Hedwig Schobert
Künstlerblut
Hedwig Schobert

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XIV.

»Sie nehmen ja meine Nachricht verwünscht kühl auf!« sagte Paul Herbert geärgert und warf seine Zigarette beiseite. »Einen Ersatz für die Zelina – jetzt! Es ist ein enormes Glück. Und schön sage ich Ihnen – schön wie der junge Tag! Dies Weib ist bestrickend! Verführerisch, hinreißend, selbst wenn es gar kein Talent hätte!«

»Aha! Da haben wir des Pudels Kern!« sagte Viktor. »Sie ist schön, schön nach Ihrem Geschmack, das erklärt alles! – Und mein Stück? – Und das Bild, das ich von meiner Hertha habe? Wo bleibt das?«

»Welche Idee! Glauben Sie, daß Hertha die Herzen so entflammen könnte, wie es geschieht, wenn sie häßlich wäre? In der Theorie wird Geist und Witz sehr bewundert, in Wirklichkeit aber macht man sich nicht viel daraus, wenn der Mund, dem beides entspringt, nicht schön genug ist, um ihn zu bewundern. Und dies Weib ist schön – bei Gott, es ist schön!«

»Und eine Gans vermutlich,« rief Viktor wütend, – »ein Papagei, der nachplappert, was man ihm vorspricht. Die Zelina war eine selbstschöpferische Kraft, während diese...«

»Aber um Gottes willen, Mensch, Sie kennen sie ja gar nicht!«

»Mir genügt, was Sie von ihr sagen, vollkommen. Schön! – Schön! – Und nichts weiter. Selbst Ihrer Bewunderung läßt sich nicht einmal das Zugeständnis abringen, sie habe Talent! Und ich, dessen Sinne nicht an diesem Rausch beteiligt sind und deshalb klar bleiben, muß nun sehen, wie mein Geschöpf, das Leben und Blut hat, zerhackt, zerstückelt, als Fratze über die Bretter zieht.«

»Sie sind närrisch,« sagte Paul Herbert ruhig. »Wenn Sie aber glauben, ich lasse mich darauf ein, Ihren Zorn zu besänftigen, dann irren Sie sich. Meine Dispositionen sind fertig, Sie müssen sich darein finden.«

Viktor warf sich auf die Chaiselongue und starrte vor sich hin.

»Wenn ich an den dritten Akt denke – an den Schrei der Zelina, der uns durch Mark und Bein ging...«

»Ach bester Freund, fangen Sie nicht wieder an! Die Norden wird auch schreien. – Außerdem haben wir noch genug Proben, da können Sie ihr so viel Blut und Leben einimpfen wie Sie wollen.«

Alten schüttelte den Kopf.

»Ich wollte Ihnen eben sagen, daß ich nicht mehr komme, machen Sie wie Sie wollen; putzen Sie Ihre Puppe so schön heraus, wie Sie können, wenn Sie davon einen Erfolg erhoffen. Ich bin nervös – abgespannt – gereizt. Vielleicht geriete ich noch in Konflikt mit ihrer Schönheit. Mag sie aus meiner Hertha machen, was sie will, ich opfere sie ihr, wie Abraham seinen Sohn. Nur sehen will ich nichts davon. Das Fehlen der Zelina ist mir sehr nahe gegangen, sie traf so ganz meine Absichten, ihrer Nachfolgerin würde ich ungerecht begegnen, und schließlich – erreichte ich nicht einmal etwas, denn Sie, Herbert, scheinen mir völlig vernarrt zu sein.«

»Weiß Gott, das bin ich! Ihnen kann das übrigens nur recht sein, denn ich werde meine Rolle mit all dem Feuer spielen, das immer noch in diesen Adern rollt. Sie soll mir nicht widerstehen.«

»Na, meinen Segen haben Sie,« sagte Viktor Alten, sich lachend erhebend. »Kurioser Kauz, der Sie sind! Weiberverächter, und daneben der erste Diener der Venus. Ich weiß zur Genüge, was hinter äußerer Schönheit steckt! Für mich müssen es die Frauen hier und hier haben,« – er deutete mit der Hand auf Stirn und Herz – »aber über Geschmack läßt sich nicht streiten.«

Ein schnelles, zynisches Lächeln überflog das Gesicht des Schauspielers, in den dämonischen Augen lag eine ganze Welt unausgesprochener Bemerkungen. –

Mißgestimmt ging Viktor zu Rose Marie. Hier fand er stets Verständnis. Diese Freundschaft war ihm so zur zweiten Natur geworden, daß er sie wie etwas Selbstverständliches hinnahm. Es war ihm Bedürfnis, Annehmlichkeiten, Mutlosigkeit und Begeisterung mit ihr zu teilen, und er verschwendete keinen Gedanken mehr an den Keim eines Gefühls, das seit Jahren von beiden gepflegt, den Menschen zu trotzen wagte, und sie immer fester umspann.

Übrigens hielt Viktor Wort. – Er kam auf keine Probe mehr, und als er von dem Eintreffen der jungen Schauspielerin erfuhr, sagte er seufzend zu der Kommerzienrätin: »Niemand kann seinem Schicksal entgehen! Ich weiß, daß mir diese Hertha nicht gefallen wird, aber ich muß stille halten.« –

Eines Vormittags ließ sich Graf Gilsach bei seiner Cousine melden. Er kam erregter als es in seiner Art lag.

»Was ist Ruprecht?« fragte Rose Marie sofort, als sie ihn sah.

Er lachte verlegen.

»Trage ich etwa ein Kennzeichen an der Stirn, daß du mich gleich so überfällst?«

»Nein, aber ich kenne dich genügend, um zu wissen, daß du augenblicklich nicht völlig im Geleise bist.«

»Nun denn, weiseste aller Cousinen, du hast diesmal recht.« Er setzte sich in den Sessel, dem Licht den Rücken drehend. »Ich bin ganz verwirrt ,– erstaunt – Gott weiß was noch alles!«

»Angenehm?« fragte sie lakonisch.

Er schwieg eine Weile, dann stand er hastig auf.

»Ja!« sagte er etwas gewaltsam.

Sie sagte nichts, für den vetterlichen Grafen fühlte sie nur geringes Interesse; ihn aber drängte es offenbar, sie zu seiner Vertrauten zu machen. Er trat mit dem Gesicht vor ein Achenbachsches Seestück, so daß er völlig von ihren Augen gedeckt war, und sich den Anschein gebend, als betrachte er aufmerksam das Gemälde, sagte er nebenher:

»Waren wir nicht immer vollständig d'accord in unserer Auffassung über den Wert der Liebe, Rose Marie?«

Sie hob schnell den Kopf. Was wollte er? Kam er ihr etwa wieder mit Alten?

»Ich glaube ja!« sagte sie reserviert, »Und doch fürchte ich, hatten wir Unrecht; es gibt Liebe.« Er näherte sein Gesicht noch mehr dem goldenen Rahmen und sah ihr Erstaunen nicht.

»Wer hat meinen ungläubigen Vetter bekehrt?« fragte sie.

Nun drehte er sich um. Ohne Monokel, mit der Farbe auf den bleichen Wangen, hatte er etwas von seinem hochmütigen Air abgelegt und berührte sie jung und fremd. Unwillkürlich nahm sie Interesse an dem sich ihr entschleiernden Herzensroman. Aber trotzdem lachte sie, »Ruprecht, du! du! Du könntest dich wirklich noch so weit aufschwingen, daß du Liebe empfändest?«

»Nicht wahr, ich sehe nicht darnach aus!« fragte er resigniert.

»Bei Gott nicht! Aber schließlich sind ja Herz und Gesicht getrennte Dinge.«

»Du hast recht, wenn du spottest, Rose Marie, ich komme mir selbst vor, als gehöre ich nicht mehr in die Haut eines Verliebten; aber es läßt sich nicht ändern. Sie ist hier – ich habe sie wiedergesehen – alle die alten Gefühle, die mich aus K. vertrieben, sind noch stärker wieder erwacht – und darum komme ich zu dir.«

»Ich? Was soll ich dabei?« fragte sie verwundert.

»Dich ihrer annehmen, beste Rose Marie.«

Mit starrem Hochmut hob sie den Kopf.

»Du scheinst mir nicht recht bei Sinnen, Ruprecht. – Was kümmern mich deine Liaisons.«

Er setzte sich ihr gegenüber.

»Für so taktlos kannst du mich halten? Von einer Liaison ist natürlich keine Rede! Dies Mädchen ist rein und unberührt wie eine Rosenknospe! Schön! – ach ich sage dir – wunderschön! Aus bester Familie, aber – ihr Frauen habt einmal eine gewisse Voreingenommenheit gegen Bühnenkünstlerinnen, nicht wahr?«

»Ja!« sagte sie mit Überzeugung. »Wie kann ein Weib, das mitten in der Brandung der Versuchung steht, unter allen Verhältnissen für sich gut sagen? Entweder ist ihr Charakter kleinlich, dann kann sie nichts leisten, oder sie ist Künstlerin, dann wird sie die lächerlich engen Grenzen des Erlaubten überschreiten. Wer darf ihr daraus einen Vorwurf machen?«

»Du würdest also meine Bitte nicht erfüllen und sie bei dir empfangen?«

Rose Marie wurde plötzlich unbehaglich.

»Wer ist denn eigentlich dies namenlose Geschöpf, wenn es dich nicht geniert, das zu verraten, Cousin.«

»Martha von Norden, die neu engagierte Schauspielerin des dramatischen Theaters; ich sah sie vor einer Stunde zum erstenmal und erfuhr von ihrem Engagement bei Herbert.« Rose Marie ließ vor Überraschung das Buch zu Boden fallen, mit dem sie gespielt hatte.

»Altens Hertha!« sagte sie betroffen.

Graf Ruprecht ging inzwischen langsam im Boudoir auf und ab.

»Hältst du mich für einen Knaben?« fragte er plötzlich. »Für ein Kind, das noch nicht imstande ist, sich über seine Gefühle klar zu sein?«

Sie lächelte doch.

»Weiß Gott, nein!«

»Ich liebe dieses Mädchen. Sie hat es mir angetan mit ihrem großäugigen Kindergesicht! Ihr gegenüber wäre ich schwach genug, eine Dummheit zu begehen! Weil ich das damals schon fühlte, verließ ich K. Das Schicksal stellt sie mir aufs neue in den Weg. Du magst recht haben, daß wir nur dann liberale Aristokraten sein können, sobald es sich um ein objektives Urteil handelt; das noli me tangere für unsere eigenen Namen liegt uns im Blut, wir kommen nicht so leicht darüber hinaus! – Aber einer Chimäre halber aufgeben, was menschlich glücklich macht ... Du denkst doch ebenso wie ich, daß der Name eigentlich nichts weiter ist als eine Chimäre.« –

Rose Marie hob abwehrend beide Hände.

»Armer Ruprecht,« sagte sie mitleidig, »höre auf, mir zu versichern, was du doch selbst nicht glaubst! Ich kenne diese Kämpfe aus eigener Erfahrung! Dies Sichauflehnen gegen etwas Bestehendes, Traditionelles, – wer hätte wohl jemals mehr darunter gelitten als ich! – – – Übrigens,« fuhr sie in ihrem alten, leichten Ton fort, »ereifern wir uns unnütz! Ich werde natürlich die Bekanntschaft der Norden suchen – merkwürdig, wie aufdringlich sich dieses Mädchen mir seit Wochen in den Weg stellt! – Erst Alten – nun du! Und dann sollst du mein Urteil hören. Wir Frauen blicken tiefer und schärfer, wo es sich, um unser eigenes Geschlecht handelt, als ihr. – Vielleicht bekämpfen wir schließlich vereint die Chimäre. Ich bin zu vielem fähig, das weißt du ja, Ruprecht.«

»Meine gute, kluge Rose!« sagte er, und küßte dankbar ihre Hand.

»Gut! Klug!« Sie seufzte melancholisch. »Bringen mir etwa die Jahre diese Prädikate ein? Früher nannte man mich anders! Ach, Ruprecht, du hast keine Ahnung davon, wie töricht ich noch sein kann.« –


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