Walter Scott
Das schöne Mädchen von Perth.
Walter Scott

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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Stets weilt er bei meiner Tochter.
                            Hamlet

Zwei Stunden vor dem Hahnschrei ward Simon Glover durch eine wohlbekannte Stimme geweckt, die ihn beim Namen rief.

»Wie, Conachar!« rief er, indem er aus dem Schlaf emporfuhr; »ist der Morgen schon so weit vorgerückt?« und als er die Augen erhob, stand die Person, von der er träumte, vor ihm; und im nämlichen Augenblicke, während er sich rasch der Vorgänge des gestrigen Tages erinnerte, sah er mit Staunen, daß die Erscheinung die Gestalt behielt, die der Schlaf ihr gegeben, denn es war nicht der in Stahl gehüllte Hochländerhäuptling mit dem Claymore in der Hand, wie er ihn am vorigen Abend gesehen, sondern Conachar aus der Curfewstreet in seinem bescheidenen Lehrlingskleide, eine Eichengerte in der Hand haltend. Ein Gespenst würde unsern Perther Bürger nicht mehr überrascht haben. Als er so verwundert hinstarrte, kehrte der Jüngling ein Stück angezündetes Kienholz, welches er in einer Laterne hatte, gegen ihn und erwiderte auf seinen Ausruf:

»Freilich, Vater Simon; es ist Conachar, gekommen, um unsere alte Bekanntschaft zu erneuern, jetzt, wo unser Gespräch am wenigsten Aufmerksamkeit erregen wird.«

So sprechend setzte er sich auf einen Holzblock, der die Stelle eines Stuhles versah, und indem er die Laterne daneben stellte, fuhr er im freundlichsten Tone fort:

»Ich habe deine Speise manchen Tag genossen, Vater Simon – ich hoffe, es hat dir in meinem Hause nichts gemangelt?«

»Ganz und gar nicht, Eachin Mac Jan« – antwortete der Handschuhmacher, – denn die Einfachheit der celtischen Sprache und Sitten verwirft alle Ehrentitel; »es war sogar zu gut für diese Fastenzeit und viel zu gut für mich, da ich mich bei dem Gedanken schämen muß, wie hart es Euch in Curfewstreet ergangen ist.«

»Nur zu gut, um Euer eignes Wort zu brauchen,« sagte Conachar, »für die Wünsche eines unnützen Lehrlings und für die Bedürfnisse eines jungen Hochländers. Wenn aber gestern, wie ich hoffe, vollauf Speise vorhanden war, fandet Ihr nicht, guter Glover, einigen Mangel an höflichem Willkommen? Entschuldigt es nicht, – ich weiß, es war der Fall. Aber ich bin jung an Ansehen bei meinen Leuten und ich darf nicht zu früh ihre Aufmerksamkeit auf die Zeit meines Aufenthalts im Niederland ziehen, die ich indeß nimmer vergessen kann.«

»Ich verstehe den Grund recht wohl,« sagte Simon; »und daher geschah es ungern und nur gezwungen, daß ich so zeitig einen Besuch hier machte.«

»Still, Vater, still! Es ist gut, daß Ihr kamt, Etwas von meinem hochländischen Glanze zu sehen, während er noch schimmert; kommt nach Palmsonntag wieder, und wer weiß, wen oder was Ihr in dem Gebiete finden mögt, welches wir jetzt noch besitzen! Die wilde Katze kann ihre Wohnung gemacht haben, wo jetzt der Festsaal Mac Jans steht.«

Der junge Häuptling schwieg und drückte das Ende der Gerte an seine Lippen, als wollte er sich verbieten, mehr zu sagen.

»Das steht nicht zu fürchten, Eachin,« sagte Simon auf die unbestimmte Weise, in welcher laue Tröster sich bemühen, die Aufmerksamkeit ihrer Freunde von der Betrachtung einer unvermeidlichen Gefahr abzulenken.

»Es ist zu fürchten und es ist Gefahr des äußersten Verderbens,« antwortete Eachin; »und es ist bestimmte Gewißheit großen Verlustes vorhanden. Mich wundert, daß sich mein Vater diesem schlauen Vorschlage Albany's gefügt hat. Ich wollte, Mac Gillie Ehattahan stimmte mit mir überein: dann, statt unser bestes Blut gegenseitig zu verschwenden, gingen wir zusammen hinunter nach Strathmore, und würden tödten und Besitz nehmen. Ich würde zu Perth herrschen und er zu Dundee, und das ganze weite Land sollte unser sein, bis zu den Ufern des Busens vom Tay. Das ist die Politik, die ich von Eurem alten grauen Kopfe lernte, Vater Simon, wenn ich hinter deinem Rücken den Teller hielt und deinem Abendgespräch mit Bailie Craigdallie zuhörte.«

»Die Zunge wird mit Recht ein unbändiges Glied genannt,« dachte der Handschuhmacher. »Da hab' ich dem Teufel ein Licht hingehalten, um ihm den Weg zum Unheil zu zeigen.«

»Aber laut sagte er blos: »Diese Pläne kommen zu spät.«

»Zu spät allerdings!« antwortete Eachin. »Die Verträge zum Kampfe sind mit unsern Unterschriften und Siegeln gezeichnet; der glühende Haß des Clans Quhele und des Clans Chattan ist durch wechselseitige Verhöhnungen und Prahlereien zur unlöschbaren Flamme angefacht. Doch, die Zeit ist vorüber. – Nun zu deinen eigenen Angelegenheiten, Vater Glover. Es ist die Religion, die dich hieher brachte, wie ich von Niel Booshalloch höre. Wahrlich, so weit ich deine Vorsicht kannte, konnte ich nicht ahnen, daß du in Streit mit der Mutter Kirche geriethest. Was meinen alten Bekannten, Vater Clemens, betrifft, so ist der Einer von denen, die nach der Krone des Martyrthums jagen und glauben, ein Pfahl, mit lodernden Flammen umgeben, sei der Umarmung würdiger, als eine liebende Braut. Er ist ganz ein irrender Ritter, der seine religiösen Ansichten vertheidigt und kämpft, wohin er nur kommt. Er hat schon einen Streit mit den Mönchen der Sybilleninsel drüben über einen Lehrpunkt – hast du ihn gesehen?«

»Ja,« antwortete Simon; »aber wir sprachen wenig mit einander, weil die Zeit drängte.«

»Er hat vielleicht gesagt, daß es eine dritte Person gibt (wie mich dünkt, wahrscheinlich ein wahrhafterer Flüchtling der Religion wegen, als du, ein kluger Bürger, oder er, ein zänkischer Prediger), die recht herzlich willkommen sein würde, unsern Schutz zu theilen? Du schweigst, Mann, und willst mich nicht verstehen – deine Tochter Katharina?«

Die letzten Worte des jungen Häuptlings wurden englisch gesprochen; auch setzte er das Gespräch in dieser Sprache fort, als fürchtete er belauscht zu werden, – und in der That auch wie unter dem Einflusse eines unfreiwilligen Schwankens.

»Meine Tochter Katharina,« sagte der Handschuhmacher, indem er daran dachte, was ihm der Karthäuser gesagt, »befindet sich wohl und sicher.«

»Aber wo und bei wem?« sagte der junge Häuptling. »Und warum kam sie nicht mit Euch? Meint Ihr, der Clan Quhele habe nicht Matronen, so thätig wie die alte Dorothee, deren Hand einst meine Ohren bediente, um die Tochter von ihres Häuptlings Meister zu pflegen?«

»Ich danke Euch nochmals,« sagte der Handschuhmacher, »und zweifle weder an Eurer Macht, noch an Eurem Willen, meine Tochter zu schützen, so wie mich selbst. Aber eine edle Lady, die Freundin des Sir Patrick Charteris, hat ihr einen sichern Zufluchtsort geboten, ohne daß sie sich der Gefahr einer mühsamen Reise durch ein ödes und unruhiges Land aussetzte.«

»O, hm! – Sir Patrick Charteris,« sagte Eachin in zurückhaltenderem und gemessenerem Tone – »er muß allen andern Männern vorgezogen werden, ohne Zweifel; er ist Euer Freund, nicht wahr?«

Simon Glover hatte Lust, diese Anmaßung eines Jünglings zu bestrafen, der vier Mal des Tages gescholten worden war, weil er auf die Straße lief, um Sir Patrick Charteris vorbeireiten zu sehen; aber er unterdrückte eine heftige Antwort und sagte einfach:

»Sir Patrick Charteris ist seit sieben Jahren Oberrichter von Perth; und wahrscheinlich ist er es noch, da die Magistratspersonen nicht in den Fasten, sondern zu Martini erwählt werden.«

»Ach, Vater Glover,« sagte der Jüngling in einem freundlicheren und vertrauteren Tone, »Ihr seid die prächtigen Schauspiele und Aufzüge in Perth so gewohnt, daß Euch im Vergleich damit unser barbarisches Fest nur wenig freuen wird. Was hieltest du von unsrer gestrigen Feierlichkeit?«

»Sie war edel und ergreifend,« sagte der Handschuhmacher, »und vorzüglich für mich, der ich Euren Vater kannte. Als Ihr auf dem Schwerte ruhtet und um Euch schautet, war mir, als säh' ich meinen alten Freund Gilchrist Mac Jan, an Jahren und Kraft verjüngt, von den Todten erstanden.«

»Ich spielte meine Rolle dabei kühn, denk' ich; und ließ wenig von dem elenden Lehrling blicken, den Ihr behandeltet wie – gerade wie er's verdiente.«

»Eachin gleicht Conachar,« sagte der Handschuhmacher, »nicht mehr, als ein Salm einem Lachs, obwohl die Leute sagen, beide wären derselbe Fisch in verschiedenem Zustande; oder als ein Schmetterling einer Raupe gleicht.«

»Glaubst du, daß ich, als ich die Macht übernahm, die alle Weiber lieben, selbst ein Gegenstand war, auf dem eines Mädchens Auge ruhen möchte? – Um offen zu sprechen, was würde Katharina von mir bei dem Feste gedacht haben?«

»Jetzt kommen wir zu den Untiefen,« dachte Simon Glover, »und ohne recht vorsichtige Lenkung werden wir auf den Sand gerathen.«

»Die meisten Weiber lieben Pracht, Eachin; aber ich denke, meine Tochter Katharina macht eine Ausnahme. Sie würde sich freuen über das Glück ihres Hausfreundes und Spielgenossen; aber sie würde den prächtigen Mac Jan, Häuptling des Clans Quhele, nicht höher schätzen als den verwaisten Conachar.«

»Sie ist stets großmüthig und uneigennützig,« erwiderte der junge Häuptling. »Ihr aber, Vater, habt die Welt viele Jahre länger gesehen, als sie, und könnt besser beurtheilen, was Macht und Reichthum denen nützen, die sie besitzen. Ueberlegt und sprecht aufrichtig, was würden Eure eigenen Gedanken sein, wenn Ihr Eure Katharina unter jenem Baldachin stehen sähet, mit der Macht über hundert Berge und dem ergebenen Gehorsam von zehntausend Vasallen; und als Preis dieser Vorzüge ihre Hand in der des Mannes, welcher sie über Alles in der Welt liebt?«

»Das heißt in Eurer eigenen, Conachar?« sagte Simon.

»Ja, nennt mich Conachar – ich liebe den Namen, da er es war, unter dem mich Katharina kannte.«

»Nun also aufrichtig,« sagte der Handschuhmacher, indem er sich bemühte, seine Antwort so wenig als möglich verletzend zu geben, »mein innerster Gedanke würde der ernste Wunsch sein, daß ich mich mit Katharina in unserm bescheidenen Hause in Curfewstreet befände, wo Dorothee unser einziger Vasall wäre.«

»Und zugleich der arme Conachar, hoff' ich? Ihr würdet ihn nicht in einsamer Größe wollen vertrauern lassen.«

»Ich würde,« antwortete der Handschuhmacher, »dem Clan Quhele, meinen ältesten Freunden, nicht so Uebles wünschen, daß sie im Augenblicke der Gefahr eines tapfern, jungen Häuptlings beraubt würden, und dieser Häuptling um den Ruhm käme, den er an ihrer Spitze im bevorstehenden Kampfe erlangen soll.«

Eachin biß sich auf die Lippe, um seine gereizten Gefühle zu verbergen, während er erwiderte: – »Worte, Worte – leere Worte, Vater Simon. Ihr fürchtet den Clan Quhele mehr, als Ihr ihn liebt, und Ihr glaubt, ihr Unwille würde fürchterlich sein, wenn ihr Häuptling die Tochter eines Bürgers von Perth heirathen würde.«

»Und wenn ich einen solchen Ausgang fürchte, Hektor Mac Jan, habe ich nicht Grund dazu? Welchen Ausgang haben ungleiche Heirathen gehabt im Hause Mac Callanmore's, in dem der mächtigen Mac Leans, ja, in dem der Lords der Inseln selbst? Was ist je daraus entstanden, außer Trennung und Enterbung – bisweilen noch ein schlimmeres Geschick für den ehrgeizigen Eindringling? Ihr könntet mein Kind nicht vor einem Priester heirathen und könntet sie Euch nur an die linke Hand trauen lassen; und ich« – er unterdrückte den heftigen Ton, den der Gegenstand forderte, und schloß: – »und ich selbst bin ein ehrlicher, obwohl niedriger Bürger von Perth, der eher wünschte, sein Kind wäre die rechtmäßige und unzweideutige Gattin eines Bürgers von meinem Range, als das geduldete Kebsweib eines Fürsten.«

»Ich will Katharina vor dem Priester und vor der Welt heirathen, – vor dem Altar und vor den schwarzen Steinen von Jona,« sagte der ungestüme, junge Mann. »Sie ist die Geliebte meiner Jugend, und es gibt kein Band der Religion und Ehre, womit ich mich nicht binden will! Ich habe mein Volk geprüft. Wenn wir diese Schlacht gewinnen – und mit der Hoffnung, Katharina zu gewinnen, werden wir sie gewinnen – so sagt mir mein Herz – werde ich so sehr Herr ihrer Neigungen sein, daß, wenn mir's gefiele, eine Braut aus dem Armenhause zu nehmen, sie diese begrüßen würden, als wäre sie eine Tochter Mac Callanmore's. – Aber Ihr verwerft mein Gesuch?« sagte Eachin ernst.

»Ihr legt mir beleidigende Worte in den Mund,« sagte der alte Mann, »und könnt mich sofort dafür bestrafen, weil ich ganz in Eurer Macht bin. Aber mit meiner Zustimmung soll meine Tochter nie heirathen, außer in ihrem eigenen Stande. Ihr Herz würde brechen unter den beständigen Kriegen und blutigen Scenen, welche mit Eurem Schicksal verknüpft sind. Wenn Ihr sie wirklich liebt und Euch ihrer Furcht vor Streit und Kampf erinnert, so werdet Ihr nicht wünschen, sie dem Gewühl kriegerischer Schrecknisse auszusetzen, in die Ihr, gleich Eurem Vater, unvermeidlich und fortwährend verwickelt sein werdet. Wählt eine Gattin unter den Töchtern der Hochländerhäuptlinge, mein Sohn, oder der stolzen Edeln des Niederlands. Ihr seid schön, jung, reich, hochgeboren und mächtig, und werdet nicht vergebens werben. Ihr werdet Eine bereitwillig finden, die sich Eurer Siege freuen und Euch selbst im Unterliegen freundlich sein wird. Für Katharina würde das Eine so schrecklich wie das Andere sein. Ein Krieger muß einen Stahlhandschuh tragen – ein Handschuh von Bockleder würde binnen einer Stunde zerreißen.

Eine dunkle Wolke zog über das Gesicht des jungen Häuptlings, das kurz zuvor noch so feurig war.

»Lebe wohl,« sagte er, »einzige Hoffnung, die mir zu Ruhm oder Sieg geleuchtet haben könnte!« – Er blieb eine Zeitlang still, tief nachdenkend, mit niedergeschlagenen Angen, gesenkter Stirn und verschlungenen Armen. Endlich erhob er seine Hände und sagte: »Vater – denn ein solcher seid Ihr mir gewesen, – ich bin im Begriff, Euch ein Geheimniß mitzutheilen. Vernunft und Stolz rathen beide mir Schweigen an, aber das Schicksal zwingt mich, und ihm muß ich gehorchen. Ich bin im Begriff, Euch in das tiefste und theuerste Geheimniß einzuweihen, welches ein Mann dem Manne anvertrauen kann. Aber hütet Euch – ende dieses Gespräch auch wie es wolle – hütet Euch, je eine Silbe von dem zu verrathen, was ich Euch nun anvertrauen will; denn wißt, thätet Ihr dieß auch im entferntesten Winkel Schottlands, so hab' ich Ohren, es selbst dort zu hören, und eine Hand und einen Dolch, um des Verräthers Busen zu erreichen. – Ich bin – aber das Wort will nicht heraus.«

»So sprecht es nicht,« sagte der vorsichtige Handschuhmacher: »ein Geheimniß ist nicht mehr sicher, sobald es über die Lippen des Eigentümers gegangen ist; und ich wünsche nicht ein so gefährliches Vertrauen, womit Ihr mich bedroht.«

»Ja, aber ich muß sprechen und Ihr müßt hören,« sagte der Jüngling. »Seid Ihr, Vater, in diesem Zeitalter des Kampfes selbst ein Streiter gewesen?«

»Ein einzig Mal,« erwiderte Simon, »als die Südländer die gute Stadt angriffen. Ich ward aufgerufen, meinen Theil an der Vertheidigung zu nehmen, wie meine Bürgerpflicht gebot, gleich der anderer Zunftgenossen, die verpflichtet sind, Wache zu halten.«

»Und wie fühltet Ihr Euch bei der Sache?« fragte der junge Häuptling.

»Was thut das bei der gegenwärtigen Angelegenheit?« sagte Simon etwas erstaunt.

»Viel, sonst hätte ich die Frage nicht gethan,« antwortete Eachin im Tone des Hochmuthes, den er bisweilen annahm.

»Ein alter Mann wird leicht dazu gebracht, von alten Zeiten zu reden,« sagte Simon, der, nach kurzer Ueberlegung, das Gespräch nicht ungern von seiner Tochter ablenkte; »und ich muß daher gestehen, daß meine Gefühle sehr verschieden von dem hohen, freudigen Vertrauen, ja dem Vergnügen waren, womit ich andere Männer zur Schlacht gehen sah. Mein Leben und Beruf waren friedlich, und wiewohl ich den Muth eines Mannes nicht entbehrte, wenn die Zeit es verlangte, so hab' ich doch selten schlechter geschlafen, als die Nacht vor jenem Treffen. Meine Gedanken waren gequält von den Geschichten, die uns (mit ziemlicher Wahrheit) von den sächsischen Bogenschützen erzählt wurden; wie sie ellenlange Pfeile abgeschossen und Bogen gebrauchten, ein Drittel länger als die unsern. Als ich in einen unruhigen Schlaf gesunken war, so fuhr ich empor und erwachte, wenn nur ein Strohhalm des Lagers meine Seite berührte, weil ich glaubte, es führe mir ein englischer Pfeil in den Leib. Am Morgen, als ich vor großer Müdigkeit wirklich einzuschlafen begann, ward ich durch den Schall der Gemeindeglocke erweckt, welche die Bürger zu den Mauern rief: – nie vorher oder nachher schien mir ihr Klang einer Todtenglocke so ähnlich.«

»Fahrt fort, was geschah weiter?« fragte Eachin.

»Ich legte meinen Harnisch an,« sagte Simon, »da es so sein mußte – empfing den Segen meiner Mutter, einer hochherzigen Frau, die von der guten Stadt sprach. Dieß ermuthigte mich und ich fühlte mich noch kühner, als ich mich unter den Reihen der anderen Gewerbe befand, lauter Bogenschützen, denn du weißt, die Bürger von Perth sind geschickt in dieser Waffe. Wir wurden auf den Mauern vertheilt, mehrere Ritter und Knappen in guter Rüstung waren unter uns gemischt, die ein kühnes Ansehen zeigten, vielleicht auf ihre Harnische vertrauend, und uns zu unserer Ermutigung sagten, sie würden mit ihren Schwertern und Äxten jeden niederhauen, der seinen Posten zu verlassen suchte. Mir selbst versicherte dies freundlich der alte Kämpe von Kinfauns, wie man ihn nannte, unsers guten Sir Patricks Vater, damals unser Oberrichter. Er war ein Enkel des roten Räubers, Toms von Longueville, und ein Mann, der sein Wort hielt, welches er an mich besonders richtete, weil mich eine so unbehagliche Nacht blässer als gewöhnlich gemacht haben mochte; überdies war ich nur ein junger Bursche.«

»Und steigerte seine Bemerkung Eure Furcht oder Eure Entschlossenheit?« sagte Eachin, der sehr aufmerksam schien.

»Meine Entschlossenheit,« antwortete Simon; »denn ich glaube, nichts ist im Stande, einen Mann so kühn zu machen, daß er einer nahe vor ihm liegenden Gefahr trotzt, als die Kenntnis einer andern dicht hinter ihm, die ihn vorwärts stößt. Nun, ich erstieg die Mauern mit erträglichem Mute und ward mit Andern auf den Späh-Turm gestellt, weil man mich als guten Schützen kannte. Aber es überlief mich kalt, als ich die Engländer in größter Ordnung, die Bogenschützen voraus und die Schwerbewaffneten dahinter, in drei starken Kolonnen zum Angriff vorwärts marschieren sah. Sie kamen mit festem Schritt, und Einige von uns hätten gern auf sie geschossen, aber es war streng verboten, und wir waren genötigt, bewegungslos zu bleiben und uns hinter der Brustwehr, so gut wir konnten, zu schützen. Als die Engländer ihre langen Reihen in Linien aufstellten, und jeder seinen Platz wie durch Zauberei einnahm, und sich durch große Schilder, Pavessen genannt, die sie vor sich pflanzten, deckte, fühlte ich einen seltsamen kurzen Atem, und wünschte nach Hause zu gehen, um ein Glas Branntwein zu trinken. Aber als ich zur Seite sah, erblickte ich den tapfern Kämpen von Kinfauns, wie er einen großen Bogen spannte, und ich dachte, es sei schade, den Bolzen gegen einen treuherzigen Schotten zu verlieren, wenn so viele Engländer da wären; so blieb ich, wo ich war, da ich mich in einem bequemen Winkel, von zwei Brustwehren gebildet, befand. Die Engländer rückten dann vor und zogen ihre Sehnen an, – nicht an der Brust, wie Eure hochländischen Bursche, sondern am Ohr, und sandten eine Ladung Schwalbenschwänze ab, bevor wir St. Andreas rufen konnten. Ich zuckte, als ich sie ihre Geschosse spannen sah, und ich glaube, ich fuhr zusammen, als die Pfeile anfingen, gegen die Brustwehr zu rasseln. Aber als ich umher sah und Keinen außer John Squallit, den Stadtausrufer, verwundet erblickte, dessen Backen von einem ellenlangen Pfeile durchbohrt waren, faßte ich mir ein Herz, und schoß mit bestem Willen und wohlgezielt. Ich schoß auf einen kleinen Mann, der gerade von hinten neben seinem Schild hervorguckte, und durchbohrte mit einem Pfeil seine Schulter. Der Oberrichter rief: ›Gut getroffen, Simon Glover!‹ – ›St. John für seine eigene Stadt, meine Zunftgenossen!‹ rief ich, obwohl ich damals nur ein Lehrling war. Und, wenn Ihr mir's glauben wollt, im Verfolg des Treffens, welches mit dem Abzuge der Feinde endete, zog ich so ruhig die Sehne und schoß die Pfeile ab, als hätt' ich auf Scheiben, statt auf Menschenbusen geschossen. Ich gewann einigen Ruhm, und habe nachher stets gedacht, daß ich ihn im Falle der Nothwendigkeit (denn bei mir war dieß nie Sache freier Wahl) nicht wieder verlieren würde. – Und dieß ist Alles, was ich von kriegerischer Erfahrung sagen kann. Andere Gefahren hab' ich erlebt, die ich als kluger Mann zu vermeiden strebte, oder denen ich, wenn sie unvermeidlich waren, als ein beherzter begegnete. Anders kann ein Mann in Schottland nicht leben oder sein Haupt emporheben.«

»Ich verstehe Eure Erzählung,« sagte Eachin; »aber ich finde es schwer, Euch die meinige glaublich zu machen, da ihr das Geschlecht, dem ich entsprossen bin, als ein tapferes kennt, und besonders da ich der Sohn dessen bin, den wir heute in das Grab legten – wohl ihm, daß er nun dort liegt, wo er nimmer hören wird, was Ihr jetzt hören sollt! Seht, mein Vater, das Licht, welches ich trage, wird niedrig und dunkel, und in wenigen Minuten wird es erlöschen – aber bevor es stirbt, wird die häßliche Geschichte erzählt sein. – Vater, ich bin ein Feiger! Endlich ist es ausgesprochen, und das Geheimniß meiner Schmach besitzt ein Anderer!«

Der junge Mann sank in eine Art Ohnmacht zurück, die seine Herzensangst bei der traurigen Mittheilung hervorbrachte. Der Handschuhmacher, gerührt sowohl durch Furcht als Mitleid, bemühte sich, ihn in's Leben zurückzurufen, und zwar gelang ihm dieß, doch konnte er ihn nicht beruhigen; er bedeckte sein Gesicht mit den Händen und seine Thränen flossen reichlich und bitterlich.

»Um unserer Frau willen, faßt Euch,« sagte der alte Mann, »und widerruft das schnöde Wort! Ich kenn' Euch besser, als Ihr selbst – Ihr seid kein Feiger, sondern nur zu jung, unerfahren, ja, und etwas zu schnell in der Einbildungskraft, um die feste Tapferkeit eines bärtigen Mannes zu besitzen. Ich wollte das keinen andern Mann von Euch sagen hören, Conachar, ohne ihn der Lüge zu zeihen – Ihr seid kein Feiger – ich habe Funken hohen Muthes bei Euch sprühen sehen, selbst bei geringfügigem Anlaß.«

»Hohe Funken von Stolz und Leidenschaft!« sagte der unglückliche Jüngling; »aber wann saht Ihr sie unterstützt durch die Entschlossenheit, die sie halten sollte? Die Funken, von denen Ihr sprecht, fielen auf mein feiges Herz, wie auf ein Stück Eis, welches kein Feuer fangen kann – wenn mich beleidigter Stolz zum Streite trieb, so bestimmte mich meine Geistesschwäche im nächsten Augenblicke zur Flucht.«

»Mangel an Gewohnheit,« sagte Simon; »durch das Ueberklettern von Mauern lernen junge Leute Abhänge ersteigen. Beginnt mit geringen Fehden – übt täglich die Waffen Eurer Heimath im Turnier mit Euren Leuten.«

»Und welche Muße hab' ich dazu?« rief der junge Häuptling, emporfahrend, als wäre seiner Einbildungskraft etwas Schreckliches begegnet. »Wie viel Tage liegen zwischen dieser Stunde und Palmsonntag, und was soll da geschehen? – Eingeschlossene Schranken, von denen sich niemand entfernen kann, schlimmer daran als der arme Bär, der an seine Stange gefesselt ist. Sechzig Männer, die besten und mutigsten (einen ausgenommen!), welche Albyn von seinen Bergen herniedersenden kann, alle dürsten nach der Andern Blut, während ein König und Tausende umher, wie bei einem Schauspiel, mit Jubel zusehen, um ihre teuflische Wut aufzuregen. Hiebe fallen dicht und Blut strömt dicker, schneller, röter, – sie stürzen auf einander wie Wahnsinnige – sie zerreißen einander wie wilde Bestien. – Die Verwundeten werden unter den Füßen ihrer Gefährten zu Tode getreten! Blut strömt, die Arme werden schwach – aber da gilt kein Vertrag, kein Waffenstillstand, keine Unterbrechung, während die verstümmelten Elenden noch am Leben sind! Da verkriecht man sich nicht hinter Brustwehren, streitet nicht mit Geschossen, – Mann steht gegen Mann, bis die Hände sich nicht mehr erheben können, um den gräßlichen Kampf fortzusetzen! – Wenn solch ein Schlachtfeld in der Einbildung so schrecklich ist, was meint Ihr, soll es in der Wirklichkeit sein?«

Der Handschuhmacher blieb schweigend.

»Ich wiederhole, was meint Ihr?«

»Ich kann Euch nur bedauern, Conachar,« sagte Simon. »Es ist hart, der Abkömmling eines großen Geschlechtes zu sein – der Sohn eines edlen Vaters – der geborene Führer einer tapfern Schaar – und doch die Eigenschaft zu entbehren oder sich ihren Mangel einzubilden (denn noch immer glaub' ich, der Fehler liegt mehr an einer lebhaften Phantasie, welche die Gefahr überschätzt), die jeder Streithahn besitzt, der eine Handvoll Korn wert ist, jeder Hund, der einen Knochen verdient. Aber wie kommt es, daß Ihr mit einem solchen Bewußtsein der Schwäche im Kampfe eben jetzt Euch erbietet, Eure Herrschaft mit meiner Tochter zu teilen? Eure Macht hängt von Eurer Tapferkeit in diesem Kampfe ab, und dabei kann Euch Katharina nicht helfen.«

»Ihr irrt Euch, alter Mann,« erwiderte Eachin; »nähme Katharina die aufrichtige Liebe, die ich für sie hege, freundlich auf, so würd' es mich mit dem Feuer eines Streitrosses gegen die Reihe der Feinde treiben. So überwältigend auch mein Bewußtsein der Schwäche ist, der Gedanke, daß Katharina mich sähe, würde mir Kraft geben. Sagt doch, – o sagt doch, sie solle mein sein, wenn der Kampf gewonnen ist, und selbst Gow Chrom, dessen Herz ein Stück mit seinem Ambos ist, würde nimmer so leicht zur Schlacht gehen, wie ich alsdann! Eine starke Leidenschaft wird durch eine andere besiegt.«

»Das ist Thorheit, Conachar. Vermag nicht die Erinnerung an Euren Vortheil, Eure Ehre, Eure Verwandten so viel, um Euren Muth aufzustacheln, als die Gedanken an ein schwarzäugig Mädchen? Pfui über dich, Mann!«

»Ihr sagt mir nur, was ich mir selbst gesagt habe – aber es ist umsonst,« erwiderte Eachin mit einem Seufzer. »Nur während sich der schüchterne Hirsch mit der Hündin paart, ist er verzweifelt und gefährlich. Sei es die Körperbeschaffenheit – komme es, wie unsere hochländischen Cailliachs sagen werden, von der Milch des weißen Rehes – komme es von meiner friedlichen Erziehung und Eurer strengen Zucht – komme es, wie Ihr glaubt, von einer überspannten Phantasie, welche die Gefahr noch gefährlicher malt und gräßlicher macht, als sie wirklich ist. ich weiß das nicht zu entscheiden. Aber ich kenne meine Schwäche, und – ja, ich muß es aussprechen! – ich fürchte so sehr, sie nicht besiegen zu können, daß, fänden meine Wünsche Eure Billigung unter solcher Bedingung, ich selbst hier stillstehen, dem angenommenen Range entsagen und mich zu einem niedern Leben zurückziehen würde.«

»Wie, am Ende Handschuhmacher werden, Conachar?« sagte Simon; »dieß übertrifft die Legende von St. Crispin. Nein, nein, Eure Hand ist dazu nicht geschaffen; Ihr sollt mir keine Rehhäute mehr verderben.«

»Scherzt nicht,« sagte Eachin, »ich bin ernst. Wenn ich nicht arbeiten kann, will ich Reichthum genug bringen, um ohne sie zu leben. Sie werden mich bei Horn und Kriegspfeife als einen Elenden ausrufen – mögen sie dieß thun – Katharina wird mich um so mehr lieben, wenn ich die Pfade des Friedens denen des Blutvergießens vorzog, und Vater Clemens wird uns lehren, der Welt Bedauern und Verzeihung zu schenken, die uns mit Vorwürfen beladen wird, die nicht verwunden. Ich werde der glücklichste aller Menschen sein – Katharina wird alles genießen, was unbegrenzte Liebe ihr bieten kann, und wird befreit sein von der Besorgniß vor Schauspielen und Tönen des Schreckens, die Euer schlechtgewählter Gatte ihr bereiten würde; und Ihr, Vater Glover, solltet Eure Kaminecke einnehmen, als der glücklichste und geehrteste Mann, der je –«

»Haltet ein, Eachin – ich bitte Euch, haltet ein,« sagte der Handschuhmacher; »der Kienspan, mit welchem dieß Gespräch endigen muß, brennt sehr schwach, und ich möchte ein Wort zur Erwiderung sprechen, schlicht und ehrlich, wie es am besten ist. Wenn es Euch auch quälen oder in Wuth setzen mag, laßt mich diese Träume enden, indem ich Euch mit einem Worte sage – Katharina kann nie die Eure werden. Ein Handschuh ist das Zeichen der Treue, und ein Mann von unserer Zunft darf daher noch weniger als ein anderer die seinige brechen. Katharina's Hand ist versprochen – einem Manne versprochen, den Ihr hassen mögt, aber auch ehren müßt – Harry dem Waffenschmied. Die Heirath ist ihrem Stande gemäß, ihren gegenseitigen Wünschen angemessen, und ich habe mein Wort gegeben. Es ist am besten, gerade herauszusprechen, rächt meine Weigerung, wie Ihr wollt – ich bin ganz in Eurer Gewalt. – Aber Nichts soll mich wortbrüchig machen.«

Der Handschuhmacher sprach so entschieden, weil er aus Erfahrung wußte, daß das sehr reizbare Gemüth seines früheren Lehrlinges in den meisten Fällen einer ernsten und entschiedenen Entschlossenheit nachgab. Aber gedenkend, wo er war, sah er mit einem Gefühle der Furcht die erlöschende Flamme ausfahren und einen starken Blitz auf Eachins Gesicht werfen, der blaß wie der Tod war, während sein Auge rollte, gleich dem eines Rasenden in seiner Fieberwuth. Das Licht sank plötzlich nieder und erlosch, und Simon fühlte einen augenblicklichen Schrecken, er möchte mit dem Jüngling um sein Leben zu kämpfen haben, den er gewaltthätiger Handlungen fähig kannte, wenn er heftig erregt war, obwohl seine Natur nur kurze Zeit die Maßregeln unterstützen konnte, die seine Leidenschaft ergriff. Er wurde durch die Stimme Eachins beruhigt, der in rauhem und verändertem Tone murmelte:

»Bedenkt, was wir diese Nacht gesprochen, mit ewigem Schweigen – brächtest du's an den Tag, so wäre dir besser, du grübest dein eigen Grab.«

So sagend, öffnete er die Thür der Hütte, durch welche ein Strahl des Mondes eindrang. Die Gestalt des fortgehenden Häuptlings zeigte sich einen Augenblick darunter, dann schloß sich die Thür, und die Hütte blieb in Finsterniß.

Simon Glover fühlte sich erleichtert, als eine Unterhaltung, die Verletzung und Gefahr mit sich brachte, so friedlich geendet war. Aber er blieb tief ergriffen von der Lage Hektor Mac Jans, den er selbst erzogen hatte.

»Das arme Kind,« sagte er, »zu einer erhabenen Stelle berufen zu werden, nur um mit Verachtung sie zu verlassen! Was er mir sagte, wußt' ich zum Theil, da ich oft bemerkte, daß Conachar aufgelegter war zu zanken, als zu fechten. Aber diese überwältigende Schwachherzigkeit, die weder Scham noch Nothwendigkeit bezwingen kann, kann ich, obwohl ich kein Sir William Wallace bin, nicht begreifen. Und sich zum Gemahl meiner Tochter anzubieten, als ob eine Braut Muth für sich und den Bräutigam gewährte! Nein, nein, – Katharina muß einen Mann heirathen, zu dem sie sagen kann: Gemahl, schone deinen Feind! – nicht einen solchen, zu dessen Trost sie schreien muß: Großmüthiger Feind, schone meines Gatten!«

Ermüdet von solchen Betrachtungen, entschlief der alte Mann endlich. Am Morgen ward er durch seinen Freund, den Booshalloch geweckt, der ihm, mit etwas langem Gesicht, vorschlug, zu seiner Wohnung auf der Wiese beim Ballough zurückzukehren. Er entschuldigte, daß der Häuptling Simon Glover diesen Morgen nicht sehen könne, weil er mit den Vorbereitungen zum Kampfe beschäftigt sei. Eachin Mac Jan halte den Aufenthalt am Ballough am sichersten für Simon Glovers Gesundheit, und habe Befehl gegeben, für seinen Schutz und seine Bequemlichkeit alle Sorge zu tragen.

Nie! Booshalloch verbreitete sich über diese Umstände, um die Vernachlässigung zu bemänteln, die darin lag, daß der Häuptling seinen Gast ohne besondere Audienz entließ.

»Sein Vater,« sagte der Hirt, »verstand es besser. Aber wo sollte er Sitten gelernt haben, der arme Mensch, da er unter Euch Perthern Bürgern aufwuchs, die, außer Euch, Nachbar Glover, der gälisch so gut spricht wie ich, ein Volk sind, welches keine Höflichkeit erlernen kann!«

Simon Glover empfand, wie man wohl glauben kann, den Mangel an Achtung nicht, den sein Freund hinsichtlich seiner andeutete. Im Gegentheil zog er den Aufenthalt des guten Hirten sehr gern der geräuschvollen Gastfreundschaft des täglichen Festes beim Häuptling vor, selbst wenn auch nicht soeben mit Eachin ein Gespräch über einen Gegenstand vorgekommen wäre, dessen Erneurung ihm höchst peinlich sein mußte.

Daher zog er sich ruhig zum Ballough zurück, wo, wenn er nur von Katharina's Sicherheit überzeugt gewesen wäre, seine Zeit angenehm genug hinzubringen war. Sein Vergnügen war, den See in einem kleinen Kahne zu befahren, den ein Hochländerknabe lenkte, während der alte Mann angelte. Er landete häufig auf der kleinen Insel, wo er auf dem Grabe seines alten Freundes, Gilchrist Mac Jan, seinen Gedanken nachhing, und die Mönche sich zu Freunden machte, indem er dem Prior Handschuhe von Marderfell und den niederen Dienern jedem dergleichen aus dem Felle einer wilden Katze schenkte. Das Schneiden und Nähen dieser kleinen Geschenke vertrieb ihm die Zeit nach Sonnenuntergang, während die Familie des Hirten sich um ihn versammelte, seine Geschicklichkeit bewundernd, und den Geschichten und Liedern lauschend, mit welchen der alte Mann einen langen Abend zu vertreiben wußte.

Man muß gestehen, daß der vorsichtige Glover den Umgang des Pater Clemens mied, den er irrig mehr als den Urheber seines Mißgeschickes, denn als den schuldlosen Theilnehmer betrachtete. »Ich will nicht,« dachte er, »seinen Grillen zu gefallen, die Freundschaft dieser guten Mönche verlieren, die mir einst nützlich sein kann. Ich habe, denk' ich, genug durch seine Predigten gelitten. Sie haben mich wenig weiser, aber viel ärmer gemacht. Nein, nein, Katharina und Clemens mögen denken, wie sie wollen; doch werd' ich die erste Gelegenheit ergreifen, mich einer gehörigen Buße im härenen Rock zu unterwerfen, und eine tüchtige Strafe zahlen, um wieder mit der ganzen Kirche einig zu werden.«

Mehr als vierzehn Tage waren vergangen, seit der Handschuhmacher zu Ballough angekommen war, und es begann ihn zu wundern, daß er nichts von Katharina und Harry Wynd gehört hatte, dem, wie er glaubte, der Oberrichter Grund und Ziel seiner Reise mitgetheilt hatte. Er wußte, daß sich der muthige Schmied nicht in das Land des Clans Quhele wagen durfte, wegen verschiedener Fehden mit den Einwohnern und mit Eachin selbst, so lange er den Namen Conachar trug; doch aber, dachte der Handschuhmacher, könne Harry Mittel finden, ihm eine Botschaft oder ein Zeichen durch einen der verschiedenen Boten zu schicken, die zwischen dem Hofe und dem Hauptquartier des Clan Quhele hin und her gingen, um über die Bedingungen des bevorstehenden Kampfes, den Marsch der Parteien nach Perth, und andere Umstände, die vorläufig geordnet werden mußten, zu unterhandeln. Man war nun in der Mitte des März und der verhängnißvolle Palmsonntag nahete schnell.

Während die Zeit so hinschlich, hatte der verbannte Handschuhmacher seinen ehemaligen Lehrling auch nicht ein einzig Mal zu Gesicht bekommen. Die Sorgfalt, die man anwendete, um seine Bedürfnisse und Bequemlichkeit in jeder Hinsicht zu befriedigen, zeigte, daß er nicht vergessen war; wenn er jedoch des Häuptlings Horn durch die Wälder schallen hörte, pflegte er gewöhnlich seinen Weg nach entgegengesetzter Richtung einzuschlagen. Eines Morgens fand er sich jedoch unerwartet in Eachins unmittelbarer Nähe, und hatte kaum Zeit, ihm auszuweichen; dieß ging so zu.

Als Simon gedankenvoll durch eine kleine Waldlichtung schlenderte, die von allen Seiten von hohen Waldbäumen, gemischt mit Unterholz, umgeben war, brach ein weißes Reh aus dem Dickicht, verfolgt von zwei Jagdhunden, von denen einer es bei der Hüfte, der andere bei der Kehle packte, und es bis auf eine Ackerlänge von dem Handschuhmacher schleppte, der über das plötzliche Ereigniß etwas erschrak. Der nahe und gellende Schall eines Hornes und das Bellen eines Spürhundes ließen Simon merken, daß die Jäger nahe und dem Thiere auf der Spur waren. Ein Hallorufen und den Lärm von Männern, die durch das Gebüsch eilten, hörte er in der Nähe. Ein wenig Ueberlegung hätte Simon gelehrt, daß es das Beste sei, stehen zu bleiben oder langsam sich zurückzuziehen, und Eachin ihn erkennen zu lassen oder nicht, wie es ihm beliebte. Aber sein Wunsch, dem Jüngling aus dem Wege zu gehen, war ihm zu einer Art von Instinkt geworden, und in dem Schrecken, ihn so nahe zu finden, versteckte sich Simon unter einen Haselbusch, der mit Stechpalmen durchwachsen war und ihn ganz verbarg. Kaum war dieß geschehen, so sprang Eachin, roth vor Anstrengung, aus dem Dickicht in die Lichtung, begleitet von seinem Pflegevater Torquil von der Eiche. Letzterer warf mit gleicher Anstrengung das kämpfende Thier auf den Rücken, und indem er dessen Vorderfüße in der rechten Hand hielt, während er auf den Leib kniete, bot er sein Messer mit der linken dem jungen Häuptling, damit er des Thieres Kehle durchschneiden möchte.

»Es geht nicht, Torquil; verrichte dein Amt und versuch' es selber. Ich darf das Ebenbild meiner Pflegemutter nicht tödten.«

Dies ward mit einem melancholischen Lächeln gesprochen, während zu gleicher Zeit eine Thräne in des Sprechers Auge stand. Torquil starrte einen Augenblick seinen jungen Häuptling an, zog dann sein scharfes Waidmesser quer über des Thieres Kehle mit einem so heftigen und schnellen Schnitt, daß die Waffe bis auf den Kinnbacken ging. Dann stand er auf und sagte, nachdem er wieder einen langen Blick auf seinen Häuptling geheftet: »Was ich diesem Reh gethan habe, würde ich jedem lebendigen Wesen thun, dessen Ohr meinen Pflegesohn ein weißes Reh nennen und das Wort mit Hektors Namen paaren gehört hätte!«

Hatte Simon keinen Grund gehabt, sich vorher zu verbergen, so gab ihm einen sehr dringenden diese Rede Torquils.

»Es kann nicht verborgen sein, Vater Torquil,« sagte Eachin; »es wird Alles offen an den Tag kommen.«

»Was wird herauskommen? was will an den lichten Tag?« fragte Torquil erstaunt.

»Es ist das unselige Geheimniß,« dachte Simon, »und wenn jetzt dieser gewaltige Geheimerath nicht schweigen kann, wird man vermuthlich mich verantwortlich machen, daß Eachins Schmach bekannt geworden ist.«

Indem er so ängstlich dachte, bediente er sich zugleich seiner Stellung, um so viel als möglich zu sehen, was zwischen dem betrübten Häuptling und dessen Vertrauten vorging, indem ihn derselbe Geist der Neugier antrieb, der uns in den wichtigsten wie in den kleinsten Verhältnissen des Lebens lenkt, und der sich bisweilen in Gesellschaft großer persönlicher Furcht befindet.

Während Torquil dem lauschte, was Eachin ihm mittheilte, sank der junge Mann in seine Arme und schloß, sich auf seine Schulter stützend, seine Beichte, indem er Jenem in's Ohr flüsterte. Torquil schien mit solchem Staunen zuzuhören, daß er unfähig war, seinen Ohren zu trauen. Als wollte er sich überzeugen, daß es Eachin sei, der spreche, hob er allmälig den Jüngling aus seiner lehnenden Stellung auf, hielt ihn an der Schulter ein wenig von sich, indem er ein Auge auf ihn heftete, welches durch die Wunder, die er vernahm, zugleich erweitert und in Stein verwandelt zu sein schien. So wild wurde des Alten Gesicht, nachdem er die geflüsterte Mittheilung gehört hatte, daß Simon fürchtete, er werde den Jüngling als einen Entehrten von sich schleudern, in welchem Fall er aus dem Gebüsch, das ihn versteckte, sich erhoben und seine Entdeckung so peinlich als gefährlich gemacht hätte. Aber die Heftigkeit Torquils, der seinen Pflegesohn mit der doppelten leidenschaftlichen Zärtlichkeit liebte, die solche Verwandtschaft im Hochlande stets begleitet, nahm eine andere Wendung.

»Ich glaub' es nicht!« – rief er; »es ist falsch von deines Vaters Kind; – falsch von deiner Mutter Sohn; am falschesten von meinem Pflegesohn! ich verpfände mich dem Himmel und der Hölle, und will gegen Jedermann den Kampf bestehen, der es wahr nennen wird! Du bist durch einen bösen Blick bezaubert, mein Liebling, und die Schwäche, die du Feigheit nennst, ist das Werk der Zauberei. Ich erinnere mich der Keule, die in deiner Geburtsstunde, jener Stunde des Schmerzes und der Freude, die Fackel ausschlug. Aber sei fröhlich, mein Geliebter! Du sollst mit mir nach Jona, und der gute St. Columbus, mit der ganzen Schaar gesegneter Heiligen und Engel, die je dein Geschlecht begünstigten, wird dir das Herz des weißen Rehes nehmen und dir das zurückgeben, welches sie dir gestohlen haben.«

Eachin hörte zu, mit einem Blicke, als hätte er gern den Worten des Trösters glauben mögen.

»Aber, Torquil,« sagte er, »gesetzt auch, dies hälfe uns, so ist doch der verhängnißvolle Tag nahe, und wenn ich in die Schranken gehe, fürcht' ich, wir werden Schande haben.«

»Es kann nicht sein – es wird nicht!« sagte Torquil, – »die Hölle soll nicht so weit herrschen – wir wollen dein Schwert in geweihtes Wasser tauchen, Eisenkraut, St. Johnskraut und Eschenlaub in deinen Helm stecken. Wir wollen dich umringen, ich und deine acht Brüder – du sollst sicher sein, wie in einem Schloß.«

Der hilflose Jüngling murmelte wieder Etwas, was Simon wegen des leisen Tones, in dem es gesprochen ward, nicht verstehen konnte, während Torquils antwortende tiefe Stimme voll und deutlich in sein Ohr tönte.

»Ja, es kann eine Möglichkeit vorhanden sein, dich von dem Kampfe zurückzuziehen. Du bist der Jüngste, der das Schwert ziehen soll. Nun höre mich, und du wirst erfahren, was es heißt, die Liebe eines Pflegevaters zu besitzen, und wie weit sie selbst die Liebe der Blutsfreunde übertrifft. Der Jüngste auf der Liste des Clans Chattan ist Ferquhard Day. Sein Vater erschlug den meinigen und das rothe Blut siedet heiß zwischen uns – ich sah den Palmsonntag als das Ziel an, das es kühlen sollte. – Aber höre, – man hätte denken sollen, das Blut in den Adern dieses Ferquhard Day und in den meinigen würde, wenn man es in dasselbe Gefäß brächte, sich nicht vermischen; doch hat er seine Neigung auf meine einzige Tochter Eva geworfen – das schönste unserer Mädchen. Denke, mit welchen Gefühlen ich das hörte. Es war, als hätte ein Wolf aus den Wäldern von Ferragon gesagt: »Gib mir deine Tochter zum Weibe, Torquil!« – Meine Tochter denkt nicht so, sie liebt Ferquhard und weint aus Furcht vor dem nahen Kampfe ihre Farbe und Gesundheit weg. Laß sie ihm ein günstiges Zeichen geben und ich weiß, er wird Haus und Hof vergessen, dem Schlachtfeld entsagen und mit ihr zur Wüste fliehen.«

»Wenn er, der Jüngste der Kämpfer des Clans Chattan, abwesend ist, kann ich, der Jüngste des Clans Quhele, wegen der Nichttheilnahme entschuldigt werden?« sagte Eachin, über das gemeine ihm zur Rettung gebotene Mittel erröthend.

»Sieh nun zu, mein Häuptling,« sagte Torquil, »und beurtheile meine Gesinnungen gegen dich – Andere könnten dir ihr eigenes Leben und das ihrer Söhne geben – ich opfere dir die Ehre meines Hauses.«

»Mein Freund, mein Vater,« wiederholte der Häuptling, Torquil an seine Brust drückend, »welch' ein niedriger Elender bin ich, daß ich feigherzig genug bin, mich deines Opfers zu bedienen!«

»Sprich nicht davon – die Bäume haben Ohren. Laß uns zurück zum Lager und unsere Knaben nach dem Wilde schicken. – Fort, Hunde, und folgt uns auf der Ferse.«

Der Spürhund hatte, zum Glück für Simon, seine Nase in das Blut des Rehes getaucht, sonst könnte er des Handschuhmachers Spur im Dickicht gefunden haben; da aber sein schärferer Geruch verloren war, so folgte er ruhig mit den übrigen Hunden.

Als man die Jäger nicht mehr sah und hörte, stand der Handschuhmacher, sehr erleichtert durch ihren Abschied, auf, und begann sich in entgegengesetzter Richtung, so schnell es sein Alter erlaubte, davon zu machen. Sein erster Gedanke war die Treue des Pflegevaters.

»Das wilde Hochländerherz ist ächt und treu. Jener Mann gleicht eher den Riesen in den Romanzen, als einem Menschen unseres Schlages; und doch könnten sich Christen ein Beispiel an seiner Anhänglichkeit nehmen. Obwohl es ein einfältiger Versuch ist, einen Mann aus der Reihe der Feinde zu beseitigen, als ob nicht zwanzig der wilden Katzen bereit sein würden, seine Stelle zu füllen.«

So dachte der Handschuhmacher, der nicht wußte, daß die strengsten Befehle erlassen waren, welche jedem der streitenden Clans geboten, ihre Freunde, Verbündete und Untergebene eine Woche vor und eine Woche nach dem Kampfe nicht auf fünfzig Meilen von Perth kommen zu lassen; eine Verordnung, die durch bewaffnete Mannschaft unterstützt wurde.

Sobald unser Freund Simon bei der Wohnung des Hirten anlangte, fand er andere Neuigkeiten für sich. Vater Clemens hatte sie überbracht, der in einem Pilgergewand kam, bereit seine Rückkehr nach dem Süden anzutreten, und mit dem Wunsche, von seinem Gefährten in der Verbannung Abschied zu nehmen oder ihn zum Begleiter zu gewinnen.

»Aber was,« sagte der Bürger, »hat Euch so plötzlich verleitet, in das Reich der Gefahr zurückzukehren?«

»Habt Ihr nicht gehört,« sagte Vater Clemens, »daß, nachdem March und seine englischen Verbündeten sich vor dem Grafen Douglas nach England zurückgezogen haben, der gute Graf es übernommen hat, das Unglück des Staates zu beseitigen, und daß er an den Hof Briefe geschrieben hat, welche die Aufhebung des hohen Gerichtshofes gegen Ketzerei als eine Störung des menschlichen Gewissens verlangen – daß die Ernennung Henry's von Wardlaw zum Prälaten von St. Andrews dem Parlament übertragen werden solle, nebst verschiedenen anderen Dingen, die den Gemeinen erfreulich sind? Nun haben sich die meisten Edeln, die mit dem König zu Perth sind, und unter ihnen Sir Patrick Charteris, Euer würdiger Oberrichter, für die Vorschläge des Douglas erklärt. Der Herzog von Albany hat seine Beistimmung gegeben, ob aus gutem Willen oder aus Staatsklugheit, kann ich nicht sagen. Der gute König ist leicht zu milden und gütigen Maßregeln zu überreden. Und so sind die Zähne der Unterdrücker in ihren Höhlen in Stücke gebrochen und die Beute ist ihren räuberischen Klauen entrissen. Wollt Ihr mit mir nach dem Niederlande, oder noch eine Weile hier bleiben?«

Niel Booshalloch ersparte seinem Freunde die Mühe der Antwort.

»Er habe des Häuptlings Befehl,« sagte er, »zu sagen, daß Simon Glover bleiben solle, bis die Streiter zur Schlacht hinabgezogen wären.« In dieser Antwort sah der Bürger etwas mit seiner eigenen vollkommenen Freiheit nicht Uebereinstimmendes; aber er kümmerte sich jetzt wenig darum, da es eine gute Ausrede gab, nicht mit dem Geistlichen zu reisen.

»Ein vorzüglicher Mann,« sagte er zu seinem Freunde Niel Booshalloch, sobald Vater Clemens Abschied genommen hatte, »ein großer Gelehrter und großer Heiliger. Es ist schade, daß er nicht mehr in Gefahr ist, verbrannt zu werden, da seine Predigt am Pfahle Tausende bekehren würde. O, Niel Booshalloch! Vater Clemens' Scheiterhaufen würde ein süßduftendes Opfer sein und ein Leuchtthurm für alle gläubigen Christen. Aber wozu würde der Brand eines gemeinen unwissenden Bürgers, gleich mir, dienen? Man gibt nicht altes Handschuhleder für Weihrauch und unterhält auch nicht Leuchtthürme mit ungegerbten Fellen, denk' ich? Aufrichtig zu sprechen, hab' ich zu wenig Gelehrsamkeit und zu viel Furcht, um Ruhm bei der Affaire zu ärnten, und daher würde ich, wie man bei uns sagt, beides, den Schaden und den Spott, haben.«

»Da habt Ihr Recht,« sagte der Hirt.


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