Adalbert Stifter
Witiko
Adalbert Stifter

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»Welche Wege seid Ihr denn geritten, Witiko?« fragte der Bischof von Passau.

»Von Pric gleich in den Mittagwald«, sagte Witiko, »und in ihm auf Pfaden, die die Säumer nicht besuchen, über Elhenic, Tiš und über die Heide Ogfolds nach Plan in mein Häuschen zur Nachtruhe. Von Plan durch die Moldau, durch den ebenen Wald, an dem Berge des heiligen Ulrich vorüber zu dem Mittagsfuße der drei Sessel, wo wir in dem Waldhause Heinrichs von Jugelbach übernachteten. Von dem Waldhause über den breiten Berg und den Hauzenberg nach Passau.«

»Du hast gute Wege gewählt«, sagte der Bischof von Passau, »obgleich noch wildere und abgelegenere sind, darauf ein Fuß kaum gehen oder klettern kann.«

»Ja«, sagte Witiko, »von dem schwarzen See über den Blöckenstein oder über die drei Sessel zu der kalten Moldau, die durch lange und breite Wälder fließt.«

»Oder von dem Hohensteine auf der Waldschneide zum Arber, wo Luchse und Bären und Hirsche und Rehe sind«, sagte der Bischof Regimbert. »Hat euch Heinrich von Jugelbach erkannt?«

»Mich hat er von früherer Zeit gekannt«, sagte Witiko, »er hat meinen Vater gekannt, und kennt meine Mutter. Er hat uns eine feste Wohnung in seinem Hause gegeben, hat den hochehrwürdigen Bischof beim Mahle unter den Knechten sitzen lassen, hat das eiserne Zugangsgitter zu unserer Wohnung mit seinen eigenen Händen gesperrt und geöffnet, und hat bei dem Abschiede zu mir gesagt: »Ich danke Euch für das Vertrauen, welches Ihr mir heute in der Nacht erwiesen habt.«

»Er ist ein gewalttätiger ehrenhafter Mann«, sprach der Bischof von Passau, »und beschützt, wen er beschützen will. Hast du schon Botschaft an den Heiligen Vater getan, hochehrwürdiger Bruder?«

»Ich habe sie getan«, entgegnete Zdik, »und es kann in jeder Frist die Antwort nach Mähren gelangen.«

»Sie wird dahin gelangen, und eine Leuchte ihrer Taten sein«, sagte der Bischof von Passau.

»Möge es so werden«, antwortete Zdik.

»Heinrich von Jugelbach ist schon in sehr vielen Ländern gewesen«, sagte Regimbert, »und hat dich gewiß gesehen und kennt dich, ehrwürdiger Bischof von Olmütz. Er hat schon zum öftern die Gnade genossen, zu der Stätte dies Leidens und des Sterbens des Heilandes gelangen zu können, und er will wieder dahin gehen. Ich habe ihn vor sieben Jahren in großem Schmucke mit seinem Vater Werinhart gesehen, da die Klöster an dem Randshofe eingeweiht worden sind. Er wollte verhindern, daß, wie der Pfarrer Erimbert von Pfaffing das Ordenskleid nahm, desgleichen auch die Herren Ebo von Aua, Richer von Rohr und Stilicho von Engersheim täten, weil er nicht gemeint war, daß das weltliche Gut in die heiligen Hände gelange. Sie haben es aber doch getan, und er und sein Vater sind im Unmute von den Klöstern fort geritten. Sie sind immer der Habe und des Wachsens begierig gewesen. Werinhart, der Vater Heinrichs, hat wegen einiger Rechte und einigen Besitzes mit dem Kloster Berchtesgaden Streit begonnen. Konrad, der Erzbischof von Salzburg, und Roman, der Bischof von Gurk, haben vermittelt, ja es ist sogar die Hilfe des Heiligen Vaters angegangen worden, und der Streit hat sein Ende bis in unsere Tage nicht erlangen können. Da der letzte Herr von Aschach gestorben ist, so hat die Tochter desselben, welche die Mutter Heinrichs von Jugelbach ist, das ganze Habe von Aschach geerbt. Und die zwei Brüder Heinrich von Jugelbach und Gebhart von Jugelbach wollen gegen Aschach gehen, und zwei Burgen bauen, indes der alte Werinhart in Jugelbach sitzt. Wenn die Abtei Wilhering, die man stiften will, entstehen kann, dann wollen sie ihr Totenlager von der Abtei Formbach nach Wilhering verlegen. Von Benedicta erbt Heinrich einmal die Wassermaut von Aschach, und da kann ich durch meine Schiffer mit ihm in Streit geraten, wie das Kloster Berchtesgaden mit seinem Vater in Streit geraten ist. Die zwei Brüder werden die Fittiche schon regen.«

»Das Totenlager verlegen sie«, sagte Zdik, »es ist allwärts wie bei uns, erst üben sie Gewalt, dann haben sie Reue, und begaben die Orte ihrer letzten Ruhe. In deinem Lande, ehrwürdiger Bruder, ist uns Gewalt begegnet. Man hat Bolzen auf uns gesendet, die abgeprallt sind.«

»Wer hat solches gewagt?« fragte der Bischof von Passau.

»Ich habe einen der zwei Männer fangen lassen«, entgegnete Witiko.

»Und habet Ihr ihn in unser Gericht gebracht?« fragte der Bischof.

»Nein«, antwortete Witiko, »ich habe ihn selber abgeurteilt. Weil ich durch Fragen im Hauzenberge erkannt hatte, daß er nur einen Gauneranfall hatte verüben wollen, so ließ ich ihn mit einer Drohung aus der Haft. Wir hatten nicht Frist zu Gerichtsdingen, und ich wollte nicht, wenn ich den Mann bei unserem Weiterreiten mitziehen ließe, die Aufmerksamkeit der Leute auf uns richten.«

»Das ist gut, Witiko«, sagte der Bischof.

»Du darfst die Sache nicht beachten, hochehrwürdiger Bruder«, sagte Zdik, »die Bolzen stammen nicht aus dem Lande Mähren, und der Mann, der aus eigenem Rate auf uns geschossen hat, wird der Strafe nicht entrinnen.«

»Es ist arg, daß sich die Ordnung in diesen Tagen immer mehr verwirrt«, sagte Regimbert, »und am ärgsten, daß in unserm Lande Bayern kein Herr und Herzog ist. Der König hält das Land in seiner Macht, und es müßte vieles geschehen, wenn nicht der Markgraf Heinrich in Wien einen Teil davon erhielte.«

»Der König ist der Stiefbruder des Markgrafen Heinrich«, antwortete Zdik, »und weil er mit euerm stolzen Herzoge Heinrich und seinem Bruder Welf den schweren Krieg gehabt hat, so fürchtet er, wenn er dem Knäblein Heinrich zu Sachsen auch noch Bayern gäbe, daß es einst zu mächtig werden könnte. Und so kann es schon geschehen, wie du gesagt hast.«

»Dann ist der Sprengel des Bischoftumes Passau noch weiter in die Ostmark hinein gelegt, als jetzt«, sagte Regimbert.

»In unsern Zeiten werden die Dinge vielfältig von ihrer Stelle gerückt«, antwortete Zdik, »und die Kirche erleidet auch Änderungen.«

»Ja, es geschehen Zeichen und Wunder, und Mächte wachsen und vergehen, wie wir nicht geahnt haben«, sagte Regimbert, »wir sollten sorgsam auf diese Zeichen achten. Denke an Friedrich von Büren, und was er geworden ist. Er ist ein edler Mann gewesen, wie auch sein Vater ein edler Mann gewesen ist, und wie sein Großvater gewesen sein mag. Aber er ist nur ein edler Mann gewesen, und um sein Vorgeschlecht war Dunkelheit gehüllt. Er stieg von seinem Dorfe Büren auf den Gipfel des hohen Staufen, und baute dort eine Burg. Und dann hat er mit seiner Hand und seinem Rate dem vierten Heinriche stets gedient, daß dieser endlich gesagt hat: Ich gebe dir meine Tochter Agnes zum Weibe, und verleihe dir das Herzogtum Schwaben. Und sitzt nicht der Sohn dieses Mannes Büren, Konrad, jetzt auf dem Königsstuhle der Deutschen, dem ersten weltlichen Stuhle auf dieser Erde, welcher gleich nach dem Stuhle des Heiligen Vaters kommt? Und wird dieses Geschlecht nicht wachsen? Hat er nicht die alten Welfe, die in Bayern und Sachsen mächtig waren, nieder geworfen? Und wird er nicht gegen Heinrich, den Sohn unsers verstorbenen stolzen Herzoges Heinrich, dem sie Sachsen gegeben haben, und in dem ein rächender Löwe heran wächst, einst streiten? Und wenn die Mächtigen streiten, kannst du sagen, Bruder Zdik, in welche Zeiten und in welche Länder sich der Streit fortpflanzen wird? Und wie der Mann Büren auf den hohen Staufen gestiegen ist, und seinem Geschlechte den deutschen Königstuhl errungen hat, so hat ein anderer Mann in der Zeit vor unsern Tagen seine Söhne ausgesendet, daß sie sich ihren Lebensunterhalt suchen, und sie haben Königskronen gefunden, die furchtbar sind, und die noch furchtbarer werden können. Es ist der Mann Tankred gewesen, der in dem Lande Normandie gehauset hat. Er ist auch nur ein edler Mann gewesen, und sein Geschlecht hat einiges Ansehen gehabt. Er hat die edle Jungfrau Moriella geheiratet, und sie hat ihm Töchter und fünf Söhne geboren. Und da sie gestorben war, hat er die edle Jungfrau Fresenda geheiratet, und sie hat ihm Töchter und sieben Söhne geboren. Und sie hat die Töchter und die Söhne erzogen. Und die Jünglinge waren in allen Tugenden der Männer und Ritter geübt. Da sagte der Vater: Wenn meine Habe unter euch geteilt wird, so hat jeder wenig, wenn sie aber einer bekömmt, so kann er sein Geschlecht in Ansehen fortführen, und wenn die übrigen sich Ruhm und Habe erwerben, so könnt ihr alle bedeutsam sein. Da gingen drei Söhne, Wilhelm, Drogo und Humfried, nach Italien, und verdingten sich dem Fürsten von Capua. Als der Fürst kargte, gingen sie in den Dienst des Fürsten von Salerno. Derselbe übergab sie dem griechischen Kaiser Michael, und sie schlugen mit den Männern der Normandie, die nach gekommen waren, für ihn ein sizilisches und sarazenisches Heer auf der Insel Sizilien. Die Griechen aber betrogen sie um die Beute, und waren arglistig, und die Männer mußten nach Italien fliehen. Dort errannten sie im Sturme die Stadt Malfi, machten aus ihr eine Veste, und sie sollte gemeinschaftliches Eigentum sein, und was man erobern würde, sollte geteilt werden. Wilhelm wurde als Haupt erkannt. Er führte sie gegen die Griechen, welche bestrebt waren, die Eindringlinge aus dem Lande zu werfen, und besiegte die Griechen. Aber er starb. Da wurde Drogo das Haupt, und es kamen wieder sieben Söhne Tankreds zu ihm. Weil die Griechen nicht zu siegen vermochten, und auch durch Geschenke die Fremden nicht aus dem Lande bringen konnten, dachten sie auf Hinterlist. Drogo wurde, als er in die Kirche von Montello ging, ermordet, viele seiner Leute wurden getötet, und es sollten an diesem Tage alle Normannen ermordet werden. Aber an Drogos Stelle trat Humfried, er rief die Seinigen zusammen, sie erstürmten Montello, töteten die Verräter, und befestigten ihre Macht. Nun wies sie der Heilige Vater Leo aus dem Lande, und befahl, daß sie aus Italien weichen sollten. Sie gehorchten nicht. Und so zog er mit den Leuten des Fürsten von Benevent, mit Griechen, und selbst mit Deutschen gegen sie. Allein sie siegten, und nahmen den Heiligen Vater gefangen. Sie bezeugten ihm große Ehrerbietung, und er belehnte sie mit dem, was sie hatten, und was sie in dem untern Italien erwerben würden. Als Drogo starb, kam der nächste der Söhne Tankreds, Robert Guiskard, an seine Stelle. Sie sagen, daß Robert sehr schöne rote Wangen und blaue Augen und blonde Haare gehabt hatte. Aber die Männer gehorchten dem Haupte nicht mehr. Sie zerstreuten sich in Fehdefahrten, und wohnten auf Burgen. Robert baute sich ein Schloß, und mußte sich dahin Lebensmittel stehlen, er mußte einen falschen Leichenzug in ein Kloster führen, um von den Mönchen durch Schreck Geld und Nahrung zu erpressen, und er trug einen reichen Mann gegen sein Schloß, um Lösegeld zu erzwingen. Da kam nun auch der jüngste der Söhne Tankreds, Roger, nach Apulien. Er war schön und blond wie sein Bruder, aber größer. Zuerst war er mit seinem Bruder Robert vereinigt. Aber sie zerfielen dann, und bekriegten sich. Roger erhielt von einem Bruder eine Burg zum Geschenke, und er mußte Wegelagerung treiben, und stahl in der Nacht mit seinem Knechte Pferde. Die Brüder versöhnten sich wieder, und da sie versöhnt waren, bezwang Robert Länder in Apulien, und Roger machte Raubzüge nach Sizilien, und behielt die Stadt Messina in seiner Gewalt. Sie entzweiten sich dann wieder, und kämpften gegen einander. Da rettete Roger einmal seinen Bruder aus der Gefangenschaft und von dem Tode, und nun blieben sie vereint durch die Zeit ihres Lebens, und halfen einer dem andern. Roger besiegte die Sarazenen in Sizilien, dann kam Robert zu ihm, und sie durchzogen die Insel. Dann gingen beide nach Apulien, bezwangen Städte durch Hunger, durch Sturm oder durch Schreck, und dann eroberten sie wieder Palermo, und dann die letzten Teile von Apulien. Roger wurde als Fürst von Sizilien und Robert als Fürst von Apulien anerkannt. Robert rüstete darauf ein Heer gegen den griechischen Kaiser Alexius, schiffte nach Griechenland, besiegte den Kaiser in mehreren Schlachten, und war daran, das ganze Reich zu bezwingen. Da ward ihm zu Hause Empörung erregt, und der Heilige Vater Gregor der Siebente rief ihn zu Hilfe, weil er in der Engelsburg von dem Kaiser Heinrich belagert wurde. Robert ließ seinen Sohn Boemund in Griechenland, ging heim, schlug die Empörer, zog mit seinem Bruder nach Rom, und befreite den Heiligen Vater. Boemund besiegte in der Zeit die Griechen in drei Schlachten. Robert machte nun den zweiten Zug gegen sie; allein da starb er. Seine Söhne haderten, und endlich erlosch seine Nachkommenschaft gänzlich. Und da auch Roger gestorben, und da ihm sein Sohn desselben Namens Roger gefolgt war, kam alle Herrschaft in Sizilien und Apulien an diesen zweiten Roger. Er wurde dann König und vor zwölf Jahren in der heiligen Weihnachtzeit von dem Gegenpapste Anaklet durch einen Kardinal in der erzbischöflichen Kirche in Palermo gesalbt. Der im Himmel selige Kaiser Lothar hat wohl nach seinem Krönungszuge nach Rom das ganze Land Italien erobert, und Roger auf Sizilien zurückgedrängt, und den Heiligen Vater Innozenz auf seinen Stuhl nach Rom geführt; aber da Lothar nach Deutschland zurück gezogen, und auf dem Wege gestorben war, eroberte Roger wieder alle Länder des untern Italien, und wurde von dem Heiligen Vater Innozenz als König von Apulien, Calabrien, Capua und Sizilien erkannt. Und da steht er nun, der Enkel des Mannes Tankred, als ein gewaltiger Herrscher da, bereit, alles zu nehmen, und sei es so viel, als eines Menschen Haupt zu denken vermag. Und wie sind die Sachen indessen in dem oberen Italien gediehen? Wenn man mit Worten den Kaiser nennt, so achtet in Taten niemand sein, die Begierden herrschen, und Venedig kämpft mit Ravenna, Florenz und Pisa mit Lucca und Siena, Verona und Vicenza mit Padua und Treviso, Bologna mit Modena, und die Herren in dem Lande sind dabei, der Markgraf von Tuszien steht zu den Florentinern, der Graf Guido zu den Feinden derselben, und es erheben sich Räuberhorden, die den Freund und den Feind plündern, und Bischöfe und Äbte anfallen. Und hat nicht der Abt von Clugny, der auch von Räubern ergriffen worden war, an den König Roger geschrieben: Oh, wenn nur das arme Land deinen Befehlen unterworfen würde? Und sind nicht diese Worte bekannt gemacht worden? Wenn nicht ein deutscher König zu retten kommt, so wird Roger das Land ergreifen, es mit einem Arme halten, und mit dem andern über die Alpen langen, und alles zu verschlingen streben, oder alles wird zerfallen.«

»So ist es, hochehrwürdiger Bruder Regimbert«, sagte Zdik, »das Erhobene wird gedemütigt, das Kleine wird erhoben. So stark wie dieser Roger, Robert, Boemund, Wilhelm und Drogo, so sind noch andere auf dieser Welt, und wer weiß, ob nicht der deutsche König und römische Kaiser schon unter uns wandelt, der die Rettung bringt.«

»Konrad wird jetzt auf seinen Römerzug gehen«, sagte Regimbert, »auch preisen viele den Knaben Friedrich.«

»Was ist alles vor den Augen Gottes«, antwortete Zdik, »Geschlechter steigen in die Grube, andere breiten sich aus, Reiche vergehen, und werden. Bei uns sind Männer von dem Herzogstuhle in das Elend gegangen, andere von dem Pfluge zur Herrschaft, Städte und Stämme haben geboten, und sind dahin. Aber Gott wirkt durch die Menschen Wunder, welche leuchten von dem Aufgange bis zu dem Untergange, und welche nicht vergessen werden, wenn wir sie auch durch Unreinheit des Herzens verlieren.«


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