Adalbert Stifter
Witiko
Adalbert Stifter

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Da sie noch sprachen, gab der Mann an der Spitze des Waldes ein Zeichen, und bald darauf kam ein Häuflein anderer Reiter auf dem Pilsener Wege zu den Fürsten.

Wratislaw sagte: »So bist du auf dem Rückwege, Jarohnew?«

»Wir haben in Manetin nur eine Stunde gerastet«, antwortete der Mann, »wir sind in der finsteren Nacht und auf den ungefügen Wegen geritten, und die Tiere haben kaum eine Handvoll Futter verzehrt.«

»Und warum bist du so geritten?« fragte Wratislaw.

»Weil mein Weg weiter ist als der von Swak«, antwortete der Mann, »und weil ich nicht wissen konnte, ob er nicht gefangen worden ist; denn darum haben wir uns getrennt, und weil ich die Botschaft zu dem Herzoge bringen wollte.«

»Ist deine Botschaft so nötig?« fragte Wratislaw.

»Sie ist nötig, antwortete der Mann, »der König Konrad ist bei Pilsen, seine Macht ist sechsmal größer als die eurige, alles glänzt von Helmen, Harnischen, Schilden, Schwertern.«

»Hast du sie gezählt?« schrie Otto, der Herzog von Olmütz.

»Die deutsche Macht ist zehnmal größer als die mährische«, rief ein Mann aus den Reitern Jarohnews.

»Zehnmal, zwölfmal größer, und sie wird noch größer«, rief einer von dem Geleite Swaks.

»Ja, immer größer«, rief ein anderer.

»Ihr seid Tröpfe, und also, lieben Brüder, vorwärts«, rief Wratislaw.

»Vorwärts«, rief Wladislaw, der Sohn Sobeslaws.

»Wir müssen nach vorwärts«, rief Bogdan.

»Vorwärts, vorwärts«, riefen mehrere.

»Nehmt die Männer Swaks und Jarohnews in die Mitte«, sagte Wratislaw, »sie müssen mit uns gegen Pilsen.«

»Wir können nicht gegen Pilsen«, sagte Jarohnew, »wir sind im Dienste des Herzogs Konrad, und müssen ihm die Botschaft bringen.«

»Ihr bringt sie nicht«, sagte Wratislaw, »ich werde den Herzog Konrad bedeuten.«

»Ach, hoher Herr«, sagte Jarohnew, »reitet nicht gegen Pilsen, der König Konrad zieht heran, Wladislaw wird wie ein Sturmwind daher reiten, ihr könnt ihm nicht entrinnen, und er wird euch die Häupter von den Leibern hauen. Nehmt in der Gegend jemanden gute Pferde, gebt sie uns, daß wir eilig mit der Meldung an die Stadt Prag kommen, damit der Herzog Konrad die Stadt erobere, und sich auf den Herzogstuhle setze, und daß der König Konrad dann Prag belagern muß. Der Hunger wird die Deutschen töten, oder ihr wollt euch dem Herzoge Wladislaw ergeben.«

»Du Hund«, schrie Wratislaw, »ich lasse dich mit deinen Genossen an diesen Föhren aufhängen.«

»Habt Barmherzigkeit«, rief Swak, »ich habe Weib und Kinder.«

»Nehmt sie unter euch«, rief Wratislaw, »und vorwärts.'

»Vorwärts«, riefen mehrere.

Die Männer der Reiterschar umringten die von Swak und Jarohnew, die Pferde derselben wurden gewendet, und der Zug ging auf dem Heerwege gegen Pilsen weiter.

Odolen und Witiko verließen jetzt ihre Stelle an dem Waldsaume, gingen zu ihren Pferden, und ritten zu den Ihrigen, um sie zu ordnen, und den Feinden nachzueilen.

Witiko hatte eine größere Zahl, und brauchte eine längere Zeit.

Als er nun seine Männer von der Wiese auf den Heerweg hinaus geführt, und Odolen eingeholt hatte, standen die Scharen schon zum Streite. Die Männer drohten und die Pferde drängten zum Kampfe, und das Schwert Odolens war gegen Wladislaw gerichtet.

Da sprengte Witiko mit einem Satze seines Pferdes zwischen die Reihen, und rief: »Odolen, töte ihn nicht.'

»Gib Raum«, schrie Odolen.

»Ich gebe nicht Raum«, rief Witiko, »töte ihn nicht, ich habe das Brot seines Vaters gegessen, und die Hand seiner Mutter hat auf meinem Haupte geruht. Sobeslaw hat das Land beglückt, und Adelheid hat darauf geschienen wie eine Sonne. Du darfst das Kind dieser beiden nicht töten.«

»Der Krieg hat seine Art«, schrie Odolen, »man frägt nach nichts, man kann siegen oder unterliegen, es ist alles gleich. Gib Raum, daß dich die Schärfe des Schwertes nicht trifft.«

»Ich weiche nicht, Odolen«, rief Witiko, »Odolen, du hast gesagt, du liebest mich wie einen Bruder, und wollest mir einen Bruderdienst tun, wenn ich ihn nenne: ich habe ihn nicht genannt, jetzt nenne ich ihn. Gib Frist, daß mit diesen Männern gesprochen werden kann.«

»Sie stehn nicht Rede«, sagte Odolen, »aber weil ich dir den Dienst tun will, so rede, wenn du Worte weißt, die diese Menschen rühren können.«

»Sie werden wohl einen Führer haben«, sagte Witiko.

»Der dort ist Wratislaw von Brünn«, sagte Odolen, »ein abtrünniger Sprosse Premysls; der da ist Otto, der Fürst von Olmütz, der mit Verrat dankt; und dieser ist Wladislaw, der Knecht des Knechtes der Lechen.«

»Das sind nicht die Worte, Odolen«, sagte Witiko, »höret mich, erlauchte Herren. Ich sage: Erhabene Söhne Premysls, ich kann nicht denken, daß ihr leichthin von der Belagerung Prags in das Land hinaus reitet, ich muß erkennen, daß ihr einen großen Vorsatz habt. Wenn die Reue in euer Herz gekommen ist, und ihr zu Wladislaw zieht, um euch zu unterwerfen, so werden wir euch mit Ehrerbietung geleiten, und das Herz des Herzogs wird voll Freude sein.«

»Wer bist du denn, der du zu reden wagst wie ein Gebieter«, schrie Bogdan, »du Landstreifer!«

»Ich rede nicht zu euch, und doch will ich dir antworten, Bogdan, ihr habt mich einst zu eurer Versammlung geladen«, sagte Witiko.

»Damit du uns verraten konntest«, schrie Bogdan.

»Ich habe nichts versprochen«, entgegnete Witiko.

»Er will Worte machen, wie auf dem Wyšehrad«, schrie Bohuš.

»Nicht um Worte ist es zu tun«, sagte Witiko, »und um den, der sie redet, sondern daß sie Gutes wirken, und daß ihnen dazu die Kraft gegeben sein möchte. Aber ich rede nicht mit euch, und eure Antwort gilt mir nichts.«

»Du Gauch!« schrie jetzt der rothaarige Beneš, »den wir selber auf dem Wyšehrad übermütig gemacht haben, statt ihn auf den Pfahl zu hängen, wie der arme Milhost geraten hat. Wähnst du denn, daß die Fürsten dir antworten werden, der du hier weniger bist als die Lehmscholle, die ihr Hufschlag schleudert, wenn sie über ihre Länder reiten?«

»Es ist niemand unter euch, mit dem die Herzoge sprechen wollen«, sagte Domaslaw.

»Hohe, erlauchte Herren«, sprach jetzt Witiko wieder, »möge es euch gefallen, mir ein Zeichen zu geben, ob ihr mir antworten wollet oder nicht.«

Die Fürsten schwiegen.

»Hast du nun Zeichen genug?« schrie Odolen mit tönender Stimme, »bei allen Heiligen im Himmel, bei Gott dem Vater, und bei allen Götzen, die unsere Vorfahren angebetet haben, und die ihr etwa noch anbetet, hier ist einer, der wirklich ein Gebieter ist, und dieser bin ich. Seht her, unsere Macht ist zehnmal, zwölfmal, fünfzehnmal größer als die eurige, in fünf Augenblicken kann ich euch vertilgen. Wratislaw, der du Herzog von Brünn gewesen bist, Otto, der du durch Wladislaws Gnade Herzog von Olmütz gewesen bist, und du, Wladislaw, der du des besten Vaters Sohn bist, und die ihr alle nur bettelhafte Sünder seid: ich befehle euch, legt eure Schwerter nieder, und folgt mir als Gefangene zu dem erlauchten Herzoge Wladislaw, der euer Richter ist, und der nur immer zu gelinde richtet, was bei euch Gott verhüten möge. Mit euch andern, die ihr hier wie allwärts unnütz seid, rede ich nicht. Ihr folgt als Troß in das Lager.«

»So haut ihn doch in tausend Stücke«, schrie Bogdan.

»Haue«, rief Odolen, indem er sein Schwert schildgemäß über dem Haupte hielt, und an der Spitze seiner Männer stand.

»Du Hund, du Katze, du Scheusal«, rief Beneš.

Bohuš und Domaslaw aber drangen in diesem Augenblicke durch ihre Leute gegen Odolen vor.

Doch Witiko stellte sein Pferd in ihren Weg, hielt sein Schwert zur Abwehr, und rief: »Um die Barmherzigkeit Gottes und die Fürbitte des heiligen Adalbert! haltet inne, es darf kein Kampf hier sein. Männer, ihr seid in unserer Gewalt. Fünfzehnfach stehen wir gegen euch, ihr könnt nicht entrinnen, ein Kampf ist hier nur ein Mord, und wir morden nicht. Er ist auch ganz unnütz. Wir machen euch eine Gasse, geht zu Konrad, und sagt ihm, daß sein Kampf vergeblich ist, und zerstreut das Herr.«

»Bist du sinnlos?« schrie Odolen, »ich gebe keine Gasse. Und ehe man ein Auge hebt und senkt, erfüllet meinen Befehl.«

»Odolen, der Herzog selber verabscheut unnützes Blutvergießen«, rief Witiko, »und diese, wenn sie zurückkehren, und berichten, wie die Sache ist, werden den Streit enden, wie kein Mensch denken kann.«

»Das ist Sache des Herzogs«, rief Odolen, »der Herzog kann sie entlassen.«

»Was kann indessen in Prag geschehen, augenblicklich müssen sie fort«, rief Witiko.

»Du feiges Tier«, schrie Beneš herüber, »wir werden den Mut zu den Unsrigen tragen, und wir werden wie Samo heran ziehen und euch vertilgen.«

»Beneš«, rief Witiko, »ihr werdet den Mut nicht zu den Eurigen tragen, ihr und eure Boten werdet die Sache erzählen, und wenn ihr auch lügen wollt, so wird die Wahrheit durchscheinen. Und von Samo reden wir nicht.«

In diesem Augenblick erhielt Witiko von einem Manne der Mährer unversehens einen Schlag, daß Blut aus seiner Schulter floß. Sogleich wendete er sich gegen den Mann, und stürzte ihn von dem Pferde. Er drang nun gegen die andern vor, seine Männer scharten sich um ihn, und es wurde der heißeste Kampf.

»Jetzt haltet fest, ihr Brüder«, schrie Wratislaw, »macht die Spitze, wir werden die Übermacht besiegen wie oft, ihr seid Helden, sie Gesindel.«

»Jetzt haben die Hundeherzoge die Sprache«, schrie Odolen. »Auf, und in sie.«

Sofort war er an den Feinden, und seine Männer mit ihm.

Die Mährer ließen ihre Boten zurück, machten einen Schlachtkeil, und drängten vor.

Sie hatten die Kriegserfahrung und die Kunst, die andern den Mut, und Odolen und Witiko beteuerten ihn noch mehr. Die Schwerter mischten sich in dichter Nähe, Blut floß durch die Gewänder, Blut floß auf die Pferde, Männer sanken, und in die große Tapferkeit der Mährer kam die Müdigkeit schneller; immer neue Streiter drangen gegen sie, sie wankten. Da gab Witiko seinen Reitern den Befehl zu einer Wendung der Umgehung der Feinde, es entstand eine Lücke, und die Feinde flohen durch dieselbe auf dem Wege gegen Prag davon.

»Verrat, Verrat, Verrat!« schrien die Männer Odolens, und drangen gegen Witiko vor.

Auch die Leute Witikos riefen: »Verrat, Verrat«, und wendeten sich gegen ihn.

Augustin, Lambert, Urban und der Knecht Jakob suchten ihn zu schützen.

Da sprengte Odolen durch die Scharen, deckte Witiko mit seinem Leibe, und rief: »Haltet! Er ist nur ein Tor, ich werde ihn zum Gerichte führen.«

Witiko rief: »Männer, hört mich nur einen Augenblick.«

Und da es stiller geworden war, rief er: »Alles wird zur Klarheit kommen. Odolen, ich gebe mich dir gefangen, und übergebe dir den Befehl über meine Leute. Ich werde mit dir gehen, und wenn du kämpfst, werde ich mitkämpfen, und Gott mag verfügen, was ihm gefällt.«

»So ist es gut, Witiko, wie du tust«, rief Odolen, »und ihr, verworrene Männer, ihr habt in euerm Durcheinanderstürmen dem Feinde einen Vorsprung gegeben, wir müssen ihn erreichen, stellt euch in Ordnung. Die Pfleger bleiben bei den Verwundeten und Toten.«

Die Männer machten schnell ihre Reihen, und in dem nächsten Augenblicke ritten sie, was die Pferde zu rennen vermochten, auf dem Wege gegen Prag den Mährern nach, die vor ihnen waren.

Sie sahen den Staub, den sie erregten, und sie erregten selber Staub, und beständig sahen sie auf den Abstand dieser zwei Staubsäulen. Nach einer Stunde erkannten sie, daß der Abstand sich mindere.

Da kamen sie in den Wald von Holaubkau. Sie sahen in dem Walde die Feinde nicht; erkannten aber an dem Staube, daß sie durchgeritten seien. Sie durchritten den Wald. Da sie sein Ende erreichten, brannte vor ihnen das Dorf Holaubkau, und Menschen und Geräte und Wägen und Haustiere waren vor ihnen auf dem Wege, und die Flammen von den hölzernen Häusern wehten über denselben.

Odolen ritt gegen die Menschen, und rief: »Zeigt einen Weg um das Dorf.«

Eine Menge Stimmen antworteten, daß man die Antwort nicht verstehen konnte.

»Der mit den weißen Haaren und dem blauen Gewande antworte allein«, schrie Odolen.

»ES geht kein Weg um das Dorf«, sagte der alte Mann, »die Wege gehen alle von den Wiesen und Feldern in die Häuser.«

»Nur einen festen Grund, einen festen Grund, auch ohne Weg«, rief Odolen.

»Ich zeige einen«, »ich zeige einen«, riefen mehrere Stimmen.

»Fünf Reiter folgen einem jeden, der sich gemeldet hat«, rief Odolen, »und wo sie Boden für die ganze Schar finden, kommen sie zurück, und zeigen es an.«

Die Reiter sonderten sich ab, und folgten den Boten.

Odolen ritt selber mit dem Greise und mit vier Männern rechts an dem Dorfe hin, und forschte. Es waren meist weiche Wiesen, und wo er Boden für die Schar fand, war er wieder unterbrochen, und an dem Greise sah er, daß derselbe nicht wisse, welchen Grund eine Reiterschar brauche. Eine Richtung, die er endlich erkannte, war ein langer Bogen. Er ritt wieder zurück, die Reiter kamen auch, und jeder sagte, wie man es versuchen könne, und jeder sagte, daß man vorüber könne.

»Man kann vorüber«, rief Odolen, »ich habe es selber gesehen, und ich kann euch auch führen; aber Brüder, Freunde, Kampfgenossen, das andere ist auch vorüber. Mehr als eine Stunde ist vergangen, seit wir hier angekommen sind, ihr seht es an dem Niederbrennen des Feuers. Und wenn wir den Abstand von den Feinden in jeder Viertelstunde um tausend Ellen kürzen könnten, erreichen wir sie in fünf Stunden, und sind in der Steinschlucht am Wasser, oder in der Nähe ihres Lagers. Pflegt die Pferde, nehmt Nahrung, ruhet, und wir kehren um.«

Die Männer führten ihre Pferde in die Waldschatten, und bereiteten sich zu dem, was Odolen gesagt hatte.

Witiko blickte in das Feuer, und sprach kein Wort.

Dann ließ er seine Wunde, die gering war, von Jakob verbinden.

Als Menschen und Tiere erquickt waren, ließ Odolen den Vorstand des Dorfes kommen, und sagte, daß er die armen Leute der Gnade des Herzogs empfehlen werde, und dann begann die Schar den Rückweg.

Auf dem Platze des Kampfes fanden sie nichts mehr.

In der Nacht kamen sie in das Lager des Herzogs.

Odolen ging zu ihm, und berichtete ihm den Hergang. Dann besuchte er die Verwundeten, und fragte nach den Toten.

Nach Odolen ging Witiko zu dem Herzoge in das Gezelt, und sagte: »Hoher Herr! du weißt, was geschehen ist. Ich übergebe dir mein Schwert mit dem Bilde des heiligen Petrus, dem ich vertraut habe. Ich bitte dich, lasse mich erst richten, wenn deine Sache entschieden ist. Wenn eine Schlacht sein sollte, so gib mir in deiner Gnade mein Schwert, daß ich in ihr kämpfe, wie ich sonst gekämpft habe. Dann reiche ich es dir wieder.«

»Witiko«, antwortete der Herzog, »behalte dein Schwert, und gebrauche es. Dem Gerichte aber stelle dich.«

»Ich werde es tun, hoher Herr«, sagte Witiko.

Darauf verließ er das Gezelt, und ging auch zu den Verwundeten.


 << zurück weiter >>