Walter Scott
Das schöne Mädchen von Perth.
Walter Scott

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Sechsunddreißigstes Kapitel.

Ein ehrlich Herz, in welchem ruht
Betrug und Falschheit nimmer,
Hat, trotz des Glückes Wankelmut,
Doch Grund zu lächeln immer.
                                      Burns.

Wir kehren nun zu dem schönen Mädchen von Perth zurück, die von der schrecklichen Scene in Falkland auf Douglas' Befehl fortgeschickt worden war, um unter den Schutz seiner Tochter, der nun verwittweten Herzogin von Rothsay, gestellt zu werden. Dieser Dame einstweilige Residenz war ein frommes Haus, genannt Campsie, dessen Ruinen noch eine malerische Lage am Tay einnehmen. Es erhob sich auf dem Gipfel eines steilen Felsens, der sich an dem fürstlichen Strome hinabsenkt, wo dieser besonders merkwürdig ist durch den Wasserfall, genannt Campsie Linn, dessen Fluthen hier stürmisch über eine Reihe Basaltfelsen stürzen, die den Strom hemmen, gleich einem von Menschenhänden errichteten Damm. Entzückt von einer so romantischen Stelle, führten die Mönche der Abtei Cupar hier ein Gebäude auf, einem unbekannten Heiligen, Namens Hunnand, geweiht, und sie pflegten sich zur Erholung oder Andacht hierher zurückzuziehen. Es hatte seine Pforten bereits geöffnet, um die edle Dame aufzunehmen, die jetzt seine Bewohnerin war, als sich das Land unter der Gewalt des mächtigen Lord Drummond, Douglas' Bundesgenossen, befand. Hier wurden des Grafen Briefe der Herzogin von dem Anführer der Schutzwache übergeben, die Katharinen und die Sängerin nach Campsie begleitet hatte. So viel sie auch Grund haben mochte, sich über Rothsay zu beklagen, sein furchtbares, unerwartetes Ende erschütterte die edle Lady tief und sie brachte die Nacht größtentheils damit zu, daß sie ihrem Schmerze nachhing und im Gebete lag.

Am nächsten Morgen, dem des denkwürdigen Palmsonntags, ließ sie Katharina Glover und die Sängerin vor sich kommen. Der Muth der beiden jungen Mädchen war sehr gesunken und erschüttert durch die schrecklichen Auftritte, in welche sie jüngst verwickelt gewesen, und die äußere Erscheinung der Herzogin Marjory war, gleich der ihres Vaters, mehr geeignet, Furcht einzuflößen, als Vertrauen. Sie sprach trotz ihres Schmerzes freundlich, und erfuhr von Jenen Alles, was sie in Bezug auf das Schicksal ihres verirrten, unbesonnenen Gemahls zu erzählen hatten. Sie schien dankbar für Katharinens und der Sängerin gefahrvolle Bemühungen, Rothsay von seinem entsetzlichen Schicksal zu retten. Sie lud sie zur Theilnahme an ihrem Gebet ein, und um die Zeit des Mittagsmahles bot sie Beiden ihre Hand zum Kuß und überließ sie ihrer eigenen Erholung mit der Versicherung ihres wirksamen Schutzes, besonders für Katharinen, der, wie sie sagte, auch ihres Vaters Schutz mit einschlöße, und eine Mauer für Beide sein würde, so lange sie selbst lebte.

Sie verließen die verwittwete Prinzessin und nahmen ein Mahl mit ihren Fräulein und Lady's, die alle in ihrer tiefen Trauer einen gemessenen Ernst zeigten, der das leichte Herz der Französin erkältete und selbst dem ernsteren Charakter der Katharina Glover Zwang auflegte. Die Freundinnen, denn so dürfen wir sie nun nennen, sahen es daher gern, der Gesellschaft dieser Personen, die sämmtlich geborne Edeldamen, entgehen zu können, weil dieselben eine Bürgerstochter und eine wandernde Sängerin für schlechte Gesellschaft hielten, und sie gern weggehen sahen, um in der Nähe des Klosters zu spazieren. Ein kleiner Garten mit seinen Gebüschen und Fruchtbäumen erstreckte sich von einer Seite des Klosters bis an den Abhang, von dem er nur durch eine kleine Mauer getrennt war, die so niedrig auf dem Rande des Felsens stand, daß das Auge die Höhe der Klippen wohl messen und die kämpfenden Fluten betrachten konnte, welche über den Felsen unten kochten, sprudelten und schäumten.

Das schöne Mädchen von Perth und ihre Begleitung wandelten langsam auf einem Pfade, der an dieser Mauer hinlief, betrachteten die romantische Aussicht und gedachten, wie schön sie sein müsse, wenn der nahende Sommer den Hain mit Blättern kleiden würde. Einige Zeit beobachteten sie ein tiefes Schweigen. Endlich erhob sich der frohe und kühne Sinn der Sängerin über die Umstände, in denen sie gewesen war und in denen sie sich jetzt befand.

»Lasten die Schrecken Falklands, schönes Mädchen, noch immer auf deinem Geiste? Suche sie zu vergessen, gleich mir; wir können des Lebens Pfad nicht leicht wandeln, wenn wir von unsern Mänteln nicht die Regentropfen schütteln, so wie sie fallen.«

»Diese Schrecknisse sind nicht zu vergessen,« antwortete Katharina. »Aber gegenwärtig ist mein Gemüth um meines Vaters Sicherheit besorgt; und ich kann nicht umhin, zu bedenken, wie viele tapfere Männer in diesem Augenblicke die Welt verlassen mögen, nur sechs Meilen oder nicht viel weiter von uns entfernt.«

»Ihr meint den Kampf zwischen sechzig Streitern, wovon uns Douglas' Reiter gestern sagten? Das wäre ein Schauspiel für eine Sängerin. Doch, über meine weibischen Augen! sie könnten nie gekreuzte Schwerter sehen, ohne erschreckt zu werden. Aber sieh – sieh dort, Katharina, sieh dort! dieser fliegende Bote bringt gewiß Nachricht vom Kampfe.«

»Mich dünkt, ich sollte ihn kennen, der so stürmisch läuft,« sagte Katharina, – »aber wenn er es ist, an den ich denke, so verfolgen ihn seltsame Gedanken.«

Während sie sprach, richtete der Eilende seinen Lauf nach dem Garten. Louisens kleiner Hund lief ihm entgegen, heftig bellend, kam aber bald zurück, um winselnd und heulend hinter seine Gebieterin zu schleichen; denn selbst Thiere können unterscheiden, wenn Menschen von der wüthenden Kraft unwiderstehlicher Leidenschaft getrieben sind, und fürchten sich, ihrem Laufe entgegen zu treten. Der Flüchtling stürzte in rastloser Eile in den Garten. Sein Kopf war unbedeckt, sein Haar flatterte, sein reicher Mantel und alle andern Kleider schienen vor Kurzem durchnäßt worden zu sein. Seine ledernen Stiefel waren zerschnitten und zerrissen, und seine Füße färbten den Rasen mit Blut. Sein Gesicht war wild, entstellt und hoch erhitzt, oder, wie die schottische Redeweise es nennt, sehr erhoben.

»Conachar!« sagte Katharina, als er herankam, scheinbar ohne zu sehen, was vor ihm war; wie Hasen, von denen man sagt, daß sie nichts sehen, wenn sie von Hunden hart verfolgt werden. Aber plötzlich hielt er an, als er seinen eigenen Namen hörte.

»Conachar,« sagte Katharina, »oder vielmehr Eachin Mac Jan – was bedeutet das? – hat der Clan Quhele eine Niederlage erlitten?«

»Ich habe solche Namen geführt, wie mir dies Mädchen gibt,« sagte der Flüchtling nach momentanem Besinnen. »Ja, ich hieß Conachar, als ich glücklich war, und Eachin, als ich mächtig war. Aber jetzt habe ich keinen Namen und es gibt keinen solchen Clan, von dem du sprichst; und du bist ein thörichtes Mädchen, von dem zu sprechen, was nicht ist, und zu Einem, der nicht existirt.«

»Ach! Unglücklicher –«

»Und warum unglücklich, ich bitt' Euch!« rief der Jüngling. »Wenn ich ein Feiger und Schurke bin, beherrschen nicht Feigheit und Schurkerei die Elemente? – Habe ich nicht dem Wasser getrotzt, ohne daß es mich hinabriß, und die Erde getreten, ohne daß sie sich öffnete, mich zu verschlingen? Und ein Sterblicher sollte sich meinen Absichten widersetzen?«

»Ach, er rast!« sagte Katharina. »Eile, um Hilfe zu rufen. Er wird mir nichts thun. Aber ich fürchte, er wird sich selbst ein Leid thun. Sieh, wie er auf den tobenden Wasserfall hinabstarrt.«

Die Sängerin eilte zu thun, was ihr aufgetragen war, und Conachars halb wahnsinniger Geist schien durch ihre Abwesenheit beruhigter. »Katharina,« sagte er, »nun sie fort ist, will ich sagen, daß ich dich kenne – ich kenne deine Liebe zum Frieden und deinen Haß gegen den Krieg. Aber höre – ich habe, eh' ich einen Hieb auf meinen Feind führte, lieber Alles geopfert, was einem Manne das Theuerste ist – ich habe Ehre, Ruhm und Freunde verloren; und was für Freunde!« (Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen.) – »O, ihre Liebe ging über Weiberliebe! warum sollt' ich meine Thränen bergen? – Alle kennen meine Schande – Alle sehen meinen Schmerz. Ja, Alle könnten ihn sehen, aber wer möchte Mitleid haben? – Katharina, als ich wie ein Toller das Thal hernieder rannte, riefen Männer und Weiber Schmach über mich! – Der Bettler, dem ich ein Almosen zuwarf, um mir einen Segen zu erkaufen, warf mir's verächtlich zurück mit einem Fluch über den Feigen! Jede Glocke tönte nur: Schande dem elenden Schurken! Die wilden Thiere in ihrem Schreien und Brüllen – die tobenden Winde in ihrem Brausen und Heulen – die wilden Fluthen in ihrem Rauschen und Toben riefen: Schmach über den Feigling! – Die treuen Neun verfolgen mich noch; sie rufen mit schwacher Stimme: ›Führe nur einen Hieb zu unserer Rache, wir Alle starben für dich!‹«

Während der unglückliche Jüngling so raste, hörte man ein Rascheln im Gebüsch. »Es gibt nur einen Weg!« rief er, auf die Mauer springend, aber mit einem ängstlichen Blicke nach dem Dickicht, durch welches einige Diener schlichen, in der Absicht, ihn zu ergreifen. Aber in dem Augenblicke, wo er eine menschliche Gestalt aus dem Gebüsch hervorkommen sah, schlug er die Hände wild über dem Kopf zusammen und mit dem Rufe: »Bas air Eachin!« stürzte er die Höhe hinunter in den tobenden Wasserfall.

Es ist unnöthig, zu sagen, daß jeder feste Gegenstand durch einen solchen Fall in Stücke zerschmettert werden mußte. Aber der Strom war angeschwollen und die Reste des unglücklichen Jünglings wurden nie gesehen. Die wechselnde Sage hat die Geschichte auf mehrfache Weise ergänzt. Eine Nachricht sagt, daß der junge Häuptling des Clans Quhele wohlbehalten ans Ufer schwamm, weit unterhalb Campsie Linn, und daß er, trostlos in der Einöde von Rannoch irrend, dem Vater Clemens begegnete, der seinen Wohnsitz in der Wildniß als Einsiedler genommen hatte, nach der Weise der alten Culdees. Er bekehrte, sagt man, den trostlosen und reuigen Conachar, der mit ihm in seiner Zelle lebte, seine Andacht und seine Entbehrungen theilend, bis der Tod Beide nach einander wegraffte.

Eine andere, wunderbarere Sage deutet an, daß er vom Daione-Shie oder Feen-Volke dem Tode entrissen ward, und daß er nun noch immer durch Wald und Wildniß wandert, bewaffnet wie ein alter Hochländer, das Schwert aber in der linken Hand tragend. Das Gespenst zeigt sich stets in tiefem Gram. Bisweilen scheint er im Begriff, den Reisenden anzufallen, flieht aber stets, wenn man ihm muthig entgegentritt. Diese Sagen gründen sich auf zwei besondere Punkte in seiner Geschichte – seine erwiesene Furchtsamkeit und seinen Selbstmord; beides Umstände, die in der Geschichte eines Hochländerhäuptlings fast ohne Beispiel sind.

Nachdem Simon Glover dafür gesorgt, daß sein Freund Harry in seinem eigenen Hause in Curfewstreet gehörige Pflege fand, langte er am nämlichen Abend zu Campside an und fand seine Tochter sehr fieberkrank in Folge der Auftritte, die sie jüngst erlebt hatte, und besonders des Endes ihres ehmaligen Spielgenossen. Die Zuneigung der Sängerin machte diese zu einer so aufmerksamen und sorglichen Pflegerin, daß der Handschuhmacher sagte: es solle nicht seine Schuld sein, wenn sie je die Laute wieder berührte, außer zu ihrem eigenen Vergnügen.

Es währte einige Zeit, ehe Simon wagte, seiner Tochter von Harry's letztem Streit und seinen schweren Wunden zu sagen, und er nützte möglichst den vortheilhaften Umstand, daß ihr treuer Liebhaber Ehre und Reichthum zurückgewiesen habe, um kein Kriegsmann von Profession zu werden und Douglas zu folgen. Katharina seufzte tief und schüttelte das Haupt über die Geschichte des blutigen Palmsonntags auf dem nördlichen Anger. Offenbar aber hatte sie erwogen, daß die Menschen selten in Civilisation und Verfeinerung den Begriffen ihrer eigenen Zeit vorschreiten, und daß ein kühner und ausschweifender Muth, wie der Harry Schmieds, in den eisernen Tagen, in welchen sie lebte, der Schwäche vorzuziehen sei, welche Conachars unglückliches Ende herbeiführte. Wenn sie noch irgend Bedenklichkeiten bei der Sache hatte, so wurden sie bei Zeiten durch Harry's Berichtigungen beseitigt, sobald die hergestellte Gesundheit ihn fähig machte, seine eigene Sache zu vertreten.

»Ich sollte erröthen, zu gestehen, Katharina, daß der Gedanke an Kampf mich krank macht. Jenes letzte Schlachtfeld zeigte Metzelei genug, um einen Tiger zu befriedigen. Daher bin ich entschlossen, mein Schlachtschwert aufzuhängen und es nie wieder zu ziehen, außer gegen die Feinde Schottlands.«

»Und sollt' es Schottland verlangen,« sagte Katharina, »so will ich dir's umschnallen.«

»Und Katharina,« sagte der freudige Handschuhmacher, »wir wollen reichlich Seelenmessen für die bezahlen, welche durch Harry's Schwert gefallen sind; das wird nicht nur Geisterspuk verhüten, sondern uns auch wieder mit der Kirche befreunden.«

»Zu diesem Zweck, Vater,« sagte Katharina, »können die Schätze des elenden Dwining verwendet werden. Er hat sie mir vermacht, aber ich denke, Ihr möchtet sein schnödes Blutgeld nicht mit unserm ehrlich Erworbenen mischen.«

»Ebenso gern möcht' ich die Pest in mein Haus bringen,« sagte der entschlossene Handschuhmacher.

Die Schätze des bösen Apothekers wurden daher unter die vier Klöster vertheilt, und nie fand wieder ein leiser Verdacht Statt hinsichtlich der Rechtgläubigkeit des alten Simon oder seiner Tochter.

Harry und Katharina wurden vier Monate nach der Schlacht auf dem Nordanger verbunden, und nie führten die Innungen der Handschuhmacher und Schmiede ihren Schwerttanz so stattlich auf, als bei der Hochzeit des kühnsten Bürgers und des schönsten Mädchens von Perth. Zehn Monden später füllte ein munteres Kind die wohlbereitete Wiege und Louise wiegte es nach der Weise:

Treu und voll Muth.
Mit blauem Hut.

Die Namen der Pathen des Kindes sind aufbewahrt, nämlich »Ein hoch und mächtiger Lord, Archibald Grav von Douglas, Ein edel und frommer Ritter, Herr Patrick Charteris von Kinfauns, und Eine gnädige Prinzessin, Marjory, Wittib des erlauchten Herren David, weiland Herzogen von Rothsay.« Unter solcher Gönnerschaft hebt sich eine Familie schnell, und mehrere der geachtetsten Häuser in Schottland, besonders aber in Perthshire, und viele Männer, ausgezeichnet in Künsten und Waffen, erinnern sich mit Stolz ihrer Herkunft von dem Gow Chrom und dem schönen Mädchen von Perth.

 


 


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