Hedwig Schobert
Künstlerblut
Hedwig Schobert

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IX.

Rose Marie feierte ihren Geburtstag, und die ganze Gesellschaft, deren Mittelpunkt sie war, ein Teil der haute finance, einige, besonders jüngere, unverheiratete Herren aus der Aristokratie, der sie ihrer Geburt nach angehörte, waren gekommen, ihr zu huldigen.

Unter all den eleganten, in Pelze gewickelten Gestalten hatte sich auch Viktor in die Villa begeben; auf eine eigenhändige Einladung der schönen Wirtin hin, die so liebenswürdig abgefaßt war, daß sie ihm das Herz erwärmte, als er die wenigen Zeilen las.

Im ersten Augenblick erschrak er freilich nicht wenig, als er die große Gesellschaft bemerkte, ein kleinerer Kreis hätte seinem Geschmack mehr zugesagt, aber er beruhigte sich bald. Wenn nicht mehr, würde er Rose Marie wenigstens von weitem bewundern dürfen und gleichzeitig den ersten Blick in die Welt tun, die ihm bis jetzt noch ganz fremd und unbekannt geblieben war.

Die meisten der Gäste trugen große Sträuße in den Händen, die mit liebenswürdigen Worten und Blicken um das Geburtstagskind aufgehäuft wurden. Rose Marie hielt, so viel sie davon fassen konnte, in den Händen, der Rest lag hinter ihr in dem kleinen Erker und bildete eine duftende, blühende Folie für den Reiz ihrer eleganten schlanken Gestalt, an der ein ganz zartgrünes Seidenkleid in schweren Falten herabfiel. Sie sah wunderbar gut aus, wie sie so dastand, blühende Rosen in den Händen und vor der Brust, mit der Miene einer Herrscherin und doch trotz aller kühlen Ruhe in den blaugrauen Augen einen suchenden Blick, der die Türe nicht verließ.

Viktor Alten trat jetzt ein, benommen und beklommen, obgleich er es nicht einmal sich selber zugestehen wollte.

Mit unsicheren Blicken maß er die ganze Länge des Zimmers, die ihn von Rose Marie trennte, noch niemals war es ihm so groß vorgekommen, noch nie hatte er auch die sämtlichen Türen geöffnet gesehen, durch die nun die ganze Wucht der Zimmer zu übersehen war. Die wohlbekannte Umgebung erschien ihm ebenso fremd, wie die Herrin selbst, die er zum erstenmal in großer Toilette sah. Alles das drückte ihn nieder.

Da winkte Rose Marie, sie winkte ihm wirklich und wahrhaftig, ein Zögern war unmöglich. Er sah wohl, daß hinter ihm Köpfe zusammengesteckt wurden, ein leises Kichern schlug an sein Ohr und dann ganz laut und deutlich von einer tiefen Frauenstimme gesprochen:

»Ein bildschöner Mensch!«

Aber das alles war versunken, als er vor der Kommerzienrätin stand. »Ich kann Ihnen leider keine Hand geben,« sagte sie bedauernd, auf ihre Last herabblickend, »aber gedulden Sie sich nur bis nachher, dann hole ich alles nach. Die Pein hat ja hier bald ein Ende. Aber bleiben Sie in meiner Nähe.«

»Darf ich Ihnen nicht Glück wünschen?« fragte er ganz zaghaft.

»Natürlich dürfen Sie das. Je mehr, desto besser.« Sie sah lustig aus, als sie das sagte, ihre Augen funkelten glänzend hinter den leicht nachgedunkelten Wimpern.

»O, gnädige Frau, Sie haben es ja schon, alles, in reichstem Maß, halten Sie es nur fest!« sagte er mit einem Blick auf die strahlende Umgebung.

»Ja, festhalten. Das ist zuweilen das Schwierigste,« nickte sie leicht, ihr Ton klang ernster als vorhin.

»Jeder ist mit Blumen gekommen, nur ich stehe mit leerer Hand vor Ihnen,« flüsterte er zwischen einer Begrüßungspause in ihr Ohr, denn er war hinter sie getreten. Sie drehte sich hastig um und sah ihn groß an.

»Jeder, der genug im Portemonnaie hatte, um den ersten besten Blumenladen am Weg zu beehren,« sagte sie fast spöttisch. »Da haben Sie recht; aber in meinen Augen sinkt der Wert der Gabe leicht durch die Umstände. Ich bin froh, daß Sie mir keine Blumen bringen!«

»Mich kränkt es.«

Sie lächelte. »Von Ihnen erwarte ich etwas Besseres,« sagte sie lauter als bisher. »Blumen verwelken so schnell, von Ihnen will ich einen Lorbeerzweig.«

»Ich bin auf dem Wege dazu,« meinte er spottend, indem er sich der Abweisung seiner letzten Arbeit erinnerte. Niemals war ihm das Erstrebenswerte und das bisher Erreichte in so schroffem Gegensatz, erschienen, wie hier unter all diesen geputzten Menschen.

»Wenn Sie es richtig anfangen, gewiß! – Nur noch einen Augenblick Geduld, ich mache Sie gleich mit meinem Schwager bekamst, es scheint ja, daß jetzt alles versammelt ist.«

Die Eingangstür hatte sich seit einigen Minuten nicht mehr geöffnet, Rose Maries prüfender Blick überflog die Reihen ihrer Gäste.

Viktor trat in eine Ecke zurück, denn zu ihr war ein großer, schlanker, nicht mehr junger Herr getreten, der sie sofort für sich in Anspruch nahm.

»Grüß Gott, Cousine. Hier, das obligatorische Opfer, wenn es gilt, einen Geburtstag zu feiern, ich sehe, du hast schon eine ganze Anzahl davon aufgestapelt,« sagte er, durch sein Monokel die Pyramide der angehäuften Blumen musternd.

»Konnte es nicht noch etwas größer sein, Ruprecht?«

Sie sah auf den mächtigen Orchideenstrauß, den er trug, und sich mit schnellem Entschluß der eigenen Last entledigend, legte sie auch diesen zu den übrigen. »Du erlaubst – Herr Alten – er ist der einzige gewesen, der den Geschmack hatte, mir keine Blumen zu bringen – mein Vetter Graf Gilsach.«

Sie ging weiter, und Viktor fühlte sich,, während er die ersten üblichen, banalen Redensarten mit dem Vorgestellten tauschte, von diesem recht ungeniert – unverschämt dachte er bei sich – gemustert.

Altens Selbstbewußtsein erwachte plötzlich, er hob den Kopf hoch und erwiderte den Blick. Was war er denn, daß er sich hier durch die feineren Kleider, die vornehmen Namen der Anwesenden herabgedrückt fühlen sollte? Er hatte, so jung er war, doch schon etwas geleistet, war ein Mann der Tat, der eignen Kraft, sicher also mehr, als mancher hier von sich sagen konnte. Einem Menschen, der ihm geistig überlegen war, wollte er sich gewiß gern bescheiden unterordnen, aber etwa auch diesem hier? Nur weil er Graf Gilsach war?

»Ich denke, Sie werden nicht bereuen, die Salons meiner reizenden Cousine besucht zu haben,« sagte der Graf und ließ sein Monokel fallen. »Sie können hier nicht allein Studien machen, sondern auch Beziehungen anknüpfen.«

»Zweifellos!« entgegnete Viktor hochmütig, denn der andere ärgerte ihn. »Aber über das Suchen danach bin ich bereits hinaus.«

»Ich weiß wohl, meine Cousine ist sehr entzückt von Ihren Werken, Herr Alten, nur aber müssen Sie schon die Unbildung zugute halten, nichts davon zu kennen.«

Er lächelte ein wenig.

»Wenn Sie nur die Damen für sich gewinnen, das wird Ihnen wohl Lohn genug sein. Reizende Mädchen flüstern errötend Ihren Namen, wenn Sie vorübergehen, und schöne Frauen lächeln Ihnen zu.«

Viktor runzelte ein wenig die Stirn.

»Sie verkennen mich vollkommen, Herr Graf, so weit es mein Streben anbelangt. Ich meine es ernst mit meiner Kunst und hoffe mehr zu erreichen, als nur das Erröten und Lächeln der Frauen.«

»Pardon, ich bin in bezug auf Literatur der reinste Hinterwäldler,« gestand der Graf, unauffällig nach einem Rückzug spähend. »Ich wollte Ihnen nichts Unangenehmes sagen. Ich für meinen Teil kenne nichts Bezaubernderes, nichts, was mehr wert wäre, mein Leben auszufüllen, als eine schöne Frau. Aber als routinierter Weltmensch finde ich natürlich manches selbstverständlich und bedeutend, was Ihnen in anderm Licht erscheinen mag.«

Er putzte an seinem Monokel, wozu er das weißseidene Taschentuch aus der weit ausgeschnittenen Weste holte, während Viktor dachte: »Solch ein Geck wäre sicher nach Marthas Geschmack.«

Grete, die sich ihnen näherte, kam beiden wie ein erlösender Engel; sie war die einzige, die in ihrem geschlossenen Kleide aussah, wie Viktor es an ihr gewohnt war, und mit einem wahren Aufatmen der Befriedigung beantwortete er ihren freundlichen Gruß, während der Graf sich entfernte.

»Gott sei Dank, Fräulein Grete,« sagte er so herzlich, wie er noch niemals zu ihr gesprochen hatte, »doch wenigstens ein liebes, bekanntes Gesicht unter dieser wirbelnden Vielseitigkeit von Physiognomien und Toiletten, mir ist ganz schwindelig.«

Er hielt ihr die Hand hin, und errötend erwiderte sie den Druck seiner Finger; gleichzeitig begriff sie vollkommen den unbehaglichen Gemütszustand, in dem er sich befand.

»Ich komme hierher, um mir möglichst viel Blumen für die Tafel zu holen, wollen Sie räubern helfen?« Dabei sah sie ihn lächelnd an, und er wäre ihr in diesem Augenblick freudig in das Fegefeuer gefolgt.

»Natürlich – wie können Sie fragen?«

»So schlüpfen Sie rechts in den Erker, ich komme von links.«

Er ließ sich das nicht zweimal sagen, hochatmend stand er wenige Sekunden später neben dem jungen Mädchen.

Zwischen Rosen, weißem Flieder, Veilchen und Maiglöckchen hindurch hatten sie keinen weiten Ausblick in die Reihe der Zimmer, die mit plaudernden Menschen gefüllt waren, aber doch gerade genug, daß ihnen nicht viel von dem entging, was sich vor ihnen abspielte. Es hatte fast den Anschein, als dehne sich dort eine riesige Bühne, auf der alle diese Menschen die ihnen zuerteilte Rolle spielten oder auf ihr Stichwort warteten, und Viktor war durch seine Beobachtungen so in Anspruch genommen, daß er ganz seine Begleiterin vergaß.

Sie lehnte mit dem Rücken am spitzenverhangenen Fenster und betrachtete ihn verstohlen.

»Ich glaube, daß Rose Maries Salon Eindruck auf Sie macht, da sie ihn zum erstenmal sehen,« sagte sie endlich nach einer Pause mit ihrer weichen Stimme, ohne sich zu rühren. Sehr eilig hatte sie es also für die Tafel noch nicht mit dem Blumenschmuck.

Er fuhr zusammen, so vertieft war er gewesen, denn sein Blick hing an der schönen Wirtin selber, die gerade ihm gegenüberstand, und darüber hatte er alles vergessen.

»Jeder Mensch von Phantasie und Lebenslust muß den Wunsch haben, sich in diesen Strudel hineinzustürzen,« fuhr sie fort, »das begreife ich, aber die Gewohnheit nimmt den Reiz doch sehr bald.«

»Der Mensch ist ein Herdentier,« sagte er lächelnd, »und sein Vorrecht also, sich in der Masse zu amüsieren.«

Sie sah ihn forschend an. »Ich nicht,« sagte sie schnell. »Und Sie auch nicht; wie wäre das möglich.«

Er strich über sein lockiges Haar.

»Ich fürchte doch,« sagte er seufzend. »Nur müßte ich erst heimisch auf dem glatten Parkett sein und etwas bedeuten. Etwas Ganzes – Großes, Fräulein Grete, das mir gewissermaßen ein Piedestal gäbe.«

»So ehrgeizig?« sagte sie mit einem kleinen verächtlichen Ton, indem sie die Mundwinkel herabzog. »Ich denke anders!«

»Sie sind auch eine Frau.«

»Und Sie ein Künstler.«

»Das sagt doch noch nicht, daß wir die gleichen Anschauungen haben müssen! Für uns Männer ist die Kunst ein stürmisches Meer, auf dem wir das Erreichbare oder Unerreichbare bis zum letzten Atemzug suchen werden.«

»Und mir,« sie sprach ganz leise, »war die Ihrige ein Stück Himmel, mit dem ich den Abgrund nüchterner Leere in meinem Dasein zu überbrücken trachtete.«

»Fräulein Grete!« rief er verwundert und sah sie an, »wissen Sie, was Sie mir eben gesagt haben?«

»Etwas Gutes und Schönes hoffe ich, so empfand ich wenigstens,« sie streckte die Hand aus und berührte leicht seinen Arm, »Herr Alten, ich möchte Sie so gern davon überzeugen, daß nicht alle so denken, wie Rose Marie, so – praktisch.«

»Aber sie hat recht!« rief er und zog die Unterlippe zwischen die Zähne.

»Nein, tausendmal nein! Man erweist den Menschen eine sehr zweifelhafte Wohltat, wenn man sie ihren Idealen abtrünnig macht, denn selbst für die Mittelmäßigkeit ist es eine absolute Unmöglichkeit, sich mit dem zu begnügen, was im menschlichen Dasein allein zu finden ist.«

Sie lächelte ihm zu. Bei dem rosigen Dämmerlicht bemerkte Viktor mit Erstaunen, welch ein hübsches Mädchen sie war.

»Ich danke Ihnen, Fräulein Gretchen,« sagte er und drückte ihre Hand. »Sie glauben gar nicht, wie wohl Sie mir getan haben.«

Sie hielt seine Finger fest.

»Bleiben Sie sich selbst treu,« bat sie herzlich. »Sich selbst und – der Vergangenheit.«

War es Zufall, daß ihre Augen in diesem Moment, durch das Zimmer schweifend, an Rose Maries strahlender Gestalt haften blieben, oder war es eine beabsichtigte Mahnung an seine Frau, der hier niemand gedachte als vielleicht Grete allein?

Im ersten Augenblick schämte er sich beinahe. Da bog Rose Marie die duftenden Blüten zur Seite.

»Aber Alten, welche Idee, sich hier zu verkriechen! Mein Vetter hatte Sie hineinschlüpfen sehen – und du auch, Grete? Was soll denn das heißen?«

Rose Maries Stimme war scharf und geärgert.

»Sei so gut und bleibe nun wenigstens, wo du bist, ich möchte denn doch der Gesellschaft kein Schauspiel geben – und Sie, Alten, kommen Sie mit mir!«

Schweigend gingen sie ein paar Schritte nebeneinander, Rose Maries Stirn war leicht gefaltet.

»Darf ich nicht ein gutes Wort für Fräulein Grete einlegen?« begann er endlich kleinlaut. »Sie hat mir so viel Freundliches gesagt – wahrhaftig, ich bin ihr so dankbar gewesen.«

Sie blickte auf und lächelte etwas.

»Ich kann mir sehr genau Ihr Gespräch vergegenwärtigen,« sagte sie; »aber denken Sie nur, was die Welt zu diesem tête-à-tête sagen würde – und mit Recht! – Grete weiß das natürlich ebenso genau, bei ihr muß also der Verstand absolut mit der Freundschaft für Sie davongelaufen sein.«

»Das gute Gewissen genügt eigentlich auch,« antwortete er ruhig.

Sie blieb mitten im Saale stehen und sah ihn an.

»Ist das Ihr Ernst? Da werden wir ja nette Sachen an Ihnen erleben können! Mein lieber Freund, nicht das, was ist, wird in Betracht gezogen, sondern das, wie es scheint gibt den Ausschlag.«

Sie wehrte die Antwort, die er geben wollte, mit dem Fächer ab und brachte ihn zu einer Gruppe Herren, deren einer ihm durch seine goldne Brille prüfend entgegensah.

»Hier, lieber Schwager, bringe ich dir Herrn Alten.«

»Ich habe schon viel von Ihnen gehört,« sagte der Besitzer der größten städtischen Zeitung und rückte, sich verbeugend, ein wenig an seiner Brille. »Junge, aufstrebende Talente brauchen wir! Wollen Sie mir nicht auch einmal das Vergnügen machen und eine Ihrer Arbeiten zur Prüfung einsenden? Das Feuilleton darf Sie wahrhaftig nicht genieren, wir bringen nur Namen allerersten Ranges, nicht wahr, Füßlein?«

Der Redakteur und Theaterkritiker wandte sich lebhaft um.

»Bei uns gewiß nicht, außerdem ist die Sache viel profitabler,« sagte er, gleich einen kollegialischen Ton anschlagend. »Und leben will man doch vor allen Dingen heutzutage. Kleine Konzessionen an das Publikum setzen den Künstler wahrhaftig in keines Menschen Augen herab. Dem Publikum, dem Geschmack der Zeit muß sich eben alles beugen! Keine Romantiker mehr, wir wollen Realisten.«

»Das ist nicht mein Glaubensbekenntnis,« hätte Viktor noch vor wenigen Monaten mit dem ganzen Selbstgefühl seiner wagemutigen Schaffenskraft gerufen, jetzt hatte er schon gelernt, still zu schweigen.

»Ich habe mit vielem Vergnügen sowohl »Ideale« wie »Oriflammen« gelesen,« fuhr der klugblickende, noch junge Mann fort, »allerdings sind das Stoffe, die sich bei uns weniger verwertbar erweisen würden; wir brauchen Handlung, viel Handlung. Warum versuchen Sie es nicht einmal auf diese Weise?«

Alken folgte fast willenlos dem lebhaften, redegewandten Literaten, der Arm in Arm mit ihm durch die Zimmer promenierte, ihm seine Meinung auseinandersetzte und die seinige anhörte, kurz, ihn in wenigen Minuten in eine so tiefgehende, animierte Unterhaltung verwickelt hatte, daß Viktor sein Bestes gab und dafür die praktischen, lebensklugen Ansichten des anderen eintauschte, so ganz verschieden von denen seiner Freunde, aber, wie er sich nicht verhehlen konnte, auf durchaus realem Boden fußend.

»Nun?« fragte Rose Marie, an ihrem Vetter vorüberschreitend, »wie hat dir mein Protegé gefallen?«

Er zwirbelte an seinem Schnurrbart.

»Im allgemeinen laß ich mir Künstler gefallen, aber im einzelnen sind sie mir als genre masculin ganz schauderhaft unangenehme Leute, man weiß wahrhaftig nicht, was man mit ihnen reden soll.«

Rose lachte zu ihm auf.

»Das verlangt auch niemand von dir.«

»Im Ernst, liebe Cousine,« sagte er, sich zu ihr herabbeugend, »sage mir nur, was du an diesem Menschen eigentlich findest! Schlecht angezogen, unbeholfen, schweigsam; das hübsche Gesicht macht doch einer Frau wie dir nichts aus.« –

»Und talentiert und phantasiebegabt!« fuhr sie fort, seinen Nachsatz absichtlich ignorierend. »Das ist etwas, was man nicht leicht antrifft unter der herrschenden Schablone der Gesellschaft.«

»Das letztere, was du an ihm rühmtest, muß wohl am ausgiebigsten vorhanden sein,« sagte da boshaft ihre Schwägerin, Frau Murner. »Denn sonst, liebe Rose, würde er wohl nicht imstande sein, in dir noch seine Muse zu erblicken. Aus dem Alter wären wir beide eigentlich heraus.«

Die Sprechende war lang und dürr, mit wasserblauen Augen und scharfer Stimme. Da sie mit Rose Marie in demselben Alter war, glaubte sie sich berechtigt, ihr jede Unannehmlichkeit in das Gesicht zu sagen.

Langsam drehte Rose Marie den Kopf nach ihr um. Der ganze Hochmut, den sie so wirksam in das Feld zu führen verstand, wenn es sich darum handelte, ihre Persönlichkeit zu vertreten, lag in den glänzenden Augen, in der unnachahmlichen Haltung des Oberkörpers, wenn sie auf jemanden herabsah, der ihren Zorn oder vielmehr verächtliches Erstaunen bei ihr erregt hatte.

»Für dich, Anna, glaube ich, hat es eine solche Zeit niemals gegeben,« sagte sie kühl und nestelte die Rose an ihrer Brust fester.

Anna Murner hielt die vornehme, in der Bewegung doch so ruhige Hand ihrer Schwägerin fest und beugte sich etwas zu ihr hinüber.

»Rose, man lacht bereits über deine neueste Laune, man spöttelt über den jungen Menschen, der sich nicht scheut, so offenkundig deinen Anbeter zu spielen, er könnte ja dein Sohn sein! Mußt du den Leuten denn immer etwas zu reden geben?«

»Möchtest du dich nicht um deine eignen Angelegenheiten kümmern, Anna? Ich wüßte niemand, der dich mir zum Vormund bestellt hat. Schlimm genug, daß es Menschen gibt, die nicht fähig sind, an geistige Interessen zu glauben.« Sie lächelte spöttisch überlegen und sah ihrer Feindin gleichmütig in das Gesicht.

Anna Murner zuckte wütend die Achseln. »Du willst eben niemals hören, dazu bist du ja zu vornehm, zu gebildet! Ich prophezeie dir aber, die einfache, bürgerliche Moral, der du so oft in das Gesicht zu schlagen beliebst, wird sich auch einmal an dir rächen.« Sie rauschte davon, geschwellt durch das angenehme Bewußtsein, ihrer Schwägerin wenigstens eine Unannehmlichkeit gesagt zu haben.

Rose Maries Blicke schweiften nachdenklich durch den Saal. Da stand Viktor, halb verdeckt durch eine rotseidene Draperie in der Fensterscheibe und sprach mit Füßlein. Sie konnte den Blick nicht von ihm abwenden, so durchgeistigt und erregt sah sein scharfgeschnittenes Gesicht aus. Er strich mit der Hand durch die Haare, diese Bewegung war ihr so vertraut an ihm, daß sie lächeln mußte.

»Anna ist närrisch mit ihren Kombinationen,« dachte sie, »verlieben werde ich mich nie in ihn, so klug bin ich selber. Aber er interessiert mich – ich bin neugierig auf seine Fortentwicklung und – ich will meinen Teil daran haben.« –

Als man während des Soupers, das an kleinen Nischen im Eßzimmer eingenommen wurde – eine Sitte, die Rose Marie bei sich eingeführt hatte, um dem lästigen Zwange der aufgezwungenen Tischnachbarschaft zu entgehen – animierter und freier wurde, winkte Rose Viktor an ihre Seite.

»Nun?« fragte sie hastig, »wie gefällt Ihnen meine Gesellschaft?«

Er beugte sich schnell nieder und streifte mit den Lippen ihre Hand, die kühl und weiß neben dem Teller lag.

»Ich danke Ihnen – o ich danke Ihnen tausendmal gnädige Frau! Das ist Leben, wie es mir bisher fern geblieben ist – rasch pulsierendes, alle Kräfte forderndes Leben, ein Atemzug frischer Luft, die alle dämmerigen Hirngespinnste verjagt, dafür aber Bewußtsein der eignen Individualität bringt.«

Rose Marie lachte.

»Bei Champagner und künstlicher Beleuchtung sehen sich die Dinge wesentlich anders an, mein Herr Dichter, als im nüchternen Tageslicht. Heutzutage gibt es nur eins im Kampf um das Dasein. Mann für Mann, nebeneinander und gegeneinander mit der größten Brutalität seinem Ziel nachstreben, ohne danach zu fragen was unter die Füße kommt, was beiseite gedrängt wird.«

Sie seufzte ein wenig und berührte mit der Hand leicht die Brillanten an ihrem weißen Halse. Kraß und drastisch hatte sie ihre eigene Lebensanschauung zum Besten gegeben, indem sie sprach, wurde ihr das selber recht klar. Egoismus war auch ihr die Grundbedingung ihres ganzen Lebens gewesen.

Er hatte spielend ihren weißen Maraboutfächer aufgenommen und entfaltet. Das scharfe Parfüm stieg ihm mehr noch als der ungewohnte Wein zu Kopf und verwirrte sein Denken.

Eine neue Welt war ihm entstanden, und in ihr thronte nur ein Götterbild, Rose Marie!

Sie war recht erfahren in solchen Dingen und wußte genau, was in ihm vorging, befriedigte Eitelkeit strahlte aus ihren großen Augen. Er, so jung, hübsch und voll glühender Begeisterung sah in diesem Kranz von reizenden Mädchen und jungen Frauen doch nur sie – sie allein und keine einzige andere. Mit leisem Auflachen nahm sie ihm den Fächer aus der Hand, denn er hatte die leicht beweglichen Federn an seine Lippen gedrückt.

»Das taugt nicht für Sie!«

»Nein, Sie haben recht!« Tief tauchten seine Augen in die ihren. »Kopf und Herz, alle Sinne sind mir verwirrt – durch Sie, Rose Marie.«

Nachdenklich wiegte sie den Kopf hin und her.

»Das geht vorüber, mein Freund! – Sie wissen noch gar nicht, wie elastisch und wandelbar ein Menschenherz ist!«

»Ich weiß nur eins – daß ich Sie anbete!«

Er hatte es wirklich in ihr Ohr zu flüstern gewagt, was er in diesem Augenblick wie einen glühenden Feuerstrom durch sein Inneres rinnen fühlte; wenn sie ihm nun zürnte, so mußte er es tragen, der Augenblick war stärker gewesen. Aber sie schwieg. Die Blumen an ihrer Brust hoben sich um keine Linie schneller oder höher, nachdenklich und selbstvergessen spielten die schlanken Finger mit den zerbrochenen Mandelschalen auf ihrem Teller.

»Sind Sie mir böse?« fragte er, und sein heißer Atem streifte ihre Wange. »Rose – o Rose, ich kann nicht anders!«

Nun lächelte sie ohne aufzublicken. Eine Romeoliebe – da, hatte sie ja, was sie sich erwünscht.

»Sie sind ein Kind!« sagte sie leise, »denken Sie an Ihre Frau.«

Er stampfte mit dem Fuße auf.

»Ich will nicht – ich will nicht! Mein ganzes Leben, das hinter mir liegt, ist seit dieser Stunde versunken, vor mir ersteht ein neues – neben Ihnen, Rose Marie!«

Sie warf, wie in plötzlicher Entschlossenheit, die Hülsen alle aus der Hand auf den Teller zurück, und den Kopf hebend sah sie ihn mit den großen, ruhigen Augen an.

»Es sei, Alten! Ich nehme Ihr neues Leben an!«

Mit einem halb erstickten Jubellaut beugte er sich auf ihre Hand, die den Fächer hielt; sie wehrte ihn ab.

»Und ich bin nicht einmal sentimental genug, mir einzubilden, ich beginge damit ein Unrecht an der, die Ihren Namen trägt. Sie haben ihr ja gehört, warum hat sie es nicht verstanden, Sie zu halten? Ich gebe niemanden frei, den ich halten will, das weiß ich recht gut, und deshalb ist es eine unbequeme Sache, mein Eigentum zu werden, das bedenken Sie!–Ehrlicher kann man wohl nicht sein,« sagte sie ruhig.

Da legte sich eine kleine kalte Hand auf Rose Maries Schulter, und Gretes blasses Gesicht tauchte auf.

»Exzellenz Görner schickt mich her, ob du die Tafel nicht aufheben willst, ihr wird das lange Stillsitzen zur Qual, Rose,« sagte sie mit einer recht tonlosen Stimme und sah gar nicht die Wolke, die die Stirn ihrer Tante beschattete.

Rose Marie erhob sich hastig.

»Unausstehlich, diese alten Damen,« sagte sie gereizt, »aber man muß ihr den Willen tun.«

Viktor sah ihr nach; seine Augen wurden zum Verräter seiner geheimsten Gedanken, und der gespannte Zug um Gretes Lippen verstärkte sich etwas, als ihr Blick Viktor streifte.

Er hatte sich erhoben und stand nun neben dem jungen Mädchen, fast ohne sie zu sehen. Grete war diejenige, die das Schweigen zwischen ihnen brach.

»Es ist heiß hier, und der Blumenduft verursacht Kopfweh,« sagte sie, mit der Hand über die Stirn streichend, »nicht wahr, Herr Alten?«

Er sah sie an, als fände er sich mit Mühe in die Gegenwart zurück.

»Ich glaube!« entgegnete er zerstreut.

Sie atmete zweimal tief auf.

»Selbst auf die Gefahr hin, Ihnen indiskret zu erscheinen,« sagte Grete endlich hastig, und Röte und Blässe wechselten auf ihrem Gesicht, »muß ich Ihnen doch sagen, daß Rose nur ein Kind des Augenblicks ist. Was ihr heute gefällt, reizt sie morgen nicht mehr, und sie wirft ein Herz, ein verpfuschtes Leben mit derselben Gleichgültigkeit beiseite, wie ihre Fächer. Es lohnt nicht, ihr das Opfer eines Menschenherzens zu bringen, Herr Alten.« Er sah in das erregte Mädchengesicht, dessen Lippen unter ihren Worten zuckten, obgleich sie gezwungen wurden deutlich zu sprechen, und der Ärger, der ihn im ersten Moment gepackt hatte, wich augenblicklich, als er den Kampf sah, den es sie kostete, so zu sprechen. Ihr Gerechtigkeitssinn mußte also stärker sein, als ihre weibliche Zurückhaltung.

»Sie machen sich also, wenn ich Sie recht verstehe, zum Anwalt meiner Frau, Fräulein Grete?« fragte er, noch nicht ganz einig mit sich, wie er ihr antworten sollte.

»Ja!« sagte sie ohne Besinnen. »Das Recht ist auf ihrer Seite.«

»Und wenn es sich in der Tat so verhielte, was heißt da Recht?« brach er aus. »Glauben Sie, daß die Schranke, die es aufrichtet, mächtig genug ist, um ein ganzes Leben einzudämmen? Schranken und Gesetze sind machtlos, sobald die Stimme der Leidenschaft spricht.«

»Dann lohnt es sich freilich nicht, ein Mensch zu sein, also Herr über sich selbst!« sagte Grete und sah ihn zürnend an.

Er begriff, daß sie ganz genau wußte, wie es um sein Herz stand, und da mit der beseligenden Gewißheit, Rose nicht gleichgültig zu sein, ein toller Wagemut über ihn gekommen war, so schüttelte er das lockige Haar in den Nacken und sah sie mit den dunklen, unergründlichen Augen fest an.

»Fräulein Grete, wohl Ihnen, wenn Sie immer so denken, aber vor allen Dingen – die Naturen sind sich nicht gleich, ein Mann hat die Berechtigung anders zu empfinden als ein Weib. Und wenn ich meine Frau nicht mehr liebte – wenn es sich in der Tat so verhielte – wäre es wohl allein meine Schuld? – Nicht auch die ihre? – Da hilft dann kein Band, kein Eidschwur, keine Berufung auf menschliche Gesetze, da heißt es nur – suchet euch gegenseitig das zu bleiben, was ihr euch wart, oder – findet euch mit dem schalen Rest ab, so gut ihr könnt. Das ist menschlich und logisch gedacht, nicht wahr?«

»Sehr logisch!« sagte Grete bitter, »besonders wenn dann eine andere dazwischen kommt, die in bezug auf Herz und Gewissen derselben Logik huldigt.«

Sie drehte sich um und ließ ihn stehen, ihr war traurig zumute. In ihr regte sich ein Empfinden, über das sie sich selbst nicht einmal Rechenschaft zu geben wagte.

Tränen, die sich nicht länger niederkämpfen ließen, rannen über ihr Gesicht, nachdem die Gäste gegangen waren und sie das Aufräumen der Dienerschaft überwachte.

Vor demselben Tischchen stand sie, an dem Rose Marie und Alten gesessen. Was dort vorgegangen, war für Gretes feines Empfinden nicht schwer zu erraten, es hatte sie in einen inneren Aufruhr gestürzt, dessen sie jetzt noch nicht Herr werden konnte.

Am Boden lagen ein paar zertretene Rosen, sie bückte sich und hob die eine davon auf; ihre Tränen fielen auf die zerquetschten Blätter.

»Am liebsten wäre ich tot!« dachte sie mit bebenden Lippen.

»Grete!« rief Rose Marie aus dem Nebenzimmer.

Wie gejagt, floh sie davon. Es war ihr nicht möglich, ihrer Tante heut abend noch unter die Augen zu treten, sie hätte auch ihr gegenüber vielleicht ein Wort gesagt, das besser ungesprochen blieb. Was nützte es auch, etwas aufhalten zu wollen, das so sicher seinen Lauf nahm, wie das Schicksal. Ihre Hände waren zu schwach–und ihr Herz wund. Sie wollte nichts mehr hören heut abend, vor allen Dingen nicht denken. Ihr Gesicht grub sie tief in die Kissen des Bettes, aber der Schlaf floh sie.

»Ich wollte, ich stürbe!« dachte sie. Zum erstenmal in ihrem ruhigen, klaren Leben war Grete feig–feig um eines Mannes willen. »Sie durfte sich nicht klar werden, weshalb sie so unglücklich am heutigen Abend gewesen war.– Rose Marie aber stand in ihrem Ankleidezimmer vor dem hell beleuchteten Spiegel, und sah mit ruhigen, prüfenden Augen in das blinkende Glas, Um ihren Mund lag ein Lächeln.

»Was schreien die anderen nur so um die Jugend,« dachte sie, »mir haben die Jahre wenig Abbruch getan. Ich bin immer noch die Rose Marie, der die Herzen der Männer zufliegen, trotz, meiner sechsunddreißig Jahre. Immer noch dieselbe – und ich werde es bleiben!«

»Man ärgert sich über mich, beneidet mich – liebt mich! Was will ich mehr!« dachte sie weiter, »und Viktor...« Sie stieß mit der Fußspitze eine herabgefallene Blume auf dem Teppich hin und her. »Eine Dichterliebe! Einbildung, Phantasie, ungestillte Sehnsucht, unerreichbares Ideal – das ist es, was ich ihm sein will, so lange es mir behagt!...«


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