Hedwig Schobert
Künstlerblut
Hedwig Schobert

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XXVII.

An demselben Nachmittag saß Grete zu Rose Maries Füßen auf einem niedrigen Taburett; da sie dem Fenster den Rücken drehte, konnte man keinen Zug ihres Gesichtes in der halben Dämmerung erkennen.

»Also morgen kann ich endlich reisen,« sagte Rose Marie gleichgültig. »Der Arzt hat es mir erlaubt. Ich denke, wir gehen zuerst nach Nizza, Grete.«

Das junge Mädchen fuhr sich über die Stirn.

»Du, Rose, du! – Schilt mich nicht undankbar, daß ich nicht mitgehe! Ich brauche Arbeit – ich will Diakonissin werden.«

»Bist du närrisch?« fragte Rose Marie. »Diakonissin? Den ersten hergelaufenen Strolch pflegen, ihn bedienen – das ist ja zum Lachen. Du bist also doch, trotz deiner anscheinenden Vernunft, ein überspanntes Geschöpf, Grete.« »Weil ich anders empfinde als du, Rose?« fragte sie mit leisem Vorwurf. »Hat dich dein Leben denn völlig befriedigt?« Rose Marie stutzte bei der Frage.

»Wenn auch das nicht,« sagte sie endlich, »so würde ich doch niemals an dergleichen gedacht haben! Immer nur Elend sehen, Stöhnen und Seufzen hören –, Grete, das erträgst auch du nicht auf die Dauer.«

»Vielleicht doch, Rose! Du weißt nicht, was ich in deinem Hause entbehrt habe. Ich muß das Gefühl haben, zu etwas nutze zu sein! Sei mir nicht böse, Rose.«

Sie umfaßte die Hand der Kommerzienrätin, die einen Augenblick in Schweigen verharrte.

»In Gottesnamen, Kind,« sagte sie endlich spöttisch. »Jeder sucht das Glück da, wo er es zu finden glaubt, das ist Menschenrecht. Gelüstet es dich, Krankenpflegerin zu spielen, meinen Segen hast du. Über Geschmack kann man bekanntlich nicht streiten! – Mich läßt du also allein!«

Ein Stocken, ein Zaudern – dann sagte Grete leise:

»Rose – da draußen ist jemand – er möchte dich gern sprechen – er ist ja nun ganz frei – willst du – willst du ihn nicht sehen?«

In ihrer schlanken Größe stand Rose Marie plötzlich da.

»Alten? – Nein! – Ob er frei ist oder nicht, das hat mit meinem Empfinden nichts zu tun. – Liebste Grete, ich gehöre nicht zu den bescheidenen Blumen am Wege, die sich brechen, fortwerfen und wieder aufnehmen lassen. Einmal nur das Bewußtsein, ich bin nicht mehr die erste im Herzen eines Mannes, und mein eigenes Empfinden stirbt daran, auf ewig ... Sag Alten, ich laß ihn grüßen, sein ferneres Schicksal wird mich stets interessieren; aber wieder anknüpfen, was einmal zerrissen – nein!«

»Ja, Stolz ist das herrschende Gefühl in dir,« sagte Grete traurig.

»Wohl mir, daß es so ist! Etwas muß dir im Leben Panzer und Schild sein, willst du nicht eine Beute deiner eigenen Wünsche werden. Ich weiß an mir, wie schließlich alles sich wandelt – Denken, Empfinden, Anschauungen. An einer Stelle ist der Kern unseres Lebens zuletzt immer hohl ... – Aber, Grete – du liebst ihn doch auch, den Mann, für den du bei mir wirbst, warum suchst du ihn nicht für dich zu gewinnen?«

»O, Rose,« rief Grete und preßte die Hände an die Brust. »Weshalb bist du so grausam. – Ja, ich liebe ihn, ich habe ihn immer geliebt, aber gibt mir das ein Recht, mich seinem Glück entgegen zu stellen?« »Glück!? – Geh und frage, was Viktor Alten unter Glück versteht,« sagte Rose spöttisch. »Immer nur das, was er nicht besitzt. – Weißt du, was ich in den letzten Tagen oft gedacht habe? – Gott sei Dank, daß ich keine Tochter habe. Was nützt es, Kinder zu haben und zu erziehen, wenn uns schließlich die Kraft versagt ist, sie auf Bahnen zu führen, die uns die Erfahrung als die besseren hat erkennen lassen. – Ob sie freilich die rechten sind? Wer kann es uns sagen! So lange wir leben, irren wir, und daß jeder auf seine eigene Weise irrt – das ist doch vielleicht unser Glück.«

Ihre großen, schimmernden grauen Augen blickten ins Weite, ein Hauch von Schwermut lag auf ihren noch immer hübschen Zügen, und Grete umschlang die schlanke Gestalt mit beiden Armen.

»O nein, Rose, Befriedigung in sich selbst ist das einzig wahre Glück.«

Rose Marie lächelte ein wenig.

»Das einzusehen haben wir Weltkinder leider keine Zeit,« sagte sie abwehrend, »und nimm mir's nicht übel, Grete, aber jedes Opfer seiner Person für eine Idee ist einfach Narrheit.«

Grete streichelte liebkosend die weiße Hand in der ihrigen. »Ich nähme so gern ein gutes Wort von dir mit, Rose,« sagte sie bittend.

Rose Marie drückte den dunklen Mädchenkopf an ihre Brust, ein feuchter Schimmer stieg in ihre Augen.

»Nimm das Glück und halte es fest, wo es dir begegnet, wie es dir entgegentritt,« sagte sie eindringlich. »Ich habe diese Kunst niemals verstanden, mir ist es immer davon geflogen. Aber freilich, ich habe auch kein entsagungsfähiges Herz gehabt. Leider! – Ja – leider!«


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