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2

Die Sonne senkte ihre Strahlen bereits durch die Liquidambarbäume, die die Ostseite der Pflanzung einsäumten, als mich ein brennendes Jucken an den Armen und im Gesicht aus dem Schlaf weckte.

Amadée stand vor mir. Er hatte die Moskitovorhänge zurückgeschlagen, und sogleich waren einige dieser Insekten über mich hergefallen, um mein frisches ausländisches Blut zu versuchen.

»Was willst du?« rief ich ein wenig unwillig.

Amadée legte den Zeigefinger auf den Mund und deutete auf die halbgeschlossenen Rolläden.

»Ich möchte noch schlafen!«

Amadée legte nochmals den Zeigefinger auf den Mund und hielt mir den Schlafrock hin. Ich erhob mich, um seinen Willen zu erfüllen. Das Gemach, in dem ich mich befand, lag an der Ecke der Veranda. Aus den Rollläden sah man in ein dichtes Gebüsch von Orangen, Palmen und Catalpas hinein, das sich bis zu den erwähnten Liquidambarbäumen hinzog wie eine dichte Laube.

Der Morgen war wunderbar erfrischend. Durch die goldenen und schneeweißen Früchte und Blüten schimmerte der Spiegel des Teche hindurch. Singvögel hüpften auf und zwischen den Zweigen, darunter zwei Spottvögel. Das Männchen saß auf einem Catalpazweig und besprach sich mit dem Weibchen, das einige Fuß tiefer sich wiegte. Es erhob sich, flatterte im Kreis um die Geliebte herum, auf diese zu, umflatterte sie, flog empor und brach in den herrlichsten Nachtigallengesang aus. Ich stand entzückt. Das liebliche Tierchen schwang sich abermals in die Höhe, umkreiste das Weibchen, ließ aus seiner winzigen Kehle die Töne einer miauenden Katze, eines bellenden Hundes, eines blökenden Lammes, aller Tiere hören, die im Hause den frohen Tag begrüßten. Das Weibchen gab einen seltsamen, wie lachenden Ton von sich, und das Männchen flog auf und brach wieder in den entzückenden Schlag unserer europäischen Nachtigall aus. Es war der erste amerikanische Spottvogel, den ich hörte. Wunderbar fühlte ich mich bewegt.

Amadée unterbrach mich, indem er mit dem Finger durch die halb aufgerollte Jalousie in die Laube hineindeutete. Sie war mit zahllosen Winden-, Orangen- und Zitronenblüten überhangen. Gehänge von wilden Weinreben umwanden Bäume und Strauchwerk, hingen in die Laube hinein und umfingen eine aus Baumästen gezimmerte Bank, vor der als Tisch ein ungeheurer Stumpf von einem Liquidambar stand.

Ich schaute genauer. Von der Bank glänzte es mir hell in die Augen. Überhangen von Windenblüten, saß Adelaide auf der Bank, das glänzend schwarze Haar um den Nacken geringelt, die schwimmenden Augen auf den kosenden Spottvogel gerichtet, dann wieder träumerisch zur Erde geschlagen. Jetzt fuhr sie mit der Hand über die Stirn, ein leiser Seufzer stahl sich aus ihrer Brust.

Amadée legte abermals den Zeigefinger auf den Mund und deutete auf eine zweite Gestalt am Eingang der Laube. Dort stand Monsieur de Morbihan und betrachtete das Mädchen mit gerunzelter Stirn. Zuweilen verzerrte eine Grimasse seine Züge, dann wieder hellten sie sich auf, etwas wie schadenfrohe Bitterkeit schien sie zu durchzucken. Ein seltsames Gemisch von Empfindungen mußte die Brust des Mannes durchwühlen, seine Gesichtsmuskeln waren in einer eigentümlich rollenden Bewegung.

Zuweilen hob er den Fuß, als wollte er sich der Tochter nähern, hielt aber inne wie einer, der den Mut nicht fand. Endlich nahm er sich zusammen und trat einen Schritt näher. Des Mädchens Augen waren noch immer halb geschlossen. Er tat einen zweiten Schritt. Jetzt richtete sie den Blick auf ihn, aber es war nicht der kindliche Blick der liebenden Tochter, die den Vater des Morgens begrüßt, es war der Blick einer Herrin, die unwillig ist, vom Hausmeister gestört zu sein. Der Vater schwieg noch immer. Wieder trat er einen Schritt näher.

»Was willst du?« fragte sie im Ton der Gebieterin.

»Teure Adelaide, ich habe dich heute noch nicht gesehen.«

Ein halb bitteres, halb spottendes Lächeln spielte um die Lippen des schönen Kindes. Der Alte sah sie an, und es zuckte abermals eine Grimasse über sein Gesicht hin.

»Adelaide, was stimmt dich so verdrießlich?« fragte er lauernd.

Sie stierte auf die Erde und zertrat die Windenblüten, die sich um das Gestell der Bank schlängelten. Wer sie gestern gesehen in ihrer Beweglichkeit, in ihrer durch die ersten Regungen der Liebe verschönerten Zartheit, der erkannte sie nicht mehr. Sie war ein ganz anderes Wesen.

»Adelaide, du bist verdrießlich!«

»Ach, Papa! Wer würde es nicht sein? Deine Juba hat mein neues Seidenkleid zertreten, als sie aus deinem Schlafzimmer kam, und als ich sie schalt, lachte sie mir ins Gesicht. Papa, du darfst mir nicht meine Sklavinnen verderben!«

Diese Worte tönten mir gedehnt, zänkisch, halb gellend in den Ohren. Ich sah die schöne Sprecherin an, im Zweifel, ob sie es war, die gesprochen. Der Papa stand wie ein armer Sünder.

»Du hast sie seit einer Woche zu deiner Geliebten gemacht, ich will das nicht in meinem Hause haben!«

Der Mann schnitt abermals eine Grimasse. Ekelhaft erschienen mir die beiden. Das Mädchen sprach von der Sünde ihres Vaters, als wenn auf ihren Moskitofächer getreten worden wäre.

»Ah, Adelaide!« schmeichelte der Vater nach einer Pause, widerlich lachend. »Stimmt das dich so bitter?«

»Vielleicht was anderes?«

»Ah, du hast Geheimnisse vor mir!«

Sie schaute ihn einen Augenblick forschend an.

»Und wenn ich sie habe?«

»Adelaide, wie siehst du mich an? Dein Blick sagt: mußt du alles wissen? Adelaide, du kannst es nicht verbergen!«

»Was?« fragte sie.

»Daß ... daß ... daß Herr von ... Adelaide, mein Kind, sei aufrichtig! Du weißt, dein Vater ... freilich hat er dir nichts zu befehlen ... deine Mutter hat dich glücklicher bedacht als ihn.«

»Meine Mutter!« seufzte das Mädchen.

Der schöne Kopf sank auf die Brust, dann hob sie ihn, blickte zum Himmel. Zwei glänzende Tränen spiegelten sich in den schwimmenden Gazellenaugen. Jetzt war sie wieder reizend, engelschön.

»Oh, meine Mutter!« seufzte sie.

»Würde besser getan haben, wenn sie dich, ihre Tochter, unter die Gewalt des Vaters gestellt hätte!«

Das Gesicht des Mädchens verzog sich unwillig, aber sie schwieg.

»Der sie gewiß nicht mißbraucht haben würde!« fuhr der Vater leiser fort.

»Papa, ich bitte dich, schweige! Nicht mißbraucht, du, der du jede meiner Sklavinnen ...« Sie hielt inne. »Mein Gott, ich kann ja kaum in meinem eigenen Hause mit Ehren verweilen!«

»Pah!« versetzte der Vater. »Du bist abgekommen von dem, worüber ich mit dir sprechen ... beraten wollte.«

Sie starrte wieder auf den Boden.

»Du bist jung, meine Tochter, erst sechzehn Jahre alt. Ich bitte dich, übereile dich nicht! Du weißt, wir wollen nach Frankreich, sobald Friede ist.«

»Ich will nicht nach Frankreich!«

»Du würdest die Welt sehen, die Menschen kennenlernen! Bei deinem Vermögen ...«

»Das du ...« fiel Adelaide ihm ins Wort, sprach aber den Satz nicht aus, wenn auch ihr Blick ihm deutlich sagte: »... gern in die Hände bekämst!«

Der Vater schnitt abermals eine Grimasse, wie einer, der auf Schleichwegen ertappt worden.

»Adelaide, gesteh nur!« flüsterte er lauernd. »Gesteh nur, der Herr de Ducalle hat Eindruck auf dich gemacht!«

Das Mädchen, bisher blaß, wurde glühend rot.

»Du liebst den Capitaine!«

»Du liebst den Capitaine!« wiederholte sie kaum hörbar, indem sie eine Windenblüte erfaßte und an die Lippen drückte. Dann rief sie: »Ob ich ihn liebe? Ich liebe ihn, Papa, ich muß ihn haben! O Papa, fordere, verlange, aber ... ich muß ihn haben!«

Sie sprang auf und faßte die Hand ihres Vaters. Dieser schnitt eine affenartige Fratze, dann durchzuckte sein Gesicht ein Gewirr von Furchen. Ich hatte selten ein so widerliches Mienenspiel gesehen. Erst allmählich legte sich die Bewegung der Züge, die zu verraten schienen, daß das väterliche Gefühl nicht ganz in dem Mann erstorben.

»Adelaide, hör mich! Lieber wollte ich, du hättest dich in den letzten Akadier verliebt.«

Sie prallte vor dem Vater wie vor einer Kongoschlange zurück.

»Adelaide!« Sein Gesicht überflog ein wehmutsvolles Lächeln. »Glaub mir, lieber wollte ich, du liebtest den letzten Akadier.«

Sie sah ihn unwillig, böse an.

»Ach, wenn du die Geschichte der ersten Jahre meiner Ehe mit deiner seligen Mutter kenntest!«

»Die du unglücklich gemacht hast«, sprach das Mädchen kaum hörbar.

»Beide haben wir uns unglücklich gemacht. Glaub mir, Adelaide, eine Kreolin und ein Franzose passen nicht füreinander.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Ihr Kreolinnen seid so ans Herrschen, an die Sklaverei eurer Umgebung gewöhnt.«

Diese Worte machten mich Vater und Tochter starr ansehen. Es war wie ein Lichtstrahl, der mir aufging.

»Wir Franzosen ertragen diese Sklaverei nicht, und ihr habt nicht die Zartheit, uns die Ketten zu versüßen.«

»O Papa, warum wurde die Mutter unglücklich? Weil du mit allen Sklavinnen, mit den häßlichen Farbigen...«

»Sie verstehen wenigstens zu lieben, was deine Mutter nicht verstand«, vergaß sich der Vater.

»Meine Mutter war die treueste Gattin, ein Muster!« rief die Tochter heftig.

»Das war sie, aber sie verstand nicht zu lieben. Sie ...« Er hielt inne, im Drang seine Worte so zu stellen, daß sie am wenigsten beleidigten. »Versteh mich recht, Adelaide! Monsieur de Ducalle ist ein Edelmann, ein artiger junger Mann, er scheint gefühlvoll. Er hat dich auf dem Ball gesehen, wo du aufgeregt ...«

»Und?« fragte das Mädchen.

»Wirst du immer jenes zarte Gefühl, jene Lebhaftigkeit beibehalten, ohne die der Franzose nicht leben kann?«

Das Mädchen sah ihn an, sie verstand ihn nicht. Ich aber begann nun Vater und Tochter zu begreifen.

»O Adelaide, du bist jung, unerfahren, an das einförmige Leben auf deiner Pflanzung gewöhnt, gewöhnt, jeden deiner Winke befolgt zu sehen. Wird auch der Herr de Ducalle an diesem Leben Geschmack finden?«

»Warum nicht? Er liebt mich, seine Blicke sagen es mir.«

»Wird er es nach einem Jahr?«

»Er wird es!«

Der Alte schüttelte den Kopf.

»Ah, teure Adelaide, vergib! Du bist eine Kreolin, die nie einem fremden Willen sich fügen gelernt, die nichts weiß von jener zärtlichen, kosenden ...«

»Pfui, Papa!«

»Adelaide, du verstehst mich nicht ...«

»Ich will dich nicht verstehen, darf dich nicht verstehen!« sprach das Mädchen mit abgewandtem Gesicht.

»Adelaide!« beschwor sie der Vater. »Ich bitte dich, warte wenigstens ...«

»Ich will aber nicht, ich will nicht warten!« rief sie heftig. »Ich will nicht, hörst du? Er soll, er muß mein sein! Er soll, er muß mein sein!«

Sie stampfte mit dem Fuß auf die Erde.

»So sei doch nur ruhig, liebes Kind!« bat der Vater und faßte ihre Hand.

Sie riß sich los.

»Er muß mein sein, in acht Tagen mein sein, in einer Woche mein sein! Hörst du, Papa!« herrschte sie ihn an.

Sie sprang auf den Vater zu, sah ihn trotzig an.

»Und dein Vater? Was soll aus ihm werden, wenn du heiratest?« Diese Worte klangen so demütig, beinah niederträchtig, daß sie mir in die Seele schnitten.

»Was aus dir werden soll, wenn ich heirate?« Sie maß den Vater vom Kopf bis zu den Füßen. »Dann, ja dann brauchen wir den Aufseher Taillou nicht mehr, wir ersparen sechshundert Gourdes. Du teilst dich mit Ducalle in seine Geschäfte. Ich gebe dir zweihundert Gourdes Zulage.«

So empört ich war, mußte ich innerlich lachen, wenn ich mir Ducalle mit der Peitsche hinter den Negern her vorstellte, ihn, der für Menschenrecht und -würde sein Letztes hingab. Dem Vater aber schien der Vorschlag gar nicht lächerlich. Das Wort Zulage besiegte offenbar alle seine Bedenken. Er äußerte zwar einige Zweifel hinsichtlich der Bereitwilligkeit Ducalles, den Sklavenaufseherdienst zu übernehmen, aber der Tochter bestimmtes »Ich will!« beschwichtigte ihn, und er versprach, ihr ganz zu Gefallen zu sein.

Sie verließen beide die Laube, er rieb sich die Hände, um den Mund ein widriges Lächeln. Ich stand, ein solcher Auftritt war mir noch nicht vorgekommen. Was sich da vor mir abgespielt, war von einer so schmutzigen Unsittlichkeit, einer solchen Selbstsucht gesättigt, daß ich wiederholt den Blick durch die Jalousien warf, im Zweifel, ob ich mich denn wirklich in dem Paradies Louisianas befand oder vielleicht in einem der berüchtigten Seitengäßchen der Rue St. Honorée oder Richelieu unseres lastergeschwängerten Paris. Die Tochter kam mir womöglich noch widerwärtiger vor als der Vater. Mit welch gräßlichem Phlegma sie ihm die Scham unter die Augen rückte, mit welch eigensinnig heftigem, grobem Egoismus!

»Mein Gott!« rief ich aus. »Diese Menschen! Ich dachte sie mir im primitiven Naturzustand, sie sind verdorbener als ...«

Amadée unterbrach mich in meinen Gedanken. Er meldete, der alte Roche Martin warte, um Abschied zu nehmen. Martin stand bereits hinter mir. Er hatte den ganzen Auftritt zu meinem nicht geringen Verdruß als Mithorcher angehört.

»Sieht Er, Herr Graf!« begann der alte Akadier, der mich mit »Er« anredete, während er die übrigen duzte. »Sieht Er, da hat Er ein Beispiel, dahin kommt es, wenn man sich mit den – mit Verlaub zu sagen – Farbigen abgibt. Dann muß man sich von seinen eigenen Kindern die Leviten lesen lassen und ihnen zu Gnaden kommen. Ja, dieser alte Morbihan hat es wirklich weit gebracht!«

»Ist freilich ein elender alter Mann«, bemerkte ich. »Aber die Tochter ...«

»... ist ein sehr braves, tugendsames Mädchen, das kann Er mir auf mein Wort glauben. Die ganze Niederlassung ist voll von ihrem Lob. Aber Er hat es ja mit seinen eigenen Ohren gehört, wie sie ihr Haus nicht verunehrt haben will. Ja, sie ist ein braves Mädchen, sie regiert ihre Pflanzung bereits so gut wie unsere ältesten Pflanzer. Käme es auf ihren Vater an, so hätte er sie längst mit seinen Farbigen durchgebracht. Aber sie weiß ihn einzuspannen.«

Ich schaute den Mann groß an und dachte: welch sonderbare Begriffe! Sind diese Ansichten amerikanisch, dann fürchte ich, wird sich meine europäische Denkweise schwer mit ihnen befreunden!

»Wenn Ducalle sie bekommt, ist sein Glück gemacht«, fuhr Martin fort. »Das ist eine Partie für ihn, die beste in der ganzen Niederlassung. Schade, daß ihr der Alte den vielen Verdruß bereitet.«

»Gott behüte Ducalle vor diesem trotzigen, selbstsüchtigen Geschöpf!« rief ich.

»Rede Er doch nicht so einfältig!« schalt Roche Martin. »Bedenke Er, daß Er nicht in Frankreich ist, sondern in Amerika und Louisiana, wo man von Empfindeleien nichts weiß! Sieht Er, eben diese Tändeleien, diese geistvollen Ausschweifungen, ohne die ihr nicht leben könnt, haben den Herrn de Morbihan dahin gebracht, wo er jetzt ist. Seine selige Frau war eine sehr brave Frau, die auf Ordnung hielt.«

»Sieht Er«, fuhr er fort, »die Ehe soll sein wie die Kost in einem rechtschaffenen, wohlgeordneten Hause. Für Wochentage Brot, Fleisch, Gemüse mit einem guten Glas Rum und Wasser, an Sonn- und Feiertagen zur Abwechslung etwas Besonderes mit einem Glas Wein. Man muß nicht alle Tage einen guten Tisch wollen, versteht Er, das greift den Beutel und den Magen an. Ihr seid in Paris daran gewöhnt, lasse ich mir sagen, liebt die Abwechslung mit anderer Leute Weibern, habt es in der Kunst sie zu verführen weit gebracht. Aber hier müßt ihr euch mit Hausmannskost begnügen. Wenn der Herr de Morbihan das getan hätte, wäre er jetzt der erste Mann in der Niederlassung. Aber er wollte Abwechslung und fand sie bei den – mit Verlaub zu sagen – Farbigen, und sie kostete ihn alles, was er hatte. Jetzt hat er nichts als Schande und Verachtung.«

»Auch Er, Herr Graf, wird diese Farbigen kennenlernen«, meinte der Alte nach einer Weile. »Dann gedenke Er des Herrn de Morbihan! ... Ja, was wollte ich eigentlich sagen?«

»Sie wollen also nach Hause?« fragte ich den eigensinnigen Murrkopf.

»Ja, das will ich! Blieb einzig und allein hier, weil mich Demoiselle eingeladen hatte. Sie ist gar nicht stolz, spricht auch mit den Ärmsten, aber ihr Vater ... Ja, was wollte ich doch sagen? ... Sie sagte mir: ›Hör du, Roche Martin, du bleibst hier!‹ und ich blieb hier, weil ich mit Ihm, Herr Graf, noch sprechen wollte.«

»Und was haben Sie mir zu sagen? Amadée hat Sie für Ihre Mühe, hoffe ich, doch ...«

»Rede Er doch nicht so einfältig, Herr Graf!« unterbrach er mich. »Er hat mir keine Mühe gemacht, und seine Freunde auch nicht. Aber weiß Er, warum ich hierblieb? Nun, ich will es Ihm sagen. Die Altadeligen hier, wie sie sich nennen, obwohl ich geradesoviel Recht hätte, mich einen Prinzen zu nennen, wie die meisten von ihnen sich adelig nennen, die werden Augen und Ohren spitzen, um Ihm, Herr Graf, etwas von Seinen Manieren abzulauern. Laß Er nun diese Manieren nicht gar zu vornehm sein, und wenn Er von uns Akadiern spricht, so spreche Er wie von anderen Menschen auch. Das mag gute Früchte bringen!«

»Ich verstehe Sie nicht, Alter!«

»Nun, Er wird mich schon verstehen. Tu Er nur, wie ich Ihn ersuche, und spreche Er von den Akadiern nicht wie von Hunden, sondern wie von Menschen!«

»Das will ich Ihnen gern versprechen.«

»Dafür kann ich Ihm auch vielleicht einen kleinen Dienst erweisen. Sieht Er, eine halbe Meile vom Chetimachas ist eine kleine Pflanzung zu verpachten, die Herrn von Berthoud gehört. Sie wird Ihm sicher gefallen. So gebe Er mir nun Amadée mit, der mag den Pachtvertrag abschließen! Von da aus kann Er seine neue Niederlassung einrichten, es wird Ihn nicht reuen. Er wird da ein paar Männer kennenlernen, den Mister Wood, das sind andere Leute, die wissen das Zeug anzufangen.«

»Ihr Vorschlag ist so übel nicht.« Ich verbiß eine Anwandlung von Unwillen über des Mannes gerade Derbheit. »Ich glaube, ich will die Pflanzung lieber selber besehen.«

»Das laß Er bleiben! Berthoud ist eine Kreole, und die geben nach drei Tagen keinen Strohhalm um einen Franzosen. Geht Er, so hat Er den Pachtschilling sicherlich doppelt zu bezahlen. Ihm sieht man den Grafen an der Stirn an, Amadée hat unsere Art, und eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus. Er erhält die Pflanzung, ich möchte wetten, für achthundert Gourdes jährlich, und das ist ein Spottpreis! Es sind vier Neger darauf.«

»Ich will keine Neger!« bedeutete ich dem Alten.

»Rede Er doch nicht so einfältig, Herr Graf! Warte Er nur, bis Er selbst gesehen! Er mietet die Neger, und will Er sie nicht haben, so kann Er dann doch tun, was Er will. Und noch etwas! Er hat wahrscheinlich Geld, und diese Adeligen hier haben keins. Versteht Er mich, leihe Er keinen Sou aus, bis Er mit Mister Wood gesprochen!«

»Mein lieber Roche Martin!« Es schien mir höchste Zeit, den Alten in seine Schranken zurückzuweisen. »Ich danke Ihnen für Ihren guten Willen, aber sparen Sie Ihren guten Rat, bis ...«

»... er gefordert wird!« fiel er mir ins Wort. »Er will niemanden in seinen Beutel sehen oder greifen lassen. Ganz recht! Versteht Er, was ich sage, geht einzig dahin, Ihm einen Wink zu geben. Den kann Er beachten, wenn Er will, und wenn Er nicht will, so mag Er es bleiben lassen. Die Adeligen werden Ihn innerhalb der acht Tage, die Er bei ihnen zubringt, sicher um Geld anreden, denn sie wollen Kavaliere sein. Leiht Er nun auch nur zwanzig Livres, so zieht Er sich einen Schwärm auf den Hals, der Ihm die Attacapas bald zum wahren Wespennest machen wird.«

»Wieso?« fragte ich.

»Das läßt sich nicht so kurzweg sagen, guter Freund!« meinte der Alte kameradschaftlich. »Wäre auch nicht wohlgetan. Genug, Er bleibt mit seinen Freunden hier bei den Adeligen, bis Er sich ausgetanzt hat. In acht Tagen wird Er sie, werden sie Ihn satt sein, wenn es so lange dauert. Denn bei uns in den Attacapas stinken Fremde und Fische, wenn sie nicht gedörrte Stockfische sind, nach drei Tagen.«

»Sie geben mir da eine liebenswürdige Zeichnung von meinen Landsleuten!«

»Seinen Landsleuten! Der dümmste Kreole dünkt sich mehr als der Herzog von Montmorency, wenn der sich nämlich hier niederlassen wollte. Er wird es finden, Herr Graf! Sie werden Ihn feiern, drei, sechs, acht Tage, aber dann ... Immerhin ist der Teufel nicht so schwarz, wie er aussieht. Wie gesagt, Er wird acht Tage tanzen, währenddem wird die Sache zwischen Ducalle und Demoiselle Morbihan richtig, wenn nur der Junge nicht mit den – mit Verlaub zu sagen – Farbigen ...«

»Alter, Sie sprechen sehr bestimmt!« warnte ich.

»Ich kenne meine Leute«, versetzte er. »Er wird ja sehen! Und jetzt Gott befohlen!«

Und der alte Roche Martin schüttelte mir die Hand. Nach einer halben Stunde glitt sein Fahrzeug den Teche hinauf, Amadée fuhr mit.

Martins Vorhersagung traf, was Ducalle anging, genau ein, so sehr ich mir auch Mühe gab, diesen von einem vorschnellen Entschluß zurückzuhalten. Aber ein Ball folgte dem andern, und Mademoiselle Adelaide war eine Kreolin und Ducalle ein Südfranzose. Seine Leidenschaft steigerte sich zur fieberischen Gluthitze.

Auf dem letzten Ball, den Herr Deblanc, der Kommandant von Attacapas und als solcher Adelaides gesetzlicher Vormund, uns zu Ehren gab, brachte Deblanc, dem Ducalle besonders anempfohlen war, die Gesundheit des schönen Paares aus.

Am Sonntag darauf ward die Vermählung gefeiert.

Am elften Tag nach unserer Ankunft im Hause des Herrn de Morbihan verließen Lassalle, Hauterouge und ich das glückliche Paar, um uns in unsere von Amadée gepachtete Pflanzung zu begeben. Wir waren der ewigen Bälle sowie der guten Leutchen von Attacapas für einstweilen satt und sehnten uns recht sehr nach Ruhe. Es war drollig und ärgerlich zugleich, diese Picarder, Tourainer und Bretagner Bauern- und Krämersprößlinge von ihren Papas faseln zu hören, wie sie mit Louis XIV. Tabak geraucht und Schnaps getrunken und wie ihre Mamas der höchstseligen Königin bei ihrer Wäsche geholfen hatten.

Die damaligen Bewohner der Attacapas waren wirklich ein seltsames Völkchen, das uns nur zu oft an eben die Bayous erinnerte, die uns so sehr in Verzweiflung gebracht hatten. Wie die überströmenden Gewässer aus dem Mississippi ausgeflossen und ausgestoßen, so waren sie von dem europäischen Zivilisationsstrom abgerissen und in Stillstand, Stocken und Fäulnis übergegangen.

So waren wir in Häusern, die mehrere tausend Stück Rinder, Kälber und Kühe auf den Wiesen, aber keinen Tropfen Milch, keine Unze Butter hatten, weil die Pflege einer Melkkuh zu viele Mühe gemacht hätte. Mehrere hielten Dutzende von Sklaven. Sie mußten die Moskitos von der Frau des Hauses abwehren, ihr die Handtasche, den Mückenwedel nachtragen, ihren Stuhl von einem Ende der Veranda zum andern rollen, mit den verzärtelten Kindern spielen und sich zum Zeitvertreib von diesen geißeln lassen.

Allerdings gab es ehrenvolle Ausnahmen, eine von ihnen war die Pflanzung der Demoiselle de Morbihan. Aber im allgemeinen fanden wir bei ihnen einen Neid gegen Höhere, eine fühllose Grausamkeit gegen Tiere und Menschen und eine Gleichgültigkeit gegen geistige Bildung, die kaum zu glauben war. In den tausend Kreolenfamilien waren nicht zwanzig, die lesen konnten. Sie waren um hundert Jahre hinter unseren französischen Bauern und Kleinstädtern zurück.

Wir waren jedenfalls froh, als wir in die kleine Pflanzung einzogen, die Amadée von Monsieur Berthoud für uns gepachtet hatte.


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