Walter Scott
Das schöne Mädchen von Perth.
Walter Scott

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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Groß war er in Quacksalbereien;
Viel' mordet' er durch Arzeneien.
                                    Dunbar.

Als nach einer Mahlzeit, deren Verlängerung für den verwundeten Ritter eine Folter war, der Graf von Crawford endlich zu Pferde stieg, um sich nach seiner fernen Wohnung im Schlosse Dupplin zu begeben, wo er sich als Gast aufhielt, zog sich der Ritter von Ramorny in sein Schlafgemach zurück, gepeinigt von Körperschmerz und Seelenangst. Hier fand er Henbane Dwining, von dem er in Betreff des Trostes für beiderlei Schmerz sein hartes Geschick abhängig machte. Der Arzt hoffte in seiner erheuchelten tiefsten Demuth seinen gereizten Kranken fröhlich und glücklich zu sehen.

»Fröhlich, wie ein toller Hund!« sagte Ramorny, »und glücklich wie der Elende, den die Bestie gebissen hat und der die Nähe der rasenden Tollheit zu fühlen beginnt. Der rohe Knabe Crawford sah meinen Schmerz und ersparte mir keinen einzigen Trunk. Wahrlich, ich müsse ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen! Wenn ich ihm und der Welt Gerechtigkeit hätte widerfahren lassen, so hätt' ich ihn aus dem Fenster geworfen, und eine Laufbahn gekürzt, die, wenn er fortfährt, wie er begonnen hat, ein Quell des Elends für ganz Schottland, besonders aber für die Taygegend sein wird. – Nimm dich in Acht, wenn du die Bänder abnimmst, Chirurg; die Berührung des Flügels einer Fliege auf dem rohen, glühenden Stumpf wäre ein Dolchstich für mich.«

»Fürchtet nichts, mein edler Herr,« sagte der Wundarzt mit einem schluchzenden Lachen der Freude, welches er umsonst unter dem Tone erheuchelten Mitgefühls zu verbergen strebte. »Wir wollen frischen Balsam auflegen, und – hi, hi, hi! – Euer Gnaden von der Reizung befreien, die Ihr so standhaft ertraget.«

»Standhaft, Mensch?« sagte Ramorny, vor Schmerz knirschend; »ich ertrage sie, wie ich die sengenden Flammen des Fegefeuers ertragen würde – der Knochen scheint glühendes Eisen zu sein – deine fette Salbe wird zischen, wenn sie auf die Wunde fällt – und doch ist das December-Eis verglichen der Fiebergluth meiner Seele!«

»Wir wollen zuerst unsere Erleichterung auf den Körper anwenden, mein edler Gönner,« sagte Dwining; »und wird dann, mit Eurer Herrlichkeit Erlaubniß, Euer Diener seine Kunst auch an dem beunruhigten Gemüth versuchen. – Obwohl ich glaube, daß die geistige Qual einigermaßen von der Reizung der Wunde abhängt, so hoffe ich doch, die körperlichen Schmerzen werden bald gelindert sein und die stürmischen Gefühle sich dann vielleicht von selber legen.«

»Henbane Dwining,« sagte der Kranke, als er den Schmerz seiner Wunde nachlassen fühlte, du bist ein kostbarer und unschätzbarer Wundarzt, aber Einiges ist über deine Macht. – Du kannst das körperliche Gefühl dieser rasenden Schmerzen stillen, aber du kannst mich nicht lehren den Spott des Knaben zu ertragen, den ich erzog, den ich liebte, Dwining – ich liebte ihn, zärtlich liebte ich ihn! Meine schlimmsten Thaten geschahen, um seinen Lastern zu schmeicheln, und er weigerte mir ein Wort seines Mundes, wo ein solches mir diese Last abgenommen hätte. Er lächelte – ich sah ihn lächeln, als der elende Oberrichter, der Genosse und Schutzpatron erbärmlicher Bürger, mich herausforderte, mich, den dieser herzlose Prinz unfähig machte, Waffen zu führen. – Eh' ich das vergesse oder vergebe, sollst du selbst Verzeihung der Beleidigungen predigen! – Und dann die Sorgen für morgen. – Glaubst du, Henbane Dwining, daß sich in aller Wahrheit die Wunde des gemordeten Leichnams öffnen und Tropfen frischen Blutes bei des Mörders Annäherung vergießen werde?«

»Ich kann's nicht sagen, Mylord, außer nach dem Gerücht,« sagte Dwining, »welches die Sache bestätigt.«

»Der viehische Bonthron,« sagte Ramorny, »ist durch die Furcht vor so Etwas beunruhigt und spricht davon, daß er lieber den Zweikampf bestehen wolle. Was meinst du? – er ist ein Kerl von Stahl!«

»Des Waffenschmieds Geschäft ist's, mit Stahl umzugehen,« antwortete Dwining.

»Wenn Bonthron fiele, es sollte mich wenig schmerzen,« sagte Ramorny, »obwohl ich eine nützliche Hand entbehren würde.«

»Ich denke wohl, Eure Herrlichkeit wird sie nicht so wie die in Curfewstreet verlorne tragen – entschuldigt den Scherz – hi, hi, hi! – aber welches sind die nützlichen Eigenschaften eines Kerls wie Bonthron?«

»Die eines Bullenbeißers,« antwortete der Ritter; »er zerreißt, ohne zu bellen.«

»Ihr fürchtet nicht sein Geständnis?« sagte der Arzt.

»Wer kann sagen, was Furcht vor dem nahenden Tode im Stande ist?« erwiderte der Kranke. »Er hat bereits eine Schüchternheit gezeigt, die seiner gewöhnlichen Gemüthsrohheit ganz fremd ist; er, der seine Hände kaum waschen mochte, nachdem er einen Mann erschlagen, fürchtet sich nun, einen todten Körper bluten zu sehen.«

»Nun,« sagte der Wundarzt, »ich muß Etwas für ihn thun, wenn ich kann, da es zur Förderung meiner Rache geschah, daß er jenen Streich führte, obwohl er zum Unglück hintraf, wohin er nicht treffen sollte.«

»Und wessen Schuld war das, furchtsamer Schuft,« sagte Ramorny, »außer deine eigene, der ein schlechtes Reh für einen Hirsch erster Größe ansah?«

»Benedicite, edler Herr,« erwiderte der Mediciner; »wollt Ihr, daß ich, der ich wenig mehr außer Kammerdienst verstehe, ein so geschickter Waidmann sei, als Ihr selber, daß ich unterscheide Hirsch und Hindin, Bock und Kuh im Walde um Mitternacht? Ich war nur ein wenig im Zweifel, als ich die Gestalt im Mohrentänzerkleide an uns vorbei nach des Schmieds Wohnung im Wynd eilen sah, und doch wußte ich nicht ganz, ob es unser Mann war, denn er schien mir zu klein. Aber als er wieder herauskam nach der Zeit, die man zum Kleiderwechseln etwa braucht, und mit Büffelwams und Pickelhaube weiter schritt, nach der gewöhnlichen Weise des Waffenschmieds pfeifend, da gesteh' ich, daß ich mich irrte, super totam materiem, und ließ Eurer Herrlichkeit Bullenbeißer auf ihn los, der seine Pflicht ganz richtig that, wenn er gleich das unrechte Thier traf. Ich bin daher entschlossen, wenn der verfluchte Waffenschmied unsern armen Freund nicht auf dem Flecke todt schlägt, wenn die Kunst es vermag, zu sorgen, daß dem Kettenhund nichts Schlimmes begegne.«

»Das wird deine Kunst auf die Probe stellen, Mann der Medicin,« sagte Ramorny; »denn wisse, das Schlimmste beim Kampfe ist, daß unser Kämpe, wenn er nicht sogleich in den Schranken todtgeschlagen ist, bei den Fersen fortgeschleppt und ohne Ceremonie an den Galgen geknüpft wird, als des Mordes überwiesen; und wenn er dort etwa eine Stunde lang wie eine lose Troddel gebaumelt hat, so wirst du, denk ich, wohl schwerlich im Stande sein, seinen gebrochenen Hals zu heilen.«

»Ich bin, mit Eurer Herrlichkeit Erlaubniß, anderer Meinung,« antwortete Dwining ruhig. »Ich will ihn vom Fuße des Galgens in das Land der Feen tragen, wie König Arthur, oder Sir Hyon von Bordeaux, oder Ugero der Däne; oder ich will ihn eine Anzahl Minuten oder Stunden am Galgen hängen lassen und dann ihn vor den Augen Aller weghaschen, so leicht, wie der Wind ein dürres Blatt fortweht.«

»Das ist leere Prahlerei, Sir Arzt,« sagte Ramorny. »Der ganze Pöbel von Perth wird ihn zum Galgen begleiten, Einer immer begieriger als der Andere, den Diener eines Edelmanns sterben zu sehen, und zwar für den Mord eines dummköpfigen Bürgers. Tausend von ihnen werden den Galgen umringen.«

»Und wären es zehntausend,« sagte Dwining; »sollte ich, der ich hochgelehrt bin, der ich in Spanien und selbst in Arabien studirte, nicht fähig sein, die Augen dieser säuischen Bürgerheerde zu täuschen, während der geringste Gaukler, der je Taschenspielerei trieb, selbst die scharfe Aufmerksamkeit Eurer höchst scharfsichtigen Ritterschaft hintergehen kann? Ich sage Euch, ich will sie so überlisten, als besäße ich Keddie's Ring.«

»Wenn du Wahrheit redest,« antwortete der Ritter, »und ich denke, du wagst nicht mit mir über dergleichen zu spaßen, so mußt du des Satans Beistand haben, und ich will nichts mit ihm zu thun haben. Ich verachte ihn und trotze ihm.«

Dwining mußte seinem innerlichen Lachen nachgeben, als er hörte, wie sein Gönner seinen Trotz gegen den bösen Feind aussprach, und wie er ihn bekräftigte, indem er ein Kreuz schlug. Er bezwang sich indeß, als er Ramorny's Miene sehr ernst werden sah, und sagte mit ziemlichem Ernste, obwohl etwas unterbrochen durch die nothwendige Anstrengung, seine lustige Stimmung zu unterdrücken:

»Verbindung mit Andern, höchst frommer Sir, Verbindung ist die Seele der Gauklerkunst. Aber – hi, hi, hi! – ich habe nicht die Ehre – hi, hi, hi! – ein Verbündeter des Herrn zu sein, von dem ihr sprecht – an dessen Existenz ich – hi, hi, hi! – nicht sehr glaube – obwohl Eure Herrlichkeit ohne Zweifel bessere Gelegenheit zur Bekanntschaft hat.«

»Fahre fort, Schurke, aber ohne diesen Spott, sonst sollst du theuer dafür zahlen.«

»Ich will es, Allermuthigster,« erwiderte Dwining. »Wißt, daß ich auch meinen Verbündeten habe, sonst wäre meine Kunst wenig werth.«

»Und wer mag der sein, ich bitt' Euch?«

»Stephan Smotherwell, mit Eurer Gnaden Erlaubniß, Nachrichter dieser schönen Stadt. Mich wundert, daß ihn Eure Herrlichkeit nicht kennt.«

»Und mich wundert, daß deine Schuftigkeit ihn nicht von seinem Handwerk aus kennt,« erwiderte Ramorny; »aber ich sehe, deine Nase ist nicht aufgeschlitzt, deine Ohren nicht abgeschnitten, und wenn deine Schultern gebrandmarkt sind, so bist du so klug, ein hochkragiges Wams zu tragen.«

»Hi, hi! Ihr beliebt zu spaßen,« sagte der Arzt. »Nicht persönliche Umstände erwarben mir die genaue Bekanntschaft Stephan Smotherwells, sondern ein gewisser Handel zwischen uns, wobei ich, mit Eurer Erlaubniß, gewisse Summen Silbers für die Leiber, Köpfe und Glieder derer gebe, die mit Hilfe Freund Stephans sterben.«

»Elender!« rief der Ritter voll Abscheu, »geschieht es, um Tränke und Mittel der Hexerei zu bereiten, daß Ihr die erbärmlichen Reste der Sterblichkeit einhandelt?«

»Hi, hi, hi! – nein, mit Eurer Herrlichkeit Erlaubniß,« antwortete der Mediciner, sehr ergötzt von der Unwissenheit seines Gönners: »aber wir, die wir Ritter der Lanzette sind, sind gewohnt, uns sorgsam im Schneiden an den Gliedern todter Menschen zu üben und nennen dies Section, woran wir durch Untersuchung eines todten Gliedes lernen, wie eines zu behandeln ist, das einem lebenden Menschen angehört und das auf irgend eine Art beschädigt ist. Ach, wenn Eure Herrlichkeit mein armes Laboratorium sähe, so könnte ich Euch Köpfe und Hände, Füße und Lungen zeigen, von denen man glaubt, sie seien längst im Sarg verfault. Den Schädel Wallace's, von der Londoner Brücke gestohlen; das Herz Sir Simon Frasers, der Niemand fürchtete; den lieblichen Schädel der schönen Katie Logie – o hätt' ich nur das Glück gehabt, die ritterliche Hand meines verehrten Gönners zu retten.«

»Fort mit dir, Sklave! willst du mir mit deinem Katalog von Abscheulichkeiten Ekel bereiten? – Sage mit einem Worte, was du willst. Wie kann dein Handel mit dem Henker mir von Nutzen sein oder meinem Diener Bonthron helfen?«

»Ei, ich empfehle das Eurer Herrlichkeit nicht, außer im äußersten Nothfall,« erwiderte Dwining. »Aber wir wollen annehmen, der Kampf sei vorbei und unser Hahn geschlagen. Nun müssen wir ihm zuerst die Gewißheit beibringen, daß, wenn er nicht siegt, wir ihn wenigstens vom Henker retten werden, vorausgesetzt, daß er nichts gesteht, was Eurer Herrlichkeit Ehre beeinträchtigen kann.«

»Ja! – ja, da fällt mir ein Gedanke ein,« sagte Ramorny. »Wir können mehr als das thun – wir können ein Wort in Bonthrons Mund legen, das beunruhigend genug für ihn sein soll, den ich als Ursache meines Mißgeschicks verfluchen muß. Laß uns zum Stall des Hundes gehen und ihm erklären, was für jeden Fall zu thun ist. Können wir ihn überreden, dem Sargrecht zu stehen, so ist das eine bloße Posse und wir sind sicher. Nimmt er den Kampf an, so ist er wild wie ein gehetzter Bär, wird vielleicht seinen Gegner überwältigen und wir sind mehr als sicher – wir sind gerächt. Wenn Bonthron selbst besiegt wird, so führen wir deinen Plan aus, und machst du es gut, so geben wir ihm an, was er zu beichten hat, nehmen den Vortheil davon, den ich dir nachher erklären werde, und thun einen Riesenschritt in der Rache. – Immer bleibt noch ein Wagniß. Denke dir unsern Bullenbeißer tödlich verwundet in den Schranken, wer wird ihn hindern, eine Art von Beichte zu heulen, verschieden von der, die wir ihm anempfehlen?«

»Wahrlich, das kann sein Arzt,« sagte Dwining. »Laßt mich ihn warten und gebt mir Gelegenheit, nur einen Finger auf seine Wunde zu legen, und vertraut mir, er wird kein Vertrauen täuschen.«

»Nun, er ist ein bereitwilliger Teufel, den man weder zu treiben noch zu drängen braucht!« sagte Ramorny.

»Wie ich hoffe, dies in Eurer Herrlichkeit Dienst nie zu brauchen.«

»Wir wollen unsern Gehilfen nun unterrichten,« fuhr der Ritter fort, »Wir werden ihn willig finden; denn ein Hund, wie er's ist, weiß den, der ihn füttert, von dem, der ihn prügelt, zu unterscheiden; und einen vormaligen königlichen Herrn von mir haßt er tief wegen kränkender Behandlung und schmachvoller Ausdrücke, die er von ihm erfuhr. Ich muß auch weiter mit dir über deine Kunstgriffe sprechen, wie der Bullenbeißer aus den Händen der Bürgerheerde zu retten ist.«

Wir überlassen dies würdige Freundespaar ihren geheimen Praktiken, deren Erfolge wir später sehen werden. Sie waren, obwohl verschiedenen Standes und Charakters, doch so geeignet zu Anlegung und Ausführung verbrecherischer Plane, als das Windspiel zum Zerreißen des Tieres, das der Spürhund aufjagt, oder dieser zum Aufsuchen der Beute, die der scharfsehende Windhund mit dem Auge entdeckt. Stolz und Selbstsucht waren Beiden eigen; aber wegen Verschiedenheit des Standes, der Erziehung und der Anlagen hatten sie das verschiedenste Ansehen in den beiden Individuen angenommen.

Nichts konnte dem hochfahrenden Ehrgeize des begünstigten Höflings, des glücklichen Liebhabers und kühnen Kriegers weniger ähnlich sein, als der unterwürfige, anspruchslose Mediziner, der, selbst wenn er beleidigte, zu schmeicheln und zu unterhalten schien, während er im Innern der Seele sich überlegener Einsicht bewußt war, – einer Macht der Wissenschaft wie des Verstandes, der die rohen Edeln seiner Zeit tief unter ihn stellte. Henbane Dwining kannte diese höhere Stellung so gut, daß er oft wie Einer, der wilde Thiere hält, zu seinem Vergnügen den stürmischen Zorn eines Mannes, wie Ramorny, zu erregen wagte, wohl wissend, daß er mit seiner Unterwürfigkeit dem Sturm entgehen würde, den er erregt hatte, wie ein indianischer Knabe seinen leichten Kahn, den seine Zerbrechlichkeit selbst schützt, in die wilde Brandung treibt, worin das Boot eines Kauffahrers sicher scheitern würde. Daß der Lehensbaron den niederen Arzneikünstler verachtete, war natürlich; aber Ramorny fühlte trotzdem den Einfluß, den Dwining auf ihn hatte, und wurde im Kampfe des Verstandes oft von ihm besiegt, wie die wildesten Sprünge eines feurigen Rosses von einem zwölfjährigen Knaben, der Reiten gelernt hat, überwunden werden. Die Verachtung Dwinings gegen Ramorny aber war weit weniger eingeschränkt. Er betrachtete den Ritter im Vergleich mit sich als Einen, der sich kaum über das Thier erhob, und zwar im Stande sei zu verderben, wie der Stier mit den Hörnern, der Wolf mit den Zähnen, aber von gemeinen Vorurtheilen unterjocht, ein Sklave des Pfaffenthums sei, – ein Ausdruck, in welchen Dwining alles Religiöse mit einschloß. Im Ganzen glaubte er, Ramorny sei von der Natur zu seinem Knechte bestimmt, um nach dem Golde zu graben, das er anbetete und dessen habsüchtige Verehrung sein größter Fehler, aber nicht sein schlimmstes Laster war. Er vertheidigte diese schmähliche Neigung vor sich selber dadurch, daß er sich überredete, sie habe ihren Ursprung in der Liebe zur Macht.

»Henbane Dwining,« sagte er, während er entzückt auf die Schätze sah, die er im Stillen gehäuft hatte, und die er von Zeit zu Zeit besuchte, »ist kein dummer Geizhals, der diese Stücke wegen ihres goldigen Glanzes liebt; es ist die Macht, mit der sie ihren Besitzer begaben, die ihn zu ihrem Anbeter wirbt. Was gibts, das dir durch sie nicht zu Gebote steht? Liebst du Schönheit und bist gemein, häßlich, schwach und alt – hier ist eine Lockspeise, der die schönsten Falken zufliegen werden. Bist du schwächlich, kraftlos, der Unterdrückung des Mächtigen unterworfen? hier ist das, was jene bewaffnet, die mächtiger sind, als dein kleiner Tyrann. Bist du glänzend in Wünschen und verlangst Pracht und äußeren Schein des Reichthums? Diese dunkle Kiste enthält manche weite Strecke von Thal und Hügel, manch' schönen Wald und Tausende voll Vasallen. Wünschest du Hofgunst, geistliche oder weltliche? Das Lächeln der Könige, die Verzeihung der Päpste und Priester für alle Verbrechen, und die Erlaubniß, welche arme, von Priestern bethörte Seelen aufmuntert, neue zu wagen, – all' diese heiligen Antriebe zum Laster kannst du um Geld kaufen. Selbst Rache, von der man sagt, daß sie die Götter sich vorbehalten, ohne Zweifel, weil sie der Menschheit einen so süßen Bissen beneiden – selbst Rache kann man dafür haben. Aber sie ist auch durch höheren Verstand zu gewinnen, und das ist die edlere Art, sie zu erlangen. Ich will daher meinen Schatz zu anderem Gebrauche sparen und die Rache ohne Geld ausüben, oder vielmehr, ich will die Wollust vermehrten Reichthums dem Triumph vergoltener Beleidigung beifügen.«

So dachte Dwining, als er, heimgekehrt von seinem Besuche bei Sir John Ramorny, das für seine verschiedenen Dienste empfangene Gold der Masse seines Schatzes hinzufügte; und nachdem er ein paar Minuten das Ganze betrachtet hatte, drehte er den Schlüssel seiner verborgenen Schatzkammer und ging fort, seine Kranken zu besuchen; er wich dabei Jedem aus, dem er begegnete, verbeugte sich und zog die Mütze vor dem ärmsten Bürger, der eine kleine Bude besaß, ja, vor den Handwerkern, die ihr tägliches Brod durch harte Arbeit verdienten.

»Thoren,« war der Gedanke seines Herzens, während er so höflich war, »niedrige, verstandlose Handwerker! wüßtet ihr, was dieser Schlüssel öffnen kann, welches schlechte Wetter vom Himmel würde euch hindern, eure Mützen zu ziehen? Welcher schmutzige Graben in eurem elenden Dorfe wäre ekelhaft genug, daß ihr euch besännet, vor dem Besitzer solchen Reichthums niederzufallen und anzubeten? Aber ich will euch meine Macht fühlen lassen, wenn gleich es mir gefällt, sie zu verbergen. Ich will ein Zauberteufel eurer Stadt sein, weil ihr mich nicht zur Obrigkeit gewählt habt. Wie der Alp will ich auf euch liegen und doch unsichtbar bleiben. – Auch dieser elende Ramorny, der, weil er eine Hand verloren hat, wie ein elender Handwerker um den einzigen schätzbaren Theil seines Leibes gekommen ist, er häuft beleidigende Reden auf mich, wenn irgend Etwas, das er sagen kann, im Stande ist, einen so festen Geist, wie den meinigen, zu erhitzen. Aber während er mich einen Schurken, Elenden und Sklaven nennt, handelt er so klug, als wollte er sich damit erlustigen, mir Haare aus dem Kopfe zu ziehen, während meine Hand seine Herzfasern festhält. Jede Beleidigung kann ich augenblicklich mit Körperschmerz und Seelenqual bezahlen – und – hi, hi! – ich häufe keine langen Rechnungen bei seiner Herrlichkeit, das muß ich gestehen.«

Während der Mediciner so seinen teuflischen Gedanken nachhing und in seiner kriechenden Manier die Straße entlang wandelte, hörte er hinter sich ein Geschrei weiblicher Stimmen.

»Ach, dort ist er, unsere Frau sei gelobt! – Da ist der hilfreichste Mann in Perth!« sagte eine Stimme.

»Sie mögen von Rittern und Königen sprechen, wegen der Sühne, wie sie's nennen – aber mir bringt den würdigen Meister Dwining, den Apotheker, Gevatterin,« erwiderte eine andere.

Im nämlichen Augenblicke war der Arzt umringt und von den Rednerinnen, ehrsamen Frauen der guten Stadt Perth, angehalten.

»Wie – was gibt es?« sagte Dwining; »wessen Kuh hat gekalbt?«

»Es ist nicht von Kalben die Rede,« sagte eine der Frauen, »sondern von einem armen, vaterlosen, sterbenden Kinde; so kommt mit uns fort, denn unser Vertrauen steht auf Euch, wie Bruce zu Donald von den Inseln sagte.«

»Opiferque per orbem dicor,« sagte Henbane Dwining. »Woran wird das Kind sterben?«

»An der Bräune – an der Bräune!« schrie eine der Gevatterinnen; »das unschuldige Kind krächzt wie ein Rabe.«

»Cyanche trachealis – diese Krankheit macht's kurz. Zeigt mir gleich das Haus,« fuhr der Arzt fort, der gewohnt war, seine Kunst trotz seines natürlichen Geizes und seiner natürlichen Bosheit freigebig und menschlich zu üben. Da wir keinen besseren Grund bei ihm vermuthen können, so war sein Hauptmotiv wahrscheinlich Eitelkeit und die Liebe zu seiner Kunst.

Trotzdem hätte er seinen Beistand in gegenwärtigem Falle abgelehnt, hätte er gewußt, wohin die Gevatterinnen ihn führten, um bei Zeiten eine genügende Entschuldigung zu finden. Aber ehe er merkte, wohin es ging, ward der Arzt in das Haus des verstorbenen Oliver Proudfute gedrängt, woher er den Gesang der Frauen vernahm, während sie den Leichnam des weiland Strumpfwirker für die Ceremonie des nächsten Morgens wuschen und kleideten. Von dem Gesang mag man folgende Verse als eine moderne Nachahmung betrachten:

1. Wesen unsichtbar und leicht,
Das schon in der Luft entweicht,
Gern doch schwebend immerdar
Um die Form, die dein hier war;

2. Ruh' im Fluge deiner Schwingen,
Ob nun links, ob rechts sie dringen,
Geh' 's der Höh', der Tiefe zu:
Auf der grausen Grenze ruh'!

3. Um die That zu rächen, die
Vor der Zeit dich wegtrieb hie,
Bleib' geheime Kraft nun doch
Ueber Blut und Hirn dir noch.

4. Siehst du die Gestalt dann steh'n,
Die dein brechend Aug' geseh'n, –
Wird der Fußtritt nah' dir kommen,
Der dein sterbend Ohr vernommen.

5. Dann werden Sympathien sich regen,
Das Fleisch erbeben, der Nerv bewegen,
Die Wund' erneut ihre starre Fluth
Und jeder Tropfen schreit: Blut für Blut!

So verhärtet er auch war, fühlte der Arzt doch einen Widerwillen, über die Schwelle des Mannes zu gehen, zu dessen Tod er so unmittelbar, obwohl, was die Person betraf, aus Versehen beigetragen hatte.

»Laßt mich geh'n, ihr Frauen,« sagte er, »meine Kunst kann nur den Lebendigen helfen – die Todten sind über unserer Macht.«

»Ach, aber Euer Kranker ist hier oben – die jüngste Waise –«

Dwining war gezwungen, in's Haus zu gehen; aber er staunte, als, da er kaum über die Schwelle getreten, die Gevatterinnen, die beim Leichnam beschäftigt waren, plötzlich in ihrem Gesange innehielten, während eine zur andern sagte:

»Um Gotteswillen, wer trat ein? – Das war ein großer Blutstropfen!«

»Nicht doch,« sagte eine andere Stimme, »es ist ein Tropfen des flüssigen Balsams.«

»Nein, Gevatterin, es war Blut – ich frage, wer gerade jetzt in's Haus trat?«

Eine sah aus dem Gemach nach dem kleinen Eingang hinaus, wo Dwining, unter dem Vorwande, er könne die Treppe, die in den oberen Theil des Trauerhauses führte, nicht recht sehen, seinen Schritt absichtlich verzögerte, verwirrt durch das, was er von der Unterhaltung vernommen.

»Ach, es ist nur der würdige Meister Henbane Dwining,« sagte eine der Sybillen.

»Nur Meister Dwining?« erwiderte jene, die zuerst gesprochen, in beistimmendem Tone; »unser bester Helfer in der Noth? – dann ist es sicherlich nur Balsam gewesen.«

»Nun,« sagte die andere, »es kann trotzdem Blut gewesen sein – denn der Arzt wurde, seht ihr, als man den Körper fand, vom Magistrat beauftragt, die Wunde mit seinen Instrumenten zu untersuchen, und wie kann der arme todte Körper wissen, daß das in guter Absicht geschah?«

»Ja freilich, Gevatterin; und da der arme Gevatter Oliver oft Freunde für Feinde ansah, als er noch lebte, so kann man nicht denken, daß sein Urtheil nun schärfer geworden.«

Dwining hörte nichts mehr, da er genöthigt ward, hinauf in eine Art Dachstube zu steigen, wo Magdalena auf ihrem verwittweten Bett saß, ihr Kind an die Brust drückend, welches, bereits schwarz im Gesicht und den schnappenden krächzenden Ton ausstoßend, der die Krankheit charakterisirt, auf dem Punkte schien, sein kurzes Dasein zu schließen. Ein Dominikaner saß neben dem Bett, das andere Kind in seinen Armen haltend, während er von Zeit zu Zeit ein Wort geistlichen Trostes zu sprechen schien oder eine Bemerkung über die Krankheit des Kindes machte.

Der Arzt warf auf den guten Pater nur einen Blick voll der unaussprechlichen Verachtung, welche wissenschaftliche Menschen gegen Unkundige hegen. Sein eigener Beistand war plötzlich und wirksam; er nahm das Kind der verzweifelnden Mutter weg, entblößte ihm den Hals und öffnete eine Ader, die, da sie frei blutete, den kleinen Kranken sofort erleichterte. In kurzer Frist verschwand jedes gefahrdrohende Symptom, und Dwining, nachdem er die Ader verbunden, legte das Kind wieder in die Arme der halb besinnungslosen Mutter.

Des armen Weibes Schmerz um ihres Gatten Verlust, den die äußerste Gefahr des Kindes zurückgedrängt hatte, kehrte auf's Neue mit der Kraft eines geschwellten Waldstroms zurück, welcher den Damm durchbrochen hat, der seine Wellen eine Zeitlang aufhielt.

»O, gelehrter Herr,« sagte sie, »Ihr seht ein armes Weib nur noch vor Euch, die Ihr einst reicher kanntet – aber die Hände, die meinen Armen dies Kind wiedergeben, dürfen nicht leer aus meinem Hause gehen. Großmüthiger, freundlicher Meister Dwining, nehmt den Rosenkranz meines seligen Gatten an – er ist aus Ebenholz und Silber – er liebte solche Sachen so hübsch zu haben, wie ein Edelmann – und ähnlicher war er auch immer einem Edelmann, als seines Gleichen, und nun ist es ihm so gegangen.«

Mit diesen Worten drückte sie in stummem Schmerze den Rosenkranz ihres abgeschiedenen Gatten an Brust und Lippen, und fuhr fort, ihn Dwinings Händen aufzudringen.

»Nehmt ihn,« sagte sie, »um der Liebe dessen willen, der Euch so lieb hatte. – Ach, er pflegte immer zu sagen: wenn je ein Mensch vom Rande des Grabes zurückgebracht werden könnte, so müßte es mit Meister Dwinings Beistande geschehen. – Und sein eigenes Kind ist diesen gepriesenen Tag zurückgebracht und er liegt dort starr und steif, und unterscheidet nicht mehr Gesundheit und Krankheit! Ach, wie wehe ist mir! wehe! – Aber nehmt den Rosenkranz und denkt an seine arme Seele, so oft er durch Eure Finger geht; er wird um so eher aus dem Fegfeuer erlöst werden, wenn gute Leute für sein Heil beten.«

»Nehmt Euern Rosenkranz wieder, liebe Frau – ich verstehe keine Gaukelei – kann keine Beschwörungsformeln,« sagte der Arzt, der, bewegter als seine rohe Natur ahnen ließ, sich Mühe gab, die Annahme des Unheil bedeutenden Geschenkes abzulehnen. Aber seine letzten Worte gaben dem Geistlichen Aergerniß, an dessen Gegenwart er nicht dachte, da er sie aussprach.

»Wie, Herr Arzt!« sagte der Dominikaner; »nennt Ihr Gebete für die Todten Gauklerpossen? Ich weiß, daß Chaucer, der englische Dichter, von Euch Medicinern sagt, Euer Studium betreffe nur wenig die Bibel. Unsere Mutter, die Kirche, war neuerdings eingeschlummert, aber ihre Augen sind nun wieder geöffnet, um Freunde von Feinden zu unterscheiden; und seid versichert –«

»Ach, ehrwürdiger Vater,« sagte Dwining, »Ihr beurtheilt mich zu hart. Ich sagte, ich könnte keine Wunder thun und wollte hinzufügen, daß, da die Kirche gewiß dergleichen verrichten kann, dieser reiche Rosenkranz in Eure Hände gelegt werden möchte, um ihn so anzuwenden, daß er der geschiedenen Seele den meisten Vortheil bringe.«

Er legte den Rosenkranz in des Dominikaners Hand und entfloh aus dem Hause der Trauer.

»Das war ein wunderlicher Besuch,« sagte er zu sich selbst, als er wohlbehalten hinaus war. »Mir gelten solche Dinge so wohlfeil, wie irgend Einem; aber obwohl es nur eine thörichte Grille ist, bin ich doch froh, des schreienden Kindes Leben gerettet zu haben. – Aber ich muß zu meinem Freunde Smotherwell, den ich ohne Zweifel in Betreff Bonthrons auf meine Seite bringe; und so werde ich bei dieser Gelegenheit zwei Leben retten und habe nur eins zerstört.«


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