Adalbert Stifter
Witiko
Adalbert Stifter

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Am nächsten Morgen sendete Witiko Kuto zurück, und sagte dem Knechte Raimund, daß er sich rüste, ihm und dem Manne in dem braunen Gewande zu folgen. Da alles in Bereitschaft war, und da die Männer die warme Milch, welche Witiko hatte bereiten lassen, getrunken hatten, bestiegen sie ihre Pferde. Raimund war in das grobe graue Gewand gekleidet, das man in der Gegend hatte, trug eine kurze Wurflanze in der Hand, und hatte ein kleines Beil in die Schleife seines Sattels gesteckt. Sie ritten nun auf dem Wege gegen den Wald des heiligen Thomas, und nach kurzer Frist lenkte Witiko von dem Wege gegen mittagwärts. Sie kamen bald an das Ufer der Moldau, und durchritten das Wasser, das an dieser Stelle seicht war, und ritten jenseits im Sumpfgrunde auf einem festen Riegel einem rauschenden Bache entgegen. Sie kamen in den dichten Wald der Glöckelberge, ritten in ihm drei Stunden lang fort, und gelangten dann zu dem Berge des heiligen Ulrich hinunter. Dort hielten sie Mittagruhe und Mittagpflege in den Gefilden des bayrischen Herzoglandes. Nach zwei Stunden Rast ritten sie in der Richtung zwischen Abend und Mitternacht an dem Wasser der entgegen kommenden Mihel weiter, und da noch die Sonne hoch am Himmel stand, bogen sie wieder von der Mihel gegen Mitternacht, und ritten dem Hause zu, in dessen Nähe Witiko an einem Sonntage das Mädchen Bertha mit Waldrosen bekränzt gefunden hatte, und wo er als Gast aufgenommen worden war.

Die Männer ritten an das Tor des Hauses. In dem Tore öffnete sich ein Schubfach, und das Haupt eines Knechtes sah heraus. Dann schloß der Knecht das Fach, und öffnete das Tor. Unter dem Bogen des Tores stand Heinrich, und sagte zu Witiko: »Seid gegrüßt. Es ist gut von Euch, daß Ihr auf meine Einladung nicht vergessen habt, und wieder einmal in mein Haus gekommen seid. Ihr werdet mit den Eurigen freundlich in demselben aufgenommen.«

»Ich danke Euch«, entgegnete Witiko, »wir bitten nur um Raum zu einer kurzen Rast für heute, um etwas Nahrung für uns und unsere Pferde und um eine Herberge für die Nacht. Mit dem frühen Morgen werden wir unsern Weg wieder betreten.«

»Wie es Euch gefällt, und wie Ihr in Absicht habt«, entgegnete Heinrich, »es wäre ein Unrecht, den Gast zu zwingen, länger zu bleiben, als er will, er wisse nur, daß er gerne begrüßt wird.«

»Ich danke Euch für Eure Gesinnungen«, sagte Witiko.

»So reitet ein«, antwortete Heinrich.

Nach diesen Worten trat er seitwärts, und Witiko ritt mit seinen Gefährten in den Hof. Dort stiegen sie von den Pferden. Der Knecht, welcher das Tor geöffnet hatte, und ein anderer, welcher herbei gekommen war, nahmen die Pferde, und führten sie in den Stall. Heinrich geleitete Witiko gegen eine Tür, die von dem Hofe in das Gebäude ging, die zwei andern folgten. Als sie an der Tür angelangt waren, sah Witiko, daß von ihr mehrere Stufen empor führten. Er stieg mit seinem Gastherrn die Stufen hinan. Dann gelangten sie in einen Gang, in dessen Mitte ein Fallgitter war, unter welchem sie hindurch gingen. Dann kamen sie an eine Tür. Heinrich öffnete sie, und ließ die Männer in ein Gelaß, welches aus zwei Gemächern bestand, und Geräte und Betten hatte.

»Hier haltet Rast und Herberge, Witiko«, sagte Heinrich, »Ihr seid von allem Geräusche entfernt. Und wenn es Euch dann genehm sein wird, so kommt zu meiner Haufrau, sie zu begrüßen.«

»Ich werde bald kommen«, entgegnete Witiko, »sagt der hohen Frau indes meine Ehrerbietung.«

»Ich werde es tun«, antwortete Heinrich, »und gehabt euch wohl.«

»Gehabt Euch wohl«, sagte Witiko.

Heinrich verließ die Gemächer.

Die drei Männer standen nun in dem Raume, der ihnen angewiesen worden war.

»Ich werde nach den Pferden sehen«, sagte Raimund.

»Tue das«, entgegnete Witiko, »ich werde dir sogleich folgen.«

Raimund ging fort, der Mann in dem braunen Gewande setzte sich auf ein Gesiedel, das in einer Ecke stand, und Witiko verließ nun auch das Gemach.

Als er in den Hof kam, sah er dort den Knecht, welcher das Tor geöffnet hatte.

Der Knecht näherte sich ihm, und sagte: »Das ist sehr gut, daß Ihr gekommen seid, das ist sehr gut.«

»Es kann gut sein«, sagte Witiko, »und es freut mich, daß du das sagst.«

»Und das schöne Pferd habt Ihr auch noch, das bei den Köhlern gestanden ist«, sagte der Knecht, »und Ihr werdet wieder zu ihm gehen, wie damals.«

»Das werde ich tun«, antwortete Witiko, »wie heißest du denn?«

»Hando«, erwiderte der Mann.

»Nun, Hando«, entgegnete Witiko, »du wirst mir wohl behilflich sein, wenn ich etwas brauche.«

»Es ist der Befehl des Herrn, daß ich bei den Pferden bleibe«, sagte Hando, »ich glaube, daß Euer Pferd sehr rechtschaffen sein wird.«

»Es ist schon rechtschaffen gewesen, und wird wieder rechtschaffen sein«, sagte Witiko.

Nach diesen Worten ging Witiko von dem Knechte in den Stall. Er sah, daß die Pferde gut eingestellt und mit Decken versorgt worden waren. Er sagte Raimund noch genauer, was er tun solle, streichelte sein graues Pferd, und ging dann fort. Er ging über den Hof, und suchte den Saal, in welchem er einst von Heinrich empfangen worden war, und in welchem man das Mittagmahl eingenommen hatte. Er kam in den Saal. Der Saal war gerade so wie damals, er hatte die Tische, die Waffen, und an einem Fensterpfeiler hing auf einem Nagel ein Kopfgoldreifchen mit kleinen Öffnungen. Es war aber niemand in dem Saale. Witiko ging durch eine Tür in ein weiteres Gemach. Auch dieses war leer. Als er in demselben stand, hörte er Tritte kommen, und Heinrich ging herein. Er führte Witiko durch ein zweites Gemach, das gleichfalls leer war, in ein drittes, in welchem Wiulfhilt saß. Sie stand von dem Stickrahmen auf, und ging Witiko entgegen.

»Seid willkommen, Witiko«, sagte sie.

»Ich bringe meinen ehrerbietigen Gruß«, sagte Witiko, »ich bin in Euer gastliches Haus gekommen, hohe Frau, um darin um eine Nachtherberge zu bitten.«

»Und mein Gemahl und ich gewähren sie«, entgegnete die Frau, »und würden viele Nachtherbergen gewähren.«

»Mein Weg ruft mich morgen wieder weiter«, entgegnete Witiko.

»So genießet heute, was unser Haus vermag«, sagte Wiulfhilt.

Nach diesen Worten ging sie zu ihrem Sitze, und lud Witiko ein, sich auch nieder zu setzen.

Er tat es. Heinrich setzte sich auch.

Wiulfhilt richtete ihre blauen Augen auf Witiko, und sagte: »Ihr seid vier Jahre nicht in unserem Hause gewesen.«

»Ich habe oft an dasselbe gedacht«, entgegnete er.

»Dann gebt Ihr jenen Stunden, die Ihr da waret, ein gutes Gedächtnis«, sagte Wiulfhilt.

»Oft denkt man weniger Stunden, und vergißt vieler«, antwortete Witiko.

»Ja, so ist es«, entgegnete Wiulfhilt, »und wie Ihr in jener Zeit nicht einmal eine Nacht unter unserem Dache geblieben seid, so wollt Ihr heute auch wieder nur nach einer Nacht weiter.«

»Es hat sich alles gefügt«, sagte Witiko, »und fügt sich jetzt auch wieder.«

»Nun, so gehorcht Eurer Fügung, und möge sie immer eine günstige sein«, erwiderte die Frau.

»Es wechselt das Gute mit dem Übeln«, sagte Witiko.

»Und mit dem Ehrenvollen«, entgegnete Wiulfhilt, »Ihr seid lange bei dem böhmischen Herzoge Sobeslaw gewesen, und seid von ihm zu dem Landtage geschickt worden.«

»Ich bin ein Jahr in Böhmen gewesen, da Sobeslaw herrschte, und nur wenige Tage bei ihm, da er sich zum Sterben rüstete«, sagte Witiko, »und es ist kein Landtag gewesen, zu dem ich gegangen bin, erhabene Frau, sondern eine freiwillige Versammlung der Herren der Länder Böhmen und Mähren, um für das Sterben Sobeslaws einen Nachfolger zu wählen, obgleich sie schon dem Sohne Sobeslaws den Eid geleistet hatten. Ich bin auch nicht zu der Versammlung geschickt worden, sondern Sobeslaw, der mir traute, wollte nur wissen, was in seiner Krankheit geschehe. Ich bin selber in die Versammlung gegangen.«

»Und Ihr habt dort geredet«, sagte Wiulfhilt.

»Und sie haben mich ihren Beratungen und Beschlüssen zuhören lassen«, antwortete Witiko.

»Seid Ihr bei dem Tode Sobeslaws gewesen?« fragte Heinrich.

»Ich habe ihn sterben gesehen«, antwortete Witiko.

»Er hat sich dem Hohenstaufen Konrad verbündet, und ist ein Feind unseres verstorbenen Herzoges Heinrich gewesen«, sagte Heinrich, »aber ich habe ihn doch geehrt, und habe es ihm gezeigt, wenn ich ihn gesehen habe.«

»Habt Ihr seine Adelheid gesehen, Witiko?« fragte Wiulfhilt.

»Ich habe mit ihr gesprochen, und sie hat mir die Geschenke des Herzogs für meinen Dienst gegeben«, antwortete Witiko.

»Wie hat sie den Tod ihres Gemahles ertragen?« fragte Wiulfhilt.

»Sie hat für ihn gebetet, und ist in Trauer gestorben«, sagte Witiko.

»Wir haben davon gehört«, entgegnete Wiulfhilt; »ist für ihre Kinder gesorgt worden?«

»Der Herzog Wladislaw ist ehrfurchtvoll gegen Adelheid gewesen«, sagte Witiko, »er ist großmütig gegen ihre Kinder, und er wird selbst gegen den aufständigen Wladislaw nicht hart sein.«

»Ihr seid, da auf dem Herzogstuhle gewechselt worden, lange in dem oberen Plane gewesen, Witiko«, sagte Wiulfhilt.

»Da ist eine traurige Zeit verflossen«, entgegnete Witiko, »ich wollte dem neuen Herzoge nicht dienen, und bin in dem kleinen Hause geblieben, das wir in Plan besitzen. Ich habe nur mit den Waldleuten geredet und einmal mit einem alten Zupane und zwei kleinen Herren des Landes, ich habe meine Mutter nicht gesucht, und konnte nichts tun, als was ein Knecht bei einem kleinen Hausverwalter tut.«

»Ihr habt Euch aber dann dem Herzoge Wladislaw zugewendet«, sagte Heinrich.

»Da der andere Wladislaw, der Sohn Sobeslaws, sein Recht aufgegeben hatte, bin ich im Gedächtnisse der Sterbeworte Sobeslaws, die seinem Sohne die Unterwerfung an Wladislaw angeraten hatten, zu dem Herzoge gegangen.«

»Und Ihr seid in der Schlacht gegen die Mährer und bei den anderen Kämpfen gewesen«, sagte Heinrich.

»Nicht bei allen, da ich anderwärts hin befohlen wurde«, antwortete Witiko.

»Wladislaw ist der Sohn des Herzoges Wladislaw, der ein starkmütiger Mann gewesen ist, und er ist der Neffe des Herzoges Sobeslaw, der auch ein starkmütiger Mann gewesen ist, und er wird selber starkmütig sein«, sagte Heinrich.

»Gegen mich ist er gut und freundlich gewesen«, sagte Witiko.

»Es wäre ersprießlich, wenn auch in unserem Herzogtume Bayern alles geordnet würde«, sprach Heinrich, »es haben in den Kämpfen viele Männer, denen noch eine lange Zeit auf der Erde bevor stand, das Leben verloren, andere haben auch sonst ihr Ende gefunden. Unser hochsinniger Herzog Heinrich, der zwischen den Meeren gebot, und dem der Kaisermantel gebührte, ist aus der Welt gegangen, Richenza, die Witwe des Kaisers Lothar, die als Heldin bei den Sachsen stand, ist in das Grab gestiegen, und Leopold, der Markgraf von Österreich, den der König Konrad mit dem Herzogtume Bayern belehnt hatte, und der sich dieses Herzogtum mit allen Kräften erstreiten wollte, liegt in der Erde. Und Adalbert, der Erzbischof von Mainz, der dem Könige Konrad so feindlich gewesen ist, mußte von hinnen. Jetzt vermählen sie die Witwe unseres hohen verstorbenen Herzoges dem feindlichen Geschlechte, Heinrich, dem Bruder Leopolds, dem Markgrafen von Österreich. Das Söhnlein unsers mutvollen Herzoges belohnten sie mit Sachsen, und Bayern behält der König Konrad noch für einen Ergebenen in der Hand. So meinen sie es geendiget zu haben. Aber es wird wieder auferstehen, und mancher Mann, nachdem er in vielen Ländern und Kämpfen gewesen ist, kann sich den Sitz der Ruhe nicht gründen, indes die besten Jahre dahin gehen.«

»Tragen wir es«, sagte Wiulfhilt, »Gott kann alles fügen, und kann uns Freuden bereiten, die wir gar nicht vermutet haben.«

»So füge er es«, antwortete Heinrich, »und füge es bald. Ihr habt Euch bei den Leuten Vertrauen erworben, die in dem Walde wohnen, Witiko.«

»Ich liebe das lange und breite Waldesband und seine Leute«, sagte Witiko.

»Im Walde stehen noch viele Dinge bevor«, sagte Heinrich, »beachtet sie, Witiko.«

»Ich suche nach dem Rechten zu streben, so wie ich es verstehe«, sagte Witiko.

»Tut immer so, dann könnt Ihr manches erreichen«, entgegnete Heinrich.

»Ihr seid in den Jahren, die wir Euch nicht gesehen haben, viel stattlicher geworden, Witiko«, sprach Wiulfhilt.

»Die Jugend ändert sich schnell«, sagte Heinrich, »in späteren Zeiten ist man oft Jahre lang gleich.«

»Ihr scheint mir auch wirklich wie damals, hochedle Frau«, sagte Witiko, »selbst die Haare tragt Ihr wieder im Goldnetze.«

»Das ist so die Gewohnheit«, sagte Wiulfhilt, »habt Ihr Euch das gemerkt?«

»Es ist so, als wäre seit jenen Tagen keine Zeit vergangen«, sagte Witiko.

»Nun, wenn Ihr wieder nach mehreren Jahren erst abermals hieher kommt«, sprach Heinrich, »möget Ihr uns dann auch als die gleichen und nicht älter sehen als heute.«

»Oder mögen alle Verwirrungen enden, und möget Ihr bald wieder zu uns kommen, und länger bleiben«, sagte Wiulfhilt.

»Wenn ich den freundlichen Empfang wie die zwei Male erwarten darf, werde ich wiederkommen«, antwortete Witiko.

»Der Empfang wird immer gut sein«, erwiderte Heinrich.

»Ich habe Euch, erhabene Frau, den Ankunftsgruß gebracht«, sagte Witiko, »und Eure Zeit genommen. Erlaubet, daß ich Euch nun verlasse.«

Mit diesen Worten stand er von seinem Sitze auf.

Wiulfhilt sagte: »Nehmt noch einmal das Willkommen, und handelt bei uns nach Euerm Gefallen.«

»Gebraucht Eure Zeit nun für Euch, Witiko«, sagte Heinrich, »und seid gedenk, daß Ihr, wenn die Glocke schallt, mit den Eurigen zum Abendessen kommt.«

»Ich werde folgen«, antwortete Witiko.

Er verließ hierauf das Gemach.

Er ging jetzt wieder in die Kammern, die ihm zur Herberge angewiesen worden waren. Dort standen auf einem Tische Speisen und Wein; aber es saß niemand vor ihnen. Raimund war nicht da. Der Mann in dem braunen Gewande lag angekleidet auf einem Bette, und schlief.

Witiko verließ nun auch die Gemächer wieder.


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