Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die neue Heimat

Von dem Augenblick an, wo wir uns zum Bleiben entschieden, war auch die rauhe Rinde von Nathans Charakter gewichen, und unser Verhältnis gestaltete sich freundlicher. Eine gewisse behagliche Ruhe trat an die Stelle des halbversteckten lauernden Mißtrauens, ein zwangloseres Sein und Seinlassen an die des eckigscharfen Anstoßens. Zwar war unser beiderseitiges Verhältnis noch weit von herzlicher Vertraulichkeit entfernt, aber es hatte wieder die schöne Seite, daß es eine dauernd freundliche Stimmung verbürgte und auf gegenseitige Achtung gegründet war.

Und in dieser Hinsicht muß ich gestehen, wenn mich als Europäer in meinen späteren Berührungen mit Amerikanern ihr Gleichmut und ihre Schroffheit oft mit einer unangenehmen Kälte durchfror, diese Erstarrung wieder sehr wohltätig durch den angeborenen Takt aufgetaut wurde, den der gemeinste Amerikaner in einem gewissen Grade besitzt, durch jene gleichmütige Ruhe, die gelassen den Fremdling sich aussprechen läßt und erst nach diesem Ausspruch entsprechend das Benehmen einrichtet.

Nachdem das Mittagessen vorüber, machte Nathan uns den Vorschlag, mit dem Major einen Ritt in die Niederlassung zu tun. Er wolle uns dazu Pferde und seinen Joshua geben. Er selber müsse bei der Auslese der Tabakblätter zugegen sein, von der der Kredit seines Hauses abhänge. Auch wäre es ihm lieb, wenn wir mit unseren eigenen Augen sähen und demgemäß unsere Meinung über die Niederlassung formten.

Gegen diesen Vorschlag hatten wir natürlich nicht das mindeste einzuwenden. Und so bestiegen wir denn die für uns eingefangenen Pferde. Es waren drei mexikanische Krausköpfe, die, kurz zuvor aus den Prärien von Texas eingebracht, unsere ganze Reitkunst in Anspruch nahmen. Der vierzehnjährige Joshua, Nathans jüngster Sohn, war unser Wegweiser.

Bisher waren unsere Gedanken auf ganz andere Dinge als auf die Niederlassung gerichtet gewesen. Jetzt warfen wir das erste Mal forschende Blicke umher, begierig mit eigenen Augen zu sehen, was denn diese Amerikaner so Großes geleistet hätten, um sich eine so unerschütterliche Selbstgefälligkeit beizulegen.

Die Niederlassung lief, wie ich bereits erwähnt, von Südost gegen Nordwest entlang dem Scheitel eines meilenlangen Kammes, der etwa siebzig Fuß von dem eine halbe Meile entfernten Sumpf heranschwoll und sich ebenso sanft wieder auf der nördlichen Seite zur Prärie herabdachte. Auf diesem Kamm oder Sattel waren die Pflanzungen der vorzüglichsten Gemeindeglieder gelegen, und eine schönere oder zweckmäßiger gewählte Anlage ließ sich kaum denken.

Auf der einen Seite hatten wir die noch nicht lange zuvor dem Urwald abgewonnenen Clearings – gelichtete Waldstrecken –, auf der andern die ungeheure Prärie mit ihrem klafterhohen Gras, in dem die Köpfe der weidenden Rinder und Pferde wie rollende Steinklumpen gegeneinander prallten. Im sanften Luftzug klangen die Schellentöne der Leitkühe an unsere Ohren. In weiter blauer Ferne durchschimmerten hier und da die Wälder den wundersam schillernden Nebeldunst. Das Ganze war in eine ahnungsvolle Stille begraben, nur selten unterbrochen durch den dumpfen Ton einer Seemuschel, die aus den Feldern die Arbeiter rief. Die Landschaft hatte etwas ungemein Anheimelndes.

Wir hatten geschaut, betrachtet, unsere Bemerkungen gemacht, dann unseren tanzenden Rennern die Zügel schießen lassen. So hatten wir Nathans Blockhaus allmählich aus dem Auge verloren, aber die Felder dehnten sich wohl eine halbe Meile weiter fort. Nathan und die Seinigen waren mit einem halben Dutzend Neger in einem Tabakfeld beschäftigt. Weiter trafen wir ein Feld mit Welschkorn, dessen Kolben – von den Hülsen entblößt, um schneller zu reifen – uns ob ihrer Größe in Erstaunen setzten.

Über ein drittes Feld war eine dichte Rauchwolke hingelagert, die nur an einzelnen Stellen die nackten, ihrer Blätter und Rinden beraubten, abgestorbenen Riesenstämme durchblicken ließ. Sieben Jahre getötet, standen sie noch immer da und streckten ihre mächtigen Arme wie jammernd in die Luft. An anderen Orten lagen sie zu Boden, und Haufen vertrockneter Baumwollstauden, die unter ihnen angezündet waren, wirbelten dichte Rauchwolken empor. Die herrlichen Bäume, die das berühmte und beste Schiffsbauholz der Welt liefern, wurden bloß wegen ihrer sehr gesuchten Asche verbrannt. In Frankreich würde ein einziger solcher Stamm, deren hier Dutzende verglommen, mit Tausenden von Livres bezahlt worden sein.

Wir waren etwa eine Meile in südöstlicher Richtung geritten, als ein Schindeldach, das sich bescheiden hinter einer Gruppe von Magnolien und Catalpas verbergen zu wollen schien, uns eine zweite größere Pflanzung ankündigte. Zu unserer Rechten hatten wir wieder Urwald. Die ungeheuren Stämme waren so mit Lianen und wilden Reben durchflochten, daß trotz der heißen Nachmittagssonne kein Strahl in diese nächtliche Dunkelheit zu dringen vermochte. Wir konnten uns beim Anblick dieses Urwaldes einen Begriff von der Arbeit bilden, die es gekostet haben mußte, diesen unwirtlichen Wald zu lichten.

Während dieser Betrachtungen kamen wir dem Blockhaus näher. Es war kleiner als das Nathans, gleichfalls aus Baumstämmen aufgezimmert und mit Schindeln gedeckt. Rauh und trotzig lag es unter den herrlichen, noch immer blühenden Magnolien und zwei Immergrüneichen. Für Hinterwäldler eine nicht üble Wohnung, die nicht das schmutzige Aussehen der Akadierhütten hatte, aber ebenso weit entfernt war von den schönen Landhäusern in den Attacapas mit ihren vorgeschobenen Dächern und den sie tragenden schlanken Säulen und mit den grünen Rolläden.

Wir ritten an dem Waldvorsprung vorbei und hatten jetzt ein Bild vor uns ... ein wunderschönes Bild! Es war ein Landschaftsgemälde, etwa tausend Schritte oder darüber lang und breit, sanft gegen den Sumpf hin abgedacht und dagegen geschützt durch einen Waldsaum, der stehen geblieben war. Zu unsern Füßen lag ein Feld von etwa vier Acres reifer Baumwolle, ein Schneefeld, denn die Kapseln waren aufgesprungen. Es schien in der Luft zu schweben und ruhte auf matt grünem Grunde. In Zwischenräumen von dreißig bis vierzig Fuß starrte immer ein Riesenstamm in die Luft. Das Ganze aber war durch den hohen Urwald, der in einem alle Begriffe übersteigenden üppigen Wuchs prangte, zu einem wunderlieblichen Landschaftsgemälde vereinigt.

Wir ritten weiter. An das Baumwollenfeld stieß ein kleineres, mit Tabak bebaut. Wir stiegen ab und gingen dem Hause zu. Es war verlassen von seinen Bewohnern. In dem Porch hingen Ackergeräte und Riemenzeug. Pflüge, Äxte und Hacken lagen und standen umher. Wir betraten die Stube. Mit rohen Tischen, Bänken und Stühlen eingerichtet bot sie gegenüber dem Reichtum der Felder einen seltsam ärmlichen Gegensatz. Ich konnte mich nicht enthalten zu fragen, wie dieser Mann bei seinem Reichtum so ärmlich wohnen könne.

Der Major erwiderte bedeutsam: »Der Amerikaner denkt zuerst an das Nötigste und dann erst an das Bequeme.«

Wir fanden es so. Ein längerer Blick in dieses Hauswesen gab uns über das Rätsel, das in Nathans Worten lag, Aufschluß. Hier sah man wirklich schaffige Arme und rege Hände, die das Land erblühen und sprossen und gedeihen machen mußten. Ein Kreole würde die erste Ernte dazu verwendet haben, sein Haus, seine Zimmer, sich selbst herauszuputzen und Eindruck zu machen durch einen Schein, dem er in der Wirklichkeit nie zu entsprechen imstande sein konnte.

Nicht so die Squatter. Alles war kunstlos, unzivilisiert, rauh – aber natürlich –, poetischrauh möchte ich sagen. Es waren die ersten Elemente einer werdenden Pflanzung, aber diese so zweckmäßig angebracht, die Rohstoffe so ganz dem Boden entsprossen, entnommen, ein klug gelassener, berechnender, Schritt für Schritt bemessener Sinn sprach sich überall aus. Man sah es deutlich, der Besitzer hatte bloß einen Gedanken im Kopf und verfolgte diesen Gedanken Schritt für Schritt mit unverwandtem Blick und mit jener Nüchternheit, die uns Franzosen so sehr abgeht.

Es war ein alter Lieblingsgedanke, uns in Louisiana einen Herd zu gründen. Schon in Europa, als unsere Angelegenheiten eine so verzweifelte Wendung zu nehmen begannen, war dieser Gedanke in uns aufgestiegen. Es war der Anker, an dem wir uns inmitten des Schiffbruches unserer Partei gehalten, das Lieblingsthema unserer Unterhaltungen, die leuchtende Hoffnungssonne, an die das Bestehen unserer künftigen Familien sich geknüpft.

Mit den Trümmern unseres Vermögens, so wenig zureichend sie waren, uns in Europa standesgemäß zu erhalten, konnten wir hier nicht nur leben, wir konnten auch unseren sehnlichsten Wunsch in Ausführung bringen, unseren Geliebten, mit denen wir nun seit Jahren verlobt waren, ein Obdach zu bereiten, das sie gegen alle Unbilden der europäischen sturmbewegten Welt zu schützen imstande war. War dieses Franzosen, Spaniern und Deutschen mit weit weniger Hilfsmitteln in diesem Land gelungen, so daß sie sich nun eines Wohlstandes erfreuten, der dem unserer reichsten Familien gleichkam, warum nicht auch uns? Wir waren noch jung, mit Kenntnissen ausgerüstet, tätig, unternehmend und fühlten von treuer Liebe angespornt eine Welt voll Kraft in uns!

Nichts fehlte uns als die Anleitung, ein Wegweiser, um sogleich zum Werk zu schreiten. Das Wie und auf welche Weise – das war die einzige Frage. Eine große Frage aber war es. Wir verstanden nichts von der Landwirtschaft, um die wir uns nicht weiter bekümmert hatten, als soweit es sich um unsere Pächter und Verwalter handelte oder vielmehr um die Renten, die sie uns einlieferten. Wir hätten wohl eine bedeutende Pflanzung kaufen und sie durch Aufseher verwalten lassen können. Aber selbst wenn wir hinlängliche Mittel dazu gehabt, so verstanden wir nichts von der Pflanzerwirtschaft, hätten uns ganz auf die Aufseher verlassen müssen.

Und unser Letztes auf diesen Wurf zu wagen, der uns schon im ersten Jahr auf immer ruinieren konnte, ja mußte, wäre wahre Raserei gewesen. Alles das war uns erst im Verkehr mit den Kreolen der Attacapas klar, unsere schönen Träume so wieder halb zu Seifenblasen geworden. Gleich jenen blaugewirkten Dunstsäumen, die uns aus der Ferne so magisch herüberleuchten, in der Nähe aber erstickende Sumpfluft werden, hatten sie uns angezogen, um uns mit einer fieberigen Rastlosigkeit anzustecken, die uns die letzten Wochen unseres Aufenthaltes in den Attacapas zur wahren Hölle gemacht. Unseres Bleibens war nirgends mehr gewesen, wie Fieberkranke hatten wir uns umhergetrieben, etwas suchend, das wir nicht zu finden, dem wir nicht einmal einen Namen zu geben wußten.

Erst bei Nathan war uns das, was wir wollten, deutlicher geworden. Wir hatten in ihm den Mann gefunden, der uns den Weg zeigen konnte. Allein selbst bei ihm sahen wir nichts von der Pflanzung, obwohl sie vorzüglich eingerichtet war, unsere Gedanken waren auf ganz andere Dinge gerichtet. Wir mußten erst seine Pflanzung verlassen, eine zweite sehen, um aufgerüttelt durch die neuen Eindrücke zum Bewußtsein dessen zu kommen, was wir eigentlich wollten.

Und dieses Bewußtsein hatten wir nun wirklich in dieser zweiten Pflanzung erlangt, hier gerade das Ding gefunden, das wir so lange vergeblich gesucht, den geradezu leitenden Wegweiser, der uns zum Führer dienen und zum gewünschten Ziel zu bringen vermochte. Eine Art ABC- oder Lesebüchlein, das uns Neulingen die schwere Kunst des getting along in the backwoods, des Fortkommens in den Hinterwäldern, ebenso stufenweise, systematisch beizubringen imstande war wie jene Büchlein den Kindern die Anfangsgründe des Lesens und Schreibens.

Es bedurfte hier nicht einmal der Fingerzeige des Majors, wir selbst fanden die Anfangsgründe, den Grundschulunterricht des Pflanzerlebens, das ABC in den neuen Clearings, den Waldbrüchen, den frisch geringelten Cottonwood- und Immergrüneichenbäumen, das Buchstabieren in den schon seit einigen Jahren abgestorbenen und angebauten Waldteilen, in der rauhen, kunstlosen Wohnung, den rohen, von den Hinterwäldlern selbst verfertigten Möbeln, den Pferde- und Kuhställen, den ersten, die wir in den Attacapas fanden.

Alles das sahen wir deutlich, sahen ebenso deutlich, daß wir bloß zu tun brauchten, was diese Squatters getan, um zu eben dem Ziel zu gelangen. Das Ergebnis ließ sich gar nicht bezweifeln. Und voll Begierde und Verlangen, den Weg unverzüglich einzuschlagen, untersuchten, prüften wir mit einer Eile, einer Hast, einer Ängstlichkeit, muß ich sagen – bei jedem Schritt kalkulierend, um mich Nathans Ausdruckes zu bedienen. Wir eilten aus der Stube in die Ställe, aus dem Gemüsegarten in die Neubrüche, die Felder. Wir glichen ganz Gelehrten, die den Schlüssel zu einer schwierigen Lesestelle eines klassischen Buches aus einem neu aufgefundenen Manuskript entdeckt haben und darüber Zeit und Ort, Essen und Trinken, Schlaf und alles vergessen.

Nur derjenige, der selbst die schwierige Aufgabe des ›getting along in the backwoods‹ zu lösen gehabt, wird sich einen Begriff von der beinah kindischen Hast machen können, mit der wir jeden neuen Gegenstand verschlangen. Für uns hatte nun die entstehende Pflanzung, die Blockhütte einen unaussprechlichen Reiz. Wir dachten mit Wonne an den nicht sehr entfernten Zeitpunkt, wo unsere Lieben im häuslich einfachen Gewand uns von der Schwelle entgegenkommen würden.

Der Major hatte uns als Ratgeber bei unseren Ausflügen in die Felder, die Ställe, überallhin begleitet. Er gab Aufschlüsse, sprach Tadel und Lob aus und erklärte uns die Verfahrensweise des Pflanzens. Er bemerkte, daß wir hier den großen Vorteil hätten, selbst Hand anzulegen und uns so in reger Tätigkeit zu erhalten, ohne daß dieses unserm Charakter als Offiziere in den Augen der Gemeinde zum Nachteil gereichen würde.

Wir erwiderten, daß eben dieses der größte Reiz für uns wäre und daß gerade dieser Umstand uns hier so anzöge. Wir seien des faulen Lebens in den Attacapas gänzlich überdrüssig, obwohl wir es nur eine kurze Zeit versucht hätten.

Er bemerkte ferner, wir müßten die Attacapas nicht nur, sondern auch manches, was wir uns da beigelegt, vergessen und zurücklassen. Nur unter dieser Bedingung könnten wir hoffen, hier zu bestehen.

Wir sahen ihn an, verstanden ihn aber nicht.

Aber dafür, tröstete er uns, würden wir mehrere sehr gebildete Familien hier in der Niederlassung antreffen, vorausgesetzt, wir brächten aus den Attacapas nichts mit, was uns die Häuser verschlösse.

Diese letzte Bemerkung erregte endlich unsere Aufmerksamkeit.

»Uns die Häuser verschlösse?« fragte ich.

»Sie werden das finden«, erwiderte der Major. »Der Amerikaner ist in diesem Punkt äußerst kitzlig. Ich wünschte ... doch da ist eine neue Niederlassung.«

Wir waren nämlich an der dritten Pflanzung angekommen. Dieselbe Tätigkeit, Regsamkeit, Einfachheit des Verfahrens. Uns kam jetzt das Ganze so leicht vor, wir träumten uns bereits in Lederwämsern.

In dieser Pflanzung trafen wir die Leute zu Hause und über ihrem Mittagsmahl. Sie gehörte Mister Dreadnought, der gerade mit den Seinigen über einer gewaltigen Schüssel Maisbrei saß, die von einer zweiten mit Schinken flankiert war. Als eine Art Nachtisch wurde ein mächtiger Korb gesottenen, halbreifen Welschkornes in Kolben aufgetragen. Mit Butter und Salz genossen, wurden sie uns später gleichfalls zur Lieblingsspeise. Als Getränk hatten die Leute Milch in blechernen Bechern vor sich.

Der Empfang jedoch, der uns hier zuteil wurde, stimmte unsere schwärmerischen Erwartungen wieder stark herab. Wären wir damals gefragt worden, was uns an den Amerikanern am meisten auffalle, die Antwort wäre gewesen: eine zurückhaltende Kälte gegen Fremde, ein abstoßend finsterer Widerwillen, eine Gleichgültigkeit, die völlige Gemütsöde, wenn nicht Bosheit, verrieten. Dieses Urteil wäre ohne Zweifel ungerecht gewesen. Denn der Amerikaner westlich des Alleghany-Gebirges ist im ganzen genommen weit herzlicher als der des Ostens, ja er steht gewiß keinem an Warmherzigkeit und menschenfreundlichem Entgegenkommen nach. Aber gewöhnt an das fröhliche Willkommen unserer Landsleute, den freudigen Händedruck der ungestümen Kreolen, mußte uns der Gegensatz notwendig unangenehm auffallen.

Weder Dreadnought noch einer der Seinigen regten oder bewegten sich bei unserm Eintritt. Kaum daß sie uns einen Blick zuwarfen, fuhren sie dann wieder fort, den Löffel einer allgemeinen Schüssel zuzulenken. Selbst der weibliche Teil der Tischgesellschaft, sonst so geneigt, wohlgebildeten Fremden einen Blick der Überraschung zu schenken, wandte sich kalt und, wie es schien, mit Widerwillen von uns.

Obwohl daran gewöhnt uns selbst zu beherrschen, war es uns doch nicht möglich, dem Beispiel des Majors zu folgen, der einen Sessel nahm und die Unterhaltung eröffnete. Wir blieben stehen, ohne daß uns einer auch nur eines Wortes gewürdigt hätte. Wohl fünfzehn Minuten dauerte diese Sitzung, bis wir endlich, nicht mehr imstande es auszuhalten, ohne ein Wort zu sagen, weggingen. Der Major blieb.

»Was für furchtbar rauhe, rohe, unzugängliche Menschen!« konnte ich mich nicht enthalten auszurufen, als der Major sich endlich wieder uns angeschlossen hatte.

»Sie mögen recht haben«, versetzte er. »Aber diese rauhe Unzugänglichkeit hat ihre Ursachen, ihre guten Ursachen. Ein sehr strenges sittliches Gefühl liegt ihr zugrunde.«

Wir sahen den Major an. Sein Ton war so trocken wie seine Zunge. Er schien uns seit dem Eintritt in das Haus um einige Grade kälter geworden zu sein.

»Major! Sie bringen diese rauhe Unzugänglichkeit dieser Hinterwäldler auf eine Weise mit ihrem sittlichen Gefühl in Verbindung, die für uns – die Wahrheit zu gestehen – einen eben nicht sehr schmeichelhaften Hintergedanken zu enthalten scheint.«

»Möglich!« erwiderte der Major, der wie viele Amerikaner etwas vom lehrhaft Bündigen der Puritaner an sich hatte. »Möglich! Aber ich sehe kein Unrecht darin, daß Leute, die für die Sittenreinheit ihrer Gemeinschaft besorgt sind, Fremden, deren Grundsätze mit den ihrigen nicht übereinstimmen, nicht mit offenen Armen entgegenkommen.«

Bei diesen Worten sah uns der Major starr an. Wir zogen die Zügel unserer Pferde an und brachten so die Tiere zum Stehen.

»Welche Grundsätze meinen Sie?« fragten wir.

»Die Grundsätze, auf denen jede bürgerliche Gemeinde beruht, sie mag groß oder klein sein, Heiligkeit des Eigentums, der Ehe!«

»Aber ich hoffe, Sie und Ihre Hinterwäldler halten uns doch für keine Balots oder Vidals?« fragte Lassalle heftig.

»Ich halte Sie für Gentlemen, Messieurs!« bedeutete der Major dem Baron. »Für Gentlemen, als die ich ohne Ausnahme die französischen Stabsoffiziere, mit denen ich die Ehre zu verkehren hatte, kennengelernt habe!«

»Aber obwohl Sie uns für Gentlemen halten, meinen Sie auch, daß unsere Grundsätze der Sittenreinheit der Gemeinde eben nicht förderlich werden dürften?«

»Von meiner Meinung ist eigentlich nicht die Rede, da ich bei der Sache nicht beteiligt bin.«

»Aber wenn Sie beteiligt wären?« fragte ich dringlicher, denn ich wollte den Mann auf alle Fälle zu einer runden Erklärung bringen.

»Wenn ich beteiligt wäre, so würde ich es für Pflicht halten, die Gefahren abzuwenden, die ein Skandal notwendig für die Gemeinde nach sich ziehen müßte.«

»So glauben Sie, unsere Anwesenheit müßte einen Skandal für die Gemeinde nach sich ziehen?« fuhr Lassalle heraus. »Mein Herr, Sie werden beleidigend! Wenn Sie ein Gentleman sind, so werden Sie wissen, daß sich französische Stabsoffiziere nicht ungestraft beleidigen lassen.«

Der Major blieb ganz ruhig.

»Verstehen Sie mich recht!« versetzte er kalt. »Ich sage nicht, daß Ihre Anwesenheit einen Skandal für die Gemeinde nach sich ziehen müßte, sondern daß ich es für Pflicht halten würde, die Gefahren, die ein Skandal notwendig mit sich bringen müßte, von der Gemeinde, deren Mitglied ich bin, abzuwenden. Eine bürgerliche Gesellschaft wie die unsrige, die sich selbst regiert und in der alle Glieder gleiche Rechte haben, muß vorzüglich darüber wachen, daß jene Grundsätze, auf denen ihre Sittlichkeit beruht und die sie in Ehren zu halten alle Ursache hat, nicht auf eine grobe Art verletzt werden.«

»Aber bei allen Teufeln! Was reden Sie hier von grober Verletzung von Grundsätzen? Wieso haben wir Ihre Grundsätze verletzt? Wir, die wir Sie und Ihre Gemeinde heute zum ersten Mal gesehen?«

»Ob Sie diese Grundsätze verletzt haben, davon ist hier nicht die Rede. Würde die Gemeinde auch ganz und gar nicht berühren. Aber es ist von größter Bedeutung für sie, daß sie vor der Gefahr der Ansteckung bewahrt werde, der sie die Verletzung dieser Grundsätze notwendig aussetzen müßte. Was mich betrifft, so kann ich nur soviel sagen: ich finde die Scheu und Zurückhaltung Mister Dreadnoughts und der Seinigen, über die Sie sich so sehr beklagen, unter Amerikanern ganz in der Ordnung. Sie dürften diese Zurückhaltung nicht nur auch in den übrigen Häusern der Niederlassung, sondern Sie dürften bei einem zweiten Besuch auch die Türen der Häuser geschlossen finden. Selbst Nathan ...«

»Was ist mit Nathan?« riefen wir empört.

»... hat mich ersucht, über diesen heiklen Punkt mit Ihnen zu sprechen, und im Fall Sie nicht abständen, Ihnen zu eröffnen, daß er sich Ihre Besuche ein für allemal verbitte. Er kam deshalb nicht mit.«

Wir standen sprachlos vor Verlegenheit, Scham und Zorn.

»Ich habe mich nur ungern mit einem Auftrag befaßt, der an sich so heikler Natur ist. Aber als ehemaliger Waffenbruder so vieler Ihrer wackren Landsleute und überzeugt, auf diesem Wege Ihnen sowohl als den Leuten hier nützlich sein und Unannehmlichkeiten ersparen zu können, die für Sie – glauben Sie mir – sehr schlimme Folgen haben dürften, habe ich mich dazu entschlossen.«

»Sacré!« entfuhr es Lassalle, der vor Wut schäumte.

»Bei allen Teufeln!« schrie ich.

Der Mann hatte ein so kühles, schwer grobes Fell und gab uns seine Frechheiten so scheffelweise mit einem so unerschütterlichen Gleichmut, daß wir alle weiteren Rücksichten vergaßen und nun wirklich in Harnisch gerieten.

»Was meinen Sie? – Was wollen Sie? Sie scheinen es darauf angelegt zu haben, uns herauszufordern! Doch, wollen die Sache kurz machen! Wollen Amadée um unsere Pistolen senden!«

»Zuerst will ich mich des übernommenen Auftrages entledigen, und dann das Weitere!« sprach Gale ruhig weiter.

»Keine Beleidigung mehr, wir haben deren genug gehört!« schrie Lassalle heftig.

»Hören Sie! Nathan läßt Ihnen sagen, daß Sie ihm und den Seinigen ganz liebe Nachbarn sein sollen – immer vorausgesetzt, Sie bringen die Farbigen nicht mit, die Sie sich beigelegt, wie er von dem jungen Martin gehört.«

»Wir bringen die Farbigen nicht mit, die wir uns beigelegt?« fragte ich erstaunt. »Welche Farbigen?«

»Die Farbigen, mit denen Sie in den Attacapas ein zartes Verhältnis haben und für die Sie, wie es verlautet, das Land hier ersteigert haben, um ihnen hier ein Liebesnest einzurichten.«

Lassalle brach in ein lautes Gelächter aus. Nicht so ich. Denn die Angelegenheit war wirklich sehr verdrießlich, das hatten wir bereits in den Attacapas erfahren. Um vieles kühler versetzte ich:

»Obwohl die Art und Weise, wie Sie diesen Gegenstand zur Sprache gebracht haben, für uns nicht eben schmeichelhaft, ja sogar beleidigend ist, so glauben wir doch, uns über diese Bedenklichkeiten hinwegsetzen und Ihnen erklären zu müssen, daß das Ganze nichts als eine elende Klatscherei ist. Wir hatten so wenig im Sinn, eine Farbige hierher zu bringen, wie wir überhaupt je mit einer ein Verhältnis hatten.«

Der Major sah mich zweifelnd an.

»Klatscherei, was in den ganzen Attacapas als Tischgespräch rundgeht? Weiß nicht! Aber sei es oder sei es nicht! Was Sie dort unten getan haben, geht die Gemeinde hier nichts an, vorausgesetzt, Sie bringen den Gegenstand des Anstoßes nicht hierher.«

»Hier ist nicht von der Gemeinde, hier ist von unserem Wort, von unserem Ehrenwort die Rede!« fiel Lassalle hitzig ein. »Wem glauben Sie mehr? Zwei Stabsoffizieren, Kavalieren aus altem Hause, oder ein paar rohen Akadiern? Wohl, wir sagen Ihnen auf unser Ehrenwort, daß wir diese Allains, diese Farbigen, nicht weiter kennen, als daß wir sie zufällig ein einziges Mal gesehen haben! Daß wir sie selbst dieses einzige Mal nicht gesehen hätten, wäre der Sturm nicht über unseren Köpfen hereingebrochen, wären wir nicht damals verirrt gewesen, als wir unsere Milchkuh suchten!«

»Und das wäre wirklich so?«

»So war es! Wir sahen die Chartreuse einmal und kein zweites Mal mehr!«

»Und die täglichen Besuche, Tanzpartien?«

»Hat das Gerücht hinzugefügt! Die Mädchen führten damals einen Tanz auf, aber wir beteiligten uns nicht dabei. Verstehen Sie mich aber wohl! Diese Erklärung geben wir Ihnen nicht, um uns zu rechtfertigen oder zu verantworten! Wir erkennen weder in Ihnen noch in den Hinterwäldlern Richter, die befugt wären, von unserm Betragen Rechenschaft zu fordern. Aber wir geben sie Ihnen, weil wir es uns selbst schuldig zu sein glauben, alberne Gerüchte zu widerlegen, ein so undankbares Geschäft sonst dieses auch ist, und so wenig die rohen, ungebildeten Menschen es verdienen.«

»Ob diese Leute so roh und ungebildet sind, wie Sie meinen, ob sie diese Rücksicht verdienen oder nicht, das werden Sie nach und nach sehen. Ich kann also Ihr Ehrenwort darauf nehmen, daß an der ganzen Sache nichts ist?«

»Wir haben es einmal gesagt! Das ist, glauben wir, hinreichend!«

»So warten Sie hier! Ich muß noch einige Worte mit Dreadnought sprechen!«

»Wenn Sie den Mann über diesen Punkt berichtigen wollen, so ist das überflüssig. Denn wir denken nicht mehr daran, uns hier niederzulassen, und es ist uns gleichgültig, was dieser rohe, anmaßende Bauer von uns hält.«

»Warten Sie noch einen Augenblick!«

Der Major sprengte nach dem Hause zurück, von dem wir uns erst einige hundert Schritte entfernt hatten. Nach einer Weile kam er, den Zügel seines Pferdes in der Hand, mit Dreadnought an uns herangeschritten.

»Höre, seid auf dem Weg, einen Blick auf die Niederlassung zu tun!« rief uns der Hinterwäldler zu. »Will euch nicht aufhalten, nur sagen, daß ihr mir ein Vergnügen erweisen würdet, wolltet ihr bei eurer Rückkehr bei mir vorsprechen.«

»Das können wir nicht wohl versprechen«, versetzte ich. »Haben an einem Besuch genug. Und dann, was würde Ihre Familie dazu sagen? Sie schien unsern ersten Besuch nicht ganz angenehm zu finden. Was soll erst ein zweiter?«

»Ei, wir hielten euch eben für nicht besser als viele eurer Landsleute, die nichts mit herüber brachten als ihre Liederlichkeit. Und solche Leute sieht man lieber vor der Tür als innerhalb. Höre jedoch, seid wackere Leute. Sollt willkommen sein! Erwarten euch zum Abendessen!«

Mit diesen Worten schüttelte er uns die Hand und ging wieder zurück.

»Was sagen Sie nun?« fragte der Major, indem er sein Pferd bestieg.

»Daß wir noch keinen Grund haben, unser Wort zurückzunehmen. Dieses rauh anmaßende klatschsüchtige Wesen gefällt uns nicht und hat uns so ziemlich die Lust benommen, unser Heil in dieser Nachbarschaft zu versuchen.«

»Wenn Sie das abschreckt, was einen Amerikaner gerade anziehen würde, dann freilich läßt sich nichts sagen. Ich kann wohl begreifen, daß Sie als französische Kavaliere und Offiziere in diesen Punkten freier denken. Aber das ist eine böse Freiheit der Gesinnung, die zum Glück bei uns noch nicht Eingang gefunden hat. Falls Sie in guter Nachbarschaft leben wollen, müssen Sie sich der öffentlichen Meinung bequemen.«

»Nicht diesem puritanisch sittenrichterlichen Wesen, dieser übelwollenden Klatschsucht! Schade, daß Nathan ... in dem wir einen ganz anderen Mann gesucht hätten ...«

»Sie irren sich!« fiel mir der Major ins Wort. »Kein Amerikaner würde da zurückhalten, ohne sich gegen die Gemeinde, deren Glied er ist, gröblich zu vergehen. Sie müssen bedenken, daß wir von keiner starken Hand regiert werden, von keiner Polizei, keiner Armee von Zivil- und Militärbeamten, keinem König, der durch eine ›lettre de cachet‹ den Skandal in eine Bastille vergraben kann. Darum müssen wir, die wir gewissermaßen von Prinzipien regiert werden, den Hochverrat gegen diese ebenso streng bestrafen, wie bei Ihnen der Hochverrat gegen Ihre sogenannten unverletzbaren Herrscher bestraft wird. Wehe uns, wenn diese letzten und einzigen Schranken bei uns niedergerissen werden! Wir müßten in eine Anarchie, ja, in eine Zügellosigkeit verfallen, größer als selbst die, deren Ihre Sansculotten beschuldigt waren, und unheilbarer.«

»Das mag alles sein! Aber ein solches Schildwachestehen vor seines Nachbarn Tür ist ebenso jeder Schicklichkeit wie Sitte entgegen und muß sowohl den Charakter verderben wie jedes aufrichtig offene Verhältnis zwischen Nachbarn unmöglich machen.«

»Sie werden das Gegenteil erfahren. Zeigen Sie sich Ihren Nachbarn als ein Mann von Grundsätzen, und man wird Ihnen mehr durch die Finger sehen als in irgendeinem andern Lande. Ich versichere Ihnen, keiner führt ein glücklicheres Leben als der amerikanische Gentleman, der mit seinen Nachbarn in Eintracht lebt und Herr und Meister auf seiner Scholle und in seinem Hause ist. Er ist der einzig freie Mann auf Erden.«

»Wir beneiden diesen freien Mann nicht, sind aber nicht gesonnen zu erlauben, daß man sich mit uns solche Freiheiten nimmt.«

»Wie Sie wollen!« versetzte der Major. »Wer zu uns kommt in der Erwartung, seinen Leidenschaften frönen zu können, wird sich sehr getäuscht finden.«

Hier brach die Unterhaltung ab. Das ewige Hin- und Herreden gefiel uns so wenig wie der Ton des Majors und die unverschämte Ächtung, die die Gemeinde über uns ausgesprochen. Unser Stolz war abermals an einem empfindlichen Fleck verwundet. Der Gedanke, diese sittenrichterlichen rauhen Gesellen zu Nachbarn zu haben, war uns so widerwärtig geworden, wären unsere Freunde näher gewesen, wir hätten dem Hinterwäldlerleben für immer Lebewohl gesagt.

Verstimmt ritten wir weiter, eigentlich nur, weil wir allein nicht umkehren und eben nichts besseres tun konnten.

So kamen wir an einer sogenannten Gabel an, von deren beiden Zacken die eine in nord-, die andere in südöstlicher Richtung verlief. Wir schlugen die letzte ein und gelangten nach einem kurzen Ritt durch Immergrüneichen-, Magnolien- und Bohnenbäume-Urwald auf einen Knitteldamm. Dort begann ein sumpfiger Zypressenwald und wir mußten absteigen.

»Wo wollen wir hin?« fragten wir.

»Wir sind an Ort und Stelle«, antwortete der Major.

Er stieg von seinem Pferde, öffnet bedächtig die eine Klappe an den Pistolenhalftern, dann die andere und zog zu unserer Verwunderung ein paar Reiterpistolen heraus. Wir sahen einander an. Was wollte der alte Revolutionär? Warum hatte er die Waffen mitgenommen? Hier den Kampf auszufechten?

Der Ort war nicht ungeeignet dazu. Der ganze Wald glich mehr einer Todesgruft als sonst irgend etwas. Schauerlich erhoben sich rings umher die düsteren Zypressen, jedem Sonnenstrahl undurchdringlich. Nur da, wo der Knitteldamm sich wie eine lange Straße hinzog, fielen durch die Lücke die gebrochenen Strahlen ein und gingen mit der nächtlichen Dunkelheit kämpfend ins düstere Helldunkel über. Bloß das schrille Geschrei einzelner Spechte und das höhnische Gelächter der Nachteulen ließ sich hören. Wir hielten gespannt in Erwartung der Dinge, die da kommen sollten.

»Halten Sie Ihre Pferde sorgfältig am Mundstück und bleiben Sie hinter mir!« mahnte der Major und setzte sich in Bewegung.

»Aber wohin wollen Sie? Wozu brachten Sie uns hierher?«

»Sehen Sie sich diesen Knitteldamm an, aber recht aufmerksam!«

Wir sahen also den Knitteldamm an. Wie gesagt, begann er da, wo der Immergrüneichenwald sich dem Sumpf zusenkte. Der Damm war rauh, aber mit vieler Sorgfalt etwa zwanzig Fuß breit gelegt, Knittel an Knittel. Allmählich wurden die Knittel zu Baumstämmen, zu dickeren, zu den dicksten Zypressenstämmen, die wohl fünf, ja bis sieben Fuß im Durchmesser hielten. Als wir tiefer in den Sumpf eindrangen, fanden wir diese Stämme zweifach, endlich dreifach übereinandergelegt und die ungeheuren Tröge, die durch die Krümmungen der Zypressen verursacht waren, durch dünnere Stämme ausgefüllt. Es war, wie wir nun sahen, eine Straße, die durch den Zypressensumpf führte. Wir sahen sie im Lichtsaum, der von oben herab einfiel, sich durch den Sumpf fortschlängeln. Auf beiden Seiten zahllose Zypressenstumpen, die drei bis vier Fuß aus dem Schlamm emporragten wie Grabsteine.

Der Major hatte kein Wort gesprochen. Seine Augen vorwärts gerichtet, schritt er bedächtig fort. Auf einmal hob er eine Hand mit der Pistole, zielte und schoß im nächsten Augenblick. Ein furchtbarer Aufruhr in dem schauerlichen Sumpf! Nachteulen, Spechte, Alligatoren brachen in ein heulendes, lange nachhallendes Geächze, Geschnatter, Gebrüll aus. Der Schall rollte gleich dem entfernten Donner durch die düstere Waldung.

»Ein Alligator, der uns den Weg versperrte!« wandte sich der Major zu uns um. »Das Gezücht macht sich aus seinem Schlammbett heraus, und da unsere Pferde keine Schellen haben, die sie in der Regel verscheuchen, so ist einige Vorsicht vonnöten. Wir können nun wieder vorwärts. Hat seinen Teil ins linke Auge bekommen.«

Wir schauten, sahen aber nichts. Erst etwa dreißig Schritte weiter fanden wir den im Todeskampf sich wälzenden Alligator. Er hatte das tödliche Blei richtig ins linke Auge erhalten.

»Aber wozu bringen Sie uns in diesen Sumpf, Major?«

»Um Ihnen von den eingebildeten rohen Bauern eine richtige Vorstellung zu geben. Sehen Sie, dieser Knittel- und Zypressendamm führt eine halbe Meile durch den Sumpf. An einigen Stellen sind die Stämme doppelt, ja dreifach übereinandergelegt.«

»Wir sehen! Und weiter?«

»Weiter führt die Straße nach einer kleinen Ansiedlung, die jenseits des Sumpfes liegt und aus etwa zwanzig Familien besteht.«

»So? Und was haben wir mit all dem zu schaffen?«

»Bis jetzt noch nichts. Von dieser Ansiedlung führt die Straße durch einen Eichenwald, ein Palmettofeld, einen zweiten Sumpf, der aber nicht so breit und tief wie dieser nur die Hälfte des Jahres unter Wasser steht. Von da geht sie durch einen Kiefernwald und einen dritten Sumpf dem Red River zu.«

»So haben diese Hinterwäldler also eine Straße nach dem Red River angelegt? Und das hätten sie allein getan, ohne von der Regierung unterstützt zu sein?« Wir schüttelten ungläubig die Köpfe.

»Zweifle, ob die Regierung überhaupt davon weiß. Das Werk war ungeheuerlich, was sowohl den Plan wie die Ausführung betrifft. Ich wollte es Ihnen nur zeigen, um Ihnen eine Vorstellung von den Leuten zu geben.«

»Wirklich für eine so kleine Niederlassung eine bewundernswerte Leistung!«

»Gewiß! Aber die Leistung ist nicht größer als das Ergebnis, das die Gemeinde dadurch gewann. Der Amerikaner unternimmt keine Arbeit, es sei denn, sie lohne sich. Hier ist das Ergebnis lohnend. Die Niederlassung hat durch diese Straße eine Verbindung mit den Staaten oben, mit New Orleans unten gewonnen, sie kann ihre Erzeugnisse stündlich, täglich, wöchentlich absetzen. Das ist mehr, als irgendeine Niederlassung in Louisiana, die nicht am Mississippi liegt, von sich sagen kann.« Wir schwiegen, mußten ihm aber recht geben.

»Sehen Sie, haben die Leute in den Attacapas noch so viele Rinder, Pferde, Kühe, so sind sie bei all ihrem Reichtum doch bettelarm. Das Fleisch verfault ihnen, ihre schönsten Erzeugnisse verderben und sie selber mit, weil sie zu träge sind, sich eine Verbindung zu öffnen und sich auf die beschränken, die ihnen die La Fourche- und Plaquemine-Bayous vier Monate das Jahr hindurch gewähren. Diese Leute hier verstehen ihre Sache besser. Als sie eine hinlängliche Anzahl Arme hatten, war das erste, was sie taten, diese Straße anzulegen.«

»Diese Leute berechnen wirklich auf eine Weise, die wir uns nicht hätten träumen lassen.«

»Wenn Sie nur noch vierundzwanzig Stunden blieben, so stehe ich Ihnen dafür, Sie halten sie nicht mehr für roh und ungebildet«, sprach der Major bedeutsam. »Noch deuten Sie es ihnen übel, wenn sie sich den Fremdling zuvor ansehen, ehe sie ihn zum Mitgenuß von Vorteilen zulassen, die sie mit Aufopferung so vieler Kräfte, ja mancher Leben errungen haben. Denn, merken Sie wohl, obgleich sie meistens arbeiteten, wenn der Sumpf ganz oder doch großenteils ausgetrocknet war, so kostete diese Arbeit doch mehrere wertvolle Menschenleben.«

Wir schwiegen.

»Hoffe jetzt«, sprach der Major artig, »Sie nehmen das Wort beleidigend zurück, das Sie vorhin anzuwenden beliebten.«

»Vergebung, Major!« erwiderte ich. »Sie wissen, wo zwei so verschiedenartige Elemente wie Franzosen und Amerikaner in Berührung kommen, geht es ohne eine kleine Reibung nicht ab. Wir sind vollkommen von der Größe dieses Werkes durchdrungen und können den Leuten wirklich unsere Bewunderung nicht versagen.«

Der Mann schien damit zufrieden, und so war das gute Einvernehmen wieder hergestellt. Übrigens konnten wir den Leuten wirklich unsere Bewunderung nicht versagen. Das Unternehmen war in der Tat eines, dessen sich selbst die Regierung von Louisiana nicht hätte zu schämen brauchen, ja, keine Regierung. Und dieses Unternehmen war von hundertundzwanzig Familien ausgeführt! Welch praktischen Sinn, welch berechnenden Sinn verriet nicht dieses Unternehmen!

Wie schroff stachen dagegen unsere Landsleute und ihre Abkömmlinge, die Kreolen, ab! Mit ihren ewigen Bällen und kindischen Vergnügungen, ihrem Faulleben, in dem sie nun an die fünfzig Jahre vegetierten, ohne je an Besserung ihrer Lage gedacht zu haben. Wären Franzosen hier gewesen, so wäre ein Tanzsaal, ein Liebhabertheater ohne Zweifel das erste gewesen, was ihre vereinte Tatkraft geschaffen hätte.

Wir konnten uns nicht enthalten, unseren Empfindungen Worte zu leihen. Ein gewisses, unbehaglich neidisch peinliches Gefühl bemeisterte sich unser.

»Oh«, versetzte der Major, »auch in der französischen Natur gibt es den wahren Stoff, der Großes bereiten kann, wenn er will. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Kanadier es waren, die in Louisiana zuerst ihren Herd aufschlugen. Hätte die Regierung ihnen gelegentlich mit ein paar Schiffsladungen Ackergeräte, Vieh, Waffen und derlei Dinge unter die Arme gegriffen, sie wären vielleicht ebenso weit gekommen wie die englischen Kolonisten im Norden. Sind tüchtiger Stoff, diese Kanadier, auf alle Weise. Aber ihre Regierung wollte alles regieren, ihre Hände überall im Spiel haben, und das ist ein großer Fehler, und nirgends mehr als bei der Gründung von Kolonien. Ihre Regierung leitete von Versailles aus Unternehmungen, von denen sie nicht viel mehr wußte als wir vom Mond. Sandte Kolonisten, die nichts taugten, und einen Schwarm von Beamten, die gut bezahlt wurden und nur darauf bedacht waren, ihre Gehälter gemächlich zu verzehren, Theater, Tanz- und Spielhäuser bauen ließen, kurz Louisiana auf einmal zivilisieren wollten. Das ist der Fluch von Louisiana: sie brachten eine verkommene Zivilisation in ihrem Gefolge mit, die gleich einem Wurm im Innern der Frucht nagt und – befürchte ich – die schöne Frucht früher oder später faul machen wird. Doch ... wollen zurück! Der Abend rückt heran, und Mistreß Streng würde mir keinen Dank wissen, brächte ich Sie ihr mit Fieber behaftet ins Haus zurück.«

Wir kehrten also um. Unsere Verstimmung gegen die Hinterwäldler war zum Teil gewichen. Wir konnten nicht umhin, ihnen alle die Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die ihr sachlicher Sinn so sehr verdiente. Immer jedoch war noch ein gewisser Widerwille gegen das, was wir nach unseren Begriffen für Anmaßung hielten, in uns zurückgeblieben. Unser Entschluß uns hier niederzulassen, der einige Stunden vorher zur Reife gediehen, war wieder wankend geworden.

Unter diesen widersprechenden Empfindungen kamen wir vor Dreadnoughts Blockhaus an. Er selbst empfing uns an der Tür, nahm uns die Pferde ab und führte sie in den Stall. Dann stellte er uns seine Familie vor. Unser Empfang war nun ein ganz anderer. Mutter, Töchter und Söhne schüttelten uns warm die Hände und wünschten uns herzlich willkommen.

Darauf gingen sie wieder an ihre Geschäfte, die Söhne an das Aufräumen des Hofes und der Vorhalle, die Frauen an das der Stube und das Zurechtmachen des Abendtisches. Bloß der Herr des Hauses machte eine Ausnahme und blieb bei uns, die wir in dem Porch Platz genommen hatten.

Und wie wir so saßen und dem häuslichen Walten der Familie zusahen, sprach uns allmählich dieses stille, häusliche Schalten der Familie auch an. Die amerikanischen Frauen haben in diesem Punkt wieder einen eigenen Takt. Alles geht so still, so ruhig vor sich, arbeitet sich so gemächlich, geräuschlos in die Hände. Man hört selten eine schreiende, laute Stimme, so ungemein selten etwas, das einem Gezänk auch nur im entferntesten gleicht. So anständig gelassen und doch wieder ungemein lebendig bringen sie ihr Haus in Ordnung, erhalten es.

Es war Sonnabend, den die Hinterwäldler bereits als Anfang des Sonntags feierten. Die Mädchen hatten sich bereits halb sonntäglich angezogen. Gefällige Kleider von Woll- und Leinenstoffen standen ihnen vortrefflich zu ihren schlanken Gestalten. Die etwas derben Hände und Füße abgerechnet, konnten sie für sehr hübsch gelten.

Die Tafel wurde auf dem Porch zugerichtet. Wir hatten von dort die Aussicht auf die im blauen Dunst verschwimmende Prärie, deren äußerste Ränder, mit Waldstücken eingefaßt, einen herrlichen Fernblick darboten. Die in den Strahlen der untergehenden Sonne verglühenden Waldmassen leuchteten vor unseren Augen auf, verschmolzen in die herrlichsten Tinten. Ein unbeschreiblich behagliches Gefühl kam über uns, als wir nun in diesem Familienschoß saßen, inmitten ihrer selbstgeschaffenen Herrlichkeit und der Gottesnatur.

Vor uns wurden mehrere Flaschen feinen Sherrys aufgestellt, der unsere Zungen bald beredter, die Unterhaltung lebhafter machte. Von der Straße, die wir gesehen, ging sie auf die Hinterwäldlerwirtschaft, die Schwierigkeiten und Arbeiten einer Hinterwäldleransiedlung über. Dreadnought tröstete uns. Der Anfang sei nirgends leichter als in einer Niederlassung, die unlängst angefangen sei. Jeder neue Ankömmling habe sich da des tätigen Beistandes seiner neuen Nachbarn zu erfreuen. Die größten Schwierigkeiten hätten die eigentlichen Gründer der Niederlassung gehabt, Mister Strong und die Seinigen, sie hätten das Werk in Gang gesetzt und für alle anderen gearbeitet. Nathan Strong sei die Hauptsache zu danken.

Diese Unterhaltung, die uns natürlich damals besonders fesselte, spann sich in die Länge. Die Töchter und Söhne hatten sich schon seit geraumer Zeit vom Tisch erhoben. Die Sonne war untergegangen, und wir saßen im Silberschein des aufgehenden Vollmondes in der köstlichen Abendkühle, als auf einmal Töne an unsere Ohren schlugen, Töne so himmlisch, daß wir auffuhren, Ohren und Augen aufrissen.

Wir schauten, wir lauschten, kein Wort wurde mehr gesprochen, gleichsam als befürchteten wir, unsere unheiligen Worte würden die himmlischen Töne verscheuchen. Abermals erklangen sie, in langen Schwingungen kamen sie wie Musik verklärter Geister auf den Fittichen des Zephirs an die Ohren, durchdrangen uns mit einem Schauer, den wir noch nie so heilig gefühlt.

Es waren langgezogene Töne, die in dem Abendlüftchen herangeschwollen kamen, voll, melodisch, nun wie Jubelgesang, wieder wie die sanften Schwingungen einer Aeolsharfe. Rings um uns herum war Stille. Die prachtvolle Flur in weiter Ferne war in die Silberstrahlen des senkrecht einfallenden Mondlichtes getaucht, die Nähe noch im Zwielicht der Dämmerung begraben.

Weit jenseits der Prärie die wie verklärten Riesendome der Magnolien und Immergrüneichen, und wir zitternd vor nie gefühlter Lust, die himmlische Musik in den Ohren, wir saßen keines Wortes mächtig.

Dreadnought riß uns endlich aus unserer Verzückung.

»Es ist die Singschule. Unsere Kinder halten ihre wöchentliche Singschule. Es ist Sonnabend.«

»Könnten wir nicht hin?«

»Ohne Zweifel, die Pferde stehen gesattelt. Ohnedem ist die Schule heute beim Regulator.«

Wir eilten aus dem Hause, bestiegen die Pferde und trabten rasch dem Hause Nathans zu. Je näher wir dem Hause kamen, desto voller schlug uns der Gesang der jungen Hinterwäldler an die Ohren. Freilich verlor er das Himmlische, Geläuterte, das uns zuerst so sehr entzückt hatte, bei unserer allmählichen Annäherung. Aber die vereinigten Stimmen von sechzig bis siebzig jungen Menschen, die ihrem Schöpfer Lob und Preis singen, haben immer so etwas Erhebendes, Läuterndes, in höhere Regionen Versetzendes.

Wir hatten die Zauberflöte, die Entführung aus dem Serail und das Miserere der Sixtinischen Kapelle gehört, aber sie hatten nicht die ergreifende Wirkung dieser siebzig Hinterwäldlerstimmen auf uns. Seit länger als einem halben Jahr hatten wir keinen Ton, keine Stimme mehr gehört. Jetzt zum ersten Mal seit so langer Zeit schlugen uns die kräftigen, schönen Naturtöne einer jungen Gemeinde, die dem Höchsten Ehre und Preis darbrachte, an die Ohren. Die Scharen der unsichtbaren Geisterwelt schienen uns in diesen Tönen zuzurufen, ihre Schatten uns zu umflattern. Unsere Stimmung war religiös geworden, Tränen des Entzückens feuchteten unsere Augen.

Die junge Gemeinde sang die erhebenden, prachtvollen Lieder der presbyterianischen Kirche. Die Melodien waren damals noch ganz im Choralstil komponiert, der so ungemein ergreifend wirkt. Als wir an den Außengebäuden des Blockhauses ankamen, fanden wir wohl an die hundert Reitpferde angebunden. Es war beinahe die ganze Gemeinde in und vor dem Hause und auf dem Porch versammelt. Die Männer und Frauen saßen in der Stube, die jungen Männer und Mädchen draußen in einem weiten Kreise in zwei Abteilungen.

Innerhalb dieses Kreises bewegte sich eine langbeinige, hagere Gestalt auf und ab, der wahre Typ eines neuenglischen Schul- und Singmeisters. Er schnellte die Hände auf und wieder ab, wie schlappe Segeltücher an den Masten eines Schiffes. Aber er war ein Meister in der Kunst des heiligen Gesanges.

Die Leute machten uns Platz, drückten uns still und herzlich die Hände. Wir setzten uns, horchten – sahen und hörten. Nie hatte ein Konzert in Versailles oder Trianon so eifrige Horcher gesehen. All unsere Verstimmung war gewichen.

Es ist doch einzig um die Religion! Sie ist doch das Band, das Wesen und Wesen aneinanderknüpft und Hinterwäldler und dem Pair in dem, der droben über den Sternen thront, den Vater zu erkennen gibt! Diese Stunde hatte mehr zu unserer Verständigung beigetragen als alle früheren und nachfolgenden Aussprachen zusammengenommen. Von dieser Stunde an waren und blieben wir Freunde.


 << zurück weiter >>