Hedwig Schobert
Künstlerblut
Hedwig Schobert

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XX.

Die üblichen drei Schläge an der Tür zu Marthas Garderobe erschallten, ein Zeichen, daß der Direktor selbst Einlaß begehrte.

Die Schauspielerin schleuderte gerade ihren Pelzstiefel vom Fuß und schlüpfte in den zierlichen Goldkäferschuh, ohne sich dadurch von einem »Herein« abgehalten zu fühlen.

Den Hut im Nacken, die Hände in den Taschen seines Überziehers war Paul Herbert eingetreten und blieb in der Nähe der Tür stehen.

»Haben Sie den Kontrakt unterschrieben, Martha?« fragte er kurz angebunden. »Wenn nicht – ich will Sie gewiß nicht dazu zwingen.«

»Nein,« sagte sie gleichmütig und schleuderte den zweiten Pelzschuh so gewaltsam fort, daß er den Direktor fast streifte.

Der sah ihm gedankenlos nach.

»Warum nicht?«

»Ich habe mir die Sache überlegt.« – Sie steckte einen funkelnden Stern in das blonde Haar. »Ihre Bedingungen gefallen mir nicht.«

»,So! – Hat Ihnen jemand bessere geboten?«

»Allerdings!«

»Wer denn?« fragte er ungeduldig, mit bösen Augen.

Daß ihm Martha, die er so begehrte, auf die er so sicher rechnete, im letzten Augenblick entschlüpfen könnte, daran hatte er nicht gedacht. Es regte alles Böse, alles Leidenschaftliche in seinem Charakter gewaltsam auf.

»Das kann Sie doch nicht weiter interessieren, – genug, ich unterschreibe Ihren Kontrakt nicht.«

Er trat ihr ganz nahe; jeder Zug in seinem Gesicht eine Drohung.

»Und wenn ich Sie zwingen würde?«

Sie zuckte die Achseln.

»Sie – mich? – Da wäre ich neugierig.«'

Er packte ihren Arm.

»Martha, treiben Sie mich nicht zum äußersten! Ich liebe Sie – – Sie entgehen mir nicht.« –

»O doch!« sagte sie, ihn mit einem Lächeln musternd, »ich gedenke nämlich zu heiraten.«

Die Adern an seinen Schläfen schwollen an, in sein verschminktes Gesicht stieg fahle Röte.

»Das wirst du nicht!« stieß er außer sich hervor.

»Soll ich Sie um Erlaubnis bitten? Mein Gastspiel läuft in der nächsten Woche ab, dann bin ich frei.«

»Wer ist es?« fragte er fast keuchend, unter dem Druck seines heißen Blutes. »Nenne mir den Namen!«

Sie sah ihn lächelnd an.

»Eine ganz gute Partie!« bemerkte sie.

»Daß Sie in diesem Punkt keine Dummheiten machen werden, davon bin ich überzeugt, ebensosehr davon, daß Sie ihn nicht lieben; die Rechnung ergibt eben für Sie ein annehmbares Fazit, das ist alles,« sagte er höhnisch.

Sie zuckte ungeduldig die Achseln. »Lassen Sie mich wie ich bin, oder« – nun wandte sie ihm nachlässig den Kopf über die Schulter zu, »wollen Sie es etwa übernehmen, mich zu etwas anderem zu machen?«

Er trat ihr ganz nahe.

»Ja, bei Gott, ich will – und kostet es mich mein, Leben, denn ich liebe Sie, Martha – ich gönne Sie keinem anderen!«

Heiß und leidenschaftlich wehten die Worte über sie hin, heiß und leidenschaftlich hingen seine Augen an ihrem schönen Gesicht. Sie wußte, daß es dieselbe Macht war, die auch Viktor Alten empfunden hatte, als er sie festzuhalten versuchte, die Macht ihrer Schönheit. –

Und Paul Herberts Gesicht kam ihr immer näher, seine Augen wurzelten in den ihren, es war als ströme etwas von der sengenden Glut seiner Liebe, seines Wollens, in ihren Körper über.

Sie faßte mit der einen Hand nach der Puderquaste auf ihrem Toilettentisch und stäubte ihm damit in das Gesicht, lachend, ruhig und gleichmütig wie sie stets war, sobald ihr die Liebe in irgend einer merkbaren Gestalt nahte.

»Lassen Sie sich ein wenig abkühlen, lieber Herbert – und machen Sie dann, daß Sie hinauskommen, es ist höchste Zeit zum Umziehen. Ich rate Ihnen aber eins, – kommen Sie mir nicht wieder so gefährlich nahe, mein Bräutigam könnte sonst eifersüchtig werden.«

»Ihr Bräutigam!« Er lachte schrill und höhnisch auf. »Ihr Bräutigam! Erst ich – dann er!« –

»Gehen Sie jetzt!« sagte Sie, ungeduldig mit dem Fuß aufstampfend, »oder ich trete heute abend nicht auf. Sie können sich dann nach Belieben eine Hertha suchen.«

Er wandte sich zähneknirschend nach der Tür. Möglich, daß sie in ihren unberechenbaren Launen ihre Drohung wahr machte, dem durfte er sich nicht aussetzen. Aber er haßte sie in diesem Moment ebenso wie er sie liebte, und trotzdem schwor er sich zu, sie um keinen Preis freizugeben.

Draußen sah er sich nach Babette um. Vielleicht kannte diese Marthas Begünstigten, denn an eine Heirat glaubte er nicht – aber die Garderobiere war nirgends zu sehen; und nie in seinem Leben war der Direktor unhöflicher, unausstehlicher und gereizter gewesen, als an diesem Theaterabend. – Als er gegangen, empfand Martha mit Befriedigung den Unterschied zwischen Graf Gilsachs achtungsvoller, halb versteckter Zärtlichkeit, und dem unverhüllten Zynismus, der ihr aus Herberts Liebe überall entgegentrat. Wärmer als bisher, gedachte sie ihres Verlobten, und das Bewußtsein, vom Theater um seinetwillen scheiden zu müssen, verlor plötzlich jeden Stachel. Und wenn sie erst einmal Gelegenheit fand, Viktor ehrlich zu sagen, wie es um sie unter Herberts Direktion stände, was ihr Los sein würde ohne einen sicheren Halt im Leben – wenn sie ihm nur erst klar gemacht haben würde, daß für ihn kein Fünkchen Gefühl mehr in ihrem Herzen lebe, dann zweifelte sie nicht, daß er sie, seiner eigenen Liebe zum Trotz, freigab. – Bei Paul Herbert hätte sie nicht auf die edleren Instinkte seiner Natur gerechnet, bei Viktor Alten tat sie es unbedingt und halb unbewußt. –

Das war eine sonderbare Theatervorstellung an jenem Abend! – Noch nie war Herberts dämonische Wildheit, der Zauber seines prächtigen Organs so zur Geltung gekommen, noch nie die Liebesleidenschaft, deren er fähig war, so berauschend zutage getreten. Noch nie hatte Martha so farb- und seelenlos gespielt, offenbar nur dem drückendsten Zwange gehorchend, und doch verließ Graf Gilsach wieder, mitten in dem bewegtesten Teil des Aktes die Loge und ging blaß, im Korridor auf und ab.

Da trat Alten nach einem Augenblick auch heraus, vielleicht nicht weniger blaß, aber unruhiger und nervöser nach außen.

»Wurde es Ihnen zu warm?« fragte er scheinbar absichtslos, strich sich mit dem seidenen Tuch über die Stirn und schloß sich Gilsach an.

Dieser blieb stehen und griff mit zwei Fingern in den Halskragen, als fürchte er, zu ersticken.

»Die Hitze kommt von der Bühne,« sagte er mit einem schwachen Versuch zu lächeln. »Dieser Herbert! – Es liegt etwas Teuflisches in ihm. – Sie empfinden das weniger als ich!« – Viktor wandte sein Gesicht zur Seite.

»Vielleicht doch – wenn ich an Ihre Situation denke! Sie hätten alle Ursache, dem Verfasser des Stückes zu grollen, aber – wer konnte das ahnen!«

»Ja, wer konnte das ahnen!« wiederholte Ruprecht Gilsach nachdenklich. »Ich gestehe Ihnen übrigens gern zu, daß dies Empfinden meinerseits rein subjektiv ist, ein anderer würde sich vielleicht an dem meisterhaften Spiel erfreuen.«

Viktor Alten blickte prüfend in das vornehme, leicht gesenkte Gesicht an seiner Seite, eine plötzliche Regung des Mitleids überkam ihn.

»Eine Schauspielerin zu lieben erfordert immer eine gewisse Dosis Uneigennützigkeit,« sagte er schnell.

»Wieso?« Graf Gilsach sah plötzlich so vornehm kühl und ablehnend aus, daß Viktor sich ärgerte. »Auf Fräulein von Norden fällt auch nicht der geringste Schatten ihres Berufes – sie ist zudem nur kurze Zeit am Theater, und nächste Woche ist ihr Gastspiel zu Ende.« – Aber auf dem Grunde der hellen Augen lag dabei ganz versteckt eine heimliche, angstvoll brennende Frage, die sich nicht in Worte zu kleiden wagte.

»Derartiges anzudeuten, beabsichtige ich auch gar nicht,« sagte Viktor kühl. »Hören Sie, der Akt ist zu Ende, man klatscht, – es ist Zeit zurückzugehen.«

Im Innern hohnlächelte er über den Aristokraten, für den jetzt schon die Erfüllung seiner Herzenswünsche Dornen barg, denen er sich nicht zu entziehen vermochte. – Fast hätte er sich hinreißen lassen, ihm eine Andeutung zu machen, aber schließlich – was ging es denn ihn an! Mochten Martha und er sehen, wie sie wieder auseinander kamen. – Und dann sah er ihn doch noch, einmal an. Also diesen Mann zog sie ihm vor! – Ihm erschien er kleinlich, beschränkt, Formenmensch, aber – rechte nur einmal einer mit dem Geschmack der Weiber! –

Und etwas ähnliches dachte Gregor, dessen Blicke den blassen, schlanken, nicht mehr jungen Mann in der Loge immer wieder suchten.

Sein Herz war traurig und schwer, wenn er an Marthas Entschluß, zu heiraten, dachte. – Sie ging von ihm, und er blieb wieder einsam. – Zuweilen hatte er im stillen an eine Wiedervereinigung der beiden Gatten gedacht, unter den veränderten Verhältnissen, auf dem veränderten Boden, der sie jetzt trug, schien es am Ende keine Unmöglichkeit, daß die alte Liebe wieder erwachte – aber er war ein eingefleischter Egoist, er freute sich jedesmal, wenn er an Marthas Gleichgültigkeit sah, daß ihm nur seine Phantasie einen Streich gespielt hatte.

Und heute nachmittag nun – gerade als er einmal allen trüben Ahnungen den Laufpaß gegeben hatte, als ihm ein – gottlob – unverändertes Zusammenleben mit der Frau sicher schien, auf die er seinen ganzen Liebesschatz, übertragen hatte, sowohl die Liebe des Mannes zum Weibe, als auch die Liebe des Vaters zur Tochter, da hatte sie ihn in der Kaffeestunde empfangen, vergnügt, schön und rosig wie immer und ihm einfach gesagt:

»Ich habe mich verlobt, Gregor, alter Freund, und Sie müssen mir helfen, mich von Viktor zu befreien.«

Und dann hatte sie ihm lachend die Geschehnisse des vergangenen Tages erzählt.

Er hörte aus dem allen nur eins heraus: Sie wollt ihn verlassen! Und ohne, daß er es wollte, trat ihm die Frage auf die Lippen: »Was soll ich machen ohne Sie, Martha?«

»Sich trösten,« sagte sie leichtherzig, »eine andere verwöhnen, wie Sie es mit mir getan haben. Ach Gregor, Sie glauben gar nicht, wie bequem Sie sind!« –

Ein anderes Wort fand sie nicht für ihn. – Nach einer Weile fragte er dann bedrückt:

»Hoffen Sie glücklich zu werden, Martha?«

»Natürlich!« versicherte sie. »Was sollte mir in einer Ehe fehlen, in der ich alles haben kann, was ich nur will.«

Er seufzte und schwieg. Wer kannte sie denn besser als er, und wer liebte sie trotzdem zärtlicher, aufopfernder als gerade er. Daß sie mit keinem Gedanken an ihn dachte, den sie einsam zurückließ, war ihrem Charakter gemäß.

Aber wenn er es sich vorstellte, daß er sie nicht mehr sehen sollte – sie – seine Sonne, das Einzige, um das es sich für ihn lohnte zu leben, dann wurde ihm das Herz in der Brust wie Stein, und seine Augen begannen zu brennen, bis er sie heftig schloß. Auf einmal sah er wieder, wie überflüssig er eigentlich in der Welt war; daß es kein Herz gab, das zu ihm gehörte, und daß sein Alter dunkel und glanzlos vor ihm lag.


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