Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3

Das Hinterwäldlerleben gewinnt sehr bald einen eigentümlichen Reiz, wenn man jung ist und mit einer ungeschwächten Leibesbeschaffenheit ein empfängliches Gemüt für die Urnatur verbindet. Und welches Gemüt würde nicht empfänglich für und hingerissen durch diese Urnatur, die uns anders als die verkünstelte Natur der Alten Welt bei jedem Schritt so außerordentliche Gegensätze vor die Augen rückt?

Dem Neuling ist zumute, als sei er plötzlich aus einem Käfig befreit und schwirrte er in unendlichen Räumen umher. Eine leichte Befangenheit und Ängstlichkeit begleiten seine Empfindungen. Die Unendlichkeit ergreift ihn, die anscheinende Regellosigkeit verwirrt ihn, und sein Selbstvertrauen kehrt erst zurück, wenn er seine Kräfte versucht, Gefahren überwunden, sich seiner Herrschaft vergewissert hat. Aber dann erlangt sein Geist eine wunderbare Springkraft.

Dieses eigentümliche, gleichsam trotzende Bewußtsein innewohnender Kraft ist eines der Hauptmerkmale des Hinterwäldlercharakters. Und in der Tat, die mannigfaltigen Gefahren und Entbehrungen – vom Ersticken im Sumpf zum Ertrinken im Bayou, vom Kampf mit Alligatoren zum Gefecht mit Jaguar oder Bär müssen notwendig Geist und Körper gleich lebhaft erhalten, auch wieder jene Gleichgültigkeit gegen Zufälligkeiten hervorbringen, die dem Wesen dieser sonderbaren Menschen, ihrer Sprache, ihrem ganzen Sein etwas Eigentümliches verleiht. Eigenartig, häufig poetisch, wohl rauh, doch sehr selten gemein ist ihre Sprache und bekundet eine Unbekümmertheit und Nachlässigkeit, die uns jetzt die Haare zu Berge steigen, im nächsten Augenblick lachen und gleich darauf eine ebenso apathische Haltung anlegen läßt, wie diese Menschen sie selber haben.

Die Stunde, dir wir mit dem alten Nathan und seinen Gefährten bei unserem köstlichen Waldmahl verbrachten, gab uns alle diese Eindrücke in Fülle. Oft lachten wir so herzinnig, daß uns die Tränen in die Augen traten, so barock, so sonderbar, so verkehrt und wieder so richtig, mit so kühnen Zügen entworfen waren die Ansichten der guten Leute über unsere europäischen Zustände. Andere wieder, besonders wenn sie ihr Land und dessen innere Zustände betrafen, waren mit einer Schärfe des Verstandes und einer Klarheit entwickelt, daß sie unseren ersten Staatsmännern Ehre gemacht haben würden.

Jetzt merkten wir, daß wir uns wirklich in einer neuen Welt, unter neuen Menschen befanden, deren Kultur – obwohl die Elemente europäisch – durch und durch amerikanische Formen angenommen hatte. Sie war himmelweit verschieden von der der Kreolen und unserer eingewanderten Landsleute, die mir in diesem Augenblick offengestanden wie zweimal aufgewärmtes Ragout vorkamen.

Wiederum waren unsere neuen Bekannten nichts weniger als harmloser Natur, wie wir in manchen Momenten zu wähnen uns versucht fühlten. Denn während sie abwechselnd die Unterhaltung führten, wußte der Alte mit einer Feinheit, einem Takt, die einem Polizeikommissar zum Präsidium verholfen haben müßten, alle unsere Schicksale, Pläne und Aussichten herauszulocken und uns über unsern Charakter auszuholen.

Wir hatten so gegenseitig unsere Meinungen ausgesprochen und, was uns betraf, unsere Hoffnungen und Ansichten mitgeteilt, ohne zu merken, daß der Alte einsilbig und endlich ganz still geworden war. Er hatte seine Rifle zur Hand genommen und hämmerte stärker und stärker an deren Stein, wie ich später erfuhr, bei Hinterwäldlern ein untrügliches Merkmal erwachenden Mißtrauens.

Die anderen flüsterten und murmelten sich in die Ohren und zogen die Schenkel mehr von uns zurück. Diese Bewegungen fielen uns endlich auf, wir schwiegen gleichfalls. Eine Pause von mehreren Minuten trat ein.

»Also Sie, haben eine Schenkung erhalten?« fragte der Alte endlich.

»Ja, lieber Mister Nathan.«

»Und die Vollmacht, sich in irgendeinem Teil Louisianas ein Stück Land auszuwählen?«

»Eigentlich würden wir es vorziehen am Teche, doch wenn ich aufrichtig gestehen soll, so ...«

»So würdet ihr nicht viel darum geben, just den Strich zu wählen, der euch am besten gelegen scheint?« fiel der Alte ein und hämmerte stärker an dem Stein.

»Vorausgesetzt, wenn er nicht bereits vergeben ist«, schaltete ich ein.

»Wie verstehen Sie das? Hab' die Notion, Sie meinen, von den spanischen Behörden vergeben?«

»Oder auch dem vormaligen und eigentlich rechtmäßigen Besitzer dieses Landes, der französischen Krone«, fügte ich hinzu. »Denn diese beiden sind, soviel ich weiß, die einzigen, die das Schenkungsrecht völkerrechtlich ausüben können und konnten.«

Der Mann schüttelte unwillig den Kopf.

»Also wenn irgendein König in der Alten Welt es sich einfallen läßt, einen seiner Lakaien mit einer schmutzigen Flagge herüberzusenden und diese aufzupflanzen an irgendeinem vermoderten Baumwollenbaumstumpf, dann glaubt ihr allen Ernstes, dieser Schnickschnack verleihe das Recht, ein paarmal hunderttausend Quadratmeilen als sein Besitztum anzusprechen und es zu verschenken, zu verteilen, wie es ihm oder seinen Trabanten beliebt?«

»Wenn der König oder seine Regierung durch einen Akt, den Sie Schnickschnack nennen, wirklich Besitz von dem Land ergriffen, das heißt, zugleich Städte, Niederlassungen und Forts angelegt hat, dann sollte ich meinen, ja!« versetzte ich bestimmt.

Die veränderte anmaßende Sprache des Hinterwäldlers gefiel mir nicht, und ich glaubte, unserm Recht als Franzosen wie der Ehre unserer und der spanischen Nation etwas zu vergeben, wenn ich seine Anmaßungen nicht zurückwies. Der Alte schaute abwechselnd Lassalle und mich mit seinem durchdringendsten Blick an.

»Das bezweifelt niemand, daß Städte und Forts das Recht des Besitzes verleihen«, erwiderte er um vieles gemäßigter. »Niemand wird euch euer Recht auf New Orleans und auf die beiden Stromufer hinauf bis Baton Rouge und Point Coupé streitig machen. Aber ihr werdet auch behaupten, euer König habe das Recht, über Ländereien zu schalten, worauf weder er noch einer der Seinigen je ihren Fuß gesetzt haben?«

»Wenn sie innerhalb der Grenzen seiner Forts und Niederlassungen sind, ja! Wenn nicht, nein!«

»Ihr seid kurz, sehr kurz!« sprach der Alte, der sich während des Wortwechsels erhoben, und stieß finster den Schaft seiner Rifle zu Boden. »Kurz und gut könnt ihr euch ebensowohl unser Land als Schenkung anweisen lassen! Hab' aber die Notion, ist ein anderes, sich anweisen lassen und ehrliche Leute von ihrem Land vertreiben wollen, und ein anderes, sie wirklich forttreiben!«

»Was fällt Ihnen auf einmal ein, Alter? Wem kam es bei, sich Ihr Land als Schenkung anweisen zu lassen?«

»Sie sind Franzose, Mann! Haben eine geläufige Zunge, und so hatte sie der Baron, der sich Bostropp nannte. Lassen Sie's sich aber vergehen, in seine Fußstapfen zu treten!«

»Was hat Baron Bostropp getan?«

»Was er getan hat? Will Ihnen sagen, was er getan hat! Ließ sich eine Schenkung vom Gouvernement erteilen, die rund fünfzehntausend Acres Über 60 000 Quadratkilometer betrug und sich bis an den Arkansas erstreckte. Hatte aber nicht genug an diesen Ländereien, die doch die schönsten sind, die es geben kann. War da ein Akadier an seiner Grenze, hieß Jean. Wohl, der Akadier hatte mit saurem Schweiß sich eine Pflanzung angelegt, bewirtschaftete sie mit seinem Weib und zehn Kindern, bewirtschaftete sie gut. Kam eines Tages dieser verdammte Baron, sah die Pflanzung und sofort setzte er seine Maschinen in New Orleans in Bewegung. Und der arme Jean mußte weg, mußte abermals in die Wildnis, seine Pflanzung dem Baron abtreten, der weiß der Himmel was für eine geniale Baronsidee mit dieser Pflanzung ausführen wollte. Zwei Jahre darauf hatte der Abenteurer ausgewirtschaftet, mußte bei Nacht und Nebel aus dem Lande, aber die Pflanzung blieb doch dem armen Jean entrissen. Jetzt liegen die Gebäude in Schutt und Trümmern, und Opossums und Bären hausen darauf. Wäre ich Jean gewesen, ich hätte dem Baron statt der Pflanzung eine Kugel abgeliefert.«

Und indem der Mann so sprach, hob er die Rifle schußfertig. Ich ließ mich durch die Bewegung nicht irremachen.

»Was den Baron betrifft, so kann ich weder noch will ich seine Verteidigung übernehmen. Liegt der Fall so, wie Sie sagen, so hat er leichtsinnig und gewissenlos gehandelt.«

Ich hielt inne, denn der Alte war im Gehen begriffen, wandte sich jedoch und horchte mit zurückgeworfenem Kopf. Wie gesagt, uns verdroß die Anmaßung des Hinterwäldlers um so mehr, als wir Louisiana immer noch als eine französische Kolonie und unser rechtmäßiges Eigentum betrachteten.

Der Alte stand sinnend, während seine Söhne Hirschziemer und -rücken samt ihren Äxten auf die Schultern warfen und Miene machten ihm zu folgen. Wir standen still.

»Wollt ihr nicht mit uns?« fragte der Alte.

»Wir wissen nicht, ob es euch angenehm?«

»Worte sind keine Pfeile, Mann! Es gibt in jedem Volk Gute und auch Schlechte. Kommt, denn hier würdet ihr nicht zum besten fahren!«

Und wir folgten. Der Weg oder besser die Richtung, die wir einschlugen – denn von einem Weg oder Pfad war keine Spur vorhanden –, führte über eine Prärie, dann ging es durch einen Wald, darauf kamen wir durch ein Dickicht, das unserer Kleidung vollends den Rest gab, und hierauf über sogenanntes Wellenland oder rollende Anhöhen, von denen herab wir den Präriebrand deutlich sehen konnten. Das Knistern des Rohres, das Krachen der Äste und Zusammenschmettern der Bäume schlug uns bei jeder Wendung, die wir gegen den Luftzug taten, in die Ohren. Allein wir waren jetzt bereits so ziemlich daran gewöhnt.

Wir mochten so einige Meilen durch dick und dünn zurückgelegt haben, als der Boden weich und die Anzeichen eines nahenden Sumpfes bemerkbar wurden. Wir drangen so weit vor, als der Boden uns trug, und hielten endlich am Rand des Sumpfes.

James und Joe warfen ohne ein Wort ihre Lasten vom Rücken, nahmen die Äxte zur Hand und begannen in eine der nächststehenden Zypressen einzuhauen. Lassalle und ich standen schweigend und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Wir bewunderten die außerordentliche Leichtigkeit, mit der die Hinterwäldler die Bäume fällten. Es war mehr Spiel als Arbeit. Die Äxte flogen so leicht wie unsere Rapiere auf die Baumstämme nieder, so regel- und taktmäßig. Es erinnerte uns an die Harmonie der Dreschflegel in den Dörfern am Rhein, die wir im damaligen Korps Condés durchzogen.

Ehe fünf Minuten vorüber, krachte der vier bis fünf Fuß dicke Stamm zusammen und sank einwärts in den Sumpf. Sowie die Zypresse gefallen, sprangen die beiden jungen Holzschläger auf den Stamm, schritten auf diesem vorwärts und hieben die Äste bis zur äußersten Krone ab, so daß der Baum zwar in dem Sumpf, aber doch mehr auf der Oberfläche zu liegen kam. Hierauf begannen sie einen zweiten zu fällen, einen dritten und vierten. In Zeit von einer halben Stunde hatten die vier Hinterwäldler in aller Stille eine Arbeit getan, die vier Franzosen zumindest einen Tag gekostet haben würde.

Wir hatten verwundert zugeschaut und fragten nun, was eigentlich das Ganze zu bedeuten habe.

»Werdet es bald sehen!« versetzte der Alte.

Auf seine Rifle gestützt, starrte er düster in den Sumpf hinein, erwachte aus seinen Nachtgedanken jedoch, als die Stimme von James sich hören ließ: »Sind fertig!«

»Jetzt kommt, Frenchers!« sagte der Alte.

»Aber weshalb über den Sumpf? Und warum die viele Arbeit?« fragten wir.

»Weil dieser Weg der nächste ist und eure Knochen müder werden dürften, wenn wir den Sumpf umgehen wollten. Viele Arbeit!« brummte er mit einem verächtlichen Blick auf die Zypressenstämme. »Wenn ihr das Arbeit nennt, dann habt ihr noch wenig gearbeitet und hättet in eurem Land bleiben sollen, wo es, hör' ich, Narren zu Millionen gibt, die für andere arbeiten. Hab' die Notion, ihr gehört zu den Aristokraten, die lieber andere Leute für sich schaffen lassen und es vorziehen, sich ins fertige Nest hineinzusetzen. Wollen euch aber zeigen, daß es bei uns nicht geht, sich ins fertige Nest hineinzusetzen. Sind keine Jeans, wir bei Jingo nicht! Sind nicht die Leute, die sich von einem Baron aus ihrem Eigentum treiben lassen, und käme er mit hundertundfünfzig angezogen!«

Den Alten verfolgte offenbar die Idee, wir seien, zweite Bostropps, gekommen, sein Land zuerst in Augenschein zu nehmen und ihn dann mit den Seinigen zu vertreiben. So viel schien uns klar, und obwohl wir geneigt waren, ihm sein Hirngespinst zu verscheuchen, hatten uns das anmaßende, barsche Wesen, das er angenommen, das Abenteuer, der Nachtmarsch, die Gefahren, die wir bestanden hatten, auch bereits etwas von dem hinterwäldlerischen Trotz verliehen, nicht zu erwähnen mehrere Züge Whisky und unser kräftiges Mahl.

»Wollen also sehen!« sprachen wir nach einer hinterwäldlerischen Pause und mit einer Unbekümmertheit, die einem vierzigjährigen Buschmann wohl angestanden wäre.

Und festen Trittes folgten wir dem Alten, der vor uns auf dem Stamm einherschritt. Nachdem wir an der Krone des Stammes, deren Zweige, wie gesagt, nicht alle abgehauen waren, um das Einsinken zu verhüten, angekommen waren, setzten wir über die quergelegten Äste auf den zweiten Stamm, von diesem auf den dritten und so fort auf den vierten. Ehe wir dessen Ende erreicht, befanden wir uns wieder auf festem Boden.

Der Alte bedeutete uns, in bisheriger Ordnung, das heißt im sogenannten »Indian file«, Indianer-Reihe == Gänsemarsch einer nach dem anderen, zu folgen, und so tappten wir hintereinander her wohl eine halbe Meile fort durch dichtes Gestrüpp.

Endlich hielt Nathan. Er setzte seine Rifle auf den Boden, wandte sich zu uns und starrte uns mit wahren Eulenaugen an. Ich ließ den Schaft meiner Doppelflinte gleichfalls auf die Erde nieder und ahmte seine Stellung nach.

»Sagt, wo wir sind?« fragte ich.

Der Mann schaute mich an, und sein Gesicht verzog sich in ein eigentümliches Lächeln.

»In Louisiana sicherlich, zwischen dem Red River, dem Golf von Mexico und dem Mississippi, innerhalb der Grenzen, die sich euer König gesetzt, und doch an einem Ort, wo sein Arm zu kurz befunden worden, so lange Arme Könige auch haben sollen.«

Der Ton, in dem er dieses sagte, hatte einen so schneidend höhnischen Nachklang, daß mein Blick unwillkürlich auf den Sprecher fiel, um aus seinen Zügen herauszubringen, was er eigentlich mit uns im Schilde führe. Sie waren gleichgültig wie immer. Er ergriff meinen Arm, führte mich einige Schritte seitwärts und deutete auf eine dunkle Masse, die mit einem Erdwall Ähnlichkeit hatte.

»Vielleicht eines der indianischen Gräber?« warf ich hin.

»Ei, ist ein Fakt! Sie haben's erraten, ein Grabmal ist's, obwohl nicht der Rothäute, sondern das eines weißen Mannes. Kein besserer fuhr je den endlosen Strom herab. Sie könnten aber auch mit den Rothäuten recht haben, hab' die Notion, es war einst, was sie einen ›Indian Mound‹ Indianischer Grabhügel nennen. Wollen Sie nicht näher treten?«

Wir traten näher und sahen Palisaden und hinter diesen ein Balkendach, das vielleicht zehn Fuß darüber hervorragte.

»Was sagt ihr jetzt?«

»Das Ganze scheint mir weniger zur Wohnung als zur Verteidigung eingerichtet.«

»Oben finden wir Kienspäne«, sprach der Alte. »Jetzt wartet, bis die Leiter kommt, dann werdet ihr das Weitere sehen!«

Eine Leiter wurde nun herabgelassen, auf der wir den steilen Erdaufwurf hinaufkamen. Einer der jungen Männer öffnete in den Palisaden eine Pfostentür, und wir traten in den inneren Raum des sonderbaren Bauwerks.

Es war aus ziemlich starken, unbehauenen Zypressenstämmen aufgeführt, die ineinandergefügt wohl Vierundzwanzigpfündern widerstehen konnten. Das Ganze bildete ein Viereck mit einem niedrigen, gleichfalls aus Baumstämmen aufgeführten Dach. Es mochte vierzig Fuß in der Länge und ebenso viele in der Breite haben. Im Innern war nichts zu sehen, als ein Kamin von ungebrannten Backsteinen und, als wir näher schauten, eine hölzerne Tafel, die in einer Ecke des Blockhauses aufgerichtet war.

»Tretet nicht auf diesen Hügel!« sprach der Alte feierlich. »Es ist heiliger Grund.«

»Heiliger Grund?« fragten wir.

»Heiliger Grund, Mann! Liegt unter dieser Tafel einer begraben, ein so braver Hinterwäldler, als je einer den Mississippi herabschwamm.«

»Also ein Grabmal?« sprachen wir nicht wenig erschüttert.

»Ein Grabmal, Mann! Sein Grabmal, sein Blockhaus, das er gebaut, das er verteidigt, in dem er fiel, das sein Blut benetzte, das er ein blutiges getauft, kaum als es fertig war. Sollt mehr von diesem blutigen Blockhaus hören! Hören, wie sechs amerikanische Rifles es mit fünfundachtzig spanischen und französischen Musketen aufnahmen!«

Wir schüttelten ungläubig die Köpfe. Er nahm uns beide am Arm und führte uns aus dem Gebäude durch das Pfahlwerk. Auf einem Vorsprung von etwa sechs Quadratfuß hielt er.

»Es mit fünfundachtzig französischen und spanischen Musketen aufnahmen«, wiederholte er mit fester Stimme. »Es war Asa mit dreien seiner Brüder, seinem Schwager und Vetter und ihren Weibern. Ist wie ein Mann, wie ein echter Hinterwäldler, wie ein braver Amerikaner gefallen, hat aber zuvor fünfunddreißig Spaniern das Lebenslicht ausgeblasen.«

Er deutete auf einen Kranz von Pappeln, in deren mondbeleuchteten Kronen sich wirklich die Geister der Gefallenen umherzutreiben schienen.

»Dort unter diesen Cottonwoods, unter deren Schatten sie gefochten, sind sie gefallen und begraben.«

Die Stille der Nacht, der Silberschein des Gestirns, der in seinen verklärenden Strahlen die in die Prärie sich öffnende Waldesbucht gleichsam badete, die düsteren Wälder zu beiden Seiten des Blockhauses, in tiefe Schatten gehüllt und nur an den Rändern vom Vollmond aufgehellt, alle diese Umstände, verbunden mit dem feierlich gewordenen Benehmen des Alten, wirkten allmählich auf unsere Lebensgeister. Wir standen, ohne ein Wort zu erwidern.

»Ja, hier fielen fünfunddreißig Spanier gegen einen Amerikaner«, wiederholte Nathan, auf seine Rifle gelehnt.

»Und dieser Amerikaner hieß?«

»Was fragt ihr, wie er hieß? Was fragt ihr nach Namen, als wäret ihr Pferdedieben auf den Fersen?

Fragt überhaupt nicht so viel! Schaut mit euren Augen, hört mit euren Ohren, aber haltet eure Zunge im Zaum, denn die Bäume haben Ohren, so gut wie die Wände in eurem Land.«

»Vergebung, wir hatten keine Beleidigung im Sinn!« besänftigte ich den Alten.

»Beleidigung im Sinn!« hohnlächelte er. »Kalkuliere, daß ihr die nicht im Sinn habt, kalkuliere, kalkuliere. Wollte auch den sehen, der den alten Nathan zu beleidigen oder zu beeinträchtigen oder was immer in den Weg zu legen sich gelüsten sollte! Würde ihm das Gelüste bald vertreiben, der alte Nathan, solange er seine Rifle oder seinen Dolch innerhalb Armeslänge hat! Ist ein Fakt! So wie ich's sage, so ist's! Der Mann, der das Blockhaus da gebaut, und schaut es euch recht an, denn es ist nur wenig verändert, bis auf das Dach, das eigentlich die Ursache seine Todes war, der Mann liegt jetzt in seinen eigenen vier Pfählen und war eine Zierde der Hinterwäldler. Haben aber die Spanier seinen Tod teuer bezahlen müssen, und ist ihnen die Lust vergangen, sich an Asas Niederlassung zu wagen. Ei, werden Asa Nollins nicht so leicht vergessen!«

»Asa Nollins?« fiel ich ein. »Mir ist, als hätte ich von diesem Mann gehört!«

»Noch die Lehre vergessen, die er ihnen gegeben!« fuhr der Alte fort, ohne auf meine Worte zu achten, und wandte sich dann auf einmal finster zu mir. »Also ihr habt gehört von Asa? Und was habt ihr gehört?«

Ich hatte mich während der kurzen Pause besonnen, denn beide hatten wir immer mehr zu gewahren angefangen, daß das Temperament unseres neuen Bekannten ein heikel kitzliges war.

»Könnte es Ihnen nicht genau sagen«, lenkte ich ab.

»Erinnere mich nur, den Namen des Mannes gehört zu haben. Haben aber so vieles gehört und anhören müssen, daß wir die Hälfte aller dieser Geschichten wieder vergessen haben.«

»Verstehe!« versetzte der Alte. »Hab' die Notion, wollt nicht recht mit der Sprache heraus! Mag vielleicht ebensogut, auf alle Fälle klüger sein. Sag' euch, wenn ihr von hier aus in den Wald hineinseht, so sieht es euch schwarz vom Rand herüber aus. Steigt ihr aber hinab und geht die sechzig Schritte hinüber, wird es euch dort hell und hier schwarz vor den Augen. Ist ein Fakt, kommt auf den Gesichtspunkt an, von dem ihr ein Ding anschaut.«

Und nach dieser Abschweifung hielt der Mann abermals inne, schaute uns prüfend an und fuhr dann gemächlich fort:

»Will euch sagen, was ihr gehört habt! Hab' die Notion, ihr habt gehört, daß der Mann, dessen Todeshügel ihr gesehen, in eure Niederlassung eingebrochen ist und da Pferde gestohlen hat. Habt ihr nicht? Und daß er ein blutdürstiger Rebell gewesen?«

»So etwas, die Wahrheit zu gestehen, obwohl ich mich nicht deutlich entsinne.«

»Und ich sage euch, möge ich erschossen sein, wenn es nicht die verdammteste Lüge ist!« stieß der Alte heftig hervor. »Asa hat nicht mehr Pferde gestohlen als ich, der ich Regulator und von meinen Mitbürgern beauftragt bin, Ordnung zu handhaben. Und was den Rebellen betrifft, so war er ein Amerikaner, und der ist nie Rebell, denn er ist frei geboren!«

»Regulator?« fragte ich und überhörte den frei geborenen Amerikaner, der nie Rebell sein konnte.

»Regulator!« wiederholte der Mann mit selbstgefälligem Nachdruck. »Wißt wahrscheinlich nicht, was das sagen will? Ist ein Amt, das wir in den Hinterwäldern geschaffen, wo wir das Gesetz selbst in die Hand nehmen und es nicht von bezahlten Richtern und Rechtsanwälten um soundsoviel per Dollar vermessen lassen. Werdet später mehr davon erfahren, aber zuvor sollt ihr von Asa und seinem Blockhaus hören, das er da getauft das blutige und das da geworden ist das blutige!«

»Wäre es nicht besser, dies auf einen anderen Zeitpunkt zu verschieben?«

»Auf einen anderen Zeitpunkt verschieben? Merkt euch das: Narren verschieben, Gescheite handeln! Für alles ist seine Zeit, und jetzt ist die Zeit, von Asa zu reden, denn ihr betretet seine Niederlassung und sollt vorher hören, ehe ihr seht! Morgen ist nicht mehr Zeit dazu.«

Des Mannes Sprache begann sehr unbequem zu werden, seine finstere Gemütsart brach inmitten seiner breiten Weitschweifigkeit wie unheilschwangere Blitze durch. Obwohl wir es immer noch nicht bereuten, uns den einigermaßen gefährlichen Schroffheiten dieser Hinterwäldler-Charaktere anvertraut zu haben, so wollte uns doch allmählich bedünken, daß weniger Entgegenkommen unsererseits gar nicht überflüssig gewesen wäre. Ohne jedoch weiteres Mißvergnügen blicken zu lassen, gaben wir unsere Willfährigkeit zu erkennen, die Geschichte Asas anzuhören.

»Habt ihr nie den Mississippisprung gemacht?« fragte uns der Alte.

»Was verstehen Sie darunter?«

»So eine Fahrt tausend Meilen von der Mündung des Ohio herab bis zum Red River.«

»Wir sind nur von New Orleans heraufgefahren.«

»Das ist nichts!« meinte Nathan. »Der Strom ist da nicht den zehnten Teil so gefährlich wie oberhalb Natchez. Ist auch zu tief, um euch Sandbänke, Snakes und Sawyers und Planters, und wie diese Teufel von Baumstämmen, die im Flußschlamm stecken, alle heißen, bei jedem Wurf unter die Beine zu bringen.«

Nathan machte eine minutenlange Pause, und dann begann er seine Erzählung vom blutigen Blockhaus.


 << zurück weiter >>