Hedwig Schobert
Künstlerblut
Hedwig Schobert

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XV.

Premièrenabend! – Das Publikum einer Großstadt weiß ihn zu schätzen mit der Aufregung des Erfolges oder der Ablehnung, dem berauschenden Bewußtsein einer Selbstkritik.

Seit Tagen war das dramatische Theater ausverkauft. Der Kassierer hatte weder vormittags noch abends seines Amtes zu walten, und mit langen Gesichtern standen diejenigen vor dem geschlossenen Schalter, die noch in der letzten Stunde auf ein Billett gerechnet hatten.

Die Aufführung von: »Im Zeichen der Zeit«, kam fast einem literarischen Ereignis gleich.

Die ganze Stadt kannte Viktor Alten, den geistvollen Plauderer, den Liebling der Damen, den schönen, wenn auch etwas blasiert angekränkelten Mann. – Die Zeitung, die man in der Stadt am meisten las, brachte in letzter Zeit fast täglich eine kleine Notiz über ihn, die die Spannung erhöhte; und wer ihn noch so flüchtig kannte, spielte sich anderen weniger Glücklichen gegenüber, gern als seinen intimen Freund auf und sprach von »Im Zeichen der Zeit«, als der grandiosesten Leistung der Gegenwart.

Es war unfreundliches Wetter an diesem ganzen Tage. Regen und Schnee von scharfem Winde gepeitscht, verwandelte die Straßen der Stadt in Schmutz.

»Ein rechtes Theaterwetter!« sagte der Direktor sich fröstelnd die Hände reibend. Er sah sehr zufrieden und erwartungsvoll aus; es klappte alles vorzüglich, die Schauspieler waren mit Leib und Seele bei ihren Aufgaben, das Theater ausverkauft, er schwelgte in einem doppelten Vorgenuß, für seinen Ruhm und seine Kasse.

»Ist Alten noch nicht hier?«

Nein, er war immer noch nicht aus seinem »Schmollwinkel herausgekrochen«, wie Herbert die Teilnahmlosigkeit nannte, die er seit dem Engagement der neuen Schauspielerin für sein Stück an den Tag gelegt, aber Füßlein, der gerade in das Bureau des Direktors trat, um die Stimmung im Theater zu sondieren, schob den Hut ein wenig in den Nacken und sagte:

»Ich glaube, unser Alten ist wirklich die ganze letzte Zeit etwas nervös und abgespannt gewesen. Wo soll das auch hinaus! Geistige Arbeit und Salondienst in diesem Maß – da muß jemand schon Nerven wie Stricke haben! Säßen heut die Frauen allein über ihn zu Gericht, könnte er sich getrost morgen aushauen und neben Goethe stellen lassen.«

»Ach ja, die lieben, guten Frauen!« lachte Herbert kurz auf. »Wenn sie nicht gar so viel Zeit und Langeweile hätten. Aber schätzen wir sie deshalb nicht geringer.«

»Da sei Gott vor!« sagte Füßlein und verabschiedete sich mit kordialem Händedruck.

Nun war es Abend, und im Theater flammten die ersten Lichter auf. Ein Hauch atemraubender Aufregung schien durch das Haus zu wehen und sich allem Lebenden und Toten darinnen mitzuteilen. Selbst die Garderobièren sahen gespannten Auges nach den Eingängen, in denen sich das Publikum ansammelte.

Allmählich füllte sich das Parkett, die Sitze klappten, die Zettel rauschten, eine animierte Stimmung schien sich aller bemächtigt zu haben. Die Damen hatten größere Toilette gemacht wie sonst, helle Farben, blitzende Steine, schöne Pelze, wohin man sah.

Eine einzige Loge im Theater war noch leer, und auf diese richteten sich die Blicke der Intimeren, während sie sich ihre Bemerkungen zuflüsterten.

»Noch niemand da! Ich wette, die Kommerzienrätin macht noch Beruhigungsversuche an dem Autor, der sicher in nicht gelinder Aufregung ist.«

»Bah, Alten! Dieser eingebildete Mensch kennt keine Furcht, er leidet wahrhaftig an Größenwahn,« näselte eine fette Stimme, »ich bin aber doch neugierig, wie sich die Sache heut abend entwickeln wird. Die unabhängige Kritik könnte denn doch nicht einer Meinung sein.«

»O, er ist ein genialer Mensch, das muß ihm der Neid lassen,« mischte sich Füßlein von rückwärts ein, »hypernaturalistisch in der Auffassung, aber das verlangt die herrschende Richtung, und dabei verleugnet er den Poeten keineswegs, er wird Sie auch noch bekehren, lieber Schmidt.«

»Ein Dichter von Gottes Gnaden,« rief eine Dame mit entzücktem Augenaufschlag.

»Die Reklame nicht zu vergessen!« brummte der so Überstimmte in seinen Zettel, und dann drehten sich plötzlich, wie auf Kommando, alle Köpfe, ein Flüstern – ein Raunen – »da ist er! – da ist er!«

Sie waren eingetreten. Rose Marie in einer Toilette, die ihr viel Nachdenken gekostet hatte, schön von Kopf bis zu Fuß, und sehr apart. Grete im einfachen dunklen Kleid, blaß und erregt, hinter ihnen Gilsach und Alten.

Mit der Kraft, des an Selbstbeherrschung gewöhnten Menschen, zwang Viktor sich zu einer ruhigen, gleichgültigen Haltung. Den Arm leicht auf Rose Maries Stuhl gestützt, sah er in das überfüllte Haus hinein, und da überrann ihn plötzlich ein Frösteln, und er meinte, nur kalte Spannung, Neugier und Schadenfreude auf allen Gesichtern zu lesen. Ein heißes Gefühl stieg in ihm auf, das Bedürfnis zu wissen, ihm sei jemand nahe, der mit ihm sympathisiere, der für ihn zitterte. Rose Marie! Er beugte sich tiefer zu ihr herab – ein Wort nur – ein einziges tröstendes Wort, wie sie zu Hause so viele für ihn gehabt – aber Füßlein trat an die Logenbrüstung, sie sprach mit ihm, er mochte sie nicht stören.

Die Klingel ertönte. Ihm schnürte es die Kehle zu. Unwillkürlich machte er eine Bewegung mit der Hand nach dem Halse, aber auf halbem Wege ließ er sie wieder sinken und tat nur einen qualvoll gepreßten Atemzug, Unstät glitten seine Augen über das Haus, das ihm zu schwanken schien, dann fühlte er plötzlich eine fast körperliche Beruhigung, und tief sanken seine Blicke in Gretes klare Augen, die sich auf ihn geheftet hatten. Tränen standen darin, und ein kristallklarer Tropfen rollte über ihr Wange.

Es war ihm, als hätte diese eine Träne all seine Unruhe, Sorge und Angst fortgespült, als hatte sie ihn geweiht, sei es zum Siegen oder zum Unterliegen. Ein heißer Dank erwachte in seinem Herzen für das so selten beachtete Mädchen und trat wie ein stummer Gruß in seine Augen, während der Vorhang in die Höhe ging.

Aber wie entsetzlich leer und hohl klang ihm auf einmal alles das, was ihm noch bis zu diesem Augenblick lebenatmend und gut erschienen war! Hatte er wirklich darauf stolz sein, sich davon einen Erfolg versprechen können? Welch ein Tor er doch gewesen war! Das hier konnte niemandem gefallen, so wenig wie es ihm selbst gefiel, ja er schämte sich und verbarg das Gesicht hinter der aufgestützten Hand. Jedes Wort von der Bühne herab verursachte ihm körperliche Pein, die wohlbekannten Stimmen der Schauspieler taten ihm in den Ohren weh, selbst Paul Herberts wunderbares Organ rieselte ihm wie ein Nervenschauer über den Rücken.

Wohin konnte er nur fliehen und sich verbergen!

Er sah auf Rose Marie und begriff nicht, daß sie noch immer so stolz und siegesbewußt an der Logenbrüstung saß. Leise und unhörbar bewegte sich ihr Fächer, und der Duft des Buketts aus Marschall Niel-Rosen, das vor ihr lag, drang bis zu ihm herüber und vermehrte noch seine physische Qual.

Er kam sich vor wie ein Gerichteter, wie ein Dieb, der einen kostbaren Schatz gestohlen zu haben meint und zu spät einsieht, daß ihm nur wertloses Metall geworden.

Martin Rohrs Idee, die er mit so vielen Gewissensskrupeln sich endlich zu eigen gemacht hatte, an die er geglaubt hatte, wie Cäsar an sein Glück – sie hatte ihn genarrt, – er brach mit ihr zu Boden! –

Der Vorhang rollte herab – der erste Akt war zu Ende!

Man klatschte im Parkett, man klatschte in den Logen, allein jener jubelnde, stürmische Beifall den die Beteiligten erwartet hatten, war es nicht. Kein einziges Zeichen des Mißfallens, sei es aus noch so verborgenem Winkel, aber es war als hätte sich die Temperatur merklich abgekühlt, trotz des eifrigen Lächelns der Damen und ihrer erhitzten Gesichter.

Die Pause war zu kurz um sich einige Bewegung im Foyer zu gestatten und Meinungen auszutauschen, das Publikum blieb überall auf den Plätzen, höchstens daß ein paar Kritiker flüchtige Bemerkungen machten.

Viktor Alten saß noch immer regungslos hinter Rose Maries Stuhl. Trocken in der Kehle und im Hirn, vermochte er keinen Laut von sich zu geben, und in dem hellen Licht sah er geradezu geisterhaft blaß aus.

Sie lehnte sich so zurück, daß sie mit dem wehenden Fächer seinen Arm traf und ihr Gesicht verdeckte, als sie es zu ihm wandte.

»Viktor!«

Wie innig, fast zärtlich fiel das einzige Wort von ihren Lippen, welch eine Welt von verborgenen Empfindungen lag in dem Blick, den sie auf ihn heftete.

»Ich kann nicht anders!« murmelte er tonlos. »Eine stückweise Marter!« –

Sie lächelte.

»Wenn ich Ihnen doch etwas von meiner Sicherheit abgeben könnte,« sagte sie voll Überzeugung.

»Sie sind gläubig, weil Sie mich trösten wollen.«

»Nein, nein!«

Sie sah ihn an, unentschlossen ob sie noch mehr hinzufügen sollte, Glockenzeichen machte ihrem Zaudern ein Ende.

Und nun kam Hertha. – – Fest drückte Viktor die Hand auf die Augen. In diesem Augenblick haßte er die ungekannte Debütantin, denn was die Zelina sicher vermocht hätte, das Publikum zu rühren – ihr würde es nicht gelingen, – und mit ihr fiel sein Stück – mit seinem Stück er selbst...

Da schlug eine Stimme an sein Ohr... – Als ob ihn ein Peitschenhieb getroffen, fuhr er vom Stuhl auf und stand kerzengrade in dem Halbdunkel der Loge, den Kopf emporgereckt, die Augen weit geöffnet, bar jedes Denkens, jeder Überlegung, ein Bild staunenden Entsetzens.

Niemand achtete auf ihn; keiner im ganzen Theater hatte für etwas anderes Interesse als für das schöne, lebenatmende Weib auf der Bühne.

Und das war Martha! –

Der Atem versagte ihm, er preßte den Hinterkopf fest an die Wand um nicht zu schwindeln; dann strömte alles Blut ihm zum Herzen zurück, er fuhr mit der Hand über die Augen als wollte er heller sehen, und trat dann einen Schritt vorwärts.

Wirklich Martha! – Nur schöner wie damals, eine voll erblühte Rose, mit dem ganzen Zauber bewußter Koketterie und Anmut ausgestattet, den die Bühnenlaufbahn mit sich bringt. Ihre Stimme hatte noch denselben metallischen Klang, ihr Haar noch denselben schimmernden Goldglanz, ihre Bewegungen noch dieselbe weiche Lässigkeit wie damals! –

Sein Auge aber hatte sich seitdem verändert, es war schönheitstrunken geworden! Was er früher an seiner jungen Frau kaum beachtet, viel weniger bewundert hatte, weil er es nicht verstand, jetzt überfiel es ihn wie eine Offenbarung der Schönheit und schlug ihn gegen seinen Willen in Fesseln.

Und wie sie sprach – wie sie spielte! – Das war auch eine Hertha, nicht diejenige seiner Träume, die ihm die Zelina verkörperte, sondern rasch pulsierendes, impulsives Leben, das die Sinne reizt und sich zum Herren des Mannes macht. Eine Hertha, die bezaubert, wenn sie auch nicht erhebt, die verführt durch die Macht ihrer Schönheit, ohne etwas anderes zu erstreben als eben nur diesen Sieg.

Ebenso fielen auch die Worte an sein Ohr, wie schwere, glatte Tropfen, ohne ihn zur Aufmerksamkeit zwingen zu können.

Martha! – Da stand sie vor ihm, der jugendliche Glückstraum, an den er nicht fest genug geglaubt, und den er selbst begonnen hatte zu zerstören als er ihm zur Qual geworden war.

Er begriff es in diesem Augenblick kaum. – Die letzten Jahre ihrer Ehe verwischten sich in seinem Gedächtnis, er sah wieder das heranblühende Mädchen in der ärmlichen Mansardenwohnung, das durch den unerwarteten Tod der Großmutter halbtot geängstigte Kind, das sich vertrauend und schutzsuchend in seine Arme schmiegte, an seinen Hals hängte, – ob er wohl noch ebenso ehrlich und rechtschaffen in seinem Herzen war wie damals? –

Und dann gedachte er der ersten glückseligen Zeit ihrer Ehe!

Was sie wohl bewogen haben mochte, in seinem Stück – gerade in seinem Stück aufzutreten? Sie mußte es ja längst wissen, daß der Autor ihr Gatte war; nur ihn hatte die Enthüllung fast zu Boden geworfen, weil sie so überraschend kam.

Bangte sie mit ihm? War sie stolz auf ihn? Wie dachte sie an ihn?

Das Gewissen erwachte doch und sagte ihm: du hast es nicht sonderlich verdient, daß sie deiner in Zuneigung gedenkt. Du hast sie unterdrückt in ihrer Eigenart und sie nicht neben, sondern unter dich gestellt. Ihr Talent – denn sie hat Talent – mußte sich ringend und kämpfend Bahn brechen, aufbäumend gegen den Zwang, den du ihr antatest. – Aber – inzwischen haben sich die Zeiten geändert. – Was sich einst kämpfend gegenüberstand, weil keines die Berechtigung des andern begreifen und anerkennen wollte, hat ein drittes entschieden – die öffentliche Meinung. – Ihr seid nicht mehr zwei miteinander Streitende, sondern zwei Feuer, die aufwärts flammen, jedes für sich und dennoch gemeinsam, weil es demselben Ziele gilt.

Sie ist dein Weib.

Da berührte Rose Maries Hand seinen Arm. Ihre sonst so kühlen, grauen Augen strahlten.

»Ist sie nicht schön, Alten? Sie muß ja gefangen nehmen! O, wie ich mich auf Ihre Überraschung gefreut habe! Ich kannte sie schon lange!«

»Ja! Sie ist schön!« sagte er wie aus einem Traum erwachend und starrte Rose Marie seltsam in das Gesicht.

Sie merkte es nicht, ihre Aufmerksamkeit war wieder bei dem Stück; aber er war ernüchtert – ganz plötzlich – ohne jeden Grund.

Er sah Rose Maries aschblondes, leicht gepudertes Haar in der vornehm einfachen Frisur, die sie immer trug, dicht vor sich, ihre schlanken Hände, die den Fächer bewegten und über denen die Armbänder leise klirrten. Es war ihm plötzlich, als gingen von ihnen haarfeine Ketten aus, die ihn mit ihr verbanden – aber trotzdem unlöslich wie Sklavenfesseln. – Er sah Martha auf der Bühne stehen, aufrecht jetzt – im Schmuck der Brillanten, von Seide umrauscht, und er fragte sich plötzlich: durch welchen Sumpf muß sie vielleicht gegangen sein, um das zu erreichen!

Er sah das Publikum – die hochinteressierten Mienen der Männer, die gespannten, lächelnden Gesichter der Frauen – und ein unaussprechlicher Widerwillen wandelte ihn plötzlich an, vor allem was um ihn herum war. Am liebsten hätte er die Loge verlassen, aber da sank der Vorhang, und ein unbeschreiblicher Beifallsjubel durchbrauste das Haus.

Ein Jubel, so stürmisch, so lang andauernd, so aufregend, daß Viktor Alten fühlte, seine Füße trugen ihn nicht mehr. Er setzte sich auf seinen Platz. Rose Marie drehte sich zu ihm.

»Mein Freund! Mein Freund!« sagte sie, und es klang wie ein Schluchzen.

Aber sie gab ihren Gefühlen nie lange nach, mit der andern Hand schon griff sie nach ihrem Bukett.

»Gehen Sie – bringen Sie das der Norden und danken Sie ihr!« sagte sie sich erhebend. »Sie hat es wahrhaftig verdient! Ein schöner Teil des Erfolges kommt auf ihre Rechnung.«

Sie ging mit Grete und ihrem Vetter in das Foyer hinaus, sie brannte ja darauf, all die bewundernden Lobsprüche zu hören, die man ihrem jungen Freunde – ihrem Dichter nun zollen würde; auch den Triumph über ihre Schwägerin Anna, die bis jetzt als lebendiges Fragezeichen sich hingepflanzt hatte, sobald auf Altens Drama die Rede gekommen war, wollte sie sich nicht versagen.

Kleinliche Eitelkeit für ihre Person hatte sie nie gekannt, für ihn aber war sie eitel.

Viktor blieb noch einen Augenblick in der Loge stehn und starrte wie abwesend in das sich leerende Parkett. Die Blumen in seiner Hand zitterten leicht. Da tauchte aus der Menge ein kahler, spitzer Kopf auf, mit unordentlichen grauen Haaren, charakteristisch in jedem Zuge, eine schiefe, haltlose, schlotterige Gestalt... Hugo Gregor – kein Zweifel!

Er sah nicht hinauf in jene Loge, die seit Minuten der Brennpunkt aller Blicke war, kein Zeichen des Erkennens lief über das gesenkte Gesicht; dicht an ihm vorüber schritt er dem Ausgange zu, und ein brennender Schmerz zuckte sekundenlang durch Altens Inneres. Vor ihm – dem vergessenen Freunde stand er nicht als Sieger, sondern als Verfemter! – Er wußte um seine Schuld, denn er kannte die Alkante.

Aus Marthas Garderobe, zu der ein Paar Stufen hinaufführten, drang Stimmengemurmel bis auf den schmalen Gang hinab, in dem er unschlüssig und zaudernd stand.

Durfte er unangemeldet da eintreten? Als Bote der Kommerzienrätin? Bei der Zelina hätte er sich keinen Augenblick besonnen – seinem Weibe gegenüber empfand er Zweifel. Wie würde sie ihn aufnehmen?

Seinem Überlegen machte eine Garderobenfrau ein Ende, die aus der Garderobe heraustrat. Durch den Spalt der sich öffnenden Tür sah er eine lichte Gestalt und mehrere Herren, die sie umdrängten. Ein Gefühl eifersüchtigen Unbehagens fiel ihn an.

»Das gnädige Fräulein nimmt keine fremden Besuche an,« sagte das Mädchen – und musterte den eleganten Herrn vom Kopf bis Fuß.

Altens Hochmut erwachte.

»Wer sagt Ihnen denn, daß ich ein Fremder bin? Hier, meine Karte und diese Blumen! Tragen Sie beides hinein, ich warte!«

Das Befehlen hatte er gelernt, seit den drei Jahren, wo er in Rose Maries Haus verkehrt hatte!

Ohne ein Wort der Erwiderung, gekränkt in ihrer Person und Stellung durch den hohen Ton des Herrn, nahm die Zofe beides und verschwand damit. Als sie wieder heraustrat, sah sie impertinenter aus wie vorher.

»Das gnädige Fräulein bedauert!«

Kein Wort weiter, kein Dank für die Blumen! Nichts! Gar nichts! Er biß sich auf die Lippen. Und dann diese Komödie mit dem »gnädigen Fräulein!« Sie! – Seine Frau! –

Geärgert schlenderte er zurück. Als er an einer Kulisse lehnend, auf die jetzt im Vergleich zum Vorderraum halbdunkle Bühne starrte, ging Gregor an ihm vorüber.

Er tat als sähe er ihn wieder nicht, obgleich er diesmal blind hätte sein müssen, so dicht streiften sie einander.

Im ersten Moment hatte Viktor das Gefühl als müsse er den Freund anrufen, ein Wort mit ihm austauschen – im nächsten preßte er die Lippen fest aufeinander. An ihm war es wahrhaftig nicht zu bitten, gute Worte zu geben, wenn man ihn absichtlich verleugnete! Er war gestiegen, – stieg noch immer – morgen würden Tausende nach der Ehre seiner Bekanntschaft geizen, – wer diese von sich abzuschütteln suchte, dem gönnte er sicher keinen Laut, keinen Blick!

Noch niemals hatte Rose Marie in so starkem Maße den Zauber empfunden, den die Anerkennung der Menge auszuüben vermag, als an diesem Abende. Mit vollen Zügen genoß sie den Triumph desjenigen, der ihrem Herzen, wie ihrem Geist gleich nahe stand.

»Ich war stets eine Prophetin seines Erfolges!« sagte sie, sich stolz aufrichtend, als Füßlein mit begeisterten Worten Altens Talent pries. »Und mein Urteil war niemals zu optimistisch.«

»Und doch sind dramatische Autoren Narren des Glücks!« entgegnete ihr Schwager nachdenklich. »Alten hat neben seinem Talent auch noch Glück – bodenloses Glück!«

»Ah bah! Bis zu einem gewissen Grade mag das dreist jeder von sich behaupten.«

»Es ist ein riesiger Erfolg,« behauptete Füßlein, sein schwarzes Schnurrbärtchen drehend. »Was unser Autor morgen und die nächsten Tage zu hören, zu lesen und zu sehen bekommen wird, darum könnte ihn ein Gott beneiden! – Aber auch dieses Weib!« –

Ja, von ihr sprachen sie ebensoviel wie von ihm! Beider Name schwirrte durch die jetzt überheißen Gänge, das gefüllte Foyer, beider Name fiel im Verein von all den alten und jungen, zynischen und begeisterten Lippen. –

Das Zeichen zum dritten Akt erscholl und machte jedem weiteren Gespräch ein Ende. Als Rose Marie ihre Loge betrat, saß Viktor bereits wieder auf seinem Platz. Im Vorübergehen streifte sie leicht seine Schulter.

»Der Sieg ist unser!« flüsterte sie ihm freudig erregt zu.

Der dritte Akt war der Glanzpunkt des Stückes. Ausgezeichnet im dramatischen Aufbau, fesselnd und spannend vom ersten bis zum letzten Wort. Atemlos lauschend saß das Publikum da, besonders die Liebesszene zwischen Hertha und Rudolf hielt alle Hörer im Bann.

Graf Gilsach war sehr blaß, und in seinen Augen lag ein Ausdruck von Qual, der mit jedem Wort zunahm, das der Held des Stückes an die Heldin richtete. Es war nicht Eifersucht, die plötzlich in ihm aufloderte als er den Gegenstand seiner heißen Wünsche in den Armen eines andern, dem ganzen Publikum zur Schau gestellt, erblickte, dazu hatte er ja kein Recht. Aber ein Gefühl kam über ihn, als würde das Weib, das er liebte, entwürdigt durch diesen Strom leidenschaftlicher Worte, der über sie dahin flutete, entwürdigt durch die sie so fest umschlingenden Arme des Mannes, daß niemand wußte, wo das Spiel aufhörte und die Wirklichkeit begann.

Den Kopf in die Hand gestützt, ganz wie im Anfang, saß Viktor regungslos und hörte zu. Dasselbe widrige Empfinden des Grafen, quälte auch ihn.

Endlich! – Der Vorhang rauschte herab. – Ein orkanartiger Beifall erschütterte das Haus. Immer wieder und wieder tobte, klatschte, lärmte das Publikum. Nirgends ein Zeichen des Mißfallens. Immer wieder mußte sich der Vorhang heben, verlangte man nach den Darstellern und dem Dichter.

»Gehen Sie, Viktor!« sagte Rose Marie, und die Hand, die sie auf seinen Arm legte, zitterte leicht, die klaren Augen schimmerten feucht. »Ich will Sie da stehen sehen, den Lorbeer zu Ihren Füßen.«

Er ging. – Es war ihm doch wie ein Traum. Eine trunkene Siegesfreude hatte sich seiner bemächtigt.

Auf der sich wieder enthüllenden Bühne, die er jetzt betrat, standen Paul Herbert und Martha. Beide siegestrunken, tief atmend, berauscht von dem Applaus der ihnen geworden. Ihm, dem bekannten Schauspieler, war das ja nichts neues, aber es gehörte für ihn mit zum Leben. Sie dagegen empfand zum erstenmal, daß die Schwingen, die sie vertrauensselig ausgebreitet hatte, stark genug waren, um sie durch das Leben zu tragen. Alles, was sie nur jemals für sich erhofft und erträumt – es war da – sie hielt es fest in Händen.

Mit glänzenden Augen sah sie in das Publikum hinein, diese tausendköpfige Menge, die ihr zujubelte, weil sie ihr gefallen hatte. Blumenkörbe bauten sich zu ihren Fußen auf, immer höher und höher – und unter all diesen stark duftenden, leuchtenden Blumen sah sie eine weiße, schmale Männerhand, die sich ihr entgegenstreckte, um dadurch zu versinnbildlichen, daß Autor und Interpreten eins seien in ihrem Streben und in dem Errungenen.

Aber sie nahm die Hand nicht! – Was kümmerte es sie, daß sie den Autor damit beleidigte, dem Herkömmlichen zuwider handelte! Sie ließ die Hand in die Falten des Kleides herabsinken, ohne den neben ihr Stehenden zu beachten.

Über Viktors Gesicht zuckte es zornig. Sie wollte also Kampf – wie damals. Sie sollte ihn haben – wie damals. Wie hatte er auch Großherzigkeit in ihrem Charakter voraussetzen können!

Endlich fiel der Vorhang zum letztenmal. Die Lichter verloschen, das Haus leerte sich.

»Kommen Sie mit mir,« sagte Paul Herbert zu Alten, ihn in sein Ankleidezimmer führend, »und warten Sie einen Augenblick, bis ich abgeschminkt bin. Da mir Ihre liebenswürdige Fürsorge Gesellschaftstoilette zuschrieb, spare ich das Umkleiden. Wir können dann zusammen zur Kommerzienrätin fahren.«

Viktor strich sich über die heiße Stirn, er hatte plötzlich das Gefühl, als müsse er in dieser erhitzten, nach Schminke und Parfüm riechenden Luft ersticken.

»Nehmen Sie es mir nicht übel – ich muß an die Luft,« stieß er hastig hervor.

»Ach der Lorbeergeruch ist Ihnen zu Kopfe gestiegen, glücklicher Sterblicher!« sagte Herbert. »Ich begreife! Mit der Zeit wird man es freilich so gewohnt, daß nur der Mangel daran unangenehm auffällt. Aber was sagen Sie zu diesem Erfolg! Seit Jahrzehnten nicht dagewesen! – Und außerdem die Norden! – ist sie nicht wundervoll?«

»Ja!« sagte er gepreßt.

»Mann Gottes, Sie sind wirklich etwas wirr im Kopf, ich sehe es Ihnen an. Machen Sie nur, daß Sie an die Luft kommen. Auf Wiedersehen nachher!«

Wie Viktor auf die Straße kam, wußte er kaum, die Reaktion nach der gewaltigen Aufregung machte sich nun doch geltend. Jeder Nerv an ihm zuckte, die Schläfen schmerzten ihn, er bestieg einen offenen Wagen und fuhr in die Nacht hinein. Ruhe und Dunkelheit taten ihm not, nach ihnen sehnte er sich jetzt.

In ihrer Garderobe lag Martha auf der Chaiselongue, abgespannt und doch mit hämmernden Pulsen. Sie wollte sich nur einige Minuten ausruhen, ehe sie aufs neue Toilette machte, um ihren Triumphzug weiter fortzusetzen, die Ermüdung dauerte nicht lange, ihre kräftige Natur besiegte dergleichen bald. Vor ihr stand Gregor.

»Ich freue mich, daß Sie mit mir zufrieden gewesen sind,« sagte sie und blinzelte ihn von der Seite an.

»Sie haben gegeben, was Sie konnten, Martha, darüber hinaus reicht Ihre Kraft nicht.«

»Glauben Sie nur, daß ich mir nichts mehr wünsche als alle Tage so wie heut.« Sie gähnte ein wenig. »Das Publikum war begeistert – mehr verlange ich nicht.«

»Sie sind wie das Kind, Martha, das einen blitzenden Kiesel gefunden hat und ihn nun ebenso wert und schätzbar hält wie einen Diamanten.«

Sie warf mit der Puderquaste nach ihm, ohne ihn zu treffen.

Er drehte sich um, ihren Wunsch erfüllend. Da lief sie ihm nach und faßte seinen Arm.

»Er hat sich sehr verändert, nicht wahr?« flüsterte sie ihm zu.

»Gott sei Dank ja! Von meinem jungen Freunde ist nichts mehr übrig geblieben.«

»Er ist hübsch geworden, finden Sie nicht?«

Mit schnellem, schrägem Ausblick streifte er ihr schönes, lebhaftes Gesicht, aber sie schob ihn zur Tür hinaus.

Und dann fuhr sie mit beiden Händen in die lockigen blonden Haare, bog den Kopf in den Nacken und atmete tief auf. Sie wollte schön sein heute abend, so schön wie es nur irgend in ihre Macht gegeben war.


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