Hedwig Schobert
Künstlerblut
Hedwig Schobert

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VI.

Am nächsten Tage zur Visitenzeit brachte er das Bukett in die Villa. Welk, mit schwarzen Rändern senkten die Rosen die Köpfe, und einzelne Blätter fielen in den Schnee.

Frau Murner war gerade im Begriff auszufahren, ihr Auto hielt vor der Tür und sie selbst, in Hut, dunklem Straßenkostüm und Pelz, traf im Vestibül mit ihm zusammen.

»Ich bringe Ihnen hier Ihr Bukett zurück, gnädige Frau,« sagte er etwas geniert durch den anwesenden Diener und ernüchtert durch die unerwartete Situation, »es blieb gestern in meiner Hand.«

Sie zögerte einen Augenblick.

»Welche Idee!« rief sie beinahe ärgerlich. »Aber ich kann Sie doch nicht hier stehen lassen! Treten Sie eine Minute ein!«

»Ich wollte nicht stören!«

Sie nahm die Blumen aus seiner Hand und warf sie achtlos beiseite. »Sind Sie immer so außerordentlich gewissenhaft?«

»Es deckte sich diesmal mit meinen Wünschen.«

»Nun, Sie sind wenigstens ehrlich!« lachte sie, ihre Handschuhe schließend. »Das gefällt mir. Aber ich habe wirklich in diesem Augenblick nur wenig Zeit. Oder wollen Sie meine Rückkehr hier erwarten?«

»O nein,« beeiferte er sich zu sagen, indem er aufstand. »Verzeihen Sie nur die Störung, dann bin ich zufrieden.«

Auch sie stand auf.

»Sie haben recht,« sagte sie sich umsehend, »es geht dem Boudoir, wie den Frauen selbst, sie sind nur bei Abend reizend, der Tag nimmt alle Illusionen. Kommen Sie lieber am Freitag um sieben Uhr zum Tee zu mir. Es interessiert mich, mit Ihnen zu plaudern, und meine Nichte Grete wird entzückt sein. Kann ich darauf rechnen?«

Er verbeugte sich zustimmend. An dieser Frau lag etwas, das seine Eitelkeit verletzte und dennoch einen dämonischen Reiz ausübte. Dabei hatte er sie noch kaum gesehen, denn der Schleier, das unsichere Licht gestern abend und heute die schwer verhängten Fenster, durch die sich der Tag kaum hindurchstahl, ließen das nicht zu. Aber wunderbarerweise dachte er auch gar nicht an ihre körperliche Schönheit; ihre Art und Weise, der Duft, der sie umgab, das alles genügte, um ihn, den phantasiebegabten Mann zu berauschen.

Freitag! dachte er, und ein Gefühl von Wohlbehagen durchströmte ihn, obgleich er recht wohl den zweifelnden Blick des Dieners auf seinem äußern Menschen ruhen fühlte. –

An diesem selben Freitag war es, daß Gregor ziemlich spät abends Viktor begegnete, der aus der Villa Murner nach Hause ging; er schien ihn nicht zu sehen, aber Gregor achtete nicht darauf, sondern ging auf ihn zu und hielt ihn an, seine äußere Erscheinung setzte in Erstaunen.

Er trug trotz der kalten Nachtluft den Hut in der Hand, in seinem Knopfloch steckte eine Rosenknospe; sein schmales, feines Gesicht sah blaß aus, aber die Augen hatten einen Ausdruck, als hätten sie gerade in den Himmel gesehen und wären noch trunken von all der Herrlichkeit.

»Wo kommst du denn her?« fragte Viktor überrascht, augenscheinlich nicht sonderlich über die Begegnung erfreut, er sah Gregor erst, als die lange haltlose Gestalt dicht vor ihm stand.

»Von deiner Frau!« lautete die lakonische Antwort.

»Ich schrieb dir aber doch, daß ich heute nicht zu Hause sei.«

»Du siehst, daß mich der Brief verfehlt hat. Es macht ja auch nichts aus. Oder solltest du auf mich eifersüchtig sein?«

Viktor lachte auf, indem er sich den Hut aufsetzte.

»An so etwas kannst du doch nicht im Ernst denken.«

»Aber du vernachlässigst deine Frau.«

»Lieber Freund, ich bitte dich! Rede doch nicht von Dingen, die du nicht kennst. Du weißt eben nicht, was es heißt, verheiratet sein! Immer diese Zwangslage! Immer diese Fessel am Bein! Die Ehe verdirbt den Künstler. Heute habe ich erst so recht empfunden, was »leben« heißen kann! – »Du mußt wissen,« fuhr er dann ruhiger fort, »ich war heute nicht bei den Freunden, sondern eingeladen bei einer Dame – der Kommerzienrätin Murner. Gregor, das ist eine Frau! Wenn das Leben den Menschen immer tiefer herabzieht, vom Himmel bis auf die Erde, diese Frau versteht es, ihn wieder hinaufzuziehen!«

Der andere lachte spöttisch: »Ich kenne das ja an dir!«

»Nun meinetwegen, spotte nur über mich. Begeisterung ist Vollgenuß unseres Daseins! Übrigens verlange ich von dir nicht blinden Glauben, du sollst selbst sehen und prüfen. Da ich ihr von dir erzählte, äußerte sie den Wunsch, dich kennen zu lernen. Das nächste Mal begleitest du mich zu ihr!«

»Daß ich ein Narr wäre! Zum Schwenzeln und schöne Redensarten zu drechseln, war ich nie der rechte Mann! – – Weiber, die sich mit verheirateten Männern abgeben, sind nicht mein Geschmack. Ich bin etwas beschränkt in diesem Punkt, alter Freund, weißt du!«

»Aber, mein Gott, sie hat ja keine Ahnung von meiner Ehe.«

»Um so schlimmer für dich – das Licht, das alsdann auf dich fällt, behagt mir gar nicht. Es genügt nicht, über seine Pflichten zu räsonieren, man muß sie auch erfüllen.«

»Du bist wohl durch Martha eingenommen, wie mir scheint. Die hat natürlich an mir zu mäkeln. In ihrer Beschränktheit begreift sie mich gar nicht, und das versichere ich dir, dahin paßt sie durchaus nicht; ihr genügen ja Dallmanns. Du wirst mir aber den Gefallen tun, alter Freund!« sagte er stehen bleibend. »Ihr werdet vorzüglich zueinander passen. Auch ist sie nicht mehr in der ersten Jugend und hat, wie mir scheint, manche Lebenserfahrung.«

»Will sie denn deine Frau nicht bei sich sehen? Das wäre doch nur natürlich, wenn du bei ihr verkehrst.«

Viktor schlug plötzlich einen schnelleren Schritt an.

»Ich –« sagte er dann unbehaglich – »ich habe gar nicht von Martha gesprochen. Was geht Rose Marie meine Frau an?«

»Rose Marie?« wiederholte Gregor verwundert.

»So heißt sie. Ein schöner Name, nicht wahr? Ein Name, der auch nicht für jede paßt, für sie indes...«

»Wenn ich dich recht verstanden habe, hast du also deine Frau verleugnet.«

»Verleugnet?« fuhr Viktor geärgert auf. »Ich habe nur nicht von ihr gesprochen, wozu auch? Was sollte ich sagen? Das mag sich mit der Zeit entwickeln. Du kommst also das nächste Mal mit?«

»Hm! Ich werde mir die Sache doch noch sehr überlegen. Übrigens, Röhr ist wieder hier. Unser hartnäckiges Genie hat es doch nicht ausgehalten fern von Madrid. Er wird dich nächstens besuchen.«

»Gut – das soll er nur tun,« entgegnete Viktor gleichgültig; neben der Villa Murner hatte heute abend alles geringes Interesse für ihn. –

Etwa zu derselben Zeit sprach auch Rose Marie von ihrer jüngsten Errungenschaft in dem halb spöttelnden, halb gleichgültigen Ton, den sie in bezug auf junge Männer stets anzuwenden pflegte.

»Nun, Grete, wie gefällt dir dein Ideal? Ich dächte, du solltest mir danken, daß ich es dir in Sehweite gerückt habe.«

Das junge Mädchen, mit dem geräuschlosen Abräumen des Teegeschirrs beschäftigt, während die Herrin des Hauses auf der Chaiselongue ruhte, drehte sich zu der Sprechenden um und sagte:

»Ich hatte ihn mir anders gedacht, Rose! – Reifer!

»Zugegeben – er ist noch sehr jung; indes ist das ein Fehler, den er bald ablegen wird. Wenn er nur nicht diese gräßlichen Simsonslocken tragen wollte! Findest du ihn sonst nicht auffallend hübsch? Mir wäre es wahrhaftig nicht eingefallen, ihn einzuladen, wenn ich nicht mein lebenlang diese Vorliebe für schöne Menschen gehabt hätte.«

»Siehe da, Rose, gestern sagtest du, es geschehe meinetwegen,« rief Grete lachend und trat zu der Liegenden. »Du hattest Mitgefühl mit meiner Schwäche für seine Werke! Das muß ich dir aber sagen, seine Bücher sind mir lieber als er selber.«

Rose Marie richtete sich ein wenig auf dem Ellenbogen in die Hohe. »Ich glaube, mein gutes Kind,« sagte sie, »du stellst zu große Ansprüche an die Menschen. Wie entsetzlich wäre es, wenn wir alle mit der Toga drapiert einherstolzierten. Hat es dich nicht ein klein wenig geärgert, daß ich alte Frau dir so völlig den Rang abgelaufen habe?«

»Das bin ich ja gewöhnt!« Grete strich über Rose Marie's schmale, weiße Hand, »und glaube mir, Rose, ich finde es eigentlich natürlich. Du bist anders, wie wir alle! Dich umgibt eine eigene Atmosphäre, von der ich mir denken kann, daß sie berauschend wirkt, bis – verzeih mir Rose – bis die Ernüchterung kommt; denn im Grunde deines Herzens bist du kalt. Dich interessieren die Menschen, nur so lange sie dir fremd sind, du spielst mit ihnen, modelst sie nach deinem Geschmack, beeinflußt sie derartig, daß sie schließlich nichts anderes mehr sind, als deine Geschöpfe – dann langweilen sie dich, und du wirfst sie fort.«

»Eine so kritische Seele bist du, Grete?« fragte Rose Marie die Augen schließend. »Zugegeben also, du hättest recht – schade ich jemand damit?«

»Doch, Rose, doch! Und weil ich das weiß, deshalb wollte ich dich bitten, ziehe Alten nicht in dein Haus. Laß ihn sich entwickeln, ohne Einfluß deinerseits. Du und er, ihr seid verschieden wie Tag und Nacht, deshalb werdet ihr euch unwillkürlich anziehen, und der Schwächere unterliegt. Das ist natürlich er, denn deine Lebenserfahrungen sind die größeren. In ihm lebt aber ein Funke göttlichen Geistes, um den es schade wäre, würde er zerstört.«

»Kindskopf!« sagte Rose Marie lachend und warf sich wieder rückwärts. »Als ob ich ein Vampir wäre, der den Menschen die Seele aussaugt! Bleibe jeder doch sich selbst treu. Übrigens, Grete, wenn es mich nun noch zuletzt nach einer Romeo-Liebe gelüstete? Wäre das so verwerflich? Man sagt von uns Frauen, wir seien jung, so lange wir geliebt würden; ich hätte beinahe Lust, die Probe auf das Exempel zu machen, denn manchmal komme ich mir schon alt – steinalt vor. Und glaube mir, Grete, geliebt – wahrhaft geliebt wurde ich in meinem langen Leben doch niemals. Sie nehmen immer alle zuviel Rücksicht auf meine Person. Angebetet hat man mich – gehuldigt ist mir worden. – Einmal – einmal vielleicht wurde ich wahrhaft geliebt! – Aber der betreffende tröstete sich bald, und ich glaube recht gründlich. Den Männern liegt einmal die Prosa des täglichen Behagens im Blut! – Mit allem Geist, aller Schönheit und Grazie kommt man nicht auf die Dauer dagegen auf. Jetzt werde ich alt, Grete! – Begreifst du wohl, was es für eine Frau meines Schlages heißt: alt zu werden!« – Sie seufzte tief auf. »Eine Romeoliebe – das wär's, wonach es mich noch gelüstete!«

»Onkel Murner hat dich sehr geliebt, Rose, du wolltest es nur nicht sehen,« begann Grete. »Dein Bestreben war, ihn dir möglichst fernzuhalten. Du warst ungerecht gegen ihn.«

Rose Marie runzelte die Stirn.

»Ja, ja!« sagte sie abwehrend. »Übrigens würde ja meine liebe Schwägerin Anna aus dem Häuschen geraten, wenn sie einen solchen Streich von mir erführe! Denke dir das nur, Grete! – Schon der Gedanke daran kitzelt meine Nerven; das Leben wird ja auch mit der Zeit zu langweilig.«

Grete seufzte still vor sich hin. Sie war wieder an den Teetisch getreten und setzte das Abräumen fort. Wer kannte wohl besser als sie die wunderlichen Widersprüche, die sich in Rose Maries Charakter bargen. Alles Kleinliche lag ihr so fern, aber sie gehörte zu den Naturen, die nichts lassen können, wie es ist, die stets nach Zerstreuung und Beschäftigung jagen. Grete liebte ihre Tante – obwohl die Kommerzienrätin es vorzog, diesem ehrfürchtigen Titel zu entsagen – und sie kamen zur allgemeinen Verwunderung prächtig miteinander aus, aber sie versuchte auch nur selten, wie heute abend, ihr entgegenzutreten. Und das bereute sie auch schon, denn dadurch erst schien Rose Maries achtlos aufgenommenes Spielzeug zur Bedeutung gelangt zu sein.

»Bereite dich also auf schreckliche Dinge vor!« rief Rose Marie jetzt aufspringend und den Arm ihrer Nichte fassend, »Und laß dies gräßliche Aufräumen und Verschließen! Wozu sind denn die Leute da, kleine Pedantin. Gute Nacht, Kind, träume von deinem langlockigen Dichter!«

Sie küßte sie auf die Stirn und verließ das Zimmer, aber noch wach in ihrem Bett liegend, dachte sie:

»Eine Romeoliebe! – Um das Schwinden der Jahre zu vergessen! Was täte das?!« –

In ihrem hellen Zimmer stand Grete am Fenster und sah in die Nacht hinaus. Sie war nicht so ruhig, wie es vorhin im Teezimmer den Anschein gehabt hatte.

Seit sie Viktor Altens Bücher gelesen, bestand zwischen ihr und dem unbekannten Verfasser ein Band, denn selten hatte eine Lektüre sie so ergriffen, so bezaubert. Wie aus einem tiefen Brunnen schöpfte sie Gedanken, Anregung und Kraft daraus. Alles war so rein, lauter und groß, daß dessen Schöpfer ihr in derselben Beleuchtung erschienen war. Wenn sie einsam saß und las, oder auch nur still über seinem Buch träumte, kam es ihr vor, als würde sie durch diesen Verkehr mit ihm besser und nachsichtiger mit ihren Mitmenschen.

Nun sah sie ihn selber! –

Jede Enttäuschung ist schwer zu überwinden. Der Alten, zu dem sie andächtig hinaufgesehen, schrumpfte nun plötzlich zusammen zu einem recht irdischen Menschen, dem der Luxus und der Glanz, der ihre Häuslichkeit umgab, imponierte, der zu Rose Marie hinüberschmachtete und sehr alltägliches Zeug sprach. Nichts hätte ihre Illusion zerstört, weder Häßlichkeit, noch unhöfliche Formlosigkeit oder Eitelkeit, daß er aber so war, gerade so!

Sie wandte sich endlich vom Fenster ab – es nützte ja nichts über etwas Unabänderliches zu grübeln. Sie nahm sich vor, den Verfasser von seinen Werken zu trennen. »Euch werde ich immer lieb behalten,« sagte sie, mit leichter Hand über die Bücher streichend, die auf ihrem Tisch lagen. »Ihr bleibt ja, was ihr gewesen!«

Eine seltene Klarheit und Ruhe lag über der fast schmächtigen Mädchengestalt, an der eigentlich nur die großen, dunklen Augen schön waren. Aber währenddem hörte sie Rose Maries leise, spöttische Stimme, die sagte: »Eine Romeoliebe – herrliche Idee!«

Und wie ein Schatten schwebte ihr das schöne Gesicht des jungen Dichters vor, den zu warnen sie kein Recht hatte.


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