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Zwölftes Kapitel.

O Mylord, hütet Euch vor Eifersucht!

Othello.

 

Um den tiefen Eindruck zu erklären, welchen die wenigen abgerissenen Worte aus der so eben mitgetheilten Unterredung auf den unglücklichen Gefangenen machten, ist es nöthig, über seinen frühern Gemüthszustand und über den Ursprung seiner Bekanntschaft mit Editha Einiges mitzutheilen.

Heinrich Morton war einer von jenen reichbegabten Menschen, welche herrliche, sich selbst unbewußte Anlagen besitzen. Er hatte von seinem Vater einen unerschütterlichen Muth und einen entschiedenen, unversöhnlichen Abscheu gegen Unterdrückung sowohl in politischer als religiöser Beziehung geerbt. Aber seine Begeisterung war unbefleckt von Fanatismus und rein von der mürrischen Strenge puritanischen Sektengeistes. Hiervon war er frei geblieben, und zwar theils durch die Thätigkeit seines eigenen trefflichen Verstandes, theils durch seine häufigen und langen Besuche bei Major Bellenden, wo er Gelegenheit hatte, viele Gäste kennen zu lernen, durch deren Unterhaltung er belehrt wurde, daß Güte und Menschenwerth sich nicht an eine bestimmte Religionsmeinung binden. Der Geiz seines Oheims war seiner Entwickelung vielfach hinderlich; aber er hatte jede Gelegenheit, die sich ihm darbot, so gut benutzt, daß sowohl Lehrer als Freunde über seine Fortschritte unter so ungünstigen Umständen erstaunten. Die freie Geistesregsamkeit war aber immer noch gefesselt durch das Bewußtsein seiner Abhängigkeit und Armuth, besonders aber durch seine lückenhafte und beschränkte Erziehung. Diese Gefühle bewirkten, daß in ihm ein Mißtrauen und eine Zurückhaltung waren, welche Jedem, außer seinen vertrautesten Freunden, den Umfang seiner Talente und seiner Charakterfestigkeit verbargen. Die Zeitverhältnisse gaben jener Zurückhaltung das Ansehen von Unschlüssigkeit und Indifferenz; denn da er keiner der Parteien huldigte, hielt man ihn für stumpfsinnig, und unempfindlich für Religion und Vaterlandsliebe. Keine Folgerung aber hätte ungerechter sein können, und die Neutralität, die er bis jetzt behauptet, hatte ihren festen Grund in ganz andern und gewiß löblichen Motiven. Er hatte mit Einigen der Verfolgten eine genauere Verbindung angeknüpft, und fühlte gar wohl das Abstoßende in ihrem engherzigen und selbstischen Parteigeist, in ihrem lodernden Fanatismus, in ihrer abscheulichen Verdammung schöner Wissenschaften oder unschuldiger Leibesübungen, und in dem giftigen Groll ihrer politischen Ansichten. Aber sein Gemüth war noch mehr empört über das tyrannische Unterdrückungssystem der Regierung, über die Unordnung, Zügellosigkeit und Rohheit des Kriegsvolks, über die Hinrichtungen auf dem Schaffot, über die Metzeleien auf offenem Felde, die gewaltsamen Einquartierungen und Erpressungen, wobei Leben und Eigenthum eines freien Volkes beeinträchtigt wurden, gleichsam als bestehe es aus asiatischen Sclaven. Jede Partei also wegen ihrer Ausschweifungen verdammend, des Anblicks von Uebeln satt, die er nicht lindern konnte, abwechselnd Klagen und Jauchzen vernehmend, ohne weder in jene noch in dieses einstimmen zu können, würde er ohne seine Neigung für Editha Bellenden längst Schottland verlassen haben.

Das frühere Zusammentreffen der jungen Leute hatte zu Charnwood stattgefunden, wo Major Bellenden, der bei solchen Gelegenheiten eben so wenig als Onkel Toby in Tristram Shandy mißtrauisch war, sie ermunterte, einander Gesellschaft zu leisten, ohne über die natürlichen Folgen die geringste Besorgniß zu hegen. Als Editha Bellenden in ihrer Großmutter Schloß zurückgekehrt war, war es ganz erstaunlich, durch welche sonderbare und wiederkehrenden Zufälle sie immer dem jungen Morton auf ihren einsamen Spaziergängen begegnete, besonders wenn man die Entfernung bedenkt, in welcher ihre beiderseitigen Wohnungen von einander lagen. Noch auffallender aber ist es, daß sie niemals ihr Erstaunen über dieses häufige Zusammentreffen äußerten, daß ihr Umgang allmälig einen zarten Charakter annahm, und ihre Zusammenkünfte den Anschein von Verabredungen trugen. Bücher, Zeichnungen, Briefe wurden getauscht, und jeder unbedeutende Auftrag gab zu einem neuen Briefwechsel Veranlassung. Zwar ward Liebe nicht bei ihnen mit Namen genannt, aber Jedes kannte seines Herzens Regung, und ahnte, was in dem Busen des Andern vorging. Unfähig, einen Umgang abzubrechen, der für Beide so viel Reiz hatte, und dennoch vor den nur zu wahrscheinlichen Folgen zitternd, hatten sie ihn ohne besondere Erklärung bis jetzt fortgesetzt, wo nun das Schicksal die Lösung in seine eigenen Hände genommen zu haben schien.

Es war eine nothwendige Folge dieser Lage der Dinge und des Mißtrauens, welches Morton zu dieser Zeit gegen sich selbst fühlte, daß sein Vertrauen auf Editha's Gegenliebe oft erschüttert ward. Ihre Lage war so viel glänzender als die seinige, ihr Werth so hervorstechend, ihr Aeußeres so reizend, ihr Betragen so bezaubernd, daß er nicht umhin konnte zu fürchten, es möchte zwischen ihn und den Gegenstand seiner Neigung ein Nebenbuhler treten, der vom Glücke mehr begünstigt als er selbst, und Editha's Familie angenehmer wäre. Ein allgemein verbreitetes Gerücht stellte ihm diesen Nebenbuhler in Lord Evandale entgegen, den Geburt, Vermögen, Verbindungen und politische Grundsätze, so wie seine häufigen Besuche zu Tillietudlem und der Umstand, daß er beide Damen an alle öffentlichen Orte begleitete, natürlich als einen Bewerber um ihre Gunst bezeichneten.

So traf es sich oft und unvermeidlich, daß manche Lustbarkeiten, an denen der Lord Theil nahm, die Zusammenkünfte der Liebenden störten, und Heinrich bemerkte nur zu deutlich, daß Editha entweder absichtlich vermied, von dem jungen Edelmann zu sprechen, oder dies nur mit sichtlicher Zurückhaltung und Verlegenheit that.

Diese Anzeichen, welche in der That nur in den zarten Gefühlen für Morton ihren Grund hatten, wurden von seinem Mißtrauen falsch gedeutet, und die Eifersucht, die sie in ihm erweckten, wurde durch einige Bemerkungen von Jenny Dennison noch verstärkt. Diese treubewährte Zofe war eine ganz vollständige ländliche Kokette, und wenn es ihr an Gelegenheit fehlte, ihre eigenen Liebhaber zu necken, so suchte sie gern eine Gelegenheit auf, die ihres Fräuleins zu plagen. Dies that sie nicht etwa aus Abneigung gegen Heinrich Morton, der sowohl um ihres Fräuleins willen, als seiner eigenen Schönheit wegen, hoch in ihrer Gunst stand. Aber Lord Evandale war auch schön. Er war viel freigebiger, als es Morton sein konnte, und noch überdies ein Lord; und wenn Fräulein Bellenden seine Hand annehmen wollte, ward sie eine Lady, und was noch mehr war, die kleine Jenny Dennison, welche von der furchtbaren Haushälterin zu Tillietudlem nach Belieben ausgezankt ward, wurde dann der Lady Evandale Kammerfrau oder gar Ehrenfräulein der gnädigen Frau. Jenny Dennisons Unparteilichkeit ging nicht so weit, daß sie wie Frau Hurtig in den lustigen Weibern von Windsor hätte wünschen sollen, daß beide Bewerber ihre junge Lady heirathen könnten; denn man muß gestehen, daß die Wagschale ihrer Achtung zu Gunsten Lord Evandale's sank, und ihre Wünsche für ihn äußerten sich oft auf eine für Morton höchst qualvolle Weise. Bald warnte sie ihn freundschaftlich, bald scherzte sie muthwillig darüber; immer aber hatte sie die Absicht, den Gedanken zu bestätigen, daß sein romantisches Verhältniß mit ihrer jungen Gebieterin über kurz oder lang ein Ende nehmen müsse, und daß Editha Bellenden trotz aller Spaziergänge, trotz des Austausches von Versen, Zeichnungen und Büchern, am Ende doch noch Lady Evandale werden müsse.

Diese Winke trafen so genau mit seinem Argwohn und seinen Befürchtungen zusammen, daß Morton sehr bald jene Eifersucht empfand, welche jeder wahrhaft Liebende empfindet, der aber diejenigen am meisten ausgesetzt sind, deren Liebe die Billigung der Freunde fehlt, oder denen sich sonst ein mißgünstiges Geschick entgegenstellt. Editha selbst trug unwillkürlich in ihrer edelmüthigen Offenherzigkeit zu dem Irrthum bei, in den ihr Geliebter zu fallen im Begriffe stand. Ihre Unterhaltung lenkte sich einst auf die Ausschweifungen, welche die Soldaten kürzlich begangen hatten, deren Anführer, wie man mit Unrecht behauptete, Lord Evandale gewesen sein sollte. Editha, so treu in der Liebe wie in der Freundschaft, fühlte sich über den strengen Tadel verletzt, den Morton bei dieser Gelegenheit äußerte, und den vielleicht die Eifersucht noch einigermaßen schärfte. Sie vertheidigte Lord Evandale mit einem Feuer, das Morton bis in die innerste Seele verwundete, was Jenny Dennison, die gewöhnliche Begleiterin auf ihren Spaziergängen, nicht wenig ergötzte. Editha bemerkte ihren Irrthum, und wollte ihn verbessern; aber der Eindruck war nicht so leicht verwischt, und trug nicht wenig dazu bei, in ihrem Freunde den Entschluß, die Heimath zu verlassen, zur Reife zu bringen. Der Besuch, welchen er von Editha im Gefängniß empfing, die tiefe und innige Teilnahme, welche sie für sein Schicksal an den Tag legte, hätten freilich seinen Argwohn zerstreuen sollen; aber erfinderisch im Selbstquälen, redete er sich ein, auch dies könne ja wohl auf Rechnung ihrer alten Freundschaft oder höchstens einer flüchtigen Neigung geschrieben werden, welche bald den Umständen, den Bitten ihrer Freunde, dem Ansehen der Lady Margaretha, und endlich den Bewerbungen Lord Evandale's weichen würde.

»Und was ist Schuld,« sagte er, »daß ich nicht aufstehen kann, wie ein Mann, um meine Ansprüche auf sie geltend zu machen, ehe ich darum betrogen werde? – Was anders, als diese fluchwürdige Tyrannei, welche zu gleicher Zeit Leib und Seele, Gut und Willen zerstört? Und einem dieser besoldeten Gurgelabschneider der drückenden Zwingherrschaft soll ich meine Ansprüche auf Editha Bellenden abtreten? – Beim Himmel, nein! – Eine gerechte Strafe ist es für mich, der ich taub war gegen das allgemeine Elend, daß ich nun mit solchen Beleidigungen heimgesucht werde, die ich am wenigsten dulden und ertragen kann.«

Als diese heftigen Empfindungen in seinem Busen brausten, und er die mannigfachen Beleidigungen und Kränkungen erwog, welche er in seiner eigenen Sache und in der seines Vaterlandes erduldet hatte, trat Bothwell in den Thurm, von zwei Dragonern begleitet, von denen der eine Handschellen trug.

»Ihr müßt mir folgen, junger Mann,« sprach er; »aber erst müssen wir Euch anputzen.«

»Anputzen?« fragte Morton. »Was meint Ihr damit?«

»Ei, wir müssen Euch diese harten Armbänder anlegen. Ich darf nicht – nein verdammt! – ich darf schon Manches; aber nicht um dreistündige Plünderung einer erstürmten Stadt möcht' ich einen Whig ungefesselt vor meinen Obersten bringen. Kommt, kommt, junger Mann, und seht mir nicht so finster d'rein.«

Er schickte sich an, ihm die Eisen anzulegen; aber Morton ergriff den eichenen Stuhl und drohte, dem Ersten, der sich ihm nähern würde, das Gehirn einzuschlagen.

»Ich könnte Euch wohl im Augenblick bändigen, mein Junker,« sagte Bothwell; »aber es wäre mir lieber, wenn Ihr ruhig die Segel streichen wolltet.«

Hier sprach er in der That die Wahrheit; denn er empfand nicht etwa Furcht oder Widerwillen gegen gewaltsame Maßregeln, sondern er scheute die Folgen eines geräuschvollen Streites, wodurch es wahrscheinlich an den Tag gekommen wäre, daß er, ausdrücklichem Befehle zuwider, seinen Gefangenen die ganze Nacht ohne Eisen gelassen.

»Ihr thätet besser, Vernunft anzunehmen,« fuhr er in einem Tone fort, der besänftigend sein solle, »und Euch nicht selbst das Spiel zu verderben. Man sagt hier im Schlosse, daß der Lady Margaretha Nichte sich in Kurzem mit unserm jungen Kapitän, dem Lord Evandale, verheirathen werde. Ich sah sie Beide in der Halle zusammen stehen, und hörte, wie sie ihn bat, daß er sich für Euch verwenden solle. Sie sah ihm so verteufelt schön und freundlich in's Auge, daß, mein Seel' – Aber was zum Henker ist Euch denn? – Ihr seid ja bleich wie ein Laken. – Wollt Ihr etwas Branntwein?«

»Miß Bellenden erbat mein Leben von Lord Evandale?« fragte der Gefangene mit schwacher Stimme.

»Ja, ja, die Weiber sind die besten Freunde – die gelten Alles bei Hof und im Felde. – Nun, jetzt seid Ihr vernünftig. Ich dachte gleich, daß ich Euch herumbringen würde.«

Hiermit legte er ihm selbst die Fesseln an, und Morton, durch jene Nachricht wie vom Donner gerührt, leistete nicht den geringsten Widerstand.

»Mein Leben von ihm erbettelt, und durch sie! – ja, ja – legt die Fesseln an – meine Glieder werden sich gegen die Qual nicht sträuben, die mir in die tiefste Seele gedrungen ist. – Mein Leben von Evandale erbettelt, und – durch Editha!«

»Ja, der kann's auch gewähren,« sagte Bothwell; – »er vermag bei dem Obersten mehr als irgend ein Anderer im Regimente.«

Mit diesen Worten führte er und seine Leute den Gefangenen in die Halle. Indem sie hinter Edithens Stuhl vorbeigingen, vernahm der unglückliche Gefangene genug von den abgerissenen Worten, die zwischen Editha und Lord Evandale gewechselt wurden, um Alles, was ihm Bothwell gesagt, bestätigt zu finden. Dieser Augenblick brachte eine plötzliche Veränderung in seinem Charakter hervor. Die bodenlose Verzweiflung, zu der seine Liebe und sein Geschick gebracht ward, die Gefahr, in welcher sein Leben zu sein schien, Editha's Sinnesänderung, ihre Verwendung für ihn, welche ihren Wankelmuth noch schmerzlicher machte, – dies Alles schien jedes Gefühl zu zerstören, dem er bis jetzt gelebt hatte, und erweckte zugleich diejenigen Empfindungen, die bisher durch sanftere, obgleich selbstsüchtigere Regungen in den Hintergrund getreten waren. An sich selbst verzweifelnd, entschloß er sich, die Rechte seines Vaterlandes, die in seiner Person verletzt waren, zu vertreten und zu unterstützen. Sein Gemüth war in diesem Augenblicke gerade so verwandelt, wie das Aeußere einer Villa, die, lange ein Sitz der Ruhe und häuslichen Glückes, plötzlich durch das Eindringen bewaffneter Macht in einen furchtbaren Vertheidigungsposten umgewandelt wird.

Wir haben bereits erwähnt, daß er auf Editha einen Blick warf, aus welchem Vorwurf und Schmerz zugleich sprachen. Es war, als wollte er ihr ein einziges Lebewohl sagen. Hierauf ging er festen Schrittes auf den Tisch zu, an welchem der Oberst Grahame saß.

»Mit welchem Rechte,« sagte er fest und ohne eine Frage abzuwarten – »Mit welchem Rechte haben diese Soldaten mich meiner Familie entrissen, und einen freien Mann in Fesseln geschlagen?«

»Auf meinen Befehl!« antwortete Claverhouse, »und jetzt befehle ich Euch zu schweigen, und auf meine Fragen zu hören.«

»Ich will nicht,« antwortete Morton in einem entschiedenen Tone, während seine Kühnheit alle Umstehenden zu elektrisiren schien. »Ich will wissen, ob ich in gesetzmäßigem Verhaft bin, und vor einer bürgerlichen Obrigkeit stehe, ehe der Freiheitsbrief meines Vaterlandes in einer Person verletzt werden soll.«

»Auf meine Ehre, ein schöner Springinsfeld!« sagte Claverhouse.

»Seid Ihr toll?« sagte Major Bellenden zu seinem jungen Freunde. »Um Gotteswillen, Heinrich Morton,« fuhr er halb tadelnd, halb bittend fort, »bedenkt doch, daß Ihr mit einem Oberoffizier des Königs sprecht!«

»Eben darum, Sir,« entgegnete Heinrich fest, »eben darum wünsche ich zu wissen, welches Recht ihm zusteht, mich ohne gesetzlichen Verhaftbefehl festzuhalten. Wäre er ein Civilbeamter, so wüßte ich, daß Unterwerfung meine Pflicht sei.«

»Euer Freund hier,« sagte Claverhouse kalt zu dem Veteranen, »gehört zu jenen bedenklichen Herren, die, wie der Narr in der Comödie, ihr Halstuch nicht umbinden wollen ohne Befehl des Herrn Friedensrichters Overdo; aber ehe wir uns trennen, will ich ihm zeigen, daß mein Achselband ein eben so gesetzliches Zeichen ist, als der Stab des Friedensrichters. Also, ohne Umschweife, sagt mir gefälligst, junger Mann, wann Ihr Balfour von Burley gesehen.«

»Da Ihr, so viel ich weiß, kein Recht habt zu fragen, so bin ich nicht geneigt zu antworten.«

»Ihr habt doch meinem Sergeanten mitgetheilt, daß Ihr ihn gesehen und bewirthet, obgleich Ihr wußtet, daß er ein geächteter Verräther ist. Warum seid Ihr nicht auch gegen mich so offen?«

»Weil ich vermuthe,« entgegnete der Gefangene, »daß Ihr durch Eure Erziehung die Rechte kennen gelernt, die Ihr jetzt mit Füßen zu treten geneigt seid, und weil ich Euch zeigen will, daß es noch Schotten gibt, welche Schottlands Freiheit zu behaupten wissen.«

»Und diese vermeintlichen Rechte wollt Ihr vermuthlich mit Eurem Schwert vertheidigen?« fragte Obrist Grahame.

»Wär' ich bewaffnet wie Ihr, und wir stünden allein auf den Bergen draußen – Ihr solltet diese Frage nicht zwei Mal an mich richten.«

»Genug,« antwortete Claverhouse gelassen, »Eure Sprache stimmt völlig mit dem überein, was ich von Euch gehört habe; aber Ihr seid der Sohn eines Kriegers, wenn auch eines rebellischen, und sollt nicht sterben wie ein Hund; diese Schmach will ich Euch sparen.«

»Wie ich auch sterben mag,« erwiderte Morton; »ich werde wie der Sohn eines Ehrenmannes sterben; und die Schmach, von der Ihr redet, wird auf die fallen, welche unschuldig Blut vergießen.«

»Nun, so schließt Eure Rechnung mit dem Himmel binnen fünf Minuten. – Bothwell, führt ihn in den Hof; Eure Leute sollen sich bereit halten.«

Diese schreckliche Unterredung und ihr Ausgang hatte allen Anwesenden ein stummes Entsetzen eingeflößt. Bald aber brachen sie in Geschrei und Klagen aus. Die alte Lady, welche, trotz aller Vorurtheile ihres Standes und ihrer Partei, die Gefühle ihres Geschlechts nicht abgelegt hatte, erhob eine laute Fürbitte.

»Ach, Obrist Grahame,« rief sie, »schont ein junges Blut! Ueberlaßt ihn dem Gesetze – aber vergeltet nicht meine Gastfreundschaft damit, daß Ihr Menschenblut auf meiner Schwelle vergießet.«

»Obrist Grahame,« sagte Major Bellenden, »Ihr werdet diese Gewaltthat verantworten müssen. Glaubt nicht, weil ich so alt und kraftlos bin, daß ich ungestraft den Sohn meines Freundes vor meinen Augen hinmorden lasse. Ich kann Freunde finden, die Euch dafür zur Rechenschaft ziehen.«

»Seid ganz ruhig, Major Bellenden; ich werde es verantworten,« entgegnete Claverhouse ohne die mindeste Bewegung, »und Ihr, gnädige Frau, erspart mir die Unannehmlichkeit, diese dringende Verwendung für einen Verräther unbeachtet zu lassen, und bedenkt das edle Blut Eures Hauses, das durch solche Menschen, wie er, geflossen ist.«

»Obrist Grahame,« erwiderte die Lady vor Angst zitternd, »ich überlasse die Rache Gott, die er sein nennt. Das vergossene Blut dieses jungen Mannes wird die, so mir theuer waren, nicht wieder in's Leben rufen. Und wie kann mich der Gedanke trösten, daß es noch eine andere Mutter gibt, kinderlos gleich mir, in Folge einer blutigen That, die an meiner Schwelle verübt wurde?«

»Das ist reine Tollheit!« rief Claverhouse. »Ich muß meine Pflicht erfüllen gegen Kirche und Staat. Ganz in der Nähe stehen tausend Schurken in offener Rebellion, und Ihr begehrt, daß ich einen jungen Schwärmer begnadige, der allein hinreicht, ein ganzes Königreich in Flammen zu setzen? – Es kann nicht sein – führt ihn weg, Bothwell.«

Sie, die bei dieser furchtbaren Entscheidung am meisten betheiligt war, hatte zwei Mal zu sprechen versucht, aber ihre Stimme versagte ihr gänzlich. Ihre Seele konnte keine Worte finden; ihre Zunge keine aussprechen. Jetzt sprang sie auf, und suchte vorwärts zu eilen; aber ihre Kräfte verließen sie, und sie wäre der Länge nach hingestürzt, wenn sie von ihrer Dienerin nicht aufgefangen worden wäre.

»Hülfe!« schrie Jenny – »Hülfe, um Gotteswillen! Mein Fräulein stirbt!«

Bei diesem Aufruf schritt Evandale vor, der während der ganzen Scene regungslos auf sein Schwert gelehnt dagestanden hatte, und sagte zu seinem Befehlshaber: »Obrist Grahame, wollt Ihr mir nicht ein Wort im Geheim gönnen, ehe Ihr weiter in der Sache geht?«

Claverhouse sah ihn erstaunt an, stand aber sogleich auf, und zog sich mit dem jungen Edelmann in eine entfernte Nische zurück, wo folgendes kurze Gespräch zwischen ihnen gehalten wurde:

»Ich brauche Euch wohl nicht zu erinnern, Obrist, daß das Ansehen unserer Familie Euch im vorigen Jahre in der Angelegenheit vor dem Staatsrathe gute Dienste geleistet, und daß Ihr glaubtet, uns einigermaßen verbindlich zu sein.«

»Gewiß, mein theurer Evandale,« antwortete Claverhouse; »ich bin nicht der Mann, der solche Schulden vergißt. Ihr werdet mich erfreuen, wenn Ihr mir sagt, wie ich meine Dankbarkeit bezeugen kann.«

»Die Schuld sei vernichtet, wenn Ihr dieses jungen Mannes Leben schont,« sagte Lord Evandale.

»Evandale,« erwiderte Grahame höchst überrascht, »Ihr seid toll – rein toll! Was kann Euch an der Brut des alten Rundkopfs liegen? – Sein Vater war der gefährlichste Mann in ganz Schottland, kalt, entschlossen, kriegslustig und unbeugsam in seinen fluchwürdigen Grundsätzen. Der Sohn scheint sein vollkommenes Ebenbild. Ihr begreift nicht, welch' Unheil er anrichten kann. Ich kenne die Menschen, Evandale – wäre er ein unbedeutender, schwärmerischer Bauerntölpel, glaubt Ihr, daß ich dann der Lady und ihrer Familie eine solche Kleinigkeit, wie sein Leben, abgeschlagen haben würde? Aber der Bursche hat Feuer, Eifer und Bildung, und jene Buben brauchen nur einen solchen, der ihre blinde, schwärmerische Kühnheit leitet. Ich erwähne dieß nicht, um Eure Bitte abzuschlagen, sondern um Euch auf die etwaigen Folgen aufmerksam zu machen, – ich werde nie mein Wort zu umgehen suchen, oder es vermeiden, eine Gefälligkeit zu erwidern – wenn Ihr sein Leben begehrt, soll er's behalten.«

»Haltet ihn in enger Haft,« antwortete Evandale, »aber wundert Euch nicht, wenn ich auf der Bitte beharre, ihn nicht tödten zu lassen. Ich habe die triftigsten Gründe dazu.«

»So sei's denn!« erwiderte Grahame; – »aber junger Mann, solltet Ihr in der Zukunft wünschen, in dem Dienste Eures Königs und Vaterlandes zu steigen, so sei es Eure erste Sorge, alle Eure Leidenschaften, Neigungen und Gefühle dem allgemeinen Wohle und der Erfüllung Eurer Pflicht aufzuopfern. Das sind keine Zeiten, wo man dem Geschwätz der Graubärte, oder den Thränen alberner Weiber heilsame strenge Maßregeln opfert, welche zu ergreifen uns mannigfache Gefahr antreibt. Und bedenkt, daß wenn ich auch in Rücksicht auf Euren dringenden Wunsch Euch in diesem Punkte nachgebe, meine jetzige Gefälligkeit mich von künftigen Gesuchen ähnlicher Art befreien muß.«

Mit diesen Worten trat er an den Tisch, und heftete seine Augen fest auf Morton, als ob er beobachten wolle, welche Wirkung die Pause eines schrecklichen Schwankens zwischen Tod und Leben, das alle Umstehenden mit Schauer und Entsetzen erfüllte, auf den Gefangenen selbst hervorgebracht. Morton behauptete eine Standhaftigkeit, welche nur ein Gemüth, das auf Erden nichts mehr zu lieben oder zu hoffen hat, in einem solchen Augenblicke zeigen kann.

»Seht Ihr ihn?« sagte Claverhouse halb leise zu Evandale; »er schwankt auf der Grenzscheibe zwischen Zeit und Ewigkeit, in einer Lage, die gräßlicher ist, als die schrecklichste Gewißheit, und doch ist seine Wange allein nicht erbleicht, sein Auge das einzig ruhige, sein Herz allein das feste, seine Nerven die einzigen, die nicht beben. Betrachtet ihn genau, Evandale. – Wenn dieser Mensch einst an der Spitze eines Rebellenheeres steht, seid Ihr schwer verantwortlich für das heutige Morgenwerk.« Darauf sprach er laut: »Junger Mann, auf die Fürbitte Eurer Freunde seid Ihr für den Augenblick gerettet. – Bringt ihn fort, Bothwell, laßt ihn gehörig bewachen, und mit den andern Gefangenen weiter schaffen.«

»Wenn mein Leben,« sagte Morton, durch den Gedanken verletzt, daß er seine Rettung der Verwendung seines glücklichen Nebenbuhlers zu verdanken habe, »wenn mein Leben auf Lord Evandale's Bitten gewährt ist – –«

»Schafft den Gefangenen fort, Bothwell,« sagte Obrist Grahame ihn unterbrechend, »ich habe weder Zeit, empfindsame Reden zu halten noch zu beantworten.«

Bothwell zog Morton mit Gewalt fort, und sagte, als er ihn in den Hofraum führte: »Habt Ihr drei Leben in der Tasche, außer dem in Eurem Leibe, Junker, daß Ihr mit ihnen Eure Zunge fortlaufen laßt? Kommt, kommt; ich will sorgen, daß Ihr dem Obristen nicht in den Weg lauft; denn wahrhaftig! Ihr würdet nicht fünf Minuten bei ihm sein, so hieß es schon: ›An den nächsten Baum, in den nächsten Graben!‹ So kommt zu Euren Mitgefangenen!«

Mit diesen Worten zog der Sergeant, dem es nicht an Mitgefühl für einen hübschen jungen Mann gebrach, Morton in den Hof, wo drei andere Gefangene (zwei Männer und ein Weib), welche Lord Evandale aufgegriffen, von einigen Dragonern bewacht, warteten.

Inzwischen nahm Claverhouse Abschied von Lady Margaretha. Aber es fiel der guten Dame schwer, ihm die Vernachlässigung ihrer Bitte zu verzeihen.

»Ich habe bis jetzt geglaubt,« sagte sie, »daß Tillietudlem Jedem, der in Lebensgefahr ist, eine sichere Zufluchtsstätte biete, selbst wenn er auch noch so sehr den Tod verdient hätte – aber ich sehe, alte Früchte munden nicht – unsere Leiden und Verdienste sind schon alt.«

»Ich versichere Euch, gnädige Frau, daß ich sie nie vergessen werde,« sagte Claverhouse. »Nur die heilige Pflicht konnte mich abhalten, Euch und dem Major eine Bitte abzuschlagen. Kommt, theure Lady, laßt mich hören, daß Ihr mir verzeiht, und wenn ich heute Abend zurückkehre, bring' ich Euch zweihundert Whigs mit, und begnadige fünfzig derselben um Euretwillen.«

»Es soll mich freuen, von Eurem Erfolg zu hören, Obrist,« sagte Major Bellenden; »aber nehmt den Rath eines alten Kriegers an, und schont Blut, wenn der Kampf vorüber ist, und laßt mich noch ein Mal Bürgschaft leisten für den jungen Morton.«

»Das soll sich finden, wenn ich zurückkehre,« sagte Claverhouse. »Bis dahin seid überzeugt, daß ihm kein Leids geschieht.«

Während dieses Gesprächs hatte sich Evandale ängstlich nach Editha umgesehen; aber Jenny Dennison hatte ihr Fräulein vorsichtig auf ihr Zimmer bringen lassen.

Langsam und zögernd gehorchte er Claverhouse's Aufforderungen, welcher, nach einem höflichen Abschiede von der Lady und dem Major, in den Hof geeilt war. Die Gefangenen waren bereits mit ihrer Wache aufgebrochen, und die Offiziere und ihre Eskorte saßen auf und folgten. Alle eilten, das Hauptcorps einzuholen; denn man glaubte in etwa zwei Stunden dem Feinde gegenüber zu stehen.


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