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Siebenunddreißigstes Kapitel.

Wie viele Zähren bitt'rer Leiden!
Wie oft gestorben, eh' wir scheiden!
Gebroch'ne Freundschaft schlägt uns Wunden,
Und Jugendlieb' auf ewig hingeschwunden.

Logan.

 

Cuddie kehrte bald zurück und versicherte den Fremden in munterem Tone, daß das Pferd versorgt sei und daß sein Weib ein Bett bereiten werde, besser und bequemer, als bei ihres Gleichen gefunden werden könne.

»Ist die Herrschaft zu Hause?« fragte der Fremde stotternd.

»Nein, Herr; sie sind fort mit allen Dienstboten – sie halten jetzt nur zwei; meine Frau hat die Aufsicht und die Schlüssel, das thut sie umsonst. Sie ist bei der Herrschaft geboren und erzogen, und darum vertraut man ihr Alles an. Wenn sie hier wären, würden wir uns ohne ihren Befehl nicht so viel Freiheit herausnehmen; sind sie aber fort, sehen sie's wohl gern, wenn wir einen fremden Herrn bewirthen. Fräulein Bellenden würde der ganzen Welt helfen, wenn sie könnte, und ihre Großmutter hat mächtigen Respect vor dem Adel; doch ist sie nicht hart gegen niedere Leute. – Aber, Weib, warum dauert's so lange?«

»Nur ruhig, Männchen,« erwiderte Jenny; »'s wird schon zur rechten Zeit kommen. Ich weiß recht gut, Du hast die Suppe gern heiß.« –

Cuddie schmunzelte und es folgte nun ein Zwiegespräch zwischen ihm und seiner Frau, an dem der Fremde nur wenig Theil nahm. Endlich aber unterbrach er sie plötzlich mit der Frage: »Könnt Ihr mir sagen, wann Lord Evandale's Hochzeit gefeiert wird?«

»Sehr bald vermuthlich,« antwortete Jenny, ehe ihr Mann Zeit zum Reden hatte; »sie wäre schon längst gewesen, wenn nicht der alte Major gestorben wäre.«

»Der treffliche Greis!« sagte der Fremde. »Ich hab' es schon in Edinburgh gehört. – War er lange krank?«

»Seit seine Schwägerin und Nichte aus dem Eigenthum vertrieben waren, konnte er nicht mehr auf. Um den Prozeß zu führen, hatte er sich in Schulden gesteckt, – aber es war am Ende von König Jakobs Regierung – und Basil Olifant, der die Länderei in Anspruch nahm, wurde katholisch, um denen am Ruder zu schmeicheln, und so konnte man ihm nichts abschlagen. Die Frauen verloren also den Prozeß, nachdem sie sich ein liebes langes Jahr gewehrt, und, wie ich vorhin sagte, dir Major kam nie wieder auf. Dazu kam noch die Vertreibung der Stuarts, und obgleich er nur wenig Ursache hatte, sie zu lieben, so könnt' er's doch nicht überwinden, und es brach ihm das Herz, und dann kamen die Gläubiger nach Charnwood und machten leere Bahn, – er war nie reich, der gute alte Mann; denn er konnte kein Menschenkind darben sehen.«

»Ja, ja,« sagte der Fremde mit gepreßter Stimme, – »er war ein herrlicher Mann, das heißt, ich hab' ihn oft so loben hören. – Die Damen sind also jetzt ohne Vermögen und Beschützer?«

»So lange Lord Evandale lebt,« sagte Jenny, »sind Beide versorgt; er ist ein aufrichtiger Freund in ihrem Kummer gewesen. Wohnen sie doch sogar im Hause Seiner Herrlichkeit, und, wie meine alte Schwiegermutter zu sagen pflegte, seit dem Erzvater Jakob hat kein Mann so lange und so treu um ein Weib gedient, als der gute Lord Evandale.«

»Und warum,« fragte der Fremde mit bewegter Stimme, »warum ward ihm nicht schon früher der Gegenstand seiner Zuneigung?«

»Es mußte erst ein Prozeß beendigt werden,« sagte Jenny hastig, »und dann gab's andere Umstände.«

»Freilich, aber es war noch ein anderer Grund,« sagte Cuddie, »die junge Lady – –«

»Halt's Maul und iß deine Suppe,« sagte seine Frau; »ich sehe, der Herr ist nicht recht wohl, unser schlechtes Essen mundet ihm nicht, – ich will ihm sogleich ein Hinkel schlachten.«

»Laßt das!« sagte der Fremde; »ich wünsche nur ein Glas Wasser und möchte allein sein.«

»So bemüht Euch mir zu folgen,« sagte Jenny und nahm eine kleine Laterne; »ich will Euch den Weg weisen.«

Auch Cuddie bot seinen Beistand an; aber sein Weib erinnerte ihn, die Kinder würden sich raufen, wenn man sie allein ließe, oder könnten sich einander in's Feuer stoßen – so daß er zurückbleiben mußte.

Seine Frau führte den Fremden auf einem von Heckenrosen und Geisblatt eingefaßten Pfade nach der Hinterthüre des Gartens. Jenny schob den Riegel auf und Beide gingen nun durch einen altvaterischen Blumengarten mit verschnittenen Taxushecken zu einer Glasthüre, welche sie mit einem Hauptschlüssel öffnete; dann steckte sie ein Licht an, stellte es aus einen kleinen Arbeitstisch und bat ihn, einige Minuten hier zu verweilen, um sein Schlafgemach in Ordnung zu bringen. Als sie nach einigen Minuten zurückkehrte, sah sie mit Schrecken, daß der Fremde mit dem Kopfe vorwärts auf den Tisch gesunken war, was sie einer Ohnmacht zuschrieb. Als sie sich aber näherte, ward es ihr durch das abgebrochene Schluchzen des Fremden klar, daß dieser von einem bittern Seelenschmerz ergriffen war. Vorsichtig zog sie sich ein wenig zurück, bis er sein Haupt erhob, dann trat sie näher, ohne ihn merken zu lassen, daß sie seine Gemüthsbewegung wahrgenommen, und sagte ihm, sein Bett sei jetzt fertig. Der Fremde starrte sie einen Augenblick an, als suche er den Sinn ihrer Worte zu errathen; sie wiederholte sie, und er gab ihr durch eine leise Bewegung des Kopfes zu erkennen, daß er sie verstanden habe. Er trat in's Gemach, dessen Thüre sie ihm bezeichnet. Es war ein kleines Schlafzimmer, dessen sich, wie sie sagte, Lord Evandale bediente, wenn er nach Fairy-Knowe kam; auf einer Seite grenzte es an ein kleines, mit Porzellan verziertes Zimmerchen, dessen Thüre in den Garten führte, auf der andern an einen Saal, von dem es nur durch eine dünne Holzwand getrennt war. Als Jenny dem Fremden gute Besserung und angenehme Ruhe gewünscht, ging sie schnell in ihre eigene Wohnung.

»Ach, Cuddie,« rief sie bei ihrer Rückkehr ihrem Gatten zu; »ich glaube, wir sind verloren!«

»Was gibt's denn?« erwiderte Cuddie ruhig; denn er gehörte zu den Leuten, die nicht leicht aus der Fassung kommen.

»Wer denkst du, daß der Herr ist? – O hättest du ihn nie gebeten, abzusteigen!« seufzte Jenny.

»Aber wer zum Teufel ist's denn? 's ist jetzt kein Gesetz mehr, daß man Niemand beherbergen und mit Niemand verkehren soll,« sagte Cuddie; »drum sei er meinetwegen Whig oder Tory, was schiert's uns?«

»Aber 's ist Jemand, der Lord Evandale's Heirath in den Weg treten kann, wenn wir nicht besser auf der Hut sind,« sagte Jenny; »'s ist Fräulein Editha's Liebster, dein ehemaliger Herr, Cuddie.«

»Der Teufel, Weib!« rief Cuddie aufspringend, »hältst du mich für blind? den Herrn Heinrich Morton will ich unter Hunderten heraus kennen.«

»Ei, blind bist du freilich nicht, lieber Cuddie; aber du merkst nicht Alles so schnell wie ich.«

»Nun, was hast du denn an dem Mann gesehen, das unserem Herrn Heinrich ähnlich sieht?«

»Das will ich dir sagen. Als er uns so sein Gesicht verbarg und mit verstellter Stimme sprach, da war mir's nicht ganz richtig; nun wärmte ich alte Geschichten auf, und wie ich von der Suppe sprach, da lachte er zwar nicht – dazu ist er jetzt zu betrübt, – aber er zwinkerte mit den Augen, daß ich gleich sah, er verstund' es schon. Sein ganzer Kummer ist wegen Fräulein Editha's Heirath. Hab' mein Lebtage keinen Mann gesehen, den Liebestreu' so niedergedrückt – ja, weder Mann noch Weib; – doch fällt mir ein, wie es Fräulein Editha schlimm wurde, als sie hörte, daß er und du (du garstiger Mensch) mit den Rebellen nach Tillietudlem kämet. – Aber was ist dir denn jetzt?«

»Was mir ist?« sagte Cuddie, indem er einige der abgelegten Kleider wieder anzog, »soll ich denn nicht aus der Stelle meinen Herrn sehen?«

»Nein, Cuddie, du sollst ihn nicht sehen,« sagte Jenny kalt und entschlossen.

»Der Teufel steckt in dem Weibe!« rief Cuddie; »glaubst du, ich sei so einfältig, um mich von einem Weibe meistern zu lassen?«

»Und von wem willst du dich denn sonst meistern lassen, Cuddie? Ich will dir's gleich auseinandersetzen. Keiner weiß sonst, daß dieser junge Herr noch lebt, und weil er sich so fremd hält, hat er, glaub' ich, die Absicht, wenn er findet, daß Fräulein Editha schon verheirathet ist, oder sich eben verheirathen will, sich wieder heimlich fortzumachen, um keine Unruhe zu verursachen. Wenn aber Fräulein Editha erführe, daß er noch lebt, wahrhaftig, wenn sie mit Lord Evandale schon am Altar stünde, so würde sie »nein« sagen, wenn sie »ja« sagen sollte.«

»Gut, aber was geht das mich an?« sagte Cuddie. »Wenn das Fräulein ihren alten Liebsten lieber hat, als ihren neuen, warum sollte sie nicht so gut ihre Meinung ändern dürfen, wie andere Leute? – Du weißt ja, Jenny, Halliday behauptet immer noch, er habe ein Versprechen von dir.«

»Halliday ist ein Lügenmaul und du bist ein Esel, daß du ihn anhörst. – Und dann, was die Wahl des Fräuleins betrifft, daß sich Gott erbarme! – Du kannst versichert sein, alles Geld und Gut, was der gute Herr Morton hat, trägt er aus dem Leibe, wie kann er da Lady Margaretha und das Fräulein erhalten?«

»Ist denn nicht Milnwood da?« sagte Cuddie. »Der alte Herr hat zwar seiner Haushälterin die Einkünfte lebenslänglich überlassen, da er nichts mehr von seinem Neffen hörte; aber durch ein gutes Wort bringt man's bei dem alten Weib fertig, und dann können sie Alle hübsch zusammen leben, Lady Margaretha und Alle.«

»Still! Du kennst die vornehmen Damen nicht, wenn du glaubst, sie würden mit der alten Ailie Wilson zusammen leben; sind sie doch fast zu stolz, um selbst von Lord Evandale was zu nehmen. Nein, nein, sie müßte mit in's Feld ziehen, wenn sie Morton nähme.«

»Das würde der alten Lady schlecht anstehen,« sagte Cuddie: »im Bagagewagen hielt' sie's kaum einen Tag aus.«

»Und was würden sie sich herumzanken über Whigs und Tories,« fuhr Jenny fort.

»Gewiß, in diesem Punkte ist die alte Lady sehr kitzlich,« sagte Cuddie.

»Und dann, Cuddie,« fuhr seine Ehehälfte fort, welche nun mit dem schweren Geschütz ihrer Beweisgründe heranrückte, »was wird aus unserm Häuschen, dem Küchengarten und dem Gras für die Kuh, wenn die Heirath mit Lord Evandale abgebrochen wird? – Dann müßten wir ja mit den armen Würmern in die weite Welt!«

Hier fing Jenny an zu weinen, und Cuddie lief wie die leibhafte Unentschlossenheit auf und ab. Endlich brach er los: »Nun, kannst du mir nicht sagen, was ich thun soll, Frau?«

»Gar nichts sollst du thun,« sagte Jenny. »Thue als wenn du gar nichts wüßtest von diesem Herrn, und laß ja kein Wort fallen, daß er hier oder im Herrenhause gewesen ist. – Wenn ich's früher gewußt hätte, mein eigenes Bett würde ich ihm gegeben haben; ich hätte lieber im Stalle geschlafen, oder ihn weiter reiten lassen; jetzt aber ist's zu spät. Das Beste ist, wir bringen ihn morgen mit guter Art fort, und hoffentlich wird er keine Eile haben, wiederzukommen.«

»Mein armer Herr!« rief Cuddie. »Ach, soll ich gar nicht mit ihm sprechen?«

»Bei Leibe nicht! Du bist nicht gezwungen, ihn zu kennen. Ich hätte es dir auch gar nicht gesagt; ich fürchtete aber, du würdest ihn am andern Morgen wiedererkennen.«

»Gut,« seufzte Cuddie; »ich will gehen, das äußerste Feld zu pflügen; denn wenn ich nicht mit ihm sprechen soll, so will ich lieber gar nicht zu Hause sein.«

»Schön, liebes Männchen. Kein Mensch hat mehr Verstand, als du, wenn du erst mit Jemand über deine Sachen gesprochen hast; aber nach deinem Kopfe allein darfst du nie Etwas thun.«

»Das muß wohl wahr sein,« sagte Cuddie; »denn ich habe immer ein altes Weib, oder ein Mädchen, oder sonst Jemand gehabt, die mich ihren eigenen Weg führten, statt den meinigen. – Erst war's meine Mutter,« fuhr er fort, indem er sich auszog und in's Bett purzelte – »dann kam Lady Margaretha, da blieb mir nicht einmal mein bischen Seele – dann zankte sich meine Mutter mit ihr. Die Eine stieß mich dahin, die Andere dorthin, und sie rauften sich um mich, wie der Teufel und der Hanswurst um den Bäcker aus dem Jahrmärkte, – und jetzt habe ich ein Weib,« murmelte er, als er sich tiefer in die Federn steckte – »die will nun Alles mit mir machen.«

»Habe ich dich nicht immer am besten geleitet?« sagte Jenny, indem sie sich neben ihren Mann legte, das Licht auslöschte und so die Unterredung schloß.

Wir überlassen dieses Paar der Ruhe, und berichten unsern Lesern, daß am nächsten Morgen in aller Frühe zwei Damen zu Pferde mit Bedienung zu Fairy-Knowe ankamen, welche Jenny zu ihrer größten Bestürzung augenblicklich als Fräulein Bellenden und Lady Emilie Hamilton, eine Schwester Lord Evandale's, erkannte.

»Wär's nicht besser, ich ginge zuerst in's Herrenhaus und brächte Alles in Ordnung?« sagte Jenny, bestürzt über diese unerwartete Erscheinung.

»Wir brauchen nur den Hauptschlüssel,« sagte Fräulein Bellenden. »Gudyill soll die Fenster im kleinen Gesellschaftszimmer öffnen.«

»Das ist verschlossen und das Schloß schadhaft,« erwiderte Jenny, die sich sogleich der Verbindung erinnerte, welche dieses Zimmer mit dem Schlafgemach ihres Gastes hatte.

»Nun denn im rothen Zimmer,« sagte Fräulein Bellenden, und ritt nach der Vorderseite des Hauses, aber auf einem andern Wege, als Morton hingeführt worden war.

»Wenn ich ihn nicht hintenherum aus dem Hause schmuggeln kann, ist Alles aus,« dachte Jenny, und eilte in großer Verwirrung dem Wege zu. »Hätte ich doch lieber gleich gesagt, es sei ein Fremder hier,« war ihr nächster Gedanke. »Aber dann hätten sie ihn zum Frühstücke eingeladen. Du lieber Himmel, was ist nun zu thun? – Und da geht auch noch der Gudyill im Garten, und so lange der nicht fort ist, darf ich mich nicht hineinwagen. Ach Gott, was wird aus uns werden?«

In dieser Verlegenheit näherte sie sich dem ci-devant Kellermeister, in der Absicht, ihn aus dem Garten zu locken. Aber John Gudyills Temperament hatte sich auch jetzt noch nicht verändert. Wie viele andere mürrische Leute hatte er eine ganz genaue Vorstellung von dem, was die Leute quälen mußte, mit denen er umging, und jetzt dienten Jenny's Anstrengungen, ihn aus dem Garten zu bringen, nur dazu, ihn darin noch fester Wurzel fassen zu lassen.

Zum Unglück war er während seines Aufenthalts zu Fairy-Knowe ein Blumist geworden; er überließ demnach alles Andere Lady Emiliens Diener zur Besorgung, und widmete sich ganz den Blumen, die er unter seinen besondern Schutz genommen, und während er grub, stängelte und wässerte, sprach er immer von den Eigenschaften dieser Blumen mit der armen Jenny, welche zitternd dastand und vor Angst, Furcht und Ungeduld fast aufschrie.

Das Schicksal schien diesen Morgen durchaus gegen Jenny zu sein. Sobald die Damen in's Haus traten, bemerkten sie, daß die Thüre des kleinen Gesellschaftszimmers, und zwar just dasselbe, in das sie nicht kommen sollten, weil es an das Zimmer stieß, in dem Morton schlief, nicht nur unverschlossen, sondern sperrweit offen stehe. Fräulein Bellenden war zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, um dies zu beachten; sie befahl dem Diener, die Laden zu öffnen, und ging mit ihrer Freundin in's Zimmer.

»Er ist noch nicht gekommen,« sagte sie. »Was kann Euer Bruder beabsichtigen mit dem so sehnlichen Wunsche, daß wir ihn gerade hier treffen sollen? Warum nicht im Schlosse Dinan, wie er vorschlug? – Ich gestehe, theure Emilie, daß ich, obgleich mit ihm versprochen, und obgleich Ihr selbst zugegen seid, doch nicht recht gethan habe, ihm nachzugeben.«

»Evandale war nie launenhaft,« antwortete Emilie. »Gewiß hat er seine Gründe, und ist das nicht der Fall, so will ich Euch helfen, ihn auszuschelten.«

»Was ich besonders fürchte,« sagte Editha, »ist, daß er sich in dieser unseligen, unruhigen Zeit in einen Anschlag eingelassen hat. Ich weiß, sein Herz ist bei dem fürchterlichen Claverhouse und dessen Heere, und ich glaube, ohne meines Oheims Tod, der ihm um unsertwillen so viele Mühe und Sorgen gemacht hat, würde er sich ihm schon längst angeschlossen haben. Wie sonderbar, daß ein so verständiger Mann, der die Fehler der vertriebenen Familie so klar einsieht, bereit ist, Alles für ihre Wiederherstellung zu wagen!«

»Was kann ich sagen?« antwortete Lady Emilie; »es ist bei Evandale eine Ehrensache. Unsere Familie ist immer loyal gewesen – er diente lange unter der Garde, – der Viscount von Dundee war lange Jahre sein Freund und Befehlshaber – viele seiner Verwandten, welche seine Unthätigkeit dem Mangel an Muth zuschreiben, sehen ihn scheel an. Ihr müßt wissen, theuerste Editha, wie oft Familienverbindungen und eine früh gefaßte Zuneigung auf unsere Handlungen größern Einfluß haben, als bloße Vernunftgründe. Aber ich glaube, Evandale wird sich ruhig verhalten; obgleich ich, die Wahrheit zu gestehen, glaube, daß nur Ihr ihn zurückhalten könnt.«

»Und wie ist dies in meiner Macht?« fragte Fräulein Bellenden.

»Ihr könnt ihm die Entschuldigung aus der Bibel verschaffen: ›er hat ein Weib geheirathet, und kann deshalb nicht kommen.‹«

»Ich habe wohl mein Versprechen gegeben,« sagte Editha mit schwacher Stimme; »aber ich hoffe, man wird mich wegen der Zeit nicht drängen.«

»Nun, ich will es Evandale selbst überlassen, seine Sache zu führen,« sagte Lady Emilie. »Aber hier kommt er schon.«

»Um Gotteswillen, bleibt!« sagte Editha, und suchte sie zurückzuhalten.

»Nein, nein!« sagte die junge Dame, sich losmachend; »bei solchen Dingen ist eine dritte Person überflüssig. Wenn Ihr mich zum Frühstücke haben wollt: ich bin in der Weidenallee am Flusse.«

Als sie aus dem Zimmer hüpfte, trat Lord Evandale ein. – »Guten Morgen, Bruder; Adieu bis zum Frühstücke,« sagte das lebhafte Mädchen. »Ich hoffe, du wirst dem Fräulein Bellenden triftige Gründe anführen, warum du sie schon am frühen Morgen gestört hast.«

Mit diesen Worten ließ sie Beide allein.

»Und nun, Mylord,« sagte Editha, »darf ich wohl fragen, warum Ihr uns auf so sonderbare Weise gebeten habt, Euch hier in aller Frühe zu treffen?«

Sie wollte noch hinzufügen, daß sie sich kaum entschuldigen könne, seine Bitte erfüllt zu haben; aber als sie ihn genauer ansah, trat sie stumm zurück vor seinen seltsam bewegten Zügen, und rief: – »Um Gotteswillen, was geht vor?«

»Seiner Majestät treue Unterthanen haben einen großen entscheidenden Sieg bei Blair of Athole errungen; aber ach, meine schöne Freundin, Lord Dundee –«

»Ist gefallen?« sagte Edith«, ihn unterbrechend.

»Ja, – gefallen in den Armen des Sieges, und nun ist Niemand da, der Talent und Einfluß besitzt, seine Stelle in König Jakobs Diensten auszufüllen. Editha, es ist nicht mehr Zeit, mit unserer Pflicht zu säumen. Ich habe meine Leute aufbieten lassen, und muß noch diesen Abend von Euch scheiden.«

»Thut das nicht, Mylord,« antwortete Edith«. »Euer Leben ist Euern Freunden nothwendig; verschwendet es nicht an ein solch unbesonnenes Abenteuer. Was vermögt Ihr mit Euren wenigen Leuten gegen die Macht von beinahe ganz Schottland, die hochländischen Clans allein ausgenommen?«

»Hört mich an, Ediths,« sagte Lord Evandale. »Ich bin nicht so unbesonnen, als Ihr vielleicht meint; auch sind meine gegenwärtigen Gründe nicht so unbedeutend, daß sie nur aus diejenigen Einfluß haben sollten, die persönlich von mir abhängen. Die Leibgarden, unter denen ich so lange gedient, haben trotz ihrer neuen Organisation und der neuen, vom Prinzen von Oranten bestallten Officiere, noch immer eine Vorliebe für ihren rechtmäßigen Herrn; und« – hier flüsterte er, gleichsam fürchtend, die Wände könnten Ohren haben – »sobald man erfährt, daß mein Fuß im Steigbügel steht, haben zwei Reiterregimenter geschworen, aus des Usurpators Diensten zu treten und unter meinen Befehlen zu dienen. Sie warteten nur, bis Dundee in die Niederlande herabkäme; – da er aber nicht mehr ist, welcher von seinen Nachfolgern wird wohl, wenn nicht durch die Erklärung der Truppen ermuthigt, diesen entscheidenden Schritt wagen? Unterdessen erlischt der Eifer der Soldaten. Ich muß sie zur Entscheidung bringen, so lange ihr Muth noch glüht vom Siege ihres alten Feldherrn und so lange sie noch brennen, seinen frühzeitigen Tod zu rächen.«

»Und auf die Treue solcher Menschen, wie diese Soldaten, bauend, wollt Ihr einen so entsetzlichen Entschluß fassen?« sagte Editha.

»Ich muß!« entgegnete Lord Evandale; »meine Ehre und Treue sind dafür verpfändet.«

»Und das Alles,« fuhr Fräulein Bellenden fort, »wegen eines Fürsten, dessen Handlungsweise aus dem Throne Niemand mehr verdammte, als Lord Evandale?«

»Sehr wahr!« erwiderte dieser; »und so wie ich, während er auf der höchsten Stufe seiner Macht stand, als ein freigeborner Unterthan seine Neuerungen in Staat und Kirche verwarf; eben so bin ich jetzt entschlossen, für seine wahren Rechte zu kämpfen, da er im Unglück ist. Mögen Höflinge und Augendiener dem Glücke schmeicheln, das Unglück verlassen; ich verabscheue Beides.«

»Und wenn Ihr durchaus entschlossen seid, das zu thun, was meine schwache Einsicht immer noch unbesonnen nennen muß, wozu ist unser Zusammentreffen?«

»Wäre nicht die Antwort hinreichend, daß ich meiner Verlobten ein Lebewohl sagen wollte, ehe ich in die Schlacht eile? – Das heißt meine Gefühle kalt beurtheilen, und zeigt mir nur zu sehr Eure Gleichgültigkeit, daß Ihr erst nach dem Grunde eines so natürlichen Verlangens fragt.«

»Aber warum just hier, Mylord?« fragte Edith« – »und warum so geheimnißvoll?«

»Weil ich,« erwiderte er, und übergab ihr einen Brief, »weil ich noch eine andere Bitte habe, die ich kaum auszusprechen wage, selbst wenn sie durch dieses Beglaubigungsschreiben eingeleitet wird.«

Hastig und erschreckt durchlas Editha den Brief, der von ihrer Großmutter war, und folgendermaßen lautete:

»Mein liebes Kind! Nie habe ich meine Gicht, die mich am Reiten hindert, mehr bedauert, als jetzt, da ich dies schreibe, und nichts sehnlicher wünsche, als da zu sein, wo dies Papier bald sein wird, nämlich zu Fairy-Knowe, beim einzigen Kinde meines armen, theuren Willie. Aber es ist der Wille Gottes, daß ich nicht bei ihm sein soll, was ich sowohl aus den Schmerzen schließe, die mich jetzt heimsuchen, als auch, weil weder Kamillensäckchen, noch Senfpflaster helfen wollen. Daher muß ich dir schriftlich, statt mündlich sagen, daß Lord Evandale, durch Ehre und Pflicht in den gegenwärtigen Feldzug gerufen, mich ernstlich gebeten hat, daß die Bande der heiligen Ehe zwischen dir und ihm vorher geknüpft würden zur Erfüllung des früher feierlich abgelegten Versprechens. Da ich kein vernünftiges Hinderniß wahrnehme, so hoffe ich auch, daß du, von jeher ein gutes, gehorsames Kind, kein unvernünftiges ersinnen wirst. Freilich sind die Verbindungen unseres Hauses bisher unserem Range angemessener gefeiert, und nicht insgeheim und ohne Zeugen vollzogen worden, als geschehe es in einem Winkel. Aber es ist des Himmels freier Wille, sowie der des Königreichs gewesen, in dem wir leben, uns unsere Güter und dem Könige seinen Thron zu nehmen. Doch hoffe ich, Er wird den rechtmäßigen Erben wieder auf den Thron setzen und sein Herz bekehren zum wahren bischöflich-protestantischen Glauben, was ich um so mehr noch mit diesen meinen alten Augen zu sehen hoffe, da diese die königliche Familie gesehen, wie sie gekämpft mit den mächtigen Usurpatoren und Rebellen, das heißt, als Seine geheiligte Majestät, Karl II., seligen Andenkens, unser armes Haus Tillietudlem beehrte, indem er daselbst sein Dejeuner einnahm u. s. w.«

Wir wollen die Geduld unserer Leser nicht ferner durch Lady Margaretha's weitschweifigen Brief ermüden. Genug, er schloß mit dem Befehl an ihre Enkelin, ohne Zeitverlust in die Hochzeitsfeier zu willigen.

»Ich habe bis diesen Augenblick nicht geglaubt, daß Lord Evandale unedel handeln kann,« sagte Editha, indem sie den Brief fallen ließ.

»Unedel, Editha?« erwiderte der Bräutigam. »Wie könnt Ihr meinem Wunsche, Euch mein zu nennen, ehe ich vielleicht auf ewig von Euch scheide, diesen Namen geben?«

»Lord Evandale hätte sich erinnern sollen,« sagte Editha, »daß, als seine Beharrlichkeit und, ich muß hinzufügen, eine gebührende Anerkennung seiner Verdienste mir die zögernde Einwilligung entrissen, ich es zur Bedingung machte, nicht zu einer vorschnellen Erfüllung meines Versprechens gezwungen zu werden, und nun bedient er sich seines Einflusses auf meine einzige Verwandte, und bestürmt mich mit so unzarter Zudringlichkeit. In diesem allzudringenden Begehren liegt mehr Selbstsucht, als Großmuth, Mylord!«

Der tiefverletzte Lord ging einige Male auf und ab, ehe er auf diese Beschuldigung antwortete, endlich begann er: – »Ich wäre dieser schmerzenvollen Anklage entgangen, hätte ich sogleich dem Fräulein Bellenden die Hauptursache mittheilen dürfen, die mich zu meiner dringenden Bitte bewog. Eine Ursache, die sie, was ihre Person betrifft, verwerfen, aber um ihrer Großmutter willen gewiß erwägen wird. Falle ich in der Schlacht, so kommen meine Güter an meine Lehenserben; werde ich von dem Usurpator geächtet, so fallen sie dem Prinzen von Oranien oder einem andern holländischen Günstlinge anheim. In beiden Fällen bleibt also meine verehrte Freundin und Braut arm und unbeschützt zurück; doch mit den Rechten und Einkünften einer Lady Evandale bekleidet, wird Editha im Stande sein, ihre alte Verwandte zu unterstützen, und hierin einen Trost finden, daß sie sich herabgelassen, Rang und Vermögen eines Mannes zu theilen, der durchaus nicht behauptet, ihrer würdig zu sein.«

Editha verstummte vor dieser Rechtfertigung, die sie nicht erwartet, und mußte anerkennen, daß Lord Evandale's Begehren eben so zart, als wohlüberlegt ausgesprochen ward.

»Und doch,« sagte sie, »wendet sich mein Herz so seltsam frühern Zeiten zu, daß ich« – hier brach sie in Thränen aus, – »daß ich ein ahnungsvolles Widerstreben gegen die Erfüllung meines Versprechens nach so kurzer Aufforderung kaum unterdrücken kann.«

»Wir haben diesen schmerzlichen Umstand bereits reiflich erwogen,« sagte Lord Evandale, »und ich hoffe, theure Editha, unsere Nachforschungen haben Euch vollkommen überzeugt, daß Euer Schmerz fruchtlos ist.«

»Fruchtlos, ja!« sagte Editha mit einem tiefen Seufzer, der wie durch ein unerwartetes Echo aus dem Nebenzimmer wiederholt wurde. Fräulein Bellenden erschrak und konnte sich kaum fassen, als Lord Evandale versicherte, daß sie nur das Echo ihres eigenen Athemzuges gehört habe.

»Und es klang doch so deutlich und ahnungsvoll,« sagte sie; »aber meine Empfindung ist so gereizt, daß sie von der geringsten Kleinigkeit erschüttert wird.«

Lord Evandale bemühte sich eifrig, ihre Unruhe zu beschwichtigen, und sie mit einer Maßregel zu versöhnen, die, obgleich voreilig, ihm doch das einzige Mittel schien, ihre Unabhängigkeit zu sichern. Er unterstützte seine Ansprüche, indem er sich auf den Ehekontrakt berief, auf ihrer Großmutter Wunsch und Befehl, auf die Zusicherung ihrer Unabhängigkeit, und berührte nur leise seine lange Zuneigung, die er durch so viele und mannigfaltige Dienste bewiesen. Diese fühlte Editha um so mehr, je weniger er sie geltend machte, und da sie endlich seinem Dringen nichts entgegensetzen konnte, als einen unbegründeten Widerwillen, dessen sie sich bei solcher Großmuth schämen mußte, beharrte sie auf der Unmöglichkeit, so schnell, zu solcher Zeit und an einem solchen Orte, die heilige Handlung stattfinden zu lassen.

Aber darauf war Lord Evandale vorbereitet, und mit freudiger Hast sagte er ihr, daß der ehemalige Kaplan seines Regiments nebst einem treuen Diener, der früher Unteroffizier in demselben Corps gewesen, anwesend seien, daß seine Schwester ebenfalls um das Geheimniß wisse, und daß auch Headrigg und seine Frau als Zeugen dienen könnten, wenn es Fräulein Bellenden angenehm sei.

Was den Ort betrifft, so hatte er diesen absichtlich gewählt. Die Ehe sollte ein Geheimniß bleiben; denn. Lord Evandale wollte bald nach der Feier verkleidet abreisen, welche, wenn ihre Vermählung öffentlich vollzogen worden wäre, die Aufmerksamkeit der Regierung auf ihn gelenkt hätte, da man irgend einen gefährlichen Plan vermuthet haben würde. Nach der Erläuterung dieser Gründe und Anordnungen entfernte er sich schnell und ohne eine Antwort abzuwarten, um seine Schwester zu ersuchen, so lange bei der Braut zu bleiben, bis er die nothwendigen Personen herbeigebracht habe.

Lady Emilie fand ihre Freundin in heißen Zähren, deren Grund sie sich kaum erklären konnte, da sie zu den Mädchen gehörte, welche in einer Heirath weder etwas Wunderbares noch Schreckliches erblicken, und wie die Meisten, die ihren Bruder kannten, behauptete sie, es sei gar nicht so furchtbar, wenn Lord Evandale der Bräutigam sei. Diesen Ansichten zufolge erschöpfte sie sich in den bei solchen Gelegenheiten gewöhnlichen Ermuthigungsgründen und Aeußerungen des Mitgefühls. Als aber Lady Emilie ihre zukünftige Schwägerin gegen diese hergebrachten Trostgründe taub sah, – als sie bemerkte, wie die Thränen über die marmorbleichen Wangen flössen, – als sie fühlte, daß die Hand, welche in der ihrigen ruhte, leichenkalt war, und ihre Liebkosungen weder fühlte noch erwiderte: da wich ihre Sympathie dem gekränkten Stolze.

»Ich muß gestehen, Fräulein Bellenden,« sagte sie, »daß ich mir dies Alles nicht zu erklären weiß. Monate sind entschwunden, seit Ihr eingewilligt, meinen Bruder zu heirathen, und immer habt Ihr die Erfüllung Eures Versprechens von einer Zeit zur andern aufgeschoben, als wolltet Ihr einer entehrenden und höchst unangenehmen Verbindung ausweichen. Ich glaube für Lord Evandale stehen zu können, daß er keine Frau gegen ihren Willen besitzen will, und obgleich seine Schwester, kann ich doch kühn behaupten, daß er eine Dame nicht weiter zu drängen braucht, als ihre eigene Neigung sie führt. Verzeiht, Eure jetzige Trauer ist eine schlimme Vorbedeutung für meines Bruders künftiges Glück, und ich muß sagen, daß er diese Aeußerungen des Mißvergnügens und Kummers durchaus nicht verdient, und daß sie eine schlechte Belohnung einer Zuneigung scheinen, die er so lange und so oft an den Tag gelegt.«

»Ihr habt Recht, Lady Emilie,« sagte Editha, ihre Thränen trocknend und ihr gewöhnliches Benehmen zu gewinnen suchend, obgleich ihr Aeußeres nur allzusehr den Zustand ihres aufgeregten Innern verrieth. – »Ihr habt ganz Recht, Lord Evandale verdient eine solche Behandlung von Niemand, am wenigsten aber von der, die er mit seiner Beachtung beehrt. Wenn ich nun aber für's letzte Mal meinem Gefühle allzusehr nachgab, so hab' ich doch den Trost, daß Euer Bruder, Mylady, die Ursache kennt, daß ich ihm nichts verbarg, und daß er wenigstens nicht fürchtet, in Editha Bellenden ein Weib zu finden, das seiner Zuneigung unwürdig ist. Aber dennoch habt Ihr Recht, und ich verdiene Euren Tadel, einen Augenblick fruchtlosen und peinlichen Rückerinnerungen nachgegeben zu haben. Es soll nicht mehr geschehen. Mein Loos ist geworfen mit Lord Evandale, und mit ihm will ich's tragen. Nichts soll in Zukunft seine Klagen oder den Unwillen seiner Verwandten erregen; keine Erinnerung an frühere Tage soll mich verhindern an der eifrigen, liebevollen Erfüllung meiner Pflicht; keine Täuschung soll das Andenken – –«

Bei diesen Worten erhob sie langsam ihre Augen, die sie bisher mit der Hand bedeckt hatte, zu dem halbgeöffneten Gitterfenster des Gemachs, stieß einen furchtbaren Schrei aus und sank hin. Lady Emilie richtete ebenfalls ihre Augen dahin, sah aber nur den Schatten eines Mannes, der vom Fenster zu schwinden schien, und mehr durch Editha's Zustand als durch die Erscheinung erschreckt, schrie sie wiederholt um Hülfe. Evandale kam bald mit dem Kaplan und Jenny Dennison; allein es bedurfte starker, kräftiger Mittel, ehe Editha wieder zu sich kam. Sogar ihre Sprache war wirr und unzusammenhängend.

»Dringt nicht weiter in mich,« sagte sie zu Lord Evandale; »es kann nicht sein, – Himmel und Erde, die Lebenden und die Todten haben sich gegen diese unselige Verbindung verschworen. Nehmt Alles, was ich geben kann, – meine schwesterliche Achtung, – meine ergebenste Freundschaft. Wie eine Schwester will ich Euch lieben, will Euch wie eine Sklavin dienen; aber sprecht mir nicht mehr von einer Heirath.«

Man kann sich leicht Lord Evandale's Erstaunen denken.

»Emilie,« sagte er zu seiner Schwester, »das hast du gethan! – Welcher Dämon brachte mich auf den Gedanken, dich mit herzunehmen! – Du hast sie gewiß durch deine Albernheiten wahnsinnig gemacht.«

»Wahrhaftig, Bruder,« antwortete Lady Emilie, »du allein kannst alle Weiber in Schottland toll machen. Weil deine Liebste geneigt scheint, dich zu hänseln, schmälst du deine Schwester; eben hab' ich deine Sache verfochten, und hatte sie dahin gebracht, mich ruhig anzuhören, als plötzlich ein Mann zum Fenster hereinsieht, den ihre gereizte Phantasie entweder für dich, oder sonst Jemand hielt, und so gab sie uns nun gratis eine tragische Scene zum Besten.«

»Welcher Mann? Welches Fenster?« sagte Lord Evandale unwillig. »Fräulein Bellenden kann nicht mit mir Spott treiben, und doch was sonst – –«

»Still, still!« rief Jenny, die durchaus jede fernere Nachforschung zu verhindern strebte; »um Gotteswillen, Mylord, leise, Mylady fängt an sich zu erholen.«

Editha war kaum wieder zu sich gekommen, als sie mit schwacher Stimme bat, sie mit Lord Evandale allein zu lassen. Nachdem Alle das Zimmer verlassen, bat Editha den Lord, sich zu ihr an's Lager zu setzen. Sie faßte nun seine Hand, drückte sie trotz seines Widerstrebens an ihre Lippen, dann sank sie von ihrem Sessel und umfaßte seine Kniee.

»Vergebt, Mylord!« rief sie – »Vergebt! ich muß unrecht gegen Euch handeln und ein feierliches Wort brechen. Ihr besitzt meine Freundschaft, meine Hochachtung, meine aufrichtigste Dankbarkeit, – noch mehr, Ihr besitzt mein Wort und meine Treue – aber vergebt mir, ach! es ist nicht meine Schuld – meine Liebe habt Ihr nicht, und ich kann Euch nicht heirathen ohne Sünde.«

»Ihr träumt, theuerste Editha!« sagte Evandale bestürzt – »Eure Einbildung täuscht Euch. Der Mann, den Ihr mir vorgezogen, ist längst in einer bessern Welt, dahin Eure Sehnsucht ihm nicht folgen kann, und könnte sie es auch, so würde sie seine Seligkeit nur vermindern.«

»Ihr irrt, Lord Evandale,« sagte Editha feierlich. »Ich bin nicht wahnsinnig, bin keine Nachtwandlerin. Nein, nie hätt' ich einem Andern geglaubt, was ich gesehen habe. Aber meinen eigenen Augen muß ich glauben, da ich ihn gesehen habe.«

» Ihn gesehen? wen?« fragte Lord Evandale höchst bestürzt.

»Heinrich Morton,« erwiderte Ediths, bei diesen Worten fast wieder einer Ohnmacht nahe.

»Fräulein Bellenden,« sagte Lord Evandale, »Ihr behandelt mich wie einen Narren oder wie ein Kind, wenn Ihr Euer Versprechen bereut. Ich bin nicht gesonnen, es gegen Eure Neigung zu erzwingen; ich bin ein Mann, darum unterlaßt diese Scherze.«

In seinem Unwillen war er schon im Begriff sich zu entfernen, als er an ihrem matten Auge, an ihrer bleichen Wange sah, daß sie nichts weniger als einen Betrug beabsichtige; und was auch ihre Einbildungskraft aufgeregt haben mochte, sie war wirklich von einem Schrecken erfaßt. Mit sanfterem Tone bestrebte er sich nun sie zu beruhigen und die Ursache ihres Zustandes von ihr zu erforschen.

»Ich sah ihn!« wiederholte sie. – »Ich sah Heinrich Morton an jenem Fenster stehen und in demselben Augenblick in's Zimmer blicken, als ich ihm auf ewig entsagen wollte. Bleicher und hagerer war sein Antlitz. Er trug einen Reitermantel und einen Hut, der ihm in's Gesicht herabhing; er sah aus wie an jenem Morgen, wo er zu Tillietudlem von Claverhouse verhört wurde. Fragt nur Eure Schwester, ob sie ihn nicht eben so gut gesehen hat, als ich – Ich weiß, was ihn aus dem Grabe gerufen, – er kam, mich zu tadeln, daß ich meine Hand einem Andern geben wollte, während mein Herz bei ihm war, in dem tiefen, tiefen Meer. Mylord, es ist aus zwischen Euch und mir; wie es auch endet, diejenige kann kerne Verbindung mit Euch schließen, welche damit die Ruhe der Todten stört.«

»Gerechter Gott!« rief Evandale, indem er vor Erstaunen und Schmerz halb wahnsinnig im Zimmer auf und ab ging, »so muß ihr herrlicher Geist zerrüttet werden durch ihr Bestreben, meine unzeitige, obgleich wohlwollende Bitte zu erfüllen. Ohne Ruhe und sorgsame Pflege ist ihre Gesundheit auf ewig hin.«

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thüre, und Halliday, Lord Evandale's erster Bedienter, seit Beide beim Ausbruch der Revolution aus der Garde getreten, stolperte herein mit einem so geisterbleichen Antlitz, als es der Schrecken selbst nur malen kann.

»Was gibt's, Halliday?« rief sein Herr aufspringend. »Eine Entdeckung des – – –«

Er war noch besonnen genug, den gefährlichen Satz abzubrechen.

»Nein, Sir,« sagte Halliday, »das ist's nicht, auch nichts Aehnliches; aber ich hab' einen Geist gesehen.«

»Einen Geist? o du Einfaltspinsel! – Verschwört sich denn Alles, toll zu werden, um mich toll zu machen? – Was für einen Geist, Esel?«

»Den Geist Heinrich Mortons, des Whighauptmanns, auf der Bothwellbrücke,« erwiderte Halliday. »Wie ein Feuerstrahl strich er an mir vorüber, als ich im Garten war.«

»Die Hundstage sind wieder da,« sagte Evandale, »oder es ist ein Schurkenstreich im Spiele. – Jenny, begleitet Eure Herrin nach ihrem Zimmer; ich will indessen der Sache aus die Spur kommen.«

Aber Evandale's Nachforschungen waren umsonst. Jenny, die eine Aufklärung hätte geben können, hatte ein Interesse, die Sache im Dunkeln zu lassen, und dieses Interesse hatte bei Jenny großes Gewicht, besonders seit der Besitz eines rührigen, liebreichen Mannes ihre Gefallsucht vermindert. Sie hatte die ersten Augenblicke der Bestürzung weislich benutzt, jede Vermuthung, daß Jemand im Nebenzimmer geschlafen, aus dem Wege zu räumen und sogar die Fußstapfen unter dem Fenster zu verwischen, an welchem, wie sie vermuthete, Mortons Gesicht erblickt worden, als er es versteckte, bevor er den Garten verließ, noch einen Blick von derjenigen zu erhaschen, die er so lange geliebt und nun auf ewig verlieren sollte. Daß er im Garten an Halliday vorbeikam, war eben so klar, und sie erfuhr von ihrem ältern Knaben, dem sie geheißen, des Fremden Pferd zu satteln und bereit zu halten, daß dieser schnell in den Stall getreten, dem Kinde ein Goldstück zugeworfen und mit furchtbarer Eile dem Clyde zugeritten sei. Das Geheimniß blieb also in der Familie; und nach Jenny's Absicht sollte es auch darin bleiben.

»Denn,« dachte sie, »wenn auch die Lady und Halliday den Herrn Morton am hellen Tag erkannt hätten, so ist dies ja doch kein Grund, daß wir ihn auch in der Dämmerung und beim Kerzenlicht hätten erkennen sollen, besonders da er sein Gesicht vor Cuddie und mir zu verbergen suchte.«

Daher beharrte sie auf ihrem Läugnen, als Lord Evandale sie befragte. Halliday aber konnte blos aussagen, als er an die Gartenthüre gelangt, sei ihm schnell die Erscheinung entgegen getreten, mit einem Antlitz, auf welchem Zorn und Kummer sich zu streiten schienen. Er kenne ihn recht gut, sagte er, da er ihn mehrmals bewacht und sein Signalement habe ausschreiben müssen, und es gebe wenig Gesichter, wie das des Herrn Morton. Warum er aber in einem Land spuke, wo er weder gehängt noch erschossen worden, das könne er, besagter Halliday, nicht begreifen.

Lady Emilie gestand, sie habe wohl das Gesicht eines Mannes am Fenster gesehen, könne aber nichts mehr darüber sagen. John Gudyill wußte gar nichts. Er hatte gerade, als die Erscheinung kam, den Garten verlassen, um ein Schnäpschen zu sich zu nehmen. Lady Emiliens Diener war in der Küche, und sonst befand sich kein anderes Wesen auf einer Viertelmeile in der Runde.

Bestürzt und höchst unbefriedigt kehrte Evandale zurück, da er einen Plan, den er ebensowohl zum Schutze Editha's als für sein eigenes Glück nothwendig erachtete, plötzlich ohne vernünftige Ursache zerstört sah. Er kannte Editha zu gut, um zu argwöhnen, daß sie durch eine erdichtete Vision launenhaft ihr Wort brechen sollte. Er würde jedoch die Erscheinung einer überspannten Einbildungskraft zugeschrieben haben, wenn nicht auch Halliday dasselbe ausgesagt hätte, der doch nicht Ursache hatte, an Morton mehr als ein Anderer zu denken, und der von Editha's Erscheinung nichts wußte, als er seine eigene mittheilte. Auf der andern Seite schien es wieder sehr unwahrscheinlich, daß Morton, den man so lange und vergeblich gesucht, und von dem man mit so vielem Grunde vermuthete, daß er auf dem untergegangenen Schiffe Vryheid umgekommen sei, noch leben und sich in dem Lande verbergen sollte, wo seiner Partei die gegenwärtige Regierung doch geneigt war. Als Evandale seine Zweifel dem Kaplan mittheilte, um dessen Meinung zu hören, erhielt er eine lange Vorlesung über Dämonologie, worin der gelehrte Herr nach Citirung des Delrio, Burthoog und De L'Ancre sich endlich äußerte, daß entweder der Geist Heinrich Mortons wirklich erschienen, dessen Möglichkeit er, als Gottesgelehrter und Philosoph, weder geradezu läugnen noch behaupten möge – oder, daß besagter Heinrich Morton, als noch in rerum natura, vorhanden, in eigener Person diesen Morgen erschienen, oder endlich, daß eine außerordentliche deceptio visus, oder auffallende Aehnlichkeit die Augen des Fräulein Bellenden und Thomas. Hallidays getäuscht habe. Ueber die wahrscheinlichste Hypothese wollte sich der Doktor nicht aussprechen, sondern behauptete steif und fest, daß eine von diesen Hypothesen die Störung an diesem Morgen veranlaßt habe. Lord Evandale hatte bald eine Ursache mehr zur Betrübniß. Der Arzt erklärte nämlich Editha's Zustand höchst bedenklich.

»Ich will diesen Ort nicht verlassen,« rief er, »bis ich sie außer Gefahr weiß. Ich kann und darf es nicht thun; denn was auch immer die unmittelbare Ursache ihrer Krankheit ist, ich gab die erste Veranlassung dazu durch meine Zudringlichkeit.«

Er richtete sich sogleich als Gast in der Familie ein, ein Schritt, den die Gegenwart seiner Schwester und der Lady Margaretha (die trotz ihrer Gicht hierher gekommen war, als sie von Editha's Krankheit hörte) eben so natürlich machte, als er Zartgefühl verrieth. So wartete er ängstlich, bis Editha, ohne ihrer Gesundheit zu schaden, seine endliche Erklärung von ihm ertragen könne und nur dann erst wollte er abreisen.

»Nie soll sie« – sagte der Edelmüthige – »ihre Verpflichtung gegen mich so betrachten, als müßte sie dadurch an eine Verbindung gefesselt werden, deren bloßer Gedanke ihren Geist fast zu zerrütten scheint.«


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