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Fünftes Kapitel.

Ja, dieses Mannes Stirne gleicht dem Blatt
In einem Trauerspiel, das die Natur
Des ganzen Werks enthüllt.

Shakespeare.

 

Endlich der Haushälterin entledigt, nahm Morton den Ueberrest des ihm vorgesetzten Mahls, und schickte sich an, denselben seinem versteckten Freunde zu bringen. Da er den Weg genau kannte, hielt er es nicht für nöthig, ein Licht mitzunehmen, und das zu seinem Glücke. Denn kaum hatte er den Fuß über die Schwelle gesetzt, als ein dumpfes Pferdegestampfe ihm verkündete, daß der Reitertrupp, dessen Pauken er vorhin gehört, entlang der Straße ziehe, die sich um den Fuß des Hügels wendet, auf welchem Milnwoods Haus stand. Er hörte den kommandirenden Offizier deutlich »Halt!« rufen. Dann folgte eine Pause, die nur dann und wann durch das Wiehern oder ungeduldige Stampfen der Rosse unterbrochen ward.

»Wem gehört dies Haus?« fragte eine gebieterische Stimme.

»Milnwood, Ew. Edeln,« war die Antwort.

»Gehört der Besitzer zu den Gutgesinnten?« war die zweite Frage.

»Er gehorcht den Befehlen der Regierung, und besucht die Predigten eines geduldeten Geistlichen,« war die Antwort.

»Hm! geduldet? – eine bloße Maske für Verrath, die man Denjenigen gestattet, welche zu feige sind, mit offener Stirne ihre Grundsätze zu zeigen. – Sollten wir nicht einen Trupp zur Untersuchung des Hauses absenden? vielleicht, daß so ein Bluthund, welcher bei der letzten Schlächterei war, darin verborgen ist.«

Ehe Morton seine Unruhe über diesen Vorschlag beschwichtigte, erwiderte ein Dritter: »Ich halte dies durchaus nicht für nöthig; Milnwood ist ein alter hypochondrischer Mann, der sich nie mit Politik abgibt, und auf der Welt weiter nichts liebt, als seine Wechsel und Geldsäcke. Wie ich höre, war sein Neffe heute bei der Waffenschau und wurde Papageienhauptmann; er ist also gewiß kein Schwärmer. Zuverlässig sind die Leute schon zu Bette, und ein Geräusch in so später Nacht könnte den armen Greis leicht tödten.«

»Gut,« erwiderte der Anführer, »wenn dem so ist, so wäre es verlorene Zeit, das Haus zu durchsuchen. Ihr Herren der Leibwache, marsch!«

Trompetenstöße, Paukenschläge, Rossegestampf und Waffengeklirr verkündeten den Abzug der Truppe. Der Mond trat eben vor, als die ersten Reiter einen Hügel erreichten, an dem sich der Weg hinauswand; im Dämmerlichte glitzerten die Stahlhauben, und die Gestalten der Pferde waren nur undeutlich wahrzunehmen. Als sie über den Gipfel des Hügels hinwegzogen, zeigte es sich, daß ihrer eine beträchtliche Anzahl war. Aber erst, nachdem der Letzte von ihnen verschwunden, nahm der junge Morton den Entschluß wieder auf, seinen Gast zu besuchen. Als er den Zufluchtsort betrat, fand er ihn auf seinem niedern Lager, mit einer Taschenbibel in der Hand, in welcher er nachdenkend zu lesen schien. Auf seinen Knieen lag der entblößte Säbel, den er beim ersten Lärm der herannahenden Dragoner aus der Scheide gezogen hatte; neben ihm aber stand aus einer alten Kiste, die auch den Dienst eines Tisches versah, ein kleines Licht, und warf einen unsichern Schein aus die harten und rauhen Züge, deren Wildheit durch einen Anflug tragischer Begeisterung feierlicher und würdiger erschien. Auf seiner Stirne zeigte sich, daß ein gewaltiger Gedanke alle andere Leidenschaften und Gefühle vernichtet hatte, wie beim Anschwellen einer hohen Fluth alle bemerkbaren Klippen schwinden, und ihr Dasein nur durch den Schaum der Wellen, die sich daran brechen, kund wird. Nachdem Morton ihn einige Augenblicke betrachtet hatte, richtete er sich auf.

»Ich bemerke,« sprach Morton, als er den Säbel erblickte, »daß Ihr die vorbeiziehenden Reiter hörtet; ihr Durchmarsch hat mich einige Minuten aufgehalten.«

»Ich beachtete sie kaum,« sagte Balfour; »meine Stunde ist noch nicht gekommen. Wohl weiß ich, daß ich eines Tages in ihre Hände falle, und aufgenommen werde unter die Heiligen, welche sie hingeschlachtet. Und ich wollte, Jüngling, daß schon herangenahet sei diese Stunde; mir wäre sie so willkommen, wie dem Bräutigam die Vermählung. Aber wenn mein Meister mir noch mehr auferlegt hienieden, so muß ich mein Werk mit Freuden vollbringen«

»Eßt und erfrischt Euch,« sagte Morton; »Eure Sicherheit erheischt, daß Ihr morgen diesen Ort verlasset, um die Berge zu erreichen, sobald Ihr die Pfade durch die Moore findet.«

»Junger Mann,« entgegnete Balfour, »ich bin Euch schon lästig, und vielleicht wäre ich es Euch noch mehr, wüßtet Ihr das Geschäft, zu welchem ich jüngst gebraucht worden. Und daß es so ist, nimmt mich nicht Wunder; denn manchmal bin ich meiner selbst überdrüssig. Scheint es Euch nicht eine herbe Prüfung für Fleisch und Blut, zur Vollstreckung der gerechten Urtheile des Himmels aufgerufen zu werden, so lange wir noch im Fleische wandeln, und jenes blinde Mitgefühl für fleischliche Schmerzen behalten, das unser eigenes Fleisch durchzittert, wenn wir einen Streich auf den Leib eines andern führen? Und glaubt Ihr, daß, wenn ein Haupttyrann von seiner Stelle entfernt wird, die Werkzeuge seiner Bestrafung auf ihren Antheil an dessen Sturz stets mit festen und unerschütterten Nerven zurückschauen können? Müssen sie nicht bisweilen die Wahrheit jener Offenbarung in Zweifel ziehen, die sie gefühlt, nach der sie gehandelt? Müssen sie nicht bisweilen an dem Ursprung jenes mächtigen Antriebes irre werden, womit ihre Gebete um himmlische Leitung unter schwierigen Verhältnissen innerlich beantwortet und bestätigt wurden, und in ihren unruhigen Besorgnissen die Antworten der Wahrheit selbst mit einer starken Täuschung des Widersachers verwechseln?«

»Dies sind Dinge, Herr Balfour, über welche ich nicht mit Euch sprechen kann,« antwortete Morton; »aber ich gestehe, ich würde gar sehr den Ursprung einer Offenbarung bezweifeln, welche mir ein Betragen vorschriebe, das mit jenen menschlichen Gefühlen im Widerspruch stände, die uns Gott als ein allgemeines Gesetz vorgezeichnet.«

Balfour schien etwas verlegen, richtete sich plötzlich empor, faßte sich schnell und entgegnete kalt: »Natürlich, daß Ihr so denkt; Ihr seid noch im Kerker des Gesetzes, eine noch dunklere Grube als die, in welche Jeremias gestürzt ward, dunkler selbst als das Gefängniß Malcajahs, des Sohnes Hamelmelechs, in welchem nur Schlamm und kein Wasser war. Dennoch ist das Siegel des Glaubensbundes auf Eurer Stirne, und der Sohn des Gerechten, der dem Blutvergießen widerstand, wo das Banner auf den Bergen sich entfaltete, soll nicht wie ein Kind der Finsterniß untergehen. Glaubt Ihr denn, daß in diesen Tagen der Bitterniß und des Jammers von uns nichts geheischt wird, als das moralische Gesetz zu halten, so weit es unsere fleischliche Schwäche gestattet? Glaubt Ihr, daß wir nur unseren verderbten Leidenschaften und niedern Begierden obliegen müssen? Nein, wenn wir unsere Lenden gegürtet, so sind wir berufen, kühn in den Streit zu stürmen, und wenn wir das Schwert gezückt, müssen wir die Gottlosen schlagen, auch wenn sie unsere Nachbarn sind, und den Mann der Macht und der Grausamkeit, obgleich er unser Verwandter und Busenfreund ist?«

»Das sind die Gesinnungen,« sprach Morton, »die Eure Feinde Euch vorwerfen, und welche die grausamen Mittel, die der Staatsrath gegen Euch ergriffen, wo nicht entschuldigen, doch wenigstens bemänteln. Sie bestätigen, daß Ihr Euch auf ein inneres Licht beruft, daß Ihr die Schranken der rechtmäßigen Obrigkeit, der Nationalgesetze, ja sogar die der Menschlichkeit verachtet, wenn sie mit dem in Widerspruch stehen, was Ihr Euern innern Geist nennt.«

»Man thut uns Unrecht,« antwortete der Covenanter, »sie, die Meineidigen sind es, welche göttliche und menschliche Gesetze abgeworfen, und uns nun verfolgen, wegen der Anhänglichkeit an den feierlichen Bund zwischen Gott und dem Königreich Schottland, den sie Alle, einige papistische Uebelgesinnte ausgenommen, früher beschworen, und den sie jetzt auf den Marktplätzen verbrennen und hohnlachend mit Füßen treten. Als dieser Karl Stuart in diese Königreiche zurückkehrte, waren es die Uebelgesinnten, die ihn zurückbrachten? Mit starker Hand haben sie es versucht; aber, wahrlich! es ist ihnen mißlungen. Konnten James Grahame von Montrose und seine Hochländischen ihn wieder auf den Stuhl seines Vaters setzen? Ihre Köpfe auf dem Edinburger Westthore haben manchen langen Tag etwas ganz Anderes erzählt. Die Werkmeister des glorreichen Werks waren es, die Wiederhersteller der Glorie der Stiftshütte, die ihn wieder auf den erhabenen Sessel gerufen, von welchem sein Vater herabgefallen. Und was war unser Lohn? In den Worten des Propheten: »Wir sahen uns um nach Frieden, aber es kam nichts Gutes; nach einer Zeit der Gesundheit, und wir erblickten nur Zerstörung. – Das Schnauben der Rosse ward gehört von Dan; das ganze Land zitterte bei dem Tone des Wieherns seiner Starken; denn sie sind gekommen und haben verschlungen das Land und Alles was darinnen ist.«

»Herr Balfour,« antwortete Morton, »ich will Eure Klagen gegen die Regierung weder billigen, noch verdammen. Ich habe mich bemüht, dem Waffenbruder meines Vaters eine Schuld abzutragen, da ich Euch ein Obdach in Eurer Noth verschaffte; aber Ihr werdet mich entschuldigen, wenn ich mich weder in Eure Sache, noch in Eure Zwistigkeiten einlasse. Ich will Euch nun der Ruhe überlassen, und wünsche von ganzem Herzen im Stande zu sein, Eure Lage erträglicher zu machen.«

»Aber ich glaube, daß ich Euch noch morgen vor meiner Abreise sehe. – Ich bin kein Mann, dessen Herz nach Verwandten und Freunden dieser Welt schmachtet. Als ich meine Hand an den Pflug legte, da schloß ich den Bund mit meinen weltlichen Neigungen, daß ich nicht mehr zurückblicke auf Dinge, die ich hinter mir gelassen. Doch den Sohn meines alten Waffengefährten betrachte ich als den meinigen, und ich kann ihm nicht in's Antlitz blicken ohne die tiefe und feste Ueberzeugung, daß ich eines Tages noch sehe, wie er sein Schwert umgürtet für die theure und kostbare Sache, für die sein Vater focht und blutete.«

Mit dem Versprechen, daß er noch den Flüchtling besuchen werde, wenn es Zeit sei, die Reise fortzusetzen, schied Morton von ihm. –

Er begab sich auf einige Stunden zur Ruhe, aber seine durch die Begebenheiten des Tages aufgeregte Phantasie gestattete ihm keinen tiefen Schlummer. Ein schreckliches Traumgesicht stieg vor ihm auf, in welchem sein neuer Freund eine Hauptrolle spielte. Auch die holde Editha Bellenden mischte sich in diesen Traum, weinend und mit aufgelösten Locken, und schien ihn um Hülfe und Beistand anzuflehen, die er zu verleihen nicht im Stande war. In fieberischer Aufregung erwachte er aus diesem unerquicklichen Schlummer und mit unheilahnendem Herzen. Auf den Gipfeln der fernen Berge lag schon der rosige Morgen in erfrischender Kühle.

»Ich habe zu lange geschlafen,« sagte er zu sich selber, »und muß mich jetzt beeilen, die Reise dieses unglücklichen Flüchtlings zu fördern.«

Rasch kleidete er sich an, öffnete leise die Thüre, und eilte an den Zufluchtsort des Convenanters. Morton trat auf den Zehen ein; denn sowohl die Entschiedenheit in Ton und Benehmen dieses seltsamen Menschen, als auch dessen ungewöhnliche Sprache und Denkungsart, hatten ihm fast Entsetzen eingeflößt.

Balfour schlief noch. Ein Lichtstrahl fiel auf's Lager und zeigte Morton die Bewegung seiner harten Züge, welche durch innere Unruhe aufgeregt schienen. Er hatte die Kleider nicht abgelegt, seine beiden Arme lagen auf der Decke, die Rechte war fest zusammengeballt und versuchte zuweilen ohnmächtige Streiche zu führen, die man gewöhnlich an heftig Träumenden bemerkt; die Linke war ausgestreckt und bewegte sich von Zeit zu Zeit, als wollte sie Etwas zurückstoßen. Der Schweiß stand ihm auf der Stirne, und diese Zeichen der Aufregung waren mit abgebrochenen Worten begleitet, die ihm von Zeit zu Zeit entfuhren. »Du bist gefangen, Judas – du bist gefangen – umklammere nicht meine Kniee – haut ihn nieder! – einen Priester? – Ja, einen Baalspriester, der gebunden und erschlagen werden soll am Bache Kison. – Feuerwaffen helfen nichts gegen ihn. – Schlagt – stoßt mit dem kalten Eisen, laßt ihn nicht lange dulden, laßt ihn nicht lange leiden, wäre es auch nur seiner grauen Haare wegen.«

Sehr beunruhigt über die Bedeutung dieser Ausdrücke, die von ihm sogar im Schlafe mit der Anstrengung ausgestoßen wurden, welche die Vollziehung einer Gewaltthat begleitet, schüttelte Morton seinen Gast an der Schulter, um ihn aufzuwecken. Seine ersten Worte waren: »Bringt mich, wohin Ihr wollt, ich will Alles gestehen.«

Als er um sich geschaut, und völlig erwacht war, nahm er plötzlich seine gewöhnliche finstere Ruhe wieder an, warf sich, ehe er mit Morton sprach, aus die Kniee, betete heftig für die leidende Kirche Schottlands, flehend, daß das Blut ihrer gemordeten Heiligen und Märtyrer theuer sein möge in den Augen des Himmels, und daß der Schild des Allmächtigen bedecke den zerstreuten Ueberrest, der, um seines Namens willen, sich in der Wüste verberge. Rache, schnelle und volle Rache an den Unterdrückern war der Schluß seines brünstigen Gebetes, welches er laut und mit begeistertem Nachdruck sprach, und das noch ausdrucksvoller wurde durch den orientalischen Bibelstyl.

Nach vollendetem Gebet stand er auf, nahm Morton am Arm, und sie gingen hinab nach dem Stalle, wo der »Wanderer« – so nannte man häufig seine Sekte – sein Pferd zur Fortsetzung der Reise anschirrte. Als das Thier gesattelt und gezäumt war, bat er Morton, einen Flintenschuß weit mit ihm in den Wald zu gehen und ihm den rechten Weg nach den Mooren zu zeigen. Morton sagte bereitwillig zu und sie gingen einige Zeit schweigend unter dem Schatten schöner, alter Bäume; der Pfad, den sie eingeschlagen, lief ohngefähr eine halbe Meile durch Waldung und führte dann in eine wüste, wilde Gegend, die sich bis an den Fuß der Berge erstreckt.

Endlich fragte Burley plötzlich Morton: ob die Worte, die er gestern Abend gesprochen, Früchte getragen in seinem Gemüthe?

Morton antwortete: er beharre bei derselben Meinung, die er früher gehegt, und sei entschlossen, so lange wie möglich die Pflichten eines guten Christen mit denen eines guten Unterthanen zu vereinigen.

»Mit andern Worten,« erwiderte Burley, »Ihr wollt Gott und dem Mammon dienen, – an einem Tage die Wahrheit mit Euren Lippen bekennen, und am andern Tage, auf Befehl der fleischlichen und tyrannischen Obergewalt bewaffnet, das Blut Derer vergießen, die um der Wahrheit willen Alles verlassen. Glaubt Ihr,« fuhr er fort, »Pech anzurühren und unbesudelt zu bleiben? Euch in die Reihen der Uebelgesinnten, der Papisten, der Papaprälatisten, der Gleichgültigen und Spötter zu mischen, an ihren Belustigungen Theil zu nehmen, die den Götzenmahlen gleichen, vielleicht mit ihren Töchtern Umgang zu pflegen, wie die Söhne Gottes mit den Töchtern der Menschenkinder vor der Sündfluth, – glaubt Ihr, sag' ich, dies Alles zu thun und unbefleckt zu bleiben? Wahrlich, ich sage Euch, daß alle Gemeinschaft mit den Feinden der Kirche ein verfluchtes, gottverhaßtes Ding ist. Berührt nichts, – kostet nichts, – habt nichts gemein mit ihnen. Und härmt Euch nicht, junger Mann, als ob Ihr allem berufen, Eure fleischlichen Begierden zu unterdrücken, und den Vergnügungen zu entsagen, die ein Fallstrick Euren Füßen sind, – ich sage Euch, der Sohn Davids hat dem ganzen Geschlechte der Menschen kein besseres Loos verkündet.«

Dann bestieg er sein Roß, und zu Morton gewendet wiederholte er den Text der Schrift: »Ein schweres Joch wurde für die Söhne Adams bestimmt von dem Tage an, da sie hervorgingen aus ihrer Mutter Leibe, bis zu dem Tage, wo sie zurückkehren zur Mutter aller Dinge; von Dem an, der gekleidet ist in blaue Seide, und eine Krone trägt, bis zu Dem, der einfaches Linnen trägt Zorn, Neid, Besorgniß und Unruhe, Strenge, Kampf und Todesfurcht in den Zeiten der Ruhe.«

Nach diesen Worten spornte er sein Pferd und war bald unter dem Schatten des Waldes verschwunden.

»Lebewohl, finsterer Schwärmer,« sagte Morton, ihm nachblickend; »wie gefährlich wäre die Gesellschaft dieses Mannes in mancher Gemüthsstimmung! Wenn mich auch sein Eifer für abstrakte Glaubenslehren, oder vielmehr für eine eigenthümliche Art Gottesverehrung unbewegt läßt,« dachte er, »kann ich als Mensch und Schotte gleichgültig auf diese Verfolgung blicken, welche bereits kluge Männer toll gemacht? War es nicht die Sache der bürgerlichen und religiösen Freiheit, für die mein Vater focht, und ich sollte unthätig bleiben, oder Theil nehmen an einer unterdrückenden Regierung, wenn sich irgend eine vernünftige Aussicht darbietet, den unerträglichen Jammer abzuwenden, der auf meinen unglücklichen Landsleuten lastet? Und doch, wer gibt mir die Versicherung, ob nicht diese Leute, durch Verfolgung erbittert, im Siege eben so grausam und unduldsam werden, wie die, von denen sie jetzt gleich den Thieren des Waldes gejagt find? Welche Mäßigung, welches Erbarmen läßt sich von diesem Burley erwarten, einem ihrer Hauptkämpfer, der noch jetzt von einer kürzlich begangenen Gewaltthat erhitzt ist, und Gewissensbisse zu fühlen scheint, die selbst seine Schwärmerei nicht ganz zu unterdrücken vermag? Ich bin es müde, nur Raserei und Gewaltthat um mich zu sehen, – bald unter der Maske gesetzmäßiger Macht, bald unter dem Mantel des Religionseifers. Ich bin meines Vaterlandes überdrüssig – meiner selbst – meiner abhängigen Lage – meiner unterdrückten Gefühle – dieser Wälder – dieses Flusses – dieses Hauses – Alles, Alles, nur Editha's nicht, und sie kann nie die Meine werden! Warum sollt' ich ihren Gängen nachgehen? – Warum meine eigene Täuschung und vielleicht auch die ihrige hegen und pflegen? – Sie kann nie die Meine werden. Ihrer Großmutter Stolz, – die entgegengesetzten Grundsätze unserer Familien, – meine unglückliche Abhängigkeit, – ein armer, elender Sklave, denn ich habe nicht einmal den Lohn eines Knechtes – alle diese Umstände vernichten die thörichte Hoffnung, daß wir je vereinigt werden könnten. Warum also eine so schmerzliche Täuschung verlängern?«

»Aber ich bin kein Sklave,« sprach er laut und richtete sich in seiner vollen Länge auf – »kein Sklave, in einer Hinsicht gewiß nicht. Ich kann meinen Aufenthalt verändern – meines Vaters Schwert ist mein, und Europa liegt offen vor mir, wie vor ihm, und hundert Andern meiner Landsleute, die es mit dem Rufe ihrer Heldenthaten erfüllen. Ein glücklicher Zufall erhebt mich vielleicht auf eine Stufe mit unsern Ruthvens, unsern Lesley's, unsern Monroe's, den auserwählten Führern der berühmten protestantischen Glaubenskämpfer, und wenn auch nicht – eines Soldaten Leben oder eines Soldaten Grab.«

Als er diesen Entschluß gefaßt, stand er vor dem Hause seines Oheims, und beschloß, keine Zeit zu verlieren, ihn mit demselben bekannt zu machen.

»Noch ein Blick aus Editha's Auge, noch ein Schritt an Editha's Seite und mein Entschluß würde hinweg schmelzen. Ich will einen unwiderruflichen Schritt thun und dann sie zum letzten Male sehen.«

In dieser Stimmung trat er in das getäfelte Wohnzimmer, in welchem sein Oheim bereits am Frühstücke saß, nämlich vor einer ungeheuren Schüssel mit Haferbrei und einer entsprechenden Portion Buttermilch. Die begünstigte Haushälterin wartete auf, halb stehend, halb auf einer Stuhllehne ruhend, in einer Stellung zwischen Freiheit und Achtung. In frühern Jahren war der alte Herr ziemlich lang, ein Vortheil, den er jetzt so sehr verloren, daß einst in einer Versammlung, wo man über den Bogen einer Brücke stritt, der über einen beträchtlichen Fluß geschlagen werden sollte, ein spaßhafter Nachbar vorschlug, dem Milnwood eine hübsche Summe für sein krummes Rückengebein zu geben, er verkaufe ja doch Alles, was ihm gehöre. Säbelbeine von ungewöhnlicher Größe, lange, dürre Hände mit Nägeln versehen, die selten von einer Scheere berührt wurden, ein runzeliges faltiges Gesicht, dessen Länge mit seiner übrigen Statur übereinstimmte, ein Paar kleine, durchdringende, gewinngierige, graue Augen vollendeten das höchst unvortheilhafte Aeußere des Herrn Morton von Milnwood. Da es sehr unvernünftig gewesen wäre, eine menschenfreundliche, wohlwollende Gesinnung in solcher Wohnung zu beherbergen, so hatte die Natur seine Gestalt auch mit einer ihr vollkommen entsprechenden, d. h. mit einer niedrigen, selbstsüchtigen, begehrlichen Seele ausgestattet. –

Als diese liebenswürdige Person ihren Neffen gewahrte, verschluckte sie erst, ohne ihn anzureden, einen Löffel Haferbrei, den sie eben zum Munde führte, und da derselbe noch sehr heiß war, so vermehrte der Schmerz beim Hinabgleiten durch die Kehle in den Magen die üble Laune, mit welcher der Neffe nun empfangen werden sollte.

»Der Teufel hole den, welcher den Brei gekocht!« war der Ausruf, mit dem er den Haferbrei begrüßte.

»Der Brei ist gut genug,« sagte Frau Alison, »wenn Ihr Euch nur Zeit beim Essen nehmen wolltet. Ich hab' ihn selbst gekocht; aber wenn die Leute keine Geduld haben, sollten sie ihre Kehle pflastern lassen.«

»Stille, Alison, ich spreche mit meinem Neffen. – Was ist das, junger Herr? Auf welchen unordentlichen Wegen geht Ihr? Ihr seid gestern erst um Mitternacht nach Hause gekommen.«

»So um Mitternacht herum, Sir, glaub' ich,« antwortete Morton.

»So um Mitternacht herum, – was ist das für eine Antwort, Sir? Warum kamt Ihr nicht heim, als andere Leute den Ort verließen?«

»Ich glaube, Ihr wißt die Ursache recht gut, Sir,« sagte Morton. »Ich hatte das Glück, der beste Schütze des Tages zu sein, und blieb, nach hergebrachter Weise, die anderen jungen Leute zu bewirthen.«

»Das dank' Euch der Teufel, Sir! Und das sagt Ihr mir noch in's Gesicht? Ihr untersteht Euch, Leute zu bewirthen, und könnt zu keinem Mittagessen kommen, wenn Ihr nicht einem wirthlichen Manne, wie mir, auf dem Halse liegt? Soll ich es aber einmal bezahlen, so müßt Ihr auch dafür arbeiten. Ich sehe nicht ein, warum Ihr nicht den Pflug handthieren sollt, jetzt, da uns unser Ackerknecht verlassen hat; es würde Euch besser anstehen, als Euer grünes Kleid, und als daß Ihr Euer Geld in Pulver und Blei verzettelt; das wäre ein rechtschaffener Beruf und brächte Euch zu Brod, ohne daß Ihr Jemand zur Last fielet.«

»Ich bin sehr begierig, einen solchen Beruf zu lernen, Sir, aber ich verstehe mich nicht darauf, den Pflug zu führen.«

»Und warum nicht? Es ist leichter als Schießen und mit Armbrüsten umzugehen, was doch Eure Leidenschaft ist. Der alte David versteht es jetzt. Die ersten zwei oder drei Tage könnt Ihr den Ochsentreiber machen, seht nur zu, daß Ihr das Vieh nicht übertreibt, und dann könnt Ihr selbst an den Pflug. Jünger könnt Ihr nicht zum Lernen kommen, ich versichere Euch. Auf dem Haggieholm ist ein schweres Land, und David ist zu alt, um noch angreifen zu können, wie vormals.«

»Verzeiht, daß ich Euch unterbreche, Sir; aber ich habe mir selbst einen Plan entworfen, der Euch von mir befreit.«

»So, wirklich? Ein Plan von Euch? Das wird etwas Rechtes sein!« sagte der Oheim mit dem ihm eigenen Hohne. »Laßt doch hören!«

»Das ist mit zwei Worten gesagt, Sir. Ich beabsichtige das Land zu verlassen und in fremde Dienste zu treten, wie mein Vater that, ehe diese unglücklichen Unruhen in der Heimath ausgebrochen. Sein Name wird noch nicht ganz vergessen sein in den Ländern, wo er diente, und wird seinem Sohne wenigstens die Gelegenheit verschaffen, als Soldat sein Glück zu versuchen.«

»Daß sich Gott erbarme!« rief die Haushälterin. »Unser junger Herr Heinrich will in die Fremde? Nein, nein, nein, das soll nimmermehr geschehen!«

Milnwood, der nicht die geringste Absicht hatte, sich von seinem Neffen zu trennen, welcher ihm in vielen Beziehungen nützliche Dienste leistete, war wie vom Donner gerührt, als er diese plötzliche Unabhängigkeitserklärung eines Menschen vernahm, dessen Unterwürfigkeit gegen ihn bisher keine Grenze gehabt hatte. Er besann sich indeß bald wieder.

»Und wer wird Euch, junger Mann, die Mittel geben zu einer solchen wilden Gänsejagd? – Ich gewiß nicht! Ich kann mich selbst kaum erhalten. Und wahrscheinlich wollt Ihr auch heirathen, wie Euer Vater, und Eurem Oheim einen Pack kleiner Kinder heimschicken, daß sie in meinen alten Tagen mein Haus mit Toben und Kreischen erfüllen und davonfliegen, wie Ihr selbst, wenn man von ihnen verlangt, daß sie Etwas thun und arbeiten sollen?«

»Ich denke nicht daran, mich je zu verheirathen,« antwortete Heinrich.

»Hört doch einmal an!« sagte die Haushälterin. »Eine Schande ist's, ein hübsches junges Blut so reden zu hören, da alle Welt weiß, daß sie heirathen, oder was Schlimmeres thun müssen.«

»Schweigt, Alison,« sagte ihr Herr. »Und Ihr, Heinrich,« fügte er in einem sanfteren Tone hinzu, »entschlagt Euch dieses Unsinns, – das kommt daher, daß Ihr einen Tag lang Soldaten gespielt habt, merkt Euch, daß Ihr zu solchen unsinnigen Planen kein Geld habt.«

»Ich bitte um Verzeihung, Sir; meine Bedürfnisse sind sehr gering, und wenn Ihr mir nur die goldene Kette geben wolltet, die der Markgraf meinem Vater nach der Schlacht bei Lützen umhing –«

»Der Himmel sei uns gnädig! Die goldene Kette!« rief der Oheim.

»Die goldene Kette!« wiederholte die Haushälterin, erstaunt über die kecke Anforderung.

»Ich will einige Glieder davon aufbewahren,« fuhr Morton fort, »um mich an den zu erinnern, der sie gewann, und an den Ort, wo sie gewonnen wurde. Das Uebrige soll mir die Mittel bieten, derselben Bahn zu folgen, auf der mein Vater jenen Beweis der Auszeichnung erhielt.«

»Ihr himmlischen Mächte! Mein Herr trägt sie jeden Sonntag,« rief die Haushälterin.

»Sonntag und Samstag,« fügte der alte Milnwood hinzu, »so oft ich mein schwarzes Sammetkleid anziehe, und Wylie Mactrickit ist zum Theil der Meinung, es sei eine Art Erbstück, das eher dem Haupt des Hauses, als dem unmittelbaren Nachkommen zusteht. Sie hat dreitausend Glieder; ich hab' sie an die tausend Male gezählt. Sie ist dreihundert Pfund Sterling werth.«

»Das ist mehr, als ich brauche, Sir; wenn Ihr mir den dritten Theil des Geldes und fünf Glieder der Kette gebt, so ist dies für mich hinreichend, und das Uebrige wird ein kleiner Ersatz sein für die Unkosten und die Unruhe, die ich Euch verursachte.«

»Der Junge ist toll!« rief der Oheim. »Ach Gott, was soll denn aus Milnwood werden, wenn ich einmal todt bin? Der wärfe die Krone von Schottland hinweg, wenn er sie hätte.«

»Still, Sir,« sagte die alte Haushälterin, »ich muß sagen, zum Theil seid Ihr selbst Schuld daran. Ihr müßt ihn nicht zu sehr drücken, und da er doch einmal in's Wirthshaus gegangen, sollt Ihr auch billig die Zeche bezahlen.«

»Wenn's nicht über zwei Thaler ist, Alison,« sagte der Oheim mit großem Widerstreben.

»Ich will es selbst mit Niel Blane abmachen, sobald ich hinabkomme, billiger als Ew. Edeln und Herr Heinrich,« sagte Alison, und flüsterte sodann Heinrich zu: »Plagt ihn nicht mehr, ich will das Uebrige aus dem Buttergelde bezahlen, und nun kein Wort mehr darüber.« Dann fuhr sie laut fort: »Und Ihr müßt dem jungen Herrn nichts mehr vom Pfluge sprechen; es sind arme Whigs genug im Lande, die das für einen Bissen Brod und einen Teller Suppe gern thun – es schickt sich für sie besser, als für seines Gleichen.«

»Dann kriegen wir die Dragoner auf den Hals, wenn wir geächtete Rebellen in unser Haus aufnehmen,« sagte Milnwood. »Da bringt Ihr uns in eine saubere Geschichte! – Aber nehmt jetzt Euer Frühstück, Heinrich, und legt dann Euern neuen grünen Rock ab, und zieht Euern grauen Hausrock an. Das ist eine haushälterische Kleidung, und paßt für Euch besser, als Pluderhosen und die Bänder.«

Morton verließ das Zimmer, klar einsehend, daß er jetzt unmöglich seinen Zweck erreichen werde, vielleicht auch nicht ganz unzufrieden über die Hindernisse, die sich seinem Plane, die Nachbarschaft von Tillietudlem zu verlassen, entgegenzustellen schienen. Die Haushälterin folgte ihm in das nächste Zimmer, klopfte ihm auf die Schulter, und bat ihn folgsam zu sein, und seine schönen Kleider abzulegen.

»Ich will Euch den Hut herunterkrämpen, und Bänder und Schleifen aufheben,« sagte die dienstfertige Frau; »Ihr müßt aber nie wieder davon sprechen, das Land zu verlassen, oder die goldene Kette zu verkaufen. Euer Oheim hat ein besonderes Vergnügen daran, Euch anzusehen und die Glieder der Kette zu zählen, und Ihr wißt, alte Leute können nicht ewig leben; so wird Kette, Gut und Alles bald das Eure, und dann könnt Ihr eine Dame im Lande heirathen, und ein hübsches Haus zu Milnwood halten, denn an Mitteln gebricht's wahrlich nicht; und ist das nicht der Mühe werth, daß man darauf wartet, mein Täubchen?«

In dem letzten Theil der Weissagung lag Etwas, das in Mortons Ohr so angenehm tönte, daß er der Alten herzlich die Hand schüttelte, und ihr versicherte, er sei ihr für den guten Rath sehr verbunden, und wolle ihn genau erwägen, bevor er seinen frühern Entschluß auszuführen sich anschicke.


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