Hedwig Schobert
Künstlerblut
Hedwig Schobert

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XIX.

Das Holz in Rose Maries Kamin prasselte und knackte; von Windstößen angefacht, schlug die Flamme hoch auf und leckte mit gieriger Zunge durch den blanken Stahlrost, in das einsame Zimmer hinein. Die beiden Fauteuils auf dem weißen Eisbärenfell davor waren leer, auf dem Wappentischchen zwischen ihnen lag nur ein einziges Buch.

Wie gut kannte Viktor, der eben eintrat, diesen Platz! Von dort waren die feinen Fäden ausgegangen, die ihn allmählich umsponnen hatten, die ihm den Dichterruhm und die Lorbeerkränze gewunden. Die Uhr mit ihrem hastigen Pendelschlag dort auf dem Kaminmantel hatte ihm gezeigt, wie sich die Tage wohl folgen, aber nicht gleichen. Die mächtigen gebleichten Farne, die an beiden Seiten in ihren japanischen Vasen hoch aufragten, zitterten leise in der heißen Lust, die aus dem Feuerloch aufstieg; jede Rispe, jede Verzierung war ihm vertraut. Wenn er hier saß und dachte und träumte, hatte er an seinen guten Stern geglaubt, und hier war seiner Eitelkeit das süße Gift des kommenden Ruhmes von schönen Frauenlippen oft – o wie oft kredenzt worden.

Sie hatten wahr gesprochen mit ihren Prophezeiungen; mehr als er je gehofft, war ihm zuteil geworden, und doch – und doch! Im Grunde seines Herzens barg sich eine Entmutigung und eine gewisse Bitterkeit. Wann oder wie dies Gefühl über ihn gekommen war, inmitten alles dessen, was absoluter Erfolg, vollständige Erfüllung seiner Wünsche war, wußte er selbst nicht. Aber es war vorhanden, es nagte an ihm und begleitete ihn bei allen seinen Errungenschaften. »Unzufriedenheit,« tröstete er sich, »ist der Schatten der Intelligenz, nur der ungebildete Mensch vermag zufrieden zu sein, der gebildete nie.« – Und doch wurden, je mehr man ihm von außen huldigte, die Schatten in seinen dunklen, melancholischen Augen trüber, sein Lächeln matter. Nicht wenig trug das Verhältnis zu seiner Frau dazu bei, ihn zu quälen. Dies fieberische Verlangen nach ihr, die er doch einst verschmähte, das jetzt in seinen Adern raste sobald er sie sah, war etwas Krankhaftes. Daß ihre Charaktere nicht zueinander paßten, wußte ja niemand besser wie er; aber er dachte auch niemals an ein ganzes Leben an ihrer Seite, immer nur an einen gewissen Zeitabschnitt, – nichts mehr. – Und dann befiel ihn eine geradezu quälende Sehnsucht nach Gregor, dem verlorenen Freunde, der einst so klar in seiner Seele zu lesen verstanden hatte, dessen herbe Worte und harte Stimme ihn doch so oft dem Höheren in seiner Natur entgegengeführt hatten.

Er sehnte sich nach ihm wie nach herber, reiner Bergluft, aber zu ihm zu gehen – das Opfer vermochte seine Eitelkeit nicht zu bringen. – Gedankenlos griff er nach dem Buch und schlug es auf. »Ideale« hieß es, und darunter stand sein Name. Er begann darin zu blättern, es mutete ihn an, als lese er etwas Fremdes. Viele Stellen waren unterstrichen, an den Rändern Notizen gemacht, die sein Interesse erregten. Und je weiter er kam, desto deutlicher wurde die Stimme in ihm, die da sagte: Das war der rechte Weg des Schaffens, der dich das Beste in dir geben hieß, ohne Eitelkeit, ohne Ruhmsucht und Gedanken an Gold; wieviel höher standest du damals, als jetzt! Freilich, die Menge urteilte anders!

So kam er bis zum Schluß, und da hatte dieselbe zierliche Frauenhand unter die letzten Worte seines Romans eine Strophe gesetzt, an der seine Blicke hängen blieben. – ›Der schöne Gott in ihm war tot!‹ –

Wie ein Peitschenhieb trafen ihn die wenigen Worte; trafen sie doch die wunde Stelle, gleichzeitig stachelten sie ihn zum Zorn. Hatte Grete absichtlich das Buch hier liegen lassen, damit er es finden und sich ärgern sollte? Es kam ihm beinahe so vor. Ihr, und keiner anderen gehörte es. Eigentümlich kühl und zurückhaltend war das junge Mädchen gegen ihn gewesen, so lange er sich ihres Verkehrs erinnern konnte. Glaubte sie etwa ihn damit zu strafen? Was er sich daraus machte! –

Was war sie denn eigentlich, dies unbedeutende Ding? Weder hübsch, noch geistvoll, noch sonderlich anziehend in irgend einer Art, abhängig von Rose Maries Güte ...

Hinter ihm rauschte ein Frauengewand, er sah sich um; die, an die er eben dachte, stand vor ihm.

Sie errötete heftig als sie das Buch in seiner Hand sah und streckte schnell die Hand darnach aus; er hielt es fest.

»Deshalb kam ich her,« sagte sie beklommen.

»Zu spät, wenn es nicht in Ihrer Absicht lag, mich mit dem Ausdruck Ihrer Gesinnung zu überraschen, Fräulein Grete,« bemerkte er. »Aber ich denke, eine Nachlässigkeit lassen Sie sich doch nicht ohne bestimmten Zweck zuschulden kommen. Nun – Ihr Zweck ist erreicht, ich bin völlig au fait über das Urteil, das Ihre Güte mir spendet.«

Ohne Hast, aber mit großer Entschiedenheit nahm sie ihm das Buch aus der Hand.

»Es war selbstverständlich nicht für Ihre Augen bestimmt,« sagte sie ruhig.

»Aber der Ausfluß Ihres Denkens.«

»Gewiß! Warum sollte ich das leugnen.«

Er ergriff das blanke Schüreisen und stieß damit in die Glut.

»Ich maße mir natürlich nicht an, Sie beeinflussen zu wollen, aber bedenken Sie, daß die Zeit an keinem Menschen spurlos vorüber geht. Er ändert sich naturgemäß mit den Verhältnissen. Der Dichter der Ideale lebte fünf Stock hoch, im Mansardenstübchen, holte sich sein Abendbrot selbst ein und fand erst durch Zufall heraus, daß das Enkelkind seiner Wirtin, mit dem er zwei Jahre unter einem Dache gelebt hatte, schön war.«

»Wohl ihm!« sie sah mit schimmernden Augen auf das Buch in ihrer Hand. »So gab es doch eine kurze Zeit in seinem Leben, in dem er etwas Großes und Schönes schaffen, daran glauben konnte.«

Er strich sich leicht über die Stirn.

»Das sagen Sie dem Dichter von: ›Im Zeichen der Zeit‹?«

»Ich kann nicht unwahr sein,« erwiderte sie kurz und sah in die Flammen.

»Aber Sie verletzen mich!«

Die Hand, in der sie noch immer das Buch hielt, zitterte leicht.

»Ich kann nicht anders!« sagte sie leise.

»Tun Sie es etwa aus Teilnahme an meiner Person, daß Sie so streng mit mir ins Gericht gehen? Ich bin es anders gewöhnt,« begann er mit schwachem Lächeln.

Da drängte sie sich ihm ein wenig entgegen; hastiger atmend, hingerissen durch das, was sie empfand:

»Das ist es eben, daß Sie es anders gewöhnt sind, und mögen es die einmal verantworten, die das tun,« rief sie erregt, so ganz anders wie gewöhnlich. »Ein großes Unrecht haben Ihnen die angetan, die das menschlich Eitle in Ihnen großgezogen und gepflegt haben, bis es das Hohe und Edle erstickte. Ein himmelschreiendes Unrecht! Denn, glauben Sie mir nur, Herr Alten, die Huldigungen der gedankenlosen Menge werden Ihnen nicht immer genügen. In jedem Künstler steckt ein Stück Gottheit, und dies muß sich frei ringen aus all dem Wust der Äußerlichkeiten. O, ich denke so hoch von der Kunst, daß ich meine, an ihren Geweihten verliert selbst der Staub sein Herrscherrecht.«

Er stützte den Kopf in die Hand und seufzte.

»Auf solchen Höhen steht es sich ängstlich, Gretchen,« sagte er mit einem Versuch zu scherzen. »Liebe müßte da stützen helfen, aber eine Liebe, die eben so göttlich ist wie das, um was man kämpft – und solche Liebe, Gretchen – opferfreudig, geduldig, selbstlos, zuweilen sogar hart – ist ebensowenig irdisch wie die Kunst, von der Sie träumen! Wir sind alle Menschen! Nur Menschen! – Leider!« –

Sie schwieg. O, über diesen Zwang des Hergebrachten!

Warum durfte sie ihm nicht sagen was sie fühlte: Nimm meine Liebe als deine Stütze, – sie ist rein, selbstlos und demütig genug, um das zu sein, was du verlangst.

Aber sie sah auf sein feines, gedankenvolles Profil mit dem abgespannten, weltmüden Zug um die Augen und Lippen, sein elegantes Äußeres, an dem alles der Mode entsprach, und es war ihr, als schob sich zwischen sie und ihn ein Abgrund, über den es keine Brücke gab. Und dieser Abgrund war die Welt – die Welt, die zwischen ihnen stand mit dem Hosianna auf den Lippen, den versteckten Steinen in den Händen, um ihren Götzen, den sie anzubeten vorgab, damit zu bewerfen, wenn er ihr das nicht mehr bot, nach dem es sie gelüstete. – War er denn blind, oder wollte er nur blind sein! Sah er nicht, daß der Erfolg, um den er seine Seele hingegeben hatte, nichts war als eine Eintagsfliege, daß alle diese Menschen, die ihn jetzt huldigend umgaben, im Geheimen nach einer Schwäche ausspähten, um darüber zu Gericht zu sitzen.

»Sind Sie glücklich, Herr Alten?« fragte sie endlich.

»Wie kommen Sie darauf?« fragte er dagegen verwundert. »Zweifeln Sie etwa daran?«

»Ja!« sagte sie kurz, ihre Stimme bebte ein wenig.

Er war verwundert. Was selbst Rose Marie, der Freundin seiner Seele, entgangen war, was er sich kaum selbst widerwillig zugestand, das wußte Grete! Das stille, fast unbeachtete Mädchen rückte für ihn in ein neues Licht.

Er lehnte den Kopf an die Lehne des Sessels und ließ die Lider etwas über die Augen fallen. Feuriger Flammenschein zuckte über sein bleiches Gesicht. Gretes Hand fassend, hielt er sie fest.

»Gutes Kind,« sagte er halb traurig, halb spöttisch, »in dieser mangelhaften Welt, die selbst den Anspruchslosesten auf die Dauer nicht genügen kann, gibt es kein Glück, – Aber wer hielte mich nicht für einen Narren, dem ich das zugestände, angesichts alles dessen, was ich an Erfolg, Anerkennung und Erfüllung meiner kühnsten Wünsche erreicht habe. Es quält mich selbst, dies törichte, wesenlose Gefühl des Verlangens nach etwas Unbekanntem, das mich verfolgt; aber es ist immer da – im tiefsten Grunde meines Herzens, inmitten der tiefinnersten Gedanken!«

Er hatte sich aufgerichtet, mit traurigen Augen sah er zu der auf, der er ohne seinen Willen diese Beichte ablegte. Er wunderte sich nicht, daß ihm Grete gegenüber die Worte auf die Lippen traten. Daß sie ihn verstand, sah er ja an ihrem Blick, aus dessen Tiefen ein zärtlichweicher, sehnsüchtiger Glanz sprach, der sich ihm warm um das Herz legte.

»Der Gott in Ihnen ist nicht tot, er schläft nur und wird wieder erwachen,« sagte sie voll Zuversicht.

»O nein, es sind nur die letzten Zuckungen meiner Jugend, die mich plagen, vergessen Sie, was Ihnen ein Narr unter diesem Einfluß gesagt,« erwiderte er, sich selbst verspottend.

Sie schüttelte den Kopf.

Er sah sie nachdenklich an.

»Sie sind eine Schwärmerin, Grete!«

»Gott sei Dank, daß ich das bin.«

Ein Diener kam und rief sie ab. Stumm schüttelten sie sich die Hände. Jeder von ihnen nahm das wunderliche Empfinden in diesem Augenblick in sich auf, als hätten sie köstliche Güter miteinander ausgetauscht, als wäre ihr Leben plötzlich inhaltsreicher geworden.

»Ich gehe auch!« sagte er aufspringend und der elastisch dahinschreitenden Gestalt nachsehend. »Grüßen Sie Rose, Gretchen.«

Sie blieb stehen und sah sich um. Ein blasser Wintersonnenstrahl streifte ihr schmales Gesicht. Sie war nicht schön, aber jungfräulich anmutig, sie erinnerte ihn an ein Madonnenbild, das er irgendwo gesehen und dann lange in der Erinnerung behalten hatte, warum wußte er selbst nicht.

»Auf Wiedersehen!« sagte sie lächelnd. Sie war so froh! Von diesen Minuten würde sie lange zehren, das wußte sie und schämte sich dessen nicht. –

Kaum eine Viertelstunde später kam Rose Marie in Begleitung ihres Vetters nach Hause; sie war erregt.

Hut und Mantel achtlos abstreifend, ging sie im Zimmer auf und ab.

»Also dein Ernst, Ruprecht!«

»Würde ich es dir sonst gesagt haben? Ich liebe Martha, ich bin entschlossen sie zu heiraten und bitte dich, sie als meine Braut in unsere Familie einzuführen.«

Sie nickte leise mit dem Kopf.

»Armer Freund! Du weißt nicht, was schon jetzt in dir vorgeht trotz deiner Liebe, und vielleicht ist es unrecht, daß ich es dir sage. Sei's d'rum, du entdeckst es ja schließlich doch, du liebst sie und willst sie zu deiner Frau machen! Gut! Aber sie ist eine Schauspielerin. Der Boden, auf dem sie steht und gedeiht, ist ein ganz anderer als der deinige. Es gibt Mesalliancen, glaube mir nur, trotz aller Liberalität. Du willst dir Martha erkämpfen. Sie dir ähnlich machen – lieber Himmel. Der Kampf, den du unternommen hast, wird dich dein Bestes kosten, deine Liebe! Jetzt nennst du noch alles Vorurteile, aber die Welt und die Traditionen deiner Familie werden sich doch schließlich an dir rächen! Du erwartest ein überschwengliches Glück, das deinen Opfern entspricht, aber mit jedem Tage wird dein Glück geringer, dein Opfer größer – dann klagst du sie an und bist schließlich doch der allein Schuldige.«

»Ich liebe sie,« sagte er einfach, statt aller Argumente. »Freilich, wenn sie nicht absolut makellos wäre, hätte ich nie daran gedacht, sie zu heiraten, trotzdem sie mein Blut in Feuer verwandelt hat. Schon als Kind gab es Dinge, in denen ich eigentümlich war, eine Frucht, die ein anderer berührt hatte, nahm ich nicht, und lockte sie mich auch noch so sehr; ein Glas, aus dem ein anderer getrunken, erregte mir Übelkeit, und ein Mädchen, das ein anderer geküßt, war mir nicht mehr begehrenswert. Aber Martha – siehst du, da bin ich sicher, daß niemand – niemand auch nur das kleinste Anrecht an sie hat.«

»Beim Theater!« schaltete sie zweifelnd ein.

»Ich bürge für sie – und nun gratuliere mir, Rose Marie!«

Sie riß an einer goldgestickten Tischdecke, die ihren Zorn erregt zu haben schien.

»Ich habe meine Schuldigkeit getan, Ruprecht, das übrige geht nur dich noch an. – Und somit gratuliere ich dir also, wie du es verlangst.«

»Und wirst sie heut abend freundlich empfangen?«

»Natürlich, natürlich,« sagte sie ungeduldig. »Hast du mir jemals den Vorwurf der Ungastlichkeit oder Unhöflichkeit machen können?«

»Ich danke dir!« –

Erleichtert seufzte sie auf als er gegangen war. Ihr machten augenblicklich ganz andere Dinge den Kopf heiß.

»Grete!« rief sie noch immer in demselben gereizten Ton wie vorher.

Das junge Mädchen kam. Ein Abglanz stillen Glückes lag noch in ihren Augen.

»Hier bin ich, Rose.«

Die Kommerzienrätin lief schweigend im Zimmer auf und ab, plötzlich blieb sie zornig auflachend dicht vor ihrer Nichte stehen.

»Kannst du dir denken,« rief sie, »was deine liebenswürdige Tante Anna mir soeben aufgetischt hat? Es ist lächerlich – ein neuer Beweis von der Nichtswürdigkeit der sogenannten Gesellschaft! Niemanden können sie in Frieden lassen – niemand ist imstande, ihnen den Mund zu stopfen! – Das zischelt und flüstert und klatscht, während es sich mit dem Mantel der Moral drapiert und bewundernd selbst bespiegelt! – Todesstrafe sollte auf dem Geschwätz böser Zungen stehen, dann – erst dann würden die Menschen besser! – Und was ist es im Grunde, was sie dazu treibt? Neid ist es, gemeiner Neid! Wie ich die Menschen verachte!« –

»Aber Rose! Rose, was ist dir?« fragte Grete erschrocken über die Erregung der sonst so ruhigen Frau. »Du pflegst Tante Anna doch sonst nicht ernst zu nehmen!«

Rose Marie strich mit der Hand über das blonde, wellige Haar.

»Wenn sie mich angreift, allerdings nicht. Was frage ich nach ihren beschränkten Begriffen von Anstand und Sitte! Die Unversuchten sind es ja immer, die am tollsten schreien. Aber sie verdächtigt Alten – nein, sie behauptet geradezu – daß er mit der Norden in einem Liebesverhältnis stehe; alle Welt wüßte das und fände es schließlich natürlich! – Natürlich!« Sie zuckte die Achseln; »dazu besitzt die Norden denn doch zu wenig Geist, um einen Mann wie ihn zu fesseln. Schön ist sie ja – und kokett – aber das ist auch alles! Nein, für Viktor paßte sie nicht! Ich habe auch nie etwas derartiges bemerkt, – du vielleicht, Grete?«

Sie sah prüfend mit ihren stahlgrauen, schimmernden Augen, in denen in diesem Augenblick etwas von Härte lag, in Gretes Gesicht; der verwunderte Ausdruck desselben beruhigte sie offenbar.

»Nein! Aber ich bin keine sonderlich scharfe Beobachterin.«

»Gleichviel! Wenn alle Welt sieht, können doch nicht nur wir beide blind sein! Wahrhaftig, wenn ich nicht der Meinung wäre, Anna stände tief unter mir, ich könnte sie manchmal beinahe hassen! Von diesem Standpunkt aus freut mich fast Ruprechts Verlobung.«

»Graf Gilsach hat sich verlobt?«

»Ja, mit Martha von Norden. Ich muß dir gestehen, ich war einen Augenblick unschlüssig, ob ich ihm Annas Geschwätz mitteilen sollte, aber schließlich ... es ist so gemein, sich zum Sprachrohr für das Übelwollen der Leute herzugeben, daß ich lieber schwieg.«

Sie setzte sich in den Sessel, den Viktor vor kurzem verlassen, stützte den Kopf in die Hand und sah in die Flammen.

»Geh, Gretchen, und besorge alles für heute abend, du weißt ja,« sagte sie zerstreut.

Konnte es denn überhaupt etwas anderes sein als leeres Geschwätz, das ihre Schwägerin ihr voll giftigen Spotts zugetragen hatte? Unmöglich! – Ganz unmöglich! Alles in ihr lehnte sich dagegen auf. Zuerst ihre Eitelkeit, das Bewußtsein der Gewalt, die sie stets bis zum Überdruß über Männerherzen besessen. Man hatte ihr gehuldigt, sie geliebt, so lange sie denken konnte, man liebte sie und huldigte ihr noch, trotz ihrer vierzig Jahre.

»Die Norden ist jung und schön, du bist für ihn eine alte Frau!« hatte Anna höhnisch gesagt. »Männer pflegen unser Geschlecht nicht mit den Augen unserer eigenen Eitelkeit anzusehen. Jung ist ihnen jung; alt, alt!«

Rose Marie preßte die Handflächen ineinander, es erstickte sie fast.

Gab es denn nichts, was der grausam fortschreitenden Zeit Widerstand zu leisten vermochte? Gab es kein Band, keine Leidenschaft, keine Treue, die stark genug war, dem Herabrollen der Jahre zu trotzen?

Wehe dann den Frauen, die nach der ersten kleinen Falte um Augen und Mund noch den Mut besaßen, ein Herz zu haben!

Sie nahm einen kleinen, zierlich ausgelegten, vergoldeten Handspiegel vom Wandbrett und hielt ihn, nach einem scheuen Blick rückwärts, vor ihr Gesicht. Angstvoll spähte sie. Das helle Glas warf ihr eigenes Antlitz, scharf beleuchtet von den Flammen und dem Tageslicht, erbarmungslos zurück. Hatte sie denn bis heute wirklich nicht gesehen, wie die Linien sich um die Augen zogen? Daß die Haut nicht mehr elastisch und frisch war wie vor zwanzig Jahren? Ihre Triumphe hatten ihr sicher das Alter weggetäuscht, sie hatte selber nicht so recht daran geglaubt und deshalb auch wenig darnach gefragt, aber in diesem Augenblick, mit der zornigen Angst um den Geliebten im Herzen, fielen die barmherzigen Schleier, und sie sah nackt und kahl, was sie auf ewig verloren hatte. Triumphierend, grinsend kam es herangeschlichen, das verwelkende Alter.

Langsam legte Rose Marie den Spiegel zur Seite. –

Mit Verwunderung bemerkte die Zofe, daß die Kommerzienrätin heute gar nicht mit der Toilette zufrieden zu stellen war. Niemals hatte sie bisher so viel künstliche Hilfsmittel gebraucht, niemals mit solchem Raffinement Schmuck und Farben zusammengestellt, um alles schließlich mit ärgerlichem Achselzucken wieder beiseite zu werfen.

Zum erstenmal kämpfte sie mit dem Bewußtsein gegen das Alter.

Sie ging aufmerksam von Zimmer zu Zimmer, rückte die Lampen, veränderte die Beleuchtung und warf zuweilen forschende Blicke in die großen Spiegel. Sie wußte genau, daß sie mit dem, was sie heute getan, die Grenzen des Menschenmöglichen erreicht hatte, aber trotzdem kam die alte Siegessicherheit nicht wieder über sie.

Rose hatte dem Brautpaar zwar ein Alleinsein bei sich zugesagt, aber daß auch Viktor davon ausgeschlossen sein sollte, war ihr gar nicht in den Sinn gekommen. Nun ersehnte sie sein Kommen mit der ganzen Heftigkeit ihres so plötzlich ins Schwanken geratenen Herzens. Er allein war imstande, ihr die Ruhe zurückzugeben.

»Ich bin eifersüchtig!« sagte sie sich plötzlich, mitten im Zimmer stehen bleibend, mit schlaff herabhängenden Armen.

»Ich! – Und auf wen? Auf eine Norden! – Wenn er das wüßte, es müßte ihm schmeicheln, aber er soll es nie – niemals erfahren.«

Und doch wirkte diese Eifersucht so stark, daß sie nicht imstande war, die Schauspielerin mit einem Kuß, auf Stirn oder Lippen zu begrüßen, wie sie es zuerst gewollt, nur ein kurzer, frostiger Händedruck, und auch den unter der Herrschaft des qualvollen Gefühls, dessen sie nicht Herr werden konnte.

Martha beachtete Rose Maries Kälte gar nicht. Ihr großäugiges Kindergesicht strahlte in Schönheit und Siegesfreude; es war dem Grafen zu verzeihen, daß er überhaupt nichts anderes sah als seine Braut.

Zum Tee waren sie gekommen, jetzt räumte der Diener das Geschirr zusammen, und Rose Marie trat in ihr Zimmer. Sie hob die Arme in die Höhe und gähnte.

»Sterbenslangweilig, Grete,« jammerte sie. »Ich komme dabei um!«

Grete lachte.

»Sie sind doch glücklich, Rose.«

Sie schob die Unterlippe vor.

»Das glaubst du wirklich, Kind? Bei Ruprecht ist es die Narrheit des Mannes nach der Schönheit der Frau, und bei ihr wohl nichts weiter, als die Sucht, Gräfin und reich zu werden.«

Sie horchte auf. Das draußen war doch Alten! Sie kannte sein Klingeln, seinen Schritt so genau ...

Er! – Er! –

Was sie nie getan hatte, heute tat sie es, sie ging ihm entgegen wie ein verliebtes, erwartungsvolles junges Mädchen.

»Gott sei Dank, daß Sie kommen, Viktor! Sie retten mich von dem Tode aus Langerweile.«

Es fiel ihm auf, wie jung und hübsch sie aussah, seit langer, langer Zeit, zum erstenmal! – Seine Begrüßung war deshalb lebhafter als sonst.

»Wer hat das auf sein Gewissen genommen, Rose?« fragte er launig und bot ihr den Arm.

Sie zögerte mit der Antwort, dieser Augenblick bot Gelegenheit zu einer Probe auf das am Vormittag gehörte Geschwätz. In der Überraschung des unerwarteten Anblicks aber, gab er sich sicher unbeherrschter, als wenn sie jetzt davon sprach.

Etwas gezwungen auflachend, sagte sie, ihn fortziehend:

»Ich habe die böse Absicht, Sie an diesem Genuß teilnehmen zu lassen.«

Noch einen Schritt weiter und sie sahen das Brautpaar. Mit einem dumpfen Laut des Zornes blieb Viktor stehen, sein Arm zuckte heftig. Atemlos, mit einem würgenden Gefühl der Verzweiflung in der Kehle, sah sie zu ihm auf. Dieser eine Augenblick war fast unerträglich für sie. Ahnungslos, daß sie beobachtet werden konnten, saß das Brautpaar in dem Erker des Salons. Oder vielmehr Martha saß, den blonden Kopf gegen die fahlrote Sammetlehne des vergoldeten Sessels gedrückt, dessen Schnitzerei sie umklammert hielt, die großen Augen zu Graf Ruprecht aufgeschlagen, der hinter ihr stand, den Arm auf die Lehne gestützt und zu ihr herab sprach. Der Schein einer Milchglasampel tauchte sie in Licht, matt schimmerte der kostbare Brillantreif, den er ihr als Brautgabe gebracht, an dem weißen Handgelenk. Etwas so Weiches, Hingebendes, wie in dieser Beleuchtung, hatte ihre Schönheit noch nie gezeigt, so sinnverwirrend war sie noch nie gewesen.

Auch ohne das geflüsterte Gespräch zu verstehen, wußte jeder auf den ersten Blick, welcher Art es war – sein mußte, – und nun beugte sich Ruprecht noch tiefer – seine Lippen berührten die ihrigen – es konnte kein Zweifel sein.

Viktor schleuderte Rose Maries Arm zur Seite.

»Und das dulden Sie – Sie – in Ihrem Hause? Wo sind wir denn eigentlich?« fragte er, fahl vor Zorn, mit zitternden Lippen und Nasenflügeln.

Sie starrte ihn an – entsetzt – so hatte sie ihn noch nie gesehen! Die Beleidigung, die für sie in seinen letzten Worten lag, empfand sie in diesem Augenblick gar nicht. In ihren Händen hielt sie einen prächtigen chinesischen Fächer, die feinen Stäbe brachen unter dem festen Druck, sie mußte übermenschlich kämpfen, um ihre Selbstbeherrschung aufrecht zu halten.

»Ruhig mein Freund,« sagte sie endlich; ihre Stimme klang heiser und gepreßt. »Jene beiden dort haben ein Recht zu Zärtlichkeiten. Graf Gilsach hat sich heut morgen mit der Norden verlobt.«

Er starrte sie an als rede eine Irrsinnige zu ihm, dann brach er in Lachen aus.

»In der Tat?« keuchte er höhnisch. »Und Sie begünstigen diese Farce – diese lächerliche Narrheit eines verliebten Aristokraten, der nur nötig zu haben glaubt, seine Finger nach irgend etwas auszustrecken, das ihn reizt ...«

Er brach jäh ab. Die Muskeln seines verzerrten Gesichts glätteten sich, er wurde erdfahl, ein Schauer schüttelte ihn.

»Verzeihen Sie mir, Rose,« sagte er plötzlich, »ich glaube, ich war eben verrückt! Was geht es im Grunde genommen mich an.« –

Sie stand noch immer regungslos.

»Wollen Sie mir Ihre Erregung nicht erklären?« fragte sie ruhig. Niemand ahnte was diese Ruhe sie kostete.

»Nein, erklären will ich nichts! Erlassen Sie es mir,« bat er, sich auf den ersten besten Stuhl niederlassend und den Kopf in die Hand stützend; und da sie noch immer schwieg und auf ihn niedersah, preßte er die Hände ineinander:

»Seien Sie doch barmherzig.« »Soll ich es Ihnen erklären? Sie selbst lieben die Norden!« sagte sie kühl; aber ihre Hände zitterten so, daß der Fächer ihr entfiel.

»Unsinn!« fuhr er auf. Er hatte die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen, man verstand das Folgende kaum. »Weiß Ihr Geist wirklich keine andere Lösung für diese Szene, als die trivialste von allen?«

»Man hat es mir heute morgen erzählt,« fuhr sie fort und nestelte an ihren Armbändern; er sollte nicht sehen, daß sie, die stolze Rose Marie, in den Augen Tränen hatte – um ihn! –

»Und Sie sind eifersüchtig geworden auf – auf Martha von Norden?«

Ihr Stolz triumphierte noch einmal über das verwundete Herz.

»Eifersüchtig?« sie zuckte die Achseln. »Welch eine Schmeichelei, welche Huldigung wäre das für Sie!«

Er stampfte ungeduldig mit dem Fuß, nervös und gereizt wie er war, konnte er sich nicht so beherrschen wie sie.

»Nein, nur eine törichte, launische, unerträgliche Leidenschaft,« sagte er sich erhebend. »Mir dürfen Sie darin schon ein Urteil zutrauen, Rose.«

Dann ging er ihr voran, fast eilig auf das Paar zu, in seinen Augen loderte es dunkel.

Martha erblaßte etwas, als er so plötzlich eintrat, ihre sonstige Keckheit ließ sie im Stich, fast bittend sah sie ihn an. – Er ignorierte sie vollkommen.

»Die gnädige Frau hat mich soeben von dem neuesten Familienereignis in Kenntnis gesetzt,« sagte er, sich ausschließlich an den Grafen wendend, »ich muß gestehen, ich bin sehr überrascht.«

Dieser lächelte, fast ein wenig betreten.

»Wenn man das Glück findet, soll man es aufheben und sich nicht die Hände binden lassen. Ihres Glückwunsches bin ich sicher, lieber Alten.«

Er streckte ihm die Hand entgegen. Mit sichtbarem Widerstreben berührte Viktor sie nur leicht. »Ich weiß es doch nicht!« sagte er mit Beziehung.

»Natürlich, da ich Ihnen Ihre Hertha rauben muß. Aber wir sind eben Egoisten.«

Viktors dunkle Augen bohrten sich nun fest in Marthas Gesicht.

War es denn möglich, daß er sie verlieren sollte, verlieren konnte – obgleich sie seine Frau war?

»Sie würden mir allerdings viel – sehr viel nehmen, Herr Graf. Vielleicht besinnt sich das gnädige Fräulein noch rechtzeitig darauf, daß wir sie am Theater nicht entbehren können.«

»Nein, das ist jetzt zu spät, nicht wahr Martha?« Er legte den Arm um ihre Hüfte und zog sie an sich:

»Nun gebe ich dich nicht mehr frei!«

Dunkelrot im Gesicht schob sie ihn zurück.

»Was für sonderbare Reden das sind!« sagte sie geärgert. »Gerade als ob ich eine Ware wäre, über die man nach Belieben verfügen kann!«

Sie wandte sich um und ging auf Grete zu, die etwas abseits stand und mit ihren dunklen Augen Rose Marie suchte.

»Ich flüchte zu Ihnen,« sagte Martha mit bebendem Ton, »die Männer sind abscheulich!«

Grete machte ein erstauntes Gesicht.

»Das sagen Sie an Ihrem Verlobungstage?«

»Ich habe es freilich schon lange gewußt; es ist mir nichts Neues!« sagte Martha; mit großen Augen, in denen sich Angst und Sorge nicht ganz verstecken konnten, sah sie auf die beiden Herren.

Was sprachen sie jetzt? Was?! – Wie unsinnig von ihr, hierher zu kommen, ehe sie mit ihrem Manne ein erklärendes Wort gesprochen hatte; wenn er nun durch eine einzige Andeutung ihren ganzen stolzen Zukunftsbau zerstörte – schon zerstört hätte! – Angst schnürte ihr die Brust zusammen, stieg ihr in die Kehle. Sie hörte, daß Grete mit ihr sprach, verstand kein Wort, endlich hielt sie es nicht länger aus; ganz abwesend, als folge sie nur instinktiv einem unbewußten Zuge, hatte sie sich Gilsach und Alten wieder genähert.

Gott sei Dank, sie sprachen von anderem, nicht von ihr. Mit einem Blick tiefinnerster Dankbarkeit streifte sie ihres Mannes Gesicht, während sie ihren Arm unter den des Grafen schob.

»Komm, Ruprecht, suchen wir deine Cousine.«

Sie zog ihn fort, und Alten folgte ihnen mit den Augen. Wieder trat der düstere Zug in sein Gesicht, der Rose Marie vorhin so tief erschreckt hatte, wieder begann die Vernunft mit den Sinnen den alten aussichtslosen Kampf, bis ihm endlich das Blut wie rasend durch die Pulse jagte, und er sich selbst mit zusammengebissenen Zähnen verächtlich nannte. – Was half es?

Ihn verzehrte der Gedanke fast, sie im Besitz eines anderen zu wissen.

Einmal hatte er sie wirklich heiß und ehrlich geliebt – warum konnte er das nicht vergessen? Warum – gerade wenn er sich ihre Fehler und Schwächen so recht vor Augen geführt hatte, stieg die Erinnerung an sein erstes Fühlen so durchsichtig und strahlend wie Kristall vor seinem inneren Auge empor?

Er grübelte darüber nach und fand keine Erklärung!

»Meine törichte Phantasie ist es,« dachte er gereizt, »die mich nicht loslassen will, die stärker ist als meine Vernunft!«

Zornig stand er im Wintergarten und starrte auf die grünen Pflanzengruppen, auf die Palmen, die still und unbewegt ihre gefiederten Blätter über ihn hinstreckten.

Eine Sehnsucht nach Kampf und Bewegung überkam ihn plötzlich in diesem schweigenden Raum, nach einem Abschütteln des Druckes, der ihm auf Hirn und Herzen lag.

Der Kiesweg hinter ihm knirschte unter leichten, hastigen Schritten, langsam wandte er sich um; Martha stand vor ihm.

Sie war erhitzt, offenbar von der Situation bedrückt und doch eilig, das auszusprechen, was sie auf dem Herzen hatte.

»Ich habe dich gesucht – ich habe all den beobachtenden Augen Trotz geboten, weil ich dich sprechen wollte! – Was sagst du zu meiner Verlobung, Viktor?«

Angstvoll hefteten sich ihre Augen auf sein Gesicht, der Brillantstern auf ihrer Brust streute unruhig zuckende Strahlen.

»Eine erbärmliche Farce! – Du weißt ja, daß du kein Recht dazu hast.«

»Aber du wirst mich frei geben, Viktor!« Halb bittend, halb drohend stieß sie es heraus.

»Wer sagt dir das?«

»Macht dir denn diese Komödie Freude? Hast du irgend einen Zweck dabei? Deine »geniale Geistesfreundin« hätte alle Ursache, sich mit dir zu entzweien, wüßte sie, daß du mich, deine gewesene Gattin festzuhalten versuchst.«

»Bist du deiner Künstlerschaft schon überdrüssig, daß du bemüht bist, dir ein anderes Nest zu bereiten?« fragte er mit kühlem Spott. »Als du damals mich, unsere Häuslichkeit dafür opfertest, glaubtest du dein Paradies gefunden zu haben, und nun ...«

Sie blickte unschlüssig zur Erde; sollte sie ihre Eitelkeit so weit demütigen und ihm sagen: ich bin keine Künstlerin von Gottes Gnaden ... Ein heftiger Kampf wogte in ihr, ein Kampf, der sich in Zorn und Bitterkeit gegen den Mann, den Urheber des Kampfes richtete.

»Was geht es dich an,« stieß sie hervor. »Ich will frei sein – ganz frei! Meine Handlungen sollen nicht mehr deiner Kontrolle unterstehen!«

Er lehnte sich mit dem Rücken an den Sockel der Flora, auch er war zornig geworden über sie und sich.

»Du bist meine Frau!«

Sie stampfte außer sich mit dem Fuß, ein Strahl glühenden Hasses brach aus ihren Augen.

»Ich will es nicht mehr sein! – Ich will nicht! – Du nahmst mich wie einen Gegenstand, der dir gefiel und behandeltest mich mit egoistischer Ungerechtigkeit, als ich dein war. Du ließest mich gehen, weil dir mein Bleiben unbequem wurde, ohne zu fragen, was aus mir werden sollte; und nun, wo du mich wiederfindest, ohne dein Zutun gefeiert, geliebt, frei nach meinem eigenen Gefühl, da gefällt es dir, mich an den Fesseln zu halten, die Staat und Kirche zwar geschmiedet haben, die ich aber nicht mehr anerkennen will, weil sie in meinen Augen ihre Berechtigung verloren haben. Warum? Sage mir nur um des Himmelswillen, warum? Was kann ich dir sein! –«

Er schwieg still und hielt die Augen mit der Hand verdeckt, fast schämte er sich, ihr von den Qualen zu sprechen, die er um sie empfand.

»Ich habe dich zuerst in meinem Leben geliebt –« sagte er endlich tonlos, »und – ich liebe dich noch, Martha!«

Sie stieß ein kurzes Lachen aus.

»Welche Idee, Viktor!« –

Sie setzte sich und ordnete die schwere, knisternde Seide, die sich um sie bauschte; ihre Angst war verflogen, im Gegenteil, es wandelte sie ein Lachen an.

»Du bist ein großer Narr, Viktor!« sagte sie leichthin. »O, ein gewaltiger! Wäre ich dir wieder begegnet, arm, hilflos und verlassen, deine Seele hätte nicht daran gedacht, sich wieder in mich zu verlieben. Die Folie indessen, die jetzt hinter mir steht, reizt deine Phantasie; glaube mir, es ist nichts weiter, und besäßest du mich heute wieder völlig, so finge das alte Lied morgen von neuem an. Einstmals verließest du mich um Rose Maries willen, heute willst du sie meinetwegen verlassen. Gott sei Dank, daß nicht alle Männer Künstler sind!«

»Martha!« rief er zornig.

»Verlange also nicht, daß ich an deine Liebe glaube,« fuhr sie ruhig fort, »jede derartige Empfindung ist nur momentane Einbildung, nichts weiter.«

»Für dich und deinesgleichen vielleicht,« sagte er bitter, »wenn du aber so denkst, was fesselt dich an den Grafen?«

Sie preßte die Lippen fest aufeinander und zögerte.

»Seine Stellung, sein Geld, die Anbetung, die er dir zollt,« beantwortete er sich seine Frage in verächtlichem Tone selbst.

»Nun und wenn?« Sie sah mit den flimmernden Augen zu ihm auf. »Ist das so schlimm? Wenn er es nur zufrieden ist, wen geht es dann noch etwas an?«

Und er sah tief auf dem Grunde der Seele dieser Frau die eisige Herzenskälte und Leere, die ihr als Begleiterin ihrer Schönheit zugesellt war, und einen Augenblick schauderte er vor ihr zurück.

»Jugend ist vergänglich, und Künstlerruhm – ach, das ist leichte Ware, Viktor! Eine Gräfin Gilsach ist vor allen Unbequemlichkeiten geschützt.«

»Du bist ebenso schön wie herzlos, Martha!«

»Zu meinem Glück! Oder sollte ich sie etwa alle lieben, die sich mir zu Füßen warfen? Es wäre eine zu große Anzahl, Viktor.« Sie lächelte.

»Wie nahm der Graf das Geständnis deiner Ehe auf?« fragte er, sich mühsam zur Ruhe zwingend. »Meinen Namen hast du ihm nicht genannt?«

»Er weiß von gar nichts!« sagte sie kurz und stieß mit der Spitze des kleinen Schuhs ein Kieselchen aus dem Weg.

»Er hält dich für unverheiratet?«

»Gewiß!« »Also scheust du selbst das Schlimmste nicht, um dein Ziel zu erreichen – eine Lüge!«

Sie warf das Blatt fort, mit dem sie gespielt hatte und sah ihn an.

»War meine Ehe mit dir etwa ein Makel, dessen ich mich zu schämen hätte? Nun gut, außer dieser Tatsache ist mein Ruf blank wie geputzter Stahl. Dank meinem Temperament! – Gib mich frei, Viktor!«

Sie bat mit gedämpfter Stimme, und halb erhobenen Händen, ihr lag alles daran, jetzt gleich und im Guten mit ihm auseinander zu kommen, alles! Und das gab ihrer Stimme eine Weichheit, ihrem Gesicht den Ausdruck süßester Hilflosigkeit, daß er wieder alles vergaß, seinen gerechten Zorn, seine Verachtung ihres Charakters, alles – außer ihrer Schönheit.

Plötzlich lag er auf den Knien vor ihr, den Kopf in die Falten ihres Kleides drückend.

»Ich kann nicht, weil ich dich liebe – und weil ich dich liebe und dich kenne – verachte ich mich!« stöhnte er dumpf.

Mit einem Triumphgefühl ohnegleichen sah sie auf ihn herab, niemals hatte sie die Macht ihrer Schönheit berauschender, siegessicherer empfunden als in diesem Augenblick. – –

»Wo sind sie denn nur, die Ausreißer!« sagte in derselben Sekunde Rose Marie, zwar mit bleichen Lippen, aber doch dem üblichen Lächeln im Gesicht zu dem unruhigen Bräutigam, dessen Blicke beredter waren als das stumme Schweigen, in dem er verharrte. »Wir wollen sie suchen.«

Da stürzte mit donnerndem Gepolter eine der großen Vasen, die die Türe zum Wintergarten schmückten, von ihrem Sockel; mit blassem Gesicht und zitternden Händen stand Grete dabei und blickte auf den angerichteten Schaden.

»Wie ungeschickt!« rief Rose Marie zorniger als sie sonst bei derartigen Vorkommnissen zu werden pflegte. Die so lange zurückgedämmte Erregung brach sich nun gewaltsam Bahn.

»Sei nicht böse!« sagte Grete tonlos mit starren Augen.

Viktor Alten, die Schauspielerin am Arm, erschien unter der Gruppe hoher Juccabäume, die den Florawinkel so ziemlich abschloß. Martha lachte übermütig, als sie auf die Scherben sah, Viktor war sehr blaß.

»Ich habe Herrn Alten klar gemacht, daß es ihm nichts hilft, wenn er versuchen sollte, diese Hertha zu halten,« sagte sie schelmisch, ihrem Bräutigam zuwinkend, »er hat es eingesehen und mich frei gegeben. Nun gehöre ich dir ganz!« flüsterte sie ihm leise in das Ohr.

Er sah unbehaglich aus.

»Warum tatest du das nicht in unserer Gegenwart, Martha?«

»Bist du eifersüchtig? Einen Othello zu haben gelüstet mich gar nicht,« sagte sie und drehte an ihrem Brillantreif, daß die Steine sprühten. »Übrigens mußt du einen andern Maßstab des Erlaubten an mich und meine Kollegen – zu denen doch auch indirekt Alten gehört – legen, als an eure vornehme Gesellschaft. Das hört ohnedies auf, sobald ich deine Frau bin.«

»Gott sei Dank!« erwiderte er und küßte ihre Hand. –

Niemals war Viktor so geistreich und sprühend heiter gewesen, als im Verlauf dieses Abends. Er schonte nichts, sich selbst am wenigsten und zog alles in den Bereich seines Witzes, seiner treffenden Sarkasmen. Martha, die ihn bisher nur schweigsam und wenig liebenswürdig gesehen hatte, begriff zum erstenmal, daß es wirklich Frauen geben konnte, die sich durch seine Aufmerksamkeiten ausgezeichnet fühlten, die sich in ihn verliebten. Mit verwunderten Blicken streifte sie ihn zuweilen, je stiller Graf Gilsach an ihrer Seite wurde. Es war, als hätten diese Blicke die Macht, Viktor immer aufs neue anzuspornen, und doch lastete, trotz aller scheinbaren Heiterkeit, auf allen Anwesenden ein unausgesprochener Druck, den er selbst vielleicht am schwersten empfand.

Als sich das Brautpaar zum Aufbruch anschickte, trat er abgespannt und ermattet zu Grete, die in der Nähe der leer gewordenen Säule stand:

»Lassen Sie es sich nicht anfechten, Fräulein Gretchen,« sagte er, nicht anders glaubend, als beklage sie noch immer den angerichteten Schaden. »Scherben bedeuten ja wohl Glück! Und so eine Vase ist doch immerhin ersetzlich.«

Es schien als müßte sie sich Zwang antun, um ihm zu antworten, dann aber, als sie in sein blasses, in diesem Augenblick scharf und gealtert aussehendes Gesicht blickte, mit dem verächtlichen müden Zug um Mund und Augen, übermannte sie der Zorn.

»Eher wenigstens wie Glaube, Liebe und Achtung, da haben Sie recht!« sagte sie kurz.

Er sah sie prüfend an. Was ihre Worte ihm bestätigten, hatte er gefürchtet.

»Grete,« sagte er leise mit unterdrücktem Ton, »Sie verstehen das nicht, – Sie sind unversucht. Aber jeder Mann fällt einmal unter seine Wünsche und Irrtümer wie unter Räuber, und sie schlagen ihn wund und rauben ihm viel!«

Sie sah zu ihm auf. Ein Wehgefühl war in ihren Augen.

»Und er sollte nicht die Macht haben, dagegen anzukämpfen?« fragte sie. »Nicht die Kraft, etwas in sich zu ertöten, von dem er weiß, daß es ihm nicht heilsam ist?«

»Merkwürdig!« sagte er nachdenklich, »Sie so sanft, geräuschlos und bescheiden, rufen mich immer zum Kampf auf gegen mich selbst. Warum tun Sie das? Warum machen Sie es nicht wie die andern und nehmen mich wie ich bin.«

Sie legte die Hände ineinander; ein Blick unbeschreiblicher Wärme traf ihn.

»Weil ich Sie achten will, Viktor Alten, und weil ich es so – so wie Sie sind, oft nicht kann.« Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern ging schnell in den Wintergarten. Er nahm die Unterlippe zwischen die Zähne.

Nein, sie konnte ihn nicht achten. Niemand konnte das, der eine Ahnung von dem hatte, was in seinem Innern vorging. Er konnte es ja nicht einmal selbst! –


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