Adalbert Stifter
Witiko
Adalbert Stifter

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Die Waldmänner schlossen die Lücke ihrer Reihe, welche Dus, der Sohn Nacerats, gemacht hatte, wieder, und suchten sie jetzt fester zu erhalten. Der Kampf ging fort. Witiko leitete die Reiter mit den blauen Fähnlein, und rief seine Befehle auf die Fußgänger rechts. Milhost, da er sich von der durch Dus gemachten Lücke ausgeschlossen sah, schrie: »Witiko, du meineidiger Schurke, hätten sie dich doch auf den höchsten Baum gehängt.«

Als er diese Worte kaum vollendet hatte, stach ihn ein Waldschaft durch die Brust, Blut stürzte auf sein grünes goldgewirktes Kleid, und er fiel über das Haupt seines Pferdes in das Gras. Der Jüngling Mikul wurde gleich nach ihm gestürzt. Jetzt kamen auch die kleinen Waldpferde Diets und Rownos. Zibota wurde noch gestürzt, mehrere Männer Nacerats wurden noch gestürzt, und die glänzenden Reiter, jetzt auch ohne Führer, wendeten sich, und flohen zurück.

Die Männer unter Bolemil Witiko und weiter rechts hatten nun Ruhe. Der Platz vor ihnen war leer. Sie suchten jetzt durch Fühlung gegen links zu erfahren, ob die Reihe des Herzogs zusammenhänge. Da kam eine Botschaft von ihm, daß die Reihe wieder fest gefügt sei, und daß sie sie halten sollten. Die Botschaft ging gegen rechts weiter. Wirklich konnte man die rosenfarbenen Seidenbanner fort und fort an der Reihe sehen, wie sie in Abständen standen, und wie die hohe Fahne des Herzoges ragte; aber sie waren näher bei einander, die Reihe war sehr kurz geworden, und sie standen nicht mehr unten an dem Rande des Berges sondern wieder oben, wo am Morgen begonnen worden war. Die weißen Banner des Feindes rückten auch wieder geordnet vor, und der Kampf begann an den ganzen Reihen der Heere. Stunde an Stunde verfloß, Männer von großem Ansehen Reichtum Würden und Ämtern fielen auf die Erde, Männer von geringerer Bedeutung sanken auf das zertretene Gras, und niedere unbekannte Leute gingen zu Grunde: aber der Raum des Kampfes wurde nicht verändert. Die Feinde des Herzoges hatten die größere Zahl, ihre Zahl war durch die Verräter noch vermehrt worden, und sie hatten die Begierde, ihre Sache zur Entscheidung zu bringen: die Männer des Herzoges hatten den besseren Stand des Ortes, und hatten das Recht. Die letzte Kraft wurde verwendet, die Sonne neigte bereits zum Untergange, man hatte nicht geruht und nichts genossen, Leib und Seele war ermattet, und der Kampf erlosch. Die Reihen von beiden Seiten schwankten zurück, daß ein Raum wurde. Man stand, und es war, als könnte man sich nicht regen.

Die Heere standen nicht wie solche, welche ruhen, und wieder zum Kampfe vorwärts gehen wollen, sondern wie solche, die ausgerungen haben.

Einzelne Rotten und Abteilungen wichen zurück, und der Raum vergrößerte sich.

Kundschafter schlichen hinvor, um zu erspähen, was die Gegner etwa beginnen wollten.

Und als der Raum immer größer wurde, und als man erfahren hatte, daß die aus Mähren gegen ihr Lager zurück drängten, ließ Wladislaw seine Männer auch zurück gehen. Sie waren jetzt wieder wie am Morgen vor dem verbrannten Hofe in der Nähe der Häuser, welche Suchdol hießen.

Ganze Scharen sanken in das Gras, und ehe sie nach Speise und Trank fragten, suchten sie das Nächste zu erlangen, was not tat, Ruhe.

Witiko war unter den Männern des Waldes, die zu ihm gehörten. Sie lagen, oder saßen auf der Erde. Einige hatten ihren Sack geöffnet, und langten Brot, oder was sie hatten, hervor, um zu essen, andere ruhten bloß. Man hatte in einem großen Kruge Wasser aus dem Bache herzu gebracht, weil der Brunnen unbrauchbar war, und die Männer tranken aus dem Kruge.

»Es wird doch nötig sein, liebe gute und getreue Heimatgenossen«, sagte Witiko, »so ermüdet wir auch sind, daß einige von uns zu der Stelle gehen, wo wir mit den Feinden gekämpft haben, sobald man nämlich dahin gelangen kann, um zu sehen, wer aus den Unsrigen dort etwa verwundet oder gar tot liege, daß wir ihm beistehen, oder, wenn er ausgelebt hat, ihn, so es sich tun läßt, begraben. Indessen können wir unter uns hier sehen, wer etwa fehle.«

Auf diese Worte erhoben sich Maz Albrecht und Lambert und Urban und andere junge Männer, und Lambert sagte: »Wir sind nicht so ermüdet, es ist nicht der Rede wert, wir können schon gehen.«

»Es haben sich schon etliche fortgeschlichen«, sagte Christ Severin, »ihr könnt ihnen nachgehen. Wir müssen uns einander beistehen, und daß wir zu Hause keinen Vorwurf haben.«

Die jungen Männer hielten ihr Stück Brot, das sie aßen, in der Hand, und gingen fort.

Witiko sandte nun auch eine Botschaft zu Rowno und Diet und den andern, und erfuhr, daß sie dicht an ihm zur Rechten gelagert seien, sich erquicken, und auch schon nach ihren Verwundeten und Toten gesendet haben.

Nach einer Weile kam von dem Herzoge Wladislaw die Nachricht, daß die Männer sich lagern dürften, daß sie aber in der Ordnung bleiben sollten, welche sie in der Schlacht gehabt haben, daß sie Speise und Trank genießen möchten, daß sie, wenn die Nacht komme, schlafen dürften, und dann des weitern, was geschehen würde, gewärtig sein sollten. Die Führer seien nach kurzer Frist zu dem Herzoge zu einer Beratung geladen.

Die Männer richteten sich nun bequemer zur Ruhe, suchten Lagerstellen zu bereiten, zündeten hie und da Feuer an, und Witiko brachte sein Pferd an eine gute Stelle, und versorgte es reichlich mit Hüllen.

Dann ging er zu dem Herzoge.

Er ging an den Leuten vorbei, wie sie sich in der Schlachtordnung befunden hatten, da er zu dem Herzoge um Hilfe geritten war; aber die Reihe war jetzt wieder um viel viel kürzer als damals, teils, weil der Männer weniger geworden waren, teils, weil sie sich tiefer zurück gelagert hatten, teils weil manche in die Zelte, die noch hinter den Reihen in dem Lager standen, rückwärts gegangen waren.

Der Herzog befand sich vor dem abgebrannten Hofe. Viele Stühle waren auf den Platz gebracht worden. Eine große Anzahl von Männern war um ihn. Einige saßen, mehrere aber standen. Gleich nach Witiko waren auch Rowno und Diet angelangt. Als alle versammelt waren, stand der Herzog in seinem braunen Gewande und in seinem matten Waffenhemde von seinem Stuhle auf, und sprach: »Da sind wir wieder auf dem Platze, auf welchem wir gestern mit den Verrätern verhandelt haben. Es liegt ein schwerer Tag dazwischen. Gott hat das Recht nicht sinken lassen, wenn er es auch noch weiter prüft. Der Verrat hat unser Werk vereitelt, doch das seine nicht vollbracht. Wir sind in der festgefügten Ordnung, in welcher wir in der Schlacht gewesen waren, zurück gegangen, und stehen nun am Beginne fernerer Mühen. Ich habe die Wachen ausgestellt, die den Raum um uns durchblicken, ich habe die Kundschafter ausgesendet, die alles durchforschen sollen, ich habe Männer abgeordnete die nach den Toten und Verwundeten suchen sollen. Die edlen Toten, die eine ferne Grabstätte haben, werden wir fortsenden, eben so die Verwundeten, welche eine Reise vertragen. Für die Beerdigung und Pflege der andern ist die Einleitung getroffen worden, und es wird noch weiter geschehen, was die Umstände zulassen. Die Kundschafter haben gemeldet, daß die Feinde wieder ihr Lager bezogen haben, aus dem sie am Morgen gegen uns ausgerückt sind. Ich habe gesagt, daß doch einige von uns, wenn sie nicht gar zu ermüdet sind, zu beiden Seiten des Heeres ausgesendet würden, um zu erforschen, ob die Feinde nicht in der Nacht an uns vorübergehen, und uns die Wege verlegen könnten.«

»Es ist geschehen, hoher Herr«, sagte Chotimir, »junge Reiter und Fußgänger haben sich zu diesem Geschäfte erboten, sie werden sich zu Zeiten ablösen, und berichten.«

»Es ist gut«, sagte der Herzog. »Ehe wir zu dem schreiten, was ferner zu tun ist, lasset uns den Dank abstatten. Männer, Herren, teure Freunde! habet den Dank des Landes, habet meinen Dank. Lasset uns zuerst von denen sprechen, die selber nicht mehr sprechen können. Smil und Ben liegen tot auf der Erde, zwei edle tapfere Männer und Führer unserer Heere. Ihr Werk ist vollbracht, und die Geschichten werden von ihnen reden. Smils Söhne sind hingestreckt. Die guten Jünglinge haben ausgeführt, was sie oft gesagt haben, daß sie sich gegenseitig ihr Leben schützen wollen. Sie haben es sich gegenseitig bis zum Tode geschützt. Dalimil, der Enkel des alten hochehrwürdigen Lechen Bolemil hat sein Leben zum Opfer gebracht, daß auf dem Platze neben ihm der Verrat nicht siegreich wurde. Andere Enkel werden die Tat den Urenkeln, und diese sie andern Urenkeln erzählen. Pustimir, der Sohn unsers teuern väterlichen Mannes Lubomir, hat für die Sache, die er sich erwählt, seinen Geist zum Himmel gesendet. Und mehrere werden sein, die wir noch nicht kennen, und deren Namen uns heute noch werden genannt werden. Den Toten gibt Gott im Himmel die Ruhe und auf Erden den Ruhm. Jedem Freunde, er sei hoch oder gering, der heute auf diesem Berge verstummen mußte, folgt unser Gebet, und bleibt ihm sein Lohn in der Ewigkeit.«

»In der Ewigkeit«, sagten die Anwesenden mit leiser Stimme nach.

»Und nun zu den Lebenden«, fuhr der Herzog fort. »Otto Bischof von Prag, ich danke dir für deine Taten und deine Worte.«

»Ich glaube, ich bin auf der Seite des Rechtes gestanden«, sagte der Bischof.

»Ich glaube es, so mir der Allmächtige helfe«, sagte der Herzog.

Dann fuhr er fort: »Zdik Bischof von Olmütz, ich sage dir meinen Dank, du hast, als Ben an deiner Seite gefallen war, den Streit geleitet.«

»Ich habe den Mann beweint, hoher Herr«, antwortete Zdik, »die Schlacht hast du geführt, wie ich wußte, daß du sie führen wirst.«

»Ich danke dir Daniel, Propst von Prag, für deine Taten und Worte«, sagte der Herzog.

»Die Taten sind gering, die Worte halfen nicht«, entgegnete Daniel, »möge mein Gebet kräftiger sein, daß dieser Streit ohne zu großes Unheil für die Länder beendigt werde.«

»Ich danke euch, Äbte von Brewnow, Kladrau und Wilimow, und allen Priestern«, fuhr der Herzog fort, »und ich sage euch meinen Dank, Brüder Diepold und Heinrich, Söhne Premysls, ihr seid die einzigen aus dem Stamme, die treu geblieben sind.«

»Wir werden es auch immer bleiben«, sagte Diepold.

»Ich weiß es«, entgegnete der Herzog.

Dann fuhr er fort: »Bolemil, du vielerfahrener Mann, der immer seiner Treue folgt, und sie auch übt, wo sie ihn schmerzt, du Mann, der so viele Dienste verrichtete, von der Zeit meines Großvaters des Königs Wratislaw an bis auf heute, wo du weit über deine Zeit hinaus geholfen hast, habe meinen Dank. Mein Dank ist viel zu klein für deine Tat und deinen Verlust.«

»Hoher Herr«, antwortete Bolemil, »ich habe gewußt, was geschehen wird, es konnte uns nicht erspart werden. Als ich von dem Sterbebette Sobeslaws gehört hatte, wußte ich auch, was ich tun werde, und habe mich darauf vorbereitet. Meine Sippen und Männer liegen auf dem Felde erschlagen. Die leben, mögen um sie trauern. Ich werde bald mit ihnen vereint sein. Sorge nur, Herr, daß dieser Streit kurz daure.«

»Wir werden sorgen, daß es so sei«, sagte der Herzog.

Nach diesen Worten war eine kleine Stille.

Dann sprach der Herzog: »Lubomir, du hast tiefes Herzeleid erfahren. Ich danke dir, und traure mit dir.«

»Wenn ich wieder in Daudleb bin, mein erhabener Herr«, antwortete Lubomir, »und wenn ich dort allein an meinem Tische sitze, und meine Kinder, die in andern Fluren sind, zähle, so zähle ich auch Pustimir mit, obwohl er jetzt weit von mir ist, und dann zähle ich die Enkel, und auch die von ihm, und tröste Boleslawa, weil er heldenmütig gestorben ist. Er ruhe friedlich, Herr, und möge der Streit mit den geringsten Opfern des unschuldigen Landes enden.«

»Euch, Chotimir, Diwiš, Bozebor, Jurik, euch Führern danke ich«, fuhr der Herzog fort, »ihr habt festgehalten, wo der Verlust einer Handbreit Erde ein großes Unglück gewesen wäre, und ihr habt eure Männer stark geschart wie die Glieder einer Eisenkette zurück geführt. Diwiš, du bist immer treu, und dein Sohn Zdeslaw folgt dir. Euch Männer Milota Preda Wšebor hat das Alter nicht abgehalten, auf dem Felde der Ehre zu sein. Predbor, ich danke dir. Denken wir nicht mehr im Zorne dessen, mit dem du gestritten, und der gestern noch in der Fülle des reichsten Mannes dieser Länder und in der Fülle des Lebens hier vor uns gesprochen hat, und jetzt sich mit einem Häufchen Erde begnügt. Nemoy, du bist ein Nachbar Bolemils, und strebst seinen Tugenden nach, und du Ctibor hältst es wie Lubomir, an den du grenzest, du hast deine Leute genommen, und sie zum Schutze des Fürstenstuhles geführt. Casta, du hast immer gesagt, daß du für deine Freunde in den Tod gehen könntest, rufe dein Schicksal nicht, es hätte dir heute bald für mich willfahrt. Pflege deine Wunde, daß ich dir bald einen Gegendienst tun kann. Welislaw, wie kannst du wagen, hieher zu kommen? Dich haben sie halb tot vom Felde getragen, und nun sitzest du hier, und trotzest deiner Wunde? Du bist der Genosse meiner Jugend gewesen, willst du mich in meinen Mannesjahren verlassen?«

»Solche Dinge heilen in der Tätigkeit am ehesten«, versetzte Welislaw.

»Ich werde dir den Arzt zugeben, der dir nicht mehr von der Seite darf«, sagte der Herzog, »und denke, daß ich nicht Männer brauche, die sich so sinnlos dem Feinde entgegen werfen.«

»Dich muß ich auch schmähen, Odolen«, fuhr der Herzog fort, »ich sehe, daß es wahr ist, was deine Feinde sagen, daß du Berge umwerfen möchtest, um zu stürmen. Hast du keine Wunde empfangen?«

»Welislaw, der mir in allem zuwider handelt, hat sie mir weggenommen«, sagte Odolen.

»Sezima Wecel Zwest«, sagte der Herzog, »habt meinen Dank, ich weiß, was ihr getan habt. Jurik, du bist immer in der Nähe deines Vaters, du bist in einer guten Schule, aber sie ist nicht ohne Gefahr. Beneda, du hast dir dein Lob verdient.«

»Witiko, Rowno, Diet, und ihr andern Männer des Waldes«, fuhr er dann fort, »wie danke ich euch. Ihr habt einen harten Teil bestanden. Bei euch hat man den Versuch gemacht, alles zu gewinnen. Man hat euch abtrennen wollen, wie man einen Tropfen Wasser von der Hand schüttelt; ihr aber seid gewesen wie das Pech eures Waldes, und seid kleben geblieben. Ich werde doch noch diesen Wald einmal sehen, und euch in ihm wieder danken können. Wer sind die Knaben?«


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