Walter Scott
Das schöne Mädchen von Perth.
Walter Scott

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Zehntes Kapitel.

        Edler Freund!
Schilt ihre Luft nicht, gestern war sie traurig.
Und kann es morgen auch sein.
                              Joanna Bailie.

Der Herzog von Albany hieß, gleich seinem königlichen Bruder, Robert. Der Taufname des Letztern war Johann gewesen, bis er den Thron bestieg; der Aberglaube der Zeit bemerkte, daß der Name mit Mißgeschick verknüpft gewesen im Leben und der Regierung Johanns von England, Johanns von Frankreich und Johann Baliol's von Schottland. Man beschloß daher, daß, um dem bösen Omen vorzubeugen, der neue König sich Robert nennen solle, ein Name, welcher für Schottland durch die Erinnerung an Robert Bruce theuer war. Wir erwähnen dies aus Rücksicht auf das Vorhandensein zweier Brüder von gleichem Taufnamen in einer Familie, was jedenfalls eben so ungewöhnlich war, wie heutzutage.

Albany, gleichfalls ein bejahrter Mann, schien nicht mehr als der König zu kriegerischen Unternehmungen geneigt. Hatte er aber keinen Kriegsmuth, so hatte er die Klugheit, den Mangel jener Eigenschaften zu verstecken und zu umhüllen, überzeugt, daß dieser Fehler, wenn man ihn auch nur ahnte, alle Pläne stürzen würde, die sein Ehrgeiz entworfen. Auch war er stolz genug, im äußersten Falle Tapferkeit zu zeigen, wenn diese ihm gleich nicht eigenthümlich war, und besaß so viel Herrschaft über sich, um seine Nervenreizbarkeit zu verbergen. Uebrigens war er ein gewandter Staatsmann, ruhig, kalt und schlau; seine Blicke waren immer auf das Ziel gerichtet, das er zu erreichen wünschte, wenn es noch in weiter Ferne lag, und er verlor es nie aus dem Gesicht, wenn gleich die Krümmungen des Weges, den er einschlug, oft nach ganz entgegengesetzter Richtung führen zu müssen schienen. In seiner Person glich er dem König, denn sein Wuchs und seine Haltung war eben so edel und majestätisch; was er jedoch vor dem ältern Bruder voraus hatte, war, daß er nicht gebrechlich und im Allgemeinen gewandter und lebhafter war. Seine Kleidung war reich und gewählt, wie sie sein Alter und Rang forderte, und gleich seinem königlichen Bruder trug er gar keine Waffen, indem ein Besteck kleiner Messer an seinem Gürtel den Ort einnahm, wo sonst ein Dolch stak, sobald man kein Schwert trug.

Bei des Herzogs Eintritt zog sich der Prior, eine ehrerbietige Verbeugung machend, nach einer Vertiefung des Saales zurück, etwas entfernt vom Sitze des Königs, um die Unterhaltung der Brüder nicht durch Gegenwart einer dritten Person zu stören. Es muß hier erwähnt werden, daß die Vertiefung durch ein Fenster gebildet wurde, welches sich an der innern Fronte der Klostergebäude befand, die man Palast nannte, weil sich die schottischen Könige häufig hier aufhielten, obwohl gewöhnlich der Prior oder Abt hier wohnte. Das Fenster, über dem Haupteingange zu den königlichen Gemächern gelegen, sah auf den innern Hof des Klosters, der zur Rechten durch die lange, prächtige Kirche, zur Linken durch ein Gebäude begrenzt wurde, worin sich die Zellen, das Refektorium, die Probstei und andere Zimmer befanden. Diese ganze Partie stand abgesondert von dem Flügel, den König Robert mit seinem Hofstaat einnahm. Eine vierte Reihe von Gebäuden, deren äußere Fronte gegen Morgen lag, bestand aus einem großen Hospitium zur Aufnahme der Fremden oder Pilger, und aus den Magazinen für die großen Vorräthe, deren die glänzende Gastfreiheit der Dominikaner bedurfte. Ein hohes Gewölbe führte durch die östliche Fronte in den innern Hof, es lag gerade dem Fenster gegenüber, an welchem der Prior Amseln stand, und er konnte durch die dunkle Halle sehen und die Lichtstrahlen bemerken, die durch das östliche, offenstehende Thor in das Gewölbe hineinfielen, aber wegen der Höhe und Tiefe desselben konnte er das gegenüberliegende Portal nur undeutlich unterscheiden. Es ist nothwendig, diese Oertlichkeiten zu merken. Wir kehren zurück zu der Unterhaltung zwischen den fürstlichen Brüdern.

»Mein lieber Bruder,« sagte der König, den Herzog von Albany zurückhaltend, als dieser ihm die Hand küssen wollte; »mein lieber, lieber Bruder, wozu diese Förmlichkeit? Sind wir nicht Beide Söhne desselben Stuart von Schottland und derselben Elisabeth More?«

»Ich habe nicht vergessen, daß dem also ist,« sagte Albany, sich aufrichtend; »aber ich darf, bei aller Vertraulichkeit gegen den Bruder, die Ehrerbietung nicht vernachlässigen, die dem König gebührt.«

»O, wahr, sehr wahr, Robin,« antwortete der König. »Der Thron gleicht einem hohen und dürren Felsen, auf dem nie eine Blume oder Staude Wurzel fassen kann. Alle freundlichen Gefühle, alle zärtlichen Neigungen versagt man einem König. Ein König darf einen Bruder nicht an sein Herz drücken – er darf seiner Zärtlichkeit gegen einen Sohn nicht nachgeben!«

»Das ist in mancher Hinsicht das Loos der Größe, Sire,« antwortete Albany; »aber der Himmel, der von Ew. Majestät Sphäre die Glieder Eurer eigenen Familie etwas entfernte, hat Euch ein ganzes Volk zu Euren Kindern gegeben.«

»Ach, Robert!« antwortete der Monarch, »Euer Herz ist besser geeignet für die Pflichten eines Monarchen, als das meine. Ich sehe von der Höhe, auf welche das Schicksal mich stellte, auf die Menge, die ihr meine Kinder nennt – ich liebe sie, ich will ihnen wohl – aber ihrer sind viel und sie sind fern von mir. Ach! selbst der Geringste von ihnen hat ein geliebtes Wesen, das er an's Herz drücken kann, und dem er die Zärtlichkeit eines Vaters weihen darf; aber Alles, was ein König einem Volke geben kann, ist ein Lächeln, wie es die Sonne den Schneegipfeln der Grampischen Gebirge schenkt, so fern und so wirkungslos! Ach, Robin, unser Vater pflegte uns zu liebkosen, und wenn er uns schalt, so geschah es mit freundlichem Tone; doch war er Monarch so gut als ich, und warum sollte mir nicht erlaubt sein, gleich ihm, meinen armen verlorenen Sohn durch Zärtlichkeit so gut als durch Strenge zu bessern?«

»Wäre Zärtlichkeit nie versucht worden, mein König,« erwiderte Albany im Tone eines Menschen, der eine Meinung ausspricht, deren Aeußerung ihn schmerzt, »so müßte allerdings zuerst von sanften Mitteln Gebrauch gemacht werden. Ew. Majestät können am besten urtheilen, ob man diese Mittel nicht schon lange genug angewendet hat, und ob Strenge nicht wirksamer wäre. Es steht ausschließlich in Eurer königlichen Macht, gegen den Herzog von Rothsay die Maßregeln zu nehmen, die Ihr für sein und des Reiches Bestes am geeignetsten haltet.«

»Das ist unfreundlich, Bruder,« sagte der König; »Ihr zeigt mir den schmerzlichen Weg, den ich betreten soll, aber Ihr bietet mir keine Unterstützung dabei.«

»Ueber meine Unterstützung hat Ew. Majestät stets zu gebieten,« erwiderte Albany; »würde es aber mir unter allen andern Männern anstehen, Euch zu harten Maßregeln gegen Euren Sohn und Erben anzutreiben? Mir, auf den im Falle des Erlöschens Eurer königlichen Familie, was Gott verhüte, diese verhängnißvolle Krone übergehen würde? Würde nicht der gewaltthätige March und der stolze Douglas sagen und denken, Albany habe den Samen der Zwietracht gestreut zwischen seinen Bruder, den König, und den Erben des Thrones von Schottland, um zu diesem den Weg seinem eigenen Hause zu bahnen? Nein, mein König – ich kann Eurem Dienste mein Leben opfern, aber ich darf meine Ehre nicht in Gefahr bringen.«

»Ihr habt Recht, Robin, Ihr habt sehr Recht,« erwiderte der König, der sich beeilte, den Worten seines Bruders seine eigene Deutung zu geben. »Wir dürfen nicht dulden, daß diese mächtigen und gefährlichen Lords merken, es sei ein Zwiespalt in der königlichen Familie. Das ist vor Allem zu verhüten, und daher wollen wir noch ein Mal Nachsicht versuchen in der Hoffnung, Rothsay von seinen Verirrungen zurückzubringen. Ich bemerke manchmal an ihm Funken von Verstand, die ihn liebenswürdig machen; er ist jung, sehr jung, er ist Prinz und das wilde Feuer der Jugend lodert bei ihm noch in voller Kraft. Wir wollen Geduld mit ihm haben, wie ein guter Reiter mit einem unlenksamen Roß. Laßt diesen leichten Sinn austoben, und Niemand wird dann zufriedener mit ihm sein, als Ihr. Ihr habt mir schon manchmal vorgeworfen, ich sei zu zurückgezogen, zu still, – Rothsay hat diese Fehler nicht.«

»Ich wette mein Leben, daß er sie nicht hat,« antwortete Albany trocken.

»Und es mangelt ihm ebenso wenig Verstand, als Lebendigkeit,« fuhr der König fort, der die Sache seines Sohnes gegen den Bruder verfocht. »Ich habe nach ihm geschickt, damit er heute dem Rathe beiwohne, und wir werden sehen, wie er seiner Pflicht nachkommt. Ihr selber gebt zu, Robin, daß dem Prinzen weder Scharfsinn noch Gewandtheit zu Geschäften fehlen, wenn er aufgelegt ist, sich damit zu befassen.«

»Ohne Zweifel fehlt es ihm nicht daran, mein König,« erwiderte Albany, »wenn er aufgelegt ist, sich damit zu befassen.«

»So sag' ich,« entgegnete der König; »und es freut mich herzlich, daß Ihr mir beistimmt, Robin, bei dem armen unglücklichen jungen Manne noch ein Mal Nachsicht anzuwenden. Er hatte keine Mutter mehr, um seine Sache bei einem unwilligen Vater zu vertreten. Daran muß man sich erinnern, Albany.«

»Ich hoffe,« sagte Albany, »das Verfahren, welches Eurer Majestät Gefühl am angenehmsten ist, werde sich als das weiseste und beste bewähren.«

Der Herzog durchschaute ganz gut die einfache Kriegslist, wodurch sich der König den Schlüssen seiner Bemerkungen zu entziehen, und, unter dem Vorwande seiner Genehmigung, einen entgegengesetzten Weg einzuschlagen suchte, als der ihm empfohlen worden. Aber obwohl er sah, daß er ihn nicht bewegen konnte, den angegebenen Weg einzuschlagen, so mochte er doch nicht alle Hoffnung aufgeben, entschlossen, eine bessere Gelegenheit zu erwarten, die ihm die Mißhelligkeiten zwischen dem König und dem Prinzen bald gewähren sollten.

Inzwischen rief König Robert, aus Furcht, sein Bruder möchte den verhaßten Gegenstand, dem er soeben entgangen, wieder aufnehmen, laut den Prior der Dominikaner herbei. »Euer Posten beherrscht den Schloßhof, ehrwürdiger Vater. Ich höre Pferdegetrappel. Seht aus dem Fenster und sagt uns, wer kommt. Ist es nicht Rothsay?«

»Der edle Graf von March mit seinem Gefolge,« sagte der Prior.

»Ist sein Gefolge stark?« fragte der König. »Betreten seine Leute den Hof?«

Im nämlichen Augenblicke flüsterte Albany dem König zu: »Fürchtet nichts – die BrandanenSo hießen die Bewohner der Insel Bute, aus denen die königliche Leibwache bestand. Eures Hauses stehen unter den Waffen.«

Der König nickte dankend, während der Prior vom Fenster die Frage beantwortete: »Der Graf ist begleitet von zwei Pagen, zwei Herren und vier Knechten. Ein Page folgt ihm auf der Haupttreppe und trägt seiner Herrlichkeit Schwert. Die andern halten im Hofe, und – Benedicite! was ist das? – Hier ist eine wandernde Sängerin, die sich mit ihrer Laute unter den königlichen Fenstern zum Gesang anschickt, im Kloster der Dominikaner, wie sie es im Hofe einer Schenke könnte. Ich will sie sogleich fortweisen lassen.«

»Nicht so, Vater,« sagte der König. »Laßt mich für die arme Pilgerin bitten. Die sogenannte ›fröhliche Kunst‹, welche sie treibt, ist trübselig vereint mit der Armuth und dem Elend, wozu dies wandernde Geschlecht der Minstrels verdammt ist. Darin gleicht es den Königen, die allenthalben auf ihrem Wege mit Freuden empfangen werden und umsonst nach dem friedlichen Glücke seufzen, das der ärmste Landmann im Schooße seiner Familie genießt. Die wandernde Sängerin soll nicht fortgewiesen werden, Vater; laßt sie, wenn sie will, vor den Dienern und Reitern im Hofe singen. Vielleicht wird dadurch verhütet, daß sie handgemein werden, wie sie pflegen, die so wilden und feindseligen Herren angehören.«

So sprach der wohlwollende und gemüthsschwache Fürst, und der Prior verbeugte sich gehorsam. Während er sprach, trat der Graf von March in den Audienzsaal, gekleidet in die gewöhnliche Rittertracht der Zeit, und den Dolch an der Seite. Er hatte den Edelknaben, der sein Schwert trug, im Vorzimmer gelassen. Der Graf war ein wohlgebauter, schöner Mann von blühendem Aussehen, sein Haar dicht und blond, und seine glänzenden blauen Augen funkelten wie die eines Adlers; in seinem, übrigens angenehmen, Betragen entwickele er einen reizbaren, jähzornigen Charakter, und seine Stellung in der Welt als angesehener, mächtiger Lehnsherr gab ihm nur zu viel Freiheit, seinen Leidenschaften nachzuhängen.

»Es freut mich, Euch zu sehen, Mylord von March,« sagte der König mit huldvoller Verbeugung. »Ihr seid lange nicht in unserm Rathe gewesen?«

»Mein Lehnsherr,« antwortete March mit einer tiefen Verbeugung vor dem König, und einem stolzen und förmlichen Gruße gegen den Herzog von Albany, »wenn ich in Eurer Majestät Rathe fehlte, so geschah es, weil angenehmere und ohne Zweifel gewandtere Räthe meine Stelle einnahmen. Ich komme nur, Eurer Majestät zu sagen, daß die Nachrichten, die ich von der englischen Grenze erhalten habe, es nöthig machen, daß ich ohne Verzug auf meine Güter zurückkehre. Ihr habt Euren Bruder, den weisen, klugen Herzog von Albany, mit dem Ihr Beschlüsse fassen könnt, und den mächtigen, tapferen Grafen Douglas, sie auszuführen. Ich kann nur in meinem Gebiete Dienste leisten, und bin entschlossen, mit Eurer Majestät Erlaubniß sofort dorthin zurückzukehren, um mein Amt als Wächter der östlichen Grenze zu versehen.«

»Ihr werdet nicht so unfreundlich gegen uns sein, Vetter,« erwiderte der sanfte Monarch. »Es sind schlimme Zeitungen vorhanden. Die unseligen Hochlandclans fangen wieder an, sich offen zu empören, und die Ruhe des Hofes heischt die Unterstützung unserer besten Räthe und tapfersten Barone, um zu vollziehen, was wir zu thun Willens sind. Der Nachkomme Thomas Randolphs wird gewiß den Enkel Robert Bruce's in solcher Zeit nicht verlassen.«

»Ich lasse bei ihm den Nachkommen des weltberühmten James von Douglas,« antwortete March. »Es ist seiner Herrlichkeit Stolz, daß er nie den Fuß in den Steigbügel setzt, ohne daß tausend Reiter zugleich mit ihm als tägliche Leibwache aufsitzen, und ich glaube, die Mönche von Aberbrothock werden das beschwören. Gewiß, die Ritter von Douglas vermögen besser einen Haufen empörter Hochländer zurückzuschlagen, als ich den englischen Bogenschützen und der Macht Henry Hotspurs Widerstand zu leisten. Ueberdies ist hier seine Hoheit, der Herzog von Albany, der für die Sicherheit Ew. Majestät so gut sorgt, daß er Eure Brandanen unter die Waffen treten läßt, wenn sich ein gehorsamer Unterthan der Residenz seines Königs nähert mit einem armseligen halben Dutzend Reiter, dem Gefolge des geringsten Barons, der eine Burg und tausend Acker dürres Land besitzt. Wenn man solche Vorsichtsmaßregeln trifft, wo sich nicht der geringste Schein von Gefahr zeigt – denn ich hoffe, daß man keine von mir befürchtete – da wird Eure königliche Person vor wirklicher Gefahr gewiß sicher bewacht sein.«

»Mylord von March,« sagte der Herzog von Albany, »die geringsten der Barone, von denen Ihr sprecht, lassen ihre Begleiter unter die Waffen treten, selbst wenn sie ihre liebsten und nächsten Freunde hinter der Eisenpforte ihres Schlosses empfangen; und wenn es unsrer lieben Frau gefällt, werd' ich nicht minder für die Sicherheit der Person des Königs sorgen, als sie für ihre eigene thun. Die Brandanen sind des Königs unmittelbares Gefolge und seine Leibwache, und hundert von ihnen ist nur eine schwache Bedeckung für einen König, da Ihr selbst, Mylord, so wie der Graf von Douglas, oft mit zehn Mal mehr reitet.«

»Edler Herzog,« erwiderte March, »wenn es der Dienst des Königs erfordert, kann ich mit zehn Mal so viel Leuten, als Ihr nanntet, reiten; nie aber that ich es in verräterischer Absicht gegen den König, oder aus Stolz, um es andern Edlen zuvorzuthun.«

»Bruder Robert,« sagte der König, der immer eifrig Frieden zu stiften suchte, »Ihr thut Unrecht, einen Verdacht gegen Mylord von March anzudeuten; und Ihr, Vetter March, laßt der Weisheit meines Bruders keine Gerechtigkeit widerfahren. – Aber hört – um dies mißliche Gespräch zu unterbrechen, – ich vernehme keinen ungefälligen Gesang. Ihr kennt die fröhliche Kunst, Mylord von March, und habt sie gern. – Tretet an jenes Fenster, neben den frommen Prior, an den wir keine Frage über weltliche Vergnügungen richten mögen; und darum sollt Ihr uns sagen, ob die Musik und der Gesang verdienen von uns gehört zu werden. Die Worte sind französisch, glaub' ich – meines Bruders von Albany Urtheil gilt in solchen Dingen nichts – daher sollt Ihr, Vetter, uns sagen, ob die arme Sängerin eine Belohnung verdient. Unser Sohn und Douglas werden gleich hier sein, und dann, wenn unser Rath versammelt ist, wollen wir ernstere Dinge verhandeln.«

Mit einer Art von Lächeln auf seinem stolzen Gesicht ging March in die Fenstervertiefung und stand dort schweigend neben dem Prior, gleich Einem, der, während er des Königs Befehle gehorcht, die ängstliche Vorsicht, die diesen veranlaßte, durchschaute, womit der Monarch einen Streit zwischen ihm und Albany abzuwenden suchte. Die Weise, welche auf einer Laute gespielt wurde, war anfangs fröhlich und heiter, mit einem Anflug der lebendigen Art der Troubadours. Allmälig aber wurden die Töne des Instrumentes und die weibliche Stimme, die sie begleiteten, klagend und gedehnt, als dämpfte sie das schmerzliche Gefühl der Sängerin.

Der beleidigte Graf, welcher Art auch seine vom König gerühmte Kennerschaft in solchen Dingen sein mochte, zollte, wie sich denken läßt, der Musik der Sängerin wenig Aufmerksamkeit. Sein stolzes Herz kämpfte zwischen der seinem Souverain schuldigen Treue, so wie der Liebe, die noch in seinem Busen für den gutmüthigen König lebte, und dem Verlangen nach Rache, welches sein getäuschter Ehrgeiz und die Schmach erweckte, die ihm widerfuhr, als Marjory Douglas statt seiner verlobten Tochter die Braut des muthmaßlichen Thronerben wurde. March hatte die Fehler und Tugenden der unentschlossenen Charaktere, und selbst wenn er sich vom König in der Absicht beurlaubt hätte, die ihm geschworene Treue zu brechen, hätte er, auf seinen Gütern angelangt, über ein so strafbares, so gefahrvolles Unternehmen nicht mit sich in's Reine kommen können. Solche gefährliche Gedanken beschäftigten ihn, während das Lied der Sängerin begonnen hatte; aber Gegenstände, die seine Aufmerksamkeit mächtiger fesselten, während die Sängerin fortfuhr, nahmen den Gang seiner Gedanken ein, und richteten sie auf das, was im Klosterhofe vorging. Der Gesang war in provençalischem Dialekt, wohlverstanden bei allen europäischen, und besonders dem schottischen Hofe, als Sprache der Dichtkunst. Das Lied war indeß einfacher, als gewöhnlich bei den Troubadours, und glich mehr der Weise eines normannischen Minnesängers. Es lautete in unserer Sprache etwa so:

Das Lied der armen Louise.

Arme Louise! Tagelang
Geht stets durch Hütt' und Schloß ihr Gang!
Da warnt ihr Spiel und ihr Gesang:
Vorm Waldpfad, Mädchen, sei euch bang',
                Denkt an Louise.

Arme Louise! Glühend bricht
Der Sonne Gluth auf Wang' und Gesicht,
Nah' war der Waldpfad, kühl und dicht,
Wo Vogelsang beim Bächlein spricht
                Froh zu Louise.

Arme Louise! Des Bären Brut
Hat nie hier im schönen Hain geruht;
Kein Wolf weilt hier an Baches Fluth –
Doch besser wär's, tränken sie das Blut
                Der armen Louise.

Arme Louise! Im Waldesgrün
Naht ihr ein Jäger schön und kühn;
In Seid' und Gold – die Augen sprühn –
Manch süßes Wort macht heiß erglühn
                Die arme Louise.

Arme Louise! Nicht Angst noch Pein
Hat dir gemacht des Goldes Schein;
Denn Frieden, wie ihn Engel leihn,
Und Kindesunschuld waren dein,
                Arme Louise!

Arme Louise! Hin ist dein Gut!
Weiß nicht, ob List es stahl, ob Gluth.
Gabst du es, nahm's des Räubers Wuth?
Doch nun ist Elend das ganze Gut
                Der armen Louise!

Arme Louise! Nach Hilfe streckt
Sie die Hand nicht aus; von der Lust geweckt
Sei kein Fröhlicher, durch sie geschreckt –
Denn der Himmel tröstet, die Erde deckt
                Die arme Louise.

Kaum war das Lied beendigt, als der König, besorgt, daß sich der Streit zwischen seinem Bruder und dem Grafen von March wieder entspinnen möchte, dem Letztern zurief: »Was haltet Ihr von der Musik, Mylord? – ich denk' es selber hier in der Ferne vernommen zu haben, es war ein lebendiges, angenehmes Lied.«

»Mein Urtheil ist nicht von Belang, Herr; aber die Sängerin kann meinen Beifall entbehren, da sie den seiner Hoheit, Rothsay's, des ersten Kenners in Schottland, erhalten zu haben scheint.«

»Wie!« sagte der König unruhig, »ist mein Sohn unten?«

»Er sitzt zu Pferde neben der Sängerin,« sagte March mit einem boshaften Lächeln, »offenbar eben so angezogen durch ihre Unterhaltung, wie durch ihre Musik.«

»Wie ist das, Vater Prior?« sagte der König. Aber der Prior zog sich vom Fenster zurück.

»Mein König, ich will Dinge nicht ansehen, deren Bericht mir schwer fallen würde.«

»Wie verhält sich das?« sagte der König, dessen Gesicht von Röthe bedeckt war, während er im Begriff schien, aufzustehen; doch besann er sich anders, vielleicht weil er nicht gern einen ungeziemenden Streich des wilden jungen Prinzen mit ansehen wollte, den mit nöthiger Strenge zu strafen er nicht über's Herz bringen konnte. Dem Grafen von March schien es Freude zu machen, ihm das zu melden, was er wahrscheinlich nicht gern wissen wollte.

»Mein König,« rief er, »es wird immer besser. Die Sängerin hat nicht nur das Ohr des Prinzen von Schottland eingenommen, wie das jedes Knechtes und Reiters im Hofe, sondern sie hat auch die Aufmerksamkeit des schwarzen Douglas gefesselt, den wir noch nicht als Bewunderer der fröhlichen Kunst kannten. Aber wahrlich, mich wundert seine Ueberraschung nicht, denn der Prinz hat die schöne Künstlerin von Laute und Gesang mit einem Beifallskusse belohnt.«

»Wie?« rief der König, »treibt David von Rothsay Possen mit einer Sängerin, und in Gegenwart des Vaters seines Weibes? – Geht, mein guter Vater Abt, ruft den Prinzen sogleich hierher. – Geht, mein theuerster Bruder« – und als Beide das Gemach verlassen hatten, fuhr der König fort: – »geht, guter Vetter von March – das wird Unheil geben, ich bin deß gewiß. Ich bitt' Euch, geht, Vetter, und unterstützt des Herrn Priors Bitten mit meinem Befehl.«

»Ihr vergeßt, mein König,« sagte March im Tone eines schwer beleidigten Mannes, »daß der Vater Elisabeths von Dunbar ein unpassender Vermittler zwischen Douglas und seinem königlichen Schwiegersohn wäre.«

»Ich bitt' Euch um Verzeihung, Vetter,« sagte der sanfte alte Mann; »ich gestehe, es ist Euch ein Unrecht geschehen – aber mein Rothsay wird ermordet werden – ich muß selber gehen.«

Als er sich aber hastig von seinem Stuhle erhob, that der arme König einen falschen Tritt, stolperte und fiel hart auf eine solche Weise auf den Boden, daß sein Haupt gegen die Ecke des Stuhles stieß, den er verlassen, und er ward eine Minute lang ohnmächtig. Der Anblick dieses Unfalles überwältigte sogleich March's Zorn und machte sein Herz weich. Er eilte zu dem gefallenen Monarchen, half ihm wieder auf seinen Sitz und wandte dabei auf die zarteste und ehrerbietigste Weise solche Mittel an, als ihm am passendsten schienen, sein Bewußtsein zurückzurufen. Robert öffnete seine Augen und starrte verstört umher.

»Was ist geschehen? – sind wir allein? – wer ist bei uns?«

»Euer ergebener Unterthan, March,« erwiderte der Graf.

»Allein mit dem Grafen von March!« wiederholte der König, während sein noch immer gestörter Geist mit einiger Unruhe den Namen eines mächtigen Vasallen vernahm, den er tödtlich beleidigt zu haben glauben mußte.

»Ja, mein gnädiger König, mit dem armen Georg von Dunbar, von dem Viele Ew. Majestät Uebles beibringen, obwohl er Eurer königlichen Person treuer erfunden werden wird, als Jene.«

»Fürwahr, Vetter, es ist Euch zu viel Unrecht geschehen; und glaubt mir, wir wollen auf Entschädigung denken –«

»Wenn Ew. Majestät darauf denkt, so kann es noch geschehen,« unterbrach ihn der Graf, die Hoffnung festhaltend, die ihm sein Ehrgeiz eingab, »der Prinz und Marjory Douglas sind nahe verwandt – die Dispensation von Rom ward nicht in gehöriger Form gewährt – Ihre Heirath kann nicht rechtmäßig sein – der Papst, der mehr für einen so guten Fürsten thun wird, kann dies unchristliche Bündniß aufheben, hinsichtlich des frühern Kontraktes. Bedenkt wohl, mein König,« fuhr der Graf fort, indem sich auf's Neue ehrgeizige Gedanken in ihm regten, welche die unerwartete Gelegenheit, seine Sache persönlich zu vertreten, in ihm erweckt hatte, – »bedenkt Eure Wahl zwischen Douglas und mir. Er ist roh und mächtig, das ist wahr; aber Georg von Dunbar trägt die Schlüssel Schottlands an seinem Gürtel und könnte eine Armee vor die Thore von Edinburg führen, ehe Douglas die Grenzen von Cairntable verließ, um ihr zu begegnen. Euer königlicher Sohn liebt meine arme verlassene Tochter und haßt die stolze Marjory von Douglas. Eure Majestät kann seine geringe Achtung für sie aus seinem Betragen gegen eine gemeine Sängerin in Gegenwart ihres Vaters ersehen.«

Der König hatte bisher der Rede des Grafen mit der verstörten Empfindung eines furchtsamen Reiters zugehört, den ein hartnäckig Pferd trägt, dessen Lauf er weder hemmen noch leiten kann. Aber die letzten Worte erweckten in seiner Erinnerung das Bewußtsein der unmittelbaren Gefahr des Sohnes.

»Ach ja, sehr wahr – mein Sohn – der Douglas – O, mein theuerster Vetter, verhütet Blutvergießen, und Alles soll nach Eurem Willen geschehen. – Horcht, da findet ein Getümmel statt – das war Schwerterklirren!«

»Bei meinem Ritterwort – das ist wahr!« sagte der Graf, aus dem Fenster auf den innern Klosterhof hinabschauend, der jetzt von bewaffneten Leuten und geschwungenen Schwertern angefüllt war und vom Klirren der Waffen widerhallte. Der hochgewölbte Eingang war gedrängt voll von Kriegern, und es schien, als würden Hiebe gewechselt zwischen Einigen, die sich bemühten, das Thor zu schließen, und Andern, die hineinzudringen suchten.

»Ich will sogleich gehen,« sagte der Graf von March, »und diesen plötzlichen Zwist bald dämpfen. Bescheidentlich bitt' ich Eure Majestät, an das zu denken, was ich vorzuschlagen die Kühnheit hatte.« –

»Ich will – ich will, lieber Vetter,« sagte der König, der kaum wußte, was er versprochen hatte. – »Aber verhütet Tumult und Blutvergießen!«


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