Hedwig Schobert
Künstlerblut
Hedwig Schobert

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XII.

»Ist Alten hier?«

Rose Marie rief es ihrer Nichte fragend zu, als sie sehr eilig in das Wohnzimmer trat, in dem Grete mit einer Arbeit am Fenster saß.

»Nein, Graf Gilsach wartet im Salon auf dich.«

»Himmel, der gute Ruprecht konnte zu seinem Besuch auch wohl keine passendere Zeit finden! Laß Alten holen, Grete, ich kann es nicht erwarten, ihm die erste Mitteilung zu machen – sein Stück ist angenommen.«

»Das war ja vorauszusehen!« sagte Grete kaltblütig und zählte die Stiche ihrer Arbeit nach.

»Eigentlich ja. Aber Herbert verspricht sich einen großen Erfolg, er selbst hat die Hauptrolle übernommen. Als ich ihn traf, kam er gerade aus der Leseprobe. Ich versprach ihm, Alten zu schicken, vorher aber will ich ihn sehen.«

Grete stand auf, um den Diener zu beauftragen. Rose Marie trat in den Salon.

»Du hast mich lange warten lassen, Cousine,« empfing sie Graf Gilsach. »Das bedaure ich, aber Herbert hielt mich zurück. Altens Stück wird in spätestens sechs bis acht Wochen seine Premiere haben. Das interessierte mich natürlich.«

»Ja, du hast eine merkwürdige Passion für diese Dinge,« bemerkte er etwas unmutig. »Mir vollkommen unverständlich für eine Frau deines Schlages.«

Sie hatte sich gesetzt und stand nun wieder auf, das Fieber der Ungeduld brannte in ihr.

»Mein lieber Ruprecht,« sagte sie so nebenhin, indem sie unhörbar auf dem dicken Teppich hin und herging. »Etwas muß doch der Mensch haben, mit dem er sich beschäftigt und das ihm Interesse abringt! Hieltest du es etwa für mehr ladylike, wenn ich mich in den Ställen herumtriebe und mir Ausdrücke angewöhnte – wie ein Jokey? Laß mir meine Kunstpassion.«

»Um so mehr, als du auch gleichzeitig etwas davon für deren Verkünder übrig hast,« setzte er hinzu.

Sie blieb stehen und sah ihn mit ihren großen grauen Augen starr an, dann hob sie den Kopf noch eine Linie höher.

»Ich leugne gar nicht,« sagte sie stolz. »All die kleinen weiblichen Verschanzungen habe ich stets verachtet, ich gebe es dir also einfach der Wahrheit gemäß zu – was nun weiter?«

Er zuckte lächelnd die Achseln.

»Sei verständig, Rose, mich verlangt gar nicht nach der Wahrheit, sie ist oft häßlich.«

Noch stolzer richtete sie sich auf. »Ich habe sie nicht zu scheuen, obgleich ich genau weiß, daß man kein gutes Haar an mir läßt, sobald mein und sein Name zusammen genannt werden. Wir stehen eben über den Dutzendmenschen und brauchen, weil wir das wissen, die Schranken nicht so ängstlich zu wahren wie jene. Das verzeiht man natürlich nicht und klatscht über uns.« »Kannst du ihnen das verdenken?«

Sie zuckte hochmütig die Achseln.

»Ich störe sie nicht! Was bedeuten mir die Menschen, wenn ich mit mir im Einklang bin! Ich bin stolz, Ruprecht und war es mein ganzes Leben hindurch. So stolz, daß ich die Meinung der Welt stets verachtet habe und jetzt nicht anfangen werde, mich nach ihr zu richten.«

»Aber mein Gott, so heirate ihn doch!«

Einen Augenblick sah sie ihn sprachlos an, dann lachte sie laut auf.

»Hältst du mich für närrisch?« fragte sie spöttisch und strich mit der schmalen Hand über das wellige Haar. »Vergißt du den Unterschied der Jahre? Glaubst du, ich will die Welt sagen lassen, ich habe ihn mir gekauft?«

»Die Welt, die dich nichts kümmert, kann dir doch gleichgültig sein!«

Sie warf sich in den nächsten Sessel und lachte etwas gezwungen.

»Zu einer derartigen Auslegung möchte ich ihr nun zuletzt Veranlassung geben, dazu bin ich zu eitel,« sagte sie.

»Um so mehr, da sich dieser Auffassung ein Hauch von Wahrscheinlichkeit nicht absprechen ließe. Übrigens denken weder Alten noch ich an solche Dummheiten! Es macht mich außerdem stolz, daß ich ihm nötig bin, denn soviel wirst selbst du erkennen, Ruprecht, daß er ein mächtig aufstrebendes Talent ist. Seine Skizzen aus Italien machten vor zwei Jahren überall Aufsehen; in Rom verhätschelte man ihn mir recht gründlich – vielleicht mehr den Mann als den Künstler – und seitdem er den letzten Winter in Paris zugebracht hat, ist sein Talent herangereift. – Ein Mensch, der meinem Schwager soviel Geld wert ist, bedeutet etwas, darauf verlaß dich.«

»Aber beste Rose, ich bestreite das gar nicht.«

»Das möchte dir auch wohl schwer werden,« warf sie hin. »Die Aristokratie des Geistes muß eben jeder gelten lassen – selbst wir!« Das Letztere klang eigentümlich scharf, obgleich es Rose mit leiserem Ton sagte.

In demselben Augenblick wurde Alten gemeldet, und er trat gleich hinter dem Diener über die Schwelle. Aufspringend streckte ihm Rose Marie beide Hände zum Gruß entgegen, die er, schnell auf sie zugehend in die seinigen nahm.

War das Alten? Wahrhaftig keiner seiner Freunde hätte ihn auf der Straße wiedererkannt. – Die langen, dunklen Locken, die Rose einst so schauderhaft gefunden, fehlten, glatt und modern geschnitten lag das Haar ihm dicht am Kopf. Ein modern zugestutzter Bart umgab seinen Mund, ließ ihn älter, aber auch vornehmer erscheinen, und in den Augen, die durch Schnitt und Farbe schon immer dunkel und grüblerisch gewirkt hatten, lag jetzt ein Schimmer von der Müdigkeit des vollendeten Lebemannes. Seine Jugend war vorüber, das Leben hatte ihn zum Manne gemacht.

Graf Gilsach stand auf und schickte sich zum gehen an. »Ich will nicht stören,« sagte er mit einem fast an Kordialität streifenden Ton zu Alten, der ihm ja ziemlich gut bekannt war, ohne daß irgend welche näheren Berührungspunkte zwischen ihnen bestanden. »Meine Cousine brennt darauf, mich los zu sein.«

»Ja!« sagte Rose Marie kaltblütig und nickte ihm freundlich zu.

Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, neigte sie sich Viktor entgegen.

»Ich wollte es Ihnen zuerst sagen – ich allein – deshalb ließ ich Sie rufen. Ihr Stück ist angenommen.« ...

»Wirklich?« fragte er.

Sein dunkel gefärbtes Gesicht war doch etwas blasser geworden, aus den Augen leuchtete wieder jener warme Strahl, den Gregor so an ihm geliebt, aber nur für einen Augenblick, dann hatte er die Bewegung äußerlich überwunden.

»Zweifelten Sie etwa daran?« fragte sie. »Ach Alten, die Zeiten der Bescheidenheit sind vorüber! Und wenn Sie es noch nicht wissen sollten, ich – ich – sage Ihnen, ein Erfolg ist Ihnen sicher.«

»Nicht berufen!« rief er abwehrend.

Sie legte ihm beide Hände auf die Schulter.

»Der Abend, an dem man Sie hervorruft, bejubelt, feiert, an dem Ihr Name in aller Leute Mund ist, wird mein Triumph sein,« sagte sie mit herzenswarmem Ton. »Und nicht wahr, einen kleinen Anteil daran darf ich mir auch zumessen.«

»Den größten, Rose,« rief er innig und küßte ihre Hand. »Waren Sie es nicht, die mich auf den rechten Weg geleitet hat, die mir den Blick für das Leben um mich erschloß? Bis dahin war ich ein Nachtwandler, das Tageslicht ist Ihr Werk.«

»Schade, daß das Tageslicht auch alle Träume verjagt,« sagte sie fast wehmütig. »Aber freuen wir uns jetzt des Erreichten. Sie wissen, daß, seitdem Paul Herbert unter die Theaterdirektoren gegangen ist, seine Bühne zu den besten der Stadt zählt, eigentlich die beste ist. Nun, er ist ganz entzückt von Ihrem Stück. »Im Zeichen der Zeit,« trifft seinen Geschmack vom Titel bis zur Schlußszene vollkommen, das bat er mich, Ihnen zu sagen. Kaum daß er Ihnen einige kleine Änderungen vorschlagen will. Die Besetzung ist meisterhaft. Den Rudolf spielt er selber, die Hertha liegt in den Händen der Zelina, alle Nebenrollen sind vortrefflich. Ich denke, ein Zweifel an einem vollen Erfolg ist hiernach kaum möglich.«

Viktor Alten ging ruhelos im Zimmer umher.

»Wollen Sie morgen vormittag Herbert aufsuchen? Er erwartet Sie während der Probe in seinem Bureau.«

»Natürlich! Hat er Ihnen etwas über den Zeitpunkt der Aufführung gesagt?«

»Je eher, je lieber, er denkt in acht Wochen, wenn alles glatt geht.«

Viktor strich sich über die Stirn und lachte gleich darauf.

»Ich kann es nicht ändern – der Gedanke regt mich auf.«

»Auch diese Zeit werden wir überstehen, und dann –« sie sprach nicht weiter, ihr blasses Gesicht hatte eine rosige Farbe angenommen, und gegen ihren Willen schlug ihr Herz unruhig.

»Dann?« fragte er und trat dicht vor sie hin.

»Dann werde ich sehr stolz auf Sie sein,« vollendete sie leicht.

»Oder – sehr enttäuscht, Rose.«

Er warf sich in einen Sessel und grub die Finger in das weiche Polster der Lehne.

Sie mußte ein anderes Wort von ihm erwartet haben, denn über ihre Stirn huschten Schatten.

»Ich will keine Zweifel,« sagte sie heftig. »Es beleidigt uns beide. – Haben wir nicht Szene für Szene durchgesprochen? Nicht Akt für Akt unzählige Male miteinander gelesen, bis wir uns sagten, daß alles gut sei? Der anspruchsvolle Herbert bestätigt unser Urteil. Und Sie kommen nun mit Unkenrufen?«

»Wir sind noch nicht das große Publikum, unser Urteil basiert auf ganz andern Voraussetzungen als bei jenen, die nur amüsiert sein wollen – nur amüsiert – nichts weiter!«

»Und gerührt und entzückt – und alles das, was der Stoff Ihres Stückes ihnen bietet. Seien Sie doch kein Kind! Wer nicht an sich selbst glaubt, ist nicht wert, daß andere an ihn glauben!«

»Sie haben recht!« rief er, in jähem Übergang befiel ihn Siegesgewißheit. »Ich glaube an mich! Ja wahrlich, ich glaube an mich!« Sie trat neben ihn und sah ihm in das Gesicht. Etwas in ihr wallte so heiß und mächtig auf, daß sie am liebsten ihre Arme um seinen Hals geschlungen und ihn geküßt hätte. Vor drei Jahren hätte sie es ohne Besinnen getan, jetzt nicht mehr. – Sie war ihrer selbst nicht mehr völlig sicher; darüber hatte die Welt sie durch das aufgeklärt, was zu ihren Ohren kam von all dem Geschwätz, das man über sie verbreitete. Es war freilich nur spärlich, aber immerhin genug, um ihr klar zu machen, daß Alten ihr mehr galt, als sie selbst Wort haben wollte, mehr als er ahnen mußte.

Sie drängte ihn plötzlich von sich ab.

»Gehen Sie jetzt,« sagte sie hastig. »Eine Stunde Ruhe muß ich haben, wenn ich heut abend frisch sein soll. Wir wollen in die Oper, sehe ich Sie dort?«

»Kaum, aber morgen bringe ich Ihnen nähere Details von Herbert, wenn ich darf.«

Sie nickte. Es tat ihr weh, daß er nicht das Bedürfnis hatte, den ganzen Abend an ihrer Seite zuzubringen, ihr, seiner Freundin, seiner Mitarbeiterin alles das zuzuflüstern, was ihn noch weiter bewegen würde; sie empfand es fast als einen Raub, aber sie sagte nichts. Sie war allein geblieben und trat nachdenklich an den Kaminspiegel.

»Solche Närrin solltest du sein?« fragte sie laut und hob vor ihrem Spiegelbild die Schultern, als werfe sie eine Last ab. »Das macht nur Ruprechts törichtes Geschwätz!«

Dann rief sie nach Grete.

»Hast du Alten gesprochen?«

»Nein!«

»Gratulieren hättest du ihm immerhin sollen. Du bist recht unfreundlich gegen ihn, weißt du das, Grete! Gut, daß er keine Notiz davon nimmt.«

»Gut, daß er keine Notiz von mir nimmt,« wiederholte Grete mit ernstem Munde. – –

Zu Hause saß Viktor vor seinem Schreibtisch, den Kopf in die Hand gestützt und erwog noch einmal das Für und Wider seines Stückes.

Wenn er jetzt um sich blickte, fiel sein Auge auf elegante Möbel, stimmungsvolle Bilder, kurz, eine Wohnung, die vollkommen im Einklang mit seinem äußern Menschen stand. In diesen Räumen, die modern wie er selber waren, mußte er auch modern schaffen, das war untrennbar voneinander. Seine »Ideale« und »Oriflammen« gehörten in das kahle Mansardenzimmer, fünf Stock hoch, hier waren sie nicht gediehen. »Im Zeichen der Zeit« aber brauchte eine solche Umgebung, um heranzureifen.

Er hatte in den letzten Jahren viel verdient, seine Reiseskizzen, besonders seine Pariser Plaudereien, bei denen er jenen pikanten, leichtlebigen Feuilletonton vorzüglich traf, der den Franzosen eigen, brachten ihm mehr Geld als er jemals erwartet hatte; aber mit den Einnahmen waren auch seine Bedürfnisse gestiegen. Tausend Dinge, deren Existenz er früher nicht einmal geahnt hatte, waren ihm jetzt unentbehrlich, – aber diese Äußerlichkeiten – so gering an sich – hatten ihm doch Rose Marie gegenüber eine völlig andere Stellung gegeben, als er nach seiner Rückkehr aus Frankreich wieder in die alten Beziehungen zu ihrem Hause trat.

Das war nicht mehr der noch halb kindliche Alten mit der naiven Hingabe seines ganzen Selbsts an eine Sache oder Person, die ihm Bewunderung abzwang! Der sich so ein klein wenig protegieren ließ und – maßlos in allem – bald himmelhoch jauchzte, bald Zum Tode betrübt war. Sein Selbstbewußtsein war mit der Sicherheit seines Auftretens gewachsen, und wenn ihn wirklich manchmal Zweifel befielen, wie vorhin bei Rose Marie, so entsprangen sie nur der Sorge vor einem Fiasko, das seine Eitelkeit nicht ertragen wollte.

Sie hatten ihm so lange in den Ohren gelegen, daß er eine Zukunft habe, daß sie etwas Großes von ihm erwarteten, bis er es schließlich selbst geglaubt hatte. –

Was man dem Dichter versagt – allgemeine Anerkennung – fand der Feuilletonist in reichem Maße, beinahe spielend hatte er es errungen. Man las seinen Namen so oft, er mußte ja schließlich in jedem Gedächtnis haften bleiben! – Und als er von seinen Reisen heimkehrte, war er zu seinem eigenen Erstaunen der Mann des Tages; Muße zu einer größeren Arbeit hatte er freilich auf Reisen nicht gefunden. Als er nun, nachdem er sich in der Stadt wieder häuslich eingerichtet, davon sprach, einen neuen Roman anzufangen, da hatte man ihm abgeraten. – Theaterschriftstellerei – das sei das einzig Wahre. Da gab es mit einem Schlage Lorbeeren, einen Namen und gute Tantiemen; mit Romanen vergeude man nur Zeit und Kraft.

Das Theater – sie hatte recht! –

Und als er sich nur erst mit dem Gedanken vertraut gemacht hatte, fing er auch sofort an, nach einem geeigneten Stoff zu suchen.

Da fiel ihm immer wieder ein Abend ein, der letzte, an dem die ehemaligen so unzertrennlichen drei Freunde zusammen gewesen, ein Abend, an dem Martin Röhr Gregor und ihm seine letzte Tragödie vorgelesen. Martin Röhr, den sie immer das »hartnäckige Genie« nannten, weil er der eigensinnigste Mensch war, sobald es sich um seine Kunst handelte. Ein eigentümliches Stück war es auch, das er vorlas; eigentümlich wie der Verfasser selber.

– In die ältesten Zeiten ging er zurück, weil er behauptete, die Menschen von heutzutage seien nicht wert, daß man sie zu Gefäßen von Leidenschaften mache, deren Kraft und Gewalt ihrem dünnen Blut und ausgetrockneten Gehirn ganz unverständlich wären. Bitter, sarkastisch, weltverachtend und doch mit dem Lächeln des Philosophen über dem krausen Gespinst alles dessen, was menschlich war, schrieb Martin Röhr Stücke, die niemals aufgeführt wurden und die dennoch hoch, hoch über dem Durchschnittsmachwerk standen, das allabendlich die Häuser füllte.

»Wir Nachgeborenen sind eben ein Geschlecht der Pygmäen,« sagte er. »Alles, was groß, gut und edel war, alles, was Kunst bedeutet, haben uns die Alten längst vorweg genommen und mehr davon verstanden als wir. Weshalb soll ich mich durchaus in den Frack pressen, wenn mir doch die Toga so viel besser zu Gesicht steht! Wer meine Dramen nicht in dem Gewände haben will, das ich ihnen gebe, der läßt es bleiben, ich warte!«

»Und verschmähst die ausgefahrenen Geleise und gehst andere Bahnen,« hatte Viktor mit einem leisen Anflug von Spott gesagt. »Aber wenn dir nun das Brot fehlt und du hungern mußt?«

»Nun, dann hungre ich, wenn es mir ernst ist!« hatte Martin Röhr aufspringend und sich mit der Hand über sein buschiges Haar fahrend, leidenschaftlich ausgerufen. »Und erreicht man wirklich nichts – nichts anderes als die Befriedigung in sich selbst, so bedenke, daß es in der Kunst wie in jedem Kampf auch Helden gibt, die ihre Pflicht tun und sterben ohne zu siegen oder ans Ziel zu gelangen.«

Früher war Viktor der eifrigste Verehrer seines Freundes gewesen, an jenem Abend indes, da ihm schon die Augen über das aufgegangen waren, was in dieser Welt gut und nützlich genannt wird, schüttelte er wiederholt in kritischer Anwandlung den Kopf.

Der Entwurf zu Röhrs »Alkante« in seinen äußeren Umrissen war großartig, wie alles was dieser Mensch schuf, die Form in der er es brachte – nichts. Viktor modelte damals beim Zuhören daran herum, und fragte sich in jähem Aufflammen: »Wäre das dein Weg? – Ein Schauspiel – ein modernes Drama? Und du wärst auf einmal das, was du erstrebst – unabhängig!«

Ihm wurde ganz warm, als er so dachte, mechanisch fuhr er sich durch sein dunkles Haar.

»Fasse den Stoff modern – modern!« rief er endlich dem Freunde zu: »Es würde etwas Großartiges und ein Triumph ist dir sicher!« –

Noch jetzt in der Erinnerung meinte er das blasse, durchgeistigte Gesicht mit den dunklen Augen vor sich zu sehen, den grollenden Ton seiner Stimme zu hören, als er erwiderte:

»Eher würfe ich es ins Meer!« –

Und nun, da er nach einem Stoff zu suchen begann, da stand jener Abend und die Alkante wieder peinlich deutlich vor ihm.

Er war ärgerlich über sich selbst, er verwünschte sein gutes Gedächtnis. Umsonst! – Hatte er nötig bei andern zu borgen? – Er – Viktor Alten? –

Mit zorniger Erbitterung hatte er zuerst gegen den Reiz des Stoffes gekämpft, den ein anderer vor ihm erfunden. Umsonst – er ließ ihn nicht los. – Mit seinen Fäden umspann er seine Phantasie immer aufs neue, sobald er hoffte sich von ihm losgemacht zu haben! Er konnte schließlich an gar nichts anderes mehr denken.

Sonst war sein Hirn tot und leer, da aber sah er alles in blendender Klarheit. Die Personen, die er verkörpern wollte, lebten wirklich, sie standen vor ihm; gestikulierend und sprechend verlangten sie sogar in seinen Träumen, daß er sie zum Leben erstehen lasse.

Voll bitteren Zornes nahm er endlich die Feder und warf das Szenarium auf ein leeres Blatt. Szenen, Akte, es gestaltete sich fast ohne sein Zutun, als helfe ihm eine geheimnisvolle, fremde Macht, und frohlockend schienen die schwarzen Linien zu ihm empor zu lachen.

»Das wird mir Befreiung bringen!« dachte er aufatmend, »Befreiung – weiter will ich ja nichts! Mag das Manuskript nachher bis zum jüngsten Tage in den Tiefen meines Schreibtisches liegen bleiben.«

Mit wahrem Feuereifer arbeitete er. Die ganze Seligkeit des Schaffens übermannte ihn wieder. Seit wie vielen Jahren hatte er sie nicht mehr gekostet! – Als ob ein lang eingedämmter, gewaltiger Strom, die Dämme zerbrechend, nun brausend und überschäumend seinen unterbrochenen Lauf mit verstärkter Gewalt wieder aufnimmt, alles mit sich fortreißend, was ihm hinderlich sein will.

»Schade!« dachte er, sich die heiße Stirn streichend, »schade daß es niemand sehen wird – es ist gut!« –

Aber das fiel ihm doch nur beiläufig ein, die Lust an seiner Arbeit war größer, als alles andere.

Endlich sank die Hand müde herab, er seufzte, Mutlosigkeit trat an Stelle seines Eifers. Wozu machte er sich denn eigentlich die Mühe? Es war umsonst; seine besten Gedanken, seine wirksamsten Gestalten, sie mußten ja stets den Augen der Menschen verborgen bleiben, seine Ehre gebot es ihm. Aber beklagen durfte er es von Herzen, denn er fühlte, daß ein lebendiger Quell in ihm sprudelte, den er nun mit eigner Hand verschütten mußte.

Er begann sich zu fragen: »Ist es wirklich dasselbe, wenn zwei Menschen dasselbe sehen – jeder aber mit seinen Augen? Die Welt ist auch immer dieselbe, von Anbeginn bis zum Ende, und doch findet sie jeder wieder neu, schön, des Besingens wert! – Und die Menschen, mit ihrem Haß und ihrer Liebe, ihren Freuden und Leiden, sind sie nicht auch dieselben? Jeder lebt, aber jeder lebt sein eignes Leben, jeder irrt – aber jeder irrt anders. Sind Martin Röhr und ich denn nicht ebenso verschieden?«

»Sophistereien!« rief er dann heftig und warf den Entwurf des Stückes in die Schublade. –

An einem warmen Herbstnachmittag holte er doch wieder einmal das Szenarium vor und las darin. Vielleicht hatte ihm nur die Einbildung einen Streich gespielt als sie ihm vorspiegelte dies – und nur dies sei gut. – Er hoffte sehnlichst, Fehler und Mängel zu finden, vor allem aber jene Tragkraft zu vermissen, von der er sich einbildete, daß sie in diesem Stoff und nur in diesem allein, vorhanden sei. In diesem Hadern mit sich selbst, störte ihn Füßleins Besuch.

»Grüß Gott!« rief der Redakteur eintretend, und als er Alten vom Schreibtisch aufstehen sah, setzte er eilig hinzu: »Sie arbeiten – da habe ich gestört, das will ich keineswegs und konzentriere mich rückwärts.«

Viktor sprang auf und hielt den Hinauseilenden fest.

»Kommen Sie nur getrost näher, Sie stören mich nicht, im Gegenteil, vielleicht bringt mir Ihr Besuch die verlorene Laune zurück.«

»Ist es möglich? Sie klagen über verloren gegangene Laune? Sie, der Mann des Tages, das Schoßkind des Glückes?«

Viktor lächelte höhnisch auf.

»Erlauben Sie mir das Glück dann gleichzeitig eine Rabenmutter zu nennen,« sagte er ingrimmig und warf die beschriebenen Bogen mit einem Stoß beiseite. »Kamen Sie mich abzuholen, Füßlein? Nun dann bitte warten Sie einen Augenblick, ich will nur erst den Anzug wechseln. Hier sind Zigarren, Zigaretten, Schwefelhölzer, alles, wonach Ihr Herz in diesem Augenblick Verlangen trägt.«

»Danke, danke! Ich bediene mich schon und sorge schlimmstenfalls auch für Lektüre.«

Der Redakteur ließ sich in den geschnitzten Stuhl vor dem Schreibtisch nieder und griff nach den so zornig zur Seite geschleuderten Blättern. In seinen kargen Mußestunden pflegte er Manuskripte wie das Feuer zu fliehen, aber Altens Arbeiten interessierten ihn genug, um eine Ausnahme zu machen; denn seinem scharfen Blick war es nicht entgangen, daß sich auf den Blättern ein Szenarium befand.

Als Viktor nach einiger Zeit wieder eintrat, rief er ihm voll Enthusiasmus entgegen:

»Alten! Mann Gottes! Das Ding hier soll nichts bedeuten? Ein Wechsel auf die Zukunft ist es, sage ich Ihnen, groß genug, um sich damit Lorbeeren und Erfolg nach Bedarf zu erstehen! Wann wird es fertig?«

»Gar nicht!«

»Das wäre! Da hätten wir am Ende doch auch noch ein Wörtchen mitzusprechen! Die Kommerzienrätin wird sich um ihren Lorbeerkranz nicht bringen lassen, mein Wort darauf!«

»Ich sage Ihnen, Füßlein, aus dem Ding wird nichts!«

»Und ich leiste tausend Meineide darauf, daß es großartig ist. Herbert würde sich ein Bein ausreißen, wenn er den Entwurf und Ihre Hartnäckigkeit sähe. Sie sind uns allen noch etwas schuldig, Alten, aber dies wird die Zahlung eines Krösus sein.« –

Nach wenigen Tagen wußte Rose Marie um alles.

»Großartig!« rief sie, nachdem sie das Szenarium gelesen. »Alten, Sie sind ein großer Dichter!« –

Und so ging es weiter, Schritt für Schritt. Der Wille, den er als Mauer vor sein Wünschen gestellt, wurde schwach und schwächer, er fand keine Einwände mehr, wenn man ihn zum arbeiten drängte. Die Schaffenslust prickelte ihm in allen Fibern, und er begann mit seinem Gewissen zu parlamentieren.

Martin Röhr lebte verborgen in irgend einem Nest des großen Deutschen Reiches, und sein Stück lag mit unzähligen anderen im Dunkel seines Schreibtisches vergraben. Konnte es ihn kümmern, wenn Viktor die Idee – nur die Idee zum Leben erweckte? Vielleicht erfuhr er nicht einmal etwas davon, und wenn – so war das noch lange kein Plagiat; nur sein übertrieben feinfühliges Gewissen konnte es so nennen. –

Inzwischen arbeitete er bei Rose Marie Szene um Szene, Akt um Akt, und als das Stück fertig war, da reichte sie ihm mit schimmernden Augen beide Hände.

»Jetzt wagen Sie es noch an sich zu zweifeln?« fragte sie. – In der Nacht stand er lange, lange vor dem fertigen Manuskript, das in grauem Pappdeckel vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Es barg das Beste, was er geben konnte – aber auch sein Gewissen. Noch war es Zeit; ein kräftiger Entschluß, und: »Im Zeichen der Zeit,« versank wieder in das Nichts, aus dem es entstanden. Noch hatte er die Macht darüber in Händen – noch konnte er der Stimme seines Innern folgen! –

Seufzend wandte er sich endlich ab. Er fand nicht den Mut, das vollendete Werk zu zerstören. In diesem einfachen Umschlag ruhte vielleicht viel – alles für ihn, und er sollte mit eigener Hand das goldene Tor schliefen, hinter dem ihm Lorbeer und Reichtum wuchs? Unmöglich!

– Dessen war er nicht fähig!

Er biß die Zähne aufeinander, vergrub den Kopf und war entschlossen, den Dingen ihren Lauf zu lassen. –

Nun rollte der Stein, er wollte und konnte ihn nicht mehr aufhalten. –

In acht Wochen sollte sein Stück das Licht der Rampe erblicken. Niemand würde da sein um ihm sein Unrecht entgegenzuschleudern, niemand, vor dem er die Augen niederschlagen müßte! –

Gleichzeitig mit Martha war Gregor aus der Stadt verschwunden; Briefe, die er an ihn gerichtet, kamen mit dem Vermerk zurück: »Adressat verzogen«, und seit drei Jahren hatte er weder eine Nachricht von seiner Frau noch von seinen Freunden. In dem Leben, das er jetzt führte, hatte er deren Existenz fast vergessen – und gerne vergessen. –


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