Adalbert Stifter
Witiko
Adalbert Stifter

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Sifrid sprach weiter: »Witiko hat es sehr gut gemacht. Wir gingen, da die Hörner der Ziegenböcke erschallten, immer vorwärts, wie es sein muß. Der Herzog Wratislaw hat selber die Scharen gegen uns angeführt, die Reiter drängten auch vorwärts, und die Bogenschützen, und alle, wir hätten eher gewollt, daß der Boden, auf dem wir standen, mit uns in den Abgrund stürze, als daß wir den Feinden einen Grashalm gelassen hätten, und sie wankten, und sie wurden locker, und flohen auseinander. Und da vor uns ein Raum geworden war, fielen die Männer auf die Knie, und dankten Gott. Und dann verfolgten wir die Feinde drei Stunden oder dergleichen rechts ab von der Richtung unseres Zuges, und sie zerstreuten sich immer weiter, und wir gingen dann fünf Stunden lang wieder gegen links, daß wir unseres Weges gewännen. Und keiner hat sich mehr weiter blicken lassen, der uns etwas angehabt hätte, und alle die Zeichen, welche die Abteilungen Witikos haben, sind unter der roten Fahne ganz gleich in dem Kampfe vorgegangen, und Rowno befehligte Waldleute im Kampfe an unserer rechten Seite, und sie gingen mit ihren kleinen Zeichen vor, wie wir mit dem großen, und Wyhon von Prachatic befehligte die anderen Waldleute rechts von Rowno, und diese gingen auch mit ihren kleinen Zeichen vor, wie wir und Rowno, und alle waren gleich. So ist die Sache gewesen. Wir haben wenige Männer verloren. Die Toten sind begraben worden, die Verwundeten haben sie in Pflege genommen, es wird schon für sie gesorgt sein, ich weiß nicht, wer sie sind, ich mußte am Abende mit meinen Freunden gleich fort reiten, um die Botschaft zu bringen, wie ich sie weiß, und so, wie ich sagte, weiß ich sie. Heute muß ich wieder zurück reiten, um den Zug Witikos zu treffen, wie er in der Anordnung weiter geht, die bestimmt worden ist. So habe ich zu dem hohen Herzoge geredet, und dann redete ich nicht mehr.

Der Herzog aber fragte mich, ob die Schar Wratislaws groß gewesen sei.

Ich sagte: Wir haben die Männer nicht gezählt; aber unsere Kriegsleute haben nach dem Kampfe gesprochen, daß ihre Zahl größer gewesen sei als die unsrige. Wir haben sie bloß in die Flucht gejagt.

Haben eure Männer gerufen, daß sie eher mit dem Boden in den Abgrund stürzen, als dem Feinde einen Grashalm lassen wollen? fragte der Herzog.

Nein, antwortete ich, ich habe mir gedacht, daß sie so denken wie ich.

Denke nur in jedem Kampfe so, sprach der Herzog.

Ich denke im Kampfe und auf dem Zuge immer so, antwortete ich, ich habe einmal zu Hause gesagt, daß wir eher die Wälder anzünden als sie dem Feinde lassen sollen; aber Witiko hat geantwortet, das wird nicht nötig sein.

Eure Wälder werden grünen, wenn die Feinde längst zu Boden geworfen sind, sagte der Herzog.

Bist du unter den Reitern Witikos, und stammst du aus dem Walde? fragte er mich dann wieder.

Ich bin der Sohn eines armen Weibes, antwortete ich, der mein Vater vor vielen Jahren gestorben ist, und warte die Pferde des alten Mannes Roder Peter, und weil er nicht mehr in den Krieg ziehen kann, so hat er mir ein weißes Pferd geliehen, und mit dem bin ich unter den Reitern Witikos, weil ich in Milnet im Walde nicht weit von Witiko wohne.

Und ihr Reiter habt euch gut gehalten? fragte der Herzog.

Die Feinde haben sehr schöne Pferde gehabt, antwortete ich, aber wir haben nicht nachgegeben, und haben ihnen vierzig oder fünfzig genommen.«

»Es sind siebenzig«, rief Maz Albrecht.

»Da habe ich nicht gewußt, sonst hätte ich es gesagt«, antwortete Sifrid.

»Unterbrecht den Boten nicht, rede weiter, Sifrid«, rief Witiko.

Und Sifrid redete weiter: »Der Herzog sprach: Sage den Männern aus dem Walde meinen großen Dank für ihren Kampf, sage ihnen den Dank der Lechen und Herren, die um mich sind. Wenn wir sie sehen, werden wir ihnen alle danken, und sie ehren, und den Lohn, der ihnen aus den Kriegseroberungen gebührt, werden sie erhalten. Sage Witiko meinen Dank und Rowno und Wyhon, ich gedenke ihrer. Und weil Rowno und Wyhon kleine Zeichen haben, werde ich ihnen und zwar einem jeden ein großes rotes Banner senden. Reiter von mir werden mit dir reiten, und die Banner bringen. Rowno und Wyhon sollen auf die Zeichen achten, wie sie auf ihre kleinen Zeichen geachtet haben. Für die Verwundeten und die Angehörigen der Toten werde ich dir ein Geld mitgeben, verteilt es redlich und ohne Zank. Jetzt erquickt euch, und zeigt es an, wenn ihr wieder weiter ziehen wollt. Merke dir meine Worte, daß du sie überbringst, wie ich gesagt habe.

Ich merke sie mir, hoher Herr, sagte ich.

Dann stand der hocherlauchte Herzog auf, nahm seine Haube von dem Haupte, und sprach: So ehre ich die Leute aus dem Walde.

Und sein hocherlauchter Bruder Diepold stand auf, und sein Bruder Heinrich stand auf, und die hochehrwürdigen Bischöfe standen auf, und die Herren und Lechen standen auf, und sie nahmen die Hauben von den Häuptern, und riefen: So ehren wir die Leute aus dem Walde.

Mit mir drehete sich der Raum, als sie so riefen, und als ich vor ihnen stand. Dann gingen sie zu mir, und fast ein jeder sprach mit mir, ich weiß unsere Worte nicht mehr. Und ein junger Mann, der so lichte Haare hat wie ich, nahm mich bei der Hand, und sagte: Es wird schon recht werden, du junges Blut, erinnere dich meiner, ich heiße Welislaw, und bringe Witiko einen Gruß von mir aus dem Gemütsgrunde, und er nannte mir die Männer, die da waren, und dann gingen wir aus dem Gezelte, und wir bekamen Speise und Trank und unsere Pferde Futter, und dann kamen die Reiter des Herzogs zu uns, welche die zwei roten Fahnen hatten, und als wir sagten, wir wollen fortziehen, gab mir ein Mann einen Beutel mit Geld für die Verwundeten und für die Angehörigen der Toten, und die Schnüre des Beutels sind mit einem roten Wachspetschaft verklebt, und jeder von uns fünf Boten erhielt drei Goldstücke, und dann ritten wir fort, und die Reiter mit den zwei roten Bannern ritten mit uns. Die Banner sind da, und den Beutel habe ich zu übergeben, und ich gebe ihn unserem Obmanne Witiko.«

Sifrid zog einen rotledernen Beutel aus seinem Wamse, und reichte ihn Witiko.

Witiko rief: »Ich verwahre das Geschenk des hohen Herzoges, und werde das Siegel mit Rowno und Wyhon und den Männern des Rates öffnen, und der Rat wird die Verteilung vorschlagen.«

»Segen und Heil dem hohen Herzoge von Böhmen und Mähren«, rief der Schmied von Plan.

»Segen und Heil dem hohen Herzoge«, riefen fast alle Männer mit einem erschütternden Schalle der Stimmen.

»Wir sind dem hohen Herzoge Dank schuldig für seine Worte und sind ihm Dank schuldig für seine Geschenke«, rief Witiko, »wir werden den Dank auf dem Kriegsfelde bezeigen.«

»Auf dem Kriegsfelde«, riefen die Männer.

»Jetzt aber, Freunde und Genossen«, sagte Witiko, »müssen wir die Banner zu Rowno und Wyhon bringen. Tretet vor, Führer der Abteilungen. Indessen die andern noch alles in Ordnung richten, was nach der heutigen Lagerung not tut, gehen wir zu Rowno und Wyhon, und übergeben ihnen die Fahnen.«

Die Führer sammelten sich, und Witiko ging mit ihnen und mit Sifrid und seinen Begleitern und mit den Reisigen des Herzogs, davon zwei die Banner trugen, zuerst zu Rowno.

Als sie vor ihm angekommen waren, sprach Witiko: »Rowno, der erlauchte Herzog erkennt, was du im gewesenen Kampfe geleistet hast, und was die Deinigen geleistet haben. Er läßt dir durch den Boten, den ich zu ihm geschickt habe, seinen Dank sagen, und sendet euch ein großes rotseidenes Banner durch Männer seiner Schar, die vor dir stehen, daß du dieses Zeichens so achtest, wie du deiner Zeichen bisher geachtet hast. Empfange von dem Manne das Banner.«

Der Mann senkte die Fahne grüßend vor Rowno und seinen Kriegern, und gab sie Rowno. Dieser sagte kein Wort, und es standen Tränen in seinen Augen, dann küßte er den Zipfel der Fahne, und reichte sie einem seiner Krieger.

Hierauf ging er zu Witiko, und schloß ihn in die Arme.

Die Männer aber riefen: »Glück dem Herzoge.«

»Glück dem Herzoge«, riefen sie dreimal.

Dann verabschiedete sich Witiko von Rowno, und ging mit seinem Geleite zu Wyhon von Prachatic.

Demselben sagte er die Worte, die er zu Rowno gesagt hatte, und der Mann des Herzogs grüßte mit der Fahne, und gab sie Wyhon. Dieser schwenkte sie, und rief: »Im ganzen Kriege und in allen Kriegen, die noch kommen werden, soll sich unser Dank und unsere Erkennung des Herzoges erweisen.«

Die Männer Wyhons riefen: »Heil dem Herzoge, Heil dem Herzoge.«

Die Fahne wurde einem Manne in die Hand gegeben, und Wyhon bezeigte Witiko, und seinem Geleite und den Reisigen des Herzogs seinen Dank. Dann verabschiedeten sie sich, und Witiko ging mit allen wieder zu den Seinigen zurück.

Nach kurzer Zeit begaben sich die Reisigen des Herzoges auf den Rückweg. Witiko aber ordnete alles zu dem Weiterzuge, und in kleiner Frist setzten sich seine Scharen in Bewegung.

Am Abende dieses Tages, da das Nachtlager eingerichtet war, kamen Boten von Bolemil, welche bedeuteten, daß man an der Stelle angekommen sei, von der aus die Entscheidung gesucht werden würde. Die Boten gaben die Bewegungen an, die gemacht werden sollen, daß das Heer sich sammle.

Und am nächsten Tage und an dem folgenden Tage sammelte sich das Heer.

Als es gesammelt war, wurden die Führer zu dem Herzoge entboten, damit Rat gehalten werde.

Im Rate wurde beschlossen, was geschehen, und wie der Feind angegriffen werden soll.

Ehe die Männer des Rates auseinander gingen, wurde gemeldet, der Mährer Drslaw sei gekommen, und verlange mit dem Herzoge zu sprechen.

»Führt ihn herein«, sagte Wladislaw.

Drslaw wurde herein geführt.

»Sprich, Drslaw, was begehrest du?« fragte der Herzog.

»Ich will dir allein eine Enthüllung machen, hocherlauchter Herzog«, sagte Drslaw.

»Mache die Enthüllung, so du willst, vor allen diesen, oder gehe ohne Enthüllung deine Wege«, sagte der Herzog.

»Du befiehlst es so, hoher Herzog«, sagte Drslaw, »und ich gehorche. Mehrere von uns, die ich dir nennen werde, wenn du unser Vorhaben gut heißest, haben beschlossen, deiner Sache zu dienen, wenn du uns den Fortbesitz unserer Habe und unseres Gutes gewährleistest, und ihre Vermehrung nach deinem Sinne versprichst. Wir werden in der Schlacht die Reihen Konrads verlassen, und Unordnung stiften, werden, wenn es möglich ist, sogleich für dich kämpfen, und den Sieg in deine Hände bringen.«

»Was soll dem Manne geantwortet werden?« fragte der Herzog.

Alle schwiegen.

»Sprich, Otto, Bischof von Prag.«

»Er bringt Verrat«, sagte Otto.

»Er verrät den in dem Augenblicke, der ihm in dem Augenblicke vertraut«, sagte Zdik.

»Haben die Fürsten aus dem Stamme Premysls noch viele solche Freunde?« fragte Diepold.

»Und was sagt Bolemil?« fragte der Herzog.

»Dem Manne antworte ich nicht«, entgegnete Bolemil.

»Hängt ihn an den nächsten Baum«, rief Welislaw.

»Es wird wohl des Rates nicht viel nötig sein«, sagte der Herzog. »Drslaw, wenn du aus Reue zu mir gekommen wärest im offenen Zurücktritte von Konrad, hätte ich dich mit Freuden aufgenommen, und die Gewährleistung und Vermehrung deiner Habe wäre dir sicher gewesen wie jedem meiner Krieger; aber du wolltest durch dein Beginnen eine weit größere Vermehrung erzielen, und hast dich geirrt. Wenn ich mit einem fremden Feinde in einem ordnungsgemäßen Kriege wäre, würde ich dich binden lassen, dich gebunden dem Feinde überliefern, und dein Ansinnen melden. Nun aber bin ich auf einem Zuge wider Räuber von Ländern und Gewalt, sie zu strafen, nicht Sitte und Gestalt eines Krieges zu üben. Gehe daher deiner Wege. Deine Habe ist dem Sieger verfallen, weil du bei den Empörern bist. Und wenn allen Empörern verziehen werden würde, so würde dir nicht verziehen werden, und deinen Helfern nicht, wenn sie mir bekannt werden. Und sie werden bekannt werden; denn Verräter verraten einander wieder. Ist der Mann mit einem Geleite gekommen?«

»Wir haben niemand bei ihm gesehen«, sagte der Anmelder, »die Vorwachen haben ihn gefangen gesendet.«

»So gebt ihm zwölf Männer, daß sie ihn ungefährdet an die Grenze des Lagers bringen. Welislaw, tue mir den Dienst, die zwölf Männer beizuordnen. Ich frage nun alle Herren und Lechen, ist einer der Meinung, daß mit dem Manne anders verfahren werde? Ist er dieser Meinung, so bitte ich ihn, daß er rede.«

Alle schwiegen.

»So sind wir einig«, sagte der Herzog, »Welislaw, sorge, wie ich gesagt habe.«

»Wenn du, hoher Herzog, auf diese Art gegen diejenigen handelst, die dir Gutes tun wollen, so ist es übel«, sagte Drslaw.

»Fort von hier«, sagte Wladislaw.

Welislaw ging aus dem Gezelte, kam mit zwölf Männern und einem Führer zurück, sie umringten Drslaw, Welislaw gab ihnen Weisung, und sie führten den Eingeschlossenen aus dem Gezelte.

»Hohe Herren«, sagte Wladislaw, »ich habe gedacht, daß wir mit froherem Mute aus der Versammlung gehen werden, als uns nun dieser Mann eingeflößt hat. Vergeßt es.«

»Man nimmt das Böse auf dem Wege, und verdammt es«, sagte der Bischof Otto, »und sucht es aus dem Gemüte zu bringen.«

»Wäre jedes Ärgernis so leicht zu überwinden, wie das von diesem Wichte«, sagte Zdik.

»Und wir werden unsere Sache rein zu Ende führen«, sagte Lubomir.

»Und so nehmet meinen Dank, ihr Männer und Freunde«, sagte der Herzog, »daß ihr mit Rat und Stimme bei mir gewesen seid. Ich glaube, wir haben, was not war, heute vollendet. Lasset es euch fürder nicht verdrießen, der Sache treulich beizustehen.«

»Nein, nein«, riefen mehrere Stimmen, »wir stehen bei.«

Der Herzog erhob sich, die Männer erhoben sich auch, und zerstreuten sich nach ihren Abteilungen.

Am Abende dieses Tages kamen noch Leute aus dem mittäglichen Walde. Sie sagten, daß sie den Weg nach Pilgram genommen hätten, weil man ihnen denselben gewiesen hat, im Walde seien noch Zusammenkünfte gewesen, und man habe an Witiko und Wenhart gedacht, und sie hätten sich zurecht gerichtet, und seien nachgegangen. Sie wollen jetzt mit Witiko reden.

Witiko trat vor sie, und sprach: »Seid gegrüßet, ihr Männer, was ist euer Begehren?«

»Wir möchten mit denen aus unserer Gegend an dem Kriege teilnehmen«, antwortete einer aus ihnen.

»Und weil du ein Führer bist, so möchten wir von dir geführt sein«, sprach ein anderer.

»Wie viele seid ihr?« fragte Witiko.

»Wir sind einhundertundfünf Männer«, antwortete der, welcher zuerst gesprochen hatte.

»Es kommen noch mehrere«, sagte ein alter Mann, »weil sie von der Sache reden, und weil eine Entscheidung sein muß.«

»Es ist gut, und es muß eine Entscheidung sein«, sagte Witiko, »und wir müssen zusammenhalten, die zusammen gehören. Ich kenne einige von euch, und manche werden mich kennen.«

»Wir kennen dich«, riefen viele Stimmen.

»Haben einige unter euch reiten gelernt?« fragte Witiko.

»Ich habe mich geübt«, rief ein Mann.

»Ich auch«, »ich auch«, »ich auch«, riefen andere.

»Das ist gut«, sagte Witiko, »wir haben Pferde. Ihr alle werdet unter die verteilt werden, welche den Krieg und seine Bewegungen schon kennen, daß ihr die Sache in der Art verrichten lernt, wie sie die verrichten, welche schon lange dabei sind. Aber, liebe Heimatgenossen, ich darf das nicht allein tun. Lagert euch an dieser Stelle, erquickt euch, ich werde sogleich zu dem hohen Herzoge reiten, werde ihm das Vorkommnis erzählen, und werde ihn bitten, daß er euch zu meinen Männern gebe.«

»Er wird es tun, weil wir zu dir gekommen sind«, sagte der alte Mann.

»Er wird es tun«, sprach Witiko.

Darauf verlangte er sein Pferd, Jakob brachte es, er bestieg es, und schlug den Weg in der Richtung nach dem Lager des Herzogs ein.


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