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Es war an einem heißen Septembernachmittag. Wir kamen von einem Besuch bei Bossompierre zurück, demselben Pflanzer, bei dem wir unser Absteigequartier nehmen sollten. Als wir langsam, über unseren Köpfen die Sonnenschirme, durch die Gassen unserer Welschkornfelder dem Wohnhause zuritten, schallten uns vom Hof gräßlicher Lärm und Geheul entgegen.
Wir ritten schneller und erblickten zwei unserer Leute, wie sie einen der gemieteten Neger peitschten. Ich schrie schon von weitem den beiden zu innezuhalten, und viel hätte nicht gefehlt, ich würde die Peitsche auf ihren Rücken haben tanzen lassen, so empört war ich. Ich machte Amadée, der dabei stand, Vorwürfe, aber er unterbrach mich mit der Nachricht, der Neger verdiene die Strafe, denn durch seine Schuld sei unsere Milchkuh ausgebrochen.
Diese Worte trafen uns wie ein Donnerschlag. Unsere Milchkuh ausgebrochen, an der unser ganzes Sein hing?
»Es ist leider so!« bekräftigten unsere Leute.
Der Reichtum der Bewohner der Attacapas bestand damals vorzüglich in Herden. Der Baumwoll-, Zucker- und Reisbau lag noch in seinen Anfängen und wurde nur von wenigen betrieben. Diese Herden waren sehr zahlreich. Manche Kreolen besaßen an die viertausend Stück Vieh und darüber. Es lief in halbwildem Zustand auf den Wiesen und in den Wäldern umher und wurde jährlich einmal, höchstens zweimal, auf ein paar Tage in die Corrals getrieben, wo es gezeichnet und adouciert, an den Anblick von Menschen gewöhnt wurde. Das war jedoch bloß bei den tätigeren Herdenbesitzern der Fall. Viele sahen ihre Herden oft jahrelang nicht.
Diese unverantwortliche Nachlässigkeit hatte wieder zur Folge, daß die Tiere, dem Überfluß und Mangel, der Hitze und dem Frost gleich ausgesetzt, trotz ihrer Schönheit in der Regel an irgendeiner inneren Krankheit litten – gewöhnlich war das Blut verdorben oder die Leber angesteckt – und daher zur Benutzung nicht gut taugten. Es hatte Roche Martin nicht geringe Mühe gekostet, eine gesunde Milchkuh aufzutreiben, und wir waren froh, sie um den dreifachen Preis erlangt zu haben. Denn den bequemen Kreolen auch nur zuzumuten, wegen einer Kuh eine Herde in den Corral zu bringen, würde als grobe Unhöflichkeit ausgelegt worden sein.
Diese Milchkuh war nun ausgerissen. Der Neger, der das Futter für sie zu mähen hatte, hatte es für bequemer gefunden, sie in der Nacht hinauszulassen und dafür auf einem unserer Pferde einen Besuch bei seiner schwarzen Geliebten, fünf Stunden weit, abzustatten. So waren Pferd und Kuh verloren. Das Pferd, zehn Stunden ohne Wasser und Futter gejagt, war wenige Minuten vor unserer Ankunft draufgegangen, die Kuh war wer weiß wo zu finden.
Der Neger glotzte uns an, gab aber keine Antwort auf meine Fragen. Jetzt tat es mir beinah leid, den Arm Jeans aufgehalten zu haben. Wir waren in Verzweiflung. Wohl nie hatte eine Kuh drei hoffähige Edelleute in größere Verlegenheit versetzt. Wir schauten drein wie arme Seeleute auf einem entmasteten Wrack, vor deren Augen das letzte Wasserfaß vom Deck gespült wird. Was nun? Guter Rat war teuer. Ohne Milch konnten wir nicht leben. Es war das einzige Getränk, das wir genossen, da wir den Tafia Rum aus geringerer Melasse nicht vertragen konnten.
Wir mußten versuchen, des flüchtigen Tieres wieder habhaft zu werden. Roche Martin konnte uns am besten Bescheid geben. Zu ihm wollten wir also, auf dem Wege zu ihm allenfalls die Gegend durchstöbern, ob die unglückselige Martha – so hatten wir die Kuh getauft – irgendwo verweilte, und dann von ihm das weitere zu vernehmen.
Wir hatten drei Reit- und zwei Wagenpferde von Bossompierre gekauft. Lassalle und Amadée sollten in westlicher Richtung gegen den Vermilion zu die Gegend durchstöbern, Hauterouge und ich wollten eine östliche Richtung nehmen. Gerade als wir im Aufbruch begriffen waren, kam Ducalle. Als er hörte, was vorgefallen, schloß er sich uns an, und Amadée blieb zu Hause.
Wir ritten durch einen Liquidambarwald, aus dem ein Indianerpfad in die große Prärie führte. Dort trennten »wir uns. Lassalle und ich hielten uns rechts nordöstlich gegen den Lebœuf hinauf, Hauterouge und Ducalle sich links gegen den Vermilion zu. Bei Roche Martins Pflanzung wollten wir uns wieder treffen.
Es war zum erstenmal, daß wir den Indianerpfad betraten. Er sollte uns in eine Landschaft bringen, die man uns immer als eine halbe Wüstenei schilderte: Nur an einzelnen Punkten sei sie von halbwilden Akadiern bewohnt, die, meist Jäger, die rauhen Sitten der eingeborenen Stämme angenommen hätten. Wir hatten uns daher zur Vorsicht mit Waffen versehen.
Der Nachmittag war heiß, einer jener Septembertage, die bei uns das gelbe Fieber zeitigen. Unsere Sonnenschirme über den Köpfen, unsere Tiere durch Fliegennetze und Laubwerk gegen die Moskitos und Brulôts geschützt, trabten wir auf dem Indianerpfad durch den Liquidambarwald. Nach einer halben Stunde lag die Prärie vor uns, unabsehbar wie die gekräuselte Wellenflache des Ozeans.
Am fernen Himmelsrand stiegen düstere violettfarbige Wolkenmassen herauf, deren im Feuer vergoldete Ränder das ungeheure tiefblaue Himmelsgezelt in einen drohenden Rahmen faßten. Die Immergrüneichen, die den Liquidambarwald begrenzten, gaben zugleich jene leise ächzenden knarrenden Töne von sich, die immer Vorboten eines herannahenden Sturmes zu sein pflegen. Noch schienen aber die Wolkenmassen träge über den Wipfeln der fernen Waldsäume zu ruhen. Es war, als ob die furchtbare Hitze auch sie niederdrückte.
Wir schauten einen Augenblick hinüber auf die großartigen Wolkenballen und sprengten dann auseinander. Bald verloren wir uns in dem hohen Grase aus dem Gesicht. Die Sonnenschirme über dem Kopf, ritten Lassalle und ich in nordöstlicher Richtung.
Etwa eine Viertelstunde waren wir geritten, als wir auf eine Herde Rinder stießen, die wohl tausend Köpfe stark sein mochte, darunter mehrere hundert Pferde von der halbwilden mexikanischen Rasse. Die Rinder unserer Attacapas unterscheiden sich von unseren französischen sehr vorteilhaft durch ihre ungemein schönen Hörner. Mit ihrem schlanken Körperbau, ihren hohen Schenkeln und Füßen gleichen sie aus der Ferne eher Hirschen als Rindern. Ihre meist braunrote Farbe erhöht diese Täuschung. Sie weiden im ellenhohen Gras, kaum daß ihre Köpfe und Hörner zu sehen sind, bemerken zeitig den Ankömmling, lassen ihn bis auf dreißig oder vierzig Schritte herankommen, werfen dann die Köpfe auf und schnauben. Die Rinder stoßen ein kurzes Gebrüll aus, die Pferde ein kurzes Gewieher, und dann brechen sie nach allen Seiten auseinander.
Unsere Tiere spitzten nicht wenig die Ohren, als wir vor der gewaltigen Herde anlangten, die uns eine Weile anstarrte und dann im wildesten Galopp auseinanderstob. Unsere aufgeregten Pferde – sie waren von derselben mexikanisch-spanischen Rasse – jagten ihnen in die weite Grassteppe nach. Wir waren trotz der Hitze nicht minder aufgeregt, es war unsere erste wilde Jagd in den Attacapas.
Scharf sprengten wir so vielleicht eine Stunde hinter den wilden Tieren her. Sichtlich ungern ließen unsere ermüdeten Pferde von ihrem Wettrennen nach, fielen in einen langsamen Trab und hielten endlich still. Als wir aufblickten, war kein Horn, keine Mähne mehr zu sehen. Links und rechts hinter uns lag die Prärie, vor uns eine ganz fremde, neue Landschaft. Wie die Wellen einer grünen Meeresbucht anschwellend, stiegen Hügel sanft an, malerisch besprenkelt mit zerstreuten Gruppen von Immergrüneichen, Magnolien und Tulpenbäumchen. Einzelne Damhirsche ließen uns bis an zwanzig Schritte herankommen.
Der Anblick war für uns ganz neu. Wir hatten uns die Attacapas als eine zwar gesegnete, fruchtbare, aber doch flache, eintönige, dabei fieberige Landschaft gedacht. Was wir bisher gesehen, hatte uns in dieser Vorstellung bestätigt.
Hier, kaum fünfzehn Meilen von unserer Pflanzung, fanden wir uns so angenehm getäuscht.
Wir sprengten den nächsten Hügel hinan. Von seinem Rücken hatten wir eine entzückende Aussicht.
So weit das Auge reichte, war sogenanntes Wellenland, Hügel, die sich wellenartig erhoben, senkten, hie und da Waldpartien, zwischen denen hindurch das Auge die herrlichste Fernsicht genoß. Die Sonne näherte sich bereits den schwarzen düsteren Wolkenmassen, und während ihre schräg einfallenden Strahlen die ihnen zugekehrten Baumseiten in tausend glorreichen Tinten aufhellten, waren die abgewandten in jenes magische Helldunkel geworfen, das im amerikanischen Klima so außerordentliche Wirkungen hervorbringt. Jede Immergrüneiche, jede Magnolie mit ihren wogenden Fächern und Kelchblumen, jeder Tulpenbaum mit seinen Pokalblüten bot diese tausend Tinten, dieses unbeschreiblich schöne Helldunkel dar.
Wir standen sprachlos, im Anstaunen dieser uns damals neuen, noch nie gesehenen Schönheiten versunken. Um die Glorie der Landschaft zu vollenden, schlängelten sich um mehrere der Hügel, die in der Ferne auftauchten, Seen und Seechen mit Mangroven gerändert, die uns wie silberne und goldene Adern aus der zauberischen Landschaft entgegenschimmerten.
»Hier ist ein glorreiches Land, ein Paradies!« rief ich entzückt. »Hier wollen wir unsere Hütten aufschlagen!«
Lassalle unterbrach meine Rufe des Entzückens, aber ich hörte nicht, was er sagte, ich sah nichts wie die herrliche Natur. Ich segnete den Zufall, der mich in diese Fluren gebracht. Mein einziger Gedanke war, möglichst viel von dieser Gegend so schnell wie möglich zu sehen, um mich unverzüglich hier niederzulassen.
Wir ritten den Hügel hinab auf einen zweiten zu. Sein Fuß wurde von einem herrlichen Spiegel kristallhellen Wassers bespült, in dessen Mangrovenrändern zahllose Outardes Outarde (franz.) == Bustard (engl.) == Trappe (kranichartiger Vogel) und Enten sich herumtrieben. Ich betrachtete abermals die Aussicht von diesem Hügel. Sie gefiel mir noch besser als die vom ersten.
Wir ritten dem dritten zu, hinan. In der schwelgerischen Augenweide, dem Vorgefühl des Entzückens, das meine Braut, meine teure Eleonore, nun bald mit mir teilen würde, hatte ich die Kuh und alles um mich vergessen.
»Weißt du, Colonel, daß du ein ganzer Egoist geworden bist, in deiner Hast einen Lageplan zu finden?« unterbrach Lassalle meine Gedanken.
Ich schaute ihn überrascht an. Der Vorwurf war begründet. Dieser Egoismus, der sich dem Einwanderer in Amerika gleichsam anlegt – er mag wollen oder nicht –, ist eine andere seltsame Eigenheit, ein Gegensatz, der die Bewohner des Landes von den Europäern unterscheidet. Die Natur selbst drängt ihn auf.
»Ich glaube, es ist hohe Zeit, uns nach Roche Martins Pflanzung umzusehen«, meinte Lassalle und deutete auf die drohenden Wolkenmassen, die der Sonne immer näher kamen, und auf den Wipfel einer Immergrüneiche, in der sich das Säuseln stärker hören ließ.
Unsere Uhren zeigten fünf. Wir waren drei volle Stunden zum Teil scharf geritten. So weit das Auge reichte, keine Spur von einer menschlichen Wohnung. Wald, Prärie, Wasser, aber keine Hütte, kein Haus. In ferner Weite glänzte uns ein heller Wasserstreifen aus einem Waldstück entgegen, so bezaubernd, daß unsere Augen sich nicht davon losreißen konnten.
»Dort müssen Menschen wohnen!« riefen wir zugleich aus.
»Und wenn nicht, so will ich meine Hütte dort aufschlagen!« fügte ich hinzu.
Wir ritten rasch dem wunderschönen Fleckchen zu, von dem uns jedoch noch manche Meile trennte. Einige Male hielten wir auf den Rücken der Wellenhügel, die auf unserm Weg lagen, um uns zurechtzufinden. Als wir wieder einen Hügel hinanritten, entfuhr Lassalle ein Hurra.
Er zeigte auf eine leichte bläuliche Rauchwolke, die um die Baumwipfel herumwirbelte und dann vom Luftzug schichtartig gegen Süden abgetrieben wurde. Aber keine Wohnung war zu sehen. Der Rauch kräuselte aus einem Waldstück, aus dem zugleich ungemein malerisch, wie aus einem Füllhorn geschüttet, ein Flüßchen hervorquoll. Seine Ränder waren mit Mangroven eingefaßt, die gegen das Wäldchen hin mit Tränenweiden abwechselten, auf die wieder Grüneichen, Magnolien und Liquidambars folgten. Doch schienen diese gruppenweise zerstreut zu sein.
Wir beschlossen, auf alle Fälle in dieses köstliche Walddunkel einzureiten. Die Sonne war hinter den drohenden Wolkenmassen verschwunden. Das entfernte Rollen des Donners ließ uns nicht mehr am baldigen Ausbruch des Gewitters zweifeln.
Wir spornten unsere Tiere, die rasch auf das Flüßchen zutrabten. Sie witterten eine Menschenwohnung. Noch waren wir etwa tausend Schritte von der Stelle, wo nach unserer Berechnung die Feuerstelle sein mußte, der der Rauch entstieg.
»Hörst du nichts, Colonel?« fragte mich auf einmal Lassalle.
Ich hatte etwas gehört. Einer jener wunderbaren Töne, die in unseren Wald- und Wieseneinöden so seltsam das Ohr berühren, war auch zu mir gedrungen. Wir ritten näher. Die Töne ließen sich abermals hören. Sie klangen anfangs barsch, schrill, dann wie Sirenengelächter, wie Gesang. Ungemein seltsam klangen sie, wie Geisterstimmen, auf den Fittichen der Windsbraut uns entgegen getragen. Wir ritten in der Richtung der Töne fort.
Das Flüßchen, etwa fünfzig Fuß breit, schien tief zu sein, wie es hier die Flüsse oder – um in der Landessprache zu reden – die Bayous in der Regel sind. Es kam so reizend aus dem Versteck der Tränenweiden und Mangroven heraus, schien durch die Zweige hindurchzugleiten. Abermals ertönte das Sirenengelächter. Jetzt erkannten wir weibliche Stimmen, dazwischen Geklingel von Schellen und metallenen Gefäßen, wie wenn erzene Instrumente mit Heftigkeit geschlagen würden. Wir sahen uns befremdet an.
»Vorwärts!« ermunterten wir einander.
»Da ist ein Weg!« Lassalle wies auf einen breiten Fußpfad, der in das Waldesdunkel führte.
Bald nahm uns das Laubdach der Grüneichen und Liquidambars auf. Der Sirenengesang wurde immer vernehmbarer, je weiter wir vorkamen. Wir waren imstande, einzelne Worte zu verstehen. Der Weg brachte uns zu einer Gabelung, von der drei Wege ausliefen. Wir folgten dem breitesten.
Etwa hundert Schritte mochten wir geritten sein, als die Waldesdämmerung einer Helle wich. Einige zerstreute Immergrüneichen, mit Rasenbänken um ihre ungeheuren knorrigen Stämme, ein herrlicher Grasteppich und endlich ein freier Platz und – wir sahen uns betroffen an – eine Villa, die uns vom jenseitigen Ufer des Flüßchens, kaum zweihundert Schritt weit, in die Augen schimmerte, so lieblich, so reizend! Von der sanften Anhöhe, auf der sie sich schwanenartig hinbreitete, beherrschte sie das Flüßchen.
»Was sagst du, Colonel?« fragte Lassalle. »Diese Villa!«
»Wenn die Akadier so wohnen, dann haben sie mehr Geschmack als die Kreolen unseres Kirchspiels«, war meine Antwort.
»Adeligen, solltest du sagen!« lachte Lassalle. »Wahrhaftig, diese Adeligen ... aber!«
Verlegen sah er zu der Villa hinüber, und ich gleichfalls. Uns wurde so sonderbar zumute. Bei unserm Wunsch, ein Obdach gegen den Sturm zu finden, war die Erscheinung dieser Villa so seltsam. Sie lag etwa hundert Schritt vom Ufer auf dem etwa vierzig Fuß ansteigenden Uferkamm so wollüstig weich, als ob sie zum Sitz der Liebe hingebettet worden.
Wie alle Häuser in den Attacapas hatte sie bloß ein Stockwerk, aber statt des häßlichen breiten spanischen Daches hatte sie ein flaches mit einer Veranda, an der Catalpas auf der einen, Magnolien von der anderen Seite hinauf- und zusammenrankten. Die untere Veranda ruhte auf ausgerillten weißen Säulen, die wie von Marmor aussahen. Die Jalousien waren herabgelassen, die Piazzas mit einem eisernen Geländer umgeben. Von den Treppen herab gelangte man in ein Gärtchen, das von der Villa bis zum Fahrweg vorlief. Dieser führte im Halbzirkel darum herum wahrscheinlich zu den hinten gelegenen Wirtschaftsgebäuden. Das Ganze zeugte ebensosehr vom feinen Geschmack wie Reichtum des Besitzers.
»Wo sind wir?« fragte Lassalle, ungewiß, ob wir näher sollten oder nicht.
Wir wußten uns beide nicht die seltsamen Empfindungen zu erklären. Die Hütte eines Akadiers wäre uns lieber gewesen. Lassalle summte das Lied Favarts »L'amour, l'amour«. Endlich stiegen wir von unseren Pferden und zogen sie am Zügel hinter uns drein der Brücke zu. Sie bestand aus mehreren dicken Zypressenstämmen, die beide Ufer verbanden und wieder mit kürzeren Querbalken und Pfosten belegt waren, so daß Wagen recht gut darüber fahren konnten. Statt der Geländer waren Mangrovenzweige an beiden Seiten zu einem dichten Flechtwerk verbunden, um gegen ein Hinabfallen zu schützen.
Wir hatten noch keine drei Schritte auf der Brücke getan, als ein abermaliges Gelächter sich dicht unter uns aus dem Wasser hören ließ. Zugleich fuhren zwei Wasserstrahlen von links und rechts über unseren Köpfen zusammen. Wir schauten einander an.
Abermals lautes Gelächter, Geplätscher! Zwei, vier, sechs weiße Arme streckten sich nicht weit von uns aus dem Wasser heraus, über unsere Köpfe schnellten abermals zwei Strahlen des flüssigen Elements, und zwar in einer Fülle, die einer Traufe glich. Aus dem Wasserspiegel tauchte ein Najadenkopf auf, ein Nacken folgte, ein Busen, wie aus karrarischem Marmor gemeißelt, von einem schneeweißen Batisthemdchen bedeckt. Dann ein zweiter, dritter Kopf, Nacken, Busen, drei Mädchengestalten erhoben sich im Wasser, schienen zu stehen. Sie riefen einer vierten schwarzen, zugleich erschallte das Knacken von Kastagnetten unter der Brücke, begleitet vom Gesang zweier weiblicher Stimmen. Die vier Mädchen reichten sich die eine Hand, und während sie mit der anderen ruderten, traten sie zugleich mit den Füßen das Wasser und führten zu unserem Staunen eine Quadrille durch, wie wir sie schöner, und buchstäblich gesagt, schwimmender nie gesehen hatten.
»Mein Gott, wo sind wir?« fragte Lassalle mich beklommen.
Ein starkes Rollen des Donners unterbrach Gesang und Tanz. Eine der Veranda-Blenden öffnete sich, und ein weiblicher Kopf schaute heraus.
»Aspi, Leontine, Zoe! Genug des Badens! Die Bö! Hört ihr sie?«
»Ben, Maman!« lachten die drei Mädchen.
Wir standen hinter dem Mangrovengeländer, ungesehen von den Mädchen. Aber die Dame hatte uns entdeckt, sie rief uns fröhlich zu.
»Eh ben, Pierre! Sind Sie es? Es hohe Zeit sein, der Sturm im Anzug sein!« Mit diesen Worten zog sie die Blende vollends auf und ließ uns ihren Oberkörper sehen.
»Eh ben! Das nicht Pierre sein!« Sie erkannte jetzt ihren Irrtum. »Ben, Messieurs, was wollen?«
Mit einem ungestümen Ruck verließ sie das Fenster und erschien auf der Piazza, deren Stufen sie so schnell herabstieg, als ihre starke Beleibtheit es erlaubte. Sie war über die dreißig Jahre, aber noch wohl erhalten, wenn auch ihre Züge mehr grob als fein waren. Ihre Gesichtsfarbe war brünett, die Lippen etwas groß, die Augen schwarz, nicht so fein geschnitten, wie es bei Kreolinnen der Fall zu sein pflegt, auch rundete das Weiße zu stark neben ihrer Rabenschwärze hervor. Sehr schön waren die Zähne, und der Busen konnte immer noch als reizend gelten.
Wir zogen unsere Pferde hinter uns her und gingen den Fahrweg entlang, der – wie gesagt – um das Haus herumlief, aber nicht zum Haupteingang führte. Dorthin gelangte man durch das Gärtchen, durch das die Dame heftig angeschritten kam. Sie hielt an der niederen Gartentür und lehnte sich mit beiden Armen darauf. Sie war im Hauskleid, das nur nachlässig ihre üppigen Formen verhüllte.
Sie blickte uns mißtrauisch an und fragte: »Eh ben, Messieurs! Was wollen?«
Hinter unserm Rücken hörten wir Geflüster, Gekicher. Wir wandten uns um und sahen weiße Gewänder hinter den Mangrovenhecken, die die Flußufer einsäumten.
»Eh ben, Messieurs! Was wollen?« fragte die Dame in rauherem Ton.
Es war eine Stimme, die so ganz im Widerspruch mit allem war, was wir sahen, eine Stimme, wie wir sie bei den alten Kinderfrauen unseres Paris zu hören gewohnt waren. Wer war diese Person? Wie kam diese lasterhafte Stimme in diesen süßen Sitz der Einsamkeit? Wir waren in einer Verlegenheit, wie nicht leicht zwei französische Kavaliere. Das »Wir suchen eine Milchkuh« wollte nicht heraus. Wir müssen sehr alberne Gesichter gemacht haben.
»Also, Messieurs, was wollen?« wiederholte sie. »Wir keine Leute aufnehmen, die wir nicht kennen. Wir sehr eingezogen leben. Wir eine sehr respektable Familie sein. Wir von niemand Besuche annehmen, die uns nicht vorgestellt sind.«
»Pah! Macht ihre Respektabilität da geltend, wo sie gar nicht bezweifelt wird!« flüsterte mir Lassalle zu, und abermals sahen wir die Dame und sie uns an.
»Messieurs gehen! Wir Sie nicht brauchen, da der Weg sein!« höhnte sie.
Für uns handelte es sich jetzt um ein Obdach in einem Sturm, der jeden Augenblick ausbrechen konnte.
»Vergebung, Madame!« nahm ich das Wort. »Wir wünschen nichts weniger, als Sie zu belästigen oder uns aufzudrängen. Wir haben uns auf einem Ausflug verirrt. Das einzige, um was wir bitten, ist ein wenig Futter für unsere Pferde und einen Führer, der uns den Weg nach Monsieur Berthouds Pflanzung zeigen kann. Sobald der Sturm vorüber, wollen wir dahin und den Dienst gern vergelten.«
»Monsieur Berthouds Pflanzung?« wiederholte die Dame und beäugte uns schärfer. »Wir haben gehört, diese Pflanzung von einem Herrn Grafen und zwei Baronen gepachtet sein?«
Sie hielt inne und starrte uns an.
»Sie in den Attacapas wohnen?« fragte sie.
»Aufzuwarten! Die genannte Pflanzung ist einstweilen unsere Wohnung.«
»Sie also der französische Graf sein!« Ihre Züge waren auf einmal freundlich geworden. »Aspi, Zoe, Leontine, geschwind! Ah, Herr Graf, Sie willkommen sein, wo Sie hinkommen, ohne Vorstellung. Vergeben, Herr Graf! Aber viele schlimme, sehr schlimme Herren zu uns kommen, und wir das nicht wollen, wir eingezogen leben.«
Sie streckte ihre fleischigen Hände über das Gitter, um die unsrigen zu fassen, und da sie jetzt sah, daß wir noch die Pferde an den Zügeln hielten, schrie sie: »Ahoi! Ahoi! Sippi, Midi, Josi! Hört ihr nicht? Die Pferde dem Herrn Grafen abnehmen! Geschwind die Pferde abnehmen! Der Herr Graf in den Garten eintreten!«
Sie öffnete die Gartentür und erfaßte meinen Arm. So standen wir, bis ein paar zerlumpte Neger kamen und uns die Pferde abnahmen.
»Darf ich bitten«, bemerkte ich, »den Pferden vorläufig etwas Heu geben zu lassen, dann erst Wasser und einige Welschkornkolben.«
Sie wandte sich ungeduldig und zog mich hinter sich drein.
»Ah, ein Herr Graf, und da um ein Pferd sich bekümmern!« lachte sie. »Ah, Sie kein Kreole sein, man es sehen. Kein Kreolen-Gentilhomme sich um ein elendes Pferd bekümmern!«
An der ersten Treppe der Piazza hielt sie an.
»Und wer dieser Herr sein?« Sie war offenbar willens, sich von der Respektabilität ihres zweiten Gastes zu überzeugen, ehe sie ihm Aufnahme gestattete.
»Monsieur le Baron de Lassalle, Madame!« stellte ich meinen Freund vor.
»Monsieur de Lassalle! Der junge Herr, der die reiche Mademoiselle de Morbihan geheiratet?! Ben venu, Monsieur de Lassalle!«
Sie musterte ihn einen Augenblick scharf von oben bis unten, ein eigentümliches Lächeln überflog ihre Gesichtszüge. »N'importe!« murmelte sie zwischen den Zähnen und faßte auch Lassalle am Arm.
Während sie uns die Treppen hinaufführte und an der Piazza hielt, suchte ihr Lassalle den Irrtum bezüglich seiner Heirat zu nehmen, allein sie plapperte in einem fort und zog uns, da die Eingangstür nicht hinlänglich breit war, um alle drei in einer Reihe hindurch zu lassen, im Dreieck in die Veranda herein.
»Herr Graf Pimperolles!« bekomplimentierte sie mich, nachdem sie unsere Arme fahren gelassen. »Sich setzen und vergeben! Madame Allain sogleich zurück sein!«
Mit diesen Worten verließ Madame Allain die Veranda, und wir setzten uns und schauten einander an.
»Sag mir doch, wo wir sind?« flüsterte mir Lassalle zu. »Das ist keine Kreolin und doch ...«
Er sah sich in der Veranda um. Sie war äußerst geschmackvoll eingerichtet, es herrschte Luxus darin. Die Möbel von Acajou- und Louisiana-Kirschbaumholz, der Fußboden mit den damals seltenen Seegrasmatten belegt, die Wände sehr schön tapeziert. Nur eine gewisse Unordnung verriet, daß wir uns in den Attacapas befanden. Kleider und andere Gerätschaften lagen durcheinander auf den Sesseln, Sofas, Tischen, dem Fußboden umher, und ein starker Bisamgeruch duftete.
Wir waren jedoch in keiner Kreolenpflanzung, so viel schien ausgemacht. Die Dame hatte in ihrem Wesen etwas keck Zudringliches, Unverschämtes, ihr fehlte der Anstand, die strenge Sittsamkeit, Häuslichkeit der Kreolinnen, selbst der Anflug von Trägheit. Wer war die gute Madame Allain? Wie kam sie hierher? Sie hatte etwas von unseren Modehändlerinnen oder Kinderfrauen. Ihr ganzes Benehmen, ihre Stimme, ihre Züge verrieten einen solchen Beruf. Hatte sie sich mit den Früchten ihrer Triumphe in diese Einsamkeit zurückgezogen?
Wir wurden in diesen Querfragen durch zwei Negermädchen unterbrochen. Halbnackt, um den Busen bloß ein rotes Band geschlungen, das ein Röckchen hielt, tanzten sie herein, lachten uns an und räumten auf. Kleider, schmutzige Wäsche, alles, was herumlag, packten sie auf die Arme und liefen wieder hinaus. Nochmals kamen sie, nahmen die Überreste. Gleich darauf folgte ein drittes zierliches schwarzes Mädchen und spritzte Rosenwasser über die Matten hin.
Noch schauten wir den Bewegungen der lieblichen Schwarzen zu, als abermals die zwei ersten Negerinnen erschienen, einen Korb mit Flaschen, einen anderen mit Tellern, einen dritten und vierten mit Backwerk und Früchten in den Händen. Sie stellten die Erfrischungen auf einen Tisch, der hinter einem Sofa stand, und ordneten die Sessel, alles im Kreolenstil.
Wir waren an die geöffneten Veranda-Blenden getreten. Die Lage der Villa war entzückend. Der Uferkamm, etwa fünfzig Schritte lang und breit, dachte sich sanft gegen den Fluß hin ab. Kein einziger Moskito ließ sich in der Veranda spüren. Der Wald war an mehreren Seiten gelichtet, aber mit Geschmack und offenbar, um der Luft den Durchzug zu gestatten. Das Gärtchen zu unseren Füßen war mit herrlichen Blumenbeeten geschmückt.
Die Dame trat jetzt herein, sie hatte sich in der Eile angekleidet. Wie sie im seegrünen Taftkleid, das ihr etwas sonderbar stand, auf uns zukam, war sie ganz Freundlichkeit.
»Und wie Ihnen die Attacapas gefallen?« Sie ließ sich auf das Sofa nieder und zog mich neben sich.
»Sehr wohl würden sie uns gefallen, wenn alle Pflanzungen Ihrem herrlichen Landsitz glichen.« Ich konnte keine feinere Schmeichelei finden, und selbst diese wollte nicht recht heraus.
»Ja, die Chartreuse, ja, die Chartreuse ...«
»Also Chartreuse haben Sie dieses lieblichste aller Verstecke getauft? Fürwahr, eine solche Kartause ...«
»... mit ...« Sie stockte, sah mich aber mit einem lüsternen Blick an.
»Also, das Herr de Lassalle sein?« fragte sie mich, auf Lassalle deutend, der noch stand.
»Aufzuwarten!« erwiderte mein Freund.
»Ah, die Madame Lassalle sehr schön sein, sagt man! Ich sie nie gesehen haben. Sehr schön! Aber, mein Gott, Herr Graf, Sie ja ganz naß sein!«
»Ein bißchen«, war meine Antwort. »Aber nochmals muß ich Ihnen versichern, daß Sie den Namen dieses Herrn mit dem unseres beiderseitigen Freundes Ducalle verwechseln ...«
»Gewiß die närrischen Mädchen Sie bespritzen? Abscheulich! Aspi, Leontine, Zoe! Ihr abscheulichen Kinder, was ihr getan?« plauderte sie fort, ohne auf meine Berichtigung zu hören. »Die närrischen Mädchen am liebsten baden und tanzen, nichts als baden und tanzen, selbst im Fluß tanzen!«
»Und Tänze, die selbst die Najaden beschämen würden«, schaltete ich ein, um doch wenigstens ein Kompliment zu sagen.
»Najaden? Kenne die Demoiselles nicht. Sind doch respektabel, Herr Graf? Meine Töchter sehr respektabel sein.«
Lassalles Mundwinkel verzogen sich. Ich mußte der Unterhaltung wieder eine ernsthafte Wendung geben.
»Aber ist denn das Baden nicht gefährlich? Alle Flüsse und Gewässer wimmeln doch von zahllosen Alligatoren?«
»Oh, sie sich helfen! Sie schreien, sie singen, sie an Pfannen, Kesseln, Kupferbecken schlagen, sie die Alligatoren weit verscheuchen!«
Daher also die seltsamen Klänge, die wir gehört hatten! In der Verandatür erschien jetzt eines der Mädchen.
»Aspi!« sprach die Dame. »Das Herr Graf Pimperolles sein, und das Herr Lassalle, der Mademoiselle Morbihan ...«
»Vergebung, Madame!« fiel ich ein. »Sie sind im Irrtum! Dieser Herr ist zwar der Baron Lassalle, aber nicht verheiratet! Der Gatte von Mademoiselle de Morbihan heißt Ducalle!«
Sie schüttelte ungläubig den Kopf und lächelte auf eine eigene Weise.
»Wir wissen, wir wissen! Aspi, Aspi, der Herr Lassalle also nicht verheiratet. N'importe, n'importe – macht nichts! Herr Graf, das meine Tochter Aspi sein!«
Wir erwiderten den Knicks der Tochter, und während unsere Augen ihre Züge flüchtig aufnahmen, begann mir ein Licht über die Familie aufzugehen. Es mußte eine Farbige sein. Ich hatte zwar noch keine gesehen, aber was ich gehört, traf hier vollkommen ein. Mutter wie Tochter waren mehr kräftig als zart geformt, die Gesichtszüge verrieten afrikanischen Ursprung, an der Hautfarbe vermißten wir jene gewisse Durchsichtigkeit, wie sie selbst an unseren dunkelsten Brünetten noch bemerkbar ist. Die schneeweißen, scharfen Zähne, die Fülle ihrer Mittelgestalt, alles stimmte überein.
Die Züge der Tochter waren nicht regelmäßig, nicht einmal schön. Sie waren eher grob, die Augen groß, das Weiße schillerte stark hervor, aber in diesen Augen flammte so eine tiefe Glut, sie bohrten so zuversichtlich, so dämonisch in das Innerste hinein. Es war, als ob sich jeden Augenblick ihre Arme öffnen würden, um uns zu umschließen, festzuhalten und nicht mehr loszulassen. Sie sah abwechselnd uns und die Mutter an und wiegte sich. In der Mutter Augen schien sich etwas wie Triumph zu spiegeln, nicht so in denen der Tochter, die stolz den Kopf aufwarf, uns einen Augenblick maß und dann dem Tisch zuschritt, auf dem die Flaschen und Erfrischungen standen.
»Maman! Maman!« ertönte da ein Ruf.
Zwei Gestalten tanzten an der Glastür der Veranda und hielten und schauten. Während sie so an der Schwelle schwebten, schwanden meine Schlüsse und Gedanken wie Seifenblasen. Diese zwei Mädchen waren unmöglich Farbige! Noch weniger konnte die Mutter zweier so herrlicher Geschöpfe das sein, wofür wir sie im ersten blinden Vorurteil gehalten hatten.
»Leontine, Zoe! Teure Kinder! Der Herr Graf Pimperolles! Erlauben Sie, Ihnen meine beiden Töchter Leontine und Zoe vorzustellen.«
Ich hatte viele schöne Mädchen gesehen, mehrere Jahre am königlichen Hof verlebt, aber doch waren mir noch keine zwei Gestalten vorgekommen, die so anreizend, lockend erschienen wären, wie Leontine und Zoe. Sie waren im schneeweißen Batistmorgenrock, der weit und faltig die herrlichen Formen umhüllte und das Spiel der Glieder in halber Durchsichtigkeit erscheinen ließ. Sie kamen sittig, verschämt auf uns zu, sie erröteten, aber so kindlich und so unbefangen heiter, und blickten so züchtig auf die Mutter. Sie verneigten sich so sittsam knicksend und wagten es kaum, die Augen aufzuschlagen. Der Mutter Blicke ruhten mit sichtlichem Wohlgefallen auf den beiden Töchtern.
»Aber Leontine, Zoe!« Ein seltsames Lächeln umspielte ihre Züge. »Was ihr tun? Der Herr Graf ja ganz naß!«
Die Mädchen warfen einen verstohlenen Blick auf uns. Ein leises Gekicher entfuhr ihnen.
»Zur Strafe ihr die beiden Herren bedienen!«
Die Töchter sahen die Mutter fragend an und traten an den Tisch, an dem die ältere Schwester noch stand. Zaudernd legten sie die Hand an die Flaschen.
»Wohl, Leontine!« mahnte die Mutter. »Du blöde sein! Und Zoe!«
Und Leontine füllte mit zitternder Hand zwei Gläser. Die Mutter füllte vier kleinere Gläser, dann boten uns Leontine und Zoe die zwei größeren dar. Wir tranken. Der Wein war vortrefflicher Bordeaux. Wir standen einen Augenblick, ohne ein Wort zu sprechen.
»Herr Graf! Sie vor einer Stunde nicht gehen können. Sie abwarten, bis der Himmel abkühlen, der Sturm vorüber.«
»Glauben Sie, es gibt einen Sturm?«
»Wenn regnen, nicht! Wenn nicht regnen, dann schrecklichen Sturm! Sie sich Zeit angenehm vergehen lassen, uns entschuldigen!«
Sie erfaßte meinen Arm und deutete auf das Sofa, ein verstohlener Blick wies Leontine ihren Platz neben mir an. Dann ergriff sie den Arm Lassalles und führte ihn seitwärts zu einer Ottomane. Zoe bekam einen heimlichen Wink, sich zu ihm zu setzen. Noch ein vielsagender Blick traf die Zurückbleibenden von Mutter und Schwester, und diese verschwanden in der Verandatür.
Ich sah Lassalle, er mich an. Sein Blick besagte, hier ist es doch nicht ganz richtig, und der meinige dasselbe. Aber wieder, wenn wir die beiden herrlichen Geschöpfe ansahen, die jetzt dicht bei uns saßen, zitternd an Leib und Seele wie Schlachtopfer ... es war unmöglich.
Leontine mochte fünfzehn Jahre zählen, eine wunderschöne frische Knospe, sich entfaltend, reifend. Auch nicht der leiseste Zug verriet gemischtes Blut. Mehrere Flechten ihres seidenweichen Haares hingen noch feucht auf dem entblößten Nacken. Ovalrund das Gesicht mit der feingeformten Adlernase, schwarzbraun das Auge mit den prachtvoll gewölbten Wimpern, die Gesichtsfarbe wie Milch und Blut, die Zähne so weiß, klein, durchsichtig wie Perlen, die kirschroten Lippen leicht aufgeworfen, der zarte Busen nur leicht verhüllt. Mir begann seltsam zu werden.
Da traten zwei Negermädchen von etwa fünfzehn, sechzehn Jahren ein. Sie waren bis auf den Gürtel nackt, ihre Röckchen, von zwei roten Seidenbändern gehalten, reichten bis über die Knie, Fußbekleidung hatten sie keine. Wir hatten uns bereits so ziemlich an den Anblick dieser Halbnacktheit gewöhnt. Diese beiden Mädchen waren von Madagaskar-Rasse, ihre Gestalten wirklich schön. Sie warfen einen Blick auf uns und setzten sich dann wie Lieblingshündchen zu den Füßen ihrer beiden Gebieterinnen.
Alles geschah natürlich, ungezwungen, leicht. Wir hatten noch kein Wort zu sprechen Zeit gehabt, konnten auch jetzt nicht Zeit finden. Kaum saßen die beiden Negerinnen, als sie auch ihr Spiel begannen. Mira, so hieß die Schwarze auf der Matte vor Leontine, hatte ihre Füße ineinander gekreuzt wie eine Indianerin, die Hände ihrer Herrin erfaßt und geküßt und ihr einen Blick zugeworfen, feurig, schlau und lüstern. Und auf einmal wirbelten die beiden umeinander wie zwei Schlangen. Das Spiel ging weit über die Grenzen der Schicklichkeit hinaus, war aber so natürlich, daß ich den Blick nicht abwenden konnte.
»Ruhig, Mira! Ruhig!« rief Leontine.
Ihre Hand fuhr über den Tisch und haschte ein Stück Zwieback. Sie brach es und warf ein Stückchen zwischen ihre Zähnchen, die Negerin aber öffnete ihr schneeweißes Gebiß und fing das andere Bröckchen auf. Und beide rutschten, hüpften und sprangen auf dem Sofa herum. Leontine prallte an mich an, prallte ab, prallte wieder an. Und während dieses Spiels, das mich heiß zu machen begann, plapperten die beiden Mädchen so unbefangen, lachten so herzlich! Wenn sonst die Sprache selbst jener Farbigen, deren Blut mehrere Male mit dem europäischen gekreuzt ist, mehr abgebrochenes Kindergeplauder ist und unangenehm in den Ohren klingt, war das Geplapper dieser beiden Mädchen so musikalisch, daß ich mich nicht satt hören konnte.
Die Negerin hatte Leontines Füße erfaßt und kitzelte sie. Wie ein Federball prallte sie an mich an, ab, wieder an und schaute mich so unschuldig an, ihre feurigen Augen ruhten so schelmisch auf mir!
»Oh, was Sie da haben?« Ihr bloßer Arm – denn die weiten Ärmel ihres Überwurfs reichten kaum über die Schultern – fuhr an meinen Hals, und ihre Finger hielten das Ludwigskreuz, das unter der Weste am Bande hing. »Was das sein?«
»Der Orden König Ludwigs, holde Leontine!« flüsterte ich und drückte einen Kuß auf ihren schwellenden Arm.
Sie aber schnellte empor und wieder zurück, ihre Glieder, ihr ganzes Körperchen zuckte und bebte unter der durchsichtigen Hülle des leichten Batistmantels. Flüssiges, siedendes Quecksilber schien sie in den Adern zu haben, so sprang und tanzte alles in ihr, wie sie anprallte, abprallte im mutwilligen Spiel. Alles das war Spiel, bloßes Spiel, aber es war heißes Spiel. Es konnte unmöglich das lüsterne Spiel eines weißen Mädchens sein, unmöglich! Das Blut Afrikas glühte zu sichtbar in diesen Adern, sprudelte mit jedem Pulsschlag versengender.
Auch mein Blut brannte, rollte wie flüssiges Feuer. Meiner kaum mehr mächtig sprang ich auf. Dabei erhaschte mein Blick den der Mutter. Und was für ein Blick war das! Die Alte hatte die halbe Stunde hinter der Glastür gestanden, denn eine halbe Stunde war wie eine Sekunde verflossen.
Ich wandte mich kalt zu Leontine. In diesem Augenblick rollte ein furchtbarer Donner über uns dahin. Ich schrak zusammen ob der Stimme des Allmächtigen, die warnend zu mir sprach. Lassalle war gleichfalls aufgesprungen.
»Gaston!« rief ich. »Wir gehen, wir müssen gehen!«
»Colonel, wo sind wir?« Er taumelte auf mich zu.
»Bei Madame Allain!« Die Dame trat näher. »Bleiben Sie, bleiben Sie!«
»Unmöglich, Madame! Wir sind versprochen, verlobt!« Die Worte glitten mir unwillkürlich von der Zunge.
»Qu'importe? – Was macht das?« lachte die Mutter.
»Qu'importe?« wiederholten Leontine und Zoe.
»Nehmen Sie ein Glas Wein!«
Ich nahm das Glas, der Schweiß stand mir auf der Stirn. Leontine nahm das ihrige, nippte und zog mich auf das Sofa zurück.
»Wir müssen gehen, holde Leontine! Wir müssen, Madame Allain!«
»Ah, Madame Lassalle eifersüchtig sein!« lachte Madame Allain. »Die Kreolinnen sehr eifersüchtig, ihren Herren nicht die kleinste Freude gönnen!«
»Sie vergeben, der Herr hier ist nicht verheiratet!« berichtigte ich abermals ihren Irrtum. »Er ist der Baron de Lassalle. Mademoiselle wurde von Monsieur Ducalle geehelicht.«
Es lag mir auf der Zunge noch zu sagen: »Und ich danke Gott, daß er nicht zugegen ist.«
Sie lachte mir ungläubig ins Gesicht.
»Graf, Sie Ganache sein!«
Das war mir ein neues Wort, aber es kräftigte mich in dem Entschluß, so bald als möglich diese Charybdis zu verlassen. Ein einziger solcher Besuch war hinreichend, uns alle anständigen Häuser in den Attacapas zu verschließen.
»Gaston!« drängte ich. »Wir müssen gehen!«
»Müssen Sie?« riefen die beiden Mädchen so mutwillig heiter.
»Sie kommen aber doch wieder?« fragte die Mutter.
»Gewiß, gewiß!« versicherten wir.
Der Donner rollte abermals herauf, aber entfernter. Ein starker Regen hatte die Luft abgekühlt. Wir hatten vom ganzen Ungewitter nichts gehört, als diese beiden letzten Schläge. Mir brannten die Fußsohlen.
»Wir müssen gehen!« wiederholte ich dringender.
»So gehen Sie!« sprach die Mutter verdrießlich.
Während wir unsere Strohhüte nahmen, erklangen die Töne eines Pianoforte aus dem Saal herüber. Eine kunstfertige Hand spielte und begleitete ein Lied von Favart.
»Wie, Sie haben ein Pianoforte? In ganz Attacapas sahen wir keins.«
»Kommen Sie, eine Quadrille zum Abschied!« baten die Mädchen.
»Nein, nicht jetzt, holde Leontine, das nächste Mal! Mir ist zu heiß!«
»Ein Franzose, ein Graf, und einer Dame Quadrille abschlagen!« Leontine lachte, ohne jedoch beleidigt zu sein. »Pfui! Mira, Mira, komm denn!«
Die vier Mädchen sprangen auf und liefen in den Saal. Nach einigen Akkorden gingen die Töne des Pianoforte in eine Quadrille über, und die vier Mädchen führten die Figuren durch, die Grazien selbst hätten sie nicht züchtiger, sinnlicher, reizender darstellen können.
Unsere Augen hingen an der Tür, an den tanzenden Gestalten. Die Quadrille ging in ein Menuett über. Abermals hielten die Mädchen an und schauten uns forschend an. Sie erfaßten unsere Hände, nahmen uns die Hüte ab. Abermals verweigerten wir fest den Tanz. Eine Wolke flog über die Stirn der Mädchen, aber gleich darauf verneigten sie sich sittsam und schickten sich an, die Veranda zu verlassen.
»Also«, sprach die Mutter. »Ihre Pferde in Bereitschaft stehen, Sie gehen?«
»Adieu!« riefen Leontine und Zoe.
»Adieu! Und keinen Abschiedskuß?«
»Abschiedskuß?« riefen Mutter und Töchter.
Die beiden Mädchen verschwanden in der Glastür.
»Wo denken Sie hin?« fragte Madame Allain.
Ich sah sie fragend an.
»Wo denken Sie hin? Sie in einem respektablen, ehrbaren Haus sein!«
»Gewiß, gewiß, zweifle gar nicht daran!« murmelte ich.
»Wollen Sie arrangieren?« flüsterte die Madame leiser. »Dann etwas anderes sein. Leontine ...«
»Ist ein allerliebstes Kind!«
»Ein liebes Kind, das mir viele Freude machen, mein Stolz sein!« bekräftigte die Mutter.
»Sie haben alle Ursache dazu – eh ben!« sprach ich und wollte gehen.
»Eh ben!« Sie neigte sich zu meinem linken Ohr. »Eh ben! Fünftausend!«
Ich schaute sie zweifelhaft an, verstand nicht, was sie sagen wollte.
»Eh ben!« wiederholte sie. »Fünftausend!«
»Fünftausend? Wie?«
»Sollen Sie ...!«
»Wen? Was?«
»Canache!« sprach sie unwillig.
Ich schaute nochmals die Mutter an, sie mich.
»Sie doch bald wieder La Chartreuse sehen?«
»Gewiß!«
»Adieu!«
»Adieu!«
Wir gingen. Mit welchen Gedanken, Empfindungen kann ich nicht beschreiben. Ich raunte Lassalle mit hohler Stimme zu: »Gott sei Dank, daß Ducalle nicht mit uns war!«
Als wir spät in der Nacht heimkamen, waren sowohl Ducalle wie Hauterouge noch nicht zurück. Wir begaben uns zur Ruhe, ohne ein Wort über das Abenteuer zu sprechen. Wohl hatte die Chartreuse uns Stoff zum Nachdenken gegeben.