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Die Squatters

Der Alte war unter diesen Worten die Leiter hinabgestiegen. Unten angekommen warf er nochmals einen nachdenklichen Blick hinauf zu den Palisaden und dem Blockhaus, dann gingen wir der breiten Straße zu, die die Waldesränder bildeten. Unsere Gefährten waren bis auf einen, der die Öffnung im Pfahlwerk schloß, bereits voran. Schweigend, in tiefes Nachdenken versunken, gingen wir dahin.

Des Alten urwüchsige Erzählung hatte uns in mehr als einer Hinsicht gepackt. Man denke sich in unsere Lage, in unsere Empfindungen hinein. Wir waren Europäer, soeben in Amerika angekommen, hatten einen Thron stürzen, in seinem Sturz eine halbe Welt erschüttern, und zertrümmert diese halbe Welt noch in Zuckungen erhalten sehen, und hier standen wir gegenüber einem Hinterwäldler, der, auf sein eingebildetes Recht gestützt, mit fünf seiner Gefährten dem damals mächtigsten Reich der Neuen Welt den Krieg erklärt hatte.

Wie er dieses Recht begründete – weil der Mississippi auf amerikanischem Grund und Boden entsprungen, gehöre den Amerikanern Louisiana –, kam uns durchaus nicht lächerlich vor. Als einige Jahre später Louisiana durch Kauf von Frankreich in amerikanische Hände überging und sich einer der amerikanischen Staatsmänner gerade dieses Beweismittels von der Tribüne herab bediente, und zwar mit so glücklichem Erfolg, daß es später bei der Erlangung Floridas noch einmal herhalten mußte, da erinnerte ich mich daran, wie ich dieselbe Beweisführung zuerst aus dem Mund dieses alten Hinterwäldlers vernommen.

Damals kam mir nichts weniger als Lachlust an, ich fühlte mich im Gegenteil empört über die nackte Unverschämtheit, mit der uns das Lederwams unser Recht auf Louisiana streitig machte. Um so mehr als sein ganzes trockenes Wesen uns nur zu klar zu erkennen gab, daß er nichts weniger als gesonnen sei, dieses sein vermeintliches Anrecht fahren zu lassen.

Und doch gab es wieder Augenblicke, wo der Angriff auf die Souveränitätsrechte eines unserm angestammten Königshause blutsverwandten Monarchen uns Franzosen von altem Adel so natürlich erschien, daß wir darüber selbst unsere nationale Empfindlichkeit vergaßen und den Erfolg der Geschichte mit einer Sehnsucht erwarteten, die nicht gespannter sein konnte, hätte sie dem Schicksal unserer Königsfamilie gegolten.

Diese Teilnahme ist vielleicht damit zu erklären, daß wir uns in einer ähnlichen Lage befanden, zwar nicht so unbemittelt, aber dafür weit hilfloser als diese Buschmänner. Die Aufschlüsse des Alten über sein Leben und Treiben und die Art und Weise, wie er seine Ansiedelung begonnen, hatten daher für uns nicht bloß den Reiz der Neuheit. Während dieser seiner Erzählung setzte sich in mir allmählich der Gedanke fest, den wir auch später verwirklichten: entfernt von den Kreolenpflanzungen eine Niederlassung zu gründen.

Diesen Gedanken mir ins Werk setzen zu helfen, schien gerade der Alte der Mann dazu. Augenzeugen der unglaublichen Leichtigkeit, mit der er und die Seinigen Hindernisse überwanden, die uns durchaus unüberwindlich geschienen, hatte sein Beispiel in uns bereits etwas von der abenteuerlichen amerikanischen Springkraft geweckt. Mit seinem Beistand Schöpfer einer eigenen Pflanzung zu werden und so dem kreolischen Faulleben der Attacapas zu entrinnen, war mein fester Entschluß.

In solchen Gedanken waren wir auf einer wellenartigen Anhöhe angekommen, auf deren Kamm wir im Mondschein Gruppen von Bäumen gewahrten. Eine halbe Meile mochten wir gegangen sein, als uns aus einer der Baumgruppen Lichtstrahlen entgegenschimmerten und Hundegebell sich von mehreren Seiten hören ließ.

Der Alte ging mit großen Schritten einer rohen Umzäunung zu, durch deren Pfostengitter wir zum Hause gelangten. Auf ein leises Tappen ging die Haustür auf. Der Alte ergriff unsere Hände und führte uns im Finstern eine Treppe hinan. Er brachte uns in eine Dachkammer, in der sich ein gewaltiges Ehebett mit Moskitovorhängen, mehrere Sessel und ein weißgedeckter Tisch befanden. Auf diesem eine Flasche mit Gläsern und das Licht, das uns bisher als Lotse gedient hatte.

Der Alte nahm die Flasche und schenkte die drei Gläser voll. Dann stieß er auf unsere Gesundheit an. Wir versuchten das Getränk. Es war so feiner East-India-Madeira, wie ich ihn selbst in England nur in den ersten Häusern getrunken zu haben mich erinnerte.

»Wo haben Sie diesen köstlichen Madeira her?« fragte ich überrascht.

»Schmeckt er Ihnen? Habe ein Dutzend Demijohns Große Korbflaschen von New Orleans heraufkommen lassen.«

»Von New Orleans? Sie stehen also trotz Ihrer Kriegserklärung gegen die spanische Regierung mit New Orleans in Verbindung?«

Der Mann lächelte zufrieden.

»Pshaw! Eine Art Waffenstillstand, der vielleicht wieder in Krieg ausbricht, vielleicht die Friedensratifikation bringt. Hoffe das letztere – ist unser beider Vorteil.«

»Beider Vorteil?« wiederholten wir.

Der Ton unserer Stimmen hatte einen stark ironischen Nachklang. Der Mann schaute uns mit einem schlauen Lächeln an.

»Ei, etwas dergleichen. Die spanische Regierung, versteht ihr, sind Menschen so wie wir, um kein Haar besser, im Gegenteil. Doch genug davon, morgen ist auch ein Tag! Wollen etwas auf morgen versparen, bis wir mehr Salz miteinander gegessen haben. Jetzt trinkt euren Madeira aus! Werdet ihn nicht besser in New Orleans treffen, ist von meinem Kommissionär, einem Monshur Laplace.«

»Wie, Monsieur Laplace Ihr Kommissionär?« fragten wir zweifelhaft.

Wir hatten Empfehlungsbriefe an ihn, der Franzose von Geburt, mit Ducalle verwandt und Bankier der Regierung war.

»So ist's!« sprach der Alte. »Monshur Laplace besorgt meine Geschäfte und nimmt unsere Baumwolle und Tabak.«

»Also ihr baut Baumwolle und Tabak?« fragten wir mehr und mehr erstaunt.

Der Alte lächelte wieder.

»Wundert Sie das? Freilich, habe schier vergessen, daß ihr aus den Attacapas kommt, wo sie euch eben nicht die beste Notion von uns beigebracht haben mögen.«

»Die Wahrheit zu gestehen«, fielen wir lachend ein, »so haben sie eine weniger schlimme Notion von euch, als ihr gegen Louisiana, nach Ihrem eigenen Geständnis zu schließen.«

Der Alte lächelte wieder.

»Sind seltsame Leute in den Attacapas«, fuhr er fort, »seltsame Leute, denen es ernstlich not tut, aus ihrem sündhaften Faulleben aufgerüttelt zu werden. Werden aber aufgerüttelt werden!«

»Glauben Sie?«

»Pshaw! Hab' euch schon gesagt, daß morgen auch ein Tag ist, aber ihr Franzosen« – meinte er kopfschüttelnd – »man wird mit euch nie fertig! Wenn ihr in allem so tüchtig wäret wie im Mundwerk! Seid gefährliche Leute!«

»Ich glaube, Alter, wir könnten noch etwas von euch lernen.«

»Kalkuliere so!« stimmte er in unsern Ton ein. »Jetzt gute Nacht! Trinkt euren Madeira und deckt euch warm zu!«

Wir sahen dem Alten nach. Eine merkwürdigere Erscheinung war uns in unserm ganzen bewegten Leben noch nicht vorgekommen. Da stand er, der Bauer, Lederwams, Republikaner, Hinterwäldler, Holzhauer, der mir nichts dir nichts gegen die spanische Regierung den Schild erhebt, ihre Truppen schlägt, sich gegen ihren Gouverneur im Kriegszustand befindet, sich mit Hunderten seiner Landsleute in einem feindlich fremden Land festsetzt, und das alles so ruhig, so gemächlich, so ganz ungezwungen, als habe er einen Nachbar-Hinterwäldler durchgebleut und führte den Rechtstitel dazu in seiner Faust und Tasche.

Wir starrten ihm nach, ein solcher Charakter war uns nie vorgekommen. Dieser praktische Sinn – Lebensweisheit sollte ich sagen – und wieder Unwissenheit, dieses Zartgefühl und wieder Fühllosigkeit, diese Einfalt und wieder Verschlagenheit, Starrheit und Geschmeidigkeit, sie verwirrten uns. Denn sie verwoben sich, verschmolzen so seltsam in dem Mann, daß wir Menschenkenner, wie wir uns dünkten, die goldene Flüssigkeit in unseren Gläsern anstierten und das erste Mal in unserm Leben keine Worte fanden.

Die Gefährlichkeit dieses Mannes konnten wir uns gar nicht verhehlen, über seinen wahren Charakter keinen Zweifel haben. Denn daß er den nimmersatten Landhunger seiner Mitbürger großenteils angeregt und den Strom der Auswanderung in der Absicht nach Louisiana geleitet, um die spanische Herrschaft zu stürzen, das lag nur zu klar vor Augen.

Aber das Seltsamste war, daß wir ihm trotz dieser Gewißheit nicht gram sein konnten, ja ihn vielmehr liebgewonnen hatten.

Lassen wir dahingestellt, was diese Gedankenrevolution in uns bewirkt hatte, ob sein und der Seinigen wirklich bullköpfiger und auch am Feinde achtbarer Mut oder seine natürliche Verhandlungskunst – nie habe ich gefährlichere Pläne hinter naiverer einladenderer Treuherzigkeit versteckt gefunden – oder endlich der funkelnde Madeira. Der Wein mochte jedoch das Seinige beigetragen haben, so schlimm ein solches Bekenntnis im Mund eines Kavaliers von altem Hause lauten mag. Wenigstens hatte unsere patriotische Entrüstung, die während der Erzählung des Alten öfters auszubrechen gedroht, mit dem ersten Zug aus dem Glas einen starken Stoß erlitten.

Und mit jedem neuen Zug, den wir aus den Gläsern taten, wurden unsere Gedanken philanthropischer. Ein Mann, dem so köstlicher Madeira von seinem Kommissionär, einem Regierungsbankier, zugesandt wurde, ein solcher Mann konnte unmöglich der ruchlose Geselle sein, als welchen ihn das Gerücht schilderte. Ein ganzer Schwarm behaglicher Nachtgedanken reihte sich an diesen Schluß, und unsere staatstreue Denkweise erlitt an diesem Abend einen Stoß, der ihr für die Zukunft eine ganz veränderte, unserm bisherigen Leben stark entgegengesetzte Richtung gab.

Natürlich leerten wir die Flasche, warfen dann die Reste unserer Kleidung, die mehr an uns klebten als hingen, weg und uns ins Bett. Bald wurden wir von einem Schlaf umfangen, um den uns wohl ein König beneiden konnte.


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