Walter Scott
Das schöne Mädchen von Perth.
Walter Scott

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Fünftes Kapitel.

Auf, schöne Dame, kämm' dein Haar,
Komm in den Morgen frisch und klar;
Auf, flieh' das Bett, die Stunden floh'n.
Die Kräh'n umschrien den Thurm längst schon.
                                      Joanna Baillie

Durch den lärmenden Auftritt aus ihrer Ruhe emporgeschreckt, hatte das schöne Mädchen von Perth in athemloser Angst den Tönen der Gewaltthat und dem Geschrei gelauscht, welches sich auf der Straße erhob. Sie war im Gebet um Hilfe auf ihre Kniee gesunken, und als sie die Stimmen der Nachbarn und Freunde unterschied, die sich zu ihrem Schutze versammelten, blieb sie in derselben Stellung, um dem Himmel zu danken. Sie kniete noch, als der Vater ihren Kämpen, Harry Schmied, fast in das Zimmer stieß; der schüchterne Liebhaber blieb anfangs unter der Thür stehen, als fürchtete er zu beleidigen, und dann, als er ihre Lage bemerkte, aus Ehrfurcht vor ihrer Andacht.

»Vater,« sagte der Waffenschmied, »sie betet – ich wage so wenig, sie anzureden, als einen Bischof, wenn er die Messe liest.«

»Nun, wie du denkst, tapferer und muthiger Thor,« sagte der Vater; »und dann fügte er, seine Tochter anredend, hinzu: »man dankt dem Himmel am besten, meine Tochter, durch Dankbarkeit, die wir gegen unsre Mitmenschen an den Tag legen. Hier kommt das Werkzeug, durch welches dich Gott vom Tode oder vielleicht vor Entehrung, schlimmer als der Tod, errettete. Nimm ihn auf, Katharina, als deinen redlichen Valentin, und als den, in welchem ich meinen lieben Sohn zu sehen wünsche.«

»Nicht so – Vater,« antwortete Katharina. »Ich kann jetzt Niemand sehen oder sprechen. Ich bin nicht undankbar – vielleicht bin ich dem Werkzeuge meiner Rettung nur zu dankbar; aber laßt mich dem Schutzheiligen danken, der mir zur rechten Zeit Hilfe sandte, und gebt mir nur einen Augenblick, meinen Anzug zu vollenden.«

»Nun, bei Gott, Mädchen, es wäre hart, dir die Zeit zum Ankleiden zu versagen, denn seit zehn Tagen ist das die einige weibliche Rede, die du hast hören lassen. Wahrhaftig, Sohn Harry, ich wollte, meine Tochter erlebte die Zeit, um eine ganze Heilige zu werden, wo man sie als die heilige Katharina die Zweite kanonisiren wird.«

»Ei, scherzt nicht, Vater; denn ich will schwören, sie hat mindestens schon einen aufrichtigen Verehrer, der sich ihrem Willen geweiht hat, so gut es ein sündiger Mensch vermag. – Lebe denn wohl für den Augenblick, schönes Mädchen,« schloß er, seine Stimme erhebend, »und der Himmel sende dir Träume, so friedlich als deine Gedanken im Wachen. Ich gehe, um deinen Schlummer zu behüten, und wehe dem, der ihn stören sollte!«

»Ach, guter und tapferer Harry, dessen warmes Herz so im Widerspruch mit deiner rauhen Hand steht, laß dich selbst nicht wieder in nächtliche Händel ein; nimm aber den freundlichsten Dank, und zugleich versuche die friedlichen Gedanken zu gewinnen, die du mir zuschreibst. Am Morgen werden wir uns sehen, damit ich Euch meiner Dankbarkeit versichern kann; – lebt wohl!«

»Und lebt wohl, Gebieterin und Licht meines Herzens!« sagte der Waffenschmied, und die Treppe niedersteigend, die nach Katharinens Gemach führte, war er im Begriff, auf die Straße zu eilen, als der Handschuhmacher ihn am Arm ergriff.

»Der Kampf von heute Nacht,« sagte er, »wird mir das Waffenklirren angenehmer machen, als ich je dachte, wenn es meine Tochter zu Verstande bringt, Harry, und sie lehrt, was du werth bist. Bei St. Macgrider! Ich liebe sogar jene Nachtschwärmer, und mich dauert der arme Liebhaber, dessen Linke nie wieder einen Schild tragen wird. Ja, er hat das verloren, was er Zeit seines Lebens vermissen wird, vorzüglich so oft er seine Handschuhe anziehen will, – ja, er wird künftig meinem Handwerke nur halbe Gebühren zahlen. – Wahrlich, keinen Schritt aus diesem Hause heut' Nacht,« – fuhr er fort. »Ich sage dir, du sollst uns nicht verlassen, mein Sohn.«

»Das gedenk' ich nicht. Aber mit Eurer Erlaubniß will ich auf der Straße Wache halten. Der Angriff könnte erneuert werden.«

»Und wenn auch,« sagte Simon, »so wirst du hier besser im Stande sein, sie abzutreiben, wenn du die vortheilhafte Stellung im Hause hast. Diese Weise zu fechten schickt sich für uns Bürger am besten – die nämlich, hinter steinernen Mauern Widerstand zu leisten. Unsere Pflicht, zu wachen für Sicherheit, lehrt uns diesen Kunstgriff; überdieß sind genug wach und munter, um uns bis zum Morgen Frieden und Ruhe zu sichern. So komm denn herein.«

Mit diesen Worten zog er Harry, der nicht ungern folgte, in dasselbe Gemach, wo sie zu Abend gespeist hatten, und wo die alte Frau, die munter war, weil sie gleich Andern der nächtliche Lärm gestört hatte, bald Feuer anmachte.

»Und nun, mein tapfrer Sohn,« sagte der Handschuhmacher, »sprich, welch' Getränk du willst, die Gesundheit deines Vaters zu trinken?«

Harry Schmied hatte sich mechanisch auf einen alten, schwarzen Stuhl von Eichenholz niedersinken lassen, und starrte nun auf das Feuer, welches seine mannhaften Züge mit rother Gluth bestrahlte; halblaut murmelte er zu sich selber: – »Guter Harry – braver Harry – ach! hätte sie nur gesagt; lieber Harry!«

»Was sind das für Getränke?« sagte der alte Glover lachend. »Mein Keller weiß nichts von dergleichen; aber wenn ich mit Sekt, Rheinwein oder Gascogner dienen kann, ei, so sagt es nur, und die Flasche soll schäumen – das ist Alles.«

»Den freundlichsten Dank,« sagte der Waffenschmied, noch immer sinnend, – »das ist mehr, als sie je vorher zu mir sagte – den freundlichsten Dank – wozu kann das führen?«

»Gewiß zum Besten, Freund,« sagte der Handschuhmacher, »wenn du nur mit dir reden läßt und sagst, was du zum Morgentrunk haben willst.«

»Was du willst, Vater,« antwortete der Waffenschmied gleichgiltig und verfiel wieder in die Betrachtung der Rede Katharinens. »Sie sprach von meinem warmen Herzen; aber sie sprach auch von meiner rauhen Hand. Was auf der Welt kann ich thun, um diese Fechterlaune los zu werden? Gewiß hieb' ich am besten meine Rechte ab und nagelte sie an eine Kirchthür, damit sie mich nie mehr Vorwürfen aussetzte.«

»Ihr habt für eine Nacht Hände genug abgehauen,« sagte sein Freund, eine Flasche Wein auf den Tisch setzend. »Was quälst du dich selber, mein Sohn? Sie würde dich schon doppelt lieben, sähe sie nicht, wie du in sie verliebt bist. Aber es wird nun ernsthaft. Ich mag nicht Gefahr laufen, meine Werkstätte zerstört und mein Haus geplündert zu sehen von den wilden Dienern der Edelleute, weil man sie das schöne Mädchen von Perth zu nennen beliebt. Nein, sie soll wissen, daß ich ihr Vater bin, und ich will den Gehorsam haben, wozu mich Gesetz und Evangelium berechtigen. Ich will, sie soll dein Weib werden, Harry, mein Goldsohn – dein Weib, mein Bester, und das, ehe viele Wochen vergehen. Wohlan, das gilt deiner fröhlichen Hochzeit, wackrer Schmied!«

Der Vater leerte einen großen Becher und füllte ihn dann für den Sohn seiner Wahl, der ihn langsam zum Munde erhob; dann, eh' er ihn an die Lippen gebracht hatte, stellte er ihn plötzlich wieder auf den Tisch und schüttelte das Haupt.

»Nun, wenn du mir nicht bei solcher Gesundheit Bescheid thun willst, so weiß ich keine bessere,« sagte Simon. »Was magst du im Sinn haben, närrischer Bursche? Hier ist ein Fall vorgekommen, der sie gewissermaßen in deine Macht gibt, da von einem Ende der Stadt bis zum andern Jedermann sie verachten würde, wenn sie Nein spräche. Hier bin ich ihr Vater, der nicht nur seine Einwilligung zu der Heirath gibt, sondern Euch auch gern so fest verbunden sehen will, als je eine Nadel Bocksleder zusammenfügte. Und während so Glück, Vater und Alles auf deiner Seite ist, siehst du wie ein trauriger Liebhaber in einer Ballade aus, ähnlicher Einem, der sich in den Tay stürzen will, als Einem, der um ein Mädchen zu werben gedenkt, das du ohne Mühe haben kannst, wenn du nur den glücklichen Augenblick wählst.«

»Ach, aber dieser glückliche Augenblick, Vater! Es scheint mir sehr die Frage, ob Katharina je einen solchen Moment in diesem Leben haben wird, um einen groben, unwissenden Mann, wie mich, anzuhören. Ich kann nicht sagen, wie es ist, Vater; anderswo kann ich mein Haupt kühn tragen, wie ein anderer Mann, aber bei Eurer frommen Tochter verliere ich Herz und Muth, und ich kann nicht umhin, zu denken, daß es eben so gut wäre, wie Tempelraub, wenn ich mir ihre Zuneigung erschliche. Ihre Gedanken sind zu sehr auf den Himmel gerichtet, um für einen Meinesgleichen verschwendet zu werden.«

»Ganz wie es Euch beliebt, Harry,« sagte der Handschuhmacher. »Meine Tochter drängt sich auch so wenig auf, als ich – ein hübscher Antrag ist keine Ursache zum Krieg; – nur wenn Ihr meint, ich werde ihren närrischen Gedanken an ein Kloster nachgeben, so verlaßt Euch darauf, daß ich denselben nie Gehör geben werde. Ich liebe und ehre die Kirche,« sagte er, sich bekreuzend. »Ich entrichte gern und gehörig ihre Gebühren, Zehnten und Almosen; Wein und Wachs entricht' ich, wie ich sage, so genau, als irgend ein Mann von meinen Mitteln in Perth; aber ich kann der Kirche mein alleiniges und einziges Lämmchen, das ich habe, nicht geben. Ihre Mutter war mir auf Erden lieb und ist nun ein Engel im Himmel, Katharina ist Alles, was ich habe, um mich an den Verlust Jener zu erinnern; und geht sie in's Kloster, so wird es geschehen, wenn sich diese alten Augen auf ewig geschlossen haben, aber eher nicht. Was jedoch Euch betrifft, Freund Gow, so bitt' ich Euch, daß Ihr so thut, wie es Euch selber am besten gefällt. Ich will Euch wahrlich kein Weib aufzwingen.«

»Ach, da schmiedet Ihr nun das Eisen zwei Mal,« sagte Harry. »So endigen wir immer, Vater; Ihr werdet auf mich böse, weil ich nicht thue, was mich zum glücklichsten Menschen machen würde, wenn ich es vermöchte. Wenn in meinem Herzen ein einziger Tropfen Blutes fließt, der nicht mehr Eurer Tochter als mir selber angehörte, so soll im Augenblick der schärfste Stahl, den ich jemals schmiedete, dasselbe durchbohren. Aber was fordert Ihr? Kann ich weniger Achtung vor ihr haben, als sie verdient, oder mich höher stellen, als ich bin? Was Euch leicht und einfach dünkt, ist für mich eben so schwierig, als ein Panzerhemd aus Hanf zu machen. – Aber dieß gilt Euer Wohl, Vater,« fügte er in heiterem Tone hinzu; »und hier das Wohl meiner schönen Heiligen und meiner Valentine, was hoffentlich für dieß Jahr Eure Tochter sein wird. Ich will Euch nicht länger abhalten, Euer Haupt auf's Kissen zu legen; dann führt mich an's Gemach Eurer Tochter, bittet sie für mich um Erlaubniß, eintreten und ihr einen guten Morgen wünschen zu dürfen, und der Heiterste will ich sein, den die Sonne in der Stadt und meilenweit ringsum begrüßen wird!«

»Kein übler Rath, mein Sohn,« sagte der ehrliche Glover; »aber was werdet Ihr thun? willst du mir zur Seite liegen, oder Conachars Bett theilen.«

»Keines von beiden,« antwortete Harry Gow; »ich würde Eure Ruhe nur stören; und mir ist dieser bequeme Stuhl ein Dunenbett werth, und wie eine Schildwache will ich schlafen, mit den Waffen an der Seite.«

Bei diesen Worten legte er die Hand an's Schwert.

»Ach, der Himmel gebe, daß wir keine Waffen mehr brauchen. – Gute Nacht, oder vielmehr guten Morgen, bis der Tag uns weckt – wer zuerst erwacht, mag den Andern rufen.«

So schieden die beiden Bürger. Der Handschuhmacher ging in sein Bett, und, wie sich vermuthen läßt, zur Ruhe. Der Liebhaber war nicht so glücklich. Sein starker Körper ertrug leicht die Anstrengung, die er im Laufe der Nacht erduldet hatte, aber sein Geist war minder abgehärtet. In einer Beziehung war er nur der muthige Bürger seiner Zeit; stolz darauf, in der Kunst, die Waffen zu handhaben, sich ebenso auszuzeichnen, wie in der, sie zu fertigen, hatte seine Eifersucht gegen Handwerksgenossen, seine persönliche Stärke und Gewandtheit im Fechten ihn in viele Händel verwickelt, die ihn allgemein gefürchtet machten und ihm selbst viele Feinde zugezogen hatten. Er verband jedoch mit diesen Eigenschaften die Güte und Treuherzigkeit eines Kindes, und zugleich eine hohe Einbildungskraft und Begeisterung, die mit seinen Arbeiten am Herde oder seinen Kämpfen wenig im Einklang zu stehen schienen. Das Feuer und Ungestüm, welches er aus alten Balladen geschöpft hatte, oder aus Romanzen, der einzigen Quelle von Allem, was er wußte, hatten ihn vielleicht zum Theil zu manchen seiner Thaten begeistert, die für ihn häufig das Ansehen des Ritterthums hatten. Zum mindesten war er überzeugt, daß seine Liebe zu der schönen Katharina eine Zartheit hatte, wie sie dem niederen Knappen geziemt hätte, der, wenn man der Ballade glauben will, mit dem Lächeln der ungarischen Königstochter geehrt wurde. Seine Gefühle für sie waren eben so schwärmerisch, als hätten sie einen wahren Engel zum Gegenstande gehabt; und daher glaubte der alte Simon und Alle, die ihn beobachteten, seine Leidenschaft sei zu erhabener Art, als daß er sein Glück bei einem Mädchen machen könnte, das aus demselben Stoffe wie andere Sterbliche gemacht wäre. Sie irrten sich jedoch. So bescheiden und zurückhaltend Katharina war, besaß sie doch ein Herz, welches die Beschaffenheit und die Tiefe der Leidenschaft des Waffenschmieds fühlen und verstehen konnte; und ob sie nun diese erwiderte oder nicht, jedenfalls war sie doch auf die Anhänglichkeit des gefürchteten Harry Gow im Stillen eben so stolz, als es die Heldin eines Romans auf die Gesellschaft eines zahmen Löwen sein könnte, der ihr zu Schutz und Vertheidigung folgt. Mit Empfindungen der aufrichtigsten Dankbarkeit erinnerte sie sich, als sie am Morgen erwachte, der Dienste Harry's im Lauf der ereignißvollen Nacht, und ihr erster Gedanke war, wie sie ihm diese Empfindungen deutlich machen möchte.

Hastig vom Lager aufstehend und fast über ihren Vorsatz erröthend, sagte sie zu sich selbst: »Ich bin kalt gegen ihn gewesen und vielleicht ungerecht; ich will nicht undankbar sein, obwohl ich seinen Wünschen nicht entsprechen kann; ich will nicht warten, bis mich mein Vater antreibt, ihn als meinen Valentin für das Jahr zu empfangen; ich will ihn aufsuchen und ihn selbst wählen. Ich habe andere Mädchen für kühn gehalten, wenn sie so etwas thaten; aber ich werde so meinen Vater am besten erfreuen und nur gegen den guten St. Valentin den schuldigen Brauch erfüllen, wenn ich mich diesem tapfern Manne dankbar bezeige.«

Eilig warf sie ihre Kleider um, welche indeß nicht ganz in der gewohnten Weise geordnet waren, lief die Treppe hinab und öffnete die Thür des Zimmers, worin, wie sie vermuthete, ihr Liebhaber die Stunden nach dem Gefecht zugebracht hatte. Katharina hielt an der Thür inne und trug fast Bedenken, ihren Vorsatz auszuführen, der nicht nur erlaubte, sondern sogar erforderte, daß die Valentine des Jahres ihre Verbindung mit einem zärtlichen Kusse beginnen mußte. Man betrachtete es als eine besonders günstige Vorbedeutung, wenn der eine Theil den andern schlafend finden konnte, um ihn durch jene interessante Ceremonie zu erwecken.

Nie bot sich eine schönere Gelegenheit, dieß geheimnißvolle Band zu knüpfen, als die, welche jetzt Katharina fand. Nach vielen und mannigfachen Gedanken war der muthige Waffenschmied endlich in dem Lehnstuhle, wo er sich niedergelassen, vom Schlaf überwältigt worden. Seine Züge hatten im Schlummer einen festern und männlichern Anstrich, als Katharina geglaubt hatte, die ihn bis jetzt immer nur sah, wie er zwischen Schüchternheit und Furcht, ihr zu mißfallen, schwankte, und daher gewohnt war, keinen besonders geistreichen Ausdruck in seinen Zügen zu entdecken.

»Er sieht sehr ernst aus,« sagte sie; »wenn er unwillig werden sollte – und wenn er dann erwacht – wir sind allein – ob ich wohl Dorothee rufe – oder meinen Vater wecke – aber nein, es ist ein hergebrachter Brauch, und wird in aller jungfräulichen und schwesterlichen Liebe und Ehre geübt. Ich will nicht glauben, daß Harry es mißdeuten könne und kindische Schüchternheit soll meine Dankbarkeit nicht in Schlaf bringen.«

So sagend, ging sie leichten, obwohl zögernden Schrittes durch das Zimmer, während sich bei ihrem Vorhaben ihre Wange dunkelroth färbte; und zu dem Stuhle des Schläfers schlüpfend, drückte sie einen Kuß auf seine Lippen, so leicht, als wäre ein Rosenblatt darauf gefallen. Der Schlummer mußte leicht gewesen sein, den eine solche Berührung unterbrechen konnte, und die Träume des Schläfers mußten mit der Ursache der Unterbrechung im Zusammenhange stehen, da Harry, sogleich sich erhebend, das Mädchen mit den Armen umfing und entzückt die Liebkosung zu erwidern suchte, welche seine Ruhe unterbrochen hatte. Aber Katharina widerstand seiner Umarmung, und da ihr Widerstreben mehr aus besorglicher Züchtigkeit, als aus falscher Scham zu entspringen schien, so ließ sie der schüchterne Liebhaber seiner Umarmung sich entwinden, aus der sie sonst, und wäre sie zehn Mal stärker gewesen, sich nicht hätte befreien können.

»Nein, seid nicht böse, guter Harry,« sagte Katharina in dem freundlichsten Tone zu ihrem überraschten Liebhaber. »Ich habe St. Valentin sein Recht gethan, um zu zeigen, wie sehr ich den Freund schätze, den er mir für das Jahr gesendet hat. Laßt aber meinen Vater erst gegenwärtig sein, und ich will Euch nicht hindern, die Rache zu nehmen, zu welcher Ihr für den gestörten Schlaf berechtigt seid.«

»Laßt dies kein Hinderniß sein,« sagte der alte Glover, entzückt in's Gemach eilend. – »Hin zu ihr, Schmied, hin zu ihr, und lehrt sie, was es heißt, einen Hund im Schlafe zu stören.«

So ermuthigt umfaßte Harry, obwohl vielleicht mit minder beunruhigender Lebhaftigkeit, das erröthende Mädchen wieder mit seinen Armen, welche mit ziemlicher Huld gestattete, daß ihr Kuß erwidert und ein Dutzend Mal wiederholt ward, welches mit einer Energie geschah, sehr verschieden von der Art, durch welche eine so strenge Vergeltung verursacht war. Endlich wand sie sich wieder aus ihres Liebhabers Armen, und, als wäre sie erschrocken und reuevoll über das, was sie gethan, warf sie sich auf einen Stuhl und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.

»Blick' auf, du thörichtes Mädchen.« sagte ihr Vater, »und schäme dich nicht, daß du die zwei glücklichsten Männer in Perth gemacht hast, da dein alter Vater einer von ihnen ist. Nie war ein Kuß so gut angebracht, und es war billig, daß er gehörig zurückgegeben wurde. Blick' auf, mein Liebling, blick' auf, und laß mich nur ein Lächeln von dir sehen. Auf mein Ehrenwort, die Sonne, die jetzt über unsere schöne Stadt emporsteigt, kann mir nichts zeigen, was mich glücklicher machte. Wie,« fuhr er in scherzendem Tone fort, »glaubtest du Jamie Keddie's, des Schneiders, Ring zu besitzen und unsichtbar zu sein? Aber nein, meine Morgenfee: gerade als ich aufstehen wollte, hörte ich deine Kammerthür aufgehen und beobachtete dich, wie du die Treppe hinabstiegst – nicht um dich gegen diesen schlaftrunkenen Harry zu schützen, sondern mit eigenen erfreuten Blicken zu sehen, wie mein liebes Mädchen das that, was ihr Vater besonders wünschte. – Nun, herab mit den thörichten Händen, und wenn du auch ein Bischen erröthest, so schickt es sich nur desto besser zum St. Valentinsmorgen, denn da steht einer Mädchenwange das Roth vorzüglich.«

Während Simon Glover sprach, zog er mit sanfter Gewalt die Hände herab, die der Tochter Gesicht verdeckten. Sie erröthete allerdings tief, aber es lag mehr als Mädchenscham in ihrem Gesicht und ihre Augen füllten sich schnell mit Thränen.

»Wie! weinen, Kind?« fuhr der Vater fort, – nein, wahrlich, das ist mehr als vonnöthen; – Harry, hilf mir diesen kleinen Narren trösten.«

Katharina gab sich Mühe, sich zu sammeln und zu lächeln, aber das Lächeln hatte einen melancholischen und ernsten Ausdruck.

»Ich wollte nur sagen, Vater,« sagte das schöne Mädchen von Perth, indem sie sich wie vorher anstrengte, »daß ich, indem ich Harry Gow zu meinem Valentin wählte und ihm die Vorrechte und den Gruß am Morgen gab, gemäß hergebrachter Sitte, ihm nur meine Dankbarkeit bezeigen wollte für seinen mannhaften und treulichen Dienst, und Euch meinen Gehorsam. – Aber verleit' ihn nicht zu dem Glauben – und o! theuerster Vater, unterhalte nicht selbst eine Idee, daß ich mehr im Sinn hatte, als was das Versprechen, seine treue und geneigte Valentine das Jahr hindurch zu sein, von mir fordert.«

»Ja – ja – ja – wir verstehen das Alles,« sagte Simon in dem besänftigenden Tone, mit welchem die Amme ein Kind beruhigt – »wir verstehen, was das bedeutet; genug für ein Mal; genug für einmal. Du sollst nicht erschreckt und übereilt werden. – Liebende, treue und aufrichtige Valentine seid Ihr, und alles Uebrige wird der Himmel und die Gelegenheit fügen. Nun, ich bitte dich, laß jetzt gut sein – ringe deine zarten Hände nicht, und fürchte jetzt keine weiteren Angriffe. Du hast wacker, vortrefflich gehandelt – und nun geh' hinaus zu Dorothee und rufe das faule Weib herbei; wir brauchen ein tüchtiges Frühstück nach einer Nacht voll Unruhe und einem freudigen Morgen; und deine Hand wird vonnöthen sein, für uns jene köstlichen Kuchen zu bereiten, die Niemand außer dir machen kann; und du darfst wohl ein Geheimniß daraus machen, in Betracht ihrer, die es dich lehrte. – Ach! Friede der Seele deiner theuersten Mutter,« fügte er mit einem Seufzer hinzu; »wie froh würde sie gewesen sein, hätte sie diesen glücklichen St. Valentinsmorgen sehen können!«

Katharina ergriff die Gelegenheit, zu entkommen, welche ihr so gegeben ward, und schlüpfte aus dem Gemach. Harry kam es vor, als wäre die Sonne am Himmel zu Mittag verschwunden und als umlagere plötzlich Nacht den Erdkreis. Die Hoffnungen, die er, ermuthigt durch das vorhin Geschehene, gefaßt hatte, fingen bereits an zu sinken, wenn er an die plötzliche Veränderung in Katharinens Benehmen dachte, an ihre soeben vergossenen Thränen, an die sichtbare Angst, die ihre Züge verriethen und an die Besorgniß, mit welcher sie so bestimmt, als das Zartgefühl gestattete, erklärt hatte, daß die Schritte, die sie gethan, nur die Absicht gehabt hätten, der Sitte des Festes gehörig zu genügen. Der Vater bemerkte seine niedergeschlagene Miene etwas verwundert und mißvergnügt.

»Im Namen des guten St. Johannes, was hat Euch befallen, daß Ihr ein Gesicht macht, so mürrisch wie eine Eule, da ein Bursche von deinem Geist, der das arme Mädchen wirklich so lieb hat, wie du vorgibst, lebendig sein sollte, wie eine Lerche?«

»Ach, Vater!« erwiderte der niedergeschlagene Liebhaber, »es steht etwas auf ihrer Stirn geschrieben, was mir sagt, sie liebe mich wohl genug, um meine Valentine zu sein, vorzüglich da Ihr es wünscht – aber nicht genug, um mein Weib zu werden.«

»Ei, daß dich die Pest, du kalter Bursche, der kein Herz hat,« antwortete der Vater. »Ich kann eines Weibes Stirn so gut und besser als du lesen, und ich sehe von diesen Dingen nichts auf der ihrigen. Was, zum Henker, Mensch! du lagst wie ein Lord im Lehnstuhl, in so tiefem Schlafe, wie ein Richter, während du als ein feuriger Liebhaber munter nach Osten gespäht hättest, um den ersten Sonnenstrahl zu erwarten. Aber dort lagst du jedenfalls schnarchend, und dachtest weder an sie noch sonst Etwas; und das arme Mädchen steht mit Tagesanbruch auf, damit ihr Niemand den kostbaren, wachsamen Valentin wegschnappen möchte, und sie weckt dich mit einem Kusse, der, so wahr mir St. Macgrider helfe, einem Ambos Leben eingehaucht hätte; aber du erwachst, um zu ächzen, zu klagen, zu seufzen, als ob sie ein glühend Eisen quer über deine Lippen gezogen hätte! Ich wünschte bei St. John, sie hätte die alte Dorothee statt ihrer geschickt und dich zum Valentin dieses Bündels dürrer Gebeine verpflichtet, das keinen Zahn im Munde hat. Sie wäre die beste Valentine von ganz Perth für einen so feigen Kampfhahn von Liebhaber gewesen.«

»Was den feigen Kampfhahn betrifft,« antwortete der Schmied, »so gibts wohl zwanzig gute Hähne, deren Kämme ich rupfte und die dir sagen können, ob ich mich besiegen ließ oder nicht. Aber der Himmel weiß, daß ich mein Stück Feld, was ich als Bürger besitze, meine Esse, Blasbalg, Ambos und Alles, was ich habe, darum gäbe, könnt' ich diese Sache so betrachten wie Ihr. Aber ich rede nicht von ihrer Scham und ihrem Erröthen, sondern von der Blässe, die so schnell von ihren Wangen die Farbe vertrieb, und von den Thränen, die ihr in's Auge traten. Es war wie der Aprilschauer, der heranschleicht und den schönsten Morgen verdunkelt, der je über'm Tay aufging.«

»Ei über die Possen,« erwiderte der Handschuhmacher; »weder Rom noch Perth wurden in einem Tage gebaut. Du hast tausend Mal Lachse gefischt und könntest klug geworden sein. Wenn der Fisch die Fliege ergriffen hat, so würde ein heftiger Zug der Schnur diese zerreißen und wäre sie aus Eisendraht; mäßige deine Hand, Mensch, laß den Fisch empor kommen; nimm dir Zeit und in einer halben Stunde wirst du ihn auf's Ufer legen. – Ein Anfang ist gemacht, so schön als du wünschen könntest, wenn du nicht erwartest, daß das arme Mädchen an dein Bett komme, wie sie an deinen Stuhl kam; und das ist nicht die Weise sittsamer Mädchen. Aber gib Acht, nachdem wir gefrühstückt haben, will ich dir Gelegenheit verschaffen, dein Herz auszusprechen; aber hüte dich, zu linkisch zu sein, oder sie zu sehr zu drängen. – Treib' sie in die Enge, aber laß ihr auch nicht zu viel Spielraum, und ich setze mein Leben für den guten Erfolg ein.«

»Was ich auch thun kann, Vater,« antwortete Harry, »Ihr werdet stets den Tadel auf mich wälzen; entweder laß ich die Schnur zu schlaff, oder spanne sie zu heftig. Ich wollte das beste Panzerhemd d'rum geben, das ich je schmiedete, wenn die Schwierigkeit wirklich nur auf meiner Seite wäre; denn dann wäre um so mehr Hoffnung, sie zu beseitigen. Ich gestehe aber, daß ich nur ein Gimpel bin, wenn es gilt, eine Unterhaltung, wie in diesem Falle, einzuleiten.«

»Komm mit mir in meine Werkstätte, mein Sohn, und ich will dich mit einem passenden Thema versorgen. Du weißt, daß das Mädchen, welches einen schlafenden Mann zu küssen wagt, ein Paar Handschuhe von ihm erhält. Komm zu meiner Werkstätte; du sollst ein Paar köstliche rehlederne haben, die ganz für ihre Hand und ihren Arm passen. – Ich dachte an ihre arme Mutter, als ich sie fertigte,« fügte der ehrliche Simon mit einem Seufzer hinzu; »und außer Katharina wüßt' ich kein Weib in Schottland, dem sie passen würden, obwohl ich den meisten der hohen Schönheiten am Hofe das Maß genommen habe. Komm mit mir, sag' ich, und du sollst einen Stoff zum Gespräch erhalten, wenn du nur Muth und Vorsicht genug zu der Werbung hast.«


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