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Wir waren nun wirklich auf dem Weg, den wir verfolgen mußten und kaum verfehlen konnten, wenn wir nicht vorsätzlich die Augen schlossen. Und wir verfolgten diesen Weg mit einer Freude und Lust, die unserm ganzen Wesen einen neuen Antrieb verlieh. Diesen Antrieb, diese freudig frohe Tätigkeit hätten wir nicht mit dem glänzendsten Hofleben vertauscht.

Und in der Tat, wer sein Leben fortwährend nur in überzivilisierter, höherer Gesellschaft zugebracht, auf jedem seiner Tritte beschützt, bewacht, jedem seiner Wünsche zuvorgekommen, so gleichsam auf den Sprungfedern der bürgerlichen Gesellschaft getragen, wer so gelebt und seine eigene Kraft nie versucht hat, der kann sich unmöglich das reine Vergnügen und das Entzücken vorstellen, die das Erschaffen einer eigenen Existenz gewährt. Wenn die Werke unserer Hand allmählich vor uns erstehen, werden wir uns auf einmal neuer Kräfte bewußt, die so lange geschlummert, uns selbst unbekannt waren. Es liegt ein wunderbarer Reiz in diesem Gefühl erwachender Kräfte!

Wir genossen dieses Entzücken in langen Zügen, und wahrlich, es machte uns diese ersten Jahre in Louisiana zu den glücklichsten unseres Lebens. Trotz der vielfältigen und mitunter großen Schwierigkeiten, mit denen wir zu kämpfen hatten, trotz der nimmer endenden Arbeiten, die allerseits unser warteten. Aber diese Squatters hatten uns, wie gesagt, zum Bewußtsein unserer Kräfte gebracht, uns auf den Weg getan.

Von dem Haus standen zwar bloß erst die hölzernen Wände, die die Squatters aufgeblockt, ohne Dach, Fenster, Kamin, Fußboden. Für alles dieses mußten wir erst sorgen. Aber diese Sorgen waren nun vergleichsweise leicht. Akadier wurden gemietet, um uns das Dach zu decken, Amerikaner, um den Kamin aufzubauen. Fünf Meilen oberhalb von uns befand sich die Sägemühle der Gemeinde, die der Sohn des Major Gale gebaut, der zugleich Tischler, Schreiner und Zimmermann war. Mit diesem einigten wir uns, und in acht Wochen konnten wir aus unserer Hütte in das Haus einziehen und unsere Sachen endlich von den Attacapas heraufbringen lassen.

Wir selber hatten immer noch nicht die Zeit, unsere Freunde oder unsere gepachtete Pflanzung zu sehen. Wir mußten Amadée senden, der die Heraufschaffung unserer Sachen besorgte. Hauterouge hatte den Wunsch geäußert, die von uns gepachtete Pflanzung zu übernehmen. Wir traten sie ihm ab, um unsere Aufmerksamkeit ganz auf unsere neue Wirtschaft lenken zu können.

Wir dachten an nichts als an diese neue Wirtschaft. Musik, Lesen, Billard, Freunde – unsere Squatternachbarn ausgenommen –, selbst unser schönes Frankreich hatten wir vergessen und seine Leiden und Freuden. Kaum daß wir dazu kommen konnten, unseren Lieben von unserm Treiben Nachricht zu geben.

Unsere liebste Unterhaltung war, abends die Arbeiten des Tages zu besprechen. Was wir getan, wie wir es getan, jeder Baum, den wir gefällt, jeder Zaunriegel, den wir gelegt, wie wir ihn gelegt, alles das wurde erörtert. Ich erinnere mich noch bei einer Gelegenheit, wo wir zehn bis fünfzehn Akadier gedungen hatten, um Zaunriegel für unsere Felder zu spalten, mit welcher Umständlichkeit wir die Geschichte einer seltsam geformten Zypresse, die wir gefällt, besprachen. Wir hatten beide einen halben Tag damit zugebracht, den sieben Fuß im Durchmesser haltenden Stamm zu fällen, und zwei Äxte zuschanden gearbeitet.

Inmitten dieser Tätigkeit überraschte es uns zugleich nicht wenig, daß wir anfingen, über Dinge, die vor und hinter uns lagen, auf eine ganz neue Weise zu reden, auf eine republikanisch amerikanische Weise zu reden, möchte ich sagen, eine Weise, die mit unserer früheren Sprache und Denkungsart auch nicht im mindesten Zusammenhang stand.

Wir begannen, die Verhältnisse des Lebens, unsere Lage und die anderer aus einem weniger ideellen, mehr realen Gesichtspunkt zu beurteilen, selbständiger zu beurteilen in dem Grad, als wir selbständiger zu werden begannen. Es ging eine ganze Revolution in unserer Gedankenwelt vor. Selbst die Verhältnisse des öffentlichen Lebens, die Politik Europas, unseres Königshauses erschienen uns aus einem ganz neuen Gesichtspunkt. Unsere Kavaliersansichten verloren sich in die Vogelschau.

Es war ein psychologisches Wunder und desto unerklärbarer, da wir über diese Gegenstände kaum je mit unsern Squatternachbarn gesprochen, unsere Gedanken daher ohne fremde Einwirkung entstanden waren. Es schien uns, als wären wir aus einem langen Traum erwacht, der Kindheit, dem Leitband entwachsen, das uns bisher hin und her gegängelt hatte.

Auch in bezug auf die Schwarzen erlitten unsere Ansichten eine starke Revolution. Wir hatten unser Haus endlich so ziemlich eingerichtet, die Felder mit Zäunen umgeben, unsere Zimmer zum Teil möbliert, die Vorplätze herzustellen angefangen. Alles das hatten wir und unsere Diener mit Beihilfe unserer Squatternachbarn und einiger der tätigeren jungen Akadier getan. Noch hatte kein Schwarzer Hand an irgend etwas in unserm Hause gelegt.

Wir wünschten uns Glück zu diesem Umstand, aber wir begannen zugleich zu fühlen, daß wir dessen ungeachtet ohne diesen Fluch in Louisiana nicht würden bestehen können. Wir konnten uns wohl für eine Weile dem Sklavenhalten entziehen, unsere Felder durch Weiße bearbeiten lassen, aber für die Dauer, das sahen wir ein, war dies unmöglich. Trotz aller Opfer, die ein solcher Versuch uns kosten mußte, würden wir uns nur zugrunde richten, ohne der schwarzen Rasse auch nur die mindeste Erleichterung verschafft zu haben. Wenn wir dagegen Sklaven hielten, konnten wir nicht nur ihre Lage verbessern, sondern auch durch unser Beispiel und bürgerlichen Einfluß auf die bessere Behandlung aller übrigen vorteilhaft einwirken.

Es gibt Übel, deren schlimmen Einfluß wir nicht dadurch vermeiden, daß wir ihnen aus dem Wege gehen, sondern einzig und allein durch ein kräftiges Kämpfen, Ringen mit ihnen. Ein solches Übel ist die in den südlichen Teilen der Union eingeführte Sklaverei. Ist ein Prinzip einmal zugelassen, so steht es in keines einzelnen Menschen Gewalt mehr, ihm Folge zu leisten oder sich zu versagen – er muß mit dem Strom schwimmen. Nur durch Ableitung des Stromes läßt sich dieser und mit ihm das Übel verringern.

Diese Wahrheiten fingen damals an, bei uns zu dämmern, obwohl wir Sklaven zu kaufen oder zu halten noch immer für etwas Gräßliches hielten und jede Berührung damit so lange wie nur möglich vermeiden wollten. Der Zufall entschied auch über diese Skrupel.

Unsere werdende Pflanzung war so weit in Ordnung, daß wir endlich an die so lange hinausgeschobene Reise nach der Hauptstadt denken konnten. Eigentlich hätten wir diese vor unserer Ansiedlung unternehmen sollen, hätten wir schon lange dem Gouverneur und den übrigen höheren Beamten unsere Aufwartung gemacht und besonders unsere Schenkungsangelegenheiten in Ordnung gebracht haben sollen. Aber das in New Orleans bis spät im November herrschende gelbe Fieber und der Drang der Geschäfte hatten uns abgehalten. Jetzt eilten wir daher um so mehr, als Lefèvre, der in meinem Regiment als Bataillonsarzt gestanden, mit Briefen von Europa angekommen war.

Wir reisten also ab, kamen glücklich in Nouvelle Orléans an, gaben unsere Empfehlungsschreiben ab und stiegen im Hause des Barons Marigny ab, eines der vornehmsten Bürger der Kolonie und von alter Familie. Er stellte uns dem Gouverneur vor, der die Gefälligkeit hatte, mir meine Schenkung an dem Fluß, an dem unser ersteigertes Land lag, und für Lassalle noch besonders eine Strecke Landes von zweitausend Arpents ausmessen zu lassen. Damals nahm man es mit diesen Schenkungen nicht sehr genau. Erst die Regierung der Vereinigten Staaten wußte den Ländereien Wert zu verleihen.

Wir hatten bald unsern lieben Lefèvre aufgefunden. Die gastfreundliche Fürsorge unseres trefflichen Marigny wies ihm ein Zimmer neben den unsrigen an. In Geschäften, Besuchen der um die Stadt liegenden Zuckerpflanzungen, Gefeiertwerden und Plaudern über das teure Frankreich und die europäischen Zustände waren uns so vierzehn Tage wie Stunden verlaufen. Wir hatten unsere Einkäufe besorgt, mehrere Zuckerpflanzungen besichtigt, die Verhältnisse der Sklaven zu ihren Gebietern kennengelernt. Wir dachten wieder an die Heimreise.

Den Tag vor unserer Abreise hatte Marigny zur Eröffnung seiner Villa an der untern Levee, beiläufig fünf Meilen unterhalb New Orleans, bestimmt. Bloß sehr wenige enge Freunde und wir mit Lefèvre waren geladen.

Wir saßen beim Nachtisch im traulichen Gespräch in einem herrlichen Gartenpavillon. Es war ein entzückender Februartag, um uns war die duftende Pflanzenwelt Louisianas, waren ganze Wälder blühender Rosen. Unser Auge konnte den gewaltigen Mississippi bis zum großen Bend, der Krümmung unterhalb New Orleans verfolgen.

Meine Aufmerksamkeit wurde durch ein Schiff angezogen, das etwa eine Meile unterhalb des Landhauses am Ufer angelegt hatte. Der Wind war plötzlich widrig geworden und hatte es gezwungen, beinah am Ziel seiner Reise zu halten. Mir fiel dieses Schiff auf. Sein Bau, sein Sparrenwerk, seine Ausrüstung, selbst seine Stückpforten hatten etwas so eigentümlich Verdächtiges.

»Es ist ein Sklavenschiff«, bemerkte einer der Gäste gelassen.

»Ein Sklavenschiff? Ist die Einfuhr von Sklaven denn erlaubt? Ich hörte, sie sei unter Baron Carondelet verboten worden?«

»Sie war es«, sagte der Baron. »Aber die Übel, die dieses Verbot nach sich zog, zeigten sich so einleuchtend, daß es wieder aufgehoben wurde. Wollen Sie etwa kaufen? Sie hätten jetzt eine gute Gelegenheit dazu.«

Ich verneinte. Der Baron schüttelte den Kopf.

»Hüten Sie sich, lieber Freund, hier rührseligen Abneigungen Raum zu geben. Wir sind in Louisiana, wo solche Abneigungen nur schaden können. Glauben Sie mir, bei uns besteht die Menschlichkeit nicht darin, daß wir uns von diesem Handel frei halten, sondern daß wir ihn in unsere Hände bekommen, so den Ton angeben. Nur wenn die Anständigen des Landes den Ton angeben, kann das Übel für Louisiana und selbst für die Schwarzen zum Guten werden. Darum wünschte ich, Sie kauften und jeder gebildete anständige Mann kaufte.«

Ich schwieg. Die Gesellschaft erhob sich nach einer Weile, sie wollte zum Schiff spazieren, die Ladung besehen, wie sie sich ausdrückte. Wir gingen also dem Schiff zu, um die Ladung zu besehen.

Ein Teil seiner lebendigen Ladung war bereits an Land geschafft worden. Wir sahen um eine der schwarzen Gruppen alte Weiber beschäftigt, die häßlichen Leiber der Transportierten zu säubern. Eine zweite Gruppe führte zum Schall zweier alter Kessel, die ein alter Neger schlug, einen Tanz auf. Sobald einer oder eine der Schwarzen aus den Händen der alten Negerinnen oder Neger entlassen wurde, schloß sich das bejammernswerte Geschöpf an die Tanzenden an.

Dies schien der ganzen Gesellschaft so an der Tagesordnung zu sein, daß keiner ein Wort darüber verlor. Wir hatten uns unterdessen bis auf Sprechweite dem Schiff genähert. Der Kapitän war uns entgegengekommen und bot uns an, seine Ladung näher zu besehen und auszuwählen.

Mehrere von der Gesellschaft besahen die gelandeten Neger und Negerinnen. Wir schritten über die Laufbretter auf das Schiff, das eben von dem siebenmonatigen Unrat gesäubert wurde, kehrten aber wieder zurück, die Gerüche waren nicht auszuhalten. Auf dem Verdeck bemerkten wir einen Verschlag, vor dem eine Kanone stand. Sie war mit Kartätschen geladen, wie wir später erfuhren.

Ich konnte mich nicht enthalten, dem Kapitän über sein trauriges Gewerbe Vorstellungen zu machen. Er zuckte die Achseln.

»Was wollen Sie? Alle diese Schwarzen wären längst tot, wenn wir sie nicht gekauft hätten. Sie waren sämtlich zum Tode verurteilte Kriegsgefangene. Zum Glück kamen wir zur rechten Zeit.«

Und der Kapitän erzählte uns von dem furchtbaren Leben der Eingeborenen an der afrikanischen Küste.

Noch war er in seiner Erzählung begriffen, als Doktor Lefèvre vom Verdeck zurückkam. Er war trotz der erstickenden Gerüche in das Schiff eingedrungen und kam nun auf den Kapitän zugerannt.

»Kapitän, wenn Sie die fünfundzwanzig Elenden, die in dem Verschlag unter dem Verdeck sind, nicht sogleich in bessere Pflege bringen, so ist morgen keiner mehr am Leben!«

Der Kapitän zuckte die Achseln.

»Kann nicht helfen!«

»Fünfundzwanzig!« rief ich schaudernd.

»Der Ausschuß!« meinte der Kapitän. »Kann nicht helfen! Wäre ich in New Orleans, ließe sich vielleicht etwas tun, aber der verdammte Nordwester!«

Wir gingen nochmals über die Bretter, bestiegen das Verdeck, stiegen die Treppen hinab. Die Ausdünstungen wurden so erstickend, daß uns der Atem verging. Lefèvre öffnete den Verschlag.

»Mein Gott!« rief ich.

Am Eingang lag ein Weib im Todesröcheln. Wo ihr schwarzer Körper nicht vom Unrat starrte, war er bereits von der grellen schwarzblauen Leichenfarbe überzogen. An ihren bis über die Hüften herabhängenden Brüsten zerrte ein Wurm von Säugling. Der Arzt hob sie auf und brachte sie samt dem Kind an die frische Luft. Sie schnappte.

»Sie können diese fünfundzwanzig Schwarzen mit zehn Säuglingen für ebenso viele hundert Piaster haben«, sagte der Kapitän. »Wenn Sie auch nur den fünften Teil retten, so machen Sie ein gutes Geschäft. Ich habe nicht die Zeit dazu.«

»Gott behüte, wer wird hier an Geschäfte denken! Ich gebe Ihnen fünfundzwanzighundert Piaster. Schaffen Sie sie mir auf das Verdeck hinauf!«

Die Schwarzen waren mein. In meinem Leben habe ich keine scheußlicheren Gestalten gesehen. Mich rüttelt es noch fieberig, wenn ich an diesen Anblick denke. Sie wurden auf Deck und dann ans Ufer gebracht.

Wir eilten in die Villa, der Arzt in die Stadt, um Wolldecken, Medizinen, Erfrischungen herbeizuschaffen. Zwei der Unglücklichen starben in derselben Nacht, drei den folgenden Tag, fünf auf der Mississippifahrt.

Von den fünfundzwanzig brachten wir fünfzehn und sieben Säuglinge nach Hause. Zwölf Erwachsene und fünf Kinder wurden vollkommen hergestellt, die übrigen siechten an den Folgen der fürchterlichen Leiden, die sie während der Überfahrt erduldet, dahin und starben.

Unsere Menschlichkeit hatte uns aber eine Bürde aufgelegt, von der wir keine Ahnung hatten und die uns beinah zum Verzweifeln brachte. Es ist wirklich zum Verzweifeln, Geschöpfe, die so wenig Menschliches an sich haben, die tierischer sind als das Tier selbst, auch nur zu Sklaven heranzuziehen.

»Mein Gott!« fragte ich mich oft, »können diese Geschöpfe mit ihren Orang-Utan-Schädeln, diese Weiber mit ihren Hängebrüsten, diese über alle Begriffe häßlichen Geschöpfe, die Erde fressen, weder Verstand noch Gedächtnis, nicht einmal Instinkt haben, wirklich Menschen sein?«

Wir spürten so gar nichts vom göttlichen Funken. Erst als wir mehrere der im Lande eingewöhnten Sklaven gekauft und unter sie gemengt hatten, erst dann fing sich etwas wie Instinkt zu zeigen an. Ja, wir haben erfahren, was es sagen will, diese Geschöpfe zu erziehen! Und man kann Schwarze kaufen, sie halten und doch Mensch sein und bleiben.


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