Adalbert Stifter
Witiko
Adalbert Stifter

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Witiko gab mit der Hand ein Zeichen, und da es stiller geworden war, sagte er: »Männer, Leute, höret mich. Höre mich, Wenhart. Ich habe dich früher nicht gekannt; jetzt aber kenne ich dich. Es ist wahr, was du gesagt hast. Weil die Feinde von Mähren gegen Böhmen heran ziehen können, und wenn sie immer weiter zögen, und wenn sie in den Wald herein kämen, so würde das alles werden, was du in dem Kriege gesehen, und was du erzählt hast. Das müssen wir abwenden. Es ist aber nicht nötig, daß ihr die Wälder anzündet. Macht aus starkem Holze Lanzenschäfte, und befestiget die Eisenspitzen daran, richtet Keulen und Hämmer, schmiedet Schwerter, und nähet aus dickem Tuche die Streitgewänder. Zugleich aber übet euch, in festem Zusammenschlusse zu stehen, zu gehen, und vorwärts zu dringen. Daß ihr nicht zurückweichet, weiß ich ohnehin.«

»Nein, wir weichen nicht«, rief der goldblonde Jüngling.

»So lasse Witiko sprechen«, schrie Wenhart.

»Und die Pferde haben«, sagte Witiko, »die sollen fleißig reiten, daß sie und die Pferde es gewöhnen. Und wenn dann der Herzog Wladislaw ruft, und wenn er gegen die Feinde nach Mähren zieht, so gesellet euch zu dem Heere, und macht Gebrauch von den Dingen, die ihr vorbereitet habt. Und wenn ihr es wollet, daß ich euch geleite, und daß ich euch einige Ratschläge gebe, so werde ich es gerne tun, und werde bei euch sein wie im vorigen Frühlinge, wenn es der Herzog nicht anders gebietet. Und Gott und die Heiligen im Himmel werden das Rechte beschützen, ihr werdet mit Wladislaw siegen, und der Wald wird unser bleiben, und er wird Vergeltung erhalten.«

»Gott und die Heiligen werden uns schützen«, riefen mehrere Frauen.

»Unterbrecht Witiko nicht«, rief Wenhart.

»Und der Herzog, der Herr des Waldes«, sprach Witiko, »wird euch nicht bedrücken, die ihr ihm geholfen habt, und wird euch keinen Bedrücker senden. Ich strebe nicht darnach, daß ich Untertanen in dem Walde habe. Wenn es mein Glück fügt, werde ich in dem Walde wohnen, werde dort arbeiten, und mich meiner Arbeit freuen.«

»Witiko ist ein Mann«, schrie die alte Susanna.

»Witiko ist ein Mann«, riefen mehrere Mädchen.

»Ja, er ist es«, rief ein alter Bauer, »aber mischt euch nicht ein.«

»Witiko, ich bringe dir den Bundestrunk«, sagte ein Mann, der eine Lammshaube und einen Lammspelz hatte.

Er reichte Witiko seinen Krug hin.

»Ich nehme den Trunk an«, sagte Witiko.

Er faßte den Krug, und trank ein wenig daraus.

»Witiko, ich bringe dir den Trunk«, sagte ein anderer.

Witiko tat wieder Bescheid.

»Ich bringe dir den Trunk, Witiko«, riefen mehrere.

Und so riefen endlich alle.

Witiko faßte den Krug eines jeden, und nippte daraus.

Jetzt trat Raimund in die Stube, und mit ihm war Jakob, der Knecht Huldriks, der von dem Wangetschlage in die untere Moldau herauf gekommen war.

Mehrere von den Gästen boten den zwei Männern den Grußtrunk an, und er ward von ihnen angenommen.

»Setzet euch zu uns an den Tisch, es ist noch Platz«, sagte der Mann mit den starken Händen.

Und die Männer rückten etwas näher an einander, und Jakob und Raimund setzten sich an den Tisch.

Und die Tochter des Schenken brachte ihnen einen Krug mit Bier.

Jetzt erhob sich ein Mann von seinem Sitze, der in Lämmerfelle gekleidet war, reichte Witiko die Hand, und sprach: »Ich bin der Richter von dem schwarzen Bache, und wir werden schon so tun, wie du gesagt hast.«

»Und wir werden zu der Heiligen Jungfrau an dem braunen Steine und an dem kalten Wasser der Alsch beten«, sagte eine alte Frau.

Der Richter von dem schwarzen Bache setzte sich wieder nieder.

Ein anderer Mann aber sagte: »Ich bin der Richter von der Mugrauer Heide, und ich gedenke, daß wir uns vorbereiten werden.«

»Die in Stuben werden nicht fehlen, wie die Weissagungen sind«, sagte wieder ein anderer Mann.

»Und wir haben auch Bäume und Lammswolle und Schmieden«, sagte einer.

»Der Rat ist überall ein gutes Ding, wenn man ihn vernünftig befolget«, sprach ein anderer.

»Rat befolgen oder nicht, jeder rät sich selber. Die in der Steinleithe und in den Waldhäusern des Heurafels sind auch immer Männer gewesen«, sagte einer mit rötlichen Haaren.

»Und die vom Rathschlage haben ihren Nachbarn stets geholfen«, sagte ein sehr alter Mann, der ganz weiße Haare hatte.

»Ja, da wir in den Stubnerhäusern das große Feuer hatten, sind alle gekommen«, sagte ein anderer.

»Und die alten Leute, die vor Zeiten gelebt haben, sind auch nicht Toren gewesen«, rief jetzt eine sehr alte Frau, welche neben Susanna am unteren Ende des Tisches saß, »wenn die Fässer um Mitternacht in dem Mönchgraben daher rollten, und sehr schwarz waren, und immer größer wurden, wenn der Kiebitz in den Mooswiesen schrie, wenn in dem Scheine des Vollmondes nach dem Tage des heiligen Bartholomäus der Wassermann auf dem Rande des Moldauufers saß, und sich seine grünen Haare kämmte, wenn der Tule von Plan den schwarzen Mann von dem Hammer bis zu den Badehäusern tragen mußte, wenn man immer ein Weinen hörte, und die Hunde sich nicht aus den Häusern getrauten, so waren das Zeichen, und auf die Zeichen muß man achten, und die Zeichen werden wieder kommen, und es sind seltsame Dinge geschehen, der alte Wossic in Wodnian, der auf der Zupanei sitzt, und alles hat, was sich ein Mensch wünschen kann, hat einen Vorfahrer gehabt, der Holzschuhe gemacht hat, und der alte Lubomir, der in Daudleb ist, stammt auch von einem Manne, der Pech gesammelt hat, und mit dem Herzoge Samo in den Krieg gezogen ist, und dann eine weiße Reigerfeder und einen goldenen Gürtel getragen hat. In dem Hause des gelben Melchior an dem hinteren Glöckelberge ist schon ein hölzerner Löffel von dem Ofensimse, auf dem er trocknen sollte, freiwillig in die Stube gesprungen, und in dem Bufferwalde hat sich eine Buche in der Richtung, wohin Mähren liegt, weggebogen, und hat sich gegen uns herein geneigt.«

»Die Jünglinge und die Männer und die alten Männer sollen nur tun, was in der Möglichkeit ist«, schrie die alte Susanna, »und dann wird jedes Ding recht werden. In unsern Zeiten haben sie sich vor nichts gefürchtet, und werden sich auch jetzt vor nichts fürchten. Wir werden für sie die Raben zählen, und in die Abendröte schauen, und die Mädchen sollen für sie beten, und ihnen rote Bänder ziehen, wenn sie heimkehren, und sie sollen fremde Sachen bringen, und wir haben niemanden nötig, der so ist wie der alte Wossic in Wodnian und der alte Lubomir in Daudleb.«

»Wohin liegt denn Mähren?« fragte eine Frau in dem mittleren Alter, welche neben dem Manne mit dem groben Rocke saß.

»Da mußt du gegen den neuen Kirchenschlag gehen, Azela«, sagte der Richter von der Mugrauer Heide, »und dann durch den Wald immer fort, bis du in den Wetternhof kömmst, wo Diet ist, und dann gegen die krumme Au, und dann gegen Daudleb, wo kein Wald mehr ist, und dann ist eine Zupe, die Chynow heißt, wohl einen Tag hättest du zu gehen, da die Morgensonne an deiner rechten Hand ist, und dann hättest du gegen die Morgensonne zu gehen, wohl einen Tag oder zwei, und dann kämest du an das Land Mähren.«

»Ist es fruchtbar?« fragte der Mann mit dem groben Rocke.

»Wohl fruchtbarer als du denkst«, sagte der alte Wenhart von der Friedau. »Jetzt sind die Fürsten dort, die von unserem Herzogsgeschlechte abstammen, und es muß uns dienen. Aber einmal ist es ein starkes Reich gewesen, es ist Swatopluk dort gewesen, aber nicht der Swatopluk, mit dem ich in den Krieg gezogen bin.«

Als er diese Worte gesprochen hatte, stand ein Mann auf, welcher eine weiße Lammshaube und einen weißen Lammspelz trug, und lederne Beinbekleidungen und starke Stiefel hatte. Der Mann sprach: »Leute, ich muß euch etwas sagen. Mein Weg ist der weiteste. Ich muß noch bis gegen den Kienberg in mein Steinhauerhaus hinab, und muß jetzt fortgehen, und mein Bruder auch. Wir sind in Bayern im Aigen wegen der großen Wasserkufe gewesen. Der Krämer, der mit dem zweirädrigen Wagen fährt, vom Hauzenberge, vom Breitenberge, vom Berge des heiligen Ulrich, und da herum, hat uns erzählt, ehe wir durch den Wald der Schönebene heraus gingen, wie es in Mähren ist. Der Herzog Wratislaw von Brünn ist ein entsetzlicher Mensch. Er wirft alle nieder, die sich ihm widersetzen. Den hochehrwürdigen Bischof Zdik von Olmütz haben sie erschlagen wollen, und ein Zuber voll von Edelsteinen hätte ihn nicht erretten können, wenn er nicht zu dem hochehrwürdigen Bischofe von Passau geflohen wäre. Gehabet euch wohl, ich muß mich sehr sputen. Was ist meine Schuldigkeit, Lukas?«

»Dreizehn Pfennige«, sagte der Schenke.

»Hier sind dreizehn Pfennige«, sagte der Mann, »lebet wohl.«

»Lebe wohl, Andreas«, sagte der Richter von dem schwarzen Bache, »bringe den Leuten an der weiteren Moldau unten im Walde unsern Gruß.«

»Ich werde ihn bringen«, antwortete der Mann.

»Lebe wohl«, riefen mehrere.

»Lebt wohl«, sagte der Mann.

Und er ging mit dem, der neben ihm gesessen war, von der Bank zwischen den Männern und dem Tische heraus, näherte sich der Tür, und entfernte sich mit seinem Genossen durch dieselbe.

Als dieses geschehen war, sagte der Richter von der Mugrauer Heide: »Es wird Zeit sein, daß wir auch unsern Weg antreten, wir haben zwei Stunden zu gehen, und auf dem Schneepfade wohl noch mehr. Es ist wahr von dem hochehrwürdigen Bischofe, das sind schwere Zeiten, er tut in einem groben Gewande Buße in Passau.«

»In der Kirche ist er in großem Schmucke«, sagte ein Mann.

»Das muß sein, des Gottesdienstes willen«, antwortete ein anderer.

»Und dann gehen wir auch gleich mit«, sagte der Richter von dem schwarzen Bache, »weil ihr ohnehin über den schwarzen Bach geht, und durch Reden die Zeit kürzer wird.«

»Wir gehen über den schwarzen Bach, und geht mit«, sagte der Richter von der Mugrauer Heide.

»Dann gehen auch die vom Eckschlage mit, weil sie in euerem Wege sind«, sagte ein Mann.

»Sie können mitgehen«, sagte der Richter vom schwarzen Bache.

Und mehrere Männer zahlten dem Schenken, was sie für ihre und der Ihrigen Zehrung schuldig geworden waren, und dann verabschiedeten sich Männer und Frauen, die von der Mugrauer Heide waren, und die vom schwarzen Bache waren, und die vom Eckschlage waren, und verließen die Stube.

»Wir von der Steinleithe haben einen noch weiteren Weg, und gehen doch noch nicht fort«, sagte der mit den rötlichen Haaren.

»Aber wir gehen«, sagte Wenhart von der Friedau, »Witiko, gehabe dich wohl, und denke unserer Sache.«

»Ich werde denken«, antwortete Witiko, »und gedenke du auch.«

»Ich vergesse nicht«, sagte Wenhart.

Darauf bezahlte er seine Schuld, und ging mit einigen Männern und einer Frau und einem Mädchen fort.

Es gingen dann noch mehrere fort, und die alte Susanna und die alte Frau, welche von den Zeichen gesprochen hatte, gingen fort.

Andere Menschen kamen wieder, und setzten sich an einen Tisch.

Endlich gingen auch die von der Steinleithe ihres Weges, und es waren nur noch wenige Männer da, und darunter waren solche, deren Heimat in der unteren Moldau selber war.

Witiko erhob sich von seinem Sitze, und ging zu einem Fenster.

Der Knecht Jakob folgte ihm.

»Du bist also doch heute wieder herauf gekommen«, sagte Witiko.

»Euer Verweser Huldrik sagt, daß es sich ziemt, daß er mich alle Tage, die Ihr in der Herberge seid, zu Euch schickt, ob Ihr nichts befehlet«, antwortete Jakob.

»Ja, ich befehle etwas«, sagte Witiko, »melde Huldrik, daß er niemanden mehr herauf schickt, ich werde selber bald in den Wangetschlag kommen.«

»Ich werde es vermelden«, sagte Jakob.

»Und nun gehe«, sprach Witiko.

»Ich gehe, und gehabt Euch wohl«, antwortete Jakob.

»Gehabe dich wohl, und grüße Huldrik«, sagte Witiko.

»Ich werde es tun«, entgegnete Jakob.

Darauf reichte er an Raimund seine Hand, verließ die Stube, und begab sich auf seinen Weg nach dem Wangetschlage.

Witiko aber ging von der Herbergstube in seine Kammer.

Als der Morgen des anderen Tages gekommen war, untersuchte er den Weg, der von der unteren Moldau durch den Wald zu der Stelle des heiligen Thomas empor führte. Der Pfad war nirgends zu erkennen. Der Schnee war hoch über ihn gebreitet, wie er über alle andern Gründe gebreitet war.

Dann untersuchte er die anderen Wege, welche in verschiedenen Richtungen von der unteren Moldau durch den Wald nach abwärts führten.

Nun begannen die Männer in der unteren Moldau und im Rathschlage und im Reutschlage und an dem schwarzen Bache und auf der Mugrauer Heide und in Friedberg und in der Friedau und in der Steinleithe und gegen die Waldhäuser des Heurafels und weiter hinab aus Eschen oder Ahornen oder anderem zähen Holze Lanzenschäfte und Keulen zu machen, Lanzenspitzen und Schwerter zu schmieden, Riemzeug zu schneiden, Bogen und Armbruste, Pfeile und Bolzen zurecht zu richten, Stiefel zu machen, aus Filz und aus Wolltuche Hauben und Gewänder zu nähen, und auf Pferden, wo sie vorhanden waren, zu reiten.

Als diese Dinge geschahen, bestieg Witiko in der Herberge der unteren Moldau sein Pferd, und ritt mit Raimund in den Wangetschlag.

Dort ritt er gegen sein Häuschen. Auf dem flachen Dache lag der Schnee, und man konnte es von dem Schnee in den Gefilden kaum unterscheiden. Ein dünner blauer Rauch ging von dem Schornsteine empor.

Als die zwei Männer an dem Häuschen angekommen waren, standen Huldrik und Jakob und Regina vor dem Tore, sie zu empfangen.

»Wir haben nach Euch ausgeschaut«, sagte Huldrik, »und haben Euch kommen gesehen. Weil Ihr die Gebühr, daß ich nach Euern Befehlen fragen lasse, verboten habt, konnten wir den Tag Eurer Ankunft nicht wissen. Seid gegrüßet, Witiko. Ihr seid in dem Kriege gewesen, Ihr seid in mehreren Ländern gewesen, und müsset wieder zu Euerem Hause in den Wangetschlag kommen.«

»Ich bin gekommen, dich wieder zu sehen, und die Unsrigen hier zu sehen, und unser Haus zu sehen«, sagte Witiko.

»Ihr seid gekommen, weil es so ist«, entgegnete Huldrik, »und ich habe schon Sorge getragen, daß Eure Pferde in einen guten Stand gelangen, so wie das Pferd Jakobs, das er im Kriege erhalten hat, auf einem guten Stande ist. Wir haben dieses Jahr an dem Gelasse gemauert. Stützet Euch nur auf mich, Witiko, daß Ihr bei dem Absteigen nicht auf dem Eise gleitet, wohin Regina immer das Spülwasser gießt.«

»Ich werde mich nicht auf dich stützen«, sagte Witiko, »sondern es trete Jakob herzu.«

»Jakob, diene dem Herrn«, rief Huldrik, »ich aber werde den Zügel halten.«

Jakob ging an die Seite Witikos, um ihm zu helfen; Huldrik aber faßte den Zügel des Pferdes.

Witiko stieg mit einem leichten Tritte von dem Pferde, und stand auf dem glatten Boden des Eises.

Raimund stieg auch von seinem Pferde.

»Nun führet die Pferde durch das Tor hinein«, sagte Huldrik, »aber haltet euch rechts, daß die Eiszapfen des Daches die Sättel nicht streifen.«

Raimund und Jakob führten die Pferde durch das Tor in den Hof. Witiko ging nicht durch die Tür in das Haus, sondern folgte den Pferden. In dem Hofe wurden die Pferde gegen einen Zubau geführt, der an den Stall angefügt worden war.

Witiko sah, daß vier Pferde in diesem Raume stehen konnten.

»Es ist gut, Huldrik«, sagte er, »daß du diese Sorgfalt getroffen hast.«

»Es mußte für diese Zeit Sorge getragen werden, bis alles fertig ist, und sich alles vollendet«, erwiderte Huldrik.

Sie brachten die Pferde in den Stall, und begannen, sie zu versorgen.

Dann ging Witiko in die Stube.


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