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3

Sollte etwas imstande gewesen sein, uns den Squatters in gutem Humor vorzuführen, so war es unsere Kleidung. Lassalle stak in einem Hemd mit einem Kragen, der wohl einen halben Schuh über die Ohren hinauf stand und aus Fäden gewoben war, nicht ganz so dick wie einjährige Weidenruten. War ferner, eingehülst in die ledernen Hosen von James, an den Knien mit Riemen zusammengebunden, eine solche Weste und ein Kaliko-Jagdhemd, mit Fransen und Bändern verziert. Meine Uniform war ein treues Abbild.

Wir waren bitterböse. Unsere Eigenliebe fühlte sich so empört über die Rolle, die uns der alte Squatterdespot abspielen machte, auch die wilde Treibjagd wollte uns so wenig aus dem Kopf. Wir würden den trocknen verschmitzten Tyrannen mit seinen widerwärtigen »Notions« und seinem ewigen »Kalkulieren« auf eine ganz andere Weise abgefertigt haben, wenn uns bei alledem nicht eine gewisse Achtung, eine heilsame Scheu zurückgehalten hätte.

Aber die Wahrheit zu gestehen, das starre verschlossene Lederwams flößte uns Ehrerbietung ein. Der Freche, der sich in unserem Lande einen solchen Spektakel erlauben konnte, er konnte sich auch mit zwei zerlumpten Franzosen, wie er uns in seiner naiven Grobheit genannt, eine gleiche wilde Frolic gelüsten lassen. Es war nicht zu spaßen, wenigstens nicht, bis wir eine gute Anzahl Meilen zwischen ihm und uns wußten. Dann ließ sich schon kräftiger auftreten. Und auftreten wollten wir, und das vor ganz Louisiana! Neben einer solchen Nachbarschaft konnte der gute Ruf unseres Louisiana, die Ehre unseres Landes als eines zivilisierten Staates, die Ehre unserer Regierung, selbst unsere eigene nun und nimmermehr bestehen. Es dünkte uns hohe Zeit, diesem Squatterunfug Schranken zu setzen.

Wie wir als Franzosen fühlten, waren wir geneigt, das Ganze als einen Schimpf, uns und unserer Nation angetan, zu betrachten. Und so war es uns nicht möglich, unsere Entrüstung gegen die Squatterkanaille zu unterdrücken. Mit einer Vornehmheit, die mit unserem ledernen Äußern nur wenig in Einklang stand, traten wir in die Wohnstube ein.

Mistreß Strong und ihre Töchter waren mit dem Auftragen der Speisen beschäftigt. Besonders ins Auge fiel uns die Unzahl kleiner Schüsselchen mit Obst, das in Zucker eingemacht war, mit Trauben, Pflaumen, Kirschen und Persimmons, einer orangefarbigen, pflaumenähnlichen Frucht, wie sie die Wälder in Überfluß gaben und welche die Squatters in höchster Vollkommenheit einzulegen verstanden.

Mehrere junge und ältere Männer standen um einen Tisch, der aus rohen Mahagonibrettern gezimmert war, und sprachen den Gläsern mit Magentrost zu. Wir strichen vornehm leicht durch die Männer und Weiber hin und eilten zum Fenster, um unsere üble Laune durch die Aussicht auf die entzückenden Fluren und Wiesen niederzuhalten. Nathans Frau musterte uns im Vorbeigehen behaglich und sah uns eine Weile nach.

»My! Nathan!« ließ sie sich dann schier verwundert gegen ihren Mann vernehmen. »Sind das sie ... die oben in den Petticoats?«

»Kalkuliere, sie sind es!« versetzte Nathan lakonisch.

»My! Wie doch die Kleider Leute machen! Wohl nun! Kalkuliere nichtsdestoweniger, mögen bei alledem ganz elegant, ja geradezu kapitale Mannsburschen sein. Wie? Das überbietet ja schier die Union!«

»Pshaw!« versetzte Nathan gleichmütig. »Pshaw, altes Weib! Pfeifst du jetzt aus einem andern Ton? Hat sie das Shake noch? Hab' die Notion, der alte Nathan kennt seine Leute. Sage dir, obwohl nur Franzosen, sind sie doch, kalkuliere ich, so kapitale Burschen wie irgendein anständiger Squatter, der je im Busch niederhockte. Ist ein Fakt, altes Weib!«

»Fremdlinge!« wandte er sich an uns. »Wollt ihr euch an uns anschließen? Seht Nachbarn und Mister Gale von Tennessee. Kommt einen Morgentrunk nehmen, bis das Weibsvolk aufgetragen hat!«

»Danken euch!« erwiderten wir kurz.

»Wohl, wohl! Ist kapitaler Monongehala, geradezu kapital eleganter! Ein Glas Monongehala des Morgens, zwei Madeira des Abends oder Nachmittags, sage euch, nichts Besseres, das Shake niederzuhalten!«

Er hatte uns bei diesen Worten an den Armen erfaßt. Vergeblich mühten wir uns ab, dem Griff seiner Eisenhände zu entgleiten.

»Mister Nathan!« bedeuteten wir ihm. »Sie können uns in der Tat keinen größeren Gefallen tun, als wenn Sie uns so bald wie möglich einen Wegweiser zum Hause des nächsten Akadiers verschaffen.«

»Hab' die Notion, wird nicht vonnöten sein!« Er ließ uns fahren. »Wird nicht vonnöten sein, werdet bald in der Gesellschaft eurer Akadier sein! Vermute aber, ihr habt schlechte Laune!«

Der Alte schaute uns einen nach dem andern an und wandte sich dann zu seinen Nachbarn, die über dem Magentrost ruhig ihre Angelegenheiten besprachen. Wir schwiegen betroffen. Unsere üble Stimmung hatte uns zu einer Unartigkeit verleitet, mir eine Blöße gegeben, die mich ärgerte. Meine Aufmerksamkeit wurde jedoch bald durch die Unterhaltung der Männer angezogen, deren stolze, unabhängige Haltung mir auffiel.

Sie hatten uns kaum bei unserm Eintritt beachtet und auch jetzt nur zuweilen einen Blick auf uns geworfen. Kein Muskel verzog sich in diesen Gesichtern, bloß um die Augenwinkel ließ sich ein leichtes Zucken bemerken. Ein ältlicher Mann sprach mit vieler Einsicht über die Handelsverhältnisse des Westens, der an den Mississippi grenzenden Staaten. Auch die Bemerkungen Nathans und seiner Lederwämser verrieten genaue Kenntnis des Gegenstandes. Der wilden Frolic wurde mit keiner Silbe mehr Erwähnung getan.

»Morbleu! Was ist das, Colonel?« raunte mir Lassalle zu, der durch das Fenster hinausgeschaut hatte.

Aus einer der nächsten Baumgruppen, die auf der kammartig von Osten nach Westen schwellenden Anhöhe so wunderlieblich hingezaubert standen, kam eine seltsame Kavalkade hervorgetrabt. Sie schaukelte in kurzem Trab heran, vorne ein Reiter mit dreieckigem Hut mit einem Federbusch und in der Uniform eines unserer französischen Musketier-Regimenter aus den früheren Regierungsjahren Louis' XV., eine wahre Riesengestalt, und zu seiner Seite ...

»Parole d'honneur! Das ist eine Regimentstrommel!« meinte Lassalle. »Ma foi! Eine Regimentstrommel zu Pferde!«

»Eine Regimentstrommel?« lachte ich. »Nein, das nicht! Aber eine Frau im Reifrock zu Pferde!«

Und es war so. Lassalle hatte den großgeblümten Reifrock, wie wir deren vor Anno 1789 zu Hunderten durch unsere Pariser Kirchentüren drehen gesehen, für eine Regimentstrommel gehalten, aber der Irrtum war verzeihlich. Wem würde es auch außerhalb dieses wunderlichen Landes eingefallen sein, im Reifrock zu Pferde zu steigen?

Die Reiterin kam wie ein Schoner im Wellentrog hin und her rollend heran. Wir unterschieden allmählich die Kappe, die den Kopf, die Schuhe mit hohen Absätzen, die die Füße zierten. Hinter dem seltsamen Paar kam ein Zug von etwa zehn Männern in blauen Röcken, Braguets und Mitassen, der gewöhnlichen Kleidung der Akadier.

Gern hätten wir Nathan über diese sonderbare Kavalkade befragt, allein unser Stolz verbot es, und der Alte schien jetzt seine ganze hinterwäldlerische Starrheit angelegt zu haben. Einen und den anderen Blick warf er durch das Fenster, ohne daß sich ein Muskel in seinem starren Ledergesicht verzogen hätte.

Die Kavalkade war vor dem Hause angekommen. Der uniformierte Riese, in dem wir ohne viel Mühe einen Veteranen der in den fünfziger Kriegsjahren nach Canada und Louisiana gesandten Truppen erkannten, stieg vom Pferde und hob mit militärischer Galanterie die Dame von dem ihrigen. Er war eine wahre Don-Quichote-Gestalt und stand, um mich eines Hinterwäldlerausdrucks zu bedienen, wohl ihre sechs Fuß und ebenso viele Zoll in den Schuhen. Seine Dulzinea wieder war ein drollig winziges gespreiztes Dämchen und sah gegenüber dem langen, hagern Knochenmann aus wie ein sich blähender Truthahn.

Sie reichte ihm ungemein geziert die Hand, die er zärtlich mit den Fingerspitzen ergriff. Dann führte er sie den Porch – die Vorhalle – hinan und galant der offenen Stubentür zu. Ihre Begleiter waren ebenfalls abgestiegen, blieben aber draußen. Wir waren nicht wenig gespannt auf das zärtliche Pärchen.

Im zierlichsten Tanzschritt schwebte sie, im Grenadierschritt marschierte er nach dreimaligem Anklopfen durch die offene Stubentür. Dann trat er vor, berührte militärisch seinen dreieckigen Hut und begrüßte Nathan und die Gesellschaft ganz in der steif zierlichen Art unserer Büttel, wenn sie samt Ehegesponsen ihre untertänigsten Glückwünsche Seiner Gestrengen, dem Amtmann, darbringen. Uns hatten derlei Spießbürgereien zu Hause oft belustigt, aber hier ärgerten wir uns. Wir fühlten uns ordentlich beschämt über den alten Narren, der gegenüber den stolzen Republikanern seine altmodischen Kratzfüße noch nicht verlernt hatte. Sie erschienen uns wie eine Parodie auf unser Land und unsere Bräuche.

Nathan seinerseits empfing die Huldigungen ganz mit dem Benehmen eines Mannes, der sich seiner Autorität bewußt ist. Eine Weile besah er die beiden mit einem kalt lächelnden Blick, dann wandte er sich mit den Worten: »Monshur Lecain, setzen Sie sich mit Ihrem alten Weib nieder!« wieder dem Mister Gale aus Tennessee zu.

Monsieur Lecain und Madame dankten mit Verbeugung und Knicks und blieben ... stehen. Das Gesicht von Madame hatte sich bei dem »alten Weib« einigermaßen verzogen, aber sogleich wieder aufgehellt. Sie war ein ungemein bewegliches altes Weibchen und hatte trotz Runzeln etwas so Kokettes, daß wir sie ohne weiteres für eine Pariserin hielten. Nacheinander fielen ihre Blicke auf die Squatters, die aufgetragenen Schüsseln, die ab- und zugehende Wirtin, ihre Tochter und auf uns. Auf uns – an uns blieben sie haften. Unsere Squatterkleidung verwirrte sie offenbar, man sah ihr die Begierde an, etwas mehr von uns zu wissen.

Sie wisperte, stieß ihren Alten an, der wieder unverwandten Blickes an dem »Mister Regwillähtär« – wie er Nathan nannte – hing. So groß schien aber ihre Scheu vor dem gewaltigen Squatterhäuptling zu sein, daß sie trotz Beweglichkeit und Neugierde es nicht wagte, die Buschmänner zu unterbrechen. Die Gewalt, die er über seine französischen Nachbarn erlangt, mußte in der Tat außerordentlich sein.

Ich war im Begriff, unsere unruhige Landsmännin aus ihrer qualvollen Ungewißheit zu erlösen, als Mistreß Strong, die am untern Ende der Tafel Platz genommen, den Ruf erschallen ließ:

»Männer, wollt ihr euch nicht setzen?«

Die Männer nickten und blieben, der Rede Mister Gales horchend. Der Tennesseer hatte zuvor noch den halben Haushaltsplan des neuen Staates zu beleuchten, dann erst traten alle würdevoll zum Tisch.

Nathan wies uns unsere Plätze neben Mister Gale an.

»Monshur Lecain, habt ihr gefrühstückt?« wandte er sich dann an Monsieur und Madame Lecain.

»Mille pardons!« lehnte Lecain ab, indem er sich erhob und verneigte.

»Kalkuliere, Sie lassen besser Ihre Komplimente!« sagte Nathan trocken. »Setzen Sie sich mit Ihrem alten Weib und helft euch zu, was euren alten Magen gut tut! Hab' die Notion, ihr habt einen langen Ritt getan, und sind eure mürben Knochen nicht daran gewöhnt. Hab' euch nicht so bald erwartet. Setzt euch, seid willkommen!«

Lecain und Frau zögerten noch immer, verneigten sich und knicksten.

»Was in des Teufels Namen gickst und gackst ihr da wie ein paar Truthühner im Märzmonat?« fuhr Nathan ungeduldig heraus. »Vermute, ihr hört und habt eure Ohren offen, setzt euch! Doch halt, dürfte euch schwer werden, in eurem Takelwerk Anker zu werfen! Wißt, geht kein Schiff vor Anker mit Royal-, Main- und Topsegel und all seinen Segeln. Helft ihr aus dem Canvaß!« bedeutete er Elisabeth und Mary, die bereits beschäftigt waren, die Dame aus einem Teil ihres Segeltuches, wie Nathan ihre Kleidung nicht unzutreffend bezeichnete, auszuhülsen.

Diese Zwischenfälle, die wieder so eigentümlich brummig die schroffen wie guten, milden Falten in Nathans Charakter aufhellten, gefielen uns nicht übel. Der Alte war ein eigen rauher, aber bei alledem kein so schlimmer Patron.

Das Frühstück bestand aus Schweinsfüßen, in Pfeffer und Essig eingelegt, Welschkornkuchen in Sirup getränkt, Enten, einem gebratenen Welschhahn, Hirschziemer, Schinken, Eiern nebst einer Unzahl in Zucker oder Essig eingemachter Früchte, Persimmons, köstlichen Louisianakirschen, Pflaumen, wilden Weintrauben. So verschiedenartig jedoch die Bestandteile, alle mußten sie hinein in die Alligatorenmägen der Squatters. Wir sahen sie in Pfeffer und Essig eingelegte Schweinsfüße zu siruptriefenden Welschkornkuchen verschlingen, türkische Pfefferkapseln, in Essig eingelegt, zu Schinken.

Zuweilen fuhr einer der Squatters mit seinem Messer in das Persimmons- oder Pflaumen-Kompott, schob die Ladung in den Mund und stieß uns dann den Teller hin, ein Gleiches zu tun. Die Gabel mußte ihnen ein ganz überflüssiges Werkzeug dünken. Sonst aber herrschte wieder viel Anstand und jene Ruhe, die dem durch nichts aus der Fassung zu bringenden Hinterwäldler gewissermaßen angeboren ist. Insbesondere benahm sich das weibliche Geschlecht mit einer natürlichen Anmut, die ich nimmermehr erwartet hätte und die uns wieder von dem haushälterischen Regime Nathans einen sehr vorteilhaften Begriff gab. Wir erstaunten über die ruhige Besonnenheit, mit der die drei Töchter der Mistreß Strong bei der Tafel die Honneurs machen halfen.

Im weiblich-häuslichen Kreis erlangt man immer am sichersten über eines Mannes Charakter Aufschluß. Auch uns wurde Nathans Charakter in seiner häuslichen Umgebung klarer. Bei jeder Schale, die uns die anziehende Elisabeth reichte, schwand unsere üble Stimmung, unser Widerwille mehr und mehr.

Wir waren eben in der vollen Prüfung eines Schnittes von dem vortrefflichen Hirschziemer begriffen, als ein plötzlicher Lärm vor dem Hause uns innehalten machte. Es waren laute Stimmen, die sich hören ließen, Stimmen, die uns bekannt an die Ohren schlugen. Wir horchten, bald aber blieb uns kein Zweifel übrig. Es war die hellkreischende Stimme Amadées mit den rauhen Kehltönen Martins, die sich vor dem Porch hören ließen. Wir hörten unsere Namen rufen. Die Tischgesellschaft stutzte einen Augenblick. Wir sprangen auf und eilten zum Fenster.

Und wen sahen unsere Augen? Wen anders als unsere Freunde Ducalle und Hauterouge, die umgeben von Amadée, Jean und Martin auf ihren Pferden hielten. Ein Ausruf der höchsten Überraschung entfuhr uns. Ducalle erschaute mich.

»Vive le roi! Le roi ne meurt pas!« rief er laut.

Sprang vom Pferd auf die Porch zu, mit einem zweiten Satz durch das offene Fenster in die Stube, vorbei an mir, der ich zurückgesprungen war, und in die Arme der gerade aufschnellenden Elisabeth! Drückte einen Kuß auf die schwellenden Kirschlippen der lieblichen Hinterwäldlerin, ließ sie fahren, und flog mir jubelnd an den Hals.

»Colonel! Alle Teufel, wo stecken Sie? Worin stecken Sie?«

Er prallte zurück, sprang wieder vor, drehte mich im Kreis herum.

»Vive la France, l'amour et la patrie!« schrie er.

In demselben Augenblick kam Hauterouge ebenso formlos durch das Fenster hereingesprungen.

»Morbleu, Colonel! Lassalle! Wo steckt ihr? Wie seht ihr aus? Alle Teufel, was treibt ihr?«

Und Hauterouge und Ducalle flogen uns abermals in froher Überraschung mit all dem stürmischen Jubel wiedergefundener Kriegskameraden um den Hals, umarmten uns, wendeten uns, drehten uns, brachen in lautes Gelächter aus und hüpften wie närrisch in der Stube herum. Währenddem kam Amadée durch die Tür herein, ihm nach unser Jean und der alte Roche Martin.

»Herr Graf, Herr Colonel, um Himmels willen sind Sie es? St. Denis und alle Heiligen seien gelobt! Sind Sie es wirklich, Herr Graf? O Herr Graf! O mein geliebter Colonel!«

Und mit Tränen in den Augen küßte mir Amadée die Hand, und nach dem Beispiel Hauterouges und Ducalles sprang und tanzte auch er.

»Suchen Sie seit zwei Tagen, Herr Graf!« jubelte er vor Freude. »Überall, bei Martin, bei den Akadiern, auf der brennenden Prärie! O Herr Graf, unsere Angst, unser Jammer! Überall haben wir Sie gesucht!«

»Bei den – mit Verlaub zu sagen – Farbigen, den Allains«, fiel Martin wie ein alter Drehbaß ein.

Der plötzlichen Rührung folgte wieder ein lautes schallendes Gelächter.

»Weißt du aber, Colonel, daß diese Allains wirklich ganz göttliche Geschöpfe sind?« fragte Hauterouge.

»Ihr wart also bei den Allains? In der Chartreuse?«

»So waren wir. Glaubten, euch da aufstöbern zu können, als ihr nach zwei Tagen noch immer nicht kamt. Sahen die lieblichen Mädchen. Parole d'honneur! Sind allein die Reise nach Louisiana wert!«

»Und was sagt mein sittenstrenger Ducalle?« fragte ich lachend.

Ducalle war rot geworden und schwieg. Mir fiel dies damals unter den Rundsprüngen weniger auf, aber doch fiel es mir auf, obwohl Amadée mich bald wieder auf andere Gedanken lenkte. Es waren Briefe von Hause, von New Orleans, vom Gouverneur, vom Leutnant-Gouverneur, von Baron Marigny, von allen angesehenen Persönlichkeiten des Staates eingelaufen. Amadées Freude, uns wieder zu finden, wollte kein Ende nehmen. Hätte er uns auf dem Schlachtfeld unter einem Haufen Toter hervorgezogen oder aus dem Rachen eines Alligators, sein Frohlocken hätte nicht ungestümer sein können, waren wir doch nicht – seine einzige Angst und Sorge – in den Sirenennetzen der schrecklichen Allains verstrickt.

Er sprang und tanzte um uns herum, schrie uns abwechselnd die Neuigkeiten in die Ohren. Hauterouge und Ducalle tanzten pas de deux, lachten zur Abwechslung über unsere Kleidung. Es war ein Spektakel, wie er wohl selten nur in einer Squatterstube getrieben ward. Für unsere Freunde waren die Squatters so gut wie gar nicht vorhanden, und auch wir hatten unsere liebenswürdigen Wirte ganz vergessen.

Ausrufe belehrten uns endlich, daß wir nicht allein waren.

»Why that beats all nater – ay the Union! – Wie, das überbietet ja alle Natur! – Mein Gott, die Union!«

»Why they are whomsoever stark downright mad! – Wie, die sind nichtsdestoweniger ganz toll!«

»By the living Jingo, if they ar'nt!« – Beim lebendigen Jingo, wenn sie's nicht sind!«

Wir schauten uns um und ... Oh, diese Squatters und ihre Gesichter! Sie lassen sich unmöglich beschreiben. Wäre aber der Himmel geborsten oder die sieben Meilen lange Seeschlange der Yankees statt Ducalles und Hauterouges zum Fenster hereingesprungen, ihr Starren hätte nicht größer sein können! Was sage ich, Starren? Es war wahrer Schrecken, Angst in den Gesichtern der Weiber und Töchter, eine Angst, die uns anfangs komisch vorkam, uns aber bald ernsthaft genug erschien, als wir auf Nathan blickten.

Er saß, die beiden Hände fest auf den Tisch gedrückt wie einer, der sich zurückhalten will. Aber seine erzenen Gesichtszüge schwollen, seine Augen stierten und starrten, sein ganzes Gesicht nahm einen unheilschwangeren Ausdruck an. Ducalle hatte kaum einen Blick auf ihn geworfen, als er an mich zurückprallte und mir zuflüsterte:

»Um Himmels willen, wer ist der Mann? Welch ein furchtbares Gesicht!«

Ducalle hatte nicht allein die unheilverkündenden Anzeichen aus des Mannes Gesicht gelesen. Hauterouge, Amadée, Roche Martin, Jean, der alte Lecain und seine Ehehälfte scharten sich um uns. Mistreß Strong und ihre Töchter hatten sich mit gerungenen Händen an die Seite des Mannes gezogen, ihn von uns abzuhalten.

»Mann, um Gottes willen, Mann, bedenke!« rief Mistreß Strong.

»Vater, um Gottes willen, Vater!« riefen die Töchter.

Wir waren nun allen Ernstes erschrocken, denn wir sahen, daß die Freiheit, die sich unsere beiden Freunde in ihrem unbesonnenen Leichtsinn genommen, den Stolz des starren republikanischen Buschmanns am empfindlichsten Fleck getroffen. Sie konnte uns teuer zu stehen kommen. Die Gäste saßen schweigend mit abweisenden Mienen und Gebärden.

»Mister Nathan!« Ich trat auf ihn zu. »Mister Strong, vergeben Sie die Freiheit, die sich unsere Freunde genommen! In ihrer Überraschung, uns so plötzlich wiederzufinden, dachten sie nicht daran, Sie zu beleidigen. Dies ist Major Baron Hauterouge!... Kapitän Ducalle!«

Nathan saß mit zusammengepreßten Lippen, ohne ein Wort zu erwidern. Einen Augenblick starrte er seine Nachbarn an, dann warf er einen durchdringenden Blick auf uns. Auf einmal schüttelte er Weib und Töchter ab wie der Bär einen Bienenschwarm und erhob sich.

»Still, altes Weib! Friede deiner Zunge! Waffenstillstand! Hörst du? Hab' die Notion, bin Herr in meinem Hause und habe nicht umsonst geschafft und geblutet! Kalkuliere, will es bleiben, und dir eine Notion geben, daß ich es will!«

Mit diesen Worten trat er an Ducalle heran, legte seine gewichtige Hand auf des Freundes Schulter und sprach mit starker Stimme:

»Willkommen, Fremdling! Willkommen! Sage ich. Still, altes Weib! Friede mit deiner Zunge! Hört, was ich sage! Kalkuliere, ist jetzt die Zeit an mir zu reden. Hab' euch gehört und gesehen, sollt mich jetzt hören!«

Er machte eine Pause.

»Hab' die Notion, ist bei euch der Brauch, eure Besuche den Leuten durch das Fenster zu machen? Mag sein, es ist so, hab' nichts dagegen. Seid bekannt als leichtfüßig. Seid ihr nicht?«

Ducalle sah den Mann an, aber sowohl er wie wir konnten vor Erwartung kein Wort hervorbringen, so grimmige Entschlossenheit war in seinen Zügen.

»Hab' aber die Notion«, fuhr er mit stärkerer Stimme fort, »ist bei uns nicht die Sitte, den Leuten durch das Fenster hereinzuhopsen. Ist ein Fakt, Mann! Ist nicht Sitte bei uns, kalkuliere ich. Und so vermute ich denn, Sie werden ein guter Junge sein und unsere Sitte achten und Ihren Weg zurücknehmen und ihn da nehmen, wo ihn andere Leute vor euch genommen haben ... zur Tür herein!«

Die Worte würden einem Stocktauben verständlich geworden sein, denn sie waren mit einem Ruck begleitet, der Ducalle, stark wie er war, zum Fenster brachte, durch das er sich – wie, wußte er gewiß selber nicht – mit einem Satz zurückzog.

»So, mein guter Junge! Gleich drüben ist die Tür und der Eingang!« sagte Nathan und wandte sich an Hauterouge. »Und Sie?«

Hauterouge hatte geschaut, gestarrt. Bei all dem furchtbaren Ernst, der in des Mannes Gesicht lag, lauerte wieder ein Zug guten Humors hervor. Er machte gute Miene zum bösen Spiel und sprang mit einem Satz dem Freund nach.

»Jetzt erlauben Sie aber auch uns zu folgen!« sprachen Lassalle und ich.

»Mitnichten!« versetzte Nathan. »Seid durch die Tür auf rechtem Weg gekommen, seid meine Gastfreunde! Bleibt hier!«

»Und ihr, Monshurs?!« wandte er sich zu den beiden, die draußen auf dem Porch standen. »Ihr seid willkommen, aber zur Tür herein!«

»Eh bien!« riefen Ducalle und Hauterouge.

Sie gingen auf die Laune des bizarren Alten ein und traten durch die Tür.

»Eh bien! Nous voilà! – Da sind wir!«

Und beide waren lachend wieder in der Stube, im Gesicht einige Verlegenheit, die aber Nathan wenig kümmerte.

»Sehe, läßt sich etwas aus euch machen!« sprach er trocken, während ein kaum bemerkbarer ironischer Zug um seine Augenwinkel spielte. »Sehe, sehe, wen wir vor uns haben! Leichtes französisches Blut, das sich keinen Fiedelbogen darum kümmert, wie andere den beliebigen Spaß aufnehmen. Will euch aber sagen, ei, so will ich: Hab' die Notion, laßt fürs Künftige derlei luftspringerische, spaßhafte Mißgriffe, wenn ihr wieder in eines Bürgers Wohnung eintretet. Mögt in eurem Land solche luftspringerische, spaßhafte Mißgriffe tun, das Fenster für die Tür anzusehen! Tut's aber nicht bei uns, könnte einem von uns leicht auch ein Mißgriff begegnen, euch statt tanzender Franzosen für Tanzbären oder springende Panther zu nehmen und euch dreiviertel Unzen Blei in den Leib zu jagen oder sechs Zoll kalten Eisens. Und könnte einem für solchen Mißgriff nicht einmal das Gesetz etwas anhaben. Mögen bei euch in Ordnung sein solche Vertraulichkeiten, aber bei uns sind sie gefährlich. Laßt sie besser weg! Pshaw! Hab' mitunter die Notion, werdet nach eurer Tanzfrolic Appetit haben. Habt ihr nicht? Altes Weib, frische Gedecke!«

Das starre, mit einem leicht ironischen Lächeln überflogene Gesicht Nathans wurde nun etwas freundlicher. Der Kopfruck, der Mistreß Strong zugeworfen, setzte Mutter und Töchter in Bewegung. Der Friede mit dem Buschgewaltigen war geschlossen.

Die Gesichter unserer beiden Freunde hatten sich zunächst während des guten Ratschlages verlängert, jetzt erst schienen sie etwas von Nathans Charakter zu begreifen. Hauterouge sah darein, als ob er an der Spitze seiner Schwadron einzuhauen im Begriff stände. Er kräuselte seinen Schnurrbart und schoß abwechselnd grimmige Blicke auf Nathan und wieder auf uns. Der leichtblütige Ducalle schien noch unschlüssig, ob er lachen oder sich ärgern sollte. Glücklicherweise hatte die lieblich gerundete Miß Elisabeth ein frisches Gedeck für ihn zurechtgelegt und deutete sanft errötend darauf. Einer solchen Einladung ließ sich wohl nicht widerstehen. Er setzte sich. Hauterouge zögerte noch.

»Parbleu, in welche Gesellschaft sind wir geraten, Vignerolles?« brummte er mir in die Ohren. »Bären das!... Habe große Lust...«

»Tu das ja nicht!« versetzte ich. »Du kämst zu kurz! Der Mann ist ein Original, alle sind es. Du siehst, man war daran, dich selbst für einen Bären zu halten. Besser, du setzt dich, hab' ich die Notion.«

Er sah mich erstaunt an, schnitt eine Grimasse, setzte sich aber. Unser guter Hauterouge war den Morgen bereits zwanzig Meilen geritten und hatte also einen Appetit, so scharf, wie ihn ein Schwadronschef eines Dragonerregiments nur haben konnte. Auch Ducalle ließ der Kochkunst der Mistreß Strong alle Gerechtigkeit widerfahren. Uns kam jetzt der ganze Auftritt recht sehr lächerlich vor. Die köstliche Schadenfreude, unserm guten ungestümen Hauterouge seinen Anteil derber Squatterkomplimente zugemessen zu wissen, war nicht zu bezahlen.

Der alte Nathan schien an Ducalle Wohlgefallen zu finden. Man konnte ihm aber auch nicht gram sein. Seine männliche Schönheit, verbunden mit einem leichten, gefällig sorglosen Wesen, gewann ihm im ersten Augenblick aller Herzen. Die Blicke der Hinterwäldlerinnen hingen ordentlich an ihm. Mistreß Strong hatte sich zu ihm gesetzt und schaute ihn vertraulich an.

»Seid also, vermute ich, aus eurem alten Land herübergekommen?«

Ducalle nickte.

»Hab' die Notion, wird euch wunderbar vorkommen bei uns? My! Sagen die Leute, daß drüben jung und alt in Holzschuhen einhergehen und nichts als Frösche und Suppe essen?«

Ducalle nickte abermals.

»Essen Sie sich nur immer voll, lieber Junge!« ermunterte ihn Mistreß Strong. »Haben Fülle von Sachen!«

Hier sahen Hauterouge und Ducalle hoch auf. Wir hatten Mühe, das Lachen zu verbeißen.

»Why! Kalkuliere, Sie sind nicht verheiratet?«

Ducalle sah wieder auf und nickte.

»Bitte um Vergebung, Mistreß Strong«, fiel ich ein. »Monsieur Ducalle ist verheiratet, und zwar mit der Tochter des Herrn de Morbihan.«

Die Lippen, die Kinnladen der Mistreß Strong und ihrer Töchter fielen, ihre Gesichter verlängerten sich. Miß Elisabeth zog sich drei Schritte zurück. Wir konnten es kaum mehr aushalten. Zum Glück kam uns der alte Nathan zu Hilfe, der ohne eine Miene zu verziehen über seinem Schinken gesessen.

»Und seid also zusammen herübergekommen?« fragte er.

»Mit dem Colonel!« Ducalle deutete auf mich und fuhr im Kauen fort, setzte dann mit weniger vollen Backen hinzu: »Mit dem Colonel und dem Major Lassalle und dem Major Hauterouge.«

»Und seid durch das Bayou Plaquemine gekommen?« fuhr Nathan nach einer Weile in seinem Verhör fort.

»Wie wissen Sie das?« fragten wir verwundert.

»Ei, wie wissen wir das! Wissen mehr, als ihr glaubt! Sollt mehr hören vom alten Nathan!« Er wandte sich an eines der jungen Lederwämser. »James! Hab' die Notion, du stößt ins Horn zur Gemeindeversammlung!«

James ging hinaus und blies in eine Seemuschel. Der Ton glich ganz dem der Schweizer Alpenhörner. Während der langen Pause, die eintrat, vollendeten unsere beiden Freunde ihr Frühstück.

Dann stand Nathan auf und wandte sich mit gewichtiger Miene an uns:

»Hab' die Notion, ist an der Zeit, das Geschäft abzutun. Und wollen hinüber ins Gemeindehaus!«

»Hab' die Notion, guter Mister Strong«, fiel ich in seinen Ton ein, »wollen uns aus eurem Geschirr heraus und in das unsrige eintun, das Amadée in seiner Voraussicht mitzubringen bedacht gewesen. Kalkuliere, wollen euch hierauf für eure Gastfreundschaft danken und uns mit unseren Freunden und dem alten Martin auf den Heimweg machen.«

»Ist doch erstaunlich, was für kurzsichtige Leute Gott der Allmächtige in euch Franzosen geschaffen hat!« versetzte Nathan. »Will einen Quid Tabak gegen ein ganzes Faß wetten, daß ihr rein vergessen habt, was ich euch von wegen der Akadier und des Gemeindehauses gesagt!«

Ducalle und Hauterouge lachten laut auf.

»Nicht vergessen, lieber Nathan!« sagte ich. »Aber was sollen wir in eurem Gemeindehaus?«

»Werdet sehen und hören! Und macht mich nicht giftig mit euren ewigen Fragen!«

Hauterouge sah mich an.

»Alle Teufel!« raunte er. »Was hast du mit dem alten Grobian? Das ist das seltsamste Tier, das mir je im Leben begegnet!«

»Bon Dieu!« wisperte mir Lecain zu.

»O ciel!« bat Madame Lecain. »Bon Dieu! O ciel! Gehen Sie, gehen Sie, Herr Graf, Herr Baron!«

Wir standen noch unentschlossen. Ihren Worten mehr Nachdruck zu geben, häkelte Madame Lecain ihren Arm in den meinigen, Lecain schob Hauterouge zur Tür hinaus, Mistreß Strong Lassalle und Ducalle. Und so zogen wir denn dem alten Nathan nach.

»Sind doch merkwürdig quer, diese Franzosen!« brummte uns die Mistreß Strong nach. »Küssen ledige Mädchen und haben Weiber!«

»Ducalle, du könntest hier dein Glück machen!« lachte Hauterouge.

»Hab' die Notion, Sie könnten!« stimmte auch Lassalle bei.

Laut lachend zogen wir dem Gemeindehaus zu.


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