Walter Scott
Das schöne Mädchen von Perth.
Walter Scott

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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Heil, Land der Bogenschützen! Söhne Jener,
Die es verschmäht, den Nacken Rom zu beugen –
O schönster Theil des meerumwallten Albion!
                                  Albania (1737).

Ich habe eine Weise entdeckt,« sagte der wohlmeinende Oberrichter, »auf welche ich euch Beide ein paar Wochen gegen die Bosheit eurer Feinde sichern will, da ich wenig zweifle, die Hofwelt bald verändert zu sehen. Aber damit ich um so eher entscheiden kann, was zu thun sei, so sagt mir offen, Simon, von welcher Art Eure Verbindung mit Mac Jan ist, die Euch veranlaßt, so unbeschränktes Vertrauen auf ihn zu setzen. Ihr seid ein genauer Beobachter der Stadtgesetze und kennt die strengen Strafen, die sie solchen Bürgern verkündigen, die mit den Hochländerclans Verkehr und Verbindung haben.«

»Allerdings, Mylord; aber es ist Euch auch bekannt, daß unsere Zunft, die in Schaf-, Hirsch- und anderem Leder arbeitet, ein Privilegium und Erlaubniß hat, mit den Hochländern zu verkehren, da wir durch jene Leute uns am raschesten mit den Mitteln versorgen können, unser Geschäft zum großen Vortheil der Stadt zu betreiben. So habe ich viele Geschäfte mit jenen Leuten gehabt, und ich kann es bei meiner Seligkeit versichern, daß Ihr nirgends billigere und ehrlichere Handelsleute findet, bei denen ein Mann leichter einen guten Pfennig erschwingen könnte. Ich habe zu meiner Zeit verschiedene weite Reisen in's Hochland gemacht, nur auf das Wort ihrer Häuptlinge, und nie traf ich ein seinem Worte treueres Volk, wenn man es einmal dahin bringen kann, es für Einen zu verpfänden, und was den hochländischen Häuptling Gilchrist Mac Jan betrifft, obwohl er rasch zum Todtschlag und feuersprühend gegen die ist, mit denen er in Todfehde begriffen ist, Keinen, der einen ehrlichern und geradern Pfad ginge.«

»Das ist mehr, als ich jemals hörte,« sagte Sir Patrick Charteris. »Doch ich habe auch Etwas von den hochländischen Brauseköpfen vernommen.«

»Sie zeigen eine andere und eine sehr verschiedene Gunst ihren Freunden, als ihren Feinden, wie Eure Herrlichkeit sehen wird,« sagte der Handschuhmacher. »Indeß, sei dem wie ihm wolle, es gelang mir, Gilchrist Mac Jan in einer wichtigen Sache zu dienen. Es ist etwa achtzehn Jahre her, daß der Clan Quhele und der Clan Chattan in Fehde begriffen waren, wie sie überhaupt selten Frieden haben, und der erstere eine Niederlage erlitt, die beinahe die Familie seines Häuptlings Mac Jan ausrottete. Sieben seiner Söhne fielen in und nach der Schlacht, er selbst mußte fliehen und sein Schloß wurde eingenommen und den Flammen übergeben. Seine Gattin, die gerade der Niederkunft nahe war, floh in den Wald, von einem treuen Diener und seiner Tochter begleitet. Hier gebar sie in Kummer und Elend einen Knaben, und da der elende Zustand der Mutter sie unfähig machte, das Kind zu säugen, so wurde es mit der Milch eines Rehes ernährt, das der Jäger, der sie begleitete, in einem Garn lebendig gefangen hatte. Nicht lange nachher schlug Mac Jan in einer zweiten Schlacht dieser Clans seine Feinde und nahm das verlorene Land wieder in Besitz. Mit unerwartetem Entzücken fand er Gattin und Kind noch am Leben, von denen er nichts mehr als die gebleichten Beine zu sehen gehofft hatte, von denen die Wölfe und wilden Katzen das Fleisch gefressen hätten.

»Aber ein starkes und gebieterisches Vorurtheil, wie es oft von jenen wilden Leuten unterhalten wird, hinderte den Häuptling, sich des vollen Glückes zu erfreuen, welches die Rettung seines einzigen Sohnes begründete. Es existirte eine alte Prophezeiung unter ihnen, daß die Macht des Stammes durch einen unter einem Hollunderbusch gebornen Knaben fallen werde, den ein weißes Reh säugte. Der Umstand traf zum Unglück für den Häuptling genau mit der Geburt des einzigen Kindes zusammen, das ihm übrig blieb, und die Aeltesten des Clans forderten von ihm, daß der Knabe entweder sogleich ermordet, oder wenigstens aus dem Gebiete des Stammes entfernt und in Dunkelheit auferzogen werde. Gilchrist Mac Jan mußte nachgeben, und da er den letztern Vorschlag wählte, wurde das Kind unter dem Namen Conachar in mein Haus gebracht, in der Absicht, wie man anfangs wollte, ihm alle Kunde zu verbergen, wer und woher er sei, oder welche Ansprüche auf Macht er über ein zahlreiches und kriegerisches Volk habe. Aber wie die Jahre dahinrollten, wurden die Aeltesten des Stammes, die so viel Ansehen besessen hatten, durch den Tod weggerafft oder durch Alter unfähig gemacht, sich in die öffentlichen Angelegenheiten zu mischen. Auf der anderen Seite wuchs der Einfluß Gilchrist Mac Jans durch seine glücklichen Kämpfe gegen den Clan Chattan, in welchem er die Gleichheit zwischen den beiden streitenden Bündnissen, wie sie vor der unglücklichen Niederlage bestand, von der ich Eurer Herrlichkeit erzählt, wiederherstellte. Als er so fest saß, wünschte er natürlich, seinen einzigen Sohn an seine Brust und in sein Haus zurückzubringen; deswegen ließ er mich den jungen Conachar, wie man ihn nannte, mehr als ein Mal in's Hochland schicken. Er war ein Jüngling, ganz dazu gemacht, durch Gestalt und edles Benehmen das Herz seines Vaters zu gewinnen. Endlich errieth, wie ich glaube, der junge Mann das Geheimniß seiner Geburt, oder es wurde ihm sonst mitgetheilt; und der Widerwille, den der stolze hochländische Bursche immer vor meinem ehrlichen Gewerbe gezeigt hatte, wurde sichtbarer, so daß ich nicht einmal wagte, meinen Stab über seinen Rücken zu legen, aus Furcht, er möchte mich mit einem Dolchstoß, als gälische Antwort auf eine sächsische Anrede, empfangen. Dann wünschte ich ihn los zu sein, um so mehr, da er so viel Ergebung gegen Katharina zeigte, die sich in der That vorsetzte, den Aethiopier zu waschen und einem wilden Hochländer Milde und Sitte zu lehren. Sie weiß selber, wie es endete.«

»Ei, mein Vater,« sagte Katharina, »es war gewiß nur eine Handlung des Erbarmens, den Brand aus dem Feuer zu reißen.«

»Aber keine besondere Handlung der Weisheit,« sagte ihr Vater, »da du die eigenen Finger dabei dem Brande aussetztest. – Was sagt Mylord zu der Sache?«

»Mylord möchte das schöne Mädchen von Perth nicht beleidigen,« sagte Sir Patrick; »und er kennt wohl die Reinheit und Wahrheit ihres Gemüths. Und doch muß ich nothwendig sagen, wäre dieser Pflegesohn des Rehes runzelig, hager, plump und rothhaarig gewesen, wie einige Hochländer, die ich kannte, so wär' es die Frage, ob das schöne Mädchen von Perth so vielen Eifer auf seine Bekehrung verwendet hätte; und wäre Katharina so alt, runzelig und von Jahren gebeugt gewesen, wie das alte Weib, das mir die Thür diesen Morgen öffnete, so möcht' ich meine goldenen Sporen gegen ein paar hochländischer Holzschuhe wetten, daß der wilde Rehbock nie mehr ihren Lectionen gelauscht haben würde. – Ihr lacht, Glover, und Katharina erröthet vor Unwillen. Laßt das sein, es ist der Lauf der Welt.«

»Die Art, Mylord, auf welche die Weltmenschen ihre Nachbarn beurtheilen,« sagte Katharina etwas geärgert.

»Ach, schöne Heilige, vergebt einen Scherz,« sagte der Ritter; »und du, Simon, sag' uns, wie die Geschichte endete – mit Conachars Flucht nach den Hochlanden, vermuthlich?«

»Mit seiner Rückkehr dahin,« sagte der Handschuhmacher. »Es war vor einigen Jahren ein Kerl in Perth, eine Art Bote, der kam und ging unter mancherlei Vorwand, war aber in der That das Mittel der Mittheilung zwischen Gilchrist Mac Jan und seinem Sohne, dem jungen Conachar, oder, wie er nun heißt, Hektor. Von diesem Burschen erfuhr ich im Allgemeinen, daß die Verbannung des Dault an Neigh Dheil, oder des Pflegesohnes des weißen Rehes, vom Stamme wieder in Erwägung gezogen sei. Sein Pflegevater, Torquil von der Eiche, der alte Jäger, erschien mit acht Söhnen, den schönsten Männern des Clans, und forderte die Aufhebung des Verbannungsurtheils. Er sprach mit um so größerem Ansehen, da er selbst ein Taitschatar oder Seher war und im Rufe stand, mit der unsichtbaren Welt Verkehr zu haben. Er versicherte, eine Zauberformel vollbracht zu haben, genannt Tin-Egan, durch welche er einen Teufel beschwor, von dem er ein Geständniß erpreßte, daß Conachar, nun Eachin oder Hektor Mac Jan genannt, der einzige Mann in dem bevorstehenden Kampfe zwischen den feindlichen Clans sei, der ohne Blut und Flecken wegkommen würde. Daher bewies Torquil von der Eiche, daß die Gegenwart des vom Schicksal bestimmten Mannes nothwendig sei, um den Sieg zu sichern. ›So gewiß weiß ich dies,‹ sagte der Jäger, ›daß, wo nicht Eachin an seiner Stelle in den Reihen des Clans Quhele kämpft, weder ich, sein Pflegevater, noch einer meiner acht Söhne eine Waffe in dem Streite erheben wird.‹

»Diese Rede ward mit großer Unruhe aufgenommen, denn der Abgang von neun Männern, den muthigsten ihres Stammes, war ein ernstlicher Unfall, zumal wenn der Kampf, wie das Gerücht bereits geht, durch eine kleine Anzahl von jeder Seite entschieden werden sollte. Der alte Aberglaube hinsichtlich des Pflegesohns des weißen Rehes wurde von einem neuen Vorurtheil überwogen, und der Vater ergriff die Gelegenheit, dem Clan seinen langverborgenen Sohn vorzustellen; das jugendliche, aber schöne und lebendige Gesicht desselben, sein stolzes Benehmen und seine gewandten Glieder erregten die Aufmerksamkeit der Männer des Clans, die ihn als den Erben und Abkömmling ihres Häuptlings, trotz des unglücklichen Vorzeichens, das seine Geburt und Säugung begleitete, empfingen.

»Aus dieser Erzählung, Mylord,« fuhr Simon Glover fort, »kann Eure Herrlichkeit leicht ersehen, warum ich selbst einer guten Aufnahme unter dem Clan Quhele sicher sein konnte; und ebenso seid Ihr im Stande zu beurtheilen, daß es sehr unbedacht von mir sein würde, Katharina dorthin zu führen. Und dies, Mylord, ist die schwerste meiner Sorgen.«

»So wollen wir dir die Last erleichtern,« sagte Sir Patrick; »und, guter Glover, ich will für dich und dieses Mädchen Etwas wagen. Meine Verbindung mit Douglas gibt mir einigen Einfluß bei Majory, der Herzogin Rothsay, seiner Tochter, der vernachlässigten Gemahlin unseres leichtsinnigen Prinzen. Verlasse dich darauf, guter Glover, daß unter ihrem Schutze deine Tochter so sicher sein wird, als in einem verschanzten Schlosse. Die Herzogin lebt gegenwärtig zu Falkland, einem Schlosse, das ihr der Herzog von Albany, dem es gehört, zu ihrer Bequemlichkeit geliehen hat. Ich kann kein Vergnügen versprechen, schönes Mädchen; denn die Herzogin Majory von Rothsay ist eine unglückliche und daher mürrische, stolze und übermüthige Frau, die des Mangels an anziehenden Eigenschaften sich bewußt und daher eifersüchtig auf alle Mädchen ist, die diese besitzen. Aber sie ist ihrem Worte treu, hat einen edlen Muth, und würde den Papst oder Prälaten in den Schloßgraben werfen lassen, wenn er eine Person unter ihrem Schutze verhaften wollte. Ihr werdet daher ganz sicher sein, obwohl Euch Behaglichkeit fehlen mag.«

»Ich habe keinen weitern Anspruch,« sagte Katharina; »und tief fühle ich die Güte, die mir so ehrenvollen Schutz zu gewähren bereit ist. Ist sie hochmüthig, so will ich mich erinnern, daß sie eine Douglas ist und das Recht hat, so stolz als irgend eine Sterbliche zu sein – ist sie mürrisch, so will ich bedenken, daß sie unglücklich ist – und ist sie über Gebühr launenhaft, so will ich nicht vergessen, daß sie mich schützt. Bekümmert Euch nicht länger um mich, Mylord, wenn Ihr mich unter den Schutz der edlen Lady gebracht habt. – Aber daß mein armer Vater dem wilden und gefährlichen Volke ausgesetzt sein soll!«

»Denke nicht daran, Katharina,« sagte der Handschuhmacher; »ich bin so vertraut mit Holzschuhen und Farrenkraut, als hätte ich sie selber getragen. Ich fürchte nur, die entscheidende Schlacht möchte vorfallen, bevor ich dieses Land verlassen kann; und wenn der Clan Quhele die Schlacht verliert, so kann ich durch das Unglück meiner Beschützer leiden.«

»Wir müssen dafür sorgen,« sagte Sir Patrick; »verlaßt Euch auf mich, ich werde für Eure Sicherheit denken. – Aber welche Partei, glaubt Ihr, wird siegen?«

»Offen zu reden, Mylord Oberrichter, ich glaube, der Clan Chattan wird den Kürzern ziehen; jene neun Söhne des Waldes bilden fast ein Drittel der Schaar, die den Häuptling vom Clan Quhele umgibt, und es sind unerschrockene Streiter.«

»Und Euer Lehrling, meint Ihr, er werde stehen?«

»Er ist heiß wie Feuer, Sir Patrick,« antwortete der Handschuhmacher, »ist aber eben so beweglich, wie Wasser. Trotzdem scheint er, wenn er leben bleibt, dereinst ein tüchtiger Mann werden zu wollen.«

»Aber für jetzt hat er immer noch Etwas von der Milch des weißen Rehes, nicht wahr, Simon?«

»Er hat wenig Erfahrung, Mylord,« sagte der Handschuhmacher, »und ich brauche einem gerühmten Krieger, wie Ihr, nicht zu sagen, daß wir mit der Gefahr vertraut sein müssen, eh' wir mit ihr, wie mit einer Geliebten, scherzen können.«

Diese Unterhaltung brachte sie eilig nach Schloß Kinfauns, wo es, nach eingenommener Erfrischung, nöthig ward, daß Vater und Tochter schieden, um ihre besonderen Zufluchtsorte zu suchen. Dann erst war es, daß Katharina, als sie sah, wie ihres Vaters Besorgnis um sie alle Gedanken an seinen Freund zusammengedrückt hatte, wie im Traume den Namen »Harry Gow« fallen ließ.

»Freilich, ja freilich!« fuhr der Vater fort; »er muß unsere Absichten kennen.«

»Ueberlaßt das mir,« sagte Sir Patrick. »Ich will keinem Boten vertrauen, will auch keinen Brief senden, weil, wenn ich einen schreiben, er ihn vermuthlich nicht lesen könnte. Er wird unterdessen besorgt sein, aber ich will morgen bei Zeiten nach Perth reiten und ihn mit Eurem Vorhaben bekannt machen.«

Die Zeit der Trennung nahete nun. Es war ein bitterer Augenblick; aber der männliche Charakter des alten Bürgers und die fromme Ergebung Katharinens in den Willen der Vorsehung machten ihn leichter, als sich erwarten ließ. Der gute Ritter drang, wiewohl auf die freundlichste Weise, auf die Abreise, und ging selbst so weit, dem Bürger ein Darlehen von einigen Goldstücken zu bieten, was zu einer Zeit, wo das Geld so selten war, als das non plus ultra der Achtung angesehen werden mußte. Der Handschuhmacher versicherte ihn jedoch, daß er reichlich versehen sei, und reiste in nordwestlicher Richtung ab. Der gastliche Schutz Sir Patrick Charteris' wurde seinem schönen Gaste nicht minder bewiesen. Sie wurde der Fürsorge einer Hausmeisterin, die das Hauswesen des guten Ritters besorgte, übergeben, und war genöthigt, mehrere Tage in Kinfauns zu bleiben, weil der Fährmann vom Tay, Kitt Stenshaw, der sie überfahren sollte, und auf den der Ritter viel Vertrauen setzte, Hindernisse und Zögerung verursachte.

So wurden Vater und Kind getrennt in einem Augenblicke großer Gefahr und Bedrängniß, noch gesteigert durch Umstände, von denen sie nichts zu wissen schienen, und die gleichwohl die Möglichkeit der Rettung, die ihnen blieb, sehr beeinträchtigen konnten.


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