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Dreißigstes Kapitel.

Doch horch! ein andrer Ton schallt aus dem Zelt.
Nicht Fried' und Ruh' herrscht länger drin.

Burns.

 

Als Morton die wohlgeordneten Vorposten der Königlichen verlassen hatte und bei denen seiner eigenen Partei ankam, bemerkte er nur zu sehr den Unterschied der Disciplin beider Heere, und konnte nicht umhin, Besorgnisse über die Folgen zu hegen. Dieselbe Zwietracht, welche im Kriegsrathe herrschte, wüthete jetzt auch unter den Geringsten ihrer Anhänger, und die Vorposten und Streifwachen waren eifriger darauf bedacht, über die wahren Ursachen des göttlichen Zorns zu streiten und die Grenzen erastinianischer Ketzerei festzusetzen, als die Bewegung der Feinde zu beobachten, obgleich sie schon die Trommeln und Pauken derselben vernehmen konnten. Es stand zwar auf der langen und schmalen Bothwellbrücke, über die der Feind nothwendig zum Angriff vorrücken mußte, eine Wache; aber auch diese war wie die andern getheilt und entmuthigt, und da sie die Meinung hegte, sie sei aus einem verzweifelten Posten, dachte sie daran, sich zu der Hauptmacht zurückzuziehen. Dies würde das Verderben des jungen Heeres vollendet haben; denn von der Vertheidigung oder dem Verluste dieses Passes hing höchst wahrscheinlich das Glück oder Unglück des Tages ab. Jenseits lag, ein unbedeutendes Gebüsch ausgenommen, lauter ebenes, freies Feld, also ein Boden, auf dem die ungeregelten Insurgentenmassen, denen es sehr an Reiterei und gänzlich an Geschütz fehlte, nicht hoffen konnten, dem Angriffe des königlichen Heeres zu widerstehen.

Morton besichtigte daher den Paß genau und hoffte, ihn sehr leicht gegen eine überlegene Macht vertheidigen zu können, wenn man einige Häuser auf dem linken Ufer und die Gebüsche an beiden Seiten besetze, den Paß selbst verschanze und die Thore des Portals verschließe, das nach alter Art aus dem mittlern Bogen der Brücke erbaut war. Demzufolge traf er seine Anstalten und ließ das Brückengeländer auf der andern Seite des Portals niederreißen, damit es dem Feinde, wenn er angreife, keinen Schutz gewähre. Morton beschwor seine Leute, aus diesen wichtigen Posten nur ja wachsam und überhaupt auf ihrer Hut zu sein, und versprach, ihnen schleunigst beträchtliche Verstärkung zu senden. Zur Beobachtung der feindlichen Bewegungen ließ er Vedetten über den Fluß schicken, welche sich bei Annäherung des Feindes sogleich auf das linke Ufer zurückziehen sollten; endlich trug er ihnen noch auf, regelmäßige Berichte von dem mitzutheilen, was sie etwa beobachteten. Leute unter Waffen und in einer gefährlichen Lage wissen gewöhnlich das Verdienst ihrer Anführer sehr zu schätzen. Mortons Einsicht und Thätigkeit gewann ihm schnell das Zutrauen seiner Leute, und mit mehr Muth und Hoffnung, als zuvor, fingen sie an, ihre Stellung nach seinen Befehlen zu befestigen, und brachen in ein dreimaliges Freudengeschrei aus, als er sie verließ.

Morton sprengte nun nach dem Hauptcorps der Insurgenten; aber wie überrascht und bestürzt ward er über die Scene lärmender Verwirrung, welche sich ihm in einem Augenblicke darbot, wo Ordnung und Eintracht von höchster Wichtigkeit waren. Statt in Schlachtordnung aufgestellt zu sein und dem Befehle ihrer Offiziere zu gehorchen, drängten sie sich in wilden Massen zusammen, welche gleich den Meereswellen hin- und herwogten, während Tausende schrieen und nicht ein Einziger hören wollte. Entrüstet über dieses seltsame Schauspiel suchte Morton durch das Gedränge zu kommen, um die Ursache dieser ungemäßen Verwirrung zu erfahren und wo möglich zu entfernen. Indeß er damit beschäftigt ist, wollen wir den Leser mit dem bekannt machen, was er erst später entdeckte. –

Die Insurgenten hatten sich angeschickt, ihren Buß- und Bettag zu halten, welchen sie nach der Sitte der Puritaner in den frühern Bürgerkriegen für das wirksamste Mittel hielten, alle Schwierigkeiten zu lösen und alle Spaltungen auszugleichen. Eine Art Kanzel war in der Mitte des Lagerplatzes errichtet, welche, nach der getroffenen Anordnung, zuerst der ehrwürdige Peter Pfundtext besteigen sollte, dem dieser Ehrenposten, als dem ältesten anwesenden Geistlichen, bewilligt worden. Als aber der würdige Gottesgelahrte mit langsamen stattlichen Schritten sich der für ihn bereiteten Tribüne nähern wollte, wurde er durch die unerwartete Erscheinung Habakuk Mucklewrath's, des wahnsinnigen Predigers, daran verhindert, dessen ganzes Aeußere Morton bei der ersten Rathsversammlung der Insurgenten nach ihrem Siege bei Loudonhill so sehr erschreckt hatte. Es ist nicht bekannt, ob er unter dem Einfluß und auf Anreizung der Cameronianer handelte, oder ob er blos durch seine aufgeregte Einbildungskraft und die Lockung der leeren Kanzel getrieben ward, die Gelegenheit zu ergreifen, eine so ansehnliche Gemeine zu erbauen. So viel aber ist gewiß, daß er die Gelegenheit beim Schopf packte, auf die Kanzel sprang, die wilden Augen um sich warf, ohne auf das Murren vieler Zuhörer zu achten, die Bibel öffnete und seinen Text las: »Es sind gewisse Kinder des Belials ausgegangen unter dir und haben verführet die Bewohner dieser Stadt, und gesaget: lasset uns gehen und andern Göttern dienen, die ihr nicht kennet.« Hierauf ging er sogleich zu seinem Gegenstande über.

Die Rede Mucklewrath's war so wild und schwärmerisch, wie sein Auftreten unbefugt und ungemäß; aber sie war zusammenhängend und sehr aufreizend, insofern sie sich gerade um die Gegenstände der Zwietracht drehte, deren Erörterung man auf eine gelegenere Zeit aufzuschieben übereingekommen war. Er vergaß nicht das Geringste, was verletzen konnte, und nachdem er die gemäßigte Partei der Ketzerei, der Kriecherei vor Tyrannen und des Bestrebens beschuldigt hatte, mit Gottes Feinden Frieden zu stiften: beschuldigte er namentlich Morton, daß er einer von den Kindern Belials sei, der, wie es im Texte hieß, ausgegangen wäre, die Bewohner der Stadt zu verführen und falschen Göttern nachzugehen. Ihm und Allen, die ihm folgten, verkündigte Mucklewrath Zorn und Rache, und ermahnte Diejenigen, welche sich rein und unbefleckt erhalten wollten, aus der Mitte von Jenen zu scheiden.

»Fürchtet nicht« – sagte er – »das Wiehern der Rosse und das Glänzen der Harnische. Sucht nicht Hülfe bei den Egyptern von wegen des Feindes, und wär' er auch so zahlreich wie die Heuschrecken, und wild wie die Drachen. Ihre Zuversicht ist nicht wie unsere Zuversicht, ihr Fels nicht wie unser Fels; wie würden sonst Tausend fliehen vor Einem, und Zwei Zehntausend in die Flucht schlagen? Ich träumte, und es erschien mir wie ein Nachtgesicht, und die Stimme sprach: Habakuk, nimm deine Schwinge und reinige den Weizen von Spreu, auf daß nicht beide verzehrt werden vom Feuer des Zornes und von dem Blitze des Grimmes. Darum sage ich, nehmet diesen Heinrich Morton, – diesen elenden Achan, der den Fluch über euch gebracht und sich Brüder gemacht hat im Lager der Feinde – nehmet ihn und steinigt ihn mit Steinen, und dann verbrennet ihn mit Feuer, auf daß der Zorn weiche von den Kindern des Bundes. Er hat kein babylonisch Gewand umgehängt; aber er hat verkauft das Gewand der Gerechtigkeit an das Weib von Babylonien; er hat nicht genommen zweihundert Seckel feinen Silbers, aber er hat vertauscht die Wahrheit, welche köstlicher ist als Seckel Silbers und Barren Goldes.«

Bei dieser wüthenden Beschuldigung, die so unerwartet gegen einen ihrer thätigsten Anführer geschleudert ward, brach die Versammlung in offenen Aufruhr aus. Einige verlangten, man solle augenblicklich neue Offiziere wählen, wozu Keiner ernannt werden solle, der, nach ihrem Ausdruck, an das gerührt hat, was verflucht war, oder mehr oder minder den Ketzereien und Verderbnissen der Zeit nachgegeben. Während die Cameronianer dies Verlangen aussprachen, schrieen sie laut: wer nicht mit ihnen sei, der sei wider sie; – es sei jetzt nicht Zeit, den wesentlichen Theil des covenantischen Zeugnisses der Kirche fahren zu lassen, wenn sie Segen ihrer Waffen und ihrer Sache erwarten wollten – und in ihren Augen sei ein lauwarmer Presbyterianer wenig besser, als ein Prälatist, ein Anticovenanter, oder ein Nullisidianer. Die angeklagten Parteien wiesen die Beschuldigung verbrecherischer Nachsicht mit Verachtung und Unwillen zurück, und warfen ihren Anklägern Treubruch und ausschweifenden Eifer vor, indem sie Spaltungen im Heere verursachten, dessen vereinte Kraft selbst die Zuversichtlichsten kaum für hinreichend hielten, dem Feinde die Stirn zu bieten. Pfundtext und noch Einige strengten sich vergebens an, die wachsende Parteiwuth zu hemmen, indem sie ihnen mit den Worten des Patriarchen zuriefen: »Ich bitte dich, laß nicht Streit sein zwischen mir und dir, und zwischen meinen Hirten und deinen Hirten; denn wir sind Brüder.« Keine friedliche Eröffnung konnte Gehör finden. Umsonst erhob Burley selbst, als er den Zwist sich so verderblich ausbreiten sah, seine ernste tiefe Stimme, Schweigen und Gehorsam gebietend. Der Geist der Zügellosigkeit war ausgebrochen, und es schien, als ob die Ermahnung Habakuk Mucklewrath's allen seinen Zuhörern einen Theil seines Wahnsinns mitgetheilt habe. Der klügere oder furchtsamere Theil der Versammlung war schon im Begriff, das Feld zu räumen, und gab ihre Sache verloren. Andere ließen einen harmonischen Ruf, wie sie es nannten, ertönen, neue Anführer zu wählen und die früher gewählten zu entlassen, und das mit einem Lärm und Gezänke, welches völlig dem Mangel an Verstand und Ordnung entsprach, welcher der ganzen Versammlung eigen war. In diesem Augenblicke nun kam Morton an, und fand das Heer in der äußersten Verwirrung und der Auflösung nahe. Seine Ankunft erregte lautes Freudengeschrei auf der einen, und Verwünschungen auf der andern Seite.

»Was bedeutet diese verderbliche Unordnung in einem solchen Augenblicke?« rief er Burley zu, der, erschöpft von der vergeblichen Anstrengung, Ruhe zu stiften, sich auf sein Schwert lehnte und den Wirrwarr mit dem Blick entschlossener Verzweiflung betrachtete.

»Es bedeutet,« sagte er, »daß Gott uns in die Hände seiner Feinde gegeben hat.

»Nicht so,« antwortete Morton mit einer Stimme und Geberde, die Viele zwang, auf ihn zu hören; »nicht Gott hat uns verlassen, wir find's, die ihn verlassen und uns selbst entehrt haben, indem wir die Sache der Freiheit und Religion beschimpfen und verrathen. Höret mich!« rief er, indem er auf die Kanzel sprang, die Mucklewrath aus Erschöpfung eben verlassen mußte; – »ich bringe euch von dem Feinde einen Vorschlag zur Unterhandlung, wenn ihr eure Waffen niederlegen wollt. Ich kann euch aber die Mittel zu einer ehrenvollen Vertheidigung zusichern, wenn ihr männlichere Gesinnungen hegt. Die Zeit entflieht. Laßt uns entschließen zu Krieg oder Frieden, daß die Nachwelt nicht einst von uns sage, sechstausend bewaffnete Schotten hätten weder den Muth gehabt, sich und ihre Sache zu vertheidigen, noch Klugheit genug, einen Frieden zu unterhandeln, und nicht einmal die feige Weisheit, sich zur rechten Zeit und mit Sicherheit zurückzuziehen. Was soll das heißen, über kleinliche Dinge der Kirchenzucht zu streiten, wenn dem ganzen Gebäude völliger Umsturz droht? O erinnert euch, meine Brüder, daß das ärgste und größte Uebel, welches Gott einst über das Volk verhängte, das er auserwählt – die letzte und härteste Strafe ihrer Blindheit und Verstocktheit, der blutige Zwist war, der ihre Stadt zerriß, selbst als der Feind an ihren Thoren donnerte!«

Einige der Zuhörer bezeugten ihre Empfindungen bei dieser Ermahnung durch lauten Beifallsruf, andere durch wirres Geschrei und den Ausruf: »Zu deinen Zelten, o Israel!«

Morton, der die Kolonnen des Feindes schon auf dem rechten Ufer erscheinen und aus die Brücke marschiren sah, erhob seine Stimme, so stark er konnte, deutete mit der Hand hin und rief: – »Still mit eurem unsinnigen Geschrei; dort ist der Feind! Von der Behauptung der Brücke hängt unser Leben ab, und die Hoffnung, unsere Gerechtsame und Freiheiten wieder zu gewinnen. – Ein Schotte wenigstens soll für ihre Vertheidigung sterben. – Wer sein Vaterland liebt, folge mir!«

Aller Blicke hatten sich nach jener Gegend gerichtet, nach welcher er zeigte. Der Anblick der blitzenden Reihen der Fußgarden, unterstützt von mehrern Reitergeschwadern, der Kanonen, welche gegen die Brücke gerichtet waren, und des langen Zuges der Truppen, welche den Angriff unterstützen sollten, machte plötzlich das wilde Geschrei verstummen und verbreitete eine solche Bestürzung, als wenn dies eine ganz unerwartete Erscheinung wäre, und nicht vielmehr dasjenige, was man hätte erwarten sollen. Sie stierten sich und ihre Führer an, mit den Blicken eines Kranken, der durch einen Anfall von Wahnwitz erschöpft ist. Als aber Morton von der Kanzel sprang und der Brücke zueilte, folgten ihm gegen hundert junge Leute, die unter seinem unmittelbaren Befehle standen.

Burley wendete sich zu Macbriar – »Ephraim,« sagte er, »die Vorsehung zeigt uns den Weg durch die weltliche Weisheit dieses freigeisterischen Jünglings. – Wer das Licht liebt, folgt Burley!«

»Bleib!« erwiderte Macbriar, »nicht durch Heinrich Morton und seines Gleichen soll unser Ausgang bestimmt werden; deßhalb bleibe bei uns! Ich fürchte Verrath für das Heer von diesem ungläubigen Achan. – Du sollst nicht mit ihm gehen. Du bist unser Wagen und Reiter.«

»Hindere mich nicht,« erwiderte Burley, »er hat Recht: Alles ist verloren, wenn der Feind die Brücke gewinnt – darum hindere mich nicht. Sollen die Kinder dieses Geschlechts weiser und tapferer genannt werden, als die Kinder des Heiligthums? Stellt euch unter eure Führer. Unterstützt uns mit Mannschaft und Munition, und verflucht sei Derjenige, welcher sich abgewendet von dem Werke dieses großen Tages!« Mit diesen Worten eilte er der Brücke zu, und bei zweihundert der Tapfersten und Eifrigsten seiner Partei folgten ihm. Eine tiefe, muthlose Stille herrschte, als Morton und Burley hinweggegangen. Die Führer benutzten sie, um ihre Reihen einigermaßen zu ordnen, und ermahnten Diejenigen, welche am meisten dem Feuer ausgesetzt waren, sich aufs Gesicht zu werfen, um den Kugeln zu entgehen, die man jetzt jeden Augenblick erwarten mußte. Die Insurgenten widersetzten sich diesen Befehlen nicht länger; aber der Schrecken, welcher ihre Zwietracht beschwichtigt, hatte auch ihren Muth gelähmt. Sie ließen sich in Reih' und Glied stellen, folgsam wie eine Heerde von Schafen, aber auch ohne für den Augenblick mehr Entschlossenheit und Kraft zu besitzen. Die plötzliche Annäherung der Gefahr, gegen welche sie jede Vorbereitung versäumten, als sie noch fern war, hatte sie gänzlich entmuthigt. Indessen waren sie doch mit einiger Regelmäßigkeit ausgerückt, und da sie noch das äußere Aussehen einer Armee hatten, so hofften ihre Führer, irgend ein günstiger Zufall werde ihnen Muth und Entschlossenheit wieder geben.

Pauker, Pfundtext, Macbriar und andere Geistliche gingen geschäftig durch die Reihen und ermahnten die Krieger einen Psalm anzustimmen. Aber die Abergläubischen unter ihnen bemerkten es als ein böses Omen, daß ihr Lob- und Siegsgesang in einem Stammeln der Bestürzung erstarb, und eher einem Bußliede glich, das auf dem Schaffote einem Verbrecher gesungen wird, als den kühnen Tönen, welche einst auf der wilden Haide von Loudonbill im Vorgefühl des Sieges erklangen. Die schwermüthige Melodie erhielt bald eine rauhe Begleitung; denn die Kanonen fingen an auf einer Seite, die Flinten auf beiden Seiten zu feuern und die Bothwellbrücke und die nahen Ufer lagen in Rauch und Dampf gehüllt. –


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