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Die Erzählung des Grafen de Vignerolles

Die Farbigen

Nach einer Fahrt von etwa vierundzwanzig Stunden kommt der Reisende heraus aus dem düstern, unheilverkündenden Labyrinth, das ihn beim Eintritt in das Bayou Plaquemine empfangen hat. Der Tag lächelt ihn wieder an, wird plötzlich zur Lichtflut. Ein wunderschöner Rundblick öffnet sich seinem Sehkreis. Ein entzückend schöner See, der sich mehrere Stunden im Umfang hinbreitet, fesselt sein staunendes Auge.

Die Ufer sind mit mächtigen Zypressen eingefaßt, deren Riesenstämme, von spanischem Moos umwallt, und deren dunkelgrüne Kronen, ineinander verschlungen, dem Beschauer beim ersten Anblick wie Tausende von Domen aneinandergereiht erscheinen. Er steht staunend, verwirrt. Der Sehtäuschung endlich gewahr, wendet er den Blick von diesen majestätischen Naturdomen, senkt ihn und weilt auf der schönsten Blumenflur, die je göttliche Allmacht dem menschlichen Auge entfaltet hat.

Er schaut Millionen der Nelumbo, der Königin aller Wasserblumen, in ihrem höchsten Glanz. Sie erhebt ihre kegelförmigen, vasenartig gestalteten Blätter stolz über die Gewässer, beherrscht sie bis in die Mitte des Sees. Millionen der herrlichsten Tulpenblüten blenden sein Auge, unzählige buntgefiederte Schwimmvögel schwirren über und zwischen ihnen hin. In der Mitte allein glänzt ein Spiegel kristallhellen Wassers.

Der Reisende verläßt nur ungern diesen Zaubersee, um sich abermals in einem Gewirr von Flüssen und Bayous zu verfangen, gelangt aus diesen in den größeren Inselsee, weiter in den großen Fluß, den Atchafalaya, gleichfalls einen natürlichen Abzugskanal des überströmenden Mississippi, und zuletzt in den Teche. Endlich ist er in den Attacapas angelangt, dem Landstrich, der sich vom Golf von Mexiko herauf aus zitterndem Rohr und Binsengeflecht zu schwankenden Sumpfwiesen erhebt und allmählich fester Boden wird, wie er weiter gegen Norden heraufschwellt. Vom Teche, Vermilion und vielen anderen Flüssen und Seen bewässert, hat er den Namen des Elysiums von Louisiana erhalten.

Wie ein stahlgraues Seidenband windet sich der Teche um endlose Wiesen und Auen, auf denen Tausende und aber Tausende fröhliche Rinder und Pferde in halbwildem Zustand umherspringen. Zahllose Baumgruppen von Immergrüneichen, Papaws, Liquidambars Amberbaum, liefert ein wohlriechendes Harz und ein als Süßgummi beliebtes Kaumittel beschatten das Bild. Pflanzungen, in Haine von tropischen Fruchtbäumen gebettet, tauchen links und rechts auf. Kleinere Seen hellen das Bild auf. Eine weiche, wollüstig feuchte Glut hauchte ihren einschläfernden Odem über das Ganze.

Neunundzwanzig Jahre sind es nun, daß wir zum erstenmal an diesen entzückenden Fluren vorüberglitten, bei jeder Pflanzung begrüßt, bei jeder dringend zum Verweilen eingeladen. Ich sehe und höre noch Ducalle, wie er die Arme sehnsuchtsvoll nach den Ufern ausstreckte und rief:

»Wir werden ein paradiesisches Leben führen!«

»Es ist ein Elysium!« fielen wir mit Freudentränen ein.

Im Tendelet, dem bedeckten und erhöhten Hinterteil unserer Voiture, stand der alte Roche Martin am Ruder, der rauhe, aber treffliche Akadier, der uns vier Tage vorher – wie Lassalle Ihnen erzählt – von dem Baumstamm gerettet hatte, und brummte, den Blick väterlich auf Ducalle gerichtet:

»Ei Elysium, weiß nicht, was das sagen will! Aber hier heißen sie es Paradies, und ein Paradies muß es wohl sein, denn es hat Schlangen. Hüte dich, Junge, vor den Schlangen, die da sind die Farbigen! Sie riechen übel!«

Nach der Sitte der Akadier duzte er uns, was wir uns um so lieber gefallen ließen, als der gute Mann viel erfahren hatte und hoch in den Jahren war. Während der viertägigen Fahrt hatten wir ihn natürlich über die Zustände des Gemeinwesens und der bürgerlichen Verhältnisse in den Attacapas ausgefragt. Die Rede war so auf die Farbigen gekommen, deren er nie erwähnte, ohne sich zuvor durch ein »mit Verlaub zu sagen« zu verwahren, so wie unsere Spießbürger das zu tun pflegen, wenn sie vom Borstentier sprechen. Das gab zu häufigen Debatten Anlaß, bei denen Ducalle oft launig, oft heftig Partei der Farbigen nahm. Jedesmal schüttelte dann der Alte den greisen Kopf und brummte:

»Junge, Junge, gib acht! Diese Farbigen werden dein Unglück sein!«

Die Landschaft wurde immer schöner, je weiter wir den Teche hinauf fuhren. Hie und da sahen wir nackte schwarze Gestalten sich lässig durchs Gebüsch hinstehlen, aber kein Laut war zu hören, als das Brummen des Alten: »Er hört nicht, und sie riechen doch so übel! Diese Farbigen werden sein Unglück sein!«

Wir waren in eine Flußkrümmung eingefahren, als eine Pflanzung auftauchte, die schönste, die wir bisher gesehen. Sie schien zu schlummern in dem weichen, duftenden Blütenbeet der Orangen. Lilacs, Spanischer Flieder Zitronen, Feigenbäume. Weiter zurück standen Gruppen von Immergrüneichen und Liquidambars und wölbten einen Dachhimmel über das Wohnhaus, das in der Spiegelung der schräg einfallenden Sonnenstrahlen wiegend und wogend erschien. Die Baumgruppen waren nach einem bestimmten Plan aus dem Urwald herausgehauen, die niedrigen Baumgattungen beschnitten.

Roche Martin bestätigte uns, daß die Pflanzung einem Franzosen gehörte.

»Auch ein solcher Hochadeliger, der sich nicht einmal duzen lassen will, dieser Herr von Morbihan da!« brummte er verdrießlich.

Herr von Morbihan – ich sah unter meinen Briefen nach. Eine der Anschriften lautete an einen Monsieur de Morbihan. Doch war es nicht dieser, bei dem wir abzusteigen gesonnen waren.

Und in diesem Augenblick trat der leibhaftige Monsieur de Morbihan aus dem duftenden Orangenhain heraus. In abgetragener Kattunjacke und Hosen, durch die die bloßen Knie schimmerten, einen breitrandigen Strohhut auf dem Kopf und mit einer Fußbekleidung, für die wir damals keinen Namen wußten, die wir aber später als Mokassins sehr liebgewannen. Er kam neugierig hastig gegen den Flußrand zugetrippelt.

»Eh bien, was bringst du Neues?« schrie er schon von weitem Roche Martin an.

»Franzosen!« antwortete dieser. »Aber nicht dir, sondern einem, der sich duzen läßt!«

Der Alte sprang hoch auf.

»Was sagst du? Franzosen bringst du? Aber nicht mir, sondern einem, der sich duzen läßt?« Und abermals sprang er auf. »Das sagst du mir, du grober, akadischer Geselle, mir, dem Herrn de Morbihan, sagst du das?«

Er ballte die Faust gegen Martin, dann zog er den Hut und wandte sich an uns.

»Messieurs, Vergebung! Der alte Grobian da hat keine Manieren, er duzt Kavaliere wie ein Gendarmerie-Korporal. Ah, wäre ich noch Kommandant, ich wollte dich duzen!«

Und er tanzte und sprang so wunderbar, und schwang seinen furchtbar schlechten Strohhut so possierlich, wir glaubten der gute Mann habe einen Sonnenstich bekommen.

»Adelaide, Adelaide!« schrie er auf einmal in die Orangenlaube zurück. »Adelaide, mein teures Kind! Der akadische Lümmel da, der mich duzt, der keine zwei Neger hat und sein Welschkorn mit seinen eigenen schmutzigen Händen bauen muß, hat uns Franzosen gebracht! Hahaha, ist das nicht drollig?«

Und während er die linke Faust gegen den akadischen Lümmel ballte, winkte er mit der rechten Hand und warf der Laube Kußhändchen zu. Wir hörten, wir schauten, wir trauten kaum unseren Ohren und Augen.

Der Alte sprang mit einem Mal vorwärts und rief uns an: »Franzosen, Landsleute, soeben gelandet. Woher, woher?«

»Aus der Bretagne – aus der Tourraine – aus der Provence!« antworteten wir.

Der sonderbare Alte sprang hoch vor Freude. »Adelaide!« schrie er zurück nach der Orangenlaube. »Franzosen aus der Provence, der Tourraine, der Bretagne, die uns Neuigkeiten bringen!«

Er sprang vor Ungeduld vorwärts, rückwärts, fuchtelte mit Händen und Füßen. In der Laube flimmerte jetzt etwas Weißes. Endlich zeigte sich die ersehnte Adelaide. Im schneeweißen Morgenkleid aus feinstem Leinen, das die schwellenden Glieder zart hervorhob, schwebte eine schlank gebaute Gestalt heran. Ein breiter Strohhut bedeckte den schönen Kopf, von dem sich eine Fülle glänzend schwarzer Locken über den Nacken herabringelte. In der einen Hand hielt sie einen Sonnenschirm, in der andern einen Fächer von bunten Federn. Ein etwa zwölfjähriges Mädchen mit einem Moskitowedel folgte ihr auf dem Fuß.

Sie warf einen flüchtigen Blick auf das Fahrzeug, das nur noch etwa hundert Schritte vom Landungsplatz war, und schwebte dann anmutig auf den Pflanzer zu, der ihren Arm zärtlich erfaßte und sie dem Uferrand zuzog, wo er hielt, einen triumphierenden Blick auf uns und einen zweiten auf das Mädchen warf. Das ganze Benehmen des Mannes hatte mehr theatralisch Kokettes als väterliche Zärtlichkeit.

Unsere Augen hingen an dem seltsamen Paar und besonders an der herrlichen Adelaide, deren Bewegungen ein eigentümliches Gliederspiel verschönerte. Das ganze Wesen des Mädchens hatte für uns etwas ungemein Anziehendes, so wie ihre Schönheit eigentümlicher Art war. Nie hatten wir solche Augen gesehen. Sie waren länglich, mehr mandelförmig geschnitten als rund, nicht ganz schwarz, mehr gazellenschwarz, halb träumerisch geschlossen, schwimmend, zuweilen aufleuchtend, und dann zuckte es wie brennende Strahlen heraus. Es lag eine unsägliche Liebesglut in diesen herrlichen Augen.

Wir hatten unsere Hüte abgenommen.

»Mach, daß du fertig wirst, Lümmel!« schrie der Herr de Morbihan dem Akadier zu und stampfte ungeduldig mit dem Fuß.

Roche Martin beachtete die Aufforderung nicht und machte keine Anstalt, die Bretter vom Fahrzeug ans Ufer zu legen.

»Du siehst, Adelaide!« wandte sich der Alte mit bittender Miene an seine Tochter. »Wenn ich nicht gehe, dauert es noch eine Stunde, ehe sie landen!«

Er sprang in das Fahrzeug und fiel mir buchstäblich in die Arme.

»Heraus, heraus!« schrie er und umarmte mich. »Heraus aus diesem barbarischen Bauernfahrzeug! Willkommen, Landsleute! Heraus, sage ich, heraus!«

»Adelaide!« rief er ans Ufer hinüber. »Siehst du, Franzosen, wahre Franzosen! Man sieht es ihnen an den Augen an! Anderer Stoff als unsere drüben am Chetimachas!«

Abermals umarmte er mich, sprang dann plötzlich einen Schritt zurück.

»Sie sind aber doch von Stand, Monsieur? Doch Kavalier? Ich bin der Sieur de Morbihan!«

»Bitte tausendmal um Vergebung!« lächelte ich. »Ich heiße Louis Victor de Vignerolles.«

»Louis Victor de Vignerolles? Ich kannte einen Grafen Hugo de Vignerolles.«

»Ich bin sein Sohn.«

»Ma foi!« Er schlug sich an die Stirn. »Wo hatte ich nur die Augen? Vergeben Sie, Herr Graf de Vignerolles, man wird blind in diesen Attacapas, unter diesem Bauern- und Handwerkervolk, man verbauert. Tausendmal Vergebung, aber so ganz sind wir doch noch nicht verbauert!«

Er trat einen Schritt zurück, setzte seinen geflickten, durchlöcherten Hut auf, nahm ihn wieder ab, schnitt ein Kompliment und umarmte mich nochmals in der Art der Hofkavaliere während der sechziger und siebziger Jahre. Dann faßte er mich bei der Hand und wandte sich mit einer Verbeugung gegen die am Ufer stehende Adelaide.

»Mademoiselle Adelaide de Morbihan, ich habe die Ehre, Ihnen den Herrn Grafen Louis Victor de Vignerolles vorzustellen. Herr Graf, ich habe die Ehre, Ihnen Demoiselle Adelaide de Morbihan, meine Tochter, vorzustellen.«

Demoiselle Adelaide knickste am Ufer, ich verbeugte mich im Fahrzeug.

Monsieur de Morbihan schritt zum nächsten. Es war Hauterouge.

»Monsieur, ich bin der Sieur de Morbihan.«

»Herr de Morbihan, ich nenne mich Vincent de Hauterouge.«

Morbihan umarmte Hauterouge, nahm ihn dann bei der Hand und sprach zu Adelaide gewendet: »Mademoiselle de Morbihan, ich habe die Ehre, Ihnen hier den Herrn Baron Vincent de Hauterouge vorzustellen. Herr Baron, ich habe die Ehre, Ihnen Demoiselle Adelaide de Morbihan vorzustellen.«

Die Tochter knickste abermals, der Baron verbeugte sich. Morbihan trat an Lassalle heran. Genau dieselbe Etikette. Als die Reihe an Ducalle kam, stutzte der Alte. Er warf einen forschenden, beinah ängstlichen Blick auf die Tochter. Sie war hocherrötet, senkte die halbgeschlossenen Augen zu Boden. Der Vater stand und starrte Ducalle mißtrauisch an.

»Monsieur de Ducalle«, nahm ich endlich das Wort.

»Capitaine im Regiment Monsieurs, mein teurer Freund.«

Sichtbar im Kampf mit sich selbst näherte sich der Alte dem jungen Mann. Die Tochter heftete einen starren Blick auf den Vater, und dieser schloß nun den verwirrt errötenden Ducalle heftig in seine Arme.

Mittlerweile waren die Bretter ans Land gelegt. Wir begaben uns ans Ufer und begrüßten dort nochmals Vater und Tochter, worauf sie uns dem Hause zuführten.

Dieses war weit bequemer eingerichtet, als wir bei unserm Eintritt vermuten konnten. Die nackten Kinder, Knaben und Mädchen, und die beinah ebenso nackten schwarzen Weiber, die im Saal herumhockten, hätten uns fast wieder hinausgetrieben. Kaum traten wir in Begleitung des etwas sonderbaren Monsieur de Morbihan in die Veranda ein, als sie alle mit einem gellenden Geheul auseinanderstoben und sprangen und uns nicht wenig erstaunt allein ließen.

Nicht nur das Haus geriet in Bewegung, der Aufruhr, den unser Erscheinen verursachte, teilte sich der ganzen Niederlassung mit. Noch waren keine zwei Stunden verflossen, und wir saßen gerade an der Mittagstafel, als eine Menge Stimmen, und zwar nichts weniger als angenehme, sich vor der Veranda hören ließen. Von allen Seiten kamen die Einwohner der Niederlassung herbeigeströmt, in Fahrzeugen und zu Pferde und mit einer Eile, als ob sie im Wettrennen begriffen wären.

Und in den seltsamsten Trachten. Einer hatte eine Kattunjacke, ebensolche Hosen und einen betreßten Hut à la Frédéric, ein anderer kam im Ginghamfrack, ein dritter im Samtrock mit verblichener Goldstickerei à la Louis Quinze und ungebleichten Kattunbeinkleidern, ein vierter im Taftrock. Die Kostüme aller Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts waren zu schauen. Die Leute debattierten und gestikulierten, das Geschrei wurde immer heftiger, je näher sie dem Hause kamen. Dann brach es geradezu in Gezänk aus, das so erbittert wurde, daß wir jeden Augenblick erwarteten, sie würden sich in die Haare geraten.

»Zu mir müssen sie, bei mir haben sie alle zehn Platz!« schrie einer.

»Badaud – Maulaffe!« höhnte ein anderer. »Willst du sie füttern wie deine Schweine? Was sollen sie bei dir, der du nichts als Gombo hast?«

Gombo ist zerstoßener Mais, in Milch und Wasser zu dicker Brühe gekocht.

»Und du hast nichts als Petitgru!« schrie ein dritter dem zweiten zu. »Zu mir müssen sie!«

Petitgru ist Mais in größere Körner zerrieben und mit wenig Wasser mehr geröstet als gekocht.

»Was willst du?« fuhr ein vierter den dritten an. »Du hast kaum ein halbes Dutzend Neger und zweimal so viele Morgen Land mit Mais bepflanzt! Sollen diese Herren bei dir unsere Attacapas kennenlernen, bei deinem Sagamite?«

Sagamite ist Mais in noch größere Stücke zerstoßen und in Wasser gekocht.

»Ah, der da will auch ein Adeliger sein!« lachte ein fünfter. »Und jedes Kind bei uns weiß, daß sein Vater ein Katalonier war!«

Katalonier waren während der spanischen Regierung häufig in Louisiana eingewandert, trieben meist kleinen Handel und waren ebenso gewinnsüchtig und tätig wie verachtet.

Wir sahen einander an. Der Auftritt war komisch, roch aber auch stark nach Gemeinheit. Auf einmal sprang Monsieur de Morbihan aus dem Hause.

»Messieurs!« schrie er noch auf der Treppe. »Ist das eine Art, französischen Kavalieren Ihre Aufwartung zu machen? Morbleu! Parbleu! Was müssen die Herren von Ihnen denken? Ich sage Ihnen – wir machen einen Ball! Gehen Sie mit Gott, Ihre Familien zu benachrichtigen, dann wollen wir weiter sehen!«

Das Wort Ball machte allem Streit ein Ende. Ein fröhliches Bravo erschallte aus aller Mund, lachend schüttelten sie Morbihan die Hand, lachend traten sie in die Galerie und lachend erzählten sie uns, während sie uns umarmten, die Ursache des Streites. Er hatte uns gegolten, jeder wollte uns zuerst in seinem Hause haben, und darüber wäre es fast zu einer Keilerei gekommen. Wir stimmten in das Gelächter ein.

Nachdem sie uns von allen Seiten beschaut hatten und wir sie und ihre Trachten, Erbstücke von Vätern und Großvätern, auf die sie um so stolzer taten, je älter und abgeschabter sie waren, drangen sie heftig in uns, zu erzählen. Nur einige entfernten sich, den Ihrigen die Nachricht vom Ball zu überbringen, die meisten blieben, um etwas vom schönen Frankreich zu hören.

Wir saßen also und erzählten von den ungeheuren Schicksalsschlägen, die auf unser armes geliebtes Land hereingebrochen waren, von der Ermordung des besten Königs, der je einen Thron geziert, von den Wirren der Konventions-, der Berg-, der Gironde-Parteien, von Marat, Robespierre, St.-Just, vom Direktorium und dem kühnen Korsen. Von alledem wußten die guten Leutchen in den Attacapas nichts. Sie waren so unschuldig an der großen Weltrevolution wie neugeborene Kinder. Ihr Staunen war grenzenlos, obwohl sie nur die Hälfte von dem, was wir sagten, verstanden.

Während wir noch erzählten, begann es abermals in den Straßen der Niederlassung lebendig zu werden. Wir sahen Damen zu Pferde und in Kabrioletts im wildesten Galopp dem Wohnhause zusprengen. Fröhlich verließen sie Sättel und Wagen und kamen die Treppe herauf.

Wir waren sehr angenehm überrascht. Die Herren waren großenteils in den beschriebenen altmodischen Kleidern, die Damen aber waren durchgängig nach der neuesten Mode angezogen, in Krepp, Seide und gestickten Musselinen, mit Gewinden in den Haaren, viele mit reichen Geschmeiden. Es versammelte sich ein Kreis von Schönheiten, deren edle Formen seltsam gegen die der etwas gemeinen Männer abstachen.

Durch zwei Zeremonienmeister wurden wir in den Ballsaal eingeführt. Er war mit Talglichtern beleuchtet, die Wände ärmlich. Die beiden Neger, die das Orchester bildeten, waren groteske Gestalten. Für uns hatten aber diese Dinge den Reiz der Neuheit, der noch ungemein durch die geschmackvollen Kostüme der Damen, ihre Schönheit und Lebhaftigkeit gesteigert wurde. Wir fühlten uns in unser geliebtes Frankreich zurückversetzt, auf eine jener entzückenden Landpartien, die durch den Beigeschmack des Bäuerischen erst ihre eigentümliche Frische erlangten.

Auch hatten wir nicht bald so viele Schönheiten auf so engem Raum beisammen gesehen. Wir erwarteten mit einiger Ungeduld die Eröffnung des Balles, und ich gestehe, unsere Überraschung stieg aufs höchste, als wir den ersten Kotillon durchführten. Diese Anmut der Bewegungen, diese Leichtigkeit, diese Poesie des Tanzes hatten wir uns nicht träumen lassen. Ich halte die Kreolinnen für die besten Tänzerinnen. Sie verschmelzen die zierliche Leichtigkeit unserer Französinnen mit der schmachtenden Üppigkeit der Spanierinnen. Erst im Tanz wird ihre Zaubergewalt unwiderstehlich.

Die Palme des Abends gebührte Adelaide. Sie war unstreitig die schönste wie die stolzeste unter den wirklich herrlichen Gestalten, die uns diese Nacht so unvergeßlich machten. Wenn man nach zehnjährigen Kämpfen, Stürmen, Feldlagern, nach einem unsteten, flüchtigen Jagen und Gejagtwerden plötzlich in einen so fröhlich sprudelnden Wirbel hineingezogen wird, dann wird man berauscht, betäubt von dem plötzlichen Wechsel. Die Erinnerungen unserer Jugend, unserer Familienkreise, die späteren unseres Hoflebens, die glänzenden Nachtbilder der Tage von Versailles stiegen wie gaukelnde Traumgestalten vor uns auf.

Es war ein schöner Zeitpunkt, unser Eintritt in die Attacapas, in das Haus Monsieur de Morbihans, einer jener Lichtpunkte, die durch ihre heitere Frische die trüben Schlagschatten düsterer Tage wieder aufhellen. Unvergeßlich bleibt uns diese Nacht. Wir tranken aus dem lange nicht gekosteten Freudenbecher mit vollen Zügen. Und keiner mehr als Ducalle. Er war zweifach glücklich.

Für mich hat jene holde Befangenheit, die ein unverdorbener junger Mann in den ersten Augenblicken einer keimenden Liebe so zart und so schüchtern dartut, einen unaussprechlichen Reiz. Sie ist wie der Tau der duftenden, vom Reif der Wollust noch nicht versengten Blüte. Mit dieser zarten Schüchternheit verband Ducalle jenes bestimmte, entschiedene Wesen, das der kriegerische Geist jener Zeit schon früh unserer Jugend angelegt hatte. Obwohl sein Großvater noch Kaufmann in Nantes gewesen und erst sein Vater als Finanzpächter geadelt worden war, hatte er doch die feinen Manieren des alten Adels. Er war nach dem Ausbruch der Revolution mit seiner Familie nach England entwichen. Leidenschaftlich in die Tochter eines geschichtlich großen Hauses entbrannt, hatte er sich von ihr bestimmen lassen, seinen Arm der vertriebenen Königsfamilie zu leihen.

So waren wir miteinander bekannt geworden, hatten miteinander gefochten und waren nach dem zweiten Vendéekrieg zusammen nach England zurückgekehrt. Er gerade noch zur rechten Zeit, um von seiner angebeteten Henriette einen ewigen Abschied zu nehmen. Der Verlust dieser ersten Liebe hatte ihm England unerträglich gemacht, nach Frankreich konnte er nicht, so schloß er sich uns an. Ein bedeutendes Vermögen sicherte ihm auch in dem neuen Land eine ruhige Zukunft und verlieh ihm jenes Selbstvertrauen, das nirgends mehr als hier vonnöten schien. Frank, frei, ein Freund bis zum Tode, begeistert für alles Gute und Schöne, dabei harmlos wie ein Kind, war er unser aller Liebling. Der jüngste von uns – er zählte nicht mehr denn vierundzwanzig Jahre –, war er unserem kleinen Kreise ganz das, was in spanischen Häusern der Niño der Familie ist.

Adelaide war das erste weibliche Wesen, das ihm nach einer trostlosen dreimonatigen Seefahrt in den Weg trat. Ihre schönen Züge hatten Ähnlichkeit mit denen seiner toten Geliebten. Während des Balles fand sich das Paar, ungeachtet aller Bemühungen der Zeremonienmeister, sie zu trennen, doch immer wieder zusammen. Sie schienen wie füreinander geschaffen, aller Augen hingen an ihnen. Monsieur de Morbihans Stirn allein schien sich zu runzeln.

De Morbihan stammte aus einer alten, aber heruntergekommenen Familie, die zur Zeit Heinrichs III. König Heinrich III. aus dem Haus Valois-Angoulème regierte von 1574 bis 1589 über bedeutende Besitzungen in der Touraine gebot, aber während der Unruhen der Fronde in Verfall geraten war. Louis de Morbihan war in seiner Jugend Page im Hause der Rohans gewesen. Der Prinz Rohan de Rohan gebrauchte ihn in einer der vielen Intrigen, die dieser ehrgeizige Schwächling zugunsten der piemontesischen Prinzessin gegen die unglückliche Tochter Maria Theresias einzufädeln sich so sehr gefiel. Darüber geriet Morbihan bei Hof in Ungnade und ging in der Verzweiflung nach Louisiana.

Hier war es ihm geglückt, den Kommandantenposten am Red River und darauf die Hand einer reichen Erbin in den Attacapas zu gewinnen, wo er sich denn auch niederließ. Die Ehe war nicht glücklich gewesen. Seine Gattin war wenige Jahre vor unserer Ankunft an einem Gallenfieber gestorben. Von fünf Kindern war nur Adelaide am Leben geblieben, die Erbin aller Besitzungen der Mutter. Die Abhängigkeit, in die dieses Erbschaftsverhältnis den Vater zur Tochter versetzte, war uns bereits in den ersten Minuten unserer Bekanntschaft aufgefallen. Sie drückte dem ganzen Wesen des Mannes eine gewisse Unstetigkeit auf, die bald heftig gebieterisch, bald unterwürfig war und nichts weniger als vorteilhaft für seinen Charakter sprach. Noch lag in seinen Zügen etwas von jener List, die den Südfranzosen eigentümlich ist, aber die Tatkraft, die sie in der Regel veredelt, war verschwunden und hatte einem verbauerten Griesgram Platz gemacht.

Sein Äußeres war übrigens ein treuer Spiegel seines Innern. Die Gesichtszüge waren unangenehm, eine gewisse Salzsäure hatte sich eingefressen, die mit den heruntergekommenen Körperformen übereinstimmte. Nur zuweilen trat noch etwas von angeborener französischer Fröhlichkeit und Gutmütigkeit hervor. Viele Ursachen mußten dieses zu besseren Dingen bestimmte Menschenleben verkümmert und zu einer so seltsamen, wenn nicht widrigen, doch wunderlichen Erscheinung verunstaltet haben.

Erst lange nach Mitternacht trennte sich die Gesellschaft, und wir begaben uns in die angewiesenen Gemächer zur Ruhe.


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