten. Es ist ein großes Geschlecht da gewesen. Dann sind sie aber zu den Tryznen gegangen, die in Böhmen noch abgehalten wurden, das heilige Haus ist weggetragen worden, oder hat es das Feuer verzehrt, oder ist es sonst zu nichte geworden, und der Ort heißt nur mehr der Thomasgipfel.«

»Wessen ist der Grund, auf dem wir hier stehen?« fragte Witiko.

»Des Herzogs Sobeslaw von Böhmen«, antwortete Florian, »er kann ihn gebrauchen, oder verschenken, wie er will.«

»Und in wessen Land wohnest du?« fragte Witiko.

»Ich bin ein Mann des Herzogs Sobeslaw«, antwortete Florian, »in der reichen Aue da unten gegen den Oswaldberg steht meine Waldhütte mit Wiese und Vieh. Wir haben weithin keine Nachbarn, und müssen lange gehen, um zur Mihel zu kommen. Wir sind aber keines Herrn Gefolge als des Herzogs, und wir gehören zur Zupe Daudleb, die wohl sieben Stunden von hier an der Malsch in der Richtung ist, in welcher Ihr immer hinschaut.«

»Ja, ich schaue in dieser Richtung«, sagte Witiko, »aber laß uns weiter gehen.«

Er lenkte sein Pferd auf das Pfadlein jenseits des Bühels abwärts.

Sie kamen wieder in einen Wald, der so schön und dicht war, wie der, durch den sie herauf gekommen waren.

Als eine Stunde vergangen war, und die Dämmerung schon anfing, gelangten sie an das Wasser der Moldau hinab.

»Das ist die Moldau«, sagte Florian.

»Sei mir gegrüßt, du dunkles Wasser, das ich so lange nicht gesehen habe«, sagte Witiko.

Sie überschritten die Moldau auf einer schmalen Brücke, und stießen jenseits auf einen niederen langen Hügel.

»Das ist der Friedberg«, sagte Florian, »und hier werden wir die Nachtruhe halten.«

Sie stiegen den Hügel, welcher Wiesen und kleine Feldei trug, hinan, und trafen oben mehrere Häuser. Sie waren alle von Holz mit breiten Dächern. Eines aber war von Stein, und hatte einen sehr starken runden steinernen Torbogen. Zu diesem Hause leitete Florian den Reiter, der Herr des Hauses kam heraus, und geleitete sie in das Innere.

In dem Hause mit dem runden Steintorbogen hielten Witiko, der Alte und das Pferd die Nachtruhe.

Als die Sonne aufgegangen war, rüsteten sie sich zur Weiterreise. Witiko hatte Florian gebeten, ihn bis an das Ende des Waldes zu führen, und dieser hatte eingewilligt. Da Witiko sagte, daß er an der Moldau reiten wolle, gingen sie wieder über die Brücke, und schlugen einen Saumweg an dem Wasser gegen Morgen ein. Sie zogen zwei Stunden lang durch dichten nassen niederen Wald. Dann kamen sie zu einer Stelle, an welcher steile Felsen neben dem Wasser emporragten. Die Moldau floß rauschend und tosend durch das Gestein. Florian und der Reiter kletterten durch die Blöcke, dann kamen sie wieder in ebneren Wald. Nach einer Stunde gelangten sie an den Platz, an welchem die Moldau ihren Lauf nach Morgen abbricht, und ihn nach Mitternacht wendet. Und wieder nach einer Stunde trafen sie an dem Orte ihrer Mittagsruhe ein. Es standen mehrere Häuser an der Moldau. Eines nahm sie auf. Witiko sah, daß hier die Moldau einen Kreis mache, und gleich hinter ihm eine lange Schleife zog. An dem Kreise standen gegen Mitternacht Steinhöhen, und zogen sich in die Schleife. Witiko sagte, daß man auf den Steinen eine Burg bauen könnte, welche durch das Wasser wohl gesichert wäre. Er betrachtete den Platz mit Aufmerksamkeit.

Als sie zwei Stunden geruht hatten, zogen sie mitternachtwärts an der Moldau weiter. Die Waldberge wurden kleiner und geteilter, und mancher Rücken ging mitternachtwärts hinaus. Nach vier Stunden erreichten sie die Stelle ihrer Nachtherberge.

»Das ist die krumme Au«, sagte Florian, »und da wäre eine Burg noch schöner als auf dem Berge der Rosen, den Ihr so lange angeschaut habt. Die Moldau macht einen Ring, dann macht sie außerhalb desselben einen zweiten verkehrten, und dann noch einen größeren, der wieder verkehrt ist, und an ihm stehen gerade Felsen empor.«

Er leitete den Reiter in eines der Häuser, die in der krummen Au standen.

Ehe am andern Morgen die Sonne aufging, stieg Witiko auf den Felsen, und sah alles an. Dann stieg er wieder nieder, rüstete sein Pferd, und sie zogen weiter.

Die Waldberge wurden wieder niederer, die Moldau machte noch manche Schleife, und da sie drei Stunden an ihr gewandert waren, ging sie in die waldlose Ebene hinaus.

Witiko wendete sein Pferd, und blickte auf den Wald zurück. Dann dankte er dem Führer und lohnte ihn. Der Führer ging mittagwärts in den Wald zurück, und Witiko ritt mitternachtwärts weiter.


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