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Der Präriebrand

»Frisch vorwärts, Gaston! Ah, diese heillosen Bayous und Crevasses und Creeks und wie sie alle heißen, sie sind wie zum Halsbrechen eingerichtet! Laß deinen Renner nochmals die Füße heben!«

Dieser aufmunternde Zuspruch wurde einem achtundzwanzigjährigen französischen Kavalier zugerufen, der auf einem halbwilden, obwohl sehr matten mexikanischen Hengst soeben einen jener zahllosen Creeks zu überqueren im Begriff stand, die oberhalb der Côte gelée und Courtableau die Attacapas von den Opelousas trennen. Er hatte drei Tage lang mit seinem Freunde die düsteren Wildnisse dieser Gegenden durchkreuzt, und beide befanden sich am Rand eines jener schwarzen Kiefernwälder, die sich bis zu den Stromschnellen des Mississippi hinauf erstrecken. Das Bayou war, wie es in dieser heißen Jahreszeit gewöhnlich der Fall ist, mehr als zur Hälfte ausgetrocknet, ein Graben, in dessen Mitte sich ein Streifen hellen, ziemlich tiefen Wassers zeigte.

»So komm doch!« schrie ihm sein Gefährte, der bereits am jenseitigen Ufer stand, abermals zu. »Frisch gewagt, ist halb gewonnen!«

»Aber wenn ich nun über diesem verdammten Creek bin, was weiter?« fragte Gaston.

»Weiter?« versetzte sein Freund mit einem drollig verlegenen Lachen. »Eine Zigarre ist das Weitere.«

Und er zog aus seiner Jagdtasche die Zigarrenbüchse heraus, holte Stein, Stahl und Schwamm hervor und rauchte den Glimmstengel an, den er lachend Gaston entgegenhielt.

Gaston stimmte eine Opernarie an, trabte einige Schritte zurück, gab seinem Roß die Sporen und war in den nächsten drei Sekunden glücklich auf diesseitigem Boden in den Armen seines Freundes, der ihn brüderlich aufnahm. Denn der gute Gaston hatte trotz seines Rufes, der beste Reiter im Regiment Monsieurs gewesen zu sein, den Boden geküßt.

Als die beiden Freunde einander beschauten, brachen sie in ein schallendes Gelächter aus.

»Alle Teufel, wie wir aussehen!«

Und sie sahen aus! Sie würden dem Capitaine einer Voltigeur-Kompanie von Sansculotten nach einem vierwöchigen Novemberbiwak in der Bretagne Ehre gemacht haben. Der eine hatte die beiden Schöße seines Nanking-Fracks eingebüßt, der andere die obere Hälfte seiner Hosen mittels Weidenflechten an die untere gebunden. Gaston hatte statt des Hutes ein Sacktuch um den Kopf gewunden. Seines Freundes Kopf stak zwar noch in dem Strohgeflecht, aber der Rand war verschwunden.

»Alle Teufel!« rief Gaston. »Wir sehen ja ärger aus, ärger als diese Akadier nach einem Ball!«

Und beide lachten wieder auf. Sie hatten nämlich an einem solchen Ball am Courtableau teilgenommen. Eine große Holz- und Lehmhütte, darinnen eine keifende Sackpfeife, und um diese lustig herumhopsend Enkel, Enkelinnen, Väter, Mütter, Großväter, Großmütter, barhaupt, barfuß, in Carmagnolen – kurzen Jacken – Braguets – Lendentüchern, die an Stelle der Hosen um die Hüften geschlungen wurden – und Mitassen – Gamaschen, die vom Knöchel bis übers Knie reichten.

»Hätten wir nur diese Braguets oder Mitassen!« rief Gaston und erhob seinen hosenlosen Schenkel.

»Oder ein Glas ihres Tafia-Rums!«

»Oder einen Teller voll ihres Gombo!«

»Ein wunderliches Volk! Oh, was gäbe ich nur für eine Stunde in der bescheidensten Kneipe von Versailles! So hungrig bin ich!«

»Und ich durstig!«

»Und ich beides zusammen!«

»Und ich halb geschunden!«

»Und ich halb tot!«

»Und wir beide würdige Subjekte für alle Werke der Barmherzigkeit!«

Und abermals brachen die beiden Freunde in ein schallendes Gelächter aus. Sie waren Gaston de Lassalle und sein Busenfreund Louis de Vignerolles, die drei Tage zuvor sich der Leitung des jungen Akadiers Martin anvertraut hatten, um ... ihre Liebesrasereien zu verscheuchen.

Wir hatten den Teche hinauf gegen die Côte gelée und Courtableau zu gejagt, eine Nacht einem Ball oder vielmehr seinem Ende in einer Akadierhütte beigewohnt, die zwei anderen im Freien geschlafen. Wir hatten von Rehrücken, auf hölzernen Spießen gebraten, unser Mittagsmahl gehalten, wieder von Rehrücken unsere Abendmahlzeit, und so allmählich die nördliche Grenze der Attacapas betreten, an Geist und Körper gestärkt, obwohl mit Verlust eines wesentlichen Teils unserer Kleidung und hungrig und durstig.

Es war ein drückend-schwüler September-Nachmittag. Die Sonne hatte den ganzen Tag gleichsam gebraten. Unser kleiner Vorrat an Wein war bereits am ersten Tag daraufgegangen. Wir hatten die Flaschen dafür mit Tafia füllen lassen, den wir mit Wasser verdünnt getrunken, aber auch der war zu Ende gegangen, und Martin eben deswegen auf einer Entdeckungsreise nach frischem Vorrat.

Weit hinter uns lagen die Niederlassungen der Akadier. Martin hatte uns versichert, wir müßten bald auf amerikanische Siedler oder – wie er sie nannte – Cochon-Yankees treffen. Sie hätten sich hier eingenistet, dem Verbot der spanischen Regierung, dem Haß der Kreolen und der Eifersucht der Akadier zum Trotz. Um das alles kümmerten sie sich ebensowenig, wie er – Martin – um das Summen der Moskitos im letzten Oktoberviertel.

»Diese Burschen, glaube ich«, brummte er immer, »wollen Louisiana und Mexico verspeisen, nach dem, was man so redet. Und sie sind unverschämt, als ob ihnen Louisiana bereits gehörte, diese Burschen!«

Trotzdem wären wir jetzt froh gewesen, einen dieser Amerikaner nahe zu haben.

»Stoß einmal ins Horn!« ersuchte mich Gaston. »Ich kann es nicht, die Zunge klebt mir am Gaumen. Wo nur der alberne Junge, der Martin, so lange bleibt?«

Ich stieß ins Horn. Und indem ich so tat, sahen wir beide zugleich auf, und der fröhliche, halb mutwillige Geist schwand von unseren Gesichtern, und wir schauten. Der Ton gab nicht jenen hellen, klaren Widerhall, der bei reiner Atmosphäre das Herz des Jägers so sehr erfreut und seine Nerven stärkt. Er klang dumpf und kurz, und die Wahrnehmungen, die sich uns aufdrängten, waren wenig geeignet, uns in unserer frohen Laune zu erhalten.

Wir waren, wie gesagt, am Rande eines jener Schwarzkiefernwälder, die sich von der Côte gelée hinauf zu den Opelousas ziehen. Hinter uns lag eine Prärie, die mit Palmettofeldern, Gehölzen und dichten Urwäldern abwechselte und durchschnitten war von Bayous und Gewässern, die sich westlich vom Lebœf gegen den Chetimachas und den Teche hinabwanden. Es war eine jener herrlichen Wiesenflächen, die dem Auge immer neu erscheinen, so oft man sie auch sieht. Ein Meer von frisch grünenden, in der Blüte stehenden und gereiften Gräsern, die unseren Pferden bis an die Nüstern reichten. Rechts schlang sich ein Anflug von Palmetto eine halbe Meile vom Creek hinab, die beiden Ufer des Creek selbst waren mit einem Saum ungeheurer Zypressen eingefaßt.

Die Prärie lag endlos vor dem Auge. Weiter oben lief abermals ein Palmettofeld, an das ein Immergrüneichenwald stieß. Gegen Osten zeigte sich eine undurchdringliche Wildnis von Magnolien, Papaws, Immergrüneichen und Bohnenbäumen. Gegen Norden zu lag der erwähnte Schwarzkiefernwald.

So war die Gegend uns noch vor fünfzehn Minuten erschienen, der kurze Zeitraum hatte den Anblick gänzlich verändert. Eis- und blaugraue Dünste hatten sich um den Horizont herum gelagert und wurden, indem wir schauten, zusehends dichter. Die grellrote Sonnenscheibe wurde blässer, und die Umrisse der Wälder verschwanden. Dazwischen lagerten sich endlose trockene Dünste wie ungeheure bleifarbige Schleier. Die Luft, bisher heiß, doch leicht, wurde immer schwerer. Die Prärie erschien bloß noch wie eine Bucht im Nebelvorhang, der sich zwischen zwei Vorgebirgen herabrollt, schwach und matt durchschimmernd.

Als wir diese Merkmale eines sich vor unseren Augen entwickelnden, nicht ganz geheuren Naturereignisses erschauten, begannen unsere Mienen auch jene Verlegenheit anzunehmen, die der Leichtherzige wie der Starkmütige nicht bemeistern kann, wenn er eine unbekannte Gefahr herannahen sieht.

»Schieß dein Gewehr los!« sagte ich zu Lassalle mit einer Stimme, die mich selbst durch ihre Beklommenheit erschreckte.

Der Schuß ging los. Der Knall wurde aber von der beengten Atmosphäre wie verschlungen, er war nicht bis zu den Wasservögeln gedrungen, die wir etwa hundert Schritte von uns auf dem Bayou plätschern sahen.

»Wo nur Martin bleiben mag?« fragte ich. »Diese Akadier sind doch dümmer als ...«

»Still!« fiel Lassalle ein. »Still! Sieh nur einmal unsere Pferde! Was soll das bedeuten?«

Die Tiere waren unruhig geworden. Sie spitzten die Ohren, fingen an zu schnauben, sich mit halbem Leibe zu drehen, die Hälse zu recken, zu strecken, ungemein ängstlich zu werden. Wir sahen uns bei diesem Wittern unserer Tiere besorgt an. Sie wurden immer ängstlicher, trotz ihrer Müdigkeit streckten sie die Hälse immer verlangender in der Richtung, die den Dünsten entgegengesetzt lag.

»Hier können wir nicht bleiben!« sagte Lassalle.

»Aber wohin?«

»Uns den Pferden überlassen!«

Wir bestiegen unsere Tiere, und kaum waren wir auf ihren Rücken, als sie sich auch in kurzen Galopp setzten und längs des Creeks zwischen dem Zypressenwald und dem Palmettoanflug wie von einer tollen Meute Hunde gejagt fortrannten. Der Creek schien sich zu erweitern. Statt des Palmetto begann sich Sumpfrohr zu zeigen. Unsere Pferde wurden immer ängstlicher. Die ganze Natur war wie ausgestorben. Zuweilen ließ sich der Schrei einer Wildgans hören, der Schrei aber war schrill, unheimlich.

»Was hat das zu bedeuten, Colonel?« fragte Lassalle. »Mir wird so schwül, so heiß und doch kein Schweiß. Stoß nochmals ins Horn!«

Wir hielten an, und ich stieß abermals ins Horn. Der Ton erstarb mir auf den Lippen. Es war mir, als ob die geschwängerte Atmosphäre ihn durch die Röhre mir zurück in den Mund drängte. Die Luft war nun so heiß, so trocken geworden, daß die gekräuselten Haare unserer kurz zuvor noch vom Schweiß triefenden Pferde wie geleimt aneinander klebten. Die Tiere reckten ihre Zungen aus und lechzten nach Luft und Kühlung.

»Sieh mal!« rief Lassalle.

Wir schauten. Die Ränder des Horizontes, bisher grau und bleifarbendunstig, begannen sich gegen Südwest zu röten, die Dünste wurden räucherig.

»Hörst du nichts?« fragte ich.

Wir horchten. Von Zeit zu Zeit ließ sich etwas wie Knistern hören mit einem entfernten Gekrach, ähnlich dem Salvenfeuer einer Truppenabteilung bei nebligem Wetter. Bei jedem solchen Gekrach schreckten unsere Pferde zusammen.

Der Creek wurde allmählich breiter, der Boden sumpfiger. Wir hielten unschlüssig an.

»Wir können in dieser Richtung nicht fort«, meinte Lassalle. »Wir müssen zurück auf die Prärie, in das Palmetto, wo wir wenigstens Kühle finden!«

»Wohlan, wir wollen zurück!«

Wir ritten zurück an den Ort, wo wir über den Creek gesetzt. Aber unsere Pferde wollten sich durchaus nicht mehr zum Sprung über das Wasser verstehen. Nur mit vieler Mühe brachten wir die stutzigen Tiere endlich dazu.

Die Röte am Horizont war mittlerweile greller, die Atmosphäre heißer, trockener geworden, der Rauch hatte sich über Prärie, Wald und Palmetto hingelagert. Wir nahmen die Richtung nach diesem.

»Sieh nur, Colonel!« rief Lassalle. »Noch vor einer halben Stunde war das Rohr so frisch, als wenn es soeben aufgeschossen wäre. Jetzt hängen die Blätter wie die Hosen von den dürren Lenden unserer ehemaligen Hofkavaliere herab.«

»Meiner Treu, Gaston! Das ist ein bedenkliches Zeichen! Mir vergeht alle Lust zum Scherzen.«

Auf einmal rief er: »Was ist das?«

Die ganze Prärie, der Horizont, alles und alles vor uns gegen Süden und Südwesten hinab war eine dichte endlose Rauchmasse. Die Sonne schimmerte noch grellrot durch, aber schwächer und schwächer, zuletzt hing sie noch wie eine matt erleuchtete Papierlaterne am Himmel.

Der Rauch hatte sich erstickend herangewälzt, so daß unsere Rosse keuchend umhersprangen und wieder dem Ufer des Bayou zurannten. Hinter dem Rauchvorhang, der jetzt die ganze Prärie verhüllte, glaubten wir ein entferntes Hissen und Zischen wie das vieler Schlangen zu hören. Unsere Rosse arbeiteten sich keuchend, zitternd an allen Gliedern vorwärts.

»Was ist das?« riefen wir abermals.

Wir sprangen ab und schauten die Tiere an, die schnaubend dem Uferrand, dem Wasser zueilten. Kaum daß wir imstande waren, ihnen das Hineinspringen zu wehren. Wir betraten den Saum der Zypressenwaldung, die das Bayou an beiden Ufern einfaßte. Der rote Streifen uns zur Rechten wurde immer heller, schimmerte immer greller durch die düsteren Zypressen, deren ungeheure Wuchten noch den Rauch abhielten. Das Knistern ließ sich jetzt stärker hören.

»Was soll das bedeuten?« rief Lassalle erschrocken und setzte hinzu: »Gott gnade uns, das bedeutet, was sie einen Wald- oder Präriebrand nennen!«

Wir sahen uns an wie Leute, denen der Verstand stillsteht. Der Rauch drang immer stärker durch die Zypressen. Tränen kamen uns in die Augen.

»Mein Gott, was tun?« rief Lassalle mit halberstickter Stimme.

Auf einmal fuhren unsere Pferde zusammen, als ob sie vom Fieberfrost gerüttelt würden, und sprangen dann vor. Ein Rudel Hirsche brach dicht an uns vorüber durch das Sumpfrohr und stürzte sich in das Bayou, das es bis zur Mitte durchschwamm. Als die Tiere in die Mitte kamen, blieben sie stehen – nicht fünfzig Schritte von uns – und sahen uns an, so hilfeflehend, mit so bittenden Blicken! Wir glaubten Tränen in den Augen der Tiere, Angst in ihren Zügen zu lesen. Wir schauten die Hirsche an, unsere Pferde, uns selbst, schauten wieder durch den Zypressensaum auf die Prärie hinaus.

Der hellrote Streifen kam leckend, drohend immer näher, und ein Luftzug vor ihm, ein so heißer Luftzug! Das bißchen Schweiß, das noch aus den Poren drang, vertrocknete mit einemmal ganz. Der Luftzug ließ sich stärker hören, ein langgezogenes, nervenerschütterndes Pfeifen, Zischen, Hissen und dann ein Geprassel! Und mitten durch den erstickenden Rauch schlug eine Flamme und gleich darauf eine Feuersäule! Was sage ich, eine Feuersäule? Ein Feuermeer! Das ganze ungeheure Palmettofeld war in Flammen.

Die Hitze war nun so versengend geworden, daß wir jeden Augenblick erwarteten, die Fetzen an unseren Leibern würden sich entzünden. Wir rissen unsere Pferde oder vielmehr unsere Pferde rissen uns dem Bayou zu. Sie sprangen zugleich ins Wasser und zogen uns das Ufer hinab.

Ein frisches Gekrach, Gerassel in dem Sumpfrohr. Eine Bärenmutter mit ihrem Jungen auf dem Nacken kam auf uns zu. Dann abermals ein Rudel Hirsche, die nicht zehn Schritte von uns ins Wasser sprangen. Wir hoben unsere Gewehre auf die Bären, die Mutter wandte sich weg gegen die Hirsche zu. Wir schauten und schauten. Hirsche und Bären standen nicht zwei Schritt voneinander, zitternd wie arme Matrosen in greulicher Winternacht auf stürmisch bewegtem Ozean.

Und der Tiere kamen mehr. Hirsche, Rinder, Pferde, Wölfe, alle kamen sie, Schutz in dem einen Element gegen das andere zu suchen. Die meisten aber brachen weiter unten in das Bayou ein, das sich seenartig gegen Nordosten erweiterte. Und seltsam, wie die Tiere einige ihrer Vorgänger hinabziehen sahen, folgten sie ohne Furcht voreinander.

Wir ihnen nach! Auf einmal schallte uns Hundegebell in die Ohren.

»Hunde!« riefen wir frohlockend zugleich. »Viktoria! Da sind Menschen nicht fern!«

Eine Salve von wenigstens zehn Flintenschüssen antwortete unserm Anruf. Die Schüsse waren nicht zweihundert Schritte von uns abgeschossen. Wir sahen jedoch nichts, hörten bloß die dumpfen, durch die dichten Rauchschichten mühsam zu unseren Ohren dringenden Knalle. Die Tiere rings um uns her zitterten bei der neuen drohenden Gefahr, wichen aber keinen Schritt.

»Was soll das?« fragten wir, die wir bis zu den Gürteln im Wasser standen.

Eine neue Salve, die nur etwa hundert Schritt von uns abgefeuert wurde. Wir sahen jetzt die rot aufleuchtenden Flammen der Mündungsfeuer, hörten zugleich Stimmen durcheinander, in einer Sprache, die halb französisch, halb indianisch klang.

»Schießt alles tot, alles! Werft es ins Boot und ans Ufer! Haltet euch nicht auf!« brüllten sie.

»Es sind Akadier ihrer Aussprache nach!« bemerkte Lassalle.

Abermals eine frische Salve. Jetzt pfiffen einige Kugeln dicht an unsern Köpfen vorbei.

»Halt!« schrien wir. »Halt, wir sind hier! Schießt nicht eher, bis ihr seht, wohin und was ihr schießt!«

Einen Augenblick war es still. Dann brach ein wütendes Gelächter aus rauhen Kehlen.

»Schießt weiter, schießt!« riefen ein paar Stimmen.

»Wenn ihr schießt, so schießen wir auch!« schrien wir. »Hört auf zu schießen!«

»Morbleu! Sacré! Fichtre!« ließen sich jetzt zehn fluchende, brüllende Stimmen hören. »Wer ist da? Was haben die uns hier zu befehlen? Schießt sie nieder, die Hunde!«

»Haltet ein oder wir schießen zurück!«

»Sacré!« riefen die Halbwilden abermals. »Es sind Adelige aus dem Kirchspiel, kenne sie an ihrer Aussprache. Schießt sie nieder, die Hunde, die Spione! Was haben die am Bayou Chicôt zu tun?«

»Wenn ihr schießt, kommt das vergossene Blut über euch!« schrien wir in halber Verzweiflung.

Wir legten unsere Gewehre in die Richtung, wo wir die blaßroten Zungen aus den Büchsenröhren hervorblitzen gesehen.

In diesem Augenblick rief es ein donnerndes: »Halt! Was gibt es da?«

Und fünf Stimmen riefen hintereinander: »Halt! Was gibt's? Halt! Oder ihr seid des Todes!«

»Sacré! Das sind Amerikaner!« fluchten die Akadier.

»Halt!« rief nochmals eine starke rauhe Stimme.

Im nächsten Augenblick sahen wir ein Boot und Köpfe von Männern an uns vorübergleiten und im dunklen Rauchvorhang gegen die Akadier zuschnellen.

Stille trat ein. Darauf rief es: »Herr Graf Vignerolles!«

»Hier bin ich!«

»Der Graf!« riefen zehn akadische Kehlen. »Der Graf, ah, der Graf, der in der Chartreuse war!«

Und alle brachen in ein lautes, rohes Gelächter aus. Wir wurden blaß vor Scham und Zorn.

»Herr Graf!« rief es abermals.

In der nächsten Minute kam das Boot an uns heran, und der junge Martin erkannte uns. Gleich darauf waren wir von mehr denn zwanzig Akadiern und fünf bis sechs Amerikanern umringt.

Sowie sie die ersten Anzeichen des Präriebrandes gesehen, hatten sich die Akadier in Booten auf ihrem Bayou eingeschifft, das sich hier mit dem Bayou Chicôt vereinigte. Die Prärie bildete nämlich mit den Wäldern und Palmettofeldern einen Winkel, der auf der einen Seite vom Bayou aux bœfs, auf der anderen vom Bayou Chicôt begrenzt wurde. Das Feuer, das in der Regel im Herbst angelegt wurde, trieb die sämtlichen Tiere, die da ihren Aufenthalt hatten, natürlich dem Wasser auf der einen oder der anderen Seite zu. Die Akadier der Courtableau- und Côte-gelée-Niederlassungen waren nun gekommen, um die geängstigten Tiere zu jagen.

Es waren halbwilde Gestalten, kaum zur Hälfte bekleidet, die Männer bloß mit Braguets um die Lenden, die Weiber in groben Hemden mit einer Art Weste darüber. Wir fühlten uns empört über die brutale Weise, in der sie die Tiere niederschossen. Gleiches schien bei den Amerikanern der Fall.

»Frenchers!« redete deren ältester uns an. »Wollt ihr mit diesen Akadiern oder zieht ihr es vor mit uns zu gehen?«

»Wer seid ihr, meine Freunde?«

»Freunde?« Der Mann schüttelte den Kopf. »Ihr macht schnell Freundschaft! Freunde? Nein, das sind wir noch nicht! Aber wenn ihr mit wollt?«

»Herr Graf!« sagte der junge Martin. »Die fünf Herren Amerikaner sind gekommen, um Sie aufzusuchen. Sie waren so gut, als sie hörten, daß uns die Lebensmittel ausgegangen und wir uns verirrt hatten.«

»Scheint noch nicht viel in den Prärien unserer Opelousas herumgekommen sein?« bemerkte einer der Amerikaner.

»Das nicht, mein Freund!« erwiderte ich.

»Ich sagte euch schon, wir sind noch nicht Freunde!« versetzte der Mann mit einigem Stolz. »Aber wenn ihr amerikanische Gastfreundschaft annehmen wollt, so seid ihr willkommen.«

Wir sahen hinüber auf die Akadier, die noch immer schossen und die erlegten Tiere in die Boote und ans Ufer zogen.

»Sind doch wahre Barbaren«, murmelte der Alte dem nächststehenden jüngeren Mann in englischer Sprache zu. »Schießen mehr, als sie alle zusammen in einem Jahr verzehren können, in ihrem teuflisch französischen mordgierigen Mutwillen.«

»Habe schier die Notion«, Meinung erklärte ein junger Mann, »es wäre wohlgetan, dem verdammten Morden Einhalt zu tun.«

»Sind in ihrem Land, Sir, das heißt in dem Land, das ihrem Herrn gehört! Geht uns nichts an«, sagte der Alte.

»Wohnt ihr weit von hier?« fragte ich ein wenig ungeduldig, denn die Hitze wurde unausstehlich, der Rauch erstickend.

»Nicht so weit, wie ich es manchmal wünschte«, meinte der Alte mit einem verächtlichen Seitenblick auf die Akadier. »Aber noch weit genug, um euch Appetit zum Nachtessen zu machen, wenn ihr ihn nicht schon habt.«

»Wenn es Ihnen also gefällig ist, so nehmen wir Ihr gastliches Anerbieten an.«

Mit diesen Worten traten wir näher an das Boot hinan. Der Mann sprach nicht ja und nicht nein, warf aber einen durchdringenden Blick auf uns, besah uns von vorne und hinten.

»Also ein Graf sind Sie?«

»Ja!« versetzte ich ungeduldiger. »Und wenn Sie so gefällig sein wollten ...«

Des Mannes Miene blieb so ruhig, als wenn wir in seiner Stube beim Whiskyglas gesessen wären.

»Da sind Sie wohl von der Partei, die sie Aristokraten heißen?« fragte er nach eine Weile weiter. Wir schauten den Mann an. Was wollte er mit der Frage?

»Warum fragen Sie?«

Der Mann lehnte den Arm auf die Flinte, nahm eine dünne Rolle gedrehten Tabaks aus einer blechernen Kapsel und biß ein Stück ab.

»Warum ich frage? – Will's Ihnen sagen, warum ich frage!«

Alles das sprach er so langsam, daß es uns beinah zur Verzweiflung brachte. Man denke sich unsere Lage. Eine Prärie von etwa zwanzig Meilen Länge und zehn Meilen Breite und ein paar Meilen Palmettofelder, und alles im Brand, und dieser Brand jede Minute näher heranleckend! An einigen erhöhten Orten, wo der Zypressenwald unterbrochen wurde, hatte er das Bayou erreicht, das Wasser begann heiß zu werden. In dieser Lage nun, auf allen Seiten mit Flammen und Rauch umgeben und von einigen Dutzend halbwilder Jäger, die wie blind und toll in allen Richtungen herumschossen, spann dieser Mann und seine Begleiter in ihrem Boot eine langgedehnte Unterhaltung an, während wir bis über den Gürtel im Wasser standen. Nie wurde französische Ungeduld auf eine härtere Probe gestellt. Wir wanden uns wie Schlangen vorwärts und rückwärts, es half alles nichts, der Mann stand wie eingefroren.

»Will's Ihnen sagen, hab' vieles in meinem Leben von Aristokraten gehört«, fuhr er mit der empörendsten Ruhe fort, »vieles für und wider die Aristokraten. Scheinen sie jetzt in der Alten Welt auf dem Korn zu haben. Kommen viele zu uns, haben aber keine so recht klare Notion, was sie eigentlich sind. Will Ihnen aber meine Meinung sagen.«

»Um Himmels willen!« fuhren wir beide auf.

»Will Ihnen meine Meinung sagen, Mann«, fuhr der Alte fort. »Während ich noch im alten Dominion, in Virginia, wohnte und hinüber nach Frederickstown handelte, war ich Drover, Viehtreiber und -händler. Kehrte gewöhnlich in Bullocks Tavern ein, gute Schenke, Mann, vortreffliche Schenke. Wohl! Kamen, als ich mal mit einer ganz artigen Herde da hielt – auf meinem Weg nach Philadelphia hinüber –, kamen zwei Kameraden an, waren zwei Franzosen. Der eine war mit der Mail, der Postkutsche, gekommen, der andere zu Fuß. Der zu Fuß war ein sauberer junger Bursche von zwanzig Jahren oder darüber, der ältere mochte die dreißig haben. Ungefähr Ihr Alter, ist's nicht so?«

Ich schaute den Alten an und wußte nicht, sollte ich fluchen oder lachen.

»Wohl und gut! Die beiden Franzosen aßen mit uns an der Tafel und mußten wohl eine ziemliche Zeit keine Atzung eingelegt haben, denn sie aßen euch wie Werwölfe. Wohl! Als sie fertig waren, sah ich den jungen Mann mit der Wirtin reden, die ihn anfangs sonderbar anschaute, sich aber endlich durch sein hübsches Gesicht, wie es schien, bereden ließ, seinen Willen zu tun. Was dieser Wille war, werden Sie bald erfahren. Er gab ihr ein kleines Päckchen, das sie wieder der Magd gab, einer alten Negerin.«

»Wohl!« fuhr der Mann unbekümmert um Hitze und Rauch fort. »Waren begierig zu wissen, was eigentlich der junge Mann mit der Wirtin abzumachen hatte. Schwiegen aber, zogen unsere Stiefel aus und nahmen die Pantoffeln aus der Bar und gingen dann in unser Schlafzimmer. Wohl, waren da sechs Betten, die alle zu zweien bereits besetzt waren, bis auf das meinige und noch eines, wo die zwei Franzosen zu liegen kommen sollten. Kamen gleich nach uns, die beiden, und zogen sich aus wie wir. Der ältere warf sich geradezu ins Bett, der jüngere zauderte aber. Der Vollmond schien so hell ins Zimmer, daß wir alles deutlich unterscheiden konnten. Und als der junge Mann so zauderte und langsam sich aus seinen Kleidern ausschälte, bemerkten wir, daß er kein Hemd hatte. Zauderte deswegen, hab' ich die Notion, weil er kein Hemd hatte. Was er, Sie verstehen wohl, nicht aller Welt auf die Nase binden wollte. Hatte zwar ein Hemd, müssen Sie wissen, und war dieses das Hemd, das er im Päckchen der Wirtin gegeben, und das die der Negerin gegeben zum Waschen, wie wir später hörten, und hatte deshalb keines am Leib, weil er, hab' ich die Notion, nur ein einziges besaß.«

»Guter Mann!« unterbrach ich ihn hier. »Wollen Sie so gefällig sein, Ihr gastliches Anerbieten in Ausführung zu bringen, so ...«

Ich konnte nichts weiter sagen, denn der Rauch war so erstickend geworden und wir so ungeduldig, so rasend, daß wir dem Mann mit Lust den Hals umgedreht hätten.

»Wohl!« fuhr der Alte unbewegt fort. »Wie der junge Franzose sich so dreht und zum Bett hinwindet und die Decke lüftet, unter der der andere bereits lag, um seinen Platz zu nehmen, fuhr dieser auf einmal wie gestochen auf und gab eine ganze Ladung französischen Kauderwelschs von sich. Ich verstand nichts von dem Zeug und hörte nur: ›Sacri nun di dijeh!‹ Sagte mir aber mein Bettgenosse neben mir, der im Revolutionskrieg unter Lafayette und du Ponceau gestanden war, der Monshur sei wütend darüber, weil der Junge sich ohne Hemd niederlegen wolle. Er wolle eher verdammt sein, als einen hemdlosen Burschen an seiner Seite schlafen zu lassen. Und war der junge Mann über den Lärm, den sein Landsmann erhob, so verblüfft, sahen es deutlich im Mondlicht, daß er für einige Minuten nicht den Mund auftun konnte. Schien mir der ältere so ziemlich einer, der nur für seine eigene Bequemlichkeit sorgt und sich keinen Fiedelbogen um die eines anderen Menschenkindes schert. Wohl! Als der junge Mensch so stand, unschlüssig vor- und zurücktretend, und ich hab' die Notion, sich schämend deswegen, wissen Sie, weil er kein Hemd am Leibe hatte, obwohl er eins besaß, was aber, wie Sie wissen, die alte Negerin zum Auswaschen hatte, schrie abermals der ältere Franzose so laut wie der Major eines Freiwilligen-Bataillons vor der Front: ›Wollen Sie ohne Hemd in dieses Bett?‹ – so sagte es mir mein Nachbar. Und abermals erschrak der junge Mensch ob der Donnerstimme des Mannes, und wir schauten, was wohl kommen würde. Ich hatte große Lust dem älteren zu sagen, er solle seine Zunge weniger laut werden lassen, sonst wolle ich sie zum Schweigen bringen. Da faßte aber der junge Mensch Mut und antwortete ihm: ›Sie sind doch ein verdammter Aristokrat, ein verdammter Aristokrat!‹ Und der ältere erwiderte: ›Und Sie ein Sansculotte! Und ich will verdammt sein, wenn Sie in diesem Bett schlafen!‹ Dabei zog er einen Schenkel unter der Bettdecke hervor und zeigte ihn beim Mondlicht dem jungen Mann, war volle sechs Fuß lang, der ältere. ›Sie sind kein Franzose!‹ sagte er. ›Kein Franzose tut seiner Nation die Schande an, in einem Zimmer mit Gentlemen ohne Hemd zu schlafen!‹ Schrie der junge Mann: ›Und Sie sind kein Franzose, aber ein verdammter Aristokrat! Wären Sie ein Franzose, so würden Sie geschwiegen haben und nicht die Ehre eines Landsmanns so bloßgestellt haben! Sind aber ein verdammter Aristokrat, dem an der Ehre Frankreichs nichts gelegen ist, und ich will nicht bei Ihnen schlafen!‹ Und kamen über dieses Geschrei von und wegen der Ehre Frankreichs der Wirt und der Hausknecht und die Negerin, und als sie hörten, was vorgegangen, nahmen sie den jungen Mann mit und machten ihm ein anderes Bett. Die Wirtin befahl das nämlich, weil sie Mitleid hatte.«

Der Alte hielt inne nach dieser entsetzlichen Darstellung und schaute uns fragend an.

»Und jetzt sagt mir, war das ein Aristokrat?«

»Nein, nein, das war kein Aristokrat!« versetzten wir beide so schnell wie möglich. »Nein, lieber, guter Alter, das war ein rücksichtsloser Geselle, sonst hätte er mit einem bedrängten Reisenden ...«

Mehr konnten wir nicht sagen, denn Rauch, Hitze, Angst und Erschöpfung hatten nun den höchsten Grad erreicht, so daß selbst der Alte nun sich öfters mit seinen Bärentatzen die Tränen aus den Augen wischen und nach Luft schnappen mußte.

»Hab' schier die Notion«, sagte er kopfschüttelnd zu seinen Gefährten, »wir machen uns auf den Weg, da das Feuer es nicht tun wird.«

»Das war also kein Aristokrat?« wandte er sich wieder an uns.

Wir gaben keine Antwort, konnten keine geben.

»Wohlan, so kommt denn in das Boot!« fuhr er fort. »John, nimm die beiden Tiere, und wir wollen schauen, je eher desto besser ...«

Mit diesen Worten zog er zuerst unsere zitternden Pferde heran, dann half er uns ins Boot, in dem wir besinnungslos hinsanken. Es war die höchste Zeit, unsere Kräfte hatten uns verlassen. Von allem, was nun vorging, hörten, sahen wir nichts mehr.


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