Hedwig Schobert
Künstlerblut
Hedwig Schobert

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XIII.

Die Proben waren in vollem Gange.

Kein einziger der Schauspieler, der nicht seine Rolle mit Lust und Liebe erfaßt und durchgeführt hätte.

In dem dunklen, öden Theaterraum, dessen Luft sich Viktor Alten zum erstenmal beklemmend auf die Lungen gelegt hatte, saß er fast täglich dicht an der Rampe, deren Lampen die Bühne nur notdürftig erhellten und sah auf das allmählich zum Leben erwachende Stück. Anfangs mit Sorgen und dem dumpfen Unbehagen des Künstlers, der sein fertiges Werk noch einmal zerstückelt und mühsam erst wieder entstehen sieht, dann mit Zuversicht und wachsendem Selbstbewußtsein.

Er war ein sehr anspruchsvoller Autor, und Regisseur wie Schauspieler konnten ihm selten genug tun. Eigensinnig und fest auf seinem Willen beharrend, wie er in allem war, zeigte er sich auch hier; aber da man ihn allgemein kannte und als Menschen gern hatte, fügte man sich ihm willig.

Paul Herbert, der sich trotz seiner Direktion die Rolle des Liebhabers nicht entgehen ließ, war ganz entzückt von dem Aufschwung, den das Stück allmählich nahm und schüttelte dem jungen Autor die Hand. Der selbst hatte alle seine Skrupel vergessen, seitdem die modernen Menschen lebenswarm, handelnd und fühlend vor ihm standen. Die Ähnlichkeit mit Martin Rohrs Alkante verschwand fast spurlos, und ohne diese Last auf der Seele fühlte er sich so leicht, frei und glücklich, so stolz auf das geschaffene Werk, daß er mit keinem König getauscht hätte.

An einem Vormittag, an dem die herbstliche Kühle zum erstenmal in Kälte umgeschlagen war, schlug er den Weg zum Theater wieder ein. In Gedanken erwog er einige Änderungen am Schluß des dritten Aktes, die er Herbert vorschlagen wollte, als er diesen auf dem Trottoir stehen und dann sich eilig entgegenkommen sah. Das war etwas Ungewöhnliches, um so mehr, als die Probe längst begonnen haben mußte.

»Machen Sie sich auf eine höchst unangenehme Nachricht gefaßt, Alten,« rief er ihm entgegen. »Ein Ereignis, das unsre ganze Premiere in Frage stellt!«

Viktor fuhr zusammen. Welch eine Klippe konnte sich ihm, so nahe am Ziel, in den Weg schieben?

»Was ist geschehen, Herbert.«

»Die Zelina krank – ernstlich – der Arzt konstatierte Lungenentzündung. Von einem baldigen Auftreten kann also vorläufig gar keine Rede sein.«

»Die Zelina!« sagte Viktor traurig.

Er schätzte das Können der Schauspielerin so hoch, daß ihm im ersten Augenblick jeder Gedanke an Ersatz fern blieb. Wie wunderbar hatte sie die Rolle der Hertha erfaßt, wie großartig durchgeführt! Und das Publikum hing an seinem Liebling, ihr Name allein genügte schon, um einem Stück ein gewisses Relief zu geben.

»Wenn sie monatelang krank liegen oder gar sterben sollte!« rief Herbert erregt, »denken Sie nur, den Verlust für mich. An ihrer Stelle eine zweite Kraft einzuschieben, ist doch mindestens sehr gewagt. Auch habe ich keine, die für die Hertha passen würde.«

»Warten wir!« sagte Viktor resigniert.

Sie warteten, aber die Nachrichten aus dem Krankenzimmer der Schauspielerin wurden immer hoffnungsloser, und das am Anfang der Saison.

»Ich habe mich an alle Agenten um Ersatz gewandt,« sagte Herbert einige Wochen später. »Endlich hat man mir jemand in Vorschlag gebracht, ich reise noch heute mittag nach K.«

Er reiste. – Man gab kein hervorragendes Stück am Hoftheater in K., und die zweite Liebhaberin hatte keine hervorragende Rolle darin. Trotzdem war Direktor Herberts Entschluß sofort gefaßt.

»Wo habe ich nur dies reizende, großäugige Kindergesicht schon einmal gesehen!« dachte er, sein Gedächtnis vergeblich anstrengend. »Allein mit ihrer Schönheit würde sie schon reüssieren, aber sie besitzt auch Talent, Temperament –« und er studierte wieder den Theaterzettel, der ihm so gar nichts verraten wollte. »Martha von Norden,« stand darauf.

Im Zwischenakt suchte er sie hinter den Kulissen auf, und da, als sie ihm nun gegenüberstand, als er den Blick der strahlenden blauen Augen auf sich gerichtet sah und ein leises Zusammenzucken an ihr wahrnahm, da kam ihm plötzlich wie ein Blitz die Erinnerung, nach der er so lange vergeblich gesucht hatte.

»Schöne Frau!« rief er überrascht und faßte hastig ihre Hand. »So sehen wir uns wieder!«

Sie legte den Zeigefinger an die roten Lippen.

»Verraten Sie mich nicht, ich bin hier Fräulein von Norden, mein Mädchenname. – Die Zeit meiner Ehe habe ich vergessen.«

»Wenn Sie wüßten,« flüsterte er, durch ihre Schönheit plötzlich wieder zu heller Begeisterung entflammt, »wie entzückend Sie geworden sind! Aber der Platz, auf dem Sie hier stehen, paßt nicht für Sie, kommen Sie zu mir, in mein Theater, das aus Ihnen im Reich der Kunst eine Königin machen wird.«

Marthas Augen flammten auf. Zurück in ihre Vaterstadt, in die Residenz, dort gefeiert, berühmt werden – das war doch ein Endziel ihres Strebens! Die Erste an einer bedeutenden Bühne, sie wußte recht gut, was das hieß – und ihr Herz begann ungestüm zu klopfen.

»Ist das Ihr Ernst?« fragte sie und sah ihn lange an.

»Sie sollen die Probe darauf machen. Ich bitte nur um die Ehre, nach der Vorstellung mit Ihnen soupieren zu dürfen!«

Die Klingel des Inspizienten ertönte.

»Zugestanden!« sagte sie eilig mit ihrem kokettesten Lächeln, »aber da ich den Geschmack an soupers à deux seit meiner Ehe verloren habe, müssen Sie sich auf drei gefaßt machen.« –

»Ohne mein treues Pudelchen tue ich keinen Schritt, das wissen Sie ja,« sagte Martha lachend zu Gregor, als der Vorhang zum letztenmal gefallen, und sie die Garderobentür schon in der Hand hatte, um sich umzukleiden. »Aber überlegen Sie einmal, Gregor, ob die Sache nicht annehmbar ist.«

Er strich sich in alter Weise die Haare an dem fast kahlen Schädel. »Natürlich – nur...«

»Ihre Einwendungen machen Sie gütigst dem Direktor selbst,« rief sie lachend und schlüpfte in die Tür.

Eine Stunde später saßen sie zu dreien in einem abgeschlossenen Zimmer und erwogen mit Ernst und Eifer das Engagement der doch immerhin noch ziemlich unerfahrenen Bühnenkünstlerin.

»Haben Sie keine Furcht vor den großen Aufgaben, die an Sie herantreten werden?« fragte Paul Herbert und sah in das bildschöne Gesicht, das sich von dem dunklen Seidenkleid ebenso entzückend abhob, wie vorher aus der hellen Umrahmung.

»Nein!« sagte sie mit einem Selbstbewußtsein, das ihrer innersten Natur entsprang und deshalb überzeugend wirkte.

»Sie sind als Frau so schön, daß selbst ein kleines Manko als Künstlerin Ihnen zu verzeihen wäre.«

Martha sprang auf, es war als schnelle sie etwas Unsichtbares mit Federkraft in die Höhe. Ihre Augen blitzten, die seinen Nasenflügel zitterten. »Zuerst bin ich Künstlerin – dann erst Frau!« sagte sie energisch. »Das werden Sie erkennen, sobald die Gelegenheit dazu da ist.«

Hingerissen streckte der Direktor ihr beide Hände entgegen. »Die ist da, schlagen Sie nur ein!«

Sie legte die ihrigen hinein und sah mit lächelndem Seitenblick nach Gregor, der Kügelchen aus seinem Weißbrot drehte.

»Ich werde meinen eigenen Wünschen nie widerstreben, das wäre ja einfältig. Packen wir also unsere Koffer und reisen wir. Nicht, alter Freund?«

»Packen wir unsere Koffer und reisen wir,« wiederholte Gregor grämlich, aber ohne alle Einwendungen. –

Eine ausgelassene Stimmung hatte sich Marthas bemächtigt, als sich ihr für die Zukunft goldene Brücken ohne ihr Zutun bauten. Aber plötzlich fiel ein Name, der ihr den Mund verschloß.

»Wie nannten Sie den Verfasser Ihrer Novität?« fragte da Gregor, und zeigte zum ersten Male Anteil an dem Gespräch, dem er bisher als schweigender Zuhörer beigewohnt hatte.

»Alten, Viktor Alten! Ein Mann von ebenso großem Talent wie Geist und Verständnis für das, was unserer Zeit gefällt. Von den Frauen der Gesellschaft verhätschelt, wird er eine kolossale Karriere machen, sobald sein Drama mit Erfolg über die Bretter gegangen ist. Kennen Sie ihn etwa?«

»Nein!« sagte Gregor schroff.

»Die beiden Hauptrollen sind großartig, und ich denke, er kann sich keine besseren Interpreten wünschen, als uns beide,« sagte Herbert und bog sich zu Martha. »Wir werden unser Bestes tun, nicht wahr? Schon um der armen Herzen willen, die an dem Abend für unseren Autor zittern.«

Ein eigentümliches Lächeln zog um Marthas Mund. »Vielleicht!« sagte sie gedankenvoll, ohne aufzusehen.

»Sie wollen, Martha?« – fragte Gregor und sah sie an.

Da hob sie den Kopf, ein blitzartiges Funkeln brach aus ihren Augen, Triumph zuckte um ihre Nasenflügel.

»Ich will!« sagte sie, nicht laut, aber mit einem seltsam metallischen Klang in der Stimme. »Schicken Sie mir nur die Rolle gleich, lieber Direktor.« –

Erst am nächsten Morgen, als sich die junge Frau und ihr alter Freund wiedersahen, sprachen sie ausführlicher.

»Er ist also ein berühmter Mann geworden,« sagte Martha.

»Das war voraus zu sehen.«

»Vorauszusehen, nach seinen damaligen Mißerfolgen?«

»Bah! Die Welt dreht sich; was heut unten liegt kommt morgen obenauf. Die Weiber haben sich für ihn ins Zeug gelegt.«

Martha lächelte, »Und für mich die Männer. Es war eben zu unserm Glück notwendig, daß wir uns trennten.«

»Gut, daß Sie selbst das berühren, Martha,« begann Gregor und nahm seinen Dauerlauf im Zimmer wieder auf, wie stets, wenn ihn etwas beschäftigte. »Haben Sie darüber nachgedacht, wie sich Ihre Existenz am dramatischen Theater gestalten soll, wenn Sie dort erste Liebhaberin sind, und Ihr gewesener Gatte Autor? – Sie sind nicht geschieden.«

»Aber so weit getrennt, als lägen Himmel und Erde zwischen uns,« sagte sie. »Übrigens steht einer Scheidung nichts im Wege – ich wünsche sie sogar.«

»Sie vergessen nur eine Kleinigkeit – das Gesetz. Woraufhin wollen Sie geschieden werden?«

Sie lachte. »Das ist mir gleichgültig! Ich versichere Sie, Gregor – mit oder ohne Gesetz, unsere Bahnen werden sich nie mehr kreuzen. Viktor Alten! Wie der Name ohne irgend einen Wiederhall in mein Ohr klingt! War er nicht mein Mann? Ich muß mich ordentlich darauf besinnen.«

»Sie sind herzlos, Martha,« sagte Gregor.

Sie warf sich in den Sessel.

»Herzlos?! Möglich – falls Sie es so verstehen wollen wie ich. Ich bin nicht fähig, mein ganzes Sinnen an einen Menschen zu hängen, nur des Herzens halber; es kommt mir fast komisch vor, jemand zum Herrn über mich zu machen, von dem ich nicht einmal weiß, wie lange die Fähigkeit für ihn zu empfinden, dauert! Ich bin ich! Mir gehört meine Kunst und meine Schönheit, das ist mir genug! – Es muß auch Frauen geben, die ihren Wert kennen, und deren Blut ruhig genug fließt, um das nicht zu vergessen. Die schlechte Rasse, die meine Großmutter in dem Blut meiner Mutter fand, muß doch nicht ganz so verwerflich gewesen sein!«

Stillschweigend hielt er ihr einen kleinen Handspiegel vor die Augen und schüttelte den Kopf. So klug er sonst sein mochte, die Frauen verstand er wenig.

»Häßlicher bin ich nicht geworden,« sagte Martha nachdenklich, im Anschauen vertieft. »Das freut mich in diesem Augenblick mehr denn je.«

Er legte den Spiegel fort.

»Sie werden bewundert, umschwärmt, geliebt werden, wie hier, Martha,« sagte er mit einem Seufzer. »Kind! Kommt Ihnen nie die Schalheit dieser Dinge zum Bewußtsein?«

Sie warf die Arme in die Luft. »Ich müßte sterben ohne sie!« rief sie. »Sie sind nur Lebensbedürfnis wie die Luft, und deshalb habe ich ein Anrecht daran!«

Er konnte sich nicht zufrieden geben.

»Ich würde Herberts Anerbieten ablehnen, Martha. Sein Interesse gilt in gleichem Maße der Frau, wie der Schauspielerin.«

»Selbstverständlich! Wollten Sie, es wäre anders?«

»Und dazwischen Alten mit seiner Gesellschaft.«

Sie schnellte auf und sprang ihm in den Weg.

»Aber verstehen Sie mich denn gar nicht? Begreifen Sie wirklich nicht, Gregor?« rief sie mit funkelnden Augen. »Das will ich ja gerade! Das! – Ihm gegenüberstehen als die, die ich aus eigener Kraft geworden bin, umschwärmt, erkannt, geliebt! Ihm dann sagen zu können: sieh her – das bin ich, – das schlummerte in mir, aber anstatt den dunklen Drang zu wecken, zu leiten, mir Berater und Führer zu sein, tratest du ihn mit Füßen. – Ich erreichte alles ohne dich! – Eine Sklavin wolltest du, und eine Frau war ich, gleichberechtigt im Fühlen und Wollen, wenn auch dir nicht verwandt. – Achten mußt du mich nun, gegen deinen Willen mir gerecht werden. – Liebe, die erlasse ich dir freilich – und gern!«

»Ist das wahr, Martha?« fragte Gregor, und ein Blick streifte das schöne, erregte Gesicht.

Sie lachte laut und fröhlich.

»Gregor, Sie alter Idealist! Ja, ich glaube, daß selbst Liebe sterben kann! Aber habe ich ihn denn je geliebt? Kann ein Mädchen von sechzehn Jahren, dem jeder Vergleich fehlt, unbewußtes Suchen nach einem Halt Liebe nennen? Im Grunde genommen waren nur Sie schuld daran! Sie sprachen von dem was er verdienen würde, und ich war arm...«

»Vielleicht hätten Sie selbst mich genommen unter den Voraussetzungen,« fragte er ingrimmig.

Sie lachte ausgelassen.

»Ich glaube doch nicht. – Denken Sie nur – einen Bräutigam mit grauen Haaren! Ich hätte mich ja vor der Lene geschämt!«

»Was diese Mädchenseelen doch für außerordentlich klug besaitete Instrumente sind! Schade, daß es nur niemand weiß!« fiel er ihr spöttisch in das Wort.

»Reden wir jetzt vernünftig, alter Freund! Ich gebe die Hertha in »Im Zeichen der Zeit«, sobald als möglich möchte ich abreisen. Ordnen Sie hier alles möglichst glimpflich, Gregor.«


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