Hedwig Schobert
Künstlerblut
Hedwig Schobert

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V.

Wieder zauste der Herbstwind in den welken Blättern der Linde, und wieder starrte Viktor hinaus in das trübselige Grau, das durch die verdorrten Äste bricht, während die Hand müßig mit der Feder spielt.

Drei Jahre, daß sie jetzt verheiratet sind. – Für ihn drei schwere, arbeitsreiche Jahre, die seine Phantasie erschöpft und seinen Körper matt gemacht haben. Sein schönes Gesicht, das jetzt in den hageren Umrissen noch mehr Ähnlichkeit mit einem jener alten Velasquezköpfe zeigt, trägt die Spuren geistiger Ermüdung um Mund und Augen, und einen nervösen, gespannten Ausdruck. Er ist leicht heftig und gereizt, anspruchsvoll an seine Umgebung und egoistisch in bezug auf sich selber. Das kleine Gartenhaus ist öfter Zeuge stürmischer Szenen zwischen Mann und Frau, obgleich der eine neben dem andern hergeht, ohne daß sie sich innerlich sonderlich berühren.

»Martha! Martha!« ruft er plötzlich so jäh und heftig, daß es von den geschlossenen Fenstern widerhallt; aber um ihn bleibt alles still.

»Martha! Martha!« Er schrie es fast hinaus, und seine Stirn zog sich zusammen.

»Frau Alten ist ausgegangen,« meldet endlich ein kleines Dienstmädchen, das aus der Küche herbeischlurft.

»Wohin?«

»Das weiß ich nicht!«

»Wie lange schon?«

»Na, so an zwei Stunden!«

Ein Lächeln zuckt um seine festgeschlossenen Lippen, aber ein sehr zorniges.

»Gut, Pauline!«

Trotz der Kälte riß er das Fenster auf und lehnte sich hinaus. Zorn kochte in ihm. Er wußte ja sehr gut, wohin Martha zu gehen pflegte, sobald sie ihre Obliegenheiten in Küche und Haus notdürftig erfüllt hatte. Zu Lene Dallmann!

Er hätte es ihr nicht verdenken dürfen, wollte er gerecht sein, aber es ist schwer, das zu sein, sobald das eigene Behagen in Frage kommt. Und wiederum – er hatte sie ja nicht mit Absicht vernachlässigt, die Arbeit für die Bedürfnisse des täglichen Lebens zwang ihn dazu!

Er dachte an die drei Jahre seiner Ehe zurück und gestand sich, daß er das nicht gefunden, was er mit solcher Sicherheit erwartet hatte. Er litt unter der Wirkung des unvermeidlichen Rückschlages, der das menschliche Leben regiert und um so heftiger, je größer seine Illusionen vorher gewesen, je empfindsamer sich überhaupt sein inneres Leben gestaltet hatte.

»Wie ist es doch etwas Erstickendes um die Ehe mit ihren unaufhörlichen Sorgen und Anforderungen!« dachte er, über die heiße Stirn streichend, und erschrak in demselben Moment über seine eigenen Gedanken.

Da sah er Martha durch den Torweg treten. Hastig schloß er das Fenster.

Sie trug ein schwarzes Kleid und eine enganliegende Jacke, auf dem blonden Haar ein kleines schwarzes Hütchen und vor der Brust einen Strauß blühender Nelken, eine Seltenheit in dieser Jahreszeit.

Es konnte nichts verführerisches und reizenderes geben, als diese junge Frau mit dem frischen Kindergesicht, den weichen Bewegungen und der blühenden Gestalt; das gab er sich selber zu, und doch konnte er ein leises Gefühl von Überdruß nicht loswerden. Es war ja noch dieselbe Martha, die er einst so glühend angebetet hatte, aber nach und nach, ohne sein Zutun, war der Heiligenschein erloschen, den er um sie gewoben. Sie wurde ihm, was sie wirklich war – eine Frau mit Schwächen und Fehlern, mit Ansprüchen und überflüssigen Träumereien, mit dem Wunsch nach Vergnügungen und dem allmählichen Erwachen des Bewußtseins ihrer Rechte. Er wähnte, daß er ihr zuliebe Opfer bringen müsse, und daher erschien ihm nun auch das erlangte Glück sehr zweifelhaft.

Draußen sagte indes das Mädchen:

»Der Herr hat nach Ihnen gerufen, Frau Alten.« »So!«

Martha streifte die Jacke ab und legte den Hut zur Seite, sie beeilte sich nicht sonderlich dabei.

»Er war recht böse,« berichtete das Mädchen.

Sie gab keine Antwort, ihre Gedanken waren mit andern Dingen beschäftigt. Im Grunde genommen machte sie sich nicht mehr viel aus Viktors recht schwankenden Stimmungen.

»Was wolltest du von mir?« fragte sie, nach einem Weilchen eintretend und sich neben seinen Schreibtisch setzend. »Du hast mich gerufen.«

»Wo warst du?« fragte er dagegen und konnte eine gewisse Schärfe aus seinem Ton nicht bannen.

»Bei der Lene. Ich bin nur einen Augenblick mit herangegangen, weil ich ihr neues Tuchkleid sehen wollte; es kam vom Schneider. Ich sage dir, Viktor, etwas Schöneres kannst du dir nicht denken...«

»Erlaß mir doch die Beschreibung,« fuhr er schroff dazwischen. »Wenn du deine Seele an Lene Dallmanns Kleiderschrank hängst – ich habe keine Lust dazu.«

»Du würdest schon anders denken, wenn du nur einmal dergleichen Dinge gesehen hättest,« meinte sie und streckte ihren runden Arm auf dem Tisch aus. »Sieh, das Armband hat sie mir geschenkt. Ist es nicht niedlich? Die ihrigen sind freilich kostbarer – und die Spitzen und Stickereien, die Kleider und Mäntel, die sie trägt, seitdem sie hier am Theater engagiert ist! Es ist gar nicht die alte Lene mehr, man kann ordentlich Respekt vor ihr haben, und ich verdenke es Frau Dallmann nicht, daß sie stolz auf ihre Tochter ist. Lene leidet auch nicht mehr, daß ihre Mutter arbeitet, und wenn du hinkommst, haben sie Blumen im Zimmer, als wäre es ein Garten.«

Er klopfte ungeduldig mit der Fußspitze den Boden.

»Martha, ich schäme mich fast, daß du – meine Frau – nichts Höheres kennst als Putz und Tand. Der Umgang mit Dallmanns scheint nicht gerade günstig auf dich einzuwirken.«

Sie sah ihn an. »Ich liebe es wirklich sehr, mich hübsch zu kleiden und gut zu leben, mich dünkt, jeder Mensch, der etwas auf sich hält, müßte das; habe ich es nicht, so entbehre ich es freilich, aber nicht gern.«

»Du bist also unzufrieden mit deinem Los!«

Sie nahm die Unterlippe zwischen die Zähne und sah auf den Boden herab. Ihre Stirn runzelte sich etwas.

»Warum fragst du mich danach, Viktor?«

»Weil ich es hören will, wie undankbar du gegen mich bist,« brach er empört aus, »ich arbeite für dich, ich entbehre alles um deinetwillen, und du – du legst den Maßstab von Lene Dallmanns Kleiderschrank an den Wert deines Glückes.«

»Wenn du mir nur nicht immer vorhalten wolltest, was du für mich tust,« rief sie mit blitzenden Augen, »tue ich etwa nicht ebensogut das Meinige? Und wenn ich wirklich meine freie Zeit bei Dallmanns zubringe, kann es dich kümmern, da du mich ja doch nicht brauchst?«

»Ich wünsche diesen Verkehr nicht,« sagte er noch immer ziemlich ruhig, »,er liegt außerhalb unserer Sphäre, ich kenne Dallmanns genug, um mir ein genügendes Bild ihres augenblicklichen Lebens zu machen. Meine Frau aber hat auch noch nach etwas mehr zu fragen, als nach zweifelhaften Amüsements...«

Sie sprang auf und trat dicht vor ihm hin, der Zug unbeugsamer Entschlossenheit, der sich so selten auf ihrem schönen Gesicht zeigte, veränderte sie ganz.

»Ich antworte dir dasselbe darauf, was ich meiner Großmutter sagte – ich werde deinen Wunsch nicht erfüllen! Lene ist meine Freundin, wir sind zusammen zur Schule gegangen und haben unser halbes Leben miteinander zugebracht, ihre Bildung genügt mir, denn sie ist der meinen gleich, und wenn Frau Dallmann auch Aufwärterin war, und wenn Gregor ihr auch hinter meinem Rücken mein Haus verboten hat, sie ist eine ehrliche Frau, die es gut mit mir meint, und Arbeit schändet nicht – wir arbeiten auch.«

»Sie schmeicheln dir, das ist der ganze Magnet, der dich zu ihnen zieht!« rief er verächtlich.

Martha stampfte zornig auf.

»Sie sind freundlich zu mir, und ich fange an das zu würdigen,« sagte sie sich umwendend und drehte an dem geschenkten Armband, um ihm nicht zu zeigen, daß ihr Tränen kamen.

»So geh!« sagte er, sich gewaltsam beherrschend. »Ich kann dich zu nichts zwingen, was du nicht freiwillig tust. Wenn dir Dallmanns lieber sind als ich – geh!«

Zaudernd blieb sie einen Augenblick stehen. Sollte sie ihm nachgeben? Aber damit verlor sie das einzige Vergnügen, das ihr die Gegenwart bot. Und es war so harmlos! Vom Theater hören, in das sie jetzt selten kam, mit den Händen in Lenes Spitzen und Schmuck wühlen, das war alles! Warum wollte ihr Viktor das nicht gönnen?

Sie dachte an ihre Seligkeit, als sie von Lenes Rückkehr in die Stadt erfahren; endlich war sie nicht mehr allein! Und an den Reiz, den die Plauderstunden mit ihrer alten Freundin täglich auf sie ausübten. Wodurch, danach fragte sie nicht. Sie wußte auch nicht, daß sie jetzt erst wirklich unzufrieden mit ihrem Schicksal geworden war, seitdem sie Vergleiche anstellen konnte.

Schweigend ging sie aus dem Zimmer; überall, wo ihr Zwang begegnete, lehnte sich etwas in ihr dagegen auf, so war es bei der Großmutter gewesen und so war es bei ihrem Mann.

Verstimmter noch wie vorher blieb Viktor zurück.

»Wenn nur Gregor käme!« dachte er. So schal und leer wie heute war ihm das Leben noch niemals erschienen.

»Vielleicht suche ich ihn auf,« dachte er, sich erhebend; aber auch dazu fühlte er sich unlustig, er warf sich auf das Sofa und vergrub den Kopf in die Kissen.

Diesem einen grauen, trüben Tage folgten andere, die nicht besser waren, und als Viktor nach langer Zeit, die er mit kleineren, schneller zu verwertenden Arbeiten ausgefüllt hatte, wieder einen großen Roman vollendet hatte, war er abgespannter und mutloser als er sich jemals gefühlt.

Das fertige Manuskript vor sich, sprach er zum erstenmal zu Gregor rückhaltslos von seiner geistigen Stimmung.

»Meine Kraft ist fort,« klagte er, den Kopf in die Hand stützend, »ich fühle in meinem Hirn ein wüstes, totes Feld, über das ich nicht hinaus kann. Das Leben, in das ich gesperrt bin, reibt mich auf, vernichtet jede Freudigkeit in mir. Man kann nicht Gestalten hervorzaubern, wenn man dem Weltgetriebe so fern stehen muß, Phantasie allein hilft da nicht. Sie kann verschönen, vertiefen, aber die Natur muß mir als Grundlage dienen. Charaktere kann man nicht schildern, wenn man sie nicht beobachtet und studiert. Inmitten der nüchternsten Trivialität, wie sie mich in Martha, in unserm ganzen Haushalt umgibt, reifen keine Gebilde. Gib mir einen zündenden Funken, Gregor, der befruchtend in meine Seele fällt, oder ich bin am Ende!«

»Warum konntest du denn das früher alles entbehren?« fragte der alte Freund zweifelnd.

»Weiß ich es? Weiß ich überhaupt, was in mir vorgeht? Nur eins fühle ich deutlich, daß ich unter den bestehenden Verhältnissen verdorre,« seufzte er ungeduldig.

»Begangene Dummheiten muß man ertragen! Ich meine, die deine ginge noch an. Martha ist nicht die schlechteste Frau, und wenn sie nach demselben verlangt wie du, wie kannst du es ihr zum Vorwurf machen.«

»Ich dächte doch, du müßtest an mich einen andern Maßstab anlegen, als an sie, der der Umgang mit Dallmanns ein vollkommenes Genügen bietet,« sagte er gereizt. »Kann mir solche Frau auch nur in den geringsten Dingen ebenbürtig sein? Man behauptet oft, daß es die klugen Frauen seien, die die Männer verderben, im Gegenteil, die dummen sind es, die sich über ihren beschränkten Horizont nicht erheben können, die es nicht verstehen, dem Manne Gehilfin zu sein, weder im Genießen noch im Entbehren. Sie machen aus dem Leben eine Wüste und einen Gemeinplatz. Die größte Enttäuschung meines Lebens, heißt Martha!«

»Es wird ihr vielleicht noch manche andere folgen, die bitterer sein könnte! Arme, kleine Frau! Weißt du ganz genau, was ihr Inneres bewegt?«

»Die nichtigsten Dinge,« meinte er verächtlich, »Dinge, die wir kaum begreifen – und dabei lebt in ihrem Herzen ein Stück Realismus, um den ich sie beneiden könnte. Nur was ist, hat für sie Wert. Glaube mir, ich kenne sie genügend!«

»Und doch tust du ihr unrecht!« rief der alte Mann erregt, »das schreiendste Unrecht, das jemals einem Menschen zugefügt worden ist. Verlangst du denn etwas anderes von ihr, als für deine leiblichen Bedürfnisse zu sorgen? Trägst du ihrer Jugend Rechnung? Überall entdecke ich ein »nein«! Du bist ein Tyrann, obgleich du dich mit dem Martyrium der Duldsamkeit umgeben möchtest; das ist meine Meinung!«

»Martha versteht ihre Sache zu führen,« antwortete Viktor spöttisch. »In deinen Augen ist sie also das Ideal einer Frau.«

»Ideale gehören einer anderen Sphäre an,« erwiderte er unwirsch.

»Es ist jedenfalls eine sehr zweifelhafte Wohltat, sie aufgeben zu müssen. Wie glücklich war ich mit ihnen!« sagte Viktor mit einer schwermütigen Anwandlung.

In mißmutiger Stimmung verließ er Gregor und ging achtlos durch die Straßen der Stadt, in der sich gerade das abendliche Leben zu regen begann.

Der Schnee knirschte unter seinen Fußen, klar und hell funkelten die Sterne vom dunklen Himmel. Um ihn wogte eine immer größere Menschenmenge je näher er der inneren Stadt kam, und das zerstreute ihn etwas und tat ihm wohl nach der langen angestrengten Arbeit, in die er sich die letzte Zeit gestürzt hatte.

Ziellos ging er weiter, kaum auf seine Umgebung achtend, die Kälte und das Knirschen des Schnees war ihm ein angenehmes Gefühl. An ihm vorüber fuhr ein elegantes Auto. Unwillkürlich knüpften sich seine Gedanken an die Insassen des Wagens. Sie gehörten gewiß zu jener Welt des Luxus und Reichtums, die er nicht kannte, und auf die Martha auch immer ihre begehrlichen Blicke geheftet hielt. Er folgte dem Wagen mit den Augen; in demselben Augenblick hörte er ein Krachen, sah das Auto auf einen Lastwagen stoßen. Mit wenigen schnellen Schritten war er zur Stelle.

Der Schofför bemühte sich, die Wagentür zu öffnen.

Gleichzeitig mit ihm streckte Viktor die Hand aus, ihren vereinten Bemühungen gelang es, die eingeklemmte Tür zu öffnen.

Eine Dame stieg aus. Eine hohe, schlanke Erscheinung, vornehm in Haltung und Bewegung. Sie trug einen enggespannten, feinen weißen Schleier, aus dem ihre Augen, grau und hell wie Stahl glänzten, weiße Spitzen umhüllten den blonden Kopf und waren lose auf dem königsblauen Theatermantel ineinander geschlungen. Eine Woge von Parfüm umgab sie, entströmte ihren Kleidern, ja selbst dem Bukett frischer, roter Rosen, das sie in der Hand hielt; dessen natürlichen Duft völlig auslöschend.

Als sie mit beiden Füßen sicher auf dem Asphalt stand, blickte sie auf die umherstehende Menge mit solcher vornehmen Gleichgültigkeit, als sehe sie kaum etwas von alledem, beugte sich ein wenig zur Seite, griff nach dem Seidenkleid, das sich unter dem Mantel verbarg, um es zu heben und machte Miene, auf die andere Seite der Straße zu gelangen. Das Opernglas, in dem rotsamtenen Etui aber, das sie ebenfalls in der Hand gehalten hatte, fiel in diesem Augenblick mit hartem Aufschlag zur Erde; Viktor hob es auf und hielt es seiner Besitzerin entgegen.

Ein flüchtiger Blick streifte ihn, als sie es mit leichtem Dank aus seinen Händen nahm, und unter diesem Blick, entzückt von der Erscheinung der Fremden, sagte er etwas schüchtern zwar, aber doch sehr höflich:

»Gestatten Sie, daß ich Sie durch die Menge geleite; meine Gnädige.«

Sie nickte nach einem zweiten flüchtigen Blick.

»Tuen Sie das, es wird mir lieb sein.«

Ihre Stimme war weich und voll. »Gerade so mußte sie sprechen,« dachte Viktor, als er neben ihr herschritt, und seine leicht erregbare Phantasie fühlte sich mächtig angespornt durch diese Unbekannte, die ihm so plötzlich alles das verkörperte, was er sich noch vor kurzem gewünscht und ersehnt hatte.

Als sie auf dem gegenüberliegenden Trottoir standen, blickte die Dame aufmerksam die Straße rechts und links hinab, Wagen rollten genug an ihnen vorüber, aber alle besetzt, kein einziger leer.

»Ich werde bis zum Theater gehen müssen,« sagte sie mit leiser Ungeduld im Ton, »das Warten ist noch unangenehmer.«

»Darf ich Sie begleiten?« fragte er noch zurückhaltend, »es sind kaum zehn Minuten, wenn wir diese Querstraße einschlagen.«

Wieder sah sie ihn an, wie man etwa einen Diener mustert, ehe man ihn in Dienst nimmt.

»Wenn sie wüßte, wer ich bin!« dachte er voll Selbstgefühl, und zugleich reizte es ihn, ihr das zu sagen, damit dieses blasierte, hochmütige Gesicht sich ihm mit größerer Liebenswürdigkeit zuwandte. Er hatte zu wenig in der Welt gelebt, um die Bedeutung seines Ichs nicht bei weitem zu überschauen. Wen er in seinem kleinen Kreise kannte, der kannte auch ihn und nahm Interesse an ihm, und in seiner naiven Anschauung glaubte er, daß es überall so sein würde.

Ihre Prüfung war beendigt.

»Ich nehme Ihr Anerbieten an – er bringt Sie hoffentlich nicht allzu weit von Ihrem eigenen Wege ab,« sagte sie mit kühlster Höflichkeit.

»O, was das anbelangt – ich hatte kein Ziel!« sagte er, es schien ihr so sehr wenig daran zu liegen, aus welchem Grunde er sie begleitete. »Darf ich ihnen nicht etwas abnehmen?«

Sie reichte ihm das Bukett, an dem eine lange hellseidene Schleife befestigt war.

»Dies hier, es geniert mich sehr. Damit Sie aber nicht aussehen, wie ein Hochzeitsbitter, schlingen Sie das Band um die Blumen! – So! – Danke!«

Nun gingen sie schweigend ein paar Schritte weiter. Viktor zerbrach sich den Kopf, wie er ein Gespräch beginnen sollte, das sich doch etwas außerhalb des banalen Kreises der Alltäglichkeit bewegte, aber er fand nichts.

»Sie werden zu spät zum Theater kommen, sagte er endlich jeden anderen Versuch aufgebend. »Eben schlägt es acht Uhr.«

»Das ist nicht wichtig. Wer so oft das Theater besucht, wie ich, kennt schließlich alles bis zum Überdruß!«

»Aber warum gehen Sie denn hin?« fragte er in hellem Staunen.

»Soll ich mich zu Hause langweilen?«

Sie wandte ihm jetzt das Gesicht zu und sah ihm direkt in die Augen, wieder mit jenem kühlen, prüfenden Blick, diesmal folgte ihm ein Lächeln.

»Sie werden freilich die Langeweile kaum aus eigener Erfahrung kennen,« setzte sie hinzu.

»Warum?« »Weil Sie noch zu jung dazu sind. Die Langeweile gehört zu uns, die wir bereits in allem abgeschliffen sind, die wir das heute wie das morgen mit dem Bewußtsein über uns ergehen lassen, daß es nur die Wiederholung der täglichen Einförmigkeit ist.«

»Es käme doch darauf an, was diese Einförmigkeit mit sich bringt,« sagte er und sah sie voll Interesse an. Der kurze Weg bis zum Theater war zurückgelegt, sie stiegen in dem hellen, strahlenden Licht die Treppen hinauf, die in das Vestibül führten.

Sie lächelte wieder.

»Glauben Sie mir – einer Erfahrenen! Jeder Besitz ist Macht, stumpft deshalb ab und verliert den Reiz für den Besitzenden.«

»Dafür wird er zur Gewohnheit,« warf er rasch hin und reichte ihr das Bukett, »es fragt sich nur, womit wir uns am besten befreunden.«

Sie nahm das Bukett, antwortete nicht, sah ihm aber in das Gesicht, das er, da er gleichzeitig den weitschattenden weichen Filzhut abnahm, dem vollen Licht preisgab.

»Wie gut er aussieht,« dachte sie verwundert. »Welch Reiz in den dunklen Augen, welch Ausdruck um den seinen Mund!«

»Ich danke Ihnen – ich danke Ihnen wirklich,« sagte sie nun mit der Liebenswürdigkeit einer Weltdame, zugleich die Schleife von den Blumen lösend. »Leben Sie wohl!«

Sie reichte ihm die Spitzen der behandschuhten Finger, nickte freundlich und ging; und ihm fiel es plötzlich beklemmend auf die Seele, daß er nicht wußte, wer sie gewesen, daß er die Pflicht der allerersten Höflichkeit verabsäumt, daß er sich ihr nicht genannt hatte.

Was sollte sie von ihm denken! Durch seine eigene Ungeschicklichkeit war der Faden zerrissen, den der wohlwollende Zufall geknüpft hatte, und der ihn plötzlich mit dem lebhaftesten Interesse erfüllte. Er vergaß alles, was er in diesen kurzen Minuten drückendes und beschämendes empfunden hatte, als er inne wurde, daß er jenen Kreisen weder in Form noch Gewandtheit gleichstand, aus deren Mitte zu erzählen er sich doch wiederholt vermessen hatte; ihn verfolgte nur der Wunsch zu wissen, wer die Dame gewesen.

Er sah sich nach einem Theaterdiener um, in der Hoffnung, dort etwas zu erfahren, aber niemand ließ sich blicken.

Seufzend trat er auf die Straße hinaus, in die Winternacht. Diese Frau, die soeben seinen Lebensweg gekreuzt, hatte ihm gefallen, weil sie ganz anders war als diejenige, der er seine erste, rasch vergangene Liebe geweiht hatte, seine Frau. – Martha gegenüber hatte er sich Schutz, und Schicksal gedünkt, und das gab seiner Liebe recht bald das Gepräge einer gewissen herrschsüchtigen Tyrannei, in dem allein sein Ich dominieren sollte, und wo es nicht geschah, fühlte er sich verbittert, hier aber, hier stand ihm eine fertige, imponierende Persönlichkeit gegenüber. Er war der Kleine, der Empfangende, der Neuling in einer Weltanschauung, die der seinen ganz fremd war. Er ahnte dunkel, daß diese Frau Einfluß auf alles haben müsse, was in ihre Nähe kam, und er brannte darauf, diesen Einfluß an sich selbst zu erproben.

Er wollte sie wiedersehen – darin gipfelte für ihn alles. Und schließlich – nichts leichter als das, wenn er nur den Mut dazu fand!

Er wußte ja, wo sie zu finden war. Sobald die Vorstellung zu Ende, wollte er sich in das Vestibül stellen und aus dem flutenden Menschenstrom sie herausfinden, um sich ihr entweder zu nähern oder ihr heimlich zu folgen, je nachdem. – Einstweilen trat er in ein Café, um die Zeit hinzubringen. Ihm gegenüber saß eine Dame, er sah nur die Löckchen am Halse, Farbe und Frisur dieselbe, die Martha trug. Ein Unbehagen durchrüttelte ihn plötzlich. War es nicht ein Unrecht an ihr, das er im Begriff war zu begehen? Eine Treulosigkeit?

Er zog ungeduldig die Stirn kraus über den unbequemen Mahner in der eigenen Brust.

»Wie kleinlich würde solche Auffassung sein – wie entsetzlich kleinlich,« beschwichtigte er sich selbst. »Was will ich denn besten Falls! Ein wenig Anregung, etwas Neues für meine versiegende Kraft. Ich bin am Ende, wenn nicht Hilfe von außen kommt. Eine Frau wie diese ist sicher imstande, befruchtend auf meine Ideen zu wirken! Leide ich bei Martha nicht den empfindlichsten Mangel an geistigem Verständnis, und gibt es einen Zustand, der auf die Dauer unerträglicher werden kann? Meiner Frau entziehe ich wahrlich nichts, wenn ich meinen Geist an anderer Stelle auffrische, sie verlangt danach nicht. Was ich ihr schuldig bin, werde ich ihr geben, mehr zu tun, wäre töricht.«

So betrog er sich; als er aber Gregor in das Café treten sah, verschanzte er sich hinter einer Zeitung, um nicht gesehen zu werden. Der Freund dünkte ihm heut abend eine unbequeme Zugabe.

Das Theater war zu Ende. An einen Pfeiler gelehnt, stand Viktor Alten und starrte unverwandt auf den Eingang, in dem sie vorher verschwunden war. Es dauerte eine geraume Weile; endlich kam sie. Als er ihr so entgegensah, mit klopfendem Herzen und dem bänglichen Bewußtsein etwas Gewagtes unternommen zu haben, fiel sein Blick in den gegenüberliegenden Spiegel und er erschrak.

War er das wirklich mit dem großen häßlichen Hut, dem schlechtsitzenden Rock und den plumpen Stiefeln? Seine handschuhlosen Hände dünkten ihn plötzlich gewöhnlich, trotz ihrer eleganten Form, sie waren rot von der Kälte draußen, und die Dame, auf die er hier wartete, war das Urbild der Eleganz und der Vornehmheit.

Je näher sie ihm kam, je tiefer sank ihm der Mut sie anzureden. Mit welchem Recht denn? Und wozu denn? Konnte er ihr gefallen? Mit einem plötzlichen Blick hatte er die große Kluft gesehen, die sie voneinander trennte, ihn, den armen, vorwärtsstrebenden, auf halbem Wege schon ermattenden Schriftsteller, und sie, das Kind des Luxus und Reichtums.

Ob er vor drei Jahren ebenso gedacht hätte? Damals dünkte er sich ein unbesiegbarer Held, ein König im Reich des Geistes. Eine furchtbare Ernüchterung befiel ihn, er machte den Versuch, sich unbemerkt davon zu schleichen, aber schon stand sie vor ihm.

»Ich wußte, daß Sie hier sein würden,« sagte sie mit einem kleinen Lächeln. »Lassen Sie uns gehn!«

»Darf ich?« stotterte er verwirrt, und eine Blutwelle schlug ihm in das Gesicht. »Wie gut Sie sind, gnädige...« er schwieg verlegen. Wie sollte er sie eigentlich nennen? Zu einem Mädchen war sie ihm zu sicher und selbstbewußt, und doch wieder kam und ging sie allein.

»Frau – Frau! Natürlich Frau!« fiel sie ihm ins Wort. »Der Schleier führt Sie irre, sonst wäre ein Zaudern unmöglich. Hier, nehmen Sie meine Blumen noch einmal!«

»Ja,« sagte er niedergeschmettert; an ihren Gatten hatte er mit keiner Silbe gedacht.

»Weshalb machen Sie so ein Gesicht,« fragte sie verwundert, als sie neben ihm die Treppe hinunter ging. »Geniert es Sie, die Blumen zu tragen?«

»Welcher Gedanke!« rief er. »Ich danke Ihnen im Gegenteil für die Gunst, die Sie mir gewähren!«

Jetzt lachte sie auf. »Sie sind sehr bescheiden, Herr – ja, nun muß ich doch bitten, endlich aus Ihrem Inkognito herauszutreten.«

»Alten – Viktor Alten!«

Sie sah ihn sinnend an.

»Der Name –,« sagte sie in ihrem Gedächtnis suchend – »mir ist doch, als hätte ich ihn schon irgendwo gehört!«

Er schwieg, mit einem stolzen Lächeln auf den Lippen.

»Helfen Sie mir doch, wenn ich mich nicht täusche!«

»Ich bin Schriftsteller,« begann er zögernd, denn es wäre ihm viel schmeichelhafter gewesen, sie hätte sich selbst darauf besonnen. »Vielleicht daß Ihnen irgend ein Buch aus meiner Feder unter die Hand gekommen ist.«

»Ja, richtig, ich erinnere mich,« sagte sie kopfnickend und ihn dabei wieder von der Seite betrachtend. »Meine Nichte besitzt einiges von Ihnen und ist sehr entzückt davon.«

»Und Sie, gnädige Frau?« fragte er.

»Ich? – Nun, ich bin nicht mehr jung genug dazu. Wir würdigen am Leben eine ganz andere Seite.«

»Also – gewogen – und zu leicht befunden,« schloß er bitter.

»Behüte! So dürfen Sie meine Worte nicht auffassen,« – aber sie sprach so gleichgültig kühl, wie bisher, als läge ihr der Gedanke himmelfern, sie könne ihn kränken, oder, als frage sie nicht das Geringste danach. – »Ich meine nur, eine reale Grundlage kann nicht schaden, selbst in der Poesie nicht. Ihre Menschen sind – nun, sagen wir: Halbgötter, keine Leute, mit denen ich rede und gehe. Mir gefallen Menschen aber besser, ich will in einen Spiegel sehen, in dem ich mich unter Umständen selbst wiederfinde. Reden Sie mir nichts davon, daß ich auf diese Weise immer nur die Kahlheit, nie die Größe der Geschöpfe sehe, ich glaube an keine Größe, die nicht durch den Zwang der Verhältnisse motiviert wird.«

»Eine trübselige Weltanschauung,« sagte er gedrückt. Einmal hatte Martha ihm etwas Ähnliches gesagt, er hatte es als das Geplauder eines Kindes beiseite geschoben, von diesen Lippen traf es ihn anders.

»Sie irren sich,« erwiderte sie, »es ist die einzig richtige. Man verlangt niemals mehr von sich und seinen Nebenmenschen, als sie leisten können, man wird tolerant und menschlich. Ich möchte den sehen, der in der Welt lebt und nach dem dreißigsten Jahr noch Illusionen hat.«

Er schloß die Hand fest um den Rosenstrauß; gepreßt klang deshalb auch seine Stimme, als er sagte:

»Lehren Sie mich ohne diese leben!«

»Würde es zu Ihrem Besten sein?« fragte sie und sah ihm groß und voll in das Gesicht.

»Ja!«

»Mir scheint doch, lieber Freund,« sagte sie mit der ganzen Souveränität, die ihr eigen und die ihn so zu Boden drückte, »Sie sind noch zu jung dazu. Sie haben vielleicht ein ehrliches Gemüt, bescheidene Freuden, ideale Hoffnungen. Fällt das alles, werden Sie Lücken empfinden, und Lücken sind häßlich.«

»Gleichviel!« rief er stürmisch, »oder vielmehr, all Ihre Voraussetzungen treffen nicht zu; ich bin nicht mehr der, der ich früher war! Der Boden unter mir ist bedenklich ins Schwanken geraten, ich strecke die Hände nach einem Halt, ich bin kleinmütig geworden, da – führt das Schicksal mir Sie in den Weg! – Lassen Sie mich an ein gütiges Schicksal glauben, gnädige Frau!«

»Still!« sagte sie mit einer kleinen Kopfbewegung nach rückwärts. »Es ist nicht nötig, daß mein Diener alles hört.«

Er sah sich bestürzt um. Hinter ihnen schritt in geringem Abstand ein galonierter Diener, und einen Augenblick empfand Viktor wirklich Respekt vor der Macht des Goldes, das ihm in dieser Frau so herrschend entgegentrat.

Sie waren aus dem belebten Mittelpunkt der Stadt in einsameres Villenviertel gekommen, ohne daß er es im Eifer des Gesprächs bemerkt hatte, vor einem nicht großen, aber elegantem Hause blieb sie stehen.

»Gute Nacht und auf Wiedersehen. Wenn Sie mich einmal besuchen wollen, Herr Alten! Ich bin eine einsame Frau und liebe alles, was nicht in den hergebrachten Schablonen läuft, vielleicht kann ich Ihnen mit meiner Welterfahrung wirklich etwas nützen.«

Er griff nach ihrer Hand und hielt sie fest; gern hätte er sie an die Lippen gezogen, aber der Diener genierte ihn.

»Ich bin die Kommerzienrätin Murner,« setzt sie hinzu, und wieder huschte jenes halb amüsierte Lächeln über ihr Gesicht, das ihn schon mehrmals betroffen gemacht hatte.

Die Tür fiel hinter ihr ins Schloß, er stand draußen und starrte auf das bronzene Gitter, das den kleinen Vorgarten vornehm von der Straße abschloß. In dessen Mitte hielt ein Triton einen Schwan am Halse gepackt, aus dessen geöffnetem Schnabel wohl im Sommer eine Fontäne sprang, jetzt trug beides ein Käppchen von Schnee, und das dunkle Metall hob sich scharf und doch graziös in seinen Linien von dem hellen Hintergrunde des Hauses mit seiner offenen Loggia und dem vornehmen Toreingang ab.

Er starrte auf den kleinen Palast, und erst nach einer geraumen Zeit wurde ihm klar, daß er noch immer das Bukett in der Hand hielt.

Was sollte er machen, die Glocke am Gitter ziehen und dem Bedienten die Blumen übergeben? Es wurde ihm schwer, sich von ihnen zu trennen, diesem einzig greifbaren Beweis seines ersten Abenteuers, und doch konnte er sie nicht behalten wie ein Dieb; noch einmal sog er ihren Duft ein, dann streckte er die Hand nach der Glocke aus. In demselben Augenblick erlosch das Licht im Vestibül, dunkel und geheimnisvoll still lag die Villa vor ihm, gerade über ihr stand die helle Mondscheibe.

Jetzt zu läuten wäre rücksichtslos gewesen, und nach einem langen Blick auf das Haus, ging Viktor, mit den Blumen in der Hand, seinem eigenen Heim zu.

Aber die erhitzte Phantasie gönnte ihm keinen gesunden Schlaf, er sann und grübelte wachend fast die halbe Nacht.

Hatte er jetzt endlich sein Ideal gefunden, das sich zuerst trügerisch mit Marthas Zügen geschmückt? Sie schlief friedlich neben ihm, mit den rosigen Wangen eines Kindes und dem krausen, blonden Gelock, aber ihr Anblick, so lieblich, er war, ließ ihn gleichgültig. Das, was er in ihr gesucht, hatte er ja nicht gefunden! An ihm lag sicherlich die Schuld nicht. Sie war nur ein oberflächliches, leichtfertiges Dutzendgeschöpf, jedes Verständnis seiner Natur blieb ihr fern, kein Wunder, daß sie ihn nicht ausfüllte.

Und war es denn so böse, was er wollte? Er lechzte nur nach geistigem Verständnis, dem seinen, unmerklichen Duft, der jede Frau von Welt umgibt, und den Martha nicht besaß. So gerecht, um sich zu sagen, daß ihr die Gelegenheit fehlte sich derartiges anzueignen, war er nicht.

Was er an Martha so scharf tadelte, ihr Hinneigen zu jener Sphäre, in der Luxus und Wohlleben herrscht, trat jetzt an ihn selber heran, und auch er erlag, ohne sich dessen recht bewußt zu werden.


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