Hedwig Schobert
Künstlerblut
Hedwig Schobert

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XXIII.

Trüb und dunkel hatte der Tag begonnen.

Die Morgenzeitungen waren ausgetragen und feucht von der naßkalten Atmosphäre, lagen sie auf fast jedem Frühstückstisch und harrten ihrer Leser. –

In seinem luxuriösen Junggesellenheim saß Graf Gilsach beim Kaffee, auf seiner schon etwas hoch hinauf gelichteten Stirn lag es wie ein Schatten. So recht bis in die tiefsten Tiefen seines Herzens beglückte ihn sein Verhältnis zu Martha nicht; er liebte sie freilich mit einer ihm selbst erstaunenden Glut und Leidenschaftlichkeit. Auch ihr etwas oberflächlicher Charakter, der nur nach Vergnügen und Huldigungen verlangte, ihr jeder heißeren Regung unfähiges Herz war es nicht, was ihn zuweilen mit seinen Gefühlen in Kollision brachte. Eine Frau wie Rose Marie zum Beispiel, hätte er auf die Dauer sehr unbequem empfunden, mit ihrem unruhigen Drang nach etwas anderem, besserem, ihren ewig begehrlich ausgestreckten Händen nach irgend einer Befriedigung ihrer unausgefüllten Seele. Graf Gilsach war weder besonders geistvoll veranlagt, noch gehörte er zu den Männern, die große Anforderungen an Frauen stellen, außer an deren körperliche Schönheit.

Er hatte schlecht geträumt und war verstimmt erwacht, nachdem er gestern abend einen kleinen Strauß mit seiner Braut gehabt hatte. Er bemühte sich die Ursache, ja die ganze ziemlich belanglose Affäre zu vergessen und schob heut alles auf das Wetter und seine Magennerven. »Ich darf keinen Hummer abends essen und darauf rauchen,« dachte er schwermütig. »Schauderhaft, auch diese Dinge schon in den Kreis seiner Berechnung ziehen zu müssen.«

Um sich zu zerstreuen, griff er nach den Zeitungen. Er war kein großer Politiker vor dem Herrn, und sein erster Blick suchte daher stets das Lokale und die Nachrichten unter dem Strich. Anfangs las er seelenruhig, dann plötzlich öffneten sich seine Augen, eine Art Stöhnen drang über seine Lippen, und das Blatt in seiner Hand begann zu zittern. Da stand unter Theaternachrichten ein Passus, den er immer wieder und wieder lesen mußte, bis die Buchstaben in eine einzige schwarze Linie zusammenflossen.

»Wir können es uns nicht versagen,« stand da, »unsere Leser mit einer ebenso überraschenden, wie pikanten Tatsache bekannt zu machen, für die wir vollste Garantie übernehmen. Darnach ist die schöne, allgemein bewunderte Schauspielerin Fräulein v. N. an einem unserer ersten hiesigen Theater, schon seit Jahren die Gattin eines in unseren besten Kreisen nicht weniger gefeierten Dichters, dessen Anfangsbuchstaben herzusetzen, wir uns allerdings nicht bemüßigt sehen. Die Ehegatten, die sich nach gegenseitiger Übereinkunft trennten, als beide noch unbekannt, ihrer glänzenden Zukunft unbewußt einander gegenüberstanden, begegneten sich sehr überraschend auf dem glatten Parkett unserer Gesellschaft, die sie bisher ahnungslos über ihre gegenseitigen Beziehungen ließen. Trotzdem sie alles taten, auch nicht den leisesten Verdacht aufkommen zu lassen, heftete sich der Klatsch doch an ihre Fersen. Der Dichter und die Interpretin seiner Rollen, berufen wie keine zweite dazu, waren eben allzu interessante Persönlichkeiten. Wollte sich das Ehepaar nun wieder zusammenfinden, hätte man wohl eine selten romantische Lösung dieser effektvollen Geschichte; dem scheint aber nicht so. Fräulein v. N. hat sich inzwischen mit dem Sprößling einer alten, reichen Adelsfamilie verlobt und gedenkt die Stätte ihres Ruhmes in allerkürzester Zeit zu verlassen. Der Gatte hat seine Wahl auf eine bekannte, schöngeistige Dame der Aristokratie des Geldes gelenkt – und nun erst beabsichtigt das Paar sich nach dem Gesetz endgültig scheiden zu lassen. Honny soit qui mal y pense.« – Das Zeitungsblatt flatterte zu Boden, mit irren Augen sah Graf Ruprecht darauf nieder. – Martha – seine Martha, die Gattin eines andern – unmöglich! – Das ihm angeborene Gefühl des Widerwillens gegen etwas, das ein anderer vor ihm besessen, regte sich plötzlich mächtig in ihm. Kein Zweifel, dieser andere war Viktor Alten! – Er – Gilsach – war auf Paul Herbert eifersüchtig gewesen, Alten gegenüber hatte er diesem Gefühl nicht nachgegeben, obgleich ihm nun plötzlich mit peinlicher Deutlichkeit Momente vor Augen traten, die ihn unangenehm berührt hatten, ohne daß er sich bewußt geworden weshalb. An seinem Verlobungsabend – im Korridor des Theaters. – Graf Ruprecht warf plötzlich die Sammetpekesche, in die er sich vorher fröstelnd gehüllt, von sich, siedende Hitze durchströmte ihn; er glaubte ersticken zu müssen.

Sie hatte ihn betrogen – betrogen; mit keiner Silbe jemals ihrer Ehe Erwähnung getan. Warum? – War er ihr nichts weiter gewesen, als eine gute Partie? –

Er faßte sich an die Stirn, – stöhnend – das Idol vor dem er Götzendienst verrichtet hatte, grinste ihm plötzlich fratzenhaft verzerrt entgegen. Ihn schauderte.

»Ich gehe zu Alten!« war sein einziger klarer Gedanke, als er sich von seinem Kammerdiener ankleiden ließ. –

Auch Rose Marie hatte die perfide Zeitungsnotiz gelesen. Mit einem dicken blauen Strich versehen, war ihr das Blatt der »Morgenröte« unter Kreuzband zugeschickt worden. Mit blitzenden Augen und einem Ausruf des Zornes schleuderte sie es zu Boden, als wäre es giftig.

»Welche Infamie!« sagte sie hochatmend. »Wer hat das verfaßt!? Dieses elende Machwerk einer demoralisierten Reporterseele, die sich die Zeile mit so und so viel Pfennigen bezahlen läßt, und um diesen Preis sogar seine eigene Ehre feil hat. Pfui!«

Grete hatte die Hände fest ineinander gefaltet, sie war sehr blaß.

»Du glaubst nicht daran, Rose?«

Die Rätin drehte sich so, daß ihr Gesicht nicht zu sehen war, sie traute ihren Zügen nicht die nötige Festigkeit zu.

»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht!« sagte sie etwas heiser – »und das gehört auch nicht hierher. – Schließlich ist das Altens Sache, und – die meine! Männer sind einmal keine Heilige. – Aber daß sich die Öffentlichkeit in dieser Weise unserer Privatsachen bemächtigen kann, – daß wir wehrlos dagegen sind – daß wir ebensogut Unwahrheiten und Entstellungen auf uns sitzen lassen müssen, wie man uns das einfachste Menschenrecht raubt, unsere Leiden und Schmerzen für uns allein und unangetastet zu haben, das Grete, siehst du, das empört mich maßlos!«

Das junge Mädchen seufzte beklommen.

»Du kannst jetzt noch an die Allgemeinheit denken, Rose, ich – ich an deiner Stelle, ich hätte nur das eine Bewußtsein, daß er – den ich liebe – mich getäuscht hat. –«

»Getäuscht?« fuhr sie zornig auf. »Ich wußte ja, daß er verheiratet war; an wen konnte mir gleichgültig sein – und das soll es mir auch sein.«

Da faßte Grete nach der Hand ihrer Tante und hielt sie einen Augenblick fest.

»Rose, bist du so – groß?«

Die Kommerzienrätin schüttelte hastig den Kopf und riß beinahe heftig ihre Hand zurück.

»Denke darüber nicht nach,« sagte sie schnell. »Schicke zu Alten, ich will ihn sprechen.«

Als der Diener die Treppen zu Viktors Wohnung hinaufstieg, begegnete ihm der vornehme Aristokrat Graf Gilsach, der langsam herabkam. Er war so zerstreut, daß er den untertänigen Gruß des Bediensteten seiner Cousine weder bemerkte, noch erwiderte. Dieselbe Antwort, die diesem zuteil wurde, hatte auch er empfangen: Herr Alten sei nicht mehr zu Hause und habe nichts hinterlassen. –

Wie ein Rasender war Viktor fortgestürzt, nachdem er den auch ihm zugeschickten Zeitungsartikel gelesen, dessen böswillige Mache ihm sonnenklar war. Mehr mit dem Instinkt, als bewußt, sah er die lange Kette der Folgen, die sich daraus entwickeln würde; und außer sich stürzte er zu Füßlein in die Redaktion – das zerknitterte Blatt der »Morgenröte« in der Hand.

»Was kann ich dagegen tun?« fragte er heftig und schleuderte die Zeitung auf den Redaktionstisch.

Dort war es natürlich längst kein Geheimnis mehr; sie hatten gelesen, die Köpfe geschüttelt, hin und her auf den Verfasser geraten, auf die infame Indiskretion irgend eines dunklen Ehrenmannes geschimpft, aber an der Sache selbst ließ sich leider gar nichts ändern.

»Uns haben sie diese Schmiererei nicht anzubieten gewagt, ich kann Ihnen deshalb leider auch nicht den kleinsten Fingerzeig geben, lieber Freund,« sagte Füßlein achselzuckend. »Trösten Sie sich damit, daß nur solch ein Käseblatt letzten Ranges sich zu der Annahme verstanden hat, dessen Leserkreis Ihnen schließlich gleichgültig sein kann. Was liegt an der Meinung von Gevatter Hinz oder Kunz!«

»Nein,« rief Viktor zähneknirschend, »Sie sehen doch deutlich genug, wo hinaus das läuft! Man hat es mir und vermutlich allen Beteiligten unter Kreuzband zugeschickt, es ist also nichts weiter, als ein Akt brutalster Niedertracht!«

»Wenn Sie wünschen, bringen wir eine Berichtigung; das ist ja selbstverständlich. Denhardt ist sofort bereit dazu, das macht dann ebenso die Runde durch alle besseren Zeitungen, wie vermutlich dies Schandstück.«

Viktor wurde auf einmal sehr bleich. Er zögerte so auffallend, daß Füßlein ihn überrascht ansah.

»Ein Körnchen Wahrheit ist natürlich auch, wie immer, mit darunter,« sagte er endlich ruhiger; »darauf kommt es aber in diesem Augenblick nicht an; vor allen Dingen will ich erst einmal des Schurken habhaft werden, der das verfaßt hat.«

»Gehen Sie in die Redaktion der »Morgenröte«, riet Füßlein, »Vielleicht bringen Sie da Licht in die Sache.«

Aber er sah ihm doch mit einem ganz eigenen, argwöhnischen Blick nach, als er ging.

»Hängen lasse ich mich, wenn da nicht mehr als ein Häkchen steckt,« murmelte er vor sich hin. »Ei, ei, meine verehrte Frau Rätin, da hätten wir uns ja recht häßlich in die Nesseln gesetzt!« Er lächelte still. Wenn die Welt die Wahl hat von zwei Dingen, einem guten und einem schlechten, eins zu glauben, wählt sie immer das schlechte; auch Füßlein war innig überzeugt, daß der Artikel im Grunde nur die Wahrheit erzählt habe. Aber da er, als Mann von Welt, das Leben kannte, so gestattete er sich über Viktors Handlungsweise kein Urteil.

Natürlich richtete Alten in der Redaktion der »Morgenröte«, nicht das Geringste aus. Man war höflich, kühl, zurückhaltend und absolut ohne Gedächtnis für den Reporter, der jene Nachricht gebracht hatte. Schäumend vor Zorn, langte er endlich vor dem dramatischen Theater an. Hier, hier mußte er den eigentlichen Urheber der ganzen Geschichte suchen!

Wer anders als Paul Herbert konnte so genau unterrichtet sein! Ihm allein hatte er ja die Wahrheit gesagt. Daß er sie so benutzen würde, hielt er für eine Infamie und doch bei Herberts Charakter gleichzeitig erklärlich. Der verlor in Martha die beste Zugkraft seines Theaters und gleichzeitig das Weib, das er mit all seinen starken Leidenschaften begehrte, das ihm, dem verwöhnten, eitlen Damenhelden mit ihrem kindlichen Lachen kaltherzig entschlüpfen wollte. Er begriff, daß ein Mann wie Herbert nicht allzu wählerisch in den Mitteln sein würde, wenn er versuchen wollte Martha zu halten.

Der Direktor war schon im Theater anwesend, allein er hatte noch eine wichtige Kostümfrage mit dem Theaterschneider, und man führte Viktor deshalb in sein Bureau zum warten.

Ungeduldig warf er Hut und Pelz beiseite, es war warm in dem anheimelnden Raume.

Wie genau er alles hier kannte! Auf dem Schreibtisch Bilder von Martha und immer wieder Martha, in den verschiedensten Toiletten, Stellungen und Größen. – Darunter auf der Platte die dickleibigen Manuskripte in grauen, blauen und gelblichen Umschlägen, die hier ihres Richterspruches harrten, und deren jedes einzelne so viele Wünsche, Hoffnungen und Schaffensfreudigkeit barg. Würden sie zum Leben erwachen, um das alles zu erfüllen? Unwillkürlich schweiften seine Gedanken zurück zu dem Einst, wo er, auch ein armer unbekannter Schriftsteller, eine gewaltige Summe von Hoffnungen und Wünschen seinen Erstlingswerken mit auf den Weg gegeben hatte, wo ihm selbst der kleinste Erfolg eine Quelle neuen Strebens, mutigen Vorwärtsschreitens geworden. Damals – ja damals hatte er ehrlich und wacker um das gerungen, was ihm als das Höchste vorgeschwebt hatte; jetzt war er ein Modeschriftsteller, gut bezahlt, überall bekannt, aber – der Gott in ihm war tot! – Eine tiefe Sehnsucht und Reue überwältigte ihn einen Augenblick, als er sah, wie sein erster Liebestraum ihn in Marthas Gestalt von allen Seiten grüßte, aber damit kam ihm zugleich die Erinnerung an das zurück, was er hier wollte. Er fragte sich zum erstenmal, ob er eigentlich der Welt gegenüber eine Schuld auf sich genommen, daß er ihr seine Ehe verheimlicht hatte und kam zu der Überzeugung: »Nein!« Nur Rose Marie – Rose Marie allein hatte ein Recht an die Wahrheit gehabt, und Graf Gilsach. Andere gingen seine Privatverhältnisse nichts an, und er hatte ein Recht, sich zum Richter jeder Indiskretion zu machen. Arme Martha! Wie es sie in Aufregung bringen würde; und in ihm sah sie sicher wieder denjenigen, der ihr diesen Stein in den Weg gerollt. Er litt vielleicht noch tiefer unter dem Geschehenen wie sie, denn wenn er an Rose Marie dachte, überlief ihn ein Frösteln.

Er starrte währenddem auf das Bild seiner Frau, und es fiel ihm ein Abend ein, an dem er mit Herbert fröhlich gezecht, und Martha den Gegenstand ihres Gesprächs gebildet hatte.

»Ich glaube, Sie hätten nicht übel Lust mir bei ihr in den Weg zu kommen,« hatte der Schauspieler, seine Mähne schüttelnd, gesagt, »aber ich warne Sie, tun Sie es nicht!«

»Weshalb nicht?«

»Weil ich nicht gewohnt bin, mir etwas entziehen zu lassen, was ich selbst haben will. Ich würde mich zu rächen verstehen, und – der Zweck heiligt jedes Mittel.«

Er hatte sich gerächt! – Und wieder stieg der kalte, grausame Zorn in Viktor auf, und mit diesem Gefühl, das nahezu an Haß streifte, wandte er sich Herbert entgegen, der eben eintrat.

»Verzeihen Sie, daß ich Sie warten ließ! Aber der Schneider war heute geradezu vernagelt,« sagte er, sich die Hände reibend. »Nun, was bringen Sie Gutes?«

Alten zog das zerknitterte Exemplar der »Morgenröte« aus der Tasche und reichte es ihm stumm. Mit allen Zeichen der Neugierde, ohne den Schimmer eines Verständnisses nahm Herbert das Blatt und las. Als er geendet, sagte er mit kurzem scharfem Auflachen, indem er das Blatt hinter sich legte: »Ein ganz perfides Machwerk. Indes haben weder Sie noch die Norden Ursache, dem Verfasser zu zürnen. Selbst ohne daß Ihr Name genannt wurde, sind Sie doch für jeden Blinden erkennbar. Reklame, lieber Freund! – Wir, die wir auf die Öffentlichkeit angewiesen sind, dürfen nie unterschätzen, wie wertvoll etwas derartiges für uns ist.«

»Ich nenne es einen Bubenstreich!« sagte Viktor bleich vor Zorn.

»O la! Warum gleich so unparlamentarisch! Das liebe Publikum ist nun noch viel interessierter auf Sie und die Norden.«

»Ein jeder sieht die Sache von der ihm zusagenden Seite an. – Allein darum handelt es sich nicht, ich will den Schurken heraus haben, der es wagte, dies zu schreiben; um jeden Preis will ich das!«

»Und dann?« fragte Paul Herbert.

»Dann breche ich ihm den Hals!«

»Weil er die Wahrheit sagte?«

»Weil er sich in Dinge gemischt hat, die ihn nichts angehen!«

»Aber Alten, Sie sind naiv!« sagte Herbert, gerade herauslachend. »Seit wann gibt es denn eine Grenze für das Geschwätz der Leute, die man sie respektieren lehrt? Jeder ist Gemeingut für jeden; das ist der Welt Lauf.«

Viktor biß sich auf die Lippen, der aalglatte, gewandte Schauspieler entschlüpfte ihm unter den Händen; noch hatte er für seine Vermutung auch nicht den geringsten Beweis gewonnen.

»Ich bin nicht hergekommen, um mit Ihnen zu philosophieren,« sagte er endlich kühl, »sondern um Sie zu fragen: Kennen Sie den Urheber dieser Epistel?«

»Ich? Wie sollte ich dazu kommen?« rief Herbert anscheinend empört.

»Weil ich nur zu Ihnen und nur zwangsweise von diesen Verhältnissen etwas erwähnt habe. Bei Gott, ich bin nicht gesonnen, das ruhig hinzunehmen.«

»Das klingt wie eine Verdächtigung und Drohung obendrein.« Paul Herberts fahles Gesicht rötete sich dabei; aus seinen dämonischen Augen brach ein Strahl, der an den Blick einer Hyäne erinnerte.

»Nehmen Sie es so auf!« rief Viktor, seiner lange angesammelten Empörung die Zügel schießen lassend. »Ich suche nicht den erbärmlichen Reporter, der diese Nachricht in die Zeitung zu bringen wußte, ich suche den perfiden Urheber, der sich wohlweislich im dunkeln hält, um ihm zu sagen: Sie sind ein Schurke!«

Herberts Hände schlossen sich zu Fäusten, dicht vor den Erregten sprang er hin und sah ihm halb höhnisch, halb triumphierend in das Gesicht.

»Sagen Sie das, wem Sie Lust haben, – aber nicht mir!« –

»Ihnen! Gerade Ihnen! Ihnen allein! – So wahr ich lebe, so wahr sind Sie der Schurke gewesen, der mein Vertrauen mißbraucht hat, um seine eigenen Zwecke zu verfolgen. Niemand außer Ihnen wußte sonst darum! Von Ihnen fordere ich Rechenschaft, und Sie werden sie mir geben.«

»Haben Sie Beweise?« zischte es über Herberts Lippen.

»Beweise? Wozu brauche ich Beweise! Meine Überzeugung genügt mir. Ich nenne Sie einen erbärmlichen Schurken – wollen Sie noch mehr hören?«

»Darauf soll ich nun wohl mit einer Forderung antworten,« sagte Paul Herbert, höhnisch auflachend. »Sie, als verunglückter Student, glauben freilich, daß ich mir die Ehre nicht entgehen lassen werde; da irren Sie gründlich. Was wir miteinander abzumachen haben, mein bester Herr Alten, das mögen die Gerichte entscheiden. Injurien, Hausfriedensbruch – ein ganz nettes Konto für Sie – und nun – hinaus!« – Er stand da in der Pose des großen Schauspielers, das Gesicht fahl, innerlich aber sehr beruhigt, daß Viktor Alten so kopflos auf ihn eingedrungen, ehe er sich nach Beweisen umgesehen.

War es wirklich die Erinnerung an den verflossenen Studenten, die Herbert so höhnend in ihm wachgerufen, war es der Ingrimm, der ihm den letzten Rest Überlegung raubte – er stürzte sich auf den hohnvoll Dastehenden und schrie ihm, heiser vor Erregung, in das Gesicht:

»Da Sie ein Lump sind, der auf nichts anderes reagiert, so nehmen Sie auch das noch und setzen Sie es auf mein Konto!« – Zweimal schlug er ihm mit aller Kraft in das Gesicht.

Neugierig und schadenfroh drängten die im Korridor zufällig Anwesenden näher und näher, denn der Lärm schallte durch die Tür deutlich hindurch.

Bleich, mit funkelnden Augen stürzte Viktor mitten unter sie, ohne jemand zu sehen. – Drinnen murmelte Herbert, sich mühsam die Haare ordnend, hinter ihm her:

»Warte – das sollst du mir bezahlen. – Erst nehme ich dein Weib, und dann – vernichte ich dich selbst, Erbärmlicher!« –

Die kalte Winterluft erst brachte Viktor zur Besinnung, und als er an den Auftritt zurückdachte, lief es ihm eisig durch die Adern. – Das also waren die Leute, um deren Gunst er gebuhlt hatte, Menschen wie diesem hatte er sein besseres Selbst geopfert! Wie gemein zeigten sie sich, sobald man erst ihre wahre Gestalt sah. –

Mit einem innerlichen Schauder betrat er Rose Maries Villa. – Würde er auch hier durch die momentane Gewalt des ersten Eindrucks den wohltätigen Schleier von der menschlichen Natur fallen sehen? Würde auch sie ihn zu dem Geständnis nötigen, daß er Kiesel für Edelsteine gehalten hatte? Das Weib in ihr konnte freilich verletzt sein, nur sie allein hatte ein Recht, ihn anzuklagen. Dennoch schilderte seine sensitive Natur vor einem auch nur annähernd ähnlichen Auftritt fast schreckhaft zurück.

Sie mußte ihn schon vom Fenster her haben kommen sehen, denn kaum eingetreten, kam sie auch schon bis in das Vestibül entgegen. Etwas blasser zwar, aber sonst ohne Erregung.

»Ich habe dich schon lange erwartet,« sagte sie ruhig und reichte ihm die Hand. »Es ist nötig, daß wir beide uns völlig einig sind, ehe wir mit der Welt in Berührung kommen. Die ›Morgenröte‹ war heut natürlich auch mein erster Tagesgruß.«

»Was hast du beschlossen,« fragte er finster und strich sich über die feuchte Stirn.

Sie sah mit schnellem Blick zu ihm auf, dann in das Leere.

»Je nun, – die Sache nehmen, wie sie eben liegt. Du läßt dich von Martha scheiden!?«

»Ja. Seit zwei Tagen hat ein Rechtsanwalt die Sache in Händen.«

Sie schwieg einen Augenblick wie im Kampf.

»Und du – du freust dich – deiner Freiheit?«

Er antwortete nicht, seine Brust hob sich stürmisch. Die Arme ausbreitend, fragte er bewegt: »Verzeihst du mir, Rose?«

Sie sank nicht hinein, lehnte sich nur leicht an seine Schulter.

»Ich sehe keinen Grund, warum ich Lärm schlagen sollte, Viktor. Daß du verheiratet warst, wußte ich ja, nur – über deine Frau – da hast du mich getäuscht.«

»Damals nicht – damals gewiß nicht,« sagte er eifrig. »Das Leben hat sie eben nach außen hin geändert, glaubst du aber auch nach innen? Nein, tausendmal nein! Sie ist dieselbe, die sie einst war und bleiben wird bis an ihr Ende.« Rose Marie atmete tief auf, ihr Auge wurde wieder hell.

»Du hast recht,« sagte sie fast lustig. »Niemand kann aus seiner Haut heraus! Ich auch nicht, und deshalb – muß ich dich lieb behalten – trotz alledem!«

Er küßte ihr die Hand.

»Du bringst mir ein großes Opfer mit deiner Liebe, Rose, zuweilen schelte ich mich, daß ich es annehme und fühle mich dessen unwert.«

Ihre vergangene Jugend trat, während er das sagte, vor ihr geistiges Auge. Sie hatte stets Opfer gehaßt, vorausgesetzt, daß sie diejenige sein sollte, von der man sie verlangte. Wenn Viktor recht hatte, wenn sie ihm jetzt Opfer brachte aus eigenem Antriebe, so mußte sie sich entweder sehr geändert haben, oder – ihr Leben war durch den Verlauf der Jahre so arm geworden, daß sie jetzt als Wohltat empfand, was sie früher gefürchtet hatte. Sie seufzte unwillkürlich.

»Rede nicht solchen Unsinn,« sagte sie. »Wer spricht von Opfern? Wir gehören zusammen, aus innerer Notwendigkeit, und wenn wir das nicht eher wußten, so war nur die Welt daran schuld, die mit ihrem ewigen, unverrückbaren Schema dasteht und sagt: so soll es sein! Wir beide sind aber nicht Naturen, denen man Zwang antut und deshalb auch unverletzlicher als andere. Wie hat Martha die Lüftung ihres Geheimnisses aufgenommen?«

Er erschrak. »Martha! Ich sprach sie noch nicht.«

»Aber zu mir bist du gekommen!« Sie sagte es leise, und doch klang Triumpf hindurch. Seine Frau fürchtete sie nicht mehr. Freiwillig hatte er sie ja verlassen und war zu ihr gekommen, warum sollte er noch einmal zurückkehren.

»Das war ja meine Pflicht! – Wie wird übrigens der Graf die Sache aufnehmen?« fragte er hastig.

»Ich weiß es nicht.« »Du glaubst aber gut?«

»Ach, Ruprecht ist manchmal so sonderbar! Ohne sehr klug zu sein, hat er doch seine eigenen Ansichten, – ich weiß wirklich nicht!«

»Dann muß ich zu ihm. – Ich bitte dich, Rose, halte mich nicht länger auf – ich muß! Das bin ich mir und Martha schuldig!« – Ein Glück, daß Rose nicht ahnte, wie ihm zumute war! –

Graf Gilsach war zu Hause, den ganzen Vormittag hatte er, auf und abgehend, in seiner Wohnung zugebracht, Viktor erwartend, nachdem er ihn nicht getroffen hatte.

»Endlich!« sagte er aufatmend und ging ihm entgegen. »Ich habe Sie lange erwartet, bitte nehmen Sie Platz.«

»Ich komme um Ihnen eine Aufklärung zu geben, Herr Graf, der Artikel in der ›Morgenröte‹ ...«

»Sagen Sie mir nur eins – ist alles wahr?« fragte Ruprecht und spielte mechanisch mit dem Zigarettenkästchen aus getriebenem Metall, das auf dem Tische stand.

»Bedingt – ja!«

»Sie ist also Ihre Frau?« Nur mit Mühe kamen die Worte über des Grafen Lippen, sein Gesicht hatte eine gelbliche Färbung angenommen.

»War – Herr Graf, war! – Vor nun bald sieben Jahren heiratete ich – ein armer Schriftsteller, das ebenso arme Fräulein von Nordheim ...«

»Und weshalb haben Sie sich getrennt?« unterbrach er ihn heiser.

»Pekuniäre Verhältnisse trugen die Schuld, und Marthas Liebe zum Theater. Vielleicht auch der Egoismus des Mannes, dessen ich mich hier vor Ihnen anklagen muß, und – das Künstlerblut, Herr Graf!«

»Nichts anderes!«

»Auf mein Ehrenwort, nein!« sagte er warm. »Ich weiß längst, daß ich ihr oft unrecht tat, und ich habe alle Ursache, überzeugt zu sein, daß auch trotz ihrer jetzigen Stellung – ihrer Freiheit, kein Makel auf ihr ruht ...«

»Als derjenige einer Lüge! – Warum sagte sie mir nicht die Wahrheit, – warum sprachen Sie nicht, Herr Alten?«

»Weil wir überein gekommen waren, das Band, welches uns noch verband, ohne alles Aufsehen zu lösen,« antwortete er finster. »Weshalb Martha schwieg, weiß ich nicht – ich –« er zögerte doch einen Augenblick – »ich tat es aus – Feigheit vor dem Gerede der Welt.«

Graf Ruprecht nickte ohne ein Wort. Er hatte gealtert in diesem einen kurzen Vormittag; aber weniger vornehm war er trotzdem nicht geworden, keine Anklage, kein Vorwurf kam über seine Lippen.

Viktor hätte eine offene Aussprache vorgezogen, nach seiner Meinung hatte er das Menschenmögliche getan, um Martha zu entlasten. Dennoch – wenn dieser starre Aristokrat Prinzipien besaß, an denen selbst seine Liebe vergeblich rüttelte, wenn es mit Martha zu Ende sein sollte, – er empfand etwas wie Jubel bei dem Gedanken. – Im tiefsten Herzen gönnte er sie ihm nicht, ihm nicht und niemandem.

»Sie werden mir das Zeugnis nicht vorenthalten, Herr Graf, daß ich als anständiger Mann getan habe, was in meinen Kräften gestanden, um ein scheinbares Unrecht wieder gut zu machen, auch ihr – Martha gegenüber, bitte ich Sie, das zu betonen.«

Als Ruprecht den Namen, der ihm so über alles teuer war, von eines anderen Lippen hörte, eines Mannes, der einmal die geheiligten Anrechte eines Gatten an derjenigen besessen, in der er die geschlossene Blume geliebt hatte, fuhr er merklich zusammen, und ein leichtes Rot stieg in sein gelbliches Gesicht. Er gewann es nicht über sich, diesem Manne in die Augen zu sehen, ihm schien, als wälze dessen bloße Gegenwart sich schon wie ein Alp auf seine Brust; jedes Wort erstarb ihm auf den Lippen. – Er erhob sich.

»Ich danke Ihnen,« sagte er monoton, als wisse er kaum, was er sprach.

Dann hob er doch noch einmal die Hand, als wolle er ihn zurückhalten. Viktor sah, daß sie zitterte.

»Kannten Sie Fräulein von Nordens Familie?« fragte er fast scheu.

»Gewiß! Ihre Großmutter, eine Frau von Nordheim, eine alte Aristokratin vom reinsten Wasser, hart und streng.«

»Und ihre Mutter?«

»Eine Schauspielerin.«

»Eine große Künstlerin?«

Viktor schwieg betreten. »In den Augen ihrer Tochter – ja!« – »Ich habe sie nicht gekannt,« setzte er zögernd hinzu.

»Aber, Sie glauben nicht daran.«

Eine Purpurflamme schlug ihm in das Gesicht.

»Ehrlich gestanden, – nein!«

»Ich danke Ihnen.« –

Noch einmal verbeugte sich der Graf stumm zum Abschiede, dann verließ Viktor das Zimmer. Er war erkältet, in seiner Eitelkeit verletzt, betroffen über die Fragen, die der Graf ihm vorgelegt. Welch ein Eisberg war doch dieser Mensch! Was ihn bis in die tiefsten Tiefen aufgewühlt hatte, so sehr, daß es zu jener häßlichen Szene mit Herbert gekommen, – den Grafen schien es nur sehr oberflächlich berührt zu haben. Die alleräußersten Worte nur, kein Aussprechen, kein ehrliches Wort. – »Arme Martha!« dachte er, sich ihre Lebensfrische vor Augen haltend. Er war sicher, neben Gilsach fand sie ihr Genügen erst recht nicht.

Er hätte sie gern gesprochen, gehört, welche Wirkung der Artikel auf sie gehabt, ihr auch die Versicherung gegeben, daß von seiner Seite alles mögliche geschehen sei, um die Folgen für sie abzuschwächen; aber er wagte es nicht. Wenn er den Grafen dort treffen sollte, welche neue peinliche Situation dann für beide! –

»Ich kann nicht! – Ich kann nicht!« hatte Gilsach laut hinter dem Davongehenden hergesagt und die schmale Hand an die Stirn gedrückt.

Eine Stunde darauf ließ er sich bei Martha melden.

Sie lief an den Spiegel und ordnete ihre Löckchen, ihr schönes Gesicht war von tiefem Rot überflammt.

Wie lange hatte sie nun schon auf ihn gewartet! Der ganze Vormittag war verronnen, und eine Beute des Zornes, der Angst und Unruhe, hatte sie ihn, infolge des perfiden Artikels, verbracht. – Nun, Ruprecht da war, schien ihr alles wieder gut.

»Gehen Sie, Gregor,« sagte sie aufgeregt und schob den alten Freund ohne Umstände aus der Tür.

Wie hatte ihr der auch noch in das Gewissen geredet. Als ob man es wirklich im Leben mit einer Unterlassungssünde so schwer zu nehmen hätte!

Als der Graf auf der Schwelle erschien, flog sie ihm mit einem Jubelruf an die Brust. So zärtlich war sie noch niemals gewesen, jetzt erst, unter dem Druck ihres bösen Gewissens; aber es schien diesmal seinen Eindruck zu verfehlen – sanft schob er sie von sich.

»Bist du böse?« fragte sie schmeichelnd und sah von unten auf in sein Gesicht. –

Das waren noch dieselben strahlenden Augen, wie bisher, dasselbe schöne, jugendfrische Weib, das er so leidenschaftlich geliebt hatte, aber es schien ihm, als stände eine unsichtbare eisige Mauer jetzt zwischen ihnen, die sein Blut abkühlte.

»Böse?« wiederholte er nachdenklich. »Nein, böse bin ich dir nicht, Martha.«

»Ich hätte es dir ja gesagt, gewiß hätte ich es dir gesagt, aber erst wollte ich frei sein.«

»Und du vermochtest es über dich, mich mit kaltem Blut so lange zu täuschen? Du botest mir die Lippen und ließest mich in dem Glauben, sie seien unentweiht?«

»Aber Ruprecht, wie närrisch! Sahest du denn nicht, daß Herbert dies Recht jeden Abend für sich in Anspruch nahm?« lachte sie leichtherzig. »Sieh, wie wenig stichhaltig deine Klagen sind! Du darfst – nein, du kannst mir nicht böse sein!« – Sie legte ihren Kopf an seine Brust, sanft strich er über ihre Wange, aber seine Hand war kalt wie sein Blut.

»Du nimmst das Geschehene sehr leicht, Martha!«

Sie hob den Kopf und sah ihn an.

»Habe ich nicht ein Recht dazu? Ist es etwa eine Schande, verheiratet gewesen zu sein? Frage doch Viktor, ob ich ihn geliebt habe, ob wir glücklich gewesen sind!«

»Er war schon bei mir!«

»O!« ihr Gesicht nahm einen gespannten Ausdruck an. »Was hat er gesagt?«

»Ungefähr das Gleiche wie du. Aber Martha, darum handelt es sich nicht. Ich meine, dein eigenes Empfinden müßte dir sagen, daß ich durch das Geschehene den Glauben an dich verloren habe, daß der Reiz erstorben ist – unwiderbringlich – den Martha von Norden für mich hatte, – das Mädchen!« –

Mit einem schnellen Schritt trat sie von ihm, warf den Kopf in den Nacken und starrte mit dem großäugigen Kindergesicht unverwandt in das seine.

»Sieh mich an!« sagte sie fast hart. »Noch bin ich dieselbe, die du liebtest, ebenso schön, ebenso begehrenswert. Ob Martha von Norden oder Martha Alten.«

Er schüttelte langsam den Kopf.

»Nein!« erwiderte er schwermütig. »Für mich nicht!«

Sie umklammerte wild seinen Arm.

»Ruprecht, was soll das heißen?« rief sie außer sich. »Wie entsetzlich grausam ist das, was du mir antun willst.«

Ihr Herz schlug atemraubend. Brach wirklich auch das zweite Scheinglück, das sie dem Leben hatte abringen wollen, unter ihren Händen zusammen? Was blieb ihr dann?

Er legte die Hand über die Augen, ein gepreßter Atemzug hob seine Brust.

»Ich habe furchtbar gelitten seit heute morgen, und doch ...«

Sie schrie unbändig auf. Nur selten durchbrach die Leidenschaftlichkeit, die in ihr schlummerte, die dichte Schicht, die Eitelkeit, Selbstsucht und Lebenslust um ihr Herz gelegt, und immer nur dann, wenn eins dieser drei gefährdet war. In solchen Augenblicken kannte sie sich nicht.

»Sprich nicht weiter,« sagte sie, und ihre schimmernden Augen funkelten wie bei einem Raubtier, das man in die Enge getrieben hat. »Ich weiß, was du sagen willst! Aber du sollst es nicht aussprechen – du darfst es nicht – ich will es nicht!« – Und wieder drängte sie sich an seine Brust, mit einem Schwindel kämpfend.

Sonderbar! Sonst hatte jede ihrer Berührungen ihn entflammt, heute blieb er kalt, wurde kälter, je mehr diese Szene ihm zeigte, daß er sie bisher doch kaum gekannt, ganz anders beurteilt hatte.

Das Blut ihrer Mutter war es, das sich in diesem Augenblick in ihr ganz unbewußt Bahn brach und ihn abstieß.

»Martha!« Zaudernd, beklommen, ohne irgend einen warmen Pulsschlag kam ihr Name über seine Lippen, er wußte nicht recht, wie er es einkleiden sollte, was gesprochen werden mußte, ohne den Sturm, der ohnehin in ihr tobte, bis zur Häßlichkeit zu entfesseln. Sie schloß die Hände krampfhaft zu Fäusten und drückte sie in ihre brennenden Augenhöhlen, ihrer Sinne nicht mehr mächtig, stampfte sie den Boden mit den Füßen.

»Du willst mich verlassen!« schrie sie heiser. »Mich verlassen, weil ich Altens Frau war! Aber ich dulde diese Ungerechtigkeit nicht! – Habe ich denn mehr verbrochen wie er? Ihm wird man verzeihen – er ist ja ein Mann – aber ich, das schwache Weib, muß unter den Vorurteilen leiden, mit denen man mich nun betrachtet! Wo hört denn das Recht auf? Wo fängt das Unrecht an? – Sprich es doch nur aus, was du denkst! Ich bin ja eine Schauspielerin, und deshalb kannst du dir alles gestatten!« –

Sie lachte krampfhaft auf, dann ging das Lachen in Schluchzen über.

Er strich leicht über die blonden Löckchen, die immer sein Entzücken gewesen, ihm schien, als hätten sie ihren goldenen Schimmer verloren.

»Beruhige dich doch, Martha!« sagte er tröstend. »,Sieh du hast lange geschwankt zwischen mir und deiner Kunst, – wenn ich dich nun freigebe, kannst du dieser wieder dein ganzes Herz weihen, und das muß dich über jeden Verlust trösten. – Außerdem – es gibt Männer genug, die dich vergöttern werden, trotzdem du eine geschiedene Frau bist, – mit einem von ihnen wirst du glücklicher sein als mit mir.«

Ihr Schluchzen hatte aufgehört, mit gespannter Aufmerksamkeit lauschte sie seinen zögernden Worten. Alles in ihr lehnte sich auf gegen die Ungerechtigkeit, die durch seinen Verzicht zutage trat; sie wußte nicht mehr – war es Liebe oder Haß, was sie veranlaßte, sich so fest in das, was war, zu verbeißen, sie wußte nur, daß sie ihn festhalten wollte um jeden Preis.

»Und ich lasse dich doch nicht!« sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen und packte seinen Arm.

Er machte sich langsam aber energisch frei.

»Wozu?« fragte er, und die Kälte seines Tones durchschauerte sie. »Es steht nicht in Menschenmacht, Gefühle zu erzwingen noch sie zu ertöten. Glaube mir, Martha, du wirst ohne mich glücklicher sein. Das Blut deiner Mutter wäre endlich doch wieder mächtig in dir geworden, – das Leben einer vornehmen Dame ist langweilig! –«

»Das Blut meiner Mutter?« wiederholte sie kampfbereit. »Was soll das heißen, Ruprecht? – Ah, natürlich – ich begreife – Viktor! – –« Höhnisch fiel der Name von ihren Lippen, eine entsetzliche Verachtung gegen Welt und Menschen erfüllte sie auf einmal völlig. Die ganzen Nichtigkeiten ihres Daseins, an denen sie bisher Freude gehabt, lagen zerbröckelt im Staub, und nichts war da, was sie an ihre Stelle setzen konnte. Mit entsetzten Augen sah sie für eine Sekunde in ein furchtbares Nichts, aber schaudernd wandte sie sich davon ab.

Nervös rieb der Graf sich die kalten Finger.

»Martha,« sagte er, »wir sind beide erregt – es war vielleicht unrecht, persönlich herzukommen – morgen werden wir ruhiger denken, handeln und sprechen. – Auf Wiedersehen morgen!«

Sie stürzte auf ihn zu, umklammerte ihn noch einmal und sah ihm angstvoll in das Gesicht.

»Du kommst nicht wieder!« flüsterte sie beklommen. »Nein – du kommst niemals wieder!« Und aufschluchzend glitt sie neben ihm nieder auf den Teppich und wand sich in krampfhaftem Weinen.

Er trug sie auf das Sofa, streichelte noch einmal ihr blondes Haar, sprach aber nichts.

Zusammengekauert, drückte sie den Kopf in die Ecke, schluchzend, fast schreiend, und sah nicht auf, als er das Zimmer leise verließ. –

»Aus! alles aus!« jammerte sie vor sich hin. Vielleicht hätte er ihre Ehe verziehen. Aber was sprach er da von dem Blute ihrer Mutter? Was hatte Viktor gesagt? – In ohnmächtigem Zorn ballte sie die Fäuste. Welch eine brutale Ungerechtigkeit lag in alledem, was sie in der letzten Stunde erlebt hatte! Ruprecht Gilsach war gegangen, er hatte sie verlassen, als stände ihm das Recht zu? Warum? – Weil sie geschwiegen hatte? – Aber konnte heute ein Verbrechen sein, was morgen vielleicht Edelmut genannt wurde? – O, diese Welt! Diese lächerliche Welt! – – Es gab ja andere, hatte er selbst ihr zum Trost gesagt. – Wenn ihr nur die Schönheit blieb – ihre Schönheit!

Sie weinte längst nicht mehr, regungslos lag sie in der Ecke der Chaiselongue und grübelte. Das Theater! – Es war vielleicht doch die einzige Stätte, an der sie sich ganz auszuleben vermochte, an der sie alles das fand, was ihr das Leben schön und liebenswert machte. Mit welchem inneren Schmerz hatte sie das Bewußtsein erfüllt, diesem glänzenden Schein entsagen zu sollen. Sie hatte nur gehofft, mehr dafür einzutauschen – nun, das Rechenexempel war falsch gewesen; aber noch stand sie auf demselben Platz, wie bisher.

Aus dem Wust von häßlichen, quälenden Gedanken hob sich plötzlich Paul Herberts narbiges, verlebtes Gesicht, mit den dämonischen Augen und der Glut seiner Leidenschaft. Es stieß sie nicht mehr ab, im Gegenteil sie zog es mit in den Kreis ihrer Berechnungen.

Graf Gilsach hatte gesagt: Das Leben einer vornehmen Frau ist langweilig. – Sie begriff das, wenn sie an Rose Maries kühle Gleichgültigkeit dachte; ihr kam eine Ahnung, als ob es vielleicht doch Stunden der Reue gegeben, wenn sie um seinetwillen ihre Freiheit aufgegeben hätte. – Das Theater! – Noch nie war es ihr wieder so lockend, so verführerisch erschienen, als in dieser dunklen Stunde, wo sie mit allem brach, was gut in ihr gewesen.

»Sie haben es nicht anders gewollt,« sagte sie sich, als sie aufstand und vor den Spiegel trat. »Das Blut meiner Mutter war das Verdammungsurteil, das mich seit frühster Jugend verfolgte, obgleich ich nichts tat, um es zu verdienen. Gut. So soll mir jetzt das Blut meiner Mutter allein Führerin sein!«


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