Walter Scott
Das schöne Mädchen von Perth.
Walter Scott

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Zwanzigstes Kapitel.

Ein Weib steht draußen um Gerechtigkeit,
Beraubt des Gatten, trostlos und verlassen.
                                Bertha.

Das Rathszimmer von Perth bot ein seltsames Schauspiel dar. In einem düsteren Gemache, schlecht und ungehörig durch zwei Fenster von verschiedener Gestalt und ungleicher Größe erleuchtet, war um eine große Eichentafel eine Gruppe Männer versammelt, von denen diejenigen, welche die höheren Sitze einnahmen, Kaufleute waren, das heißt Gildebrüder oder Inhaber von Kaufläden; in anständiger Kleidung, wie sie ihrem Stande gebührte, saßen sie bei einander, aber die Meisten von ihnen trugen, wie der Regent York, »Kriegszeichen um die bejahrten Nacken«, nämlich Halsbänder und Wehrgehänge, woran ihre Waffen hingen. Die niederen Plätze um den Tisch nahmen die Handwerker und Künstler ein, die Vorsitzenden oder Diakonen, wie man sie nannte, der arbeitenden Klassen, in ihren gewöhnlichen Kleidern, die aber doch etwas besser geordnet waren, als sonst. Diese trugen auch noch verschiedene Waffenstücke. Einige hatten die schwarze Jacke oder das Wams mit rautenförmigen kleinen Eisenplatten besetzt, die, am obern Winkel befestigt, in Reihen über einander hingen, und, jeder Bewegung des Körpers folgend, eine sichere Schutzrüstung bildeten. Andere hatten Büffelkoller, die, wie schon erwähnt wurde, einem Schwerthiebe oder einem mäßig starken Lanzenstoße widerstehen konnten. Unten an dieser von so verschiedener Gesellschaft umgebenen Tafel saß Sir Louis Lundin, kein Kriegsmann, sondern Priester und Pfarrer von St. Johns, in seinem kirchlichen Gewande, Feder und Tinte vor sich. Er war der Stadtschreiber und erhielt, wie damals alle Priester (die man deswegen des Papstes Ritter nannte), den ehrenvollen Titel Dominus, was verkürzt in Dom oder Don, oder übersetzt in Sir, der Titel war, welcher der weltlichen Ritterschaft zukam.

Auf einem erhöhten Sitze oben an der Rathstafel saß Sir Patrick Charteris, in vollständiger, glänzend polirter Rüstung; ein seltsamer Contrast gegen die bunte Mischung kriegerischer und friedlicher Anzüge der Bürger, die nur gelegentlich zu den Waffen gerufen wurden. Das Benehmen des Oberrichters war, indem es zugleich die innige Verbindung, welche gegenseitiges Interesse zwischen ihm, der Stadt und der Obrigkeit hervorbringen mußte, vollkommen zuließ, wohlberechnet, um die Ueberlegenheit hervorblicken zu lassen, welche ihm kraft seines edlen Blutes und ritterlichen Ranges die Meinung des Zeitalters über die Glieder der Versammlung gab, in welcher er den Vorsitz führte. Zwei Knappen standen hinter ihm, deren einer des Ritters Fahne, der andere seinen Schild mit dem Wappenzeichen trug, welches eine Hand war, die einen Dolch oder ein kurzes Schwert hielt, mit dem stolzen Wahlspruch: Dies ist mein Freibrief! Ein schöner Page zeigte das lange Schwert seines Herrn und ein anderer seine Lanze, welche ritterliche Schmuck- und Standeszeichen um so sorgfältiger zur Schau gestellt waren, da der Herr, dem sie angehörten, beschäftigt war, sein Amt als Stadtobrigkeit auszuüben. An seiner eigenen Person schien der Ritter von Kinfauns etwas steife Vornehmheit zu affectiren, die seinem offenen und jovialen Charakter nicht natürlich war.

»Nun, seid ihr endlich angekommen, Harry Schmied und Simon Glover?« sagte der Oberrichter. »Wißt, daß ihr uns lange auf euer Erscheinen habt warten lassen. Sollte dies wieder geschehen, wenn wir diese Stelle einnehmen, so werden wir euch eine solche Buße auflegen, deren Zahlung euch kein Vergnügen machen wird. Genug – keine Entschuldigungen. Sie werden jetzt nicht verlangt, und ein anderes Mal nicht angenommen. Wißt, meine Herren, daß unser ehrwürdiger Schreiber der Läng' und Breite nach aufgesetzt hat, was ich euch jetzt in der Kürze sagen will, damit ihr seht, was man, insbesondere von Euch, Harry Schmied, verlangt. Unser verstorbener Mitbürger Oliver Proudfute wurde, gleich beim Eingang in den Wynd, todt in der Highstreet gefunden. Es schien, daß er durch einen schweren Hieb mit kurzer Axt von hinten und unvermerkt erschlagen worden sei; und die That, durch welche er fiel, kann nur eine schändliche und vorsätzliche Mordthat genannt werden. So viel vom Verbrechen. Der Thäter kann nur durch die Umstände angezeigt werden. Es wird in dem Protocoll des ehrwürdigen Sir Louis Lundin bemerkt, daß verschiedene wohlberufene Zeugen unsern verstorbenen Mitbürger noch spät in die Entry der Mohrentänzer, zu der er gehörte, bis zu Simon Glovers Haus in Curfewstreet begleiten sahen, wo sie ihren Tanz aufführten. Auch ist angezeigt, daß er sich nach einigem Gespräch mit Simon Glover dort von der übrigen Schaar trennte und der Gesellschaft versprach, in der Greifschenke mit ihnen zur Beschließung des Festes zusammenzukommen. – Nun, Simon, ich frage Euch, ist die Angabe richtig, so viel Ihr wißt? Und ferner, was war der Inhalt des Gespräches zwischen Euch und dem verstorbenen Oliver Proudfute?«

»Mylord Oberrichter und sehr ehrenwerther Sir Patrick,« antwortete Simon Glover, »Ihr und dieser ehrwürdige Rath werdet wissen, daß, wegen gewisser Gerüchte, die über Harry Schmieds Benehmen entstanden waren, zwischen mir und einer andern Person meiner Familie und besagtem hier anwesenden Schmied ein Zwist vorgekommen war. Da nun dieser unser armer Mitbürger Oliver Proudfute bei Verbreitung jener Gerüchte thätig gewesen, wie überhaupt dergleichen Plauderei seine Sache war, so wechselten wir einige Worte darüber; und er ging von mir, wie ich glaube, in der Absicht, Harry Schmied zu besuchen, denn er verließ die Mohrentänzer, wie es scheint, mit dem Versprechen, sie, wie Eure Herrlichkeit sagt, in der Greifschenke wiederzufinden, um den Abend zu beschließen. Aber was er wirklich that, weiß ich nicht, da ich ihn nie wieder lebend sah.«

»Es ist genug,« sagte Sir Patrick, »und stimmt mit Allem überein, was wir gehört haben. Nun, werthe Herren, finden wir unseren armen Mitbürger zunächst umgeben von einer Schaar von Schwärmern und Masken, die sich in der Highstreet versammelt hatten, von denen er schimpflich gemißhandelt ward, indem sie ihn zwangen, auf der Straße niederzuknieen und dort gegen seinen Willen eine ungeheure Menge Wein zu trinken, bis er ihnen endlich durch die Flucht entkam. Diese Gewaltthat geschah mit gezogenen Schwertern, lautem Geschrei und Fluchen, so daß die Sache die Aufmerksamkeit verschiedener Personen auf sich zog, die, von dem Lärm beunruhigt, aus den Fenstern sahen, so wie auch einiger Vorübergehenden, die, aus dem Lichte der Fackeln tretend, um nicht ebenso gemißhandelt zu werden, der schlimmen Behandlung unsers Mitbürgers in der Hauptstraße der Stadt zusahen. Und obwohl jene Menschen verkleidet waren und Masken trugen, so war doch ihre Mummerei wohlbekannt, denn es waren prächtige Masken, die vor einigen Wochen auf Befehl Sir John Ramorny's, Stallmeisters Seiner königlichen Hoheit des Herzogs von Rothsay, königlichen Prinzen von Schottland, verfertigt wurden.«

Ein tiefer Seufzer ging durch die Versammlung.

»Ja, so ist es, brave Bürger,« fuhr Sir Patrick fort; »unsere Nachforschungen haben uns zu Schlüssen geführt, die traurig und schrecklich sind. Aber wie Niemand mehr den Punkt bedauern kann, bei dem sie sich wahrscheinlich endigen werden, als ich, so kann auch Niemand ihre Folgen mehr fürchten. Es ist einmal so – verschiedene Handwerker, die daran gearbeitet haben, beschrieben den für Sir Ramorny's Maske bestimmten Schmuck genau so, wie ihn einer von den Männern trug, die man Oliver Proudfute mißhandeln sah. Und ein Handwerker, Wingfield, der Federschmücker, der die Schwärmer sah, als unser Mitbürger in ihrer Gewalt war, bemerkte, daß sie die Gürtel und Kronen von bunten Federn trugen, die er selber im Auftrage von des Prinzen Stallmeister gemacht hatte. – Vom Augenblicke seiner Flucht vor diesen Schwärmern verlieren wir jede Spur von Oliver; aber wir können beweisen, daß die Masken zu Sir John Ramorny gingen, wo sie nach einigem Zögern eingelassen wurden. Es verlautet, daß du, Harry Schmied, unsern unglücklichen Mitbürger sahest, nachdem er in den Händen jener Schwärmer gewesen war. – Was ist Wahres an der Sache?«

»Er kam zu meinem Hause auf dem Wynd,« sagte Harry, »etwa eine halbe Stunde vor Mitternacht; und ich ließ ihn ein, wiewohl etwas ungern, da er den Karneval gefeiert hatte, während ich daheim geblieben war; es ist schlechtes Reden, sagt das Sprichwort, zwischen einem vollen Manne und einem Nüchternen.«

»Und in welchem Zustande schien er, als du ihn einließest?« sagte der Oberrichter.

»Er schien,« antwortete der Schmied, »außer Athem, und sagte wiederholt, daß er von Nachtschwärmern bedroht sei. Ich achtete darauf wenig, denn er war stets ein schüchterner, verzagter, obwohl gutdenkender Mann, und ich glaubte, er spräche mehr aus Einbildung als nach der Wirklichkeit. Aber stets werd' ich es mir als ein Verbrechen anrechnen, daß ich ihm nicht meine Begleitung schenkte, um die er bat; und wenn ich lebe, will ich zur Buße für meine Schuld Messen stiften.«

»Beschrieb er diejenigen, von denen er beleidigt worden war?« sagte der Oberrichter.

»Nachtschwärmer in Maskenkleidern,« erwiderte Harry.

»Und äußerte er die Besorgniß, bei seiner Rückkehr wieder mit ihnen zusammenzukommen?« fragte Sir Patrick weiter.

»Er spielte besonders darauf an, daß man ihm auflauere, was ich für Einbildung hielt, da ich Niemand auf der Straße bemerkt hatte.«

»Erhielt der Mann auf keinerlei Art Hülfe von dir?« sagte der Oberrichter.

»Ja,« erwiderte der Schmied; »er vertauschte sein Mohrenkleid mit meiner Pickelhaube, Büffelwams und Schild, die, wie ich höre, bei dem Leichnam gefunden wurden; und ich habe zu Hause seine Mohrenmütze und Schellen, nebst dem Rock und anderem Zubehör. Er wollte mir meine Waffen zurückschicken und seine Maske heute dafür in Empfang nehmen, hätten die Heiligen das gestattet.«

»Nachher saht Ihr ihn nicht wieder?«

»Nie, Mylord.«

»Noch ein Wort,« sagte der Oberrichter. »Habt Ihr irgend einen Grund, zu glauben, daß der Hieb, der Oliver Proudfute tödtete, einem andern Manne zugedacht war?«

»Allerdings,« antwortete der Schmied; »aber es ist zweifelhaft und kann gefährlich sein, einen solchen Verdacht, der nur auf Vermuthung beruht, auszusprechen.«

»Sprecht ihn aus, bei Eurem Bürgereid – wem, meint Ihr, war der Schlag zugedacht?«

»Wenn ich sprechen muß,« erwiderte Harry, »so glaub ich, Oliver Proudfute erfuhr das Geschick, welches mich selbst treffen sollte; um so eher, da Oliver in seiner Thorheit davon sprach, meinen Gang ebenso wie meine Kleider annehmen zu wollen.«

»Habt Ihr mit Jemand Fehde, daß Ihr eine solche Vermuthung hegt?« sagte Sir Patrick Charteris.

»Zu meiner Schmach und Schande sei es gesagt, daß ich Fehde mit Hochland und Niederland, Engländern und Schotten, Perth und Angus habe. Ich glaube nicht, daß der arme Oliver Fehde mit einem neugebornen Küchlein hatte. – Ach! er war desto besser bereit zu schnellem Tode!«

»Hört, Schmied,« sagte der Oberrichter, »antwortet mir genau – ist Grund zur Fehde zwischen Sir John Ramorny's Hause und Euch?«

»Ja, sicherlich, Mylord. Man sagt jetzt allgemein, daß der schwarze Quentin, der seit einigen Tagen jenseit des Tay nach Fife gegangen ist, der Eigenthümer der Hand war, die man am Abend vor St. Valentin in Curfewstreet fand. Ich war es, der diese Hand mit einem Streiche meines Schwertes abhieb. Da dieser schwarze Quentin ein Kammerdiener Sir Johns und sehr vertraut mit ihm war, so muß ja wohl Fehde zwischen mir und seines Herrn Leuten sein.«

»Das sieht wahrscheinlich aus, Schmied,« sagte Sir Patrick Charteris. – »Und nun, gute Bürger und weise Rathsherren, haben wir zwei Vermuthungen, die beide zum nämlichen Schlusse führen. Die Masken, die unsern Mitbürger angriffen und auf eine Art mißhandelten, von der sein Leichnam noch einige Spuren trägt, können ihrem vormaligen Gefangenen, als er nach Hause ging, begegnet sein und ihre Mißhandlung mit seinem Tode geendigt haben. Er selbst äußerte gegen Harry Gow, es möchte ihm so gehen. Ist dies der Fall, so müssen einer oder mehrere von Sir John Ramorny's Dienern die Mörder gewesen sein. Aber ich halte es für wahrscheinlicher, daß etliche der Schwärmer auf dem Orte zurückblieben oder wieder dorthin kamen, vielleicht mit veränderter Maske, und daß diesen Leuten (denn Oliver selbst würde, in seiner eigenen Person auftretend, nur ein Gegenstand des Spottes gewesen sein) seine Erscheinung in Schmieds Kleidung oder gar mit dessen Gang, wie er sich vornahm, ein Gegenstand tiefen Hasses war, so daß sie, ihn allein sehend, eine gewisse und sichere Art wählten, eines so gefährlichen Feindes los zu werden, als welcher der Harry Wynd Allen bekannt ist, die nicht gut mit ihm stehen. So führt die nämliche Reihe von Gedanken wieder auf Sir Ramorny's Leute, als die Schuldigen. Wie denkt ihr davon, ihr Herren? Dürfen wir sie des Verbrechens anklagen?«

Die Magistratspersonen flüsterten mehrere Minuten unter einander und erwiderten dann durch die Stimme des Bailie Craigdallie: »Edler Ritter und würdiger Oberrichter, – wir stimmen ganz dem bei, was Eure Weisheit in Betreff dieser dunkeln und blutigen Angelegenheit gesprochen hat; auch zweifeln wir nicht an Eurem Scharfsinn, der auf den Antheil und die Mitwissenschaft Sir John Ramorny's an der Schurkerei hindeutet, die unsern verstorbenen Mitbürger entweder in seinem eigenen Charakter und auf seine eigene Rechnung, oder indem man ihn für unsern tapfern Mitbürger, Harry vom Wynd, hielt, geschah. Aber Sir John hält zu seinem eigenen Behuf und als Stallmeister des Prinzen viele Dienerschaft, und da die Anklage wahrscheinlich durch gänzliches Läugnen abgewiesen werden wird, so möchten wir fragen, was wir dann zu thun haben werden? – Es ist wahr, wenn wir ein Gesetz fänden, nach dem wir sein Haus anzünden, und Alles was d'rinnen ist, niedermachen dürften, so würde das alte Sprichwort: ›Kurze Rede, gute Rede‹, hier gute Anwendung finden; denn ein elenderes Gesindel von Gotteslästerern, Mördern und Weiberschändern findet man nirgends, als in Ramorny's Bande. Aber ich zweifle, ob die Gesetze eine so kurze und schnelle Vollziehung ertrügen; und nichts von alle dem, was ich hörte, wird einem einzelnen oder einigen bestimmten Individuen das Verbrechen aufbürden können.«

Bevor der Oberrichter antworten konnte, stand der Stadtschreiber auf und bat, seinen ehrwürdigen Bart streichend, um Erlaubniß zu sprechen, die alsbald gewährt ward. »Brüder,« sagte er, »sowohl zu unserer Väter Zeit, als in der unsern hat Gott, wenn man sich recht zu ihm wandte, sich herabgelassen, die Verbrechen des Schuldigen und die Unschuld dessen zu offenbaren, der zu unbedacht angeklagt ward. Laßt uns unsern souverainen Herrn, den König Robert, der, wenn die Bösen sich nicht einmischen und seine guten Absichten verkehren, ein so gerechter und gnädiger Fürst ist, als unsere Jahrbücher in einer langen Reihe aufweisen, laßt uns ihn im Namen der schönen Stadt und aller Gemeinen Schottlands bitten, er möge uns nach der Weise unserer Vorfahren die Mittel geben, den Himmel um Licht in dieser dunkeln Mordgeschichte anzurufen. Wir fordern die Probe des ›Sarg-Rechts‹, oft gewährt in den Tagen der Vorfahren unsers Königs, gebilligt durch Bullen und Dekretatien und gebraucht von dem mächtigen Kaiser Karl dem Großen in Frankreich, von dem König Arthur in Britannien, von Gregor dem Großen und dem mächtigen Achaius in unserem Lande Schottland.«

»Ich habe von diesem Sarg-Rechte gehört, Sir Louis,« sagte der Oberrichter, »und ich weiß, daß wir's unter den Privilegien der guten Stadt haben; aber ich bin etwas unvollkommen bewandert in den alten Gesetzen, und möchte Euch bitten, uns etwas genauer davon zu unterrichten.«

»Wir werden den König bitten,« sagte Sir Louis Lundin, »wenn mein Rath angenommen wird, daß der Leichnam unseres ermordeten Mitbürgers in die hohe St. Johnskirche gebracht werde, wo gehörig Messen gelesen werden für das Heil seiner Seele und die Entdeckung seines schändlichen Mörders. Indessen müssen wir einen Befehl erhalten, daß Sir John Ramorny eine Liste aller seiner Diener abgebe, die in der Nacht vom Fastendienstag auf Aschermittwoch in Perth waren, und daß er verbindlich gemacht werde, an gewissem Tag und Stunde, die noch zu nennen sind, sie in der hohen St. Johnskirche zu stellen. Dort muß dann einer nach dem andern am Sarg unseres ermordeten Mitbürgers vorbeigehen und in der vorgeschriebenen Form Gott und seine Heiligen um Zeugniß anrufen, daß er an dem Mord, mittelbar oder unmittelbar, unschuldig ist. Und glaubt mir, was durch zahlreiche Beispiele bewiesen ist, wenn der Mörder sich durch einen solchen Ausruf wird sicher stellen wollen, so wird die Antipathie zwischen dem leblosen Körper und der Hand, von welcher der Schlag kam, der ihn von der Seele trennte, noch ein unvollkommenes Leben erwecken, unter dessen Einfluß die Adern des Todten das Blut hervortreiben, das so lange stillstand. Oder, um sicherer zu sprechen, es gefällt dem Himmel, durch eine plötzliche Einwirkung, die uns unbegreiflich ist, diese Art der Entdeckung der Bosheit desjenigen uns zu gewähren, der das Ebenbild seines Schöpfers entstellte.«

»Ich habe von diesem Rechte sprechen hören,« sagte Sir Patrick, »und es wurde zu Bruce's Zeiten geübt. Dies ist gewiß keine unpassende Zeit, um durch eine so geheimnißvolle Untersuchungsweise die Wahrheit zu suchen, zu der uns gewöhnliche Mittel keinen Weg öffnen, da eine allgemeine Anklage der Dienerschaft Sir John Ramorny's ohne Zweifel durch ein allgemeines Läugnen zurückgewiesen würde. Aber ich muß unsern ehrwürdigen Stadtschreiber, Sir Louis, noch weiter fragen, wie wir hindern sollen, daß der Schuldige in der Zwischenzeit entkommt?«

»Die Bürger werden auf der Mauer strenge Wache halten, Zugbrücken sollen aufgezogen und Fallgatter niedergelassen werden, von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang; und starke Patrouillen sollen die Nacht durch unterhalten werden. Diese Wache werden die Bürger gern unterhalten, um das Entkommen des Mörders ihres Mitbürgers zu hindern.«

Die übrigen Räthe stimmten diesem Vorschlage durch Wort und Zeichen bei.

»Ferner,« sagte der Oberrichter, »was ist zu thun, wenn Einer der verdächtigen Dienerschaft sich weigert, die Probe des Sarg-Rechts zu bestehen?«

»So kann er den Zweikampf in Anspruch nehmen,« sagte der ehrwürdige Stadtschreiber, »und zwar mit einem Gegner seines Standes; denn der Angeklagte hat bei der Berufung auf's Gottesgericht freie Wahl der Ordalien. Verweigert er aber Beides, so wird er für schuldig gehalten und bestraft.«

Die weisen Herren des Raths waren einmüthig der Meinung des Oberrichters und Stadtschreibers, und beschlossen in aller Förmlichkeit, den König, als Herrn des Rechtes, zu bitten, daß man den Mord ihres Mitbürgers der alten Sitte gemäß untersuchen dürfe, die notwendig bei Mordthaten die Wahrheit an's Licht bringen mußte, eine Meinung, die bis gegen das Ende des siebenzehnten Jahrhunderts als ausgemacht galt. Aber bevor die Versammlung auseinander ging, hielt Bailie Craigdallie noch für nöthig, zu fragen, wer der Kämpe der Magda oder Magdalene Proudfute und ihrer Kinder sein solle.

»Das bedarf nicht vieler Fragen,« sagte Sir Patrick Charteris; »wir sind Männer und tragen Schwerter, die Jedem von uns über'm Kopfe zerbrochen werden sollten, der sie nicht zum Besten der Wittwe und Waisen unseres ermordeten Mitbürgers und zu muthiger Rache seines Todes ziehen wollte. Wenn Sir John Ramorny selbst die Untersuchung übel aufnimmt, so wird Patrick Charteris von Kinfaus auf Leben und Tod mit ihm kämpfen, so lange Mann und Roß stehen und Lanze und Klinge halten. Ist aber der Ausforderer bürgerlichen Standes, so ist's billig, daß Magdalena Proudfute ihren Kämpen unter den tapfersten Bürgern von Perth wähle, und Schmach und Schande brächt' es der guten Stadt für immer, wenn sie Einen fände, der Verräther und Feigling genug wäre, nein zu sagen. Bringt sie hierher, daß sie ihre Wahl treffe.«

Harry Schmied hörte dies mit einer traurigen Ahnung, daß des armen Weibes Wahl auf ihn fallen, und daß seine neuliche Versöhnung mit der Geliebten vernichtet werden würde, indem er sich in einen neuen Streit einließ, dem zu entgehen er kein ehrenvolles Mittel sah, und der unter anderen Umständen von ihm als glorreiche Gelegenheit wäre begrüßt worden, sich im Angesicht von Hof und Stadt auszuzeichnen. Er wußte wohl, daß unter Pater Clemens' Leitung Katharina das Gottesgericht durch Zweikampf eher für eine Beleidigung der Religion, als für eine Berufung auf die Gottheit halten, und es keineswegs als vernünftig anerkennen würde, daß man sich auf die Stärke des Armes oder die Waffengewalt als einen Beweis sittlicher Schuld oder Unschuld verlasse. Er hatte daher von ihrer eigenthümlichen, durch ihre Feinheit über die Zeit, in der sie lebte, erhabenen Meinung in dieser Angelegenheit viel zu fürchten.

Während ihn diese streitenden Gefühle schmerzlich berührten, trat Magdalena, die Wittwe des gemordeten Mannes, in den Gerichtssaal, in einen Trauerschleier gehüllt und begleitet und geführt von fünf oder sechs guten (d. h. achtbaren) Frauen, in dasselbe Trauergewand gekleidet. Eine ihrer Begleiterinnen hielt ein Kind auf den Armen, das letzte Pfand von des armen Oliver ehelicher Liebe. Eine andere führte ein kleines, trippelndes Geschöpf von etwa zwei Jahren, welches mit Staunen und Furcht bald auf die schwarze Kleidung, in die man es gehüllt hatte, bald auf die Scene um sich her sah.

Die Versammlung erhob sich, um die Gruppe zu empfangen, und begrüßte sie mit dem Ausdrucke des tiefsten Mitgefühls, was Magdalena, obwohl die Gattin des armen Oliver, mit einer Würde erwiderte, die sie vielleicht von dem Uebermaß ihres Schmerzes entlehnte. Sir Patrick Charteris trat hierauf vor und nahm mit der Artigkeit eines Ritters gegen eine Frau und eines Beschützers gegen eine unglückliche, gekränkte Wittwe die Hand des armen Weibes, indem er ihr kurz erklärte, wie die Stadt die gehörige Rache für den Mord ihres Gatten verfolgen würde.

Nachdem er sich mit einer Milde und Freundlichkeit, die sonst nicht in seinem Benehmen lag, versichert hatte, daß die unglückliche Frau seine Meinung vollkommen begriff, sagte er laut zur Versammlung: »Gute Bürger von Perth und freie Männer der Gilden und Zünfte, merkt auf das, was geschehen soll, denn es betrifft eure Rechte und Freiheiten. Hier steht Magdalena Proudfute, welche die gebührende Rache für den Tod ihres, wie sie sagt, von Sir John Ramorny schmählich ermordeten Gatten zu verfolgen gedenkt, was sie durch das Gottesgericht des Sarges oder durch den Leib eines Mannes zu erweisen erbötig ist. Daher mache ich, Patrick Charteris, ein gegürteter Ritter und freigeborner Edelmann, mich anheischig, in ihrem gerechten Kampfe zu streiten, so lange Mann und Roß aushalten, wenn Jemand meines Standes den Handschuh aufhebt. – Was sagt Ihr, Magdalena Proudfute, wollt Ihr mich zu Eurem Kämpen annehmen?«

Die Wittwe antwortete mit Mühe: »Ich kann keinen edlern wünschen.«

Sir Patrick nahm nun ihre rechte Hand in die seinige, und, indem er sie auf die Stirne küßte, denn so war der Brauch, sagte er feierlich: »So möge mir Gott und St. John in meiner Noth helfen, wie ich meine Pflicht als Euer Kämpe thun werde, ritterlich, treu und mannhaft. Geht nun, Magdalena, und wählt nach Belieben unter den Bürgern der guten Stadt, ob gegenwärtig oder abwesend, einen aus, dem Ihr Euern Kampf zu übertragen wünscht, wenn der, gegen den Ihr klagt, unter meinem Stande sein sollte.«

Aller Augen richteten sich auf Harry Schmied, den die allgemeine Stimme bereits als den in jeder Hinsicht hierbei passendsten Kämpen bezeichnet hatte. Aber die Wittwe wartete nicht auf das, was die Blicke Aller sagten. Sobald Sir Patrick ausgesprochen hatte, ging sie durch den Saal zu der Stelle, wo am untern Ende der Tafel der Waffenschmied unter Männern seines Standes stand, ergriff ihn bei der Hand und sagte:

»Harry Gow, oder Schmied, guter Bürger und Zunftgenosse, mein – mein –«

Gatte, wollte sie sagen, aber sie brachte das Wort nicht hervor; sie war genöthigt, sich anders auszudrücken.

»Er, der geschieden ist, liebte und lobte Euch vor allen Männern; daher ziemt es sich, daß du den Streit für seine Wittwe und Waisen ausfechten wirst.«

Wäre eine Möglichkeit gewesen, was in diesem Zeitalter nicht der Fall war, daß Harry einem Auftrage, wozu ihn Alle zu bestimmen schienen, entgehen und ausweichen konnte, so war doch jeder Wunsch und Gedanke daran abgeschnitten, als die Wittwe ihn anzureden begann; und kein Befehl des Himmels hätte einen stärkern Eindruck auf ihn machen können, als die Bitte der unglücklichen Magdalena. Ihre Hindeutung auf seine genaue Bekanntschaft mit dem Abgeschiedenen rührte ihn in der Seele. Während Olivers Leben lag ohne Zweifel etwas Albernes in seiner übertriebenen Vorliebe für Harry, was, wenn man die völlige Verschiedenheit ihres Charakters betrachtete, wahrhaft lächerlich war. Aber alles dies war nun vergessen, und Harry, seinem natürlichen Feuer nachgebend, erinnerte sich nur noch, daß Oliver sein Freund und Bekannter war, ein Mann, den er so sehr liebte und ehrte, als er fähig war, solche Gefühle für einen Mann zu hegen; und besonders dachte er daran, daß viel Grund zu dem Verdachte vorhanden war, der Ermordete sei als Opfer eines für Harry bestimmten Streiches gefallen.

Es geschah daher mit einer Lebhaftigkeit, die er eine Minute vorher kaum hätte zeigen können, und die ein trauriges Vergnügen auszudrücken schien, daß der Waffenschmied, nachdem er seine Lippen auf die kalte Stirn der unglücklichen Magdalena gedrückt, erwiderte:

»Ich, Harry, der Schmied, wohnhaft auf dem Wynd in Perth, ehrsamer Mann, treu und frei geboren, übernehme das Amt eines Kämpen für diese Wittwe Magdalena und diese Waisen, und will in ihrer Sache bis auf den Tod kämpfen mit jedem Manne meines eigenen Standes, so lange ich athmen werde. So helfe mir in meiner Noth Gott und St. John!«

Hier erhob sich unter den Zuhörern ein halb unterdrücktes Geschrei, welches die Theilnahme anzeigte, die alle Anwesenden an der Verfolgung des Streites hegten, so wie ihr Vertrauen auf den Ausgang desselben.

Sir Patrick Charteris machte sodann Anstalt, zum König zu gehen und um Erlaubniß zu bitten, die Untersuchung der Ermordung Oliver Proudfute's, der Form des Sarg-Rechts gemäß, und, wenn dies nothwendig, des Zweikampfes, verfolgen zu dürfen.

Er vollbrachte dies Geschäft, nachdem sich der Stadtrath aufgelöst hatte, in einer geheimen Audienz beim König, der von diesen neuen Unruhen mit vielem Kummer hörte, und für Sir Patrick und die betheiligten Parteien den nächsten Morgen nach der Messe als Zeit bestimmte, seinen Willen im Staatsrathe zu vernehmen. Inzwischen ward ein königlicher Diener nach den »Constable's Lodgings« abgeschickt, um die Liste der Dienerschaft Sir John Ramorny's zu fordern und ihm nebst seinem ganzen Gefolge bei schwerer Strafe zu befehlen, in Perth zu bleiben, bis des Königs Wille Weiteres verfügen würde.


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