Walter Scott
Das schöne Mädchen von Perth.
Walter Scott

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Fünfunddreißigstes Kapitel.

Während der König langsam nach dem Kloster zurückritt, welches er damals inne hatte, fragte Albany mit beunruhigter Miene und zitternder Stimme den Grafen von Douglas: »Wird Eure Herrlichkeit nicht, da Ihr jenes traurige Schauspiel in Falkland saht, die Nachricht meinem unglücklichen Bruder mittheilen?«

»Nicht um das weite Schottland,« sagte Douglas. »Lieber wollt' ich aus Schußweite vor hundert Tynedaler Bogenschützen meine Brust entblößen. Nein, bei der Heiligen von Douglas! ich könnte nur sagen, daß ich den unglücklichen Todten sah. Wie er seinen Tod fand, kann Eure Hoheit vielleicht besser erklären. Wär' es nicht um March's Aufruhr und den englischen Krieg, so würd' ich meine Meinung vielleicht aussprechen.« So sagend und sich vor dem König verbeugend, ritt der Graf fort nach seiner eigenen Wohnung und überließ es Albany, die Geschichte zu erzählen, so gut er könnte.

»Der Aufruhr und der englische Krieg!« sagte der Herzog zu sich selbst, – »ja, und dein eigenes Interesse, stolzer Graf, herrschsüchtig wie du bist, wagst du nicht von dem meinigen dich zu trennen. Nun, da das Geschäft mir zufällt, muß und will ich es vollenden.«

Er folgte dem Könige nach seinem Gemache. Der König sah ihn mit Staunen an, nachdem er seinen gewöhnlichen Sitz eingenommen.

»Dein Gesicht ist schrecklich, Robin,« sagte der König. »Ich wünschte, du überlegtest reiflicher, wenn Blut vergossen werden soll, da die Folgen dich so gewaltig angreifen. Und dennoch, Robin, liebe ich dich um so mehr, weil dein freundlicher Charakter sich bisweilen selbst durch deine überlegte Politik zeigt.«

»Ich wollte zu Gott, mein königlicher Bruder,« sagte Albany mit halberstickter Stimme, »daß das blutige Feld, welches wir sahen, das Schlimmste wäre, was wir heut' zu sehen oder zu hören hätten. Ich wollte mich wenig bekümmern wegen des wilden Volks, das dort wie Aas aufgehäuft liegt. Aber« – er hielt inne. –

»Wie!« rief der König erschreckt. – »Welch' neues Unglück? – Rothsay? – Es muß sein – ist es Rothsay? – Sprich es aus! – Welch' neue Thorheit hat er begangen? – Welches frische Unheil?«

»Mylord – mein König – Thorheit und Unheil sind nun vorbei mit meinem unglücklichen Neffen.«

»Er ist todt! – er ist todt!« rief der angsterfüllte Vater. »Albany, als dein Bruder beschwör' ich dich – aber nein, ich bin dein Bruder nicht mehr! Als dein König, finsterer, verschlagener Mann, fordre ich dich auf, das Aergste zu sagen!«

Albany stotterte: – »Die einzelnen Umstände sind mir nur unvollkommen bekannt – gewiß aber ist, daß mein unglücklicher Neffe letzte Nacht in seinem Zimmer von plötzlicher Krankheit getödtet gefunden ward – wie ich hörte.«

»O, Rothsay! – O, mein geliebter David! – Wollte Gott, ich wäre für dich gestorben – mein Sohn – mein Sohn –«

So sprach, in den begeisterten Worten der Schrift, der hilflose und beraubte Vater, seinen grauen Bart und das weiße Haar zerraufend, während Albany, sprachlos und vom Gewissen getroffen, den Sturm seines Schmerzes nicht zu unterbrechen wagte. Aber der Schmerzenskampf des Königs ging fast sogleich in Wuth über – eine Stimmung, so entgegengesetzt der Sanftheit und Schüchternheit seiner Natur, daß Albany's Gewissensbisse durch seine Furcht betäubt wurden.

»Und dies,« sagte der König, »dies ist das Ende deiner sittlichen Sprüche und religiösen Maßregeln! – Aber der bethörte Vater, der den Sohn in deine Hände gab, der das unschuldige Lamm dem Schlächter übergab, ist ein König! Und du sollst es auf deine Kosten erfahren. Soll der Mörder in Gegenwart seines Bruders stehen – befleckt mit dem Blute seines Brudersohnes? Nein! – Wer ist draußen? – Mac Louis! – Brandanen! Verrätherei! – Mord! – Zu den Waffen, wenn ihr den Stuart liebt!«

Mac Louis stürzte mit Mehreren von der Leibwache in's Gemach.

»Mord und Verrath!« rief der arme König. »Brandanen, euer edler Prinz –« hier unterbrachen Schmerz und Zorn auf einen Augenblick die schreckliche Kunde, die er machen wollte. Endlich fand er die gehemmte Sprache wieder – »sogleich eine Axt und einen Block in den Hof! – Verhaftet« – das Wort erstarb ihm, während er sprechen wollte.

»Wen verhaften, mein edler König?« – sagte Mac Louis, der, bemerkend, daß der König von einer heftigen Leidenschaft ergriffen war, wie sie der Sanftmuth seines gewöhnlichen Benehmens fremd war, fast vermuthete, sein Hirn sei durch die ungewöhnlichen Schrecken des gesehenen Kampfes verwirrt worden, – »wen soll ich verhaften, mein König?« sagte er. »Hier ist Niemand, außer Eurer Majestät königlicher Bruder von Albany.«

»Ja wohl,« sagte der König, dessen kurzer Anfall rachgierigen Zornes bald schwand. »Ja wohl, Niemand als Albany – Niemand, außer meiner Eltern Kind – Niemand, als mein Bruder. – O Gott! mache mich fähig, die sündige Leidenschaft zu ersticken, die in diesem Busen glüht – Sancta Maria! ora pro nobis!«

Mac Louis warf einen Blick der Verwunderung auf den Herzog von Albany, der sich bemühte, seine Verwirrung unter dem Scheine tiefen Mitleids zu verbergen und dem Offizier zuflüsterte:

»Das große Unglück war zu gewaltig für seinen Verstand.«

»Welches Unglück, ich bitt' Eure Hoheit?« erwiderte Mac Louis. »Ich habe von keinem gehört.«

»Wie? – nichts gehört vom Tode meines Neffen Rothsay?«

»Der Herzog von Rothsay todt, Mylord von Albany?« rief der treue Brandane mit dem höchsten Schrecken und Entsetzen. – »Wann, wie und wo?«

»Vor zwei Tagen – das Wie ist unbekannt – zu Falkland.«

Mac Louis starrte den Herzog einen Augenblick an; dann sagte er mit glühendem Auge und entschlossener Miene zum König, der tief in Andacht versunken schien: – »Mein König, vor wenig Minuten ließt Ihr ein Wort – ein einzig Wort – unausgesprochen. Laßt es über Eure Lippen gehen, und Euer Wille ist Gesetz für Eure Brandanen!«

»Ich betete gegen Versuchung, Mac Louis,« sagte der König gebrochenen Herzens, »und Ihr bringt sie mir wieder. Wollt Ihr einen Wahnsinnigen mit einem bloßen Schwert bewaffnen? Aber o! Albany! mein Freund, mein Bruder, mein Herzensberather! – wie, wie konntest du das über's Herz bringen?«

Albany, welcher sah, daß des Königs Stimmung milder war, erwiderte mit mehr Festigkeit als vorher: – »Mein Schloß hat keine Wehr gegen die Macht des Todes – ich habe nicht den schnöden Verdacht verdient, den Eurer Majestät Worte enthalten. Ich verzeihe ihn dem Schmerz eines verwaisten Vaters. Aber ich bin bereit, bei Kreuz und Altar zu schwören – bei meinem Theil an der Erlösung, bei den Seelen unsrer königlichen Eltern –«

»Sei still, Robert,« sagte der König; »füge nicht Meineid zum Mord. – Und geschah dies Alles, um der Krone und dem Scepter einen Schritt näher zu kommen? Nimm sie sogleich, Mensch; und magst du fühlen, wie ich es fühlte, daß sie von glühendem Eisen sind! – O! Rothsay, Rothsay! Du entgingst zum wenigsten dem Loose, ein König zu sein!«

»Mein König!« sagte Mac Louis, »laßt mich Euch erinnern, daß Krone und Scepter Schottlands, sobald Eure Majestät aufhört sie zu tragen, dem Rechte Prinz Jakobs gebühren, welcher seines Bruders Rechte erbt.«

»Ja, Mac Louis,« sagte der König hastig, »und auch seines Bruders Gefahren wird das arme Kind erben! Dank, Mac Louis, Dank – Ihr habt mich erinnert, daß ich noch auf Erden zu thun habe. Laß deine Brandanen unter die Waffen treten, so schnell du kannst. Laß keinen Menschen zu uns, dessen Treue dir nicht bekannt ist. Keinen besonders, der mit dem Herzog von Albany verkehrt hat – diesen Mann mein' ich, der sich meinen Bruder nennt! Laß sogleich meine Sänfte bereit halten. Wir wollen nach Dunbarton, Mac Louis, oder nach Bute. Abhänge, Wogen und meine Brandanenherzen sollen das Kind vertheidigen, bis wir Meere zwischen dasselbe und seines grausamen Oheims Ehrgeiz bringen können. – Lebe wohl, Robert von Albany – lebe wohl für immer, du hartherziger, blutiger Mann. Genieße den Theil der Gewalt, den dir Douglas gestatten mag. – Aber suche nicht mein Angesicht wiederzusehen, noch weniger, dich meinem noch übrigen Kinde zu nähern! Denn zur Stunde, wo du das thust, haben meine Wachen Befehl, dich mit ihren Partisanen niederzuschlagen! – Mac Louis, sorge, daß diese Weisung gegeben wird.«

Der Herzog von Albany verließ das Gemach, ohne weitere Entschuldigung und Antwort zu versuchen.

Was folgt, ist Gegenstand der Geschichte. Im nächsten Parlament bewog der Herzog von Albany diese Versammlung, ihn für unschuldig am Tode Rothsay's zu erklären, während er zu gleicher Zeit sein Schuldbewußtsein dadurch zeigte, daß er Ablaß oder Verzeihung für dieses Vergehen annahm. Der unglückliche und bejahrte König verschloß sich in sein Schloß Rothsay in Bute, um den verlorenen Sohn zu betrauern und mit fieberhafter Aengstlichkeit über das Leben des ihm gebliebenen zu wachen. Als die beste Maßregel für des jungen Jakobs Sicherheit schickte er ihn nach Frankreich, um ihn am dortigen Hofe erziehen zu lassen. Aber das Fahrzeug, auf dem der Prinz von Schottland absegelte, wurde von einem englischen Kreuzer genommen, und obgleich zwischen beiden Königreichen Friede war, hielt ihn doch Heinrich IV. unedler Weise gefangen. Dieser letzte Schlag brach dem unglücklichen König Robert III. gänzlich das Herz. Die Rache folgte, wenn gleich langsamen Schrittes, der Verrätherei und Grausamkeit seines Bruders. Robert von Albany's eignes graues Haar ging zwar in Frieden zu Grabe, und er übertrug seine schlecht erworbene Regentschaft seinem Sohne Murdoch; aber neunzehn Jahre nach dem Tode des alten Königs kehrte Jakob I. nach Schottland zurück, und Herzog Murdoch von Albany ward mit seinen Söhnen auf's Schaffot geführt, um seines Vaters Schuld und seine eigene zu sühnen.


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