Hedwig Schobert
Künstlerblut
Hedwig Schobert

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XVI.

Aufgeregt ging Rose Marie durch die erleuchteten, sich allmählich mit Gästen füllenden Räume ihrer Wohnung.

All ihr Denken, die feinsten Fasern ihres Empfindens konzentrierten sich in diesem Augenblick in atemlosem Warten auf ihn, dem sie so viel – so unendlich viel sagen wollte! – Seit er die Bühne betreten, hatte sie ihn nicht wieder gesehen. Aber wie er dastand, schlank, hochaufgerichtet, mit dem farblosen Gesicht und den wunderbaren Dichteraugen, da wußte sie, so würde sie ihn in ihrem ganzen Leben nicht wieder vergessen.

Die Menschen um sie herum brachten sie zur Verzweiflung; es war als hätten sich alle das Wort gegeben sie zu peinigen und in Anspruch zu nehmen. Nicht einen Augenblick hatte sie sich selbst gehört, seitdem der Erfolg des Stückes entschieden war.

Schon in der Garderobe hatten die Eingeladenen sie mit ihren Glückwünschen umdrängt, und da Viktors Platz in ihrem Wagen freiblieb, – denn so lange sie auch absichtlich gezögert, das Theater zu verlassen, er kam nicht – wurde auch dieser von Füßlein okkupiert; ein freies, erholendes Wort mit Grete zu wechseln war ihr dadurch auch verwehrt.

Füßlein, der die Theaterkritiken der Zeitung selbst schrieb, hatte Eile in seine Redaktion zu kommen, damit der staunenden Welt am nächsten Morgen schon das große literarische Ereignis des Abends bekannt wurde; denn je eher dort seine Arbeit erledigt war, desto größere Aussicht hatte er, bei der vorzüglichen Küche der Kommerzienrätin nicht allzu kurz zu kommen. Dennoch war er pflichttreu genug das nicht als Maßstab an seine Begeisterung zu legen, und Rose Marie hatte hinreichend Grund, mit dem was sie im Wagen zu hören bekam, zufrieden zu sein.

Vor der Redaktion angekommen, sprang Füßlein eilig aus dem Wagen – Rose Marie hatte diesen kleinen Umweg nicht gescheut – und nun, nachdem der beredte Mund verstummt war, schwiegen die übrigen so hartnäckig, mit solchem Behagen, daß sie auffuhren, als der Wagen vor der Villa hielt.

Rose Maries erster Blick, erste Frage galt Alten. Noch war er nicht da.

Sie begriff, daß Herbert ihn zurückhielt, daß er der Norden seinen Dank aussprach, daß man ihn festhielt, wo es nur anging, aber das Begreifen schloß den Schmerz nicht aus, daß er ihr nun nicht mehr das sein würde, was er bisher gewesen. Ihr Stück – das Band, das sie gemeinsam gehalten, war nicht mehr ihr ausschließliches Eigentum. Der Öffentlichkeit hatten sie es abgetreten, und die Öffentlichkeit stellte nun auch ihre Anforderungen an den Schöpfer. Er konnte sich dem nicht entziehen – er durfte es nicht – und sie mußte sich darein finden.

Aber schwer wurde es ihr schon in der ersten Stunde.

Eine namenlose Unruhe quälte sie und trieb sie rastlos von Gruppe zu Gruppe, in den Speisesaal, in den Wintergarten – – da entdeckte sie ihn. Hinter einer Gruppe großblättriger Juccapflanzen, saß er still und in sich versunken da. Fast hätte sie aufgeschrien vor Freude.

Alten hob den Kopf und sah sie an.

Alles was sie ihm hatte sagen wollen, verschwand in diesem Augenblick aus ihrem Gedächtnis. Alles! – Sie hatte nur noch das Empfinden eines grenzenlosen Glückes in seiner Nähe. – Sie, die niemals ein Gefühl mehr wie oberflächlich hatte Herr über sich werden lassen, so lange sie noch jung war, fand keine Kraft in sich, diesmal zu widerstehen. Stumm – wortlos – totenbleich sah sie in sein Gesicht. Dann sagte sie leise:

»Die Menschen sind viel zu kleinlich, um einen Begriff von dem zu haben, was heute in unserer Seele vorgegangen ist, Viktor, nicht wahr?«

»Ich danke Ihnen tausendmal für Ihre Teilnahme, Rose,« sagte er bewegt und drückte ihre Hand an seinen Mund.

Es klang trotzdem kühler als sie erwartet hatte. Teilnahme! Liebe sollte er sagen und damit zugleich beweisen, daß er dasselbe empfand wie sie. – Teilnahme! Die hatten alle für ihn.

Der rosige Schimmer auf ihren Wangen erlosch, sanft, aber unwiderstehlich zog sie ihre Hand aus seinen Händen, die sie fest umschlossen hielten. Das Lächeln, das sie auf ihren Lippen festhielt, hatte den Glanz verloren.

»Ich werde Sie jetzt mit aller Welt teilen müssen,« sagte sie resigniert und schob an den juwelenbesetzten Armreifen hin und her. »Das könnte mich fast traurig machen, wenn es nicht für Sie so durchaus nötig wäre. Sie wissen, die Menge hat die Macht! Aber nicht wahr, Viktor, zuweilen teilen Sie noch Ihre Seele mit mir, damit sich die meine nicht so ganz vereinsamt fühlt.«

»O Rose! immer! immer!« rief er warm. »Glauben Sie, ich wäre ein Undankbarer, daß ich je vergessen könnte, was Sie für mich getan?«

Sie schüttelte heftig den Kopf.

»Nur keine Dankbarkeitsschuld!« sagte sie abwehrend.

Na trat Grete in den Wintergarten und sah sich suchend um.

»Rose Marie!« rief sie.

Die Kommerzienrätin bog die breiten Blätter etwas auseinander.

»Hier bin ich, Kind.«

»Fräulein von Norden und der Direktor sind eben angekommen.«

»Gleich! Gleich!«

»Ich hoffe, das habe ich gut gemacht, Alten. Sie müssen der Norden doch Ihre Anerkennung aussprechen und gleichzeitig von Ihrer Voreingenommenheit gegen sie geheilt werden. Ich setze voraus, daß Sie sehr liebenswürdig sein werden!«

Sie ergriff Gretes Arm und ging in die Gesellschaftsräume zurück, ohne Viktor zu ihrer Begleitung aufzufordern. Es war ja nicht nötig, daß man sie zusammen vermißt hatte.

Im zweiten Zimmer blieb sie stehen und warf einen forschenden Blick in ihrer Nichte Gesicht.

»Du siehst gar nicht gut aus, Grete!« sagte sie mißbilligend. »Blaß, elend und unvorteilhaft. Ehe wir zum Souper gehen, lege ein wenig Rot auf, hörst du?«

Grete hob die dunklen Augen und sah die Sprecherin ernsthaft an.

»Wozu?« fragte sie.

»Weil wir Frauen die Pflicht haben, stets so gut als möglich auszusehen.«

»Nu vielleicht, Rose, für mich erkenne ich diese Pflicht nicht an.«

Die Kommerzienrätin fuhr mit der Hand an die Ohren.

»Gut, gut! Wie du willst,« sagte sie übellaunig. »Wundere dich dann aber auch nicht, wenn sich niemand für dich interessiert.«

»Du weißt wie gleichgültig mir das ist.«

»In Gottesnamen!« sagte sie die Achseln zuckend. »Auf diesem Gebiet werden wir uns ja niemals verstehen, Grete.«

Und sie ließ ihre Nichte los und trat schön und strahlend in den Kreis, der sich um die Neuangekommenen gebildet hatte.

Noch immer saß Viktor einsam im Wintergarten und hätte diesen Platz am liebsten gar nicht verlassen.

Aus der sich nach rechts ausdehnenden Zimmerflucht drang dumpfes Stimmengemurmel; obgleich die Türen geöffnet waren, mußten doch die Nebenzimmer leer sein. Natürlich, alles drängte sich um die neuen Gäste, um Martha! Daß Rose Marie ihm das angetan hatte!

Freilich, sie hatte ja keine Ahnung von den Beziehungen zwischen ihnen beiden; aber wenn sie es gewußt hätte!...

Das monotone Wasserrauschen, die feuchte warme Luft des Wintergartens waren auch nicht geeignet, sein Blut zu beruhigen, und so begab er sich zu der Gesellschaft zurück.

Rose Marie und Martha standen nebeneinander. Erstere groß, schlank, in ihr weißes Kleid wie in einen Schleier gehüllt, fast ohne Schmuck und dennoch einer Königin ähnlich. Martha, um mindestens einen halben Kopf kleiner, üppig, mit einem mutwilligen Triumphlächeln auf dem großäugigen, rosigen Gesichtchen, auffallend gekleidet, umfunkelt von den schimmernden Strahlen ihrer Brillanten, aber unsäglich reizend in ihrer Schönheit und Anmut.

Viktor Alten kam langsam näher, die Augen auf sie gerichtet. Wie jung sie noch war. Wie glatt und sammetweich ihre Haut!

Herbert winkte ihm von ferne schon grüßend mit der Hand. Rose Marie wandte sich um, alle sahen sie ihm entgegen, auch Martha.

»Ich freue mich, Sie miteinander bekannt machen zu können,« sagte Rose Marie, ihn zu Martha führend. »Ein großer Dichter und seine große Schauspielerin! – Was könnte sich wohl mit mehr Sympathie begegnen. Einer hat den andern bewundern gelernt, schon vor der ersten Bekanntschaft.«

Alten verbeugte sich tief. Einen Augenblick versagte ihm Stimme und Atem. »In der Tat, mein Fräulein, die Rolle, in der ich Sie hier auftreten sah, hat mich aufs äußerste überrascht; ich mache Ihnen mein Kompliment,« sagte er, sich gewaltsam beherrschend.

Ihre Augen streiften ihn, ein etwas spöttisches Lächeln umzuckte ihren Mund.

»Sie hielten mich wohl nicht für begabt genug dazu.«

»Nein,« sagte er kurz, fast unhöflich.

»Desto größeren Wert lege ich auf Ihre endliche Anerkennung.« Sie lachte ihm jetzt geradezu in das Gesicht, und sein Groll stieg gewaltig unter der ungenierten, fast herausfordernden Manier, in der sie ihn behandelte.

»Jeder Erfolg hat sein Recht.«

Eine feine Falte furchte seine Stirn, dies banale Gespräch mit den versteckten Stacheln, das er hier vor den anderen führen mußte, brachte ihn fast außer sich.

»Man darf ihn wenigstens nicht ungestraft angreifen!«

Jetzt lag es wie feindselige Drohung in dem großäugigen Gesicht; o, wie genau er doch den Ausdruck kannte! Sie fürchtete ihn also, sie wußte, daß er noch Macht über sie besaß, die er geltend machen konnte nach Belieben. Ihn stehen lassend, hatte sie sich dem Grafen Gilsach zugewandt, dessen Augen unverwandt an ihr hingen, aber ihre herausfordernde Gleichgültigkeit hatte er wenigstens für den Moment erschüttert, und das freute ihn.

Paul Herbert legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Ich höre natürlich kein Wort von Ihnen! – Wo Mann und Weib um die Palme ringen, schlägt das schwächere Geschlecht uns selbstverständlich meilenweit, und man kann noch nicht einmal so unhöflich sein, sich darüber zu ärgern.« Viktor sah ihn erstaunt an, er hatte also von der ganzen Sachlage keine Ahnung und einen Augenblick hatte Viktor nicht übel Lust loszulachen, dann besann er sich jedoch eines anderen. Er senkte die Stimme etwas.

»Bester Herbert, wie können Sie nur dergleichen äußern! Macht es Ihnen Scherz, sich selbst herabzusetzen? Ihr Spiel war unübertrefflich,! Kein Wunder, daß Sie die Norden mit emporrissen.«

Er sah sich nicht um, aber er setzte voraus, daß es Martha mit ihren scharfen Ohren gehört hatte, um so wenigstens einen Wermutstropfen in dem ihr kredenzten Freudenbecher zu finden. Das gönnte er ihr, das wollte er gerade, denn ihre kokette, etwas laute Art, in der sie mit dem Grafen scherzte, ließ ihn selbst ein Gefühl von Haß empfinden. –

Die Flügeltüren in den Speisesaal hatten sich indes geöffnet, man ging paarweise zum Souper. Alten reichte Rose Marie seinen Arm, es war zwischen ihnen ausgemacht, daß sie Sieg oder Niederlage gemeinsam tragen wollten. Kaum ging sie neben ihm, als sie den Kopf etwas senkend, halblaut fragte:

»Was war das, Viktor?«

Er stellte sich als verstände er nicht.

»Wovon sprechen Sie, Rose?«

»Hatten Sie etwas mit der Norden? Ihr Benehmen gegeneinander war mindestens – sonderbar.«

»Seien Sie nur ehrlich, Rose – unhöflich! Ja – mich reizen diese Weiber, die nur dazustehen scheinen, um mit einer gewissen Geste jedem anzudeuten: Auf die Knie mit dir und huldige mir. – Sie glauben, durch ihre Koketterie und Unverschämtheit sich einen bevorzugten Platz ertrotzen zu können, ohne irgend welches Recht, und ich hasse die Schwachheit der Männer, die sich dann willenlos beugt.«

Frappiert sah ihm Rose Marie in das zornige Gesicht.

»Sie sind sehr hart, Alten, und sehr ungerecht!«

»Sie sprächen anders, träte irgend ein Konflikt dieser Art an Sie heran.«

»Vielleicht doch nicht. Mein Vetter interessiert sich sehr für die kleine Norden. Schön genug ist sie.«

»Sie meinen?«

Er war blaß geworden. Ein scheuer Blick streifte das Paar.

»Ich meine gar nichts, lieber Freund.«

»Eine Liaison, wie sie Damen vom Theater lieben.«

»Damit hatte er kein Glück, sie ist unnahbar.«

Viktor Alten lachte häßlich auf.

»Eine Protegée von Herbert?«

Geärgert runzelte sie die Stirn. »So seid ihr alle,« sagte sie ablehnend. »Immer verurteilen – niemals abwägen. Unterschiede gibt es nicht. – Eine wie die andere – aber keine besser! – Es lohnt nicht, euch den Wert einer Frau vor Augen zu führen, sie ist ja doch schließlich auch nur eine aus der Masse.« »Rose Marie!« flüsterte er stürmisch und drückte ihren Arm. »Seien Sie nicht so häßlich! Es gibt Frauen, die ich hochstelle, aber freilich auch andere – zum Beispiel diese Schauspielerin, die nur die Sinne reizt – nichts weiter!«

»Die Sinne! – Euer Alpha und Omega!« sagte sie versöhnt. »Ich glaubte Ihnen mit der Gegenwart der Norden eine Freude zu machen.« –

Martha saß an seiner anderen Seite, Graf Gilsach war ihr Tischnachbar. Viktor konnte es nicht verhindern, daß ab und zu eine Falte ihres Kleides ihn streifte, daß der weiße Arm, wenn er sich nach dem Glase ausstreckte, dicht an ihm vorüber griff und sich fast aufdringlich seinen Blicken – bis zur Schulter entblößt – preisgab. Trotz des Tohuwabohus ringsum, hörte er doch manches Bruchstück ihrer Unterhaltung, und obgleich er sich anfänglich dagegen sträubte, horchte er schließlich mit einem bis zur Qual geschärften Ohr darauf hin.

Die Unterhaltung an der Tafel wurde überaus lebhaft. Aber Rose Marie hatte heute abend kein Auge dafür. Man überflutete sie mit Huldigungen, Glückwünschen, für sich und Viktor, und mit dem Vergnügen, das eine aufregende, unbekannte Sache für den Beteiligten mit sich bringt, nahm sie alles entgegen. Von Stunde zu Stunde wuchs der Mann an ihrer Seite höher in ihren Augen, und selbst sein abgespanntes Schweigen, seine Blässe, legte sie ihm jetzt als sein Recht aus.

Graf Gilsach stützte den Arm auf Marthas Stuhllehne, er berührte sie fast, aber um keine Linie wich der üppige Frauenkörper zur Seite.

Und was Viktor unter heimlichem Zähneknirschen nicht merkte, das begriff der feinfühlige Aristokrat sofort, nämlich die Kälte, die diese verführerische Gestalt barg; nicht erzwungen oder gemacht aus äußerlichen Erwägungen, sondern hervorgegangen aus ihrem tiefinnersten Denken und Fühlen. Der feuchte Glanz ihrer Augen war nur ein scheinbares Feuer, das Lachen der roten Lippen barg nichts in sich – nichts!

Vielleicht war es gerade diese innere Kälte, die den Aristokraten zu ihren Füßen bannte. Er fand darin ein Erbteil ihres Blutes, eine Gewähr für die Zukunft. –

Wieder spannte Viktor sein Ohr aufs äußerste an, denn die Beiden neben ihm sprachen leiser wie vorher, und des Grafen Stimme klang erregt.

»Ich kann es nicht ertragen, Martha! – Ich kann es nicht!« sagte er.

»Aber das ist kindisch, Graf Ruprecht.«

»Kindisch? – Ich, der nicht wagt Ihre Hand zu berühren ohne Ihren Willen, muß mit ansehen wie dieser frivole Mensch, dieser Schauspieler, Sie in seine Arme reißt, muß hören, wie Sie die größten Zärtlichkeiten an ihn verschwenden, muß denken, daß hinter all dem Gemachten ein Funken echter Leidenschaft verborgen liegen könnte...«

Sie lachte leise; er sah sie fast traurig an.

»Sie verstehen mich nicht, Martha.«

»Doch! Doch! Aber was kann ich dafür! Zürnen Sie dem Dichter, der mich das alles sagen läßt.«

»Und Sie fühlen nichts dabei? Gar nichts?«

»Gar nichts! Ich hatte nur Mühe meine Frisur vor seinen ungestümen Griffen zu retten.«

Er sah einen Augenblick stumm auf ihr liebliches Profil.

»Und doch übersteigt es meine Kraft. – Denn – Sie wissen es ja doch, Martha, ich liebe Sie.«

Gleichmütig zuckte sie die Achseln.

»Liebe!«

»Zweifeln Sie daran?«

»Nein. Mir fällt nur ein Wort meines alten Freundes ein: Amor steht mit den Füßen im Schmutz, nur die Stirn berührt den Himmel. Die Stirn sah ich noch niemals; aber die Füße sind mir nicht verborgen geblieben.«

Er wurde sehr blaß.

»Sie sind grausam, Martha,« sagte er stockend. »Ich beabsichtige nicht, Ihnen einen Blick auf Amors Füße zu eröffnen.«

»Aber ebensowenig auf sein Haupt. – Nun Graf Ruprecht, stoßen wir an auf gute Freundschaft und fernere gute Erfolge für mich.«

»Das tu ich nicht.« Er setzte sein Glas, das er schon in Händen hielt, so gewaltsam auf den Tisch zurück, daß es klirrte. »Mögen Sie in den Augen anderer dadurch gewinnen, in den meinen nicht.«

Sie lehnte wieder in ihrem Stuhl und überflog mit glänzenden Blicken die bunte Gesellschaft rings umher, alles interessierte sie, auf alles achtete sie, nur Viktor Alten hätte ihretwegen auf dem Monde sein können.

Sie sah Füßleins durchgeistigtes, bewegliches Gesicht jenseits der Tafel, und der gefürchtete Kritiker hob das Glas und trank ihr zu. Auch nicht einer unter der stattlichen Reihe der Männer, dem ein Lächeln von ihr nicht als besondere Huld gedünkt hätte, und Graf Gilsach machte ihr diesen Erfolg zum Vorwurf.

Warum denn? Sie sah ihren Nachbar verstohlen von der Seite an, als hätte sie ihn noch nie gesehen, und doch kannten sie sich schon von K. her, wo er zeitweilig am Hofe Kammerherrendienste tat. Wie ein Blitz zuckte ihr plötzlich durch den Kopf, daß seine Eroberung sich eigentlich lohne, wenn auch nur für ihre Eitelkeit. Man mußte sie darum beneiden, man würde darüber sprechen... Bisher hatte sie nur an ihre Kunst gedacht, ihr Ehrgeiz war der Erfolg gewesen; warum nun jetzt, wo sie dies alles erreicht, nicht noch nebenher ein anderes kleines, erstrebenswertes Interesse?

Füßlein unterbrach ihre Gedanken – er hatte sich erhoben und an sein Glas geschlagen, tiefe, aufmerksame Stille trat ein.

»Meine Damen und Herren,« begann der weltgewandte Mann, »gönnen Sie mir ein Wort zu Ehren unseres Dichters. Gehöre ich auch nur zu den Berufenen, nicht zu den Auserwählten, die mit ihm die gleiche Straße ziehen, so habe ich doch das Recht der Kritik für mich, und nie ist es mir so süß gewesen, dies Recht voll und ganz für mich in Anspruch zu nehmen.«

» – – – Aber nicht ihm allein gelten meine warmen Worte der Anerkennung, denn was begeistert den Dichter, zieht ihn empor, entsündigt ihn von allen menschlichen Fehlern und Schwächen? Es ist seine Muse, die ihm mehr bietet, als wir anderen armen Sterblichen ahnen und begreifen können. Unseres Dichters Muse aber ist unsere verehrte Gastgeberin, und wo sein Name genannt wird, darf der ihrige nicht fehlen. Die Begeisterung, die Arbeit, der Sieg, kurz, alles war ihnen gemeinsam...« hier machte der Sprecher eine kleine Kunstpause – »möge ihnen auch das Kommende gemeinsam sein! Auf ewig ungeteilt lebe der Dichter und seine Muse hoch!«

Ein brausender Jubel erhob sich. Keiner im Saal hatte die deutliche Anspielung mißverstanden. »Der Dichter und seine Muse!« flüsterte es lachend, kichernd, spöttisch und verächtlich hinter den Fächern; die Männer machten halblaute Bemerkungen zueinander, während sie anstießen, und um Rose Marie und Viktor drängte sich ein Knäuel von Menschen, neugierige und forschende Blicke flogen von einem zum andern.

Die Kommerzienrätin sah weder verlegen noch geärgert aus. Ebenso wie alle hatte auch sie den durchsichtigen Inhalt des Toastes begriffen; begriffen, daß Schwager und Schwägerin die eigentlichen Urheber davon waren, aber sie zürnte ihnen deshalb nicht.

Die kleinliche Philistermoral, die ihr in ihrem ganzen Leben so weltentfernt gelegen hatte, daß sie stets vergaß sie in ihre Berechnung zu ziehen, hatte auch in diesem Augenblick kein Anrecht an sie. Sie bedachte nicht, daß den guten Leuten durch den Dichter und seine Muse manch Ärgernis gegeben war, das eine engere Verbindung zwischen ihnen erst beseitigen würde, sie wußte sich ja rein von jedem Tadel; aber es war ihr ein süßes Empfinden, sich ganz eng mit ihm verknüpft zu denken, untrennbar durch Zeit oder Ereignisse, mit ihm schaffend, seine Siege zu teilen, ihm den Weg auch seiner eben erhaltend mit ihren reichen Mitteln – als seine Frau! – Der Altersunterschied, wenn sie in diesem Augenblick an ihn dachte, erschreckte sie nicht, noch war sie begehrenswert, noch fühlte sie sich jung. – Ihre Augen suchten die seinen, empfand er dasselbe?

Ihr halb den Rücken zukehrend, stand er vor der Norden, seine Hand mit dem Weinglase zitterte leise. Die Schauspielerin sah zu ihm auf, mit einem eigentümlichen spöttischen Ausdruck in dem schönen Gesicht, so wunderlich vertraulich und gleichzeitig herausfordernd boshaft. Ihre Lippen bewegten sich, Rose Marie verstand nicht, was sie sagte. Nur wenige Worte konnten es sein, aber sie sah, daß Alten sein Glas fortstellte, ohne mit ihr angestoßen zu haben. Und wie er aussah! Blaß, finster und kaum Herr einer ihr unbekannten Erregung.

Als sie ihn so sah, empfand sie plötzlich, im Herzen einen Schmerz. Was hatte er ihr zu verheimlichen? Hing es etwa mit der Norden zusammen? Sie war nicht gewohnt, mit kleinlichem Maßstäbe die Menschen zu messen, die ihr nahe standen; aber hier kam ein Gefühl dazu, das sie noch nie empfunden, dessen sie sich schämte, ohne es dadurch los zu werden: Eifersucht.

Es freute sie, daß Herbert zwischen ihn und die Norden trat, – wenn sie gehört hätte was er sagte, wäre sie vielleicht geärgert gewesen.

»Ich konstatiere mit Genugtuung,« sagte der große Mime mit seinem zynischen Lächeln, »daß Sie nicht allein auf dem Pegasus festen Sitz haben, sondern daß auch das rollende Glücksrad Ihnen nicht unter den Füßen davongelaufen ist. Gratuliere! Gratuliere!«

»Lassen Sie doch die Witze!« rief Viktor gereizt. »Sie und alle Welt haben Füßleins Toast mißverstanden.«

Er wandte sich an den Redakteur, der lächelnd auf ihn zukam.

»Ihre glückliche Zukunft, Alten!«

»Sie hätten sich auch etwas weniger anzüglich ausdrücken können,« begann dieser gepreßt. »In welche peinliche Situation haben Sie die Rätin und mich gebracht!«

»Sapienti sat!« Er kniff schmunzelnd ein Auge zu, nickte und wandte sich dann an die Norden.

»Kollegin! Kollegin!« sagte Herbert, und berührte mit seiner heißen, handschuhlosen Hand Marthas nackte Schulter. »So viel Nebenbuhler wie heut abend leide ich für die Zukunft nicht.«

Sie wich zur Seite, lächelte aber. Es war ja der Direktor des dramatischen Theaters, der sie so vertraulich behandelte; es fiel ihr nicht ein, ihm ebenso abweisend zu begegnen wie einem andern.

Beim Niedersitzen erst trafen sich Viktors und Rose Maries Blicke, scheu wichen sie sofort einander wieder aus. Bei ihr war es ein gewisses zurückhaltendes, fast bräutliches Schamgefühl, er dagegen...

Füßleins Toast hatte den Schleier fortgezogen, der ihm bisher mitleidig die Augen verhüllt hatte. Was erwartete man von ihm? Daß er die Kommerzienrätin heiratete? Alberne Voraussetzung! Als ob es keine Freundschaft zwischen Mann und Weib geben könne, ohne diesen abgeschmackten Hintergrund! Wußten denn die Leute nicht, daß sie älter war als er? Daß ein Künstler frei bleiben müsse, um sich nicht selbst zu entwerten? Ihr Alter! In diesem Augenblick dachte er zuerst daran; bis vor kurzem wäre es ihm nicht einmal erwähnenswert gewesen, – erst jetzt, seitdem er seine junge Frau wiedergesehen hatte. – Wie boshaft Marthas Augen gefunkelt hatten, als sie ihn nach dem Toast angeblickt hatte! Aber was ging ihn Martha an! Auf sie hatte er keine Rücksicht zu nehmen, eine Ehescheidung nach so langer Trennung war doch natürlich. – Sie würde lustig weiter fortschwimmen in dem Element, das ihr Leben war, und das sie sich – trotz seiner – erobert hatte! – Er würde Rose Maries Gatte werden. –

Eine häßliche Ernüchterung überfiel ihn plötzlich bei dem Gedanken. – Er stellte sie zu hoch, um sie herabzuziehen in den Kreis der kleinlichen Pflichten einer Gattin, dachte er. – Aber sie – was empfand sie?

Ungeduldig trat er unterm Tisch mit dem Fuß auf. Nahm denn diese schwirrende, lärmende Sitzung heut abend kein Ende? –

Endlich erhob man sich, Viktor flüchtete sofort in Rose Maries Boudoir, aber die Flut der Gäste ergoß sich hinter ihm her.

»Ich wollte wirklich drei Kreuze machen,« sagte Schwägerin Anna zu einer Bekannten, »wenn der junge Mann endlich Ernst machte, und das Ärgernis aus der Welt geschafft würde! Seelenfreundschaft! – Das kennt man ja! – Warum heiraten sie nicht und stopfen den Leuten den Mund. Rose Marie ist ja reich genug um sich einen viel jüngeren Mann zu leisten. Dies Verhältnis ist denn doch mehr als anstößig, und wenn ich den Skandal – –« sie verstummte jäh, Viktor ging an ihr, vorüber. Er mußte nichts gehört haben, denn er sah sie zu ihrer Erleichterung nicht einmal an.

Viktor hatte wirklich nichts gehört, seine Seele war von etwas anderem erfüllt; ziellos, planlos, durchstrich er die herrlichen Räume. Im Speisezimmer war die Dienerschaft schon mit Abräumen beschäftigt, dabei stand Grete, schmucklos und einfach wie immer.

Eine Sehnsucht, in ihre ruhigen, klaren, treuen Augen zu sehen, überkam ihn plötzlich, hatten sie ihm doch auch im Theater Frieden gegeben; aber trotzdem hatten sie heut abend noch kein Wort miteinander gewechselt.

Hastig trat er an ihre Seite.

»Fräulein Gretchen, Ihr Glückwunsch hat mir noch gefehlt,« sagte er.

Sie blickte zu ihm auf. Wahrhaftig, in ihren Augen lag etwas, das beruhigend auf ihn wirkte, mehr und mehr glätteten sich die Wogen seines erhitzten Blutes.

»Ich dachte, in dem gewaltigen Strom käme es auf ein bescheidenes Tröpfchen mehr nicht an,« sagte sie lächelnd.

»Wenn dieses eine Tröpfchen mir gleichgültig wäre, sicher nicht, ich bin nicht unersättlich, im Gegenteil. Daß ich es aber vermißt habe, mag Ihnen zeigen, wie viel Wert ich darauf lege.«

Sie bewegte zweifelnd den Kopf.

»Das sagen Sie aus Höflichkeit, um mich zu erfreuen.«

»War ich wirklich stets so höflich gegen Sie, um diese Vermutung zu rechtfertigen?«

Sie lachte.

»Nein, sicher nicht! Ich kann von Glück sagen, daß Sie sich ab und zu meiner Existenz erinnern.«

»Aber Fräulein Grete!« rief er beschämt, denn daß sie recht hatte, bestätigte sein Gewissen. »Wie kommt es denn aber, daß mir in meiner bängsten Stunde heut abend Ihr Blick Ruhe gab, daß es mich jetzt namenlos gelüstet, ein anerkennendes Wort aus Ihrem Wunde zu hören?«

»Seien Sie doch mit Ihrem glänzenden Sieg zufrieden!« sagte sie sich abwendend und silberne Löffel aus den Händen des Lohndieners entgegennehmend. »Niemand kann mehr verlangen als wie Ihnen heut zuteil geworden.«

Sie begann die Löffel zu zählen; pflichttreu und ernst, wie sie in allen Dingen war, hielt Viktors Anwesenheit sie nicht von ihren Geschäften ab. Nervös und ungeduldig, wie er einmal war, griff er nach ihren Händen.

»Lassen Sie das doch bis nachher, Fräulein Grete! Durch Ihre Antwort klang ein ganz besonderer Ton. Hatten Sie irgend etwas auszusetzen an meinem Stück. Sie dürfen es mir ruhig sagen, ich bin nicht so eitel, um keinen Tadel zu vertragen.«

Sie lächelte fein. »So eitel, daß ein Tadel Ihnen keinen Eindruck macht,« verbesserte sie. »Aber wer bin ich auch, daß ich tadeln sollte, wo alle Welt lobt.«

Er sah sie scharf an.

»Eine Individualität für sich,« sagte er kurz. »Und bei Gott, Gretchen, es lohnte sich am Ende diese Individualität zu studieren!«

Sie errötete, als er sie mit Namen nannte, aber ihre Stirn zog sich in Falten.

»Herr Alten!« sagte sie abweisend.

Er setzte sich auf die Tischecke und sah ihr in dieser Stellung gerade in die Augen. Die Dienerschaft ringsum lächelte verstohlen; er hatte keinen Blick dafür, natürlich nicht, aber Grete bemerkte es mit peinlichem Empfinden, es kam ihr vor, als setze er sie durch sein zwangloses Benehmen herab.

»Nun also, Ihren Glückwunsch!« beharrte er.

Sie sah ihn fast zornig an.

»Ich finde keinen. Welche Freude bringt denn ein Triumph über die gedankenlose Menge? Welch ein Gut sind Lorbeerkränze, die welken, Ruhm und Geld, die beide nicht glücklich machen, und für die Sie doch die beste Kraft Ihres Geistes vergeudet haben!«

Sprachlos starrte er sie an, dann stand er langsam auf.

»Wenn Sie recht hätten – wär's hart,« sagte er ruhig – »und ich will's deshalb nicht glauben. Selbsterkenntnis ist und bleibt einmal eine höchst ungemütliche Gefährtin.« Er steckte die Hände in die Hosentaschen und schlenderte hinaus, ganz in der unausstehlich geckenhaften Manier, die er in der letzten Zeit angenommen hatte. Mit verächtlichem Zorn und bitterem Schmerz sah sie ihm nach.

Was war doch aus ihm geworden, den sie einst in ihrem Herzen so unerreichbar hoch gestellt hatte! Ein blasierter, eitler Tagesheld, ein geckenhafter Selbstsüchtling! – Sie hätte weinen können, wenn sie an das dachte, was in ihm sterben mußte, ehe er so werden konnte.

Und es war tot! Unrettbar tot! – Selbst der leiseste Versuch, ihn an das zu erinnern was er einst gewesen, schlug ihn in die Flucht; und da drinnen beweihräucherten sie ihn von neuem. Er müßte ja kein Mann sein, um dem zu widerstehen!

Zum drittenmal zählte sie die Löffel durch, immer wieder verwirrten sich die Zahlen in ihrem Kopf, immer wieder horchte sie, ob sie nicht noch einmal seinen Schritt vernahm, ob er nicht noch einmal kam um ihr zu sagen: »Sie haben zu wenig gesagt, um mich Ihre Meinung verstehen, zu viel, um mich gleichgültig zu lassen, reden Sie nun auch weiter!« – Dann wollte sie all das aussprechen, was sie bisher tief in sich verschlossen hatte, dann wollte sie versuchen, um seine Seele zu ringen, ihn zu ihrem Mitkämpfer zu machen, dann...

Sie hob horchend das Haupt. – Er kam nicht!

Wie konnte er auch! – Gerade als er aus dem Speisezimmer trat, sah er Martha im Wintergarten verschwinden, diesmal allein. So schnell er konnte, folgte er ihr.

Sie stand vor der Spiegelwand, die die Schmalseite des Saales bildete und betrachtete sich aufmerksam in dem hellen Kristallglas.

Als Viktors Gesicht neben ihr im Spiegel auftauchte, wandte sie sich um.

»Endlich!« sagte er in frivolem, spöttischem Ton. »Ich muß ja dem dich umgebenden Schwarm sehr dankbar sein, daß er mir Gelegenheit gibt, auch einmal ein paar Worte ungestört mit meiner Frau sprechen zu können. Du hast es weit gebracht, wie ich sehe!«

Die starre Feindseligkeit, die den Stempel des Unversöhnlichen trug, und so selten, dann aber mit verblüffender Kraft in ihr Kindergesicht trat, zog in diesem Augenblick wie eine dunkle Wolke darüber hin. – Sie schwieg.

»Was soll das heißen, Martha!« rief er ungeduldig. »Unser Benehmen muß den Leuten auffällig erscheinen, deshalb ist es nötig, daß wir uns aussprechen, und zwar möglichst bald. Also – Krieg oder Frieden!«

»Die Tochter einer Dirne,« sagte sie eiskalt und langsam, »die naturgemäß auch nichts anderes sein kann, hat mit Ihnen nichts zu tun, Herr Alten.«

Ihr Kleid zusammenraffend, wollte sie sich entfernen. Er hielt sie fest.

»Martha!« rief er außer sich. »Spare dir deine weiblichen Rachegelüste für einen gelegeneren Moment! Du mußt selbst fühlen, daß ein Weiterleben in dieser Weise unmöglich ist. Es würde dich und mich kompromittieren, denn niemand weiß hier um unsere Heirat. Niemand ahnt die Farce, die wir vor dem Publikum aufführen, ich der Gatte, du meine Frau!«

»Ich deine Frau? Das bin ich längst nicht mehr!«

»Nicht mehr?« Er lachte auf. »Soll ich es dir beweisen?«

Sie trat ihm ganz nahe, ihre Augen blitzten.

»Was frage ich nach deinen Beweisen? Kein Staat, keine Kirche, kein Gesetz kann binden, was die Natur selbst zerrissen hat. – Ich – dein Weib!« Sie ballte die Hände zur Faust und sah ihn drohend an. »Nichts bist du mir! Gar nichts! Nichts wirst du mir werden, und stiegst du noch so hoch! Das Einzige was ich von dir noch will, ist Befreiung von der Fessel, die sich unsere Ehe nennt!«

»Nichts weiter?« fuhr er erbittert auf. »Freilich, du bist ja jetzt das, wonach immer dein Sinn, stand: »gefeiert, geputzt, ungebunden...«

»Und eine Künstlerin!« unterbrach sie ihn. »Die Kleinigkeit scheint dir nicht erwähnenswert. Es ist ja auch nur ein Erbteil meiner Mutter!«

Er sah sie an wie sie so dastand, jung, schön, stolz auf das, was sie sich aus eigener Kraft errungen. »Martha!« sagte er fast zärtlich und trat ihr näher.

Sie zuckte zurück, ihre Stirn faltete sich wieder.

»Ah, ein tête-à-tête?« rief Paul Herberts sonore Stimme dazwischen, »und noch dazu unter so erschwerenden Umständen! Die Luft hier narkotisiert, und davor möchte ich sowohl meinen Dichter wie meine Schauspielerin bewahren.«

Seine Worte klangen scherzend, aber in den Augen lag ein lauernder, beobachtender Blick. Sie standen sich so sehr nahe, jene beiden, als er sie überraschte, und ihre Mienen ließen darauf schließen, daß es etwas stürmisch zwischen ihnen zugegangen war.

In dem welterfahrenen Mann regte sich der Argwohn, daß sie sich nicht zum erstenmal im Leben begegnet seien. Fäden aus der Vergangenheit schienen sich in die Gegenwart hineinzuspinnen, und das behagte ihm nicht.

Martha reizte seine Sinne, je mehr, je weniger sie es zu bemerken schien. In seinem langen Leben hatte er noch nie um eine Frau vergebens geworben, und auch hier schien es ihm nur eine Frage der Zeit; die Gelegenheit war ja da, an ihm allein lag es, sie zu nützen. Daß er das wollte, stand langst bei ihm fest. Einen Nebenbuhler fürchtete er zwar nach seinen Erfahrungen nicht, aber er empfand ihn unbequem, vielleicht gerade deshalb, weil es Alten war.

»Seien Sie ohne Sorge,« sagte Martha und nahm lachend seinen Arm. »Ich war nie kühler temperiert wie augenblicklich, und außerdem, lieber Herbert, wenn ich nichts bezweifle, an Ihrer Menschenfreundlichkeit zweifle ich doch!«

Herberts Antwort wurde durch den Eintritt des Grafen Gilsach abgeschnitten.

»Also hier finde ich Sie,« sagte der Graf vorwurfsvoll. »War es Ihre Absicht, mich so lange irre zu führen, gnädiges Fräulein?«

»Es war nur meine Absicht, mich etwas zurückzuziehen,« sie nickte von einem zum andern, während sie sprach, prüfend, gleichsam erwägend, dann gähnte sie hinter ihrem Fächer. »Ich bin müde und abgespannt, hier ist doch an kein Ausruhen zu denken, ich möchte nach Hause, lieber Graf.«

Er bot ihr sofort den Arm.

»Sie haben recht; nach all der Aufregung heut abend soll Ruhe Ihnen auch möglichst bald zuteil werden. Erlauben Sie, daß ich Sie zu meiner Cousine führe?«

Die Herren gaben der Norden das Geleit zum Wagen. Es war die letzte Huldigung, die man ihrer Schönheit darbrachte. Graf Gilsach stand am Schlage, er hielt die eine Hand von ihr gefaßt, Herbert die andere.

»Leben Sie wohl! Auf morgen!« sagte er einfach.

Sie streifte ihn mit einem freundlichen Blick, er gefiel ihr gut in seiner aristokratischen Zurückhaltung, die manchmal von einem Blitz der Leidenschaft durchflammt wurde. Wie anders war Herberts Händedruck und die Sprache seiner Augen. Sie verstand sie recht gut, aber sie zu erwidern regte sich nichts in ihr; es amüsierte sie nur.

Hinter beiden stand Viktor, er spielte den stummen Beobachter dieser Szene. An ihm vorüber schoß Füßlein, barhäuptig, sehr rot im Gesicht, augenscheinlich in sehr menschenfreundlicher Stimmung.

»Wir können die Diva doch unmöglich allein in Nacht und Nebel hinein fahren lassen,« rief er. »Sie könnte uns gestohlen werden, gen Himmel fahren, was weiß ich, und das alles, ehe sie noch meine Kritik gelesen! – Einer von uns wenigstens muß sie sicher eskortieren, damit wir anderen ruhig sein können. Wer aber, wer? – Wem wollen wir diese Verantwortlichkeit zuteil werden lassen. Graf Gilsach zählt nicht, er gehört zum Hause – Herbert? Ohnehin zu sehr bevorzugt durch seine Kollegialität. Aber Alten – Alten, steigen Sie ein!« –

Martha, die bisher lachend Füßleins Redestrom mit angehört, zog plötzlich ihren Mantel fester zusammen, ein Blick traf Viktor, so zornig drohend, daß er plötzlich seinen Eigensinn erwachen fühlte.

»Ich bin bereit,« sagte er. Der blonde Kopf der Schauspielerin fuhr dicht vor ihm aus dem Fenster.

»Los!« rief sie dem Schofför befehlend zu, und ohne Gruß warf sie sich in die Kissen des Wagens zurück.

Das Auto fuhr fort. –

Verdutzt sahen sich die Zurückbleibenden an. Was hatte die worden auf einmal? Ihr Benehmen gegen Alten war entschieden ungezogen. Galt das seiner Persönlichkeit, oder ihrem gesteigerten Schlafbedürfnis.

Füßlein strich sein kleines schwarzes Bärtchen.

»Der Heroismus steht heutzutage verflucht niedrig im Kurs,« bemerkte er gleichmütig. »Seien Sie froh, Alten! Sie hätten nur einen Schnupfen riskiert.« –

Viktor zog die Uhr. Sie zeigte auf fünf Minuten nach Zwei.

»Ich gehe auch,« sagte er zu dem Redakteur und strich über die fieberheiße Stirn. »Ich bin müde!«

»Aber Mensch, kein Gedanke! Mayr will Sie auch anfeiern. Er hat es zwar nicht kontraktlich, aber seine Ruhe wäre hin – sein Herz wär schwer. – Natürlich müssen wir noch zu Mayr.« Alten ergab sich seufzend, Spielverderber wollte er nicht gerade sein.

Mayr war eins der bestrenommierten, ersten Bierlokale der Stadt; in einem Hinterzimmer hatten die Künstler, hauptsächlich Schauspieler und Journalisten ihr Heim aufgeschlagen, und der Wirt hielt jeden fremden Eindringling dort fern. Sie waren völlig unter sich, konnten sich gehen lassen nach Belieben, und deshalb verging fast kein Abend an dem nicht die Tafelrunde, wenn auch erst spät, so doch vollzählig sich einfand.

Vor Viktors Platz lag ein Lorbeerkranz, dessen weißseidene Bänder bis auf den Boden herabhingen, und trotz der vorgeschrittenen Nachtstunde stand Herr Mayr in eigener Person dabei, um den gefeierten Dichter zu begrüßen und zu beglückwünschen.

In sehr animierter Stimmung, die der Champagner der Kommerzienrätin bei den Herren erzeugt hatte, nahm man Platz; selbstverständlich drehte sich das Gespräch ausschließlich um die Vorgänge des Abends.

»Übrigens alle Achtung vor der Norden, sie versteht ihr Handwerk.«

»Wieso Handwerk?«

»Den Männern die Köpfe zu verdrehen! Umsonst macht doch niemand heutzutage so schnelle Karriere.«

»Aber mein Gott, sie ist eben ein großes Talent.«

»Talent hin, Talent her! Prinz Arthur in K. wird wohl mehr gewirkt haben als alles Talent.«

Paul Herbert blies den Dampf seiner Zigarre in die Luft.

»Sie ist kalt wie Eis, sage ich Ihnen.«

»Wirklich?«

»So sieht sie nicht aus!«

»Sollte es Ihnen nicht gelingen, sie zu erwärmen, großer Mime? Es ist doch die alte Geschichte: wer täglich mit dem Feuer spielt...«

»Wollen's abwarten!«

»Nun, dann gelingt es vielleicht unserem Dichteradonis. Wie steht es, Alten?«

»Bitte lassen Sie mich ganz aus dem Spiel, wenn Sie von der Norden sprechen,« sagte Viktor gereizt.

»Aha!«

»Natürlich!«

»Selbstverständlich! –«

»Ihr Pegasus zieht eine goldene Krippe vor. Ein gescheites Tierchen, Alten!«

»Was soll das heißen? Ich finde meine Herren, Ihre Anspielungen werden unzart.«

»Mein Himmel, nur keinen Streit! Seien Sie gemütlich, Alten, und lassen Sie sich etwas necken,« raunte ihm Füßlein zu.

»Sie mit Ihrem verwünschten Toast sind daran schuld!«

»Wenn schon! – Ist es denn wirklich solch ein Pechstiefel in dem Sie gefangen sind? Wir säße er an Ihrer Stelle ganz vorzüglich am Fuß.«

»Niemand denkt daran!«

»Oho!« rief Füßlein lachend. »Oho! – Ich glaube, da ist keiner unter uns, der darüber nicht so denkt, wie ich!«

»Prost Alten! Prost!« schrien sie um ihn. »Auf Ihre Zukünftige! Sie ist doch immer noch ein sehr repräsentables Weib, auch abgesehen von ihren Millionen.«

»Aber meine Herren!« –

»Er versucht zu leugnen! Vorzüglich! Sind wir denn hühnerblind? – Oder hätten Sie wirklich den Mut, das große Los ungezogen zu lassen?«

»Prost Alten!« sagte Herbert und stieß mit seinem Krug an den Altens! »Die Teilung lasse ich gelten: Gebet dem Künstler, was des Künstlers ist und baut dem Genie – – goldne Hütten.«

Viktor nagte aufgeregt an der Unterlippe.

»Ich erkläre Ihnen noch einmal, meine Herren...«

»Wir wollen keine Erklärungen! Es sei denn die, daß Sie sich von der Rätin einen Korb geholt haben.«

»Einen Korb?« fragte er verwundert.

»Was denn anders! So wird es auch sein, da Sie sich so wehren.«

»Mein Gott, so geben Sie es doch zu, Sie sehen ja, in welcher Stimmung hier alles ist,« riet Füßlein lachend.

»Eins wäre so widersinnig, wie das andere!«

»Es ist also Essig mit dem goldnen Hintergrund für Ihre Lorbeeren! Schade!« rief einer noch lauter als die anderen.

Viktor lehnte sich in den Stuhl zurück. Eine tolle Lustigkeit war mit einem Schlage in ihm erwacht, vielleicht durch die Erkenntnis, daß hinter all diesen Meckereien ein Körnchen Bitterkeit stecke, daß man ihm die Frau und ihre Millionen nicht gönne, obgleich man sich den Anschein gab, als setze man mit Sicherheit voraus, was doch jeden noch im stillen bezweifelte.

»Wahrhaftig die Murner wäre auch närrisch, wenn sie noch einmal heiratete,« meinte jemand. »Besser kann sie es niemals haben, und wir als ihre Gäste auch nicht. Besseren Champagner besorgt kein Ehemann. Tragen Sie Ihren Korb in Geduld und Gemütsruhe, Alten! Seelen-Freundschaft... parbleu! Cela n'engage à rien!«

Alten lächelte. »Ich versichere Sie, es ist nicht an dem! Die Kommerzienrätin, mitsamt ihrer Million, könnte ich jede Stunde haben, wenn ich nur wollte!«

»Na, darauf Prost! – Prost! – Prost!«

Als er es ausgesprochen, empfand Viktor plötzlich das Unrecht gegen Rose Marie, das in seinen Worten gelegen, er schämte sich derselben – allein es war zu spät.

»Beweisen! Beweisen!« riefen ein paar Schreier herüber, sonst schien niemand Notiz von seiner häßlichen Prahlerei genommen zu haben. Die herrschende Stimmung machte das nur natürlich. Aber trotzdem war Viktor mit sich unzufrieden, er stürzte schweigend zwei Glas Bier hinunter, es war ihm, als schlösse der heutige schöne Abend mit einer schrillen Dissonanz. –


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