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2

Wie lange wir so ohne Bewußtsein im Boot lagen, kann ich nicht sagen. Es mag wohl eine Viertelstunde gewährt haben. Wir wurden endlich aus unserer Ohnmacht durch den Alten aufgerüttelt, der uns, eine Flasche Tafia in der Hand, anrief. Ob wir nicht eine kleine Herzstärkung zu uns nehmen wollten, würden sie brauchen, meinte er.

Gierig griffen wir mit halbgeschlossenen Augen zur Flasche und nahmen einen tüchtigen Zug. Der Trunk stärkte uns wunderbar. Wir schlugen die Augen auf.

Vor uns lag ein unabsehbarer Zypressensumpf, hinter uns der breite Wasserspiegel der ineinanderfließenden Bayous, über den eine endlose Rauchschicht so hingelagert war, daß wir die stahlblauen Wasser unten, oben den blauen Himmel sahen, der aber weiter gegen Südwesten wieder durch hochhinstrebende Rauchsäulen unseren Blicken entzogen wurde. Nur zuweilen blitzten die Flammen hinter dem Rauch hervor, und die gewaltigen Massen der Zypressen erschienen wie in einem Feuermeer.

»Wir sind doch sicher vor dem Feuer?« fragte ich schaudernd.

»Sicher genug!« entgegnete der Alte. »Aber es wird spät. Die Sonne ist keine Stunde mehr am Horizont, und wir haben noch ein schönes Stück Weges vor uns.«

»Und wohin geht dieser Weg?«

»Wohin er geht? Je nun, wohin er geht, das kommt auf euch an! Er geht durch den Zypressensumpf, außer ihr zieht den Umweg vor.«

»Der kürzeste Weg ist der beste.«

»Der kürzeste Weg ist der beste!« polterte der Alte, zu seinen Gefährten gewandt. »Da seht wieder mal den Franzosen! Wollen ihm zu Gefallen den kürzesten Weg nehmen, glaube, es ist ebenso wohl getan.«

»James!« sagte er dann zu einem der Männer. »Ihr geht weiter unten durch den Snapping-Turtle-Sumpf, wir gehen mitten durch.«

»Aber unsere Pferde?« bemerkte ich.

»Eure Pferde, die gehen den längeren Weg oben hinaus, bis nämlich das Feuer ausgetobt hat. Hab' die Notion, wir bekommen diese Nacht einen Regen, und dann verbrennen sie sich nicht die Hufe.«

»Und wohin sollen wir?«

»Fragt zuviel, Mann! Werdet es sehen!«

Wir waren nun am Rand des Sees, der hier durch die Vereinigung der beiden Bayous gebildet wurde, vor uns lag der Zypressensumpf. Ich hatte solche Sümpfe bereits kennengelernt, obwohl nur oberflächlich. Denn es war uns nie möglich gewesen tief einzudringen. Aber als ich nun in das düstere Dunkel hineinschaute, glaubte ich nochmals fragen zu müssen: »Alter, gibt es denn auch Weg oder Steg durch diesen Sumpf?«

»Weg oder Steg? Ist kein Gentlemens-Park, versichere euch, kein Gentlemens-Park. Weg oder Steg? Je nun der Weg, den die erschöpfte Natur euch gemacht hat!«

Er sprang auf einen Baumstamm, der mit Moos und Lianen überzogen aus dem bodenlosen Abgrund hervorragte.

»Sehen Sie, das ist der Steg!«

»Dann wollen wir lieber den weiteren Weg mit unseren Pferden!« versetzte ich. »Aber wo sind denn unsere Pferde? Ich sehe sie nicht.«

»Tut, wie ihr am besten glaubt! Wir gehen hier! Muß euch aber sagen, daß ihr innerhalb vierundzwanzig Stunden schwerlich etwas auf die Zunge bekommen dürftet. Sei denn, ihr könntet wie eure Pferde zur Not von Rohrblättern euer Abendmahl halten.«

»Aber es gibt doch Wasservögel, Wildbret?«

»Ja, die gibt es in Fülle, wenn ihr sie roh verzehren wollt wie die Indianer oder wenn ihr zwei Meilen in der Runde einen Quadratschuh festen Bodens wißt, euch ein Feuer anzumachen.«

»Pshaw! Wir versäumen nur die Zeit!« murmelten die jungen Männer.

Die Wahrheit zu gestehen, wurde mir ein wenig bang unter diesen Menschen. Ihre Sprache fing an, mir nicht ganz zu gefallen, sie war so schonungs- und rücksichtslos. Wir waren daran gewöhnt, unsere Wünsche von Menschen dieser Klasse wenn nicht immer mit unterwürfiger Leichtigkeit erfüllt, doch mindestens nicht auf eine so rauhe Art auf die Folter gespannt zu sehen.

Wir schauten abwechselnd den Alten und wieder seine Begleiter an. Wir hatten von Amerikanern eben nicht die vorteilhafteste Meinung, und besonders nicht von denen, die sich als Squatters in verschiedenen Teilen Louisianas eingedrängt hatten. Wir wußten, daß dieses Wort von squatt – auf Indianerweise niederhocken – abgeleitet wurde, und daß man jene Hinterwäldler so nannte, die sich auf irgendeinem Stück Landes niederließen, ohne nach dem Besitztitel zu fragen, eine Blockhütte bauten und das Land urbar machten. Wir hatten sie als Leute schildern gehört, die weder Gott noch den Menschen fürchteten, nur ihrem Arm, ihren Äxten und ihren Stutzen vertrauten, tief in den Wäldern siedelten, wie Wilde in einer Art roher hölzerner Hütten wohnten, Vieh, besonders Pferde, stahlen, von Welschkorn und Salzfleisch lebten und den Indianern nur wenig an Wildheit nachgaben.

Es war uns gesagt worden, daß kurz vor unserer Ankunft in den Attacapas in eben der Gegend, wo wir uns nun befanden, einer dieser halbwilden Republikaner sogar eine Belagerung gegen die Truppen der Regierung in seinem Blockhaus bestanden habe. Er sollte einen Einfall in die westlichen Parishes Pfarrbezirke, frühere Bezeichnung für County in Louisiana von Louisiana gewagt, einen Trupp wilder Pferde eingefangen haben, dann auf seinem Zug nach dem Mississippi entdeckt und bis in sein Blockhaus verfolgt worden sein, wo er eine mörderische Belagerung ausgehalten hätte. Das Gerücht hatte ohne Zweifel vergrößert, war aber nur zur Hälfte wahr, was über diese Menschen verlautete, so befanden wir uns eben nicht in der besten Gesellschaft.

Während uns diese Besorgnisse durch die Köpfe fuhren, schauten wir uns den Mann nochmals an. Er war über sechs Fuß lang und hager, aber Sehnen und Knochen verrieten eine außergewöhnliche Stärke. Die Gesichtszüge waren scharf, die Augen hatten einen wahren Falkenblick. Seine Miene sprach von Selbstbewußtsein, wie sein ganzes Benehmen gegen uns eher Geringschätzung als Achtung hervorblicken ließ. Und doch bestand seine Kleidung in einem bloßen Lederwams mit einem Gürtel, in dem ein langes Messer stak, ledernen kurzen Hosen, einem Strohhut, der aber den Rand verloren hatte, und Mokassins. Ganz ähnlich waren seine Begleiter angetan.

»Wo ist denn Martin?« fragte auf einmal Lassalle.

»Meinen Sie den jungen Akadier, der uns bat, Sie in Obhut zu nehmen?« fragte der Alte.

»Eben den!«

Der Alte deutete auf den Rauchvorhang.

»Dort wird er wohl zu finden sein. Hab' aber die Notion, ihre teuflische Jagd ist vorüber. Höre keine Schüsse mehr.«

»Dann wollen wir zu ihm! Aber wo sind unsere Pferde?«

»Hab' die Notion, der Frencher da weiß nicht recht, was er will!« sagte einer der jungen Männer. »Eure Pferde weiden eine halbe Meile oberhalb im Rohr. Werdet doch nicht wollen, wir sollen die armen Tiere eine halbe Meile durch das Bayou hinter dem Boot nachschwemmen. Bill ist bei ihnen.«

»Und was will er mit ihnen?«

»Joe geht mit dem Boot hinauf. Und wenn das Feuer ausgetobt hat, dann werden wir das Weitere sehen. Werdet doch nicht glauben, daß wir eure Pferde ...?« Der Alte sprach das Wort nicht aus, aber seine Miene verzog sich in ein stolzes Hohnlächeln.

Lassalle und ich hatten ihn aufmerksam beobachtet, wir entgegneten zugleich, daß wir mit ihm gingen und uns ihm anvertrauten.

»James!« wandte er sich hierauf zu einem der jungen Männer. »Es bleibt dabei. Du gehst mit Joe weiter unten durch den Snapping-Turtle-Swamp, Alligator-Schildkröten-Sumpf wir schneiden mitten hier hinein. Wird aber nicht schaden, wenn wir uns gleich hier mit Kienfackeln versehen.«

»Kienfackeln?« fragten wir.

Des Alten Blick schien zu sagen: Aber müßt ihr denn eure Zunge in allem haben? Er schaute den abgehenden jungen Männern nach, dann warf er hin: »Ei, Kienfackeln! Und sind soviel wert in diesem Zypressensumpf wie eure Leben, und hättet ihr deren zehn.«

»Eine seltsame Sprache haben diese Leute«, raunte mir Lassalle zu.

Der Alte hatte mittlerweile Feuer geschlagen und einen der Späne, die im Boot lagen, angezündet, aber mit einer so langsam abgemessenen Bedächtigkeit, die uns trotz unserer unangenehmen Lage zum Lächeln zwang. Er zündete einen zweiten an, schaute nochmals zurück auf das Bayou, dann dem Boot nach, das im Rohrsaum bereits unsichtbar zu werden begann, und hob dann den Fuß.

»Verdammter spanischer Sumpf!« brummte er. »Wäre er nun gut amerikanisch und nicht verräterisch spanisch, so hielte er wie ein ehrlicher Mann aus, bis ihr ihn mit den Armen gefaßt, und wiche nicht und zöge euch nicht nach, ei nach, sage ich euch, und wären eure Köpfe zwanzig Fuß von euren Schuhsohlen.«

»Folgt mir Schritt auf Schritt, als wenn ihr auf Eiern trätet«, wandte er sich an uns. »Und du, Jonas, hab ein Auge auf die beiden Frenchers und warte nicht erst, bis du ihre Beine über die Mokassins im Schlamm stecken siehst!«

Uns war nicht ganz erquicklich bei diesen eben nicht sehr trostreichen Weisungen, aber wir nahmen allen unsern Mut zusammen und schritten dem Alten nach.

So waren wir etwa fünfzig Schritte in den Sumpf eingedrungen. Bisher hatte uns das Licht des Tages geleuchtet. Die Zypressen standen zehn bis fünfzehn Fuß auseinander, die ungeheuren Stämme erhoben sich fünfzig Fuß, ehe die breiten schirmähnlichen Zweige sich ausbreiteten, Stamm an Stamm gereiht, Krone an Krone, so daß der Sumpf einem endlosen Schirmdach glich, durch das auch kein einziger Sonnenstrahl sich zu stehlen vermochte. Wir sahen noch das vom Uferrand schief hereinfallende Licht mit der Dämmerung kämpfen, in düsteres Dunkel zucken, endlich in Nacht übergehen.

In dem Verhältnis, in dem das Tageslicht abnahm, wurde auch die Sumpfluft dicker, erstickender, endlich verpestet. Die anfangs hell auflodernden Flammen unserer Kienfackeln wurden schwächer und schwächer, zuletzt schwammen sie vor unseren Augen bloß noch wie Irrlichter.

»Ja, ja!« murmelte der Alte wieder. »Eine Nacht in diesem Sumpf zugebracht, mag euch den giftigen Fieberdreck in den Leib bringen! Was Nacht? Eine halbe Stunde mag es, wenn ihr nur drei Poren am Körper offen habt! Ist aber keine Gefahr, der Präriebrand hat auch sein Gutes. Trocknet den Schweiß, schließt die Poren.«

Während der Mann so vor sich hinbrummte, schritt er vorwärts. Jeden Stamm, auf den er seinen Fuß setzte, beleuchtete er zuerst, dann probierte er ihn, aber mit einer Fertigkeit, die bewies, daß er diesen gefährlichen Weg bereits öfters genommen.

»Folgt nur immer!« brummte er abermals. »Aber macht euch leicht, ihr Frenchers, so leicht wie ein Frencher sich nur machen kann! Haltet den Atem an! – Ah, der Klotz da!«

»Holla, Nathan!« rief er sich zu. »Holla! Hättest dich um ein Haar betören lassen, so ein alter Sumpfgänger du bist, und einen sechzehn Fuß langen Alligator für einen modernden Baumstumpf genommen.«

Der Alte hatte den Fuß gehoben und vorgestreckt, aber zum Glück im Zweifel den vermeintlichen Klotz mit dem Schaft seines Gewehres angestoßen. Der Klotz war gewichen. Der Alte warf sich zurück, prallte heftig an mich an, und ich wäre um ein Haar von dem schmalen Steg hinab in den Sumpf getaumelt.

»Ah, verräterischer Geselle!« rief er, nichts weniger als erschrocken. »Glaubst du, ehrliche Leute durch deine Teufeleien hintergehen zu können?«

»Was gibt's, Alter?«

»Was es gibt?« Er zog sein langes Schlachtmesser. »Nichts, als daß sich ... doch da seht ihr ihn ja!«

Und statt des Klotzes, der verschwunden war, gähnte uns der Rachen eines Alligators an. Ich erhob meine Flinte.

»Schießen Sie nicht, Monshur!« wisperte mir der Alte zu. »Schießen Sie nicht, so lange Sie es lassen können! Sie sind nicht allein hier! Das wird's tun!«

Er beugte sich gemächlich nieder und stieß dem Tier sein langes Messer ins Auge. Mit einem furchtbaren Geheul schlug die Bestie um sich, daß uns der schwarze Sumpfschlamm über und über bespritzte.

»Da! Nimm das – und das – und das!« lachte der Alte und stieß dem Tier, das sich krümmte und nach ihm schnappte, noch einige Male das Messer zwischen den Hals und in die Rippen.

Dann wischte er das Blut vom Messer, steckte es in den Gürtel und sah sich bedächtig um.

»Hab die Notion, daß da irgendein Baumstamm sein muß. Bin doch nicht das erste Mal auf diesem Track. Da ist er, aber gute sechs Fuß weit! Jetzt, Frenchers, sind eure Tanzbeine etwas wert!«

Mit einem Satz sprang er auf das, was er einen Baumstamm nannte.

»Um Himmels willen, Mann! Ich sehe das Wasser glitzern! Stecken Sie drin?«

»Pah, Wasser! Was Wasser zu sein scheint, sind ein paar arme Teufel von Schlangen – ehrliche Mokassin- und falsche Kongoschlangen! Wollen auch leben, sind gutes Futter für unsere Schweine. Jetzt setzt an!«

Die Not verlieh mir Kräfte. Ich drückte den linken Fuß so fest auf den im Schlamm schwankenden Stamm, als ich vermochte, und sprang dann hinüber. Lassalle mir nach.

»Bravo!« murmelte der Alte. »Frisch auf, auch Sie, zweiter Monshur, daß wir weiterkommen. Noch ein paar solcher Stellen, und dann geht es besser!«

Und wir schoben uns weiter, Schritt für Schritt. Hoben den einen Fuß, legten ihn leicht auf, zogen ihn zurück, bis wir tragbaren Grund gefaßt zu haben glaubten, stießen mit unseren Gewehren zugleich in die Stämme ein. Die Viertelstunde hatte uns wunderbar behende gemacht, aber Not lehrt diese Fertigkeit auch dem Ungeschicktesten. Und hier tat es not. Der Zypressensumpf erstreckte sich vier bis fünf Meilen am Bayou entlang, ein tiefer schwarzer Moorschlamm, bedeckt mit einer schmutzig und wieder hellgrün trügerischen Matte von Schlingpflanzen, Lianen, Moos, die Sumpf und Baumstämme überzogen hatten. Diese Baumstämme lagen zwar nicht regelmäßig, aber doch so, daß man sah, hier waren Menschenhände tätig gewesen.

»Sagen Sie mir, hier scheint doch ein Pfad durchzuführen«, begann ich. »Denn ...«

»Schweigen Sie!« unterbrach mich der Alte. »Schweigen Sie, bis wir auf festem Grund sind, schweigen Sie für Ihr Leben! Merken Sie nicht auf die Schlangen, sondern treten Sie mir nach!«

Und als ich abermals den Fuß vorstreckte, um ihn im matt flackernden Licht der Kienfackeln in die Stapfen des Alten zu senken, hob sich nicht vier Zoll von meinem Fuß über den Baumstamm herüber aus dem Schlamm ein gräßlicher Alligatorenrachen und schnappte mit solcher Behendigkeit nach mir, daß ich nur noch soviel Zeit übrig hatte, mein Gewehr dem Tier in das funkelnde Eidechsenauge abzudrücken.

Es prallte zurück, gab ein stöhnendes Gebrüll von sich, schlug einige Male im Morast wie rasend um sich und versank. Der Alte hatte sich umgesehen. Ein zufriedenes Lächeln spielte um seine geöffneten Lippen, aber ich hörte nicht, was er sagte. Denn der Aufruhr, der nun von allen Seiten ausbrach, war so furchtbar, daß er mich einige Minuten ganz betäubte.

Tausende, Zehntausende von Alligatoren, Bullfröschen, Nachteulen, Anhingas, Schlangenhalsvögel Reihern, die im Schlamm und den Laubdächern der Zypressen hausten, erhoben nun ihre Stimmen, ihr Gebrüll und Gestöhn. Sie wurden rebellisch, brachen kreischend aus ihren Schlupfwinkeln hervor und umkreisten uns, flogen uns um die Köpfe. Wir hatten unsere Messer gezogen, unsere Arme über die Köpfe und Augen gehalten, aber es wäre um uns geschehen gewesen, wenn nicht ...

Im entsetzlichen Aufruhr der gräßlichen Tierwelt fiel ein Schuß, dann ein zweiter. Das Wüten, Toben der Tiere wurde auf einmal heulend, kläglich. Die Tiere prallten noch einige Male an uns an, dann flogen sie in weiteren Kreisen um uns herum, zuletzt wurde das Geschrei, Gebrüll schwächer. Unsere Leuchten waren ausgelöscht, wir standen in stockfinsterer Nacht.

»Alter! Um Himmels willen!«

»Ei, sind Sie noch am Leben?« lachte der Alte mit einem so sonderbaren Nachklang, daß mir unheimlich wurde. »Und Ihr Freund? Hab' Ihnen gesagt, daß wir nicht allein sind! Wehren sich auch, diese Bestien, wenn man sie in ihren Schlupfwinkeln angreift. Ein einziger Schuß reicht hin, euch das ganze Gezücht auf den Hals zu bringen. Aber lassen sich die Köpfe wieder zurechtsetzen, wenn sie sehen, daß es Ernst gilt. Zwei Schüsse nacheinander unter sie hineingetan verfehlen selten, sie zu belehren, daß sie nur unvernünftige marktschreierische Geschöpfe sind.«

Während der Alte so sprach, schlug er recht bedächtig Feuer und zündete eine der Kienfackeln an.

»Zum Glück haben wir hier etwas breiteren Fußboden«, lachte er. »Aber jetzt vorwärts! Es ist hohe Zeit. Die Sonne ist unter, ich merke es, und wir haben noch ein schönes Stück Weges vor uns. Auch möchte es nach Sonnenuntergang im Carancrosumpf zu verweilen nicht zweimal ratsam sein.«

Und er schob abermals vorwärts, Schritt vor Schritt, aber sicher, fest, mit einer Zuversicht, die uns bei jedem Schritt mehr Vertrauen zu dem Mann einflößte.

Wir mochten eine halbe Stunde so fortgezogen sein, als ein blaßheller Schein uns entgegenschimmerte.

»Noch fünf Minuten, und wir sind am Ziel! Aber gebt acht! An den Rändern dieses verdammten spanischen Zypressensumpfes halten sich immer am liebsten diese teuflischen Alligatoren und Snapping-Turtles auf, lieben das feste Land, die Alligatoren.«

Ich hatte in meiner Begierde, endlich festen Grund zu fassen, nicht mehr auf die Worte des Alten gehört. Die Bäume waren hier dichter, so war ich dem Alten vorgeschritten. Auf einmal fühlte ich den Stamm weichen, auf den ich den Fuß gesetzt. Ich hatte nur soviel Zeit, halt zu rufen, und bereits war ich bis unter die Arme im bodenlosen Schlamm.

»Ah, haben Sie in Ihrem französischen Leichtsinn einmal Ihren eigenen Weg gehen wollen!«

Lachend sprang der Alte vor und ergriff mich beim Haarschopf.

»Lassen Sie sich das zur Warnung dienen, Monshur!« Mit diesen Worten zog er mich wieder auf den Baumstamm. »Sehen Sie!«

Wirklich sahen meine Augen mehrere Alligatoren, die herbeigeschossen kamen. Ich war keines Wortes mächtig, er griff nach der Flasche.

»Nehmen Sie einen Schluck Herzstärkung, aber nein, warten Sie, bis wir im Palmetto sind! So, halten, fassen Sie sich, lassen Sie das Herzklopfen vorübergehen! So, mein guter Frencher, ah, wenn Sie mit dem alten Nathan noch ein paar solche Touren machen, sage Ihnen, werden ein ganzer Mann werden. Jetzt aber kommen Sie!«

Wir schritten nun vollends dem Rand des Sumpfes zu. Die mondhelle Nacht ließ uns ein wogendes Palmettofeld schauen, dessen Millionen Stämme säuselnd und grüßend uns entgegenwogten. Wir atmeten leichter.

»Jetzt ruhen Sie aus und nehmen Sie einen Schluck, einen mäßigen Schluck, dann mögen Sie einen stärkeren nachfolgen lassen! Ruhen Sie aus, guter Monshur! Sehen Sie, es läßt sich etwas aus Ihnen machen. Wollen nun auf eine kurze halbe Stunde zur Salzlick.«

»Wohin?« fragten wir.

»Je nun, zur Salzlecke! Denke, läßt sich noch ein Hirsch oder ein paar auftreiben.«

»Und wir sollen hier bleiben?«

»Fürchtet euch doch nicht? Habt ja eure Gewehre! Kommt ein Bär oder ein Kuguar, so wißt ihr, was zu tun ist. Wollen, wie gesagt, sehen, ob wir keinen Hirsch finden!«

»Aber warum ihr nicht am Bayou ...?«

»Warum wir nicht am Bayou?« unterbrach er mich ungeduldig. »Uns am Bayou die Todesangst eines armen Hirschbocks oder einer Kuh zunutze machen? Wie feige Spanier oder wilde blutdürstige Akadier? Möge meines Vaters Sohn erschossen werden, wenn er so etwas ...! Holla, was war das?«

»Ein Donnerschlag!«

»Ei, Donnerschlag! Ihr habt noch wenige Donnerschläge in Louisiana gehört, sonst würdet ihr die scharfe Rifle Gewehr, Flinte eines amerikanischen Hinterwäldlers nicht für einen Donnerschlag halten! Aber freilich, da oben ist ein Immergrüneichenwald, der euch das Echo viermal wiedergibt. Ei, es war James' Rifle, er hat einen Hirsch geschossen. Holla, ein zweiter!«

Es war wirklich ein zweiter Schlag, der aber wie das mächtige Rollen des Donners von dem ungeheuren Wald gegen das Palmetto herabrollte.

»Holla, Burschen! Das ist genug! Schont das Wild und euer Pulver und Blei, schont beides! Müssen sie aber schon merken lassen, daß wir auch noch in unserer Haut stecken und nicht in einem Alligatorenrachen«, sprach der Alte.

Er hatte mittlerweile geladen und schoß seine Rifle ab. Der Widerhall rollte feierlich hinüber, kam wieder herüber. Wir saßen schweigend. Der Alte deutete auf das Palmetto, winkte uns aufzustehen und nahm den Weg durch das Rohr. Seine Wendungen waren so leicht, wie ein schlüpfriger Aal wand er sich durch die Millionen Stämme hindurch. Wir folgten ihm, so gut wir es vermochten.

In einer halben Stunde waren wir an der Salzlecke, wo wir seine beiden Söhne mit dem Ausweiden und Zerlegen der Hirsche beschäftigt fanden. Sie ließen sich dabei so wenig stören, daß wohl eine Viertelstunde nach unserem Zusammentreffen verlaufen sein mochte, ohne daß ein Laut gehört worden war.

Wir hatten uns gesetzt. Als Hinter-, Vorderteile und Rücken weidmannsgemäß zerlegt waren, sahen sie den Alten fragend an.

»Was denkt ihr?« fragte dieser. »Wollt ihr hier noch einen Bissen versuchen oder warten, bis wir zu Hause sind?«

»Wie weit ist das noch?«

»Je nun, wie weit? Mit einem guten mexikanischen Trotter, und wären die Wege besser, könnten wir wohl in drei Viertelstunden zu Hause sein. So aber dürfte es noch ein paar Stunden dauern.«

»Dann ziehen wir's vor, hier einen Bissen zu nehmen.«

»Wohl! So sei es!«

Ohne ein Wort zu verlieren, schnitten die Söhne einen Ziemer von einem der Hinterteile. Wir suchten dürres Reisig zusammen, in einer Minute loderte ein fröhliches Wachtfeuer, in der zweiten Minute drehte sich der hölzerne Spieß.

Eine halbe Stunde darauf saßen wir um einen gebratenen Hirschziemer. Obwohl wir kein Brot zum Imbiß hatten, schmeckte er uns besser als die köstlichsten Rebhühner mit Trüffeln gefüllt je an der Marschallstafel von Versailles. Auf unsern Schenkeln hockten wir um das Feuer, auf den Knien Cottonbaumblätter, darauf Stücke von Braten, die einem Nimmersatt genügen konnten und so schnell verschwanden, daß selbst unsere Hinterwäldler ob unseres gräßlichen Appetits staunten und starrten.

Der Vollmond goß sein grünes Zauberlicht über die Millionen Zwergpalmen aus. Hier dämmerte eine Zypresse in mildstrahlender Verklärung auf, dort verschwamm eine zweite, dritte in phantastischem Helldunkel. Die ganze Landschaft tanzte vor unseren trunkenen Blicken. Im Südwest war der Himmel rosarot aufgehellt, gegen Nordwest war das Firmament apfelgrün. Das Bild dieser Nacht wird mich nie verlassen.


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