Walter Scott
Das schöne Mädchen von Perth.
Walter Scott

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Siebentes Kapitel.

Der Streit läßt künftig einmal Blut vergießen.
                          Heinrich IV., erster Theil.

Das Conclave der Bürger, die sich versammeln wollten, um den Anlauf der vorigen Nacht zu erforschen, war nun beisammen. Das Arbeitszimmer Simon Glovers war gedrängt gefüllt von Personen bedeutenden Ansehens, deren einige schwarze Sammtkleider und goldene Ketten am Halse trugen. Sie waren allerdings die Väter der Stadt, und es befanden sich Bailie's und Stadtvögte in ihrer Mitte. Es lagerte eine erzürnte, beleidigte und gewichtige Miene auf jeder Stirn, während sie sich flüsternd, theils laut, oder paarweise besprachen. Der Geschäftigste unter den Geschäftigen, der kleine bedeutende Helfer in voriger Nacht, Oliver Proudfute mit Namen und Strumpfwirker seines Gewerbes, fuhr unter der Menge hin und her, ganz nach der Weise einer Seemöve, die am meisten flattert und schreit beim Beginn des Sturmes, obwohl sich kaum begreifen läßt, was der Vogel Besseres zu thun haben könnte, als in sein Nest zu fliegen und ruhig zu bleiben, bis der Sturm vorbei ist.

Sei dem wie ihm wolle, Meister Proudfute befand sich mitten unter der Versammlung, seine Finger an eines Jeden Rockknopf und seinen Mund an Jedermanns Ohr, indem er die umfaßte, die von gleicher Größe mit ihm waren, um seine Gedanken vertraulicher und geheimnißvoller zu äußern; dann stand er wieder auf den Zehen und bediente sich des Mantelkragens langer Leute, um ihnen ebenfalls seine Mittheilungen auf diese Art zufließen zu lassen. Er fühlte sich selber als einen Helden in der Angelegenheit voll Bewußtsein der Würde höherer Kenntniß der Sache, weil er Augenzeuge gewesen, und so war er sehr geneigt, den Antheil, den er dabei gehabt, über die Grenzen der Bescheidenheit und Wahrheit etwas auszudehnen. Man kann nicht sagen, daß seine Mittheilungen von Wichtigkeit und Werth gewesen wären, indem sie hauptsächlich aus Versicherungen bestanden, wie folgende:

»Es ist Alles wahr, bei St. John. Ich war dabei und sah es selber – war der Erste, der auf den Lärm herbeieilte; und wär' ich und ein zweiter wackerer Bursche nicht gewesen, der zugleich anlangte, so hätten sie Simon Glover die Hausthür eingerannt, ihm die Kehle abgeschnitten und seine Tochter in die Gebirge fortgeschleppt. Es ist ein zu arges Verfahren – kann nicht geduldet werden, Nachbar Crookschank, – nicht ertragen, Nachbar Glas – ist nicht auszuhalten, Nachbar Balneaves, Rollock und Chrysteson. Es war ein Glück, daß ich und der tapfere Mensch dazu kam – nicht wahr, Nachbar und würdiger Bailie Craigdallie?«

Diese Reden wurden von dem geschäftigen Strumpfwirker in verschiedene Ohren gestreut. Bailie Craigdallie, ein gewichtiger Zunftgenosse, derselbe, der gerathen hatte, die Berathung über den Vorfall in der Nacht auf diese Zeit und diesen Ort zu verschieben, ein großer, dicker, freundlicher Mann, befreite sich von der Hand des Zunftmeisters, der sich an seinem Mantelkragen festgekrallt hatte, fast auf gleiche Weise, wie ein muthiges Pferd die quälende Bremse abschüttelt, die es zehn Minuten plagte, und rief aus: »Stille, ihr guten Bürger; hier kommt Simon Glover, in welchem kein Mensch jemals Falschheit entdeckte. Wir werden die Unbilde aus seinem eigenen Munde erfahren.«

Simon, der sich aufgefordert sah, seine Geschichte zu erzählen, that dies mit sichtbarer Verlegenheit, die er einem Widerstreben zuschrieb, daß die Stadt seinetwegen in tödtliche Fehde mit Jemand gerathen könne. Es war, so sagte er, ein Maskenstreich von Seiten der jungen Ritter am Hofe, und das Schlimmste, was dabei herauskommen möchte, sei, daß er Eisenstangen an seiner Tochter Fenster setzen werde, um ein ähnliches Possenspiel zu hindern.

»Nun, wenn dies eine bloße Mummerei war,« sagte Craigdallie, »hat unser Mitbürger, Harry vom Wynd, sehr unrecht gethan, eines Edelmanns Hand wegen so harmlosen Scherzes abzuhauen, und die Stadt kann schwerer Buße dafür verfallen, wenn wir den Verstümmler nicht in Gewahrsam nehmen.«

»Unsere liebe Frau verhüte das!« sagte der Handschuhmacher. »Wüßtet ihr, was ich weiß, so würdet ihr euch so sehr scheuen, euch in diese Sache zu mengen, als wär's glühend Eisen. Aber da ihr die Finger durchaus in's Feuer stecken wollt, so mag die Wahrheit gesagt werden. Und komme, was da wolle, so muß ich sagen, daß die Sache für mich und die Meinigen hätte sehr schlimm ablaufen können, wäre Harry Gow, der Waffenschmied, den ihr Alle kennt, nicht mit gelegener Hilfe gekommen.«

»Und meine fehlte auch nicht,« sagte Oliver Proudfute, »obwohl ich gestehe, daß ich kein so ganz ausnehmender Fechter bin, wie unser Nachbar Harry Gow. – Ihr saht mich, Nachbar Glover, beim Anfang des Lärmes?«

»Ich sah Euch nach dem Ende desselben, Nachbar,« antwortete der Handschuhmacher trocken.

»Freilich, freilich; ich vergaß, daß Ihr in Eurem Hause wart, als die Hiebe begannen, und Ihr konntet nicht sehen, wer sie austheilte.«

»Still, Nachbar Proudfute; ich bitt' Euch, still,« sagte Craigdallie, den das ewige Geschrei des würdigen Zunftmeisters sichtbar ermüdete.

»Es ist etwas Geheimnißvolles dabei,« sagte der Bailie; »aber mich dünkt, ich komme dahinter. Unser Freund Simon ist, wie euch Allen bekannt, ein friedlicher Mann, einer, der sich lieber ein Unrecht anthun läßt, eh' er einen Freund oder eine ganze Nachbarschaft in Gefahr bringt, ihn zu rächen. Du, Harry, der du nie fehlst, wo die Stadt einen Vertheidiger braucht, sag' uns, was du von der Sache weißt.«

Unser Schmied erzählte seine Geschichte auf dieselbe Weise, wie wir sie bereits kennen; und der geschäftige Strumpfwirker setzte wie vorher hinzu: »Und du sahst mich dabei, ehrlicher Schmied, nicht wahr?«

»Ich wahrhaftig nicht, Nachbar,« antwortete Harry; »aber Ihr seid ein kleiner Mann, wie Ihr wißt, und ich kann Euch übersehen haben.«

Diese Antwort erregte ein Gelächter auf Oliver's Kosten, welcher mit den Andern lachte, aber mürrisch hinzufügte: »Ich war bei alledem einer der Ersten, die zu Hilfe kamen.«

»Ei, wo warst du denn alsdann, Nachbar?« sagte der Schmied; »denn ich sah dich nicht, und ich hätte den Werth der besten Waffenrüstung, die ich je machte, darum gegeben, einen so tapferen Burschen, wie dich, an meiner Seite zu haben.«

»Ich war aber nicht weit davon, ehrlicher Schmied; und während du Schläge wie auf einen Ambos austheiltest, parirte ich die, welche die übrigen Schurken hinter deinem Rücken gegen dich führten; und aus dem Grunde sahst du mich nicht.«

»Ich habe von Schmieden in alter Zeit gehört, die nur ein Auge hatten,« sagte Harry. »Ich habe zwei, aber sie sitzen mir beide vorn unter der Stirn, und daher konnt' ich nicht hinterrücks sehen, Nachbar.«

»Die Wahrheit ist aber,« beharrte Meister Oliver, »daß ich dabei war, und ich will Meister Bailie meinen Bericht von der Sache geben; denn der Schmied und ich waren die ersten bei dem Lärm.«

»Genug für jetzt,« sagte der Bailie, mit einer zum Schweigen mahnenden Geberde gegen Proudfute. »Die Erklärung Simon Glover's und Harry Gow's würden auch bei einer weniger glaublichen Sache hinreichen. Jetzt, ihr Meister, fragt sich, was wir thun sollen. All' unsere Rechte als Bürger sind verhöhnt und verletzt, und, wie ihr denken könnt, durch einen Mächtigen, denn ein Anderer hätte das nicht gewagt. Es ist hart für Fleisch und Blut, ihr Meister, wenn man sich solche Schmach gefallen lassen muß. Die Gesetze haben uns einen geringern Rang als den Fürsten und Edeln angewiesen; aber es ist gegen die Vernunft zu glauben, wir werden leiden, daß man unsere Häuser stürmt und die Ehre unserer Weiber und Töchter angreift, ohne daß wir Genugthuung suchen.«

»Es läßt sich nicht ertragen!« antworteten die Bürger einmüthig.

Hier legte sich Simon Glover mit sehr besorgter und unheilverkündender Miene in's Mittel. »Ich hoffe noch, es war Alles nicht so böse gemeint, als es uns scheint, meine würdigen Nachbarn; und was mich betrifft, so wollt' ich herzlich gern die Unruhe und Störung verzeihen, die meinem armen Hause widerfahren, wofern sich die schöne Stadt meinetwegen keine Unannehmlichkeit bereitet. Ich bitt' Euch, zu erwägen, welches die Ritter sind, die darüber entscheiden werden. Ich rede unter Nachbarn, Freunden, und also zu offenen Herzen. Der König, Gott segne ihn! ist so geschwächt an Körper und Geist, daß er uns an einen seiner Räthe weisen wird, zu einem großen Herrn, der gerade in Gunst bei ihm steht. – Er schickt uns vielleicht an seinen Bruder, den Herzog von Albany, der unser Gesuch um Schlichtung des Unrechts zum Vorwand nehmen wird, uns Geld abzupressen.«

»Wir wollen keinen Albany zu unserm Richter!« antwortete die Versammlung ebenso einmüthig wie vorher.

»Oder vielleicht,« setzte Simon hinzu, »wird er den Herzog von Rothsay die Sache übernehmen heißen; und der wilde junge Prinz wird die Ungebühr als etwas für seine lustigen Gefährten Passendes und als Stoff für seine Minstrels ansehen.«

»Weg mit Rothsay! er ist zu fröhlich, um unser Richter zu sein,« riefen die Bürger wieder.

Simon, ermuthigt, als er sah, daß er zu dem erwünschten Ziele gelangte, fügte, den gefürchteten Namen jedoch nur halblaut verkündend hinzu: »Würde euch der schwarze Douglas besser zusagen?«

Eine Minute lang erfolgte keine Antwort. Sie sahen einander mit niedergeschlagener Miene und bleichen Lippen an. Harry Schmied aber sprach kühn und mit entschiedenem Tone die Gedanken aus, welche Alle hegten, obwohl ihnen sonst Keiner Worte zu geben wagte: –

»Den schwarzen Douglas als Richter zwischen einem Bürger und einem Herrn, ja, einem Edelmann? ei wahrhaftig! – lieber den schwarzen Teufel aus der Hölle! Ihr seid wahnsinnig, Vater Simon, daß Ihr nur einen so tollen Vorschlag thun könnt.«

Wieder trat eine Stille der Furcht und Ungewißheit ein, welche endlich Bailie Craigdallie unterbrach, der, den Sprecher sehr bedeutsam anblickend, erwiderte: »Ihr verlaßt Euch auf ein tüchtig Unterwams, Nachbar Schmied, sonst würdet Ihr nicht so kühn sprechen.«

»Ich vertraue auf ein gutes Herz unter meinem Wams, wie ich's habe, Bailie,« antwortete der muthige Harry; »und obwohl ich nur wenig spreche, so soll mein Mund doch nimmer von irgend einem Euer Edeln verschlossen werden.«

»Tragt ein dickes Wams, guter Harry, oder sprecht nicht so laut,« wiederholte der Bailie, im nämlichen bedeutsamen Tone. »Es gibt Grenzleute in der Stadt, die das blutige Herz auf der Schulter tragen. – Aber Alles dies fruchtet nichts. Was sollen wir thun?«

»Kurze Rede, gute Rede,« sagte der Schmied. »Gehen wir zu unserm Profoß, Hilfe und Beistand von ihm zu fordern.«

Ein Beifallsgemurmel lief durch die Versammlung und Oliver Proudfute rief: »Das hab' ich seit einer halben Stunde gesagt, und Keiner von euch wollte mich hören. Laßt uns zu unserm Profoß gehen, sagt' ich. Er ist selber ein Edler und muß in allen Dingen zwischen Stadt und Adel entscheiden.«

»Still, Nachbarn, still; bedenkt, was ihr sagt oder thut,« sagte ein dünner, magerer Mann, dessen kleine Person an Gestalt noch kleiner und einem Schatten ähnlicher zu werden schien durch sein Bemühen, eine außerordentliche Beschaffenheit anzunehmen und sich selbst, in Uebereinstimmung mit seinen Reden, noch unbedeutender und unansehnlicher, als er von Natur war, zu machen schien.

»Verzeiht mir,« sagte er, »ich bin ein armer Apotheker. Trotzdem bin ich in Paris erzogen und habe meine Humaniora und meinen cursus medendi so gut studirt, wie Manche, die sich gelehrte Aerzte nennen. Mich dünkt, ich kann diese Wunde untersuchen, und sie mit Erweichungen behandeln. Hier unser Freund Simon ist, wie Euch Allen bewußt, ein ehrenwerther Mann. Glaubt Ihr, er würde bei einer Sache, welche die Ehre seines Hauses so nahe betrifft, nicht am eifrigsten unter uns Allen auf strenge Maßregeln dringen? Da ihm aber, wie es scheint, nichts daran liegt, eine Klage gegen die Nachtschwärmer zu erheben, so erwägt, ob es nicht möglich sei, daß er seine besondern Gründe habe, die er nicht nennen mag, die Sache auf sich beruhen zu lassen? Mir kommt's nicht zu, Hand an die Wunde zu legen – aber, ach! wir wissen Alle, daß junge Mädchen das sind, was ich flüchtige Essenzen nenne. Gesetzt nun, ein ehrbares Mädchen läßt, versteht sich in aller Unschuld, am St. Valentinsmorgen ihr Fenster halb offen, auf daß ein liebender Kavalier, natürlich in allen Ehren, ihr Valentin werden könne; – gesetzt ferner, der Liebhaber werde entdeckt, – kann sie nicht einen Schrei thun, als hätte sie diesen Besuch nicht erwartet, und – und – stoßt Alles dies in einem Mörser und dann erwägt, ob es ein Stoff sein wird, um die Stadt in Allarm zu bringen?«

Der Apotheker sprach seine Meinung auf die einschmeichelndste Weise aus; aber er schien noch unter sein natürliches Maß einzuschrumpfen, als er das Blut in die Wangen des alten Simon Glover steigen und das Gesicht des unerschrockenen Waffenschmieds vor Zorn flammen sah. Der Letztere trat vor, warf einen strengen Blick auf den erschrockenen Apotheker und brach in die Worte aus: »du wanderndes Gerippe! du schwindsüchtige Medicinalflasche! du Giftmischer von Handwerk! wenn ich glaubte, daß der Pesthauch deiner schändlichen Worte dem unbefleckten Rufe Katharina Glovers nur einen Augenblick schaden könnte, so würd' ich dich in deinem eigenen Mörser zu Pulver stoßen, elender Quacksalber! und deinen schlechten Leichnam mit Schwefelblume zersetzen, der einzigen reinen Medicin in deinem Laden, um eine Salbe für räudige Hunde daraus zu machen!«

»Halt, mein Sohn Harry, halt!« rief der Handschuhmacher im Gefühle seiner Geltung; – »kein Mensch hat ein Recht, über diesen Punkt zu reden, außer ich. – Ehrenwerther Bailie Craigdallie, da man meine Geduld auf solche Weise auslegt, bin ich gezwungen, der Sache auf den Grund zu gehen, und mag auch der Erfolg lehren, daß wir besser gethan hätten, ruhig zu bleiben, so wird man wenigstens sehen, daß meine Tochter weder durch Thorheit, noch durch Leichtsinn Anlaß zu diesem großen Aergerniß gab.«

Auch der Bailie legte sich in's Mittel. »Nachbar Harry,« sagte er, »wir kamen hieher, zu berathen, nicht um zu streiten. Als einer der Väter dieser guten Stadt befehl' ich Euch, jede übelwollende Gesinnung, die Ihr gegen Meister Apotheker Dwining hegen mögt, zu vergessen.«

»Er ist ein zu armes Geschöpf, Bailie,« sagte Harry Gow, »als daß ich mit ihm kämpfen könnte – ich, der ich ihn und seinen Laden mit einem Schlage meines Hammers zertrümmern könnte«

»Also still und hört mich,« sagte der Beamte. »Wir Alle glauben so fest an die Ehre des schönen Mädchens von Perth, wie an die unserer lieben Frau.« Hier bekreuzte er sich andächtig. »Was aber die Berufung auf unsern Oberrichter betrifft, seid Ihr Alle der Meinung, Nachbarn, daß man eine derartige Sache in seine Hände lege, während unser Gegner, wie zu fürchten, ein mächtiger Edler ist?«

»Da der Oberrichter selber ein Edelmann ist« – quäkte der Apotheker, der sich einigermaßen von seinem Schrecken durch die Einmischung des Bailie erholt: – »Gott weiß es, ich bin nicht gesinnt, das Mindeste wider einen Herrn einzuwenden, dessen Vorfahren das Amt hatten, welches er seit vielen Jahren verwaltet –«

»Durch freie Wahl der Bürger von Perth,« sagte der Schmied, den Sprecher mit seiner tiefen und entschiedenen Stimme unterbrechend.

»Ja, gewißlich,« erwiderte der erschreckte Redner. »Durch die Stimme der Bürger. Wie sonst? – Ich bitt' Euch, Freund Schmied, unterbrecht mich nicht. Ich rede zu unserm ehrenwerthen Aeltesten, Bailie Craigdallie, wie mein bescheidener Verstand mir's eingibt. Ich sage, mag kommen was will, Sir Patrick Charteris ist doch immer ein Edelmann, und eine Krähe hackt der andern kein Auge aus. Er mag uns wohl in einer Fehde mit den Hochländern vertreten und Partei gegen sie nehmen, als unser Führer und Oberrichter; aber eine andere Frage ist, ob er, der sich in Seide trägt, Lust haben wird, gegen Herren in gestickten goldverbrämten Kleidern unsere Sache zu verfechten, wie er's gegen den Tartan und irischen Fries gethan hat. Nehmt eines Thoren Rath. Wir haben unser Mädchen gerettet, der meine Worte nimmer eine Schmach anthun sollten, so wahr ich nichts Schmachvolles weiß. Sie haben mindestens eines Mannes Hand verloren, Dank Harry Schmied –«

»Und mir« – fügte der kleine, wichtige Strumpfwirker hinzu.

»Und Oliver Proudfute, wie er uns sagt,« fuhr der Apotheker fort, welcher keines Mannes Anspruch auf Ruhm bestritt, wenn er nur selber die gefahrvollen Pfade, die zu selbigem führten, nicht wandeln mußte. »Ich sage, Nachbarn, daß, da sie uns eine Hand als Pfand gelassen haben, nie mehr in die Curfewstreet kommen zu wollen, so wär' es, meiner schlichten Ansicht nach, das Beste, wenn wir unserm tapfern Mitbürger dankten und, da die Stadt die Ehre, jene Schurken aber den Verlust haben, über die Sache schwiegen, und nichts mehr darüber sagten.«

Dieser friedliche Rath that bei einigen Bürgern Wirkung, welche begannen zu nicken und ausnehmend weise den Advokaten des Friedens betrachteten, mit welchem, trotz der letzten Beleidigung, Simon Glover ebenfalls übereinzustimmen schien. Nicht so jedoch Harry Schmied, welcher, bemerkend, daß Niemand das Wort führte, in seiner gewohnten freien Weise wieder zu sprechen begann.

»Ich bin weder der Aelteste noch der Reichste unter Euch, Nachbarn, und darum gräme ich mich nicht. Die Jahre werden kommen, wenn man's erlebt, und ich kann erwerben und meinen Pfennig wie ein Anderer geben beim Feuer des Ofens und dem Blasen meiner Bälge. Aber Niemand sah mich je träge, wenn unserer guten Stadt durch Wort oder That Unrecht geschah und in der Macht der Zunge und des Armes eines Mannes stand, dafür Recht zu schaffen. Daher werd' ich eine solche Schmach nicht ruhig ansehen, wenn ich was Besseres vermag. Ich werde selbst den Oberrichter aufsuchen und wenn ich allein hingehen müßte. Er ist allerdings ein Ritter und ein Edelmann, wie Jeder weiß, von Vater auf Sohn, seit der Zeit Wallace's, der den Urgroßvater des Sir Patrick in dieses Land eingeführt hat. Wär' er aber auch der stolzeste Edle im Lande, er ist Oberrichter in Perth und muß für Erhaltung der Rechte und Freiheiten der Stadt wachen. Ja, und ich bin überzeugt, er wird es thun; ich hab' ihm einen Stahlpanzer gemacht, und weiß so ziemlich, welcher Art das Herz ist, das er decken soll.«

»Allerdings,« sagte der Bailie Craigdallie, »bei Hofe würden wir ohne den Sir Patrick Charteris zu nichts kommen; die schnelle Antwort würde sein: Geht zu Eurem Oberrichter, Ihr grobes Volk! Wenn Ihr daher, Nachbarn und Mitbürger, mir zur Seite stehen wollt, so will ich und unser Apotheker Dwining, nebst Simon Glover, dem wackern Schmied und dem tapfern Oliver Proudfute als Zeugen des Unfugs, sogleich nach Kinfauns gehen und mit Sir Patrick im Namen der guten Stadt reden.«

»Nein,« sagte der friedliche Mann der Medicin, »laßt mich daheim, ich bitt' Euch; mir fehlt die Kühnheit, vor einem Ritter zu sprechen.«

»Schadet Alles nichts, Nachbar, Ihr müßt mit,« sagte Bailie Craigdallie. »Die Stadt hält mich bei meinen sechzig Jahren für einen Hitzkopf – Simon Glover ist die beleidigte Partei – wir Alle wissen, daß Harry Gow mit seinem Schwerte mehr Harnische zerhaut, als er mit seinem Hammer schmiedet – und unser Nachbar Proudfute, – der, wie er selber sagt, beim Anfang und Ende jedes Kampfes in Perth ist, – ist natürlich ein Mann der That. Wir müssen zum wenigsten Einen unter uns haben, der zu Frieden und Ruhe ermahnt, und du, Apotheker, mußt der Mann sein. Fort denn, Ihr Herren, die Stiefeln an und zu Pferde – fix und fertig! – beim östlichen Thor kommen wir zusammen – das heißt nämlich, wenn es Euch gefällt, Nachbarn, uns die Sache anzuvertrauen.«

»Besseres ließ sich nicht sagen, und wir Alle genehmigen es,« sagten die Bürger. »Wenn der Oberrichter unsere Partei nimmt, wie die Stadt mit Recht erwarten kann, so nehmen wir's mit dem Besten von ihnen auf.«

»Nun gut, Nachbarn,« sagte der Bailie. »Wie gesagt, so gethan. Ich habe übrigens auf diese Stunde den ganzen Rath der Stadt zusammenberufen, und ich zweifle nicht,« dabei sah er sich in der Gesellschaft rings um, »daß, da so viele Anwesende dafür sind, daß man sich mit dem Oberrichter berathe, der Rest denselben Beschluß fassen werde. Daher, Nachbarn und Bürger der guten Stadt Perth – zu Pferde, wie ich gesagt habe, und versammelt Euch am östlichen Thore.«

Ein allgemeines Beifallrufen schloß die Sitzung dieses geheimen Rathes, und sie gingen auseinander, die Abgeordneten, um sich zur Reise zu bereiten, und die Andern, um ihren ungeduldigen Weibern und Töchtern die Maßregeln zu berichten, die getroffen waren, um ihre Gemächer in Zukunft gegen das Eindringen von Liebhabern zu ungelegener Stunde sicher zu stellen.

Während man die Klepper sattelt und der Rath der Stadt bespricht oder vielmehr in gesetzlicher Form feststellt, was die leitenden Mitglieder bereits angenommen hatten, mag es zur Unterrichtung mancher Leser nothwendig sein, in bestimmteren Ausdrücken auseinander zu setzen, was im Laufe der frühern Erörterung nur oberflächlich angedeutet ward.

Es war die Sitte dieser Periode, als die Stärke der lehnsherrlichen Aristokratie die Rechte der königlichen Städte Schottlands und deren Privilegien häufig verhöhnte, daß sich diese Städte, wo es thunlich war, ihren Oberrichter, d. h. die höchste obrigkeitliche Person, nicht aus dem Stande der Kaufleute, Krämer und Bürger wählten, welche die Stadt selbst bewohnten und die gewöhnliche Obrigkeit bildeten, sondern aus den Edeln oder Baronen in der Umgegend der Stadt; man erwartete von dem, der auf diesen hohen Posten erhoben worden, daß er die Stadt bei Allem, was ihre Interessen anlangte, bei Hofe vertrat, ihre Truppen befehligte, mochten sie nun für die Krone ziehen, oder eine Privatfehde der Stadt auszufechten haben, und daß er jene mit seinen eigenen Vasallen verstärkte. Der auf solche Weise gewährte Schutz blieb nicht immer unbelohnt. Oefters benutzten die Oberrichter ihre Stellung auf eine unverantwortliche Weise, ließen sich Güter und Häuser, die der Gemeinde gehörten, abtreten, und machten sich oft für die geleisteten Dienste von den Bürgern auf Kosten des öffentlichen Eigenthums sehr theuer bezahlt. Andere begnügten sich mit dem Beistande der Bürger in ihren Privatfehden und mit den andern Zeichen der Achtung und Erkenntlichkeit, welche die untergebenen Städte ihnen gern zollten, um sich ihres thätigen Beistandes im Falle der Noth zu versichern. Dem Baron, der der gewöhnliche Beschützer einer Stadt war, wurden diese freiwilligen Opfer ohne Bedenken dargebracht, und er vergalt sie dadurch, daß er die Rechte der Stadt schirmte, im Rathe durch seine Beredtsamkeit und durch kühne Thaten im Felde.

Die Bürger der Stadt, oder, wie sie lieber sagten, der guten Stadt Perth, hatten seit mehreren Generationen einen Beschützer und Oberrichter solcher Art in dem edlen Hause der Charteris, Herren von Kinfauns, in der Nähe der Stadt gefunden. Kaum ein Jahrhundert (zur Zeit Roberts III.) war verschwunden, seit der Erste dieser ausgezeichneten Familie sich auf dem festen Schlosse niedergelassen hatte, das ihm damals gehörte, so wie das malerische und fruchtbare Gebiet ringsum. Aber die Geschichte dessen, der sich so angesiedelt hatte, an sich schon ritterlich und romantisch, war geeignet, die Niederlassung eines Fremden in dem Lande zu erleichtern, wohin das Schicksal ihn geführt hatte. Wir erzählen sie, wie sie eine alte Sage gibt, welche große Wahrscheinlichkeit hat und vielleicht begründet genug ist, um in ernsteren Geschichtsbüchern, als das vorliegende, eine Stelle zu finden.

Während der kurzen Laufbahn des berühmten Patrioten Sir William Wallace, und als seine Waffen für eine Zeit lang die englischen Eindringlinge aus seinem Vaterlande vertrieben hatten, soll er mit einigen vertrauten Freunden eine Fahrt nach Frankreich unternommen haben, um zu versuchen, ob seine persönliche Gegenwart (denn er war in allen Ländern seiner Tapferkeit wegen geachtet) den König von Frankreich bestimmen könnte, ein Corps Hülfstruppen nach Schottland zu schicken, oder einen andern Beistand, um den Schotten zu Wiedergewinnung ihrer Unabhängigkeit zu verhelfen.

Der schottische Held befand sich an Bord eines kleinen Fahrzeugs und steuerte nach dem Hafen von Dieppe, als in der Ferne ein Segel erschien, welches die Seefahrer anfangs mit Furcht und Besorgniß, und endlich mit Bestürzung und Schrecken betrachteten. Auf Wallace's Frage, woher ihre Bestürzung rühre, unterrichtete ihn der Kapitän, daß das große Schiff, welches in der Absicht, das ihrige zu entern, auf sie lossteure, einem berühmten Korsaren gehöre, der eben durch seinen Muth und seine körperliche Stärke, wie durch sein beständiges, sich immer gleich bleibendes Glück berüchtigt sei. Der Befehlshaber sei ein französischer Edelmann, genannt Thomas de Longueville, und gehöre zu den Piraten, die sich für Freunde des Meeres und für Feinde aller derer erklärt haben, die auf diesem Elemente segeln. Er greife die Schiffe aller Nationen an, plündere sie, gleich einem der nordischen Seekönige, wie man sie nannte, deren Herrschersitz auf den Wogengebirgen war. Der Schiffsherr fügte hinzu, kein Fahrzeug könne dem Räuber durch die Flucht entgehen, so schnell sei sein Schiff; und keine noch so kühne Bemannung könne hoffen, ihm zu widerstehen, wenn er, nach seiner gewohnten Weise zu fechten, sich an der Spitze seiner Leute an Bord stürze.

Wallace lächelte bitter, während der Herr des Schiffes mit Unruhe im Gesicht und Thränen in den Augen ihm die Gewißheit vorstellte, daß sie Gefangene des rothen Räubers sein würden, ein Name, den Longueville erhielt, weil er gewöhnlich eine blutrothe Flagge entfaltete, die er bereits aufgezogen hatte.

»Ich will den Kanal von diesem Räuber säubern,« sagte Wallace.

Dann rief er zehn oder zwölf seiner eigenen Gefährten zusammen, Boyd, Kerlie, Seton und Andere, denen der Kampf der verzweifelten Schlacht wahre Lebenslust dünkte, und befahl ihnen, sich zu waffnen und sich platt auf's Verdeck zu legen, daß man sie nicht sehen könnte. Desgleichen ließ er alle Seeleute unter's Verdeck gehen, außer diejenigen, die durchaus nöthig waren, um das Schiff zu lenken, und befahl dem Schiffsherrn bei Todesstrafe so zu steuern, daß es scheine, als flöhen sie, und daß der rothe Räuber leicht an's Fahrzeug kommen könne; damit legte er sich selbst auf's Verdeck, damit durchaus nichts verriethe, daß man Widerstand zu leisten gedenke. Nach einer Viertelstunde legte des Räubers Schiff an Wallace's Fahrzeug an und der rothe Räuber warf seine Enterhaken aus, um sich der Beute zu versichern, und sprang, vom Kopf bis zu den Füßen gewaffnet, an Bord; seine Leute folgten und erhoben, als wären sie des Sieges schon gewiß, ein furchtbares Geschrei. Aber die bewaffneten Schotten richteten sich plötzlich auf und der rothe Räuber fand unerwartet, daß er es mit Leuten zu thun hatte, die den Sieg als ausgemachte Sache betrachteten, wenn es jeder nur mit zwei oder drei Gegnern zu thun hatte. Wallace warf sich selber auf den Räuberkapitän, und nun begann zwischen den Beiden ein so fürchterlicher Kampf, daß die Uebrigen zu fechten aufhörten, um Jenen zuzusehen, indem sie, wie es schien, durch stillschweigende Uebereinkunft die Entscheidung des Ganzen den zwei tapfern Anführern überließen. Der Räuber focht so gut, als es nur einem Manne möglich war; aber Wallace besaß mehr als gewöhnliche Kraft; er schlug dem Piraten das Schwert aus der Hand und bedrängte ihn so sehr, daß dieser kein anderes Mittel wußte, dem Tode zu entgehen, als daß er sich auf seinen Gegner stürzte, um ihn vielleicht im Ringen niederzuwerfen. Jedoch auch dies mißlang. Mit den Armen einander umschlungen haltend, fielen Beide auf das Verdeck nieder; aber Wallace behielt die Oberhand, faßte den Ringkragen des Gegners und drückte ihn, obwohl er vom besten Stahle gefertigt, so stark zusammen, daß dem Räuber das Blut aus Augen, Mund und Nase strömte, und er nur durch Zeichen um sein Leben bitten konnte. Seine Leute warfen ihre Waffen weg und baten um Gnade, als sie ihren Führer so hart bedrängt sahen. Der Sieger schenkte ihnen allen das Leben, nahm aber ihr Fahrzeug in Besitz und behielt sie als Gefangene.

Als er des französischen Hafens ansichtig ward, beunruhigte Wallace diesen Ort, indem er des Räubers Farben entfaltete, als käme Longueville, um die Stadt zu plündern. Die Glocken wurden geläutet, Hörner erschallten und die Bürger eilten zu den Waffen, als sich die Scene änderte. Der schottische Löwe auf seinem goldenen Schild erhob sich über des Räubers Flagge, und verkündigte, daß der Befreier Schottlands sich nahe, wie ein Falke mit seiner Beute in den Klauen. Er stieg mit seinem Gefangenen an's Land und brachte denselben an den französischen Hof, wo auf Wallace's Bitten der König de Longueville alle Seeräubereien, die er begangen hatte, verzieh, ihn sogar zum Ritter schlug und ihm anbot, in seine Dienste zu treten. Aber der Seeräuber hatte mit seinem edlen Besieger eine so innige Freundschaft geschlossen, daß er Wallace's Schicksal theilen wollte. Er kehrte mit ihm nach Schottland zurück, focht in vielen blutigen Schlachten an seiner Seite und gab Proben einer Tapferkeit, die nur jener des schottischen Helden nachstand. Aber sein Schicksal war glücklicher als das seines Freundes. Durch Schönheit ausgezeichnet, so wie durch Stärke und Muth, gewann Sir Thomas de Longueville die Gunst eines Fräuleins aus dem alten Hause der Charteris, das ihn zum Gatten wählte und ihm das schöne Schloß Kinfauns und die zu dieser Baronie gehörigen Besitzungen zubrachte. Ihre Nachkommen nannten sich Charteris, wie ihre Ahnen von mütterlicher Seite, die früheren Besitzer ihrer Güter, geheißen hatten, obgleich der Name Thomas de Longueville bei ihnen in derselben Achtung stand. Das große zweihändige Schwert, womit er die Feinde im Kampfe niedermähete, wird noch von der Familie aufbewahrt. Eine andere Nachricht ist, daß der Familienname de Longueville's selbst Charteris war.

Die Herrschaft ging später auf das Haus Blair über und ist jetzt Eigenthum des Lord Gray.

Diese Barone von Kinfauns verwalteten seit mehreren Generationen von Vater auf Sohn das Amt der Oberrichter von Perth; die Nachbarschaft des Schlosses und der Stadt machte diese Einrichtung zu wechselseitiger Unterstützung sehr erwünscht. Der Sir Patrick dieser Erzählung hatte schon mehrmals an der Spitze der Einwohner von Perth gegen die immer wiederkehrenden Streifzügler vom Hochlande und gegen andere fremde und einheimische Feinde gefochten. Allerdings ward er auch nicht selten mit unbedeutenden, nichtssagenden Klagen behelligt, die man ohne Noth seiner Entscheidung vorlegte. Daher kam es, daß man ihm zuweilen den Vorwurf machen hörte, er sei zu stolz als ein Edler und zu gleichgültig als ein Reicher, und gebe sich zu sehr den Freuden der Jagd und der Gastfreiheit hin, als daß er sich bei jedem Anlaß so thätig hätte zeigen können, wie die schöne Stadt es wünschte. Aber trotz dem, daß dies einigen leichten Unwillen erregte, pflegten die Bürger doch bei jedem ernstlichen Grunde zur Besorgniß an ihren Oberrichter zu gehen, und fanden bei ihm warme Unterstützung mit Rath und That.


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