Adalbert Stifter
Witiko
Adalbert Stifter

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»Und nun, Mädchen, wie heißest du denn?« fragte er.

»Bertha«, antwortete sie, »und wie heißt denn Ihr?«

»Witiko«, entgegnete er, »und wie alt bist du denn?«

»Sechzehn Jahre«, sagte sie, »und wie alt seid denn Ihr?«

»Zwanzig«, erwiderte er, »ich bin neun Jahre nach der Zeit geboren worden, da der Herzog Swatopluk von Böhmen erschlagen worden ist.«

»Ich habe mir gedacht, daß Ihr sehr jung seid«, entgegnete sie.

»Und lebst du im Walde, Bertha?« fragte er.

»Im Walde und auch anderswo«, antwortete sie; »ich habe Euch ja schon gesagt, daß wir weiter aufwärts von hier ein Haus haben. Dann ist noch das Häuschen des Vaters meiner Singgespanin, sonst ist nichts.«

»Habt Ihr eine Kirche?« fragte er.

»Sie steht fünf Stunden von hier in der Freiung«, antwortete sie, »wenn man dann hundert Schritte von unserm Hause abwärts geht, und noch eine halbe Stunde zur Mihel zu gehen hätte, wo die Köhler sind, steht ein dunkelrotes hohes Hüttlein aus Holz, und in dem Hüttlein ist die heilige Mutter mit dem Jesuskinde aus Holz. Der Bischof hat sie geweiht. Vor dem Hüttlein stehen kleine Bänklein, daran man knien und beten kann. Wir beten da. Hinter dem Hüttlein stehen Ebereschenbäume, und Ebereschenbäume gehen bis zu unserem Hause. Jetzt sagt mir aber auch etwas von Euch.«

»Mein Geschlecht ist dunkel«, antwortete er, »es ist aber nicht immer so gewesen.«

»Und wo werdet Ihr dann hingehen, wenn Ihr morgen von hier fortreitet?« fragte sie.

»In das Land Böhmen«, antwortete er.

»In das Land Böhmen?« fragte sie, »warum geht Ihr denn nicht zu dem neuen Könige Konrad oder zu unserem Herzoge Heinrich?«

»Das ist so«, entgegnete er: »im Mittage des Landes Böhmen haben meine Vorfahren im Walde gelebt. In alten Zeiten vor vielen hundert Jahren, da es noch gar kein deutsches Reich gegeben hat, da in dem Lande der Franken, das sehr groß war, die tapfern Hausmeier der alten Könige geherrscht haben, ist ein Mann aus dem Stamme der Fürsten Ursini in Rom, der auch Witiko wie ich geheißen hat, wegen Verfolgung eingedrungener Feinde mit seinem Weibe, mit seinen Kindern, mit seinen Anverwandten und mit einem kriegerischen Gefolge in das Land gegen Mitternacht gegangen, und bis an die Donau gekommen. Von dort wollte er in das Land Böhmen einbrechen. Aber Woyen, der Herzog Böhmens, der erstgeborne Sohn des Herzogs Mnata, der noch heidnisch war, und die Christen haßte, zog ihm mit einem Heere entgegen, und tötete in einer Niederlage, die Witiko erlitt, fast alle seine Leute. Da trug Witiko dem Herzoge Woyen ein Bündnis an, er wollte sich ihm unterwerfen, und die Marken Böhmens gegen die Fremden verteidigen, wenn ihm der Herzog in den waldigen Bergen, in welche er eingedrungen war, eine Wohnung geben wolle. Der Herzog gab sie ihm, und nun wohnte er an einem Berge in dem Walde. Sie breiteten sich aus, wurden mächtig, und gründeten das Christentum, daß sich vierzehn Lechen vom Mittage Böhmens lange vor der Zeit, da Boriwoy der erste christliche Herzog Böhmens war, in Regensburg taufen ließen. Dann nahm das Geschlecht wieder ab, wurde unbekannt, und ich bin der letzte davon. Witiko hatte auf dem Berge an seiner Wohnung Waldrosen gepflanzt, wie auf einem Berge neben seiner Wohnung in Rom Waldrosen gestanden sind. Alle Vorgänger des alten Witiko, welche in die Zeiten hinauf reichten, da noch gar kein Christ auf der ganzen Welt war, hatten Waldrosen gepflanzt, weil noch keine anderen waren, und alle Nachfolger haben Waldrosen gepflanzt.«

»Es wird doch eine Eingebung gewesen sein, daß ich die Rosen genommen habe«, sagte Bertha.

»Nimmst du oft Rosen?« fragte Witiko.

»Ich nehme sie zuweilen«, sagte Bertha.

»Und daß es in dieser Jahreszeit noch Rosen gibt, ist schon ein Wunder«, sagte Witiko.

»Ich habe diese auch nur heute im Waldschatten gefunden, und in meinen Ring gesteckt«, entgegnete Bertha.

»Siehst du«, sagte Witiko.

»So mögen sie Euch ein Zeichen sein«, erwiderte Bertha, »und möget Ihr recht viel Glück haben. Ich werde Euch zu meinem Vater führen, daß er Euch einen Mann zu den drei Sesseln mitgibt, der Euch den kürzesten Pfad weist.«

»So führe mich zu deinem Vater, Bertha«, sagte Witiko.

»Wollt Ihr?« fragte sie.

»Ich will«, antwortete er.

»So kommt«, sagte sie.

Bei diesen Worten erhob sie sich, der Reiter setzte seine Lederhaube auf den Kopf, und stand gleichfalls auf.

Sie gingen nun an dem Waldsaume bis zu der Stelle, an welcher die Mädchen herausgekommen waren. Dort traten sie unter die Stämme, und in kleiner Tiefe des Waldes stand das andere Mädchen, das mit Bertha gesungen hatte. Als Bertha und Witiko sich ihr näherten, nahm sie die Flucht, und lief vor ihnen her. Witiko sah nun, daß ihre Zöpfe, die auf das dunkle Kleid hinab gingen, eine lichte fast weißgelbe Farbe hatten, während die Berthas braun wären. Sie lief aber so, daß sie bald nicht mehr gesehen werden konnte. Witiko und Bertha gingen unter den hohen Tannen des Waldes und zwischen bemoosten Steinen dahin. Sie gingen aufwärts.

Nach einer Weile hörten sie ein Wasser rauschen, welches in der Gegend zu ihrer linken Hand fließen mußte. Bertha wendete sich nun links, und ging zu dem Wasser, das man fast durch die Stämme aber tief unten in einer Schlucht sehen konnte. Bertha ging an dem Wasser in der früheren Richtung wieder fort, aber immer oben am Rande der Senkung. Sie gingen immer aufwärts. Nach einer Zeit wurde der Wald dünner, und sie traten endlich in das Freie. Da lag eine Wiese vor ihnen, hinter der Wiese waren Felder, und dann stand ein großes weißes Haus. Hinter dem Hause stieg der Wald empor, und war ein breites mächtiges Band. Seinen Sesselfes konnte man wegen der Nähe nicht sehen, gegen Morgen aber waren andere starke Steinrippen im Bande. Die Wiese war von Gestrippe und Steinen gereinigt. Bertha lenkte nun auf einen Pfad ein, der in der Wiese auf das Haus zuging. Der Pfad war geordnet und so breit, daß selbst ein Wagen auf ihm hätte fahren können. Als sie auf dem Pfade so weit fortgegangen waren, daß sie noch einige hundert Schritte zu dem Hause gehabt hätten, kamen sie zu der Betstelle des roten Hüttchens. Es stand an dem Wege, mit seiner Öffnung gegen Morgen dem Pfade zugekehrt. Unten war es geschlossen, oben hatte es eine Öffnung, in welcher das Bild der heiligen Mutter stand, es war in Gold in roten blauen und anderen Farben. Vier Ebereschenbäume hinter dem Hüttchen waren hoch empor gewachsen. Bertha kniete an einem Bänklein nieder, und tat ein Gebet. Witiko kniete neben sie, und betete auch. Dann standen sie auf, und gingen weiter. Das Rauschen des Wassers tönte aus der Schlucht herauf, und auch nicht weit vor dem Hüttchen kam ein Wasser aus dem Grase der Wiese, und schoß flüchtig nach abwärts.

»Ihr habt hier klare fröhliche Quellen«, sagte Witiko.

»ES sind noch mehrere, rechts und links«, antwortete Bertha, »sie kommen von den drei Sesseln und von dem Blöckensteine.«

»Und das ist euer Bild, von dem Ihr mir gesagt habt?« fragte er.

»Das ist das Bild«, antwortete sie.

»Und dort ist euer Haus?« sagte er.

»Dort ist das Haus«, erwiderte sie.

Nach kurzem Wandeln an den Reihen der Ebereschen kamen sie an das Haus.

An demselben war gegen Morgen ein Sandplatz, gegen Mittag ein Garten. Das Haus war sehr lang. Es war aus Stein gebaut, und weiß übertüncht. Die Fenster, welche in einer geordneten Reihe hingingen, waren mit eisernen Stäben verwahrt. Es hatte nur ein Erdgeschoß, welches aber hoch war, und auf welchem sich ein flaches Dach befand, das viele und große Steine deckten. Die schmale Seite des Hauses, welche dem Sandplatze zugekehrt war, hatte eine eisenbeschlagene Tür. Durch die Tür, welche nicht geschlossen war, sondern einem leichten Drucke wich, führte Bertha Witiko in das Haus. Sie kamen hinter der Tür in einen geräumigen Vorsaal, von dem ein Gang durch die Länge des Hauses fort lief, und von dem Vorsaale traten sie links wieder in einen Saal. Derselbe war groß, und hatte gegen die Schmalseite des Hauses vier, gegen dessen Langseite sechs Fenster. Der Fußboden war von Tannenbrettern, die Wände waren weiß getüncht, und die Decke war eine starkbalkige Diele von braungebeiztem Tannenholze, an den Wänden hingen Waffen, und in den Ecken lehnten auch einige. In der Mitte des Saales stand ein sehr langer Buchentisch.

An dem oberen Ende des Buchentisches saß ein Mann von etwa vierzig bis fünfzig Jahren. Er hatte ein weitfaltiges schwarzes Oberkleid an, von dem die lichtbraune Unterbekleidung hinab ging. Auf das Oberkleid fielen lange braune Locken hinab. Vor ihm standen zwei andere Männer, mit denen er sprach.

»In die Glurwiese geht ihr um fünf Uhr«, sagte er, »dann könnt ihr mit der Hälfte fertig werden.«

»Ja«, sagte einer der Männer.

»Ihr müßt im Scherholze an der Sonnenseite schlichten, und die Eckstöße fest machen«, sprach er weiter.

»Ja«, sagte der andere der Männer.

»So, jetzt geht, und berichtet mir, wenn es geschehen ist«, sagte er.

Die Männer entfernten sich, und gingen zur Tür hinaus.

Der Mann an dem Buchentische sah nun mit zwei großen blauen Augen auf Bertha und Witiko.

Bertha ging einige Schritte gegen den Mann und sagte: »Vater, da ist einer in den Wald gekommen, der nach seinem Glücke geht, und sich ein Schicksal machen will. Weil heute Sonntag ist, so ruhet er, und hat in dem Walde gebetet. Ich habe auf der Sperwiese mit ihm gesprochen, und bringe ihn dir.«

Der Mann mit den braunen Locken stand auf, ging gegen Witiko, und sagte: »Seid mir willkommen.«

»Ich nehme das Willkommen an«, sagte Witiko, »und wollet mein Eindringen entschuldigen.«

»Meine Tochter hat Euch gebracht, und Ihr seid willkommen«, sagte der Mann, »und Ihr wäret auch willkommen, wenn Ihr allein gekommen wäret; denn mein Haus ist gastlich.«

»Ich heiße Witiko von Pric, sagte Witiko.

»Ich Heinrich«, antwortete der Mann.

»Der Reiter will heute auf die drei Sessel steigen«, sagte Bertha.

»Weil Ihr auf dem Wege nach gutem Dienste in mein Haus gekommen seid, Witiko«, sagte Heinrich, »so nehmet ein Mittagessen bei mir, ich werde Euch dann einen Mann geben, der Euch zu den Sesseln geleiten soll. Jetzt biete ich Euch einen Stuhl, und wenn es nicht gegen Eure Sitte ist, so schnallt Euer Schwert ab, daß Ihr ungehinderter seid.«

»Ich nehme die Einladung zum Mittagessen und zu einem Stuhle dankbar an, das Schwert kann ich aber nicht abschnallen, weil ich mir den Brauch auferlegt habe, es immer, wo es tunlich ist, zu tragen, daß es mir nicht einmal fehlt, wenn ich es brauche«, sagte Witiko.

»Daran tut Ihr nicht unrecht«, sage Heinrich, »und wenn Ihr von den drei Sesseln zurückkommt, werdet Ihr die Nachtherberge bei uns nehmen?«

»Ich reite morgen wieder weiter«, entgegnete Witiko, »habe mein Pferd bei den Köhlern an der Mihel, und muß heute wieder dahin zurückkommen.«

»So werden wir die Zeit so einrichten, daß Ihr es könnt«, sagte Heinrich.

Nach diesen Worten wendete er sich gegen den Tisch, rückte zwei Stühle zurecht, wies auf einen, und er und Witiko setzten sich nieder.

Dann sagte er zu Bertha: »Gehe zur Mutter, und verkündige ihr, daß wir einen Gast haben.«

Bertha ging gegen einen Fensterpfeiler, und hing ihren Kranz mit Rosen an einen Nagel.

»Warum hängst du denn dein Goldreiflein zu den Waffen?« fragte der Vater.

»Lasse die Rosen heute bei den Waffen hängen«, antwortete Bertha.

Dann ging sie durch eine Tür in das weitere Innere des Hauses.

Nach einigen Augenblicken kam sie mit der Mutter bei dieser Tür wieder heraus. Die Mutter hatte wie Bertha braune Haare und Augen. Sie hatte feine Hände und Glieder. An ihrem Körper war ein enges blaues Wams mit Silberrändern, die Vorderärmel und das weite Unterkleid waren aus blaßgelber Wolle. Die Haare deckte ein weites Netz mit Goldfädlein.

»Wiulfhilt«, sagte Heinrich, »der junge Reiter Witiko von Pric, der Sohn Woks und Wentilas, ist unser Gast.«

» So habt Ihr meinen Vater gekannt?« fragte Witiko.

»Ich habe Euern Vater gekannt, mein junger Reitersmann, und kenne Eure Mutter«, sagte Heinrich.

»Wir kennen die feine gute Wentila«, sagte die Frau, welche eingetreten war, »und wenn Ihr der Sohn derselben seid, so heiße ich Euch in unserem Hause willkommen.«

»Ich bin der Sohn derselben«, sagte Witiko, welcher aufgestanden war, »und so bin ich in einem Hause, in welchem meine Eltern gewesen sind.«

»In diesem Hause sind sie nie gewesen«, sagte Heinrich, »wohl aber in einem andern.«

»So seid Ihr uns in diesem Hause gegrüßt«, sagte Wiulfhilt.

»Ich freue mich des Grußes, edle Frau«, entgegnete Witiko, »und verzeiht, wenn ich Eure Sorge mehre.«

»Meine Sorgen für das Haus sind meine Freude«, sagte die Frau, »und für einen Gast doppelte Freude.«

»Wenn ich es nur verdiene«, entgegnete Witiko.

»Ihr verdient es, weil Ihr der Sohn Eurer Eltern seid«, antwortete Wiulfhilt, »und werdet es auch außerdem verdienen. Und wenn es auch nicht wäre, so wäret Ihr der Gast.«

»Wiulfhilt«, sagte Heinrich, »der Reiter will heute noch auf den Sesselfels gehen, und abends zu den Köhlern im Klaffergrunde zurückkehren. Sorge für ein zeitiges Mahl.«

»So erlaubt, daß ich mich bis zum Mittagessen beurlaube«, sagte die Frau.

»Tut nach Eurem Rechte«, entgegnete Witiko.

»Und ich werde der Mutter folgen«, sagte Bertha.

»Dann tust du recht«, erwiderte der Vater.

Und die Mutter und die Tochter verließen den Saal.

»Wenn es Euch genehm ist, so suchen wir bis zum Mittage die freie Luft auf«, sagte Heinrich zu Witiko.

»Es ist mir sehr genehm«, entgegnete Witiko.

Der Herr des Hauses führte seinen Gast nun durch eine andere Tür in den Garten. Er schürzte sein faltiges Gewand durch einen Gürtel, den er anzog, höher, und schritt in die Beete voran. Witiko folgte. Im Garten waren Küchengewächse, duftende Kräutlein und an Mauerlatten die Birnstaude. Am Ende des Gartens erhob sich ein Hügel, von dem sie den Garten das Haus und den Wald übersehen konnten.


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