Hedwig Schobert
Künstlerblut
Hedwig Schobert

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XXII.

»Ich muß mit Martha sprechen!« Der Gedanke hatte ihn seit dem Morgen verfolgt, jetzt in Rose Maries rot durchleuchtetem Zimmer kam er mit einer Heftigkeit wieder, der er kaum zu widerstehen vermochte.

Sie würde triumphieren, das kühle, nur ihren Vorteil kennende Weib, daß ihr durch das Geschehene nun auch der letzte Stein des Hindernisses aus ihrem Weg geräumt war, sie würde ihm lachend den Abschied geben und sich ihrer wiedergewonnenen Freiheit freuen. Er wußte das so genau!

– Aber er wollte sich den bitteren Genuß nicht entgehen lassen, sie persönlich mit dem Umschwung der Dinge bekannt zu machen. Mit einem letzten Kuß wollte er von ihr, dem sichtbaren Teil des entschwundenen Jugendtraumes, Abschied nehmen und dann versuchen, sein Joch zu tragen.

– Seine Pulse klopften, jede Fiber seines Seins verlangte gebieterisch nach einem letzten Zusammensein mit der Einstgeliebten, dann Verschmähten, nun heiß Begehrten. Diesmal würde sie ihm willig eine Zusammenkunft gewähren, der sie bis jetzt so konsequent ausgewichen war, denn diesmal galt es ihre Freiheit, ihre Zukunft an Graf Gilsachs Seite.

Er preßte die Zähne zusammen in eifersüchtigem Zorn und ließ zum drittenmal eine Frage seiner Braut unbeantwortet.

»Aber Viktor!« sagte Rose Marie erstaunt. »Woran denkst du nur?«

Sie bog sich ihm entgegen, um Augen und Mund ein unruhiges Lächeln. Wie unvorsichtig sie war! Oder hatte er nur bisher keinen Blick dafür gehabt? Um die Augen zogen sich feine Linien, um den Mund ebenfalls, ein haarscharfer, dunkler Strich unter den Wimpern, der dem Blick mehr Feuer gab, fiel ihm zum ersten Male auf. Die Haut der Wangen, noch immer weiß und voll, zeigte doch, trotz des Puders, beginnendes Welken, und so würde es abwärts gehen, – immer abwärts... Er sprang plötzlich auf.

»Verzeih mir, Rose, verzeih,« bat er stürmisch. »Aber noch bin ich nicht ich selbst, der heutige Tag brachte zu viel – laß mich gehen...«

Sie nickte. So klug sie war, diesmal verstand sie ihn nicht; und für dies Nichtverstehen, das er fühlte, küßte er sie dankbar.

In seinen Pelz gewickelt, den Hut tiefer in das Gesicht gedrückt, ging er vor Marthas Wohnung auf und ab. Sie mußte jeden Augenblick kommen – allein, daran zweifelte er nicht. Graf Gilsach verabschiedete sich stets vor dem Theater von ihr, deshalb hatte er auch nicht den Versuch gemacht, sie dort zu treffen. Am Ende der Straße zeigte sich das näherkommende Licht eines Wagens. Das mußte sie sein. Er trat dicht in den Schatten des Hauses.

Als sie ausstieg und den Schofför ablehnte, trat er an ihre Seite.

»Martha!«

Sie blickte überrascht auf.

»Du?!«

Es war keine Freude, die aus ihrem Ton klang, und mißtrauisch sah sie ihm dabei in das Gesicht.

»Ich muß dich sprechen – nur eine Viertelstunde,« stieß er hervor.

Sie zog den Mantel fester um sich und stieg die Stufen zu ihrer Haustür hinauf.

»Um diese Zeit! Du bist närrisch!« sagte sie ruhig.

»Um den Preis deiner ersehnten Freiheit!« Es klang bitter.

Sie blickte überrascht auf. Mit der Hand schon am Schloß, zögerte sie.

»Du willst, Viktor?«

»Ja, ich will! – Du sollst alles erfahren, Martha, aber nicht hier! Eine Viertelstunde nur – ich bin ja dein Mann.«

Sie lachte belustigt.

»Das ist zwar Nebensache, aber – in Gottes Namen!«

Sie stieß die Haustür auf, und er folgte ihr, im dunkeln, vorsichtig, mit klopfendem Herzen.

Sie warf Pelz und Kopfhülle von sich und stand in ihrem losen weißen Morgenkleid, das sie stets nach dem Schluß des Theaters anzog, vor ihm, schön und neugierig, wie sie es gewesen in der ersten Zeit ihrer Ehe. Zum erstenmal betrat er diese Räume, die seiner Frau gehörten, zum erstenmal sah er sie allein, ungestört, seit jener Nacht, die sie damals auf immer getrennt hatte. Der Atem versagte ihm einen Moment, er stützte die Ellenbogen auf die Knie und barg sein Gesicht darin.

Sie berührte ihn leicht an der Schulter.

»Viktor, sprich! Es ist spät, ich will schlafen gehen. Was ist es?«

»Du denkst an Schlaf!« sagte er beklommen.

Sie lachte, »Natürlich. Meine Schönheit zu konservieren ist meine erste Pflicht. Darum mach schnell.« Er atmete tief auf.

»Ich gebe dich frei, Martha.«

Mit einem Jubelschrei schlang sie ihre Arme um seinen Hals.

»Endlich! Endlich! Ach, Viktor, wie froh bin ich!«

»Du denkst nur an dich,« sagte er und schob sie verletzt zurück. »Was es mich kostet, warum ich es tue, danach fragst du nicht.«

»Ich denke mir,« sagte sie nachdenklich, »die Kommerzienrätin wird schuld daran sein. Ruprecht machte eine Bemerkung, die darauf schließen ließ. Im übrigen ist er so zugeknöpft über alles, daß ich durch ihn eine Sache sicher nicht eher erfahre, als bis alle Welt sie weiß.«

»Ja, du hast recht,« sagte er seufzend. »Ich kann nicht anders, will ich ein ehrlicher Mann sein, als Rose Marie meine Hand anbieten.«

Sie setzte sich neben ihn in die Sofaecke; die Lampe verbreitete nur ein geringes Licht, aber er sah doch ihre taufrische Schönheit und seufzte nach ihr wie ein Verzweifelter.

»Ich finde, daß du sehr vernünftig gehandelt hast,« Viktor,« sagte sie völlig ernsthaft. »Tröste dich deshalb über den Unterschied der Jahre, denn sie ist reich. Du hast doch den elenden Zustand eines armen verheirateten Dichters kennen gelernt! Die Sorge und die Kosten der Wirtschaft haben dich damals beinahe aufgezehrt, und nun du ihnen endlich entronnen bist, ein bequemes, angenehmes Dasein vor dir liegt, bis an dein Lebensende, da seufzst du auch und tust, als ob dir jemand weiß Gott was genommen hat. Bist du denn niemals zufrieden? Etwas von all seinen Hoffnungen muß jeder daran geben.«

Er sah sie fassungslos an.

»So argumentierst du in jeder Lebenslage, Martha?«

»Mein Gott, ich bin eine vernünftige Frau und nehme das Leben wie es ist,« sagte sie achselzuckend. »Glaube mir, das ist viel besser, als immer mit dem Kopf gegen die Wand laufen.«

»Und vergißt du ganz, daß ich dich liebe?« sagte er und lehnte seinen Kopf an ihre Schulter.

Fast mitleidig sah sie zu ihm nieder.

»Das ist auch so eine närrische Idee, die du, eben nur du, fassen kannst! Drei Jahre haben wir voll Unfrieden und Zwietracht gelebt, und nun fällt es dir plötzlich ein, mich zu lieben.«

»Vergißt du, was vorher war?« fragte er.

Sie antwortete nicht darauf. »Würde heute wieder ein Opfer an dich herantreten, so würde sich diese Liebe ebenso schnell verflüchtigen wie jene erste. Du bist ein Egoist, Viktor.« Er starrte sie an. Dieses liebreizende Gesicht mit den großen Augen und dem Kinderausdruck sah er Tag und Nacht in seinen Träumen, aber dann sprach der süße Mund andere Worte.

»Vielleicht bin ich ein Genius, der vom Himmel gefallen, sich auf Erden nicht zurecht zu finden versteht,« sagte er bitter.

»Mein Gott,« begann sie etwas übellaunig, »bist du nur herauf gekommen, um mir das zu sagen? Ich glaubte, wir wollten unsere Trennung besprechen!«

»Martha!« rief er mit zusammengepreßten Zähnen, »du hast doch keine Spur von Güte, von Milde und Weichheit in dir – warum schuf dich Gott nur schön – nichts weiter als schön!«

Sie drehte spielend das Band ihres Schlafrockes um die Finger, im stillen freute Viktors Leidenschaft sie gerade jetzt, wo sie wußte, daß sie ihr entrückt war.

»Ich bin damit zufrieden,« sagte sie kokett. »Und höre, noch eins! Mache es so heimlich wie möglich, unsere Trennung, es braucht niemand davon zu wissen.«

»Schämst du dich meiner?« fragte er heftig.

»Nein, aber das Gerede ist doch überflüssig. Ich bin gebunden, du bist gebunden. – Gehst du morgen zu einem Rechtsanwalt? Laß es mich wissen, – ich wünschte, es wäre schon alles vorbei.«

Er sah sie an, wie sie dasaß. Jung, schön, frisch, und wieder überwältigte ihn seine Leidenschaft für sie, aufspringend breitete er ihr die Arme entgegen.

»Martha, eh' wir scheiden, komm noch einmal an mein Herz, laß dich noch einmal küssen.«

Sie zögerte, als sie aber in sein bewegtes Gesicht sah, da wurde auch in ihr für einen flüchtigen Augenblick die Vergangenheit lebendig, sie legte ihre Arme um seinen Hals und küßte ihn. Halb beseligt, halb gequält stöhnte er auf. Zum letztenmal hielt er seinen Jugendtraum in den Armen, zum letztenmal verkörperte Marthas warme Gestalt ihm das, was einst gewesen. –

Als er auf die Straße trat, schlug es gerade zwölf Uhr. Fröstelnd zog er den Pelz fester um sich. Mit vollem Licht flammte die Straßenlaterne über ihn hin, als er die Stufen hinabschritt mit dem Gefühl, er habe soeben etwas Liebes begraben. – Er zuckte jäh zusammen, als jemand dicht neben ihm seinen Namen nannte.

»Wo, in drei Teufels Namen, kommen Sie denn her?« Paul Herbert stand neben ihm, und die Schatten der Nacht verbargen den bösen, verzerrten Ausdruck seines Gesichts.

»Ich! – Ich bin wie Sie auf dem Heimwege begriffen,« sagte Viktor ruhig.

»Das glaube ich Ihnen gern – nur ist unser Ausgangspunkt nicht der gleiche gewesen. Ich komme aus Hellmuths Weinkneipe, Sie dagegen aus den Armen der Liebe, wie ich vermute.« »Ihre Vermutung täuscht Sie gründlich, lieber Direktor.«

»Spielen Sie mir gegenüber nur nicht den Edelmütigen,« fuhr Herbert auf, mühsam seinen Zorn beherrschend. »Ich sah, aus welchem Hause Sie traten, ich sah bei der Norden Licht oben, und als Sie gegangen, erlosch es. – Der Tugendwandel unserer blonden Bühnenschönheit hat ein Loch bekommen.«

Mit zitternden Händen hielt er Viktor im Vorwärtsschreiten auf. »Gegen mich war sie kaltherzig und unnahbar – mich hat sie verschmäht, und Ihnen – wahrhaftig, ich weiß nicht, soll ich Sie hassen oder beneiden.«

»Keines von beiden.«

»Ich gebe Ihnen zu, dies Weib hat mich gereizt, ich hätte alles für sie getan – sie wollte nicht – bon!«

Es klang so viel bittere, verletzte Eitelkeit, solch ein Hohn aus jedem Wort, daß Viktor den Zwang empfand, Marthas Ruf nicht ohne alle Verteidigung zu lassen.

»Sie sind mit Ihren Annahmen völlig im Irrtum, Herbert,« sagte er eindringlich.

Der Schauspieler nahm den Hut ab, und der kalte Winterwind strich über sein noch von der Vorstellung her gebranntes Haar. Mit kurzem, zynischem Lachen beantwortete er Altens Worte. –

»Und wenn ich bedenke, wie kaltblütig sie tat! Ich, – sogar ich, ließ mich von dieser Komödie blenden! Daß sie nach einer guten Partie fischen würde, habe ich ihr zugetraut, ein Liebesverhältnis mit Ihnen – gerade mit Ihnen ...« er verschluckte den Rest, und obgleich sich Viktor durch Ton und Worte beleidigt fühlte, kämpfte er doch heroisch, um dem nicht nachzugeben. – Plötzlich aber fuhr der Schauspieler herum, das Laternenlicht streifte seine verlebten, von Leidenschaft durchwühlten Züge, in denen nichts Edles mehr zu finden war. »Aber wie ist mir denn? Erfuhr ich nicht vorhin, daß Sie verlobt wären? – Mit der Rätin? Ha! Ha, ha! Ist das wahr, Alten?«

»Ja!«

»Und dann außerdem noch dies kleine Extravergnügen? Nun, Ihre Braut kann außerordentlich stolz auf eine derartige Teilung sein.«

»Hören Sie, Herbert,« sagte Viktor so ruhig er konnte. »Ich sehe ein, daß Sie zu viel und zugleich zu wenig wissen, um die Sachlage beurteilen zu können. In die Enge getrieben, wie ich nun einmal bin, mögen Sie also die Wahrheit wissen. Ihrer Diskretion halte ich mich versichert. Wußten Sie nicht, daß die Norden verheiratet ist? – Nun wohl – ich bin der Mann!« –

Mit einem unartikulierten Laut blieb der Schauspieler stehen.

»Sie – Sie, Alten?!« –

»Marthas Theaterleidenschaft, meine beschränkten Verhältnisse rissen uns auseinander, wir sind seit Jahren getrennt, ohne geschieden zu sein. Heute verständigten wir uns auch über diesen letzten Schritt. Meine Zukunft gehört Rose Marie, die ihrige dem Grafen Gilsach.«

Mit auf die Brust gesenktem Kopf ging der Schauspieler lautlos neben dem Sprechenden hin. Wunderlich, daß das Liebesfeuer für die schöne Frau von jedem Wort in ihm neu geschürt, anstatt ertötet wurde! Altens Weib, – nicht die Frau eines unbedeutenden, erbärmlichen Menschen, der sie zu sich herabgezogen hatte, wie er immer angenommen, – die zukünftige Gräfin Gilsach ... Alle unedlen Instinkte seiner Natur erwachten mit doppelter Kraft; da lohnte es sich, noch in letzter Stunde zu kämpfen. Mehr als Viktor ahnte, war er sich über dessen Seelenzustand im Klaren, mehr, als jener für möglich gehalten hätte, arbeitete sein Gehirn, unbehelligt von jedem Gewissensskrupel, um einen Weg zu finden, der ihn sicher zu seinem Ziel führte. –

Stumm gingen die beiden Männer nebeneinander. Der Schnee knirschte unter ihren Füßen, und am Himmel funkelten tausend hell blinkende Sterne.

Auf einmal lachte der Schauspieler hell auf.

»Wahrhaftig, es gibt Frauen und Frauen,« sagte er, wie die laute Fortsetzung eines Gedankens. »Wenige sind unter ihnen, die verdienen, geliebt zu werden, noch wenigere, die selbst lieben können. Im ganzen ist es ein minderwertiges Geschlecht, treulos und falsch. Ihretwegen brauchen wir uns wirklich keine reuigen Stunden zu schaffen. Und wenn Sie mit Ihren Dichteraugen den Wald vor Bäumen nicht sehen wollen, mein lieber Alten, so ist das Ihre Sache und Ihr spezieller Genuß. Gute Nacht, schlafen Sie wohl!«

Er drückte ihm flüchtig die Hand. In Viktors Herzen regte sich etwas wie Ekel gegen die zynische Natur, die nichts anderes kannte als begehren und nehmen. – Und ihn – gerade ihn hatte er gezwungenermaßen zum Vertrauten machen müssen! – Es bedrückte ihn, obgleich er wußte, daß er den Umständen gemäß richtig gehandelt hatte.


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