Hedwig Schobert
Künstlerblut
Hedwig Schobert

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XXXI.

Monate waren vergangen, als Viktor zum erstenmal die Erlaubnis vom Arzt erhielt, aufzustehen. Seitdem er die Besinnung wieder erlangt, war seine einzige Beschäftigung, Gretes Bewegungen mit den Augen zu folgen, und allmählich war in ihnen ein Ausdruck von Zärtlichkeit erwacht, der sich aber nur hervorwagte, wenn sie es nicht sah. Er fühlte sich unter ihrer Obhut ruhig und friedlich wie ein Kind, sprach wenig, fragte nach nichts. Die Außenwelt schien alles Interesse für ihn verloren zu haben.

Sie aber dachte mit Schrecken daran, daß jede Stunde sie dem Augenblick näher brachte, an dem es wieder scheiden hieß. Sie hatte ihn immer geliebt, so lange sie denken konnte – gewiß – aber es schien ihr doch, als sei er in dieser letzten Zeit, schwach, krank, hilflos, allein auf ihre Fürsorge angewiesen, ihr noch ganz anders ans Herz gewachsen, als koste sie diesmal das Scheiden ein Stück Leben. Aber gerade, weil sie das fühlte, weil die Angst sie beständig quälte, sie könne sich doch vielleicht einmal halb unbewußt verraten, entschloß sie sich zu einem Gewaltmittel.

Als er sorgfältig in Decken und Kissen gehüllt am offenen Fenster saß, durch das die weißen Herbstfäden zusammen mit dem letzten, warmen Sonnenschein hineinzogen, ging sie an das entgegengesetzte Ende des Zimmers; die Flaschen und Schachteln dort ordnend, die noch von seiner Krankheit her herumstanden, und ihm dabei den Rücken wendend, wollte sie ihren Entschluß aussprechen, ihn zu verlassen. Sie hoffte so leichter ihre Erregung zu verbergen.

Da kam er ihr zuvor.

»Es ist Herbst geworden, Gretchen,« sagte er mit matter Stimme, »Herbst überall! Auch mein Herz ist ganz ruhig; ich weiß gar nicht mehr, daß mich je etwas geschmerzt oder erfreut hat. – Wollen Sie nicht etwas näherkommen, Gretchen? Die Luft ist so schön.«

Sie stützte die Hand auf den Tisch, ging aber nicht zu ihm, ein gepreßter Atemzug hob ihre Brust.

»Die Schwäche wird sich bald verlieren, Herr Alten, und dann kommen auch neue Gedanken wieder,« antwortete sie mit etwas rauher Stimme. »Da Sie nun so weit sind, ist meine Mission hier zu Ende. Heute abend will ich in das Krankenhaus zurückkehren.«

Er sah sie tödlich erschrocken an.

»Ist das Ihr Ernst, Grete? Mein Gott, wie soll ich Sie entbehren lernen! Sie waren so gut zu mir. – Freilich – ich sehe ein – Sie sind mager und blaß geworden, Sie müssen sich erholen – ich habe kein Recht, Sie zu halten.«

»Daran denke ich nicht,« wehrte sie ab. »Arbeit – Arbeit allein ist es, die mir not tut.« – Sie dachte mit Entsetzen an die kommenden, langen Stunden, in denen sie mit ihren Gedanken doch unablässig bei ihm sein würde. Eine lange Pause. –

»Wenn Sie wüßten, wie entsetzlich einsam mir das Leben jetzt vorkommt,« begann er seufzend. »Wie verzweifelt ich mich nach einem Herzen sehne, das mit mir fühlt – eins mit mir ist – das mich liebt. – Sie bemitleiden mich, Gretchen, mich – die gefallene Größe!«

»Sie werden wieder arbeiten,« unterbrach sie ihn hastig. »Alles wird werden wie einst ...«

»Nein!« sagte er sehr bestimmt. »Das ist vorbei! Ich werde nie wieder für das Theater schreiben, nie! Auf diesen Ruhm habe ich das Recht verloren, und auch nicht mehr den Willen dazu. Vielleicht ist der Gott in meinem Herzen, den Sie einst zu wecken versuchten, doch nicht ganz tot; ich will ihn wenigstens suchen.«

Heißes Rot stieg flammend in ihr Gesicht, ihre Stimme zitterte ein wenig, als sie sagte:

»Und wenn Sie herzenseinsam sind, Herr Alten – Rose Marie ist es auch ...«

»Ich bin ihr Dank schuldig – gewiß, verkennen werde ich das nie, aber Rose war am wenigsten geschaffen, Herzenseinsamkeit zu bannen. Sie wollte mir einen Platz neben sich geben, in ihrer Sphäre, meine Gefährtin sein, vielleicht sogar manchmal meine Vorsehung; aber das ist es ja nicht, wonach ich mich sehne, Grete! Zuweilen kommt es mir so vor, als sei das echte, wahre Glück meines Lebens fünf Treppen hoch, unter dem Dach wohnen geblieben, während ich herabstieg, um es unten zu suchen. – Und da stehe ich nun – einsam – ein Mann, dessen Jugend dahin ist, mit gestorbenen Lebenshoffnungen und lerne zu spät einsehen, daß die Ideale, die wir aus materiellen Rücksichten verleugnen, sich doch gegen uns kehren, indem sie uns zu unserem eigenen Schaden an Leib und Seele beweisen, daß sie bestehen und Macht haben, daß wir sie ungestraft nicht verleugnen dürfen, weder vor der Welt, noch vor uns selber.« Gretes Augen leuchteten, ihrer selbst kaum bewußt, kam sie langsam auf ihn zu.

»Wenn ich Sie recht verstehe, Herr Alten, wollen Sie umkehren auf dem Wege, den Sie bis jetzt gegangen sind.«

»Ja! Sobald ich erst kräftiger bin, verlasse ich die Stadt, vielleicht gesunde ich vollends in der Einsamkeit.«

Er sah sie an, eine tiefe, unaussprechliche Sehnsucht trat in die dunklen Augen, die sich fest auf sie hefteten.

»Und daß ich gehen muß, ohne den Mut finden zu können, einem menschlichen Wesen mein Herz ganz zu öffnen – so gehen muß, Grete – das ist eine bittere, aber gerechte Strafe. Meine Fehler sind zu feurigen Schwertern geworden, die mir den Eingang in das zu spät erkannte Paradies wehren.«

Es war, als zöge der stille Blick seiner Augen sie gegen ihren Willen immer näher; jetzt stand sie dicht vor ihm, sehr blaß, aber sehr ruhig.

»Es gibt kein verschlossenes Paradies, es gibt überall Türen und Tore, die hineinführen,« sagte sie.

Ihre Augen sanken ineinander, und ein stilles Feuer entzündete sich in ihnen.

»Grete!« sagte er ganz leise.

Als wäre das eine lange, lange Rede, so antwortete sie darauf.

»Ja, ich will! – Ich will dir folgen, wohin du auch gehst!«

Sie kniete neben ihm nieder und legte ihren Kopf auf sein Knie, ihre Tränen flossen.

»Ist es möglich – Grete!« Seine Stimme zitterte noch vor Schwäche, als er mit leisem Finger über ihren braunen Kopf strich, aber das reinste Glück strahlte aus seinen Augen und wischte den letzten Rest von Herbheit und Müdigkeit aus seinen Zügen.

Da sah sie zu ihm auf. »Ich liebe dich ja so grenzenlos – ich habe dich schon immer – o, immer geliebt!« flüsterte sie.

Und da nahm er sie in seine Arme, so fest, als hätte er sie gegen Erde und Himmel zu verteidigen. »Nun halte ich dich bis in alle Ewigkeit!« sagte er laut und feierlich. »In guten und bösen Stunden – nichts darf uns mehr trennen! Vereint wollen wir den Weg zurückfinden, zu meinen verlorenen Idealen!«


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