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Dreiundvierzigstes Kapitel.

So wenig auch sein brechend Auge schaut,
Es ruhet auf Emilien, nachtumgraut;
Und sprachlos einen Augenblick er liegt,
Ein Händedruck noch und sein Geist entfliegt.

Palamon und Arcite.

 

Editha war durch ihr Unwohlsein während des verhängnißvollen Tages, an dem sie durch Mortons plötzliches Erscheinen so sehr erschreckt worden, an ihr Bett gefesselt. Am andern Morgen aber befand sie sich, wie man sagte, so weit besser, daß Lord Evandale seinen Vorsatz, Fairy-Knowe zu verlassen, wieder aufnahm. Es war fast Mittag, als Lady Emilie höchst feierlich in's Zimmer trat. Nach gegenseitigen Begrüßungen bemerkte sie, der heutige Tag werde trübe sein, Fräulein Bellenden aber dadurch einer Last enthoben werden. – »Mein Bruder verläßt uns heute, Fräulein Bellenden.«

»Verläßt uns!« rief Editha überrascht; – »doch hoffentlich nur, um sich nach Hause zu begeben?«

»Ich habe Grund zu vermuthen, daß er eine größere Reise beabsichtigt,« antwortete Lady Emilie; »hier hält ihn ja Niemand zurück.« –

»Gerechter Gott!« rief Editha, »ward ich darum geboren, um das Unglück aller Biedern und Edlen zu werden? Was kann ich thun, ihn abzuhalten, daß er nicht blindlings in sein Verderben stürzt? Ich will sogleich hinab! Sagt ihm, ich flehe ihn an, nur ja nicht abzureisen, bis ich ihn gesprochen habe.«

»Das wird zwar nichts helfen, Fräulein Bellenden; doch will ich Euren Auftrag ausrichten;« damit verließ sie das Zimmer, und sagte ihrem Bruder, Fräulein Bellenden sei so weit hergestellt, daß sie herabkommen wolle, ehe er abreise. – »Ich glaube,« setzte sie verdrießlich hinzu, »die Aussicht, uns bald loszuwerden, hat ihre erschütterten Nerven geheilt.«

»Schwester,« sagte Lord Evandale, »du bist ungerecht, wenn nicht gar neidisch.«

»Ungerecht mag ich wohl sein, Evandale; aber ich hätte mir nicht träumen lassen« – mit einem Blick in den Spiegel – »für neidisch gehalten zu werden, ohne daß man einen bessern Grund dafür hat. – Aber laß uns zur alten Lady gehen; sie bereitet ein Mahl im andern Zimmer, woran ein ganzes Heer sich satt essen könnte.«

Schweigend begleitete sie Lord Evandale in's Gesellschaftszimmer; denn er wußte, daß man ihre Vorurtheile und ihren beleidigten Stolz nicht bekämpfen könne. Sie fanden die Tafel mit Erfrischungen bedeckt, welche unter der sorgsamen Aufsicht der Lady Margaretha aufgetragen worden.

»Was Ihr heute gefrühstückt, ist kaum der Rede werth, Mylord; Ihr müßt daher noch Etwas genießen, ehe Ihr reitet, so gut dieses arme Haus, das Euch so sehr verpflichtet ist, es unter den gegenwärtigen Verhältnissen anbieten kann. Was mich betrifft, so sehe ich's gern, wenn junge Leute Etwas zu sich nehmen, ehe sie zu ihrem Vergnügen oder zu sonstigen Geschäften ausreiten; das sagte ich auch Seiner geheiligten Majestät, als sie zu Tillietudlem das Frühstück einnahm, im Jahre der Gnade 1651, und Seine geheiligte Majestät geruhte zu erwidern, indem sie meine Gesundheit bei einem Becher Rheinwein ausbrachte: ›Lady Margaretha, Ihr sprecht wie ein hochländisches Orakel?‹ Dies waren Seiner Majestät eigene Worte. Mylord mag daher beurtheilen, ob ich nicht eine gute Autorität für mich habe, junge Leute zu ermahnen, sich's schmecken zu lassen.«

Man kann sich leicht denken, daß manches Wort der guten Lady Lord Evandale's Ohr nicht erreichte, welches eben Editha's leichten Tritt vernahm. Seine Zerstreuung in diesem Augenblicke, so natürlich sie auch war, kam ihm theuer zu stehen. Während die alte Lady die gütige Wirthin spielte, eine Rolle, in der sie excellirte, ward sie von John Gudyill unterbrochen, der in der Weise, in welcher ein Niederer der Hausfrau gemeldet zu werden pflegt, sagte: »Es wolle Jemand mit Ihrer Herrlichkeit sprechen.«

»Jemand! Was für ein Jemand? Hat er denn keinen Namen? Ihr sprecht, als ob ich einen Kramladen hätte und auf jeden Pfiff kommen müßte.«

»Ja, er hat einen Namen,« sagte John; »aber Eure Herrlichkeit hört ihn nicht gern.«

»Wie heißt er denn, Narr?«

»Es ist der Kälber-Gibbie, Mylady, der Edie Henshaws Kühe hütet, dort unten an der Brücke, – der Nämliche, der früher Gänse-Gibbie hieß zu Tillietudlem, und zur Wappenschau ging und –«

»Schweigt, John; Ihr seid unverschämt, daß Ihr glaubt, ich würde mit solchen Menschen sprechen. Er soll sein Geschäft Euch oder der Frau Headrigg sagen.«

»Er will nicht, Mylady; er sagt, man habe ihm befohlen, das Ding Eurer Herrlichkeit selbst, oder dem Lord Evandale zu übergeben, er wisse eigentlich selbst nicht wem. Aber die Wahrheit zu sagen, er hat zu tief in's Glas geguckt und ist noch der alte Esel.«

»Werft ihn hinaus und sagt, er solle morgen wieder kommen, wenn er nüchtern sei. Ich glaube, er kommt mit einer Bitte, als ein alter Angehöriger des Hauses.«

»Höchst wahrscheinlich, Mylady; denn der arme Schelm ist ganz zerlumpt.«

Gudyill versuchte nochmals Gibbie's Auftrag zu erfahren, der allerdings höchst wichtig war; denn er bestand in einigen Zeilen von Morton an Lord Evandale, worin er diesen mit der Gefahr bekannt machte, welcher er durch Olifants Umtriebe ausgesetzt war, und ihn ermahnte, entweder schnell zu fliehen, oder nach Glasgow zu kommen und sich selbst auszuliefern, da er ihn dort seines Schutzes versichern könne. Das eiligst geschriebene Billet vertraute er dem Gibbie, den er mit seiner Heerde an der Brücke sah, und gab ihm einige Thaler, dasselbe sogleich dem zu übergeben, an den es gerichtet war. Aber das Schicksal wollte, daß Gänse-Gibbie sowohl als Bote, wie als Krieger, der Familie von Tillietudlem Unheil bringen sollte. Zu allem Unglück aber prüfte er die ihm gegebene Münze so lange im Wirthshause, bis das bischen Verstand, mit dem ihn die Natur bedacht, in Bier und Branntwein völlig ersäuft war, und statt nach Lord Evandale zu fragen, verlangte er mit Lady Margaretha zu sprechen, deren Name ihm geläufiger war. Da sie ihn aber nicht vorließ, torkelte er wieder fort, ohne den Brief abgegeben zu haben. Einige Minuten, nachdem er fortgegangen, trat Editha in's Zimmer. Sie, wie Lord Evandale, zeigten eine Verlegenheit, welche Lady Margaretha, die nur im Allgemeinen wußte, daß die Verbindung wegen der Unpäßlichkeit ihrer Enkelin hinausgeschoben worden war, der Verschämtheit des jungen Paares zuschrieb, und machte ihr dadurch ein Ende, daß sie mit Lady Emilie über unbedeutende Dinge zu sprechen anfing. In diesem Augenblicke flüsterte Editha mit einem todtenbleichen Gesichte dem Lord zu, daß sie allein mit ihm sprechen wolle. Er reichte ihr seinen Arm und führte sie in ein kleines Gemach, welches, wie bereits bemerkt, mit dem Gesellschaftszimmer zusammenhing. Er reichte ihr einen Sessel, setzte sich hin und erwartete die Eröffnung des Gesprächs.

»Es thut mir sehr leid, Mylord,« sprach sie mit Anstrengung; – »ich weiß kaum, was oder wie ich es sagen soll.«

»Wenn ich irgend einen Antheil an der Veranlassung Eures Kummers habe, so werdet Ihr bald davon befreit werden, Editha,« sagte Lord Evandale mild.

»Ihr seid also entschlossen, Mylord,« erwiderte sie, »den verzweifelten Weg mit diesen verzweifelten Menschen einzuschlagen, trotz der Bitten Eurer Freunde, – trotz des fast unvermeidlichen Abgrundes, der vor Euch gähnt?«

»Verzeiht, Fräulein Bellenden; selbst Eure Bitten dürfen mich nicht zurückhalten, wenn mich die Ehre ruft. Meine Pferde sind gesattelt, meine Diener gerüstet, das Signal zum Aufstand wird gegeben, sobald ich Kilsythe erreiche. – Ruft mich mein Geschick, nun, so scheue ich es nicht, ihm entgegenzutreten. Es wird schon Etwas sein,« setzte er hinzu und faßte ihre Hand, »wenn ich nach dem Tode Euer Mitleid verdiene, da ich Eure Liebe nicht gewinnen kann.«

»O bleibt, Mylord!« sagte Editha in einem Tone, der ihm in's Herz ging; »die Zeit kann den sonderbaren Umstand erklären, der mich so erschreckt hat; meine erschütterten Nerven können sich wieder beruhigen. O stürzt Euch nicht in Tod und Verderben; seid uns Stab und Stütze und hofft Alles von der Zeit!«

»Es ist zu spät, Editha,« sagte Lord Evandale. »Höchst unedelmüthig würde ich handeln, könnte ich Eure warmen und milden Gefühle gegen mich benutzen. Ich weiß, Ihr könnt mich nicht lieben, – eine so große Nervenschwäche, welche die Todten und Entfernten heraufbeschwört, zeigt von einer Vorliebe, die der Freundschaft und Dankbarkeit nimmer weicht. Doch wäre es auch anders, jetzt ist der Würfel gefallen!«

Bei diesen Worten stürzte Cuddie in's Zimmer, Angst und Schrecken in den Zügen. »O Mylord, verbergt Euch; sie haben alle Ausgänge des Hauses besetzt!«

»Sie? Wer?« fragte der Lord.

»Ein Trupp Reiter unter Basil Olifant,« antwortete Cuddie.

»O verbergt Euch, Mylord,« wiederholte Editha in furchtbarer Angst.

»Beim Himmel, nein!« antwortete Lord Evandale. »Welches Recht hat der Schurke mich anzufallen, oder mir den Weg zu versperren? Und hätte er ein Regiment bei sich, ich will mir Bahn machen. – Cuddie, laß Halliday und Hunter die Pferde herausführen. – Und nun, lebt wohl, Editha!« Er drückte sie an die Brust und küßte sie zärtlich, riß sich dann von der Schwester los, welche mit Lady Margaretha ihn zurückzuhalten suchte, stürzte aus dem Zimmer und bestieg sein Pferd.

Alles war in Verwirrung – die Frauen schrieen und eilten bestürzt an die vordern Fenster des Hauses, wo sie einen kleinen Reitertrupp bemerkten, unter dem nur zwei Soldaten zu sein schienen. Sie waren auf freiem Felde vor Cuddie's Hütte, näherten sich mit Vorsicht, als wüßten sie nicht, wie viel Bewohner im Hause seien.

»Er kann entkommen! Er kann entkommen!« rief Editha. »O daß er nur den Nebenweg einschlüge!«

Lord Evandale aber, entschlossen einer Gefahr zu trotzen, die sein kühner Muth geringschätzte, gebot seinen Dienern ihm zu folgen und ritt ruhig den Weg hinab. Der alte Gudyill eilte zu den Waffen und Cuddie nahm ein Gewehr, das zum Schutze des Hauses aufbehalten war, und eilte zu Fuße dem Lord nach. Vergebens klammerte sich sein Weib an ihn, das herbeigelaufen war, und drohte ihm mit dem Tod durch's Schwert oder Strang, wenn er sich in fremde Händel mischte.

»Halt's Maul, du,« rief Cuddie; »sind das fremde Händel, Lord Evandale vor meinen Augen ermorden zu sehen?« und fort war er. Auf dem Wege aber fiel es ihm ein, daß John Gudyill noch nicht da sei und er allein die ganze Infanterie ausmache; er faßte also Posto hinter einer Hecke, machte den Stein fest, spannte den Hahn, zielte lange auf den Laird Basil, wie man ihn nannte, und stand kampfgerüstet.

Sobald Lord Evandale erschien, zerstreute sich Olifants Trupp ein wenig, als wollte er ihn einschließen. Ihr Anführer blieb stehen, unterstützt von drei Mann, von denen zwei Dragoner waren; der dritte aber schien dem Aeußern nach ein Landmann; Alle waren wohlbewaffnet. Aber der Letztere schien nach der kräftigen Gestalt, den finstern Zügen und dem entschlossenen Benehmen der Furchtbarste, und wer ihn nur ein Mal gesehen, mußte ihn gleich für Balfour von Burley erkennen.

»Folgt mir!« sagte Lord Evandale zu seinen Dienern, »und wenn man sich uns mit Gewalt widersetzt, so thut mir nur Alles nach. Er sprengte in kurzem Galopp auf Olifant zu, und war im Begriff zu fragen, warum er den Weg besetzt habe, als Olifant rief: »Schießt den Verräther nieder!« und alle Vier feuerten ihre Karabiner auf den unglücklichen Edelmann ab. Er wankte im Sattel, zog ein Pistol aus dem Halfter, konnte aber nicht abfeuern, und sank tödtlich verwundet vom Pferde. Hunter schoß in die Luft; Halliday aber, ein wackerer Bursche, zielte auf Inglis, und schoß ihn gleich nieder. In demselben Augenblicke rächte ein Schuß hinter der Hecke den Lord Evandale noch wirksamer, denn die Kugel flog dem Olifant in die Stirn und streckte ihn leblos nieder.

Erstaunt über diese so schnell vollzogene Execution, schienen Olifants Begleiter geneigt, unthätig zu bleiben; aber Burley, dessen Blut durch den Kampf aufgeregt war, rief: »Nieder mit den Medianiten!« und griff Halliday mit gezücktem Schwerte an. Jetzt ließen sich Hufschläge hören, und ein Reitertrupp, von der Glasgower Straße heransprengend, erschien auf dem unglücklichen Gefilde. Es waren ausländische Dragoner unter dem holländischen Befehlshaber Wittenbold, von Morton und von einer Magistratsperson begleitet.

Der Aufruf, sich im Namen Gottes und des Königs Wilhelm zu ergeben, ward von Allen, außer Burley, befolgt, der sein Pferd umwandte und entfliehen wollte. Auf Befehl eines Offiziers ward er von mehreren Soldaten verfolgt, da er aber gut beritten war, so schienen ihn nur die zwei Vordersten erreichen zu können. Er wandte sich zwei Mal bedächtig um, feuerte jedes Mal ein Pistol ab, verwundete einen Verfolger tödtlich, befreite sich von dem andern, indem er ihm das Pferd erschoß, und setzte dann seine Flucht nach der Bothwellbrücke fort, wo er aber zu seinem Unglück die Thore verschlossen und bewacht fand. Von da eilte er nach einer Stelle, wo der Fluß nicht so reißend war, und stürzte sich hinein, während die Kugeln seiner Verfolger um sein Haupt pfiffen. Zwei trafen ihn, als er in der Mitte des Stromes war, und er ward gefährlich verwundet. Er lenkte sein Pferd zum Ufer zurück, und winkte mit der Hand, als wolle er sich ergeben. Die Reiter hörten demnach auf zu feuern und erwarteten seine Rückkehr; zwei von ihnen ritten ihm in den Fluß entgegen, um ihn zu entwaffnen. Bald aber zeigte es sich, daß er nicht Rettung, sondern Rache beabsichtigte. Als er sich den beiden Soldaten näherte, strengte er seine ganze Kraft an und versetzte dem einen Krieger einen Hieb auf den Kopf, daß er vom Pferde stürzte; der andere Dragoner, ein sehr starker Mann, hatte inzwischen Hand an ihn gelegt. Burley faßte ihn an der Gurgel, wie ein sterbender Tiger seine Beute; bei diesem Ringen fielen Beide aus dem Sattel, stürzten in die Fluth und wurden vom Strome fortgerissen. Ein blutiger Streif bezeichnete ihren Pfad. Zwei Mal tauchten sie auf; der Holländer versuchte zu schwimmen; Burley aber umklammerte ihn so, daß es sein Verlangen schien, Beide möchten umkommen. Eine Viertelmeile unterhalb wurden ihre Leichen aus dem Fluß gezogen. Da Burley's Hände nicht losgemacht werden konnten, ohne sie ihm abzuhauen, so ward Beiden schnell ein Grab bereitet, das noch jetzt durch einen rohen Stein und eine noch rohere Denkschrift bezeichnet ist.

Während die Seele dieses finstern Schwärmers zur Rechenschaft gezogen ward, wurde auch die des tapfern und edlen Lord Evandale erlöst. Morton hatte sich, als er dessen Lage bemerkte, sogleich vom Pferde geworfen, um dem sterbenden Freunde jede mögliche Hülfe zu leisten. Evandale erkannte ihn, drückte ihm die Hand, und da er nicht sprechen konnte, gab er durch Zeichen zu verstehen, man möchte ihn in's Haus bringen. Dies geschah mit aller Vorsicht, und bald war er von trauernden Freunden umgeben. Lady Emilie jammerte laut; Editha trauerte in stummer Trostlosigkeit. Sie gewahrte selbst Morton nicht, sondern neigte sich über den Sterbenden, und merkte nicht früher, daß das Geschick, welches ihr einen treuen Geliebten entriß, ihr einen andern gleichsam aus dem Grabe zurückgegeben habe, bis Lord Evandale Beider Hände faßte, sie zärtlich drückte und in einander fügte. Er richtete dann seinen Blick empor, als erflehe er einen Segen für sie, sank zurück und verhauchte.


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