Hedwig Schobert
Künstlerblut
Hedwig Schobert

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XXX.

Viktor Alten beneidete seit einiger Zeit die Droschkenschofföre um den gesegneten Schlaf, mit dem sie der Mittagssonne ebenso trotzten, wie der monddurchhellten Sommernacht; ihm begann er immer mehr zu fehlen.

Zuerst schob er es auf seine Verstimmung, dann auf die Hitze, endlich aber gestand er sich ein, daß das wochenlange Warten auf Nachricht über sein Stück, ihn so rastlos und unwirsch machte. Daß man ihn warten ließ wie einen unbekannten Neuling, ihn, den Helden der vergangenen Saison, dessen Name doch überall den Erfolg verbürgen mußte, das begriff er nicht. Natürlich hatte er es an ein anderes Theater der Stadt gegeben, dessen Direktor ihn im vorigen Winter oft und oft darum angegangen hatte, wenn sie sich im Hause der Kommerzienrätin getroffen. Damals hatte er achselzuckend und lächelnd die Bitte abgeschlagen; jetzt aber, seit er an dem Stück »Das Recht des Stärkeren« schrieb, hatte er sich stets mit Genugtuung der lobenden Worte des Direktors erinnert. Nicht er würde unter dem Zerwürfnis mit Herbert zu leiden haben, für den war der Schlag viel empfindlicher, wenn er einen Autor wie ihn verlor.

Viktor Alten hatte nur ein Ziel vor Augen.

Wenn er, losgelöst von allen bisherigen Beziehungen, an einem fremden Theater mit einem neuen Stück, dieselben Lorbeeren erntete wie im vergangenen Winter – dann würde er in den Augen aller völlig entsühnt sein, durfte den Kopf stolzer heben, fester war ihm dann der Boden unter den Füßen.

Er sehnte sich nach dieser Genugtuung; von Tag zu Tag schien ihm der Druck unerträglicher, der jetzt auf ihm lastete; es war ihm unbegreiflich, daß man ihn so lange warten ließ, sein Stück war doch gut, die feste Überzeugung hatte er.

Eines Morgens brachte der Postbote ihm ein als Wertsendung deklariertes Paket. – Sein Stück!

Er erblaßte, als er den Umschlag löste. Das hatte er gar nicht in Betracht gezogen, nicht für möglich gehalten. – Ein sehr höflicher, aber völlig nichtssagender Brief lag dabei. Der Direktor bedauerte aufrichtig; zu viel vorhandenes Material, ungeeignete Kräfte; – er müsse leider darauf verzichten, das Stück für seine Bühne zu erwerben.

Viktor biß die Zähne aufeinander. Eine dunkle Ahnung von der wirklichen Ursache der Ablehnung tauchte in ihm auf. Man scheute sich, seinen Namen vor das Forum der Öffentlichkeit zu stellen, man fürchtete das Publikum, die Kritik – weiß Gott wen.

»Feiglinge!« sagte er laut und schlug dröhnend mit der Hand auf den grauen Pappdeckel. Seine großen, dunklen Augen verloren für einen Augenblick allen Glanz, als lösche man hinter ihnen ein Licht aus.

Aber er wollte nicht dulden, daß man ihm die Möglichkeit nahm, zu beweisen, daß er schaffen konnte, trotz der Qualen der letzten Zeit, daß es kein Diebstahl gewesen, den er damals begangen.

Er griff nach seinem Hut, um den Direktor persönlich aufzusuchen; eine Sekunde darauf legte er ihn wieder aus der Hand.

Sollte er etwa betteln? Nein! Er hatte das nicht nötig, er nicht; in ihm schlummerte die Schöpferkraft, die jene reich machte, und wenn sie ihn abwiesen, war es nur ihr eigener Schade. Er würde es tragen.

Mechanisch blätterte er in dem zurückgekommenen Manuskript; aus jeder Zeile leuchtete ihm das befreiende Selbstbewußtsein entgegen, daß sie gut war. – Nicht eine Minute zweifelte er an sich selbst.

Und unter diesem Gefühl setzte er sich hin und schrieb einen kurzen, höflichen Brief an den Direktor einer zweiten Bühne, sein letztes Geisteskind beifügend.

Ein melancholisches Lächeln zog über sein schönes, ernstes Gesicht. »Wie sich doch die Zeiten ändern!« dachte er unwillkürlich. An dieses noch so junge, erst im Werden begriffene Institut hatte er kaum jemals gedacht. – Nun überschlug er im Geiste den Vorteil, den es dem Leiter dieser Bühne bringen würde, mit einem wirksamen Stück, das seinen Namen trug, die Saison zu eröffnen. Das hatte sich der gewiß nicht träumen lassen! Und wie würde Herbert sich ärgern, wenn das Konkurrenzunternehmen mit dem ersten Schlage ihn so weit überflügelte.

– – – Diesmal brauchte er nicht so lange zu warten.

Kaum zwei Wochen später lag das »Recht des Stärkeren« heimgekehrt wieder auf seinem Pult.

»So schwer es mir wird, auf die Erwerbung ihres Stückes verzichten zu müssen,« schrieb der Direktor, »sehe ich doch leider keine andere Möglichkeit vor mir. Ihr Stück verspricht viel, vollen Erfolg; aber ich wage es trotzdem nicht. Die Gründe brauche ich Ihnen wohl nicht erst klarzulegen ...«

In ohnmächtigem Zorn schlug Viktor mit der geballten Faust auf das Manuskript. Dann überfiel ihn jäh Entmutigung, einsam saß er da, den Kopf an die Lehne des Sessels gepreßt. – Waren sie wirklich vorüber, die Tage des Glanzes und Ruhmes? Durften sie ihn richten, weil er nichts anderes getan, als etwas zum Leben erweckt hatte, das zwar ein anderer zuerst erdacht, ihm aber den Pulsschlag der Daseinsfähigkeit nicht zu geben vermocht hatte? – Er dachte an seine Kämpfe, an sein Widerstreben – und abermals schrie es in ihm auf: zu hart! zu hart! –

Er trocknete sich die Stirn. Ein nie gefühltes Mitteilungsbedürfnis überkam ihn plötzlich; er ging zu Gregor.

»Komm mit, wir wollen spazieren gehen, in der Stadt ist die Luft unerträglich,« sagte er mit so verstörtem Wesen, daß der Freund ihn betroffen ansah.

»Was hast du?« fragte er in seiner kurzen Art.

»Ich?« Viktor warf den Kopf in den Nacken. »Lohnt es sich wirklich, davon zu sprechen? – Ist es nicht eigentlich zum lachen? – Zum lachen!« – Aber sein Ton klang anders als seine Worte, matt und hoffnungslos.

»Du hast dein Stück zurückbekommen,« sagte Gregor ruhig und setzte sich den alten zerknüllten Schlapphut auf den kahlen Kopf.

»Wer hat dir das gesagt? Pfeifen es etwa schon die Spatzen von den Dächern?« fuhr Viktor auf.

»Dein Gesicht und – meine Ahnung! Aber nun höre einmal auf mich.«

Sie gingen schweigend durch die sonnendurchglühten, staubigen Straßen. Im Park vor der Stadt mußte es kühler, dunkler und stiller sein als hier. Viktor drückte die Hand an den schmerzenden Kopf. Da stießen sie unerwartet auf Füßlein, der ihnen entgegenkam.

»Na ja, Glück muß der Mensch haben,« sagte er munter. »Eben wollte ich zu Ihnen, Alten, und Sie zu einem Spaziergang abholen; da laufen Sie mir, noch dazu beide, über den Weg.«

»Sie – mich?« fragte Viktor mißtrauisch. Er sah schon seit längerer Zeit in jedem früheren Bekannten seinen Feind. »Das ist mir mindestens unerwartet.«

»Aber hoffentlich nicht unwillkommen.«

Unerwartet durfte es Alten schon sein. Füßlein hatte sich allerdings in letzter Zeit merklich von ihm zurückgezogen, und vielleicht weil dem Redakteur darüber etwas das Gewissen schlug, war er jetzt doppelt liebenswürdig.

»Ich wollte mich eigentlich halb und halb von Ihnen verabschieden, Alten,« sagte er. »In der nächsten Woche verreise ich, will mir einmal die Mitternachtssonne etwas vorscheinen lassen. Sie sollten auch etwas Ähnliches beginnen. – Sie sehen miserabel aus.«

Viktor zog sein Tuch und trocknete die Stirn, während er etwas Unverständliches murmelte; dabei fiel aus seiner Rocktasche der zerknitterte Brief des Theaterdirektors auf den Kies des Parkweges. Füßlein bückte sich und hob ihn auf, als er ihn Alten reichte, fiel ihm deutlich die Unterschrift in die Augen.

Der hatte den Vorfall erst bemerkt, als er Füßleins Blicke auf dem Namen ruhen sah. Gereizt, wie er durch seinen körperlichen Zustand war, schoß ihm ein Blutstrom in das Gesicht, seine Augen funkelten.

»Pardon,« sagte Füßlein, »es war nicht meine Absicht, in Ihre Angelegenheiten zu dringen.«

»Aber da es nun einmal geschehen ist, freuen Sie sich – freuen Sie sich, wie die ganze Meute, die ihr an meine Fersen geheftet habt!« rief Viktor heftig.

Unter einem dunkelbelaubten Baum stand eine Bank völlig im Schatten, auf die zeigte Füßlein.

»Setzen wir uns, Alten. – Da wir doch einmal, gegen meine eigentliche Absicht, auf dies Thema gekommen sind, will ich Ihnen ehrlich und freundschaftlich meine Meinung sagen. Ich weiß, daß man Ihnen Ihr Stück zurückgegeben hat, unbeschadet seines Inhalts, – und ich muß mich vernünftigerweise auch auf die Seite der Vorsichtigen stellen. Das Publikum ist unberechenbar. Wer steht Ihnen dafür, daß nicht einige Übelwollende, Skandalsüchtige sich veranlaßt fühlen, Ihnen gegenüber die Rolle der Nemesis zu spielen? So tolerant wir uns meist selbst beurteilen, so gern und willig sind wir bereit, an andern einen Schritt vom Wege ›streng aber gerecht‹ zu verurteilen. – Es war ein heilloses Unglück, daß die Geschichte öffentlich wurde; vertuschen läßt sich nicht viel. – Nehmen wir einmal an, Ihr nächstes Stück schlägt wieder ein; glauben Sie, man läßt Ihnen dann kampflos den Lorbeer? Da verdächtigt und verleumdet man Sie erst recht nach Herzenslust und reißt so lange an den vermeintlichen falschen Federn, bis ein Stück Herz mit zum Teufel gegangen ist. Aber was kümmert das diese stolzen Gerechten! – Und wie soll sich die Kritik zu Ihrem neuen Werk stellen? Lobe ich es, weil es wirklich gut ist, so verdächtigt man mich als Ihren Freund, lobe ich es nicht, weil es mir nicht gefällt, so sind Sie erst recht geliefert. Die süße ›Morgenröte‹ läßt sich natürlich keine Seite der Sache entgehen. Jawohl, die Presse ist eine Macht, aber manchmal kommt sie mir vor wie ein auf beiden Seiten geschliffenes Schwert, mit dem man sich leicht selbst verwunden kann. Und um dem Faß völlig den Boden auszuschlagen, drückt mich der Anteil, den ich ahnungslos an Ihrem – na, sagen wir ehrlich – Unrecht genommen habe. Man sah Ihnen damals ja die Gewissensnot an.«

»Es hat mich viele – viele bittere Stunden, viel Kampf und Qual gekostet,« sagte Viktor tonlos, »und reichlich habe ich dafür gebüßt.« Er wischte sich wiederholt mit dem Tuch über die Stirn, der Schimmer des grünen Laubes über ihm ließ ihn noch viel bleicher und elender aussehen.

Füßlein legte ihm die Hand auf den Arm.

»Hören Sie, Alten, ich bin ein Mann von Vernunft, das, was man auch einen alten Praktikus nennen kann. Lassen Sie der Welt, unserer Welt, erst Zeit Sie etwas zu vergessen; es hing zuletzt manches Wunderliche daran. Lassen Sie ›Das Recht des Stärkeren‹ in Gottesnamen aufführen, aber später – nach einem Jahre vielleicht, oder zweien – unter einem andern Namen, und dann wenn möglich in Herberts Theater; er ist doch immerhin der berufenste Darsteller solcher Menschen, wie Sie sie schildern.«

Viktor wollte auffahren, ihm war zumut als krampfe sich eine kalte Hand um sein Herz, als müsse er ersticken. Seinen Namen sollte er verleugnen – seinen ruhmgekrönten Namen! – War die Sühne nicht zu groß für das, was er getan? – Ihm versagte die Sprache, mit einem Stöhnen sank er schwer gegen die Rücklehne der Bank, das seltsame, ohnmachtähnliche Gefühl, das er jetzt zuweilen spürte, kam in verstärktem Maße wieder. Wie im Traum hörte er nur noch, daß Füßlein sagte:

»Tun Sie wirklich etwas für sich, Alten, – und nun, Gott befohlen – auf froheres Wiedersehen ...« Wie im Traum sah er ihn gehen, und dann – er wußte nicht, ob nach Minuten oder Stunden, beugte er sich plötzlich vor, sah Gregor in das Gesicht und murmelte:

»Hast du es gehört? Viktor Alten soll von der Bildfläche verschwinden. – Der Kranz ist fort!«

»Gib mir dein Stück,« sagte Gregor, »ich will es lesen.«

Ein schwermütiges Lächeln zog über Altens Gesicht. Es war das erstemal, seit er abtrünnig geworden, daß Gregor mit einem Wort seine Arbeiten erwähnte; ihn selbst hatte er zwar in seinem Herzen wieder an den alten Platz gestellt, von seinen Schöpfungen aber bisher nie Notiz genommen. –

Am nächsten Tage schon machte sich Gregor mit dem Manuskript auf den Weg, was er gelesen, hatte seine Erwartungen bei weitem übertroffen. Das war echtes, quellendes Talent, das ihm daraus entgegensprudelte, ein Talent, das keiner fremden Anleihe bedurft hatte, um groß zu werden. Er zürnte dem Freunde nach dieser Erfahrung fast noch mehr, daß er so leichtsinnig handeln konnte; aber er sah es jetzt doch mit ganz anderen Augen an. Und noch völlig hingenommen von alledem, was er Viktor sagen wollte, passierte es ihm, daß er Paul Herbert fast umrannte, ohne ihn zu erkennen.

»Wohin denn so eilig und so in Gedanken,« sagte der große Mime in seiner gönnerhaften Manier und warf einen neugierigen Blick auf das Manuskript, das Gregor unter dem Arm trug.

»Zu Alten; ich will ihm gratulieren, sein neues Stück ist ein Meisterwerk!« rief Gregor erregt.

»Hm!« Der Schauspieler spielte mit seinem Berlocke, in dem wortlosen Ton lag Zweifel und ein Gemisch von hämischer Bosheit und Verachtung.

Gregor ärgerte der Laut.

»Sie zweifeln daran, Herr Direktor?«

»O bewahre, ich glaube Ihnen gern,« beeilte sich Herbert zu versichern, da er merkte, daß Gregor nichts von dem Zwist zwischen ihm und Alten wußte.

»Sie dürften sich freuen, wenn Sie es hätten,« sagte Gregor und machte lange Schritte.

»Halten Sie Ihr Urteil für kompetent? Laien täuschen sich wohl noch öfter darin, wie Fachleute.«

»Kann sein, hier scheint mir aber jeder Zweifel ausgeschlossen.«

»Wo will Alten damit hin?« fragte Herbert nach einer kleinen Pause. Ein Kassenstück wäre ihm sehr willkommen gewesen.

»Warte nur,« dachte Gregor heimtückisch, »dir werde ich die Trauben hoch hängen.«

»So viel ich weiß, zum Direktor Lucius,« sagte er gleichmütig. Er rechnete, daß Herbert wohl kaum von der Rücksendung seines Konkurrenten eine Ahnung haben würde, und das erwies sich richtig. Das erstemal hatte er die Hände mit im Spiel gehabt, das zweitemal war ihm unbekannt. Der Schauspieler fuhr herum.

»Zu Lucius? Aber das ist absurd!« stieß er hervor.

»So? – Warum?«

»Wissen Sie was,« begann Paul Herbert nach einem längeren Nachdenken, »lassen Sie mich doch das Stück einmal lesen – Alten braucht nichts davon zu wissen. Es ist zwar sehr schwierig, ja fast unmöglich, nach all den Vorkommnissen ein Stück von ihm zu bringen, aber – wenn es wirklich gut ist – vielleicht läßt sich ein Mittelweg finden.«

»Warum hinter Altens Rücken?« fragte Gregor herausfordernd. Er hatte den Direktor so weit, wie er ihn haben wollte und freute sich dessen im stillen.

»Das wäre meine unumstößliche Bedingung!« sagte Herbert entschlossen.

Gregor überlegte. – Er kannte seines Freundes krankhafte Eitelkeit, die jetzt verblutend am Boden lag und seine physische Gesundheit mit sich riß, er sah deutlich, daß die Schläge der letzten Zeit ihn zu einem kranken Manne gemacht, er wußte, daß Anerkennung, nach der er sich jetzt so verzweifelt sehnte, besser wirken würde, wie alle Medizin. Er gab nach.

»In drei Tagen erwarte ich aber das Manuskript zurück,« schärfte er Herbert ein, und der Direktor versprach es.

Am Abend des zweiten Tages schon suchte er Gregor in seiner öden Wohnung auf. Das Stück ließ ihm keine Ruhe. Er hatte mehr darin gefunden, wie selbst Gregor geahnt und war fest entschlossen, es für sich zu gewinnen, koste es was es wolle. Über das Wie hegte er noch Zweifel, nur daß es geschehen müsse, stand in ihm fest.

Er traf Gregor vor dem Kamin sitzend und im Begriff, einen Pack alter Zeitungen, Briefe und was sich sonst im Laufe der Zeit aufgesammelt hatte, zu verbrennen. Es war Gregor ein schauriger Gedanke, daß einstmals, im Falle seines Todes, unberufene Hände in seinem Nachlaß wühlen könnten, deshalb pflegte er von Zeit zu Zeit in dieser wirksamen Manier aufzuräumen. Bei Herberts Eintritt stand er von seiner Beschäftigung auf und blickte ihm gespannt entgegen.

»Noch pünktlicher, wie ich versprach,« sagte der Schauspieler, das Manuskript auf den Tisch legend, während er mit einem Gefühl des Grausens sich in dem kahlen, unkomfortablen Zimmer umsah. »Das Stück ist gut – sehr gut!«

»Sie wollen es also spielen?« fragte Gregor und rieb sein stoppeliges Kinn.

»Ich? Wo denken Sie hin! – Haben Sie überlegt, was ich damit riskiere? Wer gibt mir Bürgschaft, daß es mir nachher nicht ebenso geht, wie beim ›Zeichen der Zeit‹? Daß plötzlich der eigentliche Verfasser auftritt und mich dem Spott der Mitwelt über meinen unerschütterlichen Glauben aussetzt. Sie etwa?«

»Ich glaube, Sie dürfen diesmal unbesorgt sein,« warf Gregor scharf hin, denn Herberts Benehmen reizte ihn.

»Glauben! – Glauben!« wiederholte der Direktor achselzuckend. »Gut! Bleiben wir einstweilen beim Glauben. Wie soll ich mich aber dem Publikum gegenüber rechtfertigen, wenn dieses auf seiner eigenen Meinung beharrt, und diese der unseren entgegengesetzt ist? Das sind alles Dinge, über die man nicht so leicht hinweggehen kann, lieber Freund.«

»Der Teufel ist Ihr Freund!« knurrte Gregor, sich umdrehend und seine Papiere ineinanderschiebend. »Lassen Sie es bleiben; niemand zwingt Sie zu etwas, das Ihrem feinen Gefühl so ausdrücklich widerstrebt.«

»O!« rief Herbert. »Sie verstehen mich völlig falsch! Als Fachmann kann ich mich bei aller Anerkennung über die Schwierigkeiten nicht hinwegtäuschen, aber schließlich könnte man sie vielleicht verringern. Die Hauptsache ist nur Alten selbst. Sie wissen, er ist eitel und von sich überzeugt wie ...«

»Wie nur Künstler sein können,« unterbrach ihn Gregor sarkastisch mit einem nicht mißzuverstehenden Blicke.

»Vielleicht sähe er in meinem Vorschlag eine absichtliche Beleidigung,« fuhr Herbert unbeirrt fort, »deshalb würde ich um Ihre Vermittlung ersuchen. Sie wissen, zwischen uns besteht eine gewisse Verstimmung – der Norden wegen. Aber der Direktor des dramatischen Theaters und Paul Herbert sind eben nicht dieselben, sobald es sich um die Pflicht handelt, und ich sehe nicht ein, weshalb der Autor des Stückes ›Das Recht des Stärkeren‹ nicht auch eine absolut neutrale Persönlichkeit werden kann. Denn, sehen Sie, das wäre meine einzige Bedingung: der Zettel darf weder den Namen Altens tragen, noch er selbst einem Hervorruf folgen ...« Mit dem Kitzel befriedigter Rache, sich an dem Schlage berauschend, den er damit dem Gehaßten versetzte, stand Herbert mitten im Zimmer. »Will er das, so bin ich jeden Vormittag in meinem Büro zu sprechen und ...«

»Nein, das will er nicht!« rief Viktor, die Tür aufstoßend und eintretend. Sein Gesicht war rot und heiß, seine Augen flammten. »Niemals!« – Und er ballte die Hände zu Fäusten.

Mit einer geschickten Wendung war Herbert ihm ausgewichen.

»Wie kommst du her?« fragte Gregor betroffen, zugleich besorgt in das Gesicht sehend, das nun wieder in schnellem Wechsel Leichenfarbe annahm.

»Ich hörte vom Vorraum aus fast das ganze Gespräch; Gregor! Alter Freund! Dem da! – Dem hast du mein Stück aus falschem Mitleid mit mir überlassen wollen?«

»Du hörtest, daß es gut ist!«

»Ja! Und wenn der es sagt, dann muß es so sein! Aber Sie können meine Antwort gleich selbst haben, Herr Direktor, es erspart Ihnen Zeit. Niemals wieder, so lange ich lebe, soll ein Werk von mir über Ihre Bühne gehen, niemals! Und entsagte ich damit allen Ansprüchen auf Erfolg. – Nehmen Sie das, abgesehen von allem anderen, als Revanche für die arme Martha, deren Mörder Sie gewesen sind!« –

»Ich bitte dich, Viktor,« Gregor faßte den Freund am Arm, »mäßige dich, denke an deine Gesundheit.«

»Als ob mir überhaupt an dem ganzen elenden Dasein noch etwas läge. Diese Natter da hat ihr Gift unnütz verspritzt, mich trifft es nicht mehr. Ja, Viktor Alten ist tot – und zwar so, daß nichts mehr von ihm übrig bleiben soll.«

Seine Augen glitten rastlos durch das Zimmer, ohne doch etwas zu sehen, es war, als spräche er mit sich selber.

»Als ich noch ein kleiner Knabe war,« begann er leiser, »da sagte mir meine Mutter, daß sich jedes Unrecht räche – und ich weiß, daß ich Unrecht tat, als ich ›Im Zeichen der Zeit‹ schrieb. – Der Stoff gehörte ja Röhr. – Aber es war kein Diebstahl, – kein gemeiner Diebstahl, den ich damit beging! – Sie kam doch immer wieder und klopfte so bittend bei mir an, die arme, lebendig begrabene Alkante, und sah mich an mit den Augen meiner Hertha. Ich konnte gar nichts anderes mehr denken, meine Phantasie war die Herrin, die mich das Unrecht begehen hieß. Ich mußte – ich konnte nicht anders. – Aber was wißt ihr davon – von meinen Kämpfen.«

Er faßte mit den Händen die Stirn und drückte sie heftig.

»Nun ist hier drinnen alles hohl und leer,« fuhr er klagend fort. »Der Weg, der mich noch weiter hinaufführen sollte, ist verschüttet und voller Steine, der Kranz im Äther verschwunden, öde und dunkel ist mir die Zukunft. Aber eins will ich noch tun...« seine bisher umflorten Augen hellten sich plötzlich auf, elastisch hob er den Kopf, »ich selbst will büßen, was ich verbrach, so gut ich kann.«

Er griff schnell nach dem Manuskript, das unbeachtet auf dem Tisch lag und schleuderte es ins Feuer. »Einen Schatz für einen Schatz! Wer kann königlicher ausgleichen als ich es nun getan?«

Gregor und Herbert stürzten gleichzeitig hinzu, um das geopferte Werk zu retten; mit ausgestreckten Armen und funkelnden Augen wehrte ihnen Viktor.

»Er ist verrückt geworden!« sagte Paul Herbert halblaut zu Gregor.

Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Krank wohl, aber nicht verrückt. Kennen Sie nicht das Wort: Auge um Auge, Zahn um Zahn? Er hat seine Rechnung bezahlt!« –

»Es war ein Meisterwerk!« grollte Herbert, der nun die erhofften Goldströme verschwinden sah, »Sie hätten es nicht leiden dürfen, Gregor.«

Der Alte lächelte.

»Er hat sich sein Gewissen damit freigekauft, das ist besser als aller Erfolg.« –

Zornig rannte der Direktor davon. Im stillen hielt er nun alle beide für verrückt. – –

Viktor hatte sich umgewandt und starrte in die Flammen, langsam krochen sie an dem dicken Papier hinauf; es kohlte, der feurige Rand fraß sich gedankenschnell weiter und weiter, hoch auf züngelte plötzlich eine Flamme – glimmend und schwarz blieb ein Häufchen Asche zurück, die allmählich in sich selbst zerfiel und in winzigen Flöckchen auseinanderstob. Die gierigen Flammen hatten ihr Werk getan. Schließlich waren nur ein paar armselige Fetzen von alledem übrig geblieben, auf das Viktor so große Hoffnungen gesetzt hatte. – Spurlos verweht wie ein welkes Blatt, das der Sturm davonträgt, war sein bestes Werk. –

Und wenn die Sühne auch nur eine ideale war, es erleichterte ihm doch das Herz und nahm für einen Augenblick den Druck von ihm, der ihm in der letzten Zeit geradezu unerträglich geworden.

Von den Aschenresten wandte er sich stumm zu Gregor; stumm streckte ihm dieser die Hand entgegen. –

Aber dann begann wieder das unheimliche Schwindelgefühl, und totenblaß, vor den Ohren ein Singen und Klingen, versuchte er instinktiv, das Fenster zu erreichen. Er kam nicht so weit. Mitten im Zimmer verließ ihn die Kraft; an die Wand taumelnd, lehnte er sich mit dem Rücken dagegen, er öffnete den Mund zum Rufen, seine Stirn wurde feucht, seine Hände kalt, kein Ton kam aus der zusammengepreßten Kehle. Hart schlug er, besinnungslos, auf den Boden des Zimmers nieder. –

Als Gregor den gefährlich Erkrankten in das eigene Heim geschafft und vom Arzt erfahren hatte, daß ein Nervenfieber ausgebrochen sei, das bei dem geschwächten Zustande des Kranken das Schlimmste befürchten ließ, fuhr er noch denselben Abend ins Krankenhaus, um Grete zur Pflege zu holen.

Sie war gerade im Begriff, nach einer anstrengenden Krankenwache die Ruhe zu suchen. Sie eilte hinab in das Sprechzimmer.

»Alten ist krank?« fragte sie fast atemlos, ehe er noch gesprochen und sah ihn aus verängstigten Augen an.

»Der Doktor fürchtet das Schlimmste!« gestand er traurig.

»Ich komme.«

Eine Stunde später stand sie an Viktors Bett. Ihrem erfahrenen Auge war die Gefahr deutlicher sichtbar als Gregor, und sie saß die ganze Nacht, Worte der Verzweiflung, des Gebetes murmelnd. Erst gegen Morgen hatte sie sich zu ihrer gewohnten, pflichttreuen Ruhe und Ergebung durchgerungen, aber ihre Augen waren trübe, ihr Gesicht bleich und eingefallen. Schwere Tage folgten. Gregor sah mit Staunen, welchen Anstrengungen der zarte Mädchenkörper gewachsen war. Hatte er sie bisher hochgeschätzt, so begann er sie nun zu bewundern, und dann zog ein Gefühl warmer Zuneigung für sie in sein einsames Herz, als ihm plötzlich unvermutet die Erkenntnis aufging, daß die Wurzel dieses täglichen Heroismus, der sich durch kein Wort, keine Klage verriet, der niemals ermüdete, oder in seiner Sorgfalt nachließ, nichts anderes sein könne als Liebe ... jenes echte, unwandelbare Gefühl, das nicht jedem beschieden ist und doch die reichste Gottesgabe in sich schließt. –


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