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Die Pflanzung war ungefähr zehn Stunden von dem eigentlichen Kirchspiel in den Attacapas und fünf Stunden von Madame Ducalles Haus gelegen. Sie bestand aus einem mürben Fachgebäude in der Art aller Pflanzerhäuser dort, mit breitem, vorspringendem Dach, einem Erdgeschoß, das zwei große Zimmer enthielt, die wieder mit Veranden umgeben waren. Weiter zurück lag ein Speicher, in dem unsere Leute schliefen, und im Hintergrund drei Negerhütten, in denen die vier Schwarzen und unsere Milchkuh untergebracht waren. Das Ganze war von einem Dutzend Catalpas überschattet. Etwa zwanzig Acker waren mit Welschkorn bepflanzt, das wir mir Monsieur Berthoud zur Hälfte teilten, das übrige war Urwald.

Wir traten unter das wettergebräunte Zypressendach unserer schlichten Behausung mit einer Mischung von Gefühlen, die nur derjenige würdigen kann, der so wie wir, im Schoß des Überflusses aufgewachsen und zehn Jahre auf der stürmischen See des Bürgerkriegs umhergetrieben, endlich wieder eine Erdscholle betritt, auf der er sein Haupt ruhig niederlegen kann. Wir standen einige Augenblicke an der Schwelle, blickten einander an, drückten uns gerührt die Hände und fielen uns bewegt in die Arme.

Amadée hatte wie eine gute Hausmutter für jene kleinen Bequemlichkeiten Sorge getragen, die nirgends schwerer als in diesem Land entbehrt werden, das doch die gröberen Bedürfnisse des Lebens wieder in so reichlichem Maß spendet. Er hatte an den Ecken der Veranda in der Eile einige Schlafräume anbringen lassen, in denen unsere Betten, mit Moskitovorhängen versehen, standen. Von der Abendbrottafel lachte uns ein frisches Weizenbrot entgegen, in dieser Gegend ein Luxus, den sich damals selbst die reichsten Pflanzer versagen mußten, und einige zarte junge Outards. Diese wohlschmeckenden Gänse, die größer sind als die gewöhnlichen und um den Hals einen schwarzen Ring tragen, hatte Jean geschossen. Dazu gab es Kaffee und Milch und später Ananaspunsch.

Der Abend wurde einer der fröhlichsten, die wir je verplauderten. Mehrere unserer Freunde, darunter Ducalle, der Kommandant und Bossompierre, hatten uns begleitet, um uns, wie sie sagten, in unserer neuen Residenz einzuführen. Wir blieben bis Mitternacht beisammen und schliefen dann. Seit Jahren hatten wir keine so ruhige Nacht gehabt.

Mit dem folgenden Morgen begann unser Pflanzerleben. Wir standen morgens um fünf Uhr auf, jäteten, hackten in den Welschkornfeldern oder dem Garten, was sonst kein Pflanzer tut, nahmen hierauf eine Tasse schwarzen Kaffees, arbeiteten wieder eine Stunde, frühstückten und ergingen uns gegen den Chetimachas zu, in den hier ein kleines Bayou einmündet, um unser Mittags- und Abendmahl zu schießen. Wild und Wassergeflügel war in solchem Überfluß vorhanden, daß wir nur vor die Tür zu gehen brauchten, um unsern Bedarf für die ganze Woche in kurzer Zeit zu erlegen.

Bei zunehmender Hitze zogen wir uns auf die Veranda zurück und schrieben, lasen oder musizierten. Lassalle und ich spielten die Violine, Hauterouge blies die Flöte. Der Mittag fand uns gewöhnlich bei gutem Appetit. Nachmittags wurde eine Partie Billard gespielt, das wir uns in den ersten Tagen zusammengestümpert hatten. Zuweilen kamen Gäste, Monsieur Bossompierre oder der Kommandant, ein fröhlicher Picarde. Doch war dies nicht häufig der Fall, die Pflanzung war zu entlegen. Zu unserm nächsten Nachbarn hatten wir eine volle Stunde.

So vergingen die ersten vierzehn Tage leidlich, die nächst darauffolgenden schon weniger so. Es fehlte uns so manches, auf das wir Verzicht zu leisten hatten. Das fiel uns allmählich härter, als wir es uns vorgestellt. Denn man entbehrt leichter im abenteuerlich bewegten Kriegerleben als in der stillen Zurückgezogenheit eines geregelten Haushaltes. Und wir mußten wirklich vieles entbehren.

In dem ganzen Kirchspiel waren bloß zwei Krämer, der nächste etwa sechs Stunden von uns. Die Buden beider enthielten kaum etwas anderes als Schnupf- und Rauchtabak, Pulver und Strohhüte, Messer und Gabeln und Wolldecken. Unser Keller war nur schlecht versehen, ein paar Flaschen Bordeaux und Madeira wurden für unvorhergesehene Fälle wie ein Schatz aufbewahrt. So begann uns unser Pflanzerleben allmählich unbequem zu werden. Wir trösteten uns zwar mit der Hoffnung auf die Zukunft und schwelgten in Träumen, aber es waren doch nur Träume, deren Verwirklichung im weiten Feld lag.

Das Land war ein Paradies, das alles im Überfluß und beinah ohne die mindeste Mühe gab. Es lag nur an uns, ein glückliches Dasein zu gründen. Aber bis dahin konnte eine geraume Zeit vergehen, die unsere Geduld auf eine harte Probe stellen mußte. Die Schwierigkeiten, die bei unserer Ansiedlung zu überwinden waren, häuften sich. Selbst mit unserer Schenkung hatte es eine eigene Bewandtnis. In dem Dokument war eine Strecke von 4000 Arpents Arpent – ein louisianisches Feldmaß: etwa 13675 Quadratkilometer zwischen dem Teche und Vermilion, westlich vom Chetimachas, für meine Familie vorbehalten, ohne daß die näheren Grenzen bestimmt gewesen wären. Es war mehr ein Vorbehalt, den der Abtretungskommissar unserer Regierung zugunsten seines Gönners, meines Großvaters, ausbedungen, als er nach dem Frieden von 1763 Louisiana an den spanischen Bevollmächtigten übergab.

Der Kommissar hatte von der Schönheit des Landes, der Milde des Klimas, der Fruchtbarkeit des Bodens Bericht erhalten, war aber selber nicht an Ort und Stelle gewesen. Es kam also darauf an, die 4000 Morgen gewissermaßen aus den verschiedenen später durch die Gouverneure bewilligten Schenkungen herauszuschneiden und soviel wie möglich Unannehmlichkeiten und Prozesse zu vermeiden. Die Sache war nicht leicht. Es gehörte dazu eine vollkommene Aufnahme des Geländes, eine genaue Kenntnis der verschiedenen von den Einwohnern des Kantons angesprochenen Ländereien. Das wurde um so schwieriger, als der Kommandant seinen Posten erst kurz vor unserer Ankunft angetreten, sein Vorgänger, Monsieur Descoulettes, gestorben und seinen erwachsenen Söhnen, um die Verwirrung vollkommen zu machen, den Haß aller Kreolen des Kirchspiels zum Erbteil hinterlassen hatte.

Während der fünfzig Jahre, die seit der Ansiedlung verflossen, hatten sich nämlich zahlreiche Herden sogenannter Maroon-Rinder in den Wäldern und Wiesen des Kantons gesammelt, die herrenlos und ungebrandet von den Einwohnern als gute Beute, vorzüglich ihrer Felle halber, gejagt und getötet wurden. Bei diesen Jagden hatte es sich nun häufig ereignet, daß auch gebrandete Rinder mit unterliefen. Darüber waren Klagen entstanden, die den letzten Kommandanten bewogen, Hausuntersuchungen vorzunehmen. Bei mehreren der reichsten Pflanzer waren bedeutende Vorräte von Rinderhäuten vorgefunden worden.

Die Gefängnisstrafe, die ihnen dafür zuerkannt worden, hatte bei diesen stolzen, einigermaßen verwilderten Herdenbesitzern einen tödlichen Haß gegen den Kommandanten und seine Familie zurückgelassen, der sich, wie es bei rohen leidenschaftlichen Gemütern häufig der Fall zu sein pflegt, auf alle jene erstreckte, die in irgendeiner Berührung mit den Descoulettes standen. So hatte sich der Kanton in zwei Parteien gespalten, die eine waren die alten Kreolen oder sogenannten Adeligen, die andere die Descoulettes, an die sich die Akadier angeschlossen. Und wir saßen in der Mitte, wenn nicht zwischen zwei Feuern, so doch zwischen zwei Stühlen.

Diese Spießbürgerfehde kam uns recht ungelegen, so lächerlich sie auch im Munde des jetzigen Kommandanten klang, der sich über beide Parteien lustig machte. Denn die Adeligen hatten ihre Köpfe mit dieser wichtigen Streitfrage dergestalt angefüllt, daß ihnen weder Zeit noch Lust blieb, auch nur einen Fuß für uns in Bewegung zu setzen. Einen der Descoulettes oder die Akadier anzusprechen, würde uns aber als nicht viel weniger denn offenbare Landesverräterei ausgelegt worden sein.

So waren wir denn auf uns selbst angewiesen. Wir versuchten, die Landschaft gegen den Vermilion hinüber auszukundschaften, um einen Lageplan zu entwerfen. Allein unser Eifer kühlte bald ab. Der Europäer, dessen Auge an abgegrenzte Fluren, Felder, Wiesen und Wälder gewöhnt ist, hat keine Vorstellung von der Verwirrung, die der Neuling beim Eintritt in diese endlos scheinenden Wiesen und Waldwildnisse ergreift. Es ist ihm, als ob er in die Fluten des Ozeans gestoßen mit den die Sinne betäubenden Wellen kämpfte. Wir hatten versucht, in westlicher Richtung gegen den Vermilion vorzudringen. Es ging, solange wir uns an die Wiesen hielten, obwohl wir häufig bis an den Gürtel im Sumpf versanken. Als wir aber in die furchtbaren Zypressenwälder kamen, bewohnt von Tausenden von Alligatoren, Tortue-Krokodilen und Reihern und Nachteulen, da verging uns die Lust. Nur hie und da lag ein vermoderter Baumstamm, auf dem man fußen konnte, und ein Fehltritt mußte uns für immer im schwarzen Schlamm begraben. Wir versuchten, auf der anderen Seite durch Liquidambar- und Immergrüneichenwälder einzudringen. Dornen von ungeheurer Länge und Dicke und Lianen rissen uns in der ersten Stunde unsere Kleider in Fetzen. Wir verwünschten das heillose Land und unsere Schenkung dazu und kehrten mißmutig in unsere vier Pfähle zurück.

Oh, wie seufzten wir nach unserm Frankreich! Nicht nach den göttlichen Abendgesellschaften bei der Ste. Genièvre oder Sophie Arnoult, nicht nach ihren feinen Witzen, ihren herrlichen Weinen, nein, nach einem kleinen, noch so kleinen Fleckchen. Meine Großmutter hatte noch im Jahre 1781 vom König zwei Generalleutnantsstellen und eine Kavalleriebrigade für ihre Familie erhalten, und ich, ihr Enkel?! Ich war oft halb verzweifelt.

Wir hatten uns die Sache so ganz anders vorgestellt, hatten geglaubt, uns mit unseren Mitteln ohne weiteres niederlassen, Häuser bauen und Felder bestellen zu können. Und nun hülsten wir Welschkorn aus, gruben, hackten, hielten Siesta, froh, mit saurer Milch unsern Durst löschen zu können. Mit all unseren Barschaften und Wechseln waren wir nicht imstande, uns ein Dutzend Flaschen Champagner zu verschaffen.

Wir mochten bersten vor Ungeduld. Wir glaubten keine Zeit verlieren zu dürfen, und die Wahrheit zu gestehen, hatten wir auch keine zu verlieren. Ich hatte mein dreißigstes Lebensjahr zurückgelegt, Lassalle und Hauterouge zählten einige Jahre weniger. Lassalle und ich hatten unsere Verlobten in Frankreich zurückgelassen, denen wir einen Herd, eine Hütte zu bauen vor Begierde brannten. Und da saßen wir nun und kamen nicht vor- noch rückwärts.

Zwar wäre es uns ein leichtes gewesen, uns in eine eingerichtete Pflanzung hineinzusetzen. Mehrere waren uns, ja ungestüm, zum Kauf angeboten worden. Man hatte es sogar sonderbar gefunden, daß wir nicht kauften, allein wir hatten unsere guten Gründe. Was wir von dem damaligen Pflanzerleben sahen, war nicht geeignet, es uns von einer liebenswürdigen Seite darzustellen.

Wir verstanden zudem nichts von dieser Wirtschaft und hatten eine unüberwindliche Abneigung gegen die Sklaverei. Auch war uns klar geworden, daß nur fortwährende leichte Beschäftigung in diesem Klima vor jenem Faulfieber schützen konnte, von dem wir die guten Leute in den Attacapas mehr oder weniger angesteckt fanden. Denn daß Weiße das Land bebauen könnten, ohne ihrer Gesundheit zu schaden, das sahen wir bei den Akadiern, die großenteils ihre Felder ohne Sklaven bearbeiteten und dabei gediehen.

So war unsere Lage in den Attacapas nach Verlauf der ersten fünf Wochen beschaffen. Das Klima hatte gleichfalls das seinige beigetragen, uns mit Anwandlungen jener salzig-galligen Laune zu überraschen, die uns an den Kreolen und besonders ihren Damen so unangenehm berührt hatte. Dazu die Milliarden Moskitos, die uns umsummten, wo wir gingen, standen, saßen, bei Tag, bei Nacht. Unsere Lage war wirklich zum Verzweifeln.


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