Hedwig Schobert
Künstlerblut
Hedwig Schobert

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XXI.

In Rose Maries Boudoir befanden sich zu ungewohnt früher Stunde Gäste. Eigentlich konnte man sie kaum so nennen, da es die nächsten Familienangehörigen, Schwager Denhardt mit Frau, waren, die dort ungeduldig auf das Erscheinen der Gnädigen warteten.

Noch nie hatte Schwägerin Anna gelber und spitzer ausgesehen als augenblicklich, wo aus ihren kleinen harten Augen etwas wie frohlockender Triumph hervorblitzte, und noch nie hatte sich ihr Gatte unbehaglicher befunden als während dieser ziemlich langen Wartezeit, die Rose Maries spätes Aufstehen und sorgsames Toilettemachen ihm zudiktierte. Wiederholt zog er die Uhr.

»Fasse dich nur in Geduld, Gustav,« sagte seine Frau endlich mit der ihr eigenen Schärfe, »es ist unbedingt notwendig, daß du ihr das alles sagst. Täte ich es allein, sie wäre imstande und bezichtigte mich – arrogant und eingebildet wie sie einmal ist – des Neides!«

Er murmelte etwas Unverständliches und fühlte gleich darauf trotz der Winterkälte draußen seine Stirn feucht werden, als Rose Marie eintrat.

Und wie sie aussah! So selbstbewußt und kühl und vornehm! Er als Mann war naiv genug, die soeben beendigten Auffrischungskünste am Toilettentisch nicht zu bemerken. In der hellblauen Matinee hatte ihre Gestalt etwas Königliches, und ähnlich fiel auch ihre Begrüßung aus, nur daß sie dem Schwager die Hand entgegenstreckte.

»Was führt euch denn so früh her?« fragte sie und ließ sich ihrer Schwägerin gegenüber nieder. »Hoffentlich nichts Unangenehmes!«

»Nun,« sagte Anna, ohne ihren Mann zu Worte kommen zu lassen, geärgert durch Rose Maries Art und Weise. »Wie du es nennen wirst, weiß ich nicht! Die beleidigte bürgerliche Moral hat sich eben gerächt, und mit den Schuldigen hat sie auch Unschuldige getroffen.«

Rose Marie warf den Kopf auf.

»Sprichst du etwa von mir, Anna?«

»Von wem denn anders?! – Ja, sieh nur so hochmütig aus wie du willst, Rose, das hilft dir nichts mehr! Da wir nun einmal die Ehre haben, dich zu unserer Familie zu zählen, bist du uns auch Rechenschaft darüber schuldig, was du mit dem ehrlichen Namen meines Bruders beginnst. Wir lassen ihn nicht durch den Kot ziehen, obgleich – obgleich er nur ganz gemein bürgerlich ist, und du zu denken scheinst, du bist ihm keine Rücksicht schuldig.«

Mit einer verächtlichen Wendung drehte sich Rose Marie von ihrer Schwägerin ab.

»Was soll das heißen, Denhardt?« fragte sie kurz und kühl.

Er blieb stehen und spielte mit einem aufgenommenen Gegenstande, offenbar war ihm die Situation unbehaglich. »,Es ist eine recht häßliche Geschichte, Rose, – ich kann dir nicht helfen.«

»So sprich!«

»Du wirst mir zugestehen, daß ich stets sehr tolerant gewesen bin, Rose, – ich war dein eifrigster Verteidiger, denn wir Männer schätzen gerade die Eigenschaften, die du besitzest, auch an den Frauen.«

»Armer Denhardt!« sagte sie halb belustigt, denn sie wußte von Annas Eifersucht genug, um seinen Mut zu bewundern. »Wie bitter muß die Pille sein, die nun kommt! – Weiter!« –

»Die Welt ist böse!« begann er nun eifriger, »du hast doch vielleicht keine so rechte Ahnung davon. Das »man sagt« regiert zuletzt auch den Klügsten! Es handelt sich um dich und Alten!«

»Schon wieder?« sagte sie und legte sich in den Sessel zurück. »Dann erlaube, daß ich nicht imstande bin, eine so alte Geschichte tragisch zu nehmen.«

»Auch wenn er dich beleidigt hat?« fragte Anna lauernd. »So beleidigt, wie ein Mann es nur einer Frau antun kann, die er – nicht achtet?«

Da war es heraus! Sie hatte geglaubt, daran ersticken zu müssen, mit tiefem, sieghaftem Aufatmen sah sie in Roses blasser gewordenes Gesicht.

»Nicht achtet? Das kann doch nur ein Irrtum sein,« sagte sie immer noch in dem Bestreben, die Sache leicht zu nehmen, obgleich ein atemraubendes Gefühl ihr am Herzen fraß. »Sprich du, Denhardt, sag es gerade heraus, was es ist – ich bin kein furchtsames Kind, vor allen Dingen aber keine Frau, die am Klatsch Vergnügen findet, oder ihm irgend welche Macht über sich einzuräumen gewillt ist.«

»Leider!« rief Anna boshaft dazwischen. »Dagegen ließe sich nun doch manches sagen, Rose. Die öffentliche Meinung ist gewissermaßen ein Spiegel, den man dem Irrenden vorhält, und deshalb tust du unrecht, daß du sie verachtest.«

Rose Marie erhob sich langsam.

»Sprich du, Denhardt,« sagte sie noch einmal.

»Die Sache ist die,« begann der Besitzer der großen Zeitung, von dem täglich Hunderte von Menschen abhängig waren und vor seinen Worten zitterten, dem aber in diesem Augenblick nicht anders zumute war, als einem ertappten bösen Buben, »daß man in der ganzen Stadt davon spricht, daß Alten, den du durch deine Bemühungen zu dem gemacht hast, was er ist...«

»Du irrst,« unterbrach sie ihn schnell. »Was ich tun konnte, war gering! Das Talent verdankt er Gott allein! Ermutigen konnte ich es wohl, ihn auf den rechten Weg leiten, aber es zu erwecken oder zu töten ist nicht in Menschenhände gelegt.«

»Du verteidigst ihn noch,« sagte Anna höhnend. »Warte es nur erst ab und dann urteile.«

Rose Marie sah ihre Schwägerin an. Nie ganze Größe dieser zuweilen bizarren, unvorsichtigen, selbstgefälligen Frau, die man so oft verkannte, weil sie sich stets gab wie sie war, sprach aus den klaren Augen.

»Meine Meinung über irgend jemand hat nichts mit seinem Verhalten gegen mich zu schaffen,« sagte sie ruhig. »So kleinlich kann ich nicht sein.«

Anna Denhardt sprang auf; sie konnte sich nicht länger halten.

»Mit solchen schönen Worten hast du meinen Bruder geködert, daß er den Bettelstolz des adeligen Fräuleins mit seinem Vermögen vergoldete, und zum Dank hast du ihn unglücklich gemacht!« rief sie voll Feindseligkeit. »Du hast es später als seine Witwe nie der Mühe wert gehalten, deine Launen zu besiegen der Welt wegen. Alle mußten dir ja huldigen, dich bewundern, du gabst gar keine andere Möglichkeit zu, und als du endlich das skandalöse Freundschaftsverhältnis mit Alten anfingst, da durfte keiner sich erlauben, dir auch nur mit einem Wort zu raten, dich zu warnen! Du, die kluge Frau, wußtest ja ganz genau, was du tun und lassen konntest! – Nun rühmt er sich öffentlich, daß er die Kommerzienrätin Murner mitsamt ihrer Million haben kann, sobald es ihn nur gelüstet ... das ist das endgültige Fazit deiner Freundschaft für ihn.«

Rose Marie drehte ihrem Schwager das Gesicht zu, es war weiß bis in die Lippen, sonst zeigte es keine merkbare Bewegung.

»War es das, was du mir sagen wolltest?«

»Ja, Rose!« erwiderte er fast scheu.

»Eine Infamie, von Menschen ersonnen, die unter dem Niveau irgend eines anständigen Empfindens stehen,« sagte sie verächtlich. »Verbreitet aus der Lust am Klatsch, die niederen Naturen angeboren ist. Ihr verlangt doch nicht, daß ich darauf etwas gebe? Wie erbärmlich müßte meine Freundschaft für Alten sein, wenn ich solch müßiges Gerede zwischen uns treten ließ.«

»Vielleicht ist es doch mehr,« sagte Denhardt bedrückt, denn die Art und Weise seiner Frau empörte ihn, obgleich er froh war, daß sie die Initiative ergriffen hatte, die Hochachtung, die er vor seiner Schwägerin empfand, machte ihm jeden Tadel fast unmöglich. »Es ist mir überall zugetragen worden, ins Haus, ins Bureau, – ja auch Füßlein, den ich deshalb interpellierte, wollte nicht recht mit der Sprache heraus. Ein unvorsichtiges Wort ist wohl jedenfalls gefallen, und das ist unverzeihlich von Alten, der dir gerade so viel verdankt.«

»Komme mir nicht immer mit der Dankbarkeit,« sagte Rose Marie zum ersten Male heftig. Ihre Hand hatte krampfhaft die Falten ihres Morgenkleides ergriffen und drückte sie fest zusammen, ein Gefühl von Kälte und Leere durchschauerte sie, als schlösse sich im nächsten Augenblick das Grab über ihr.

»Ich habe es dir immer prophezeit,« sagte Anna, die in der Wonne ihre Schwägerin gedemütigt zu wissen, sich nun auch kein Titelchen ihres Sieges entgehen lassen wollte. »Du warst ja zu alt für ihn! Männer vergessen die Jahre bei den Frauen nicht. Nun bleibt dir nichts anderes übrig, als ihm die Türe zu weisen. Wie aber willst du uns – deine Familie jetzt wieder rehabilitieren?« –

Da öffnete sich unerwartet die Tür, Viktor Alten stand auf der Schwelle, die er seit Jahren das Recht hatte, so unzeremoniös zu überschreiten.

Rose Marie zuckte zusammen.

Das eisige Schweigen das Viktor empfing, machte ihn einen Augenblick stutzig.

»Ich störe doch nicht, gnädige Frau?« fragte er zwischen Tür und Angel.

Rose Marie hatte den Kopf aufgerichtet und sah ihn an; mit der ganzen Kraft des gewaltigen Gefühls, das sie für ihn besaß, wurde ihr klar, daß sie um ihr zukünftiges Glück in diesem Moment zu kämpfen hatte. Entweder – oder! – Und mit dem Mut, den sie in allen Lebenslagen besaß, schickte sie sich an, diesen Kampf aufzunehmen.

»Sie stören nicht, Alten,« sagte sie mit der kühlen Ruhe, die sie wohl als Maske anzunehmen verstand, »im Gegenteil, es ist vielleicht eine Fügung des Schicksals zu nennen, das Sie gerade in diesem Augenblick herführt. Kommen Sie nur näher.«

Und nun ging sie auf ihn zu, legte ihm die Hand auf die Schulter und sah ihn einen Augenblick fest an.

»Man hat Sie verleumdet – jämmerlich verleumdet – und erwartet nun nichts anderes, als daß ich, ebenso empört wie die anderen Tugendheldinnen, Sie von meiner Schwelle weise.«

Ihre Hand zitterte leicht, er merkte es nicht. Das böse Gewissen, das er hatte, bezog jedes einzige ihrer Worte auf Martha.

Es war also kein Geheimnis mehr, das Verhältnis, in dem sie zueinander standen. Die Welt wußte es, der Skandal war da! – Er empfand keine Freude bei dieser Vorstellung, kaum etwas anderes als Widerwillen. Der Roman seines Herzens Stadtgeschichte! – Ihn schauderte.

»Wie erbärmlich würde ich sein, wenn ich das täte!« fuhr Rose Marie erregt fort. »Viktor, mein Freund, verteidigen Sie sich nicht, es zöge uns beide nur herab in den Staub!«

Ihre Augen schimmerten, ein bebendes Liebesweben umfloß ihre stolze Erscheinung und machte sie unwiderstehlich. Auch Alten empfand das.

Mit einer kurzen Bewegung warf er den Kopf in den Nacken.

»Ich verstehe Sie nicht, Rose,« sagte er. »Herr Denhardt erklärt mir vielleicht, wessen man mich beschuldigt.«

Sie lächelte verächtlich. »Gewiß! Weil wir einmal unter den Menschen leben, müssen wir es uns gefallen lassen, zu ihnen herabgezogen zu werden!«

Mit ineinander geschlungenen Händen, stumm und unbeweglich hörte sie den Auseinandersetzungen ihres Schwagers zu. Viktor erblaßte.

Er erinnerte sich dunkel, daß am Abend seiner Premiere, nachdem man sich von der Kommerzienrätin verabschiedet hatte, noch ein tolles Gelage bei Mayer den Schluß gemacht, und daß er da allerdings – provoziert – eine Äußerung getan, die vielleicht – vielleicht eine Ähnlichkeit mit der gehabt, die man ihm hier in den Mund gelegt, nur nicht so roh, so brutal.

Obgleich es in einem Augenblick geschehen, wo er seiner Sinne nicht mehr ganz mächtig war, war ihm die Erinnerung daran höchst peinlich gewesen. Endlich vergaß er die Sache, und nun grinste sie ihm hohnlachend mit herabgerissenem Schleier wieder in das Gesicht, und hinter ihm stand die Verleumdung bereit, das arme Opfer seiner Unvorsichtigkeit zu zerfleischen.

Das Feinfühlige seiner Natur litt schrecklich in diesem Augenblick. Sein Leben hätte er hingegeben, nur, um vor sich selber rein dastehen zu können und Rose Maries gläubiges Vertrauen verdient zu haben. Umsonst! – Das böse Wort war einmal gesprochen.

Mit Freude sah Anna den Kampf, der sich in Viktors Gesicht spiegelte, man hatte sie also gut bedient. Die stolze Rose würde lange an dieser Erfahrung zu tragen haben. Sie sollte ihr nicht noch einmal kommen mit ihren Tiraden von der Freiheit des Einzelnen, der Verachtung der Menge!

Auch Rose Marie wußte, daß sie die Wahrheit gehört hatte; wie ein schneidendes Schwert durchdrang die Erkenntnis ihr Herz, ihre Hand sank langsam von Viktors Achsel.

Da griff er plötzlich, ohne sich auf ein Wort der Gegenrede einzulassen, nach diesem schlanken Gebilde, wie ein Ertrinkender nach einem Strohhalm, konvulsivisch, mit jeder Fiber, jedem Blutstropfen, als hinge für ihn Erde und Himmel daran, und das Knie vor ihr beugend, rief er außer sich:

»Rose! Rose! Vergeben Sie mir! – Ein Rausch – ein unglückseliger Augenblick der Eitelkeit, den ich bitter bereut habe! So, wie man es Ihnen erzählt, sagte ich es nicht, aber ein Körnchen Wahrheit ist daran.«

Er beugte das Haupt wie ein Gerichteter, aber sie zog ihn schnell empor.

»Stehen Sie auf, Viktor – nicht so! –« Und dann sich plötzlich mit leuchtenden Augen und aufrechtem Kopf an ihre Verwandten wendend, fuhr sie fort: »Ihr habt es gehört – er hat es gesagt! – Und er hatte ein Recht dazu! – Er kann mich haben, sobald er mich begehrt! Mit Leib und Seele bin ich die Seine!«

Für einen Moment war es grabesstill in dem Zimmer, so unerwartet waren Roses Worte gekommen. Sie hatte die eine Hand auf die Brust gedrückt. – Wie furchtbar es dort tobte vor Angst, Liebe und Stolz –

»Rose – ist das wahr?« fragte Viktor endlich stockend.

»Ja! Ja!« jauchzte sie fast auf und lag im nächsten Augenblick an seiner Brust.

Denhardt und seine Frau sahen mit geringem Verständnis auf diese Szene. Sie begriffen wohl, um was es sich äußerlich handelte, aber das innere Geschehnis lag ihrer Auffassung fern. Sie fanden Rose Maries Benehmen unweiblich, die Großherzigkeit ihrer Handlungsweise ahnten sie nicht. Den Geliebten zertreten am Boden zu sehen, war ihr einfach unmöglich gewesen, sie mußte ihn aufrichten, indem sie sich selbst preisgab. Und sie liebte ihn – er war nun der Ihre! –

»Wenn mich nicht alles täuscht,« sagte endlich Denhardt, »so hätten wir also eine Verlobung vor uns, nicht wahr, meine Herrschaften?«

»Und der Skandal mit der Seelenfreundschaft hat Gott sei Dank ein Ende!« setzte Anna hinzu. »Heiratet nur so schnell wie möglich, damit kein Mensch mehr reden kann.« –

»Ist es dein Ernst, Rose? Wirklich – wahrhaftig dein Ernst?« fragte Viktor, als er sich endlich mit ihr allein befand. »Keine großmütige Regung um mir Beschämung zu ersparen?«

Sie lehnte sich ein wenig, nur ein klein wenig an seine Schulter.

»Bist du so blind, du großer Herzenskenner?« fragte sie leise.

Er sah sie an. Sie war ja noch immer begehrenswert, elegant, anbetungswürdig, aber – sie war doch nicht Martha, sondern eine Frau von bald vierzig Jahren. Unter diesem Blick schlug sie die Augen voll zu ihm hinauf.

»Es ist Liebe!« sagte sie langsam, mit dem vollen Bewußtsein dessen, was sie tat. »Die letzte – die beste Liebe meines Herzen!«

Wortlos schloß er sie in seine Arme. Wie begehrenswert war sie ihm einst erschienen, und nun lag sein Herz tot und kalt in der Brust, als wäre es gestorben.

»Bin ich dir auch nicht zu alt?« fragte sie zitternd. – Es war das erstemal, daß sie ihres Alters Erwähnung tat.

O, Gott, wie sie ihn demütigte mit ihrer großherzigen Liebe! –

Ohne ein Wort preßte er sie an sich und küßte sie leidenschaftlich. Am liebsten wäre er in diesem Augenblick gestorben. –

Als er gegangen, hob Rose Marie die gefalteten Hände zum Himmel auf.

»Ich danke dir, mein Gott, daß ich noch die Kraft habe, so heiß zu lieben,« sagte sie inbrünstig, und zwei helle Tropfen, seltene Gäste bei ihr, liefen über ihre Wangen.

An ihr Alter dachte sie nicht mehr, ihr Herz war jünger denn jemals. –

»Ich habe mich mit Alten verlobt,« sagte sie etwas später zu Grete, und Glück strahlte ihr dabei aus den Augen. Sie hatte das Bedürfnis, mit irgend jemand von dem zu sprechen, dessen Besitz sie stolz und glücklich zu gleicher Zeit machte. »Was sagst du dazu, Kind?«

Aber Grete antwortete nicht. Ohne einen Laut sank sie ohnmächtig zu Rose Maries Füßen.

Erschrocken richtete diese den blassen Kopf auf.

»Was sind denn das für Geschichten, Grete?« fragte sie zum ersten Male mit dem Ton warmer, herzlicher Teilnahme. »Was fehlt dir, armes kleines Ding?« Und sie strich die kalten, weißen Wangen liebevoll zärtlich und duldete, daß Grete an ihrem Herzen so wild und leidenschaftlich schluchzte, wie sie es nie für möglich gehalten hatte. Sie war ja glücklich und deshalb teilnehmend und gut gegen andere. –

Mit dem drückenden Gefühl von Schuld und Pflicht kam Viktor zur gewöhnlichen Teezeit. – Rose Marie seine Braut! – Wie eine Bergeslast lag ihm der Gedanke auf dem Herzen. Die Phantasie, die ihm jede Sache vergoldete, so lange er sie von weitem sah, war plötzlich erstorben, grau und nüchtern starrte ihn die Gegenwart an. Er kannte alle guten und großen Eigenschaften der Frau, die sich ihm so unerwartet, so großherzig und so voll heißer Liebe zu eigen gegeben hatte, er wußte, daß sie reich war und sein Lebensweg fortan eben und bequem sein würde, aber nicht der schwächste Funke irgend eines anderen Gefühls als Beschämung wollte sich in ihm regen.

In einem Zustand seelischer Marter, die qualvoller war als physischer Schmerz, betrat er Rose Maries Haus. Fortan mußte auf seinen Lippen, in seinen Augen die Lüge wohnen – würde er das ertragen? Würde das nicht über seine Kräfte gehen und er schließlich dastehen als der erbärmlichste Undankbare, den die Erde trug?

Er trat vor den Kaminspiegel und fuhr noch einmal mechanisch über sein kurzes Haar. O, wie er sich nach dem warmblütigen, begeisterungsfähigen Viktor Alten von ehemals zurücksehnte, in dessen langen Locken Riesenkräfte zu wohnen schienen. – Da warf die helle Spiegelfläche Gretes Bild zurück, die langsam und müde durch das Zimmer schritt. Grete! – Er ergriff das in Seidenpapier gewickelte Bukett für Rose und trat hastig auf sie zu. Sie blieb stehen und sah ihn mit erloschenen Augen an.

»Rose erwartet sie natürlich,« sagte sie tonlos.

»Ehe ich hineingehe, Grete – ein gutes Wort von Ihnen,« bat er bebend, denn ihm schien plötzlich, als flehe er zu dem Engel der Barmherzigkeit selbst.

»Ich wünsche Ihnen alles Glück,« sagte sie noch immer in derselben apathischen Art. »Meine Tante hat mir Ihre Verlobung mitgeteilt.«

Er sah sie an. Der gequälte Ausdruck trat sichtbar in seine Augen.

»O, Grete,« entgegnete er schmerzlich, »ich bin kein Mensch, der in die Welt paßt! Das beste wäre wohl, ein Ende zu machen. Ich finde mich nicht mehr in mir zurecht.«

Ganz leise, fast flüsternd, sprach sie zu ihm:

»Die Lüge ist es, die Sie quält! Denken Sie an gestern – an Fräulein von Norden – und nun heut meine Tante.«

»Grete,« rief er auffahrend, »Sie dürfen mich nicht verurteilen, Sie nicht – denn Sie wissen nicht alles! Seien Sie barmherzig. – Seien Sie wenigstens gut gegen mich!

– Ich ...«

Er brach ab und faßte sich an die Stirn. Was wollte er denn? Ihr vielleicht seinen trostlosen Zustand beichten? Sich ihr verächtlich machen? Sie gehörte ja zu Rose Marie. –

Sie hatte den Kopf gesenkt, ihre Liebe war immer noch nicht tot und schuf ihr Qualen, je mehr sie sich von ihrem Unwert überzeugen mußte.

»Verabscheuen Sie mich, Gretchen!« fragte er endlich düster.

»Nein, ich weine um Sie!«

Nur einen einzigen, flüchtigen Augenblick trafen sich ihre Augen, und ihm war als leuchte der ganze reiche Liebesschatz eines unentweihten Mädchenherzens aus ihren dunklen Augen ihm entgegen, nur einen Augenblick – dann sanken die Lider, und er hörte Rose Marie rufen.


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